Seit dem 11. September ist die Frage durchgehend aktuell. Ein von Terroristen als Bombe missbrauchtes Flugzeug abschießen? Mittels einer Gesetzesnovelle sollte dies in Deutschland ermöglicht werden. Das Bundesverfassungsgericht erklärte dieses jedoch für verfassungswidrig. Aber was lässt zu dieser Frage ganz konkret aus dem bloßen Text des Grundgesetzes ableiten? Eine Analyse.
Ist der Abschuss eines von Terroristen entführten Passagierflugzeugs mit dem deutschen Grundgesetz zu vereinbaren? – Eine Betrachtung anhand des Textes
Ein ruhiger Tag. Eigentlich.
Bis zu dem Moment, als auf dem Radar der Flugsicherung ein Punkt auftaucht, der dort nicht hingehört. Ein Flugzeug mit Kurs Nord-Nord-Ost dringt von Süden her in den Überwachungsbereich ein. Die Maschine reagiert nicht auf Identifizierungsanfragen der Bodenstation. Als nach 2 Minuten noch immer nicht klar ist, um was für ein Objekt es sich handelt und wo es hinfliegt, greift das Protokoll für solche Situationen: In der Alarmrotte Neuburg an der Donau werden zwei F-4 Phantom Abfangjäger und zwei Eurofighter startklar gemacht. Nach wenigen Minuten steigen die vier Flugzeuge in die Luft und nehmen Kurs auf das unbekannte Flugobjekt.
Selbiges wird derweil weiterhin erfolgslos angefunkt.
Als die Jäger das Flugzeug erreichen, können sie es schnell als A320-Passagierflugzeug identifizieren. Kurz darauf ist klar, dass das Flugzeug nicht aufgrund eines Fehlers vom seinem eigentlichen Kurs gen London abgekommen ist. Es wurde entführt.
Die Lage spitzt sich zu.
Derweil wird auf Al-Jazeera ein minderqualitatives Video einer Terrorgruppe ausgestrahlt, in dem diese sich zur Entführung einer Passagiermaschine bekennt und ankündigt, es in den Reichstag fliegen zu lassen. Wenn dieser evakuiert werde, suche man sich ein anderes Ziel. Die Botschaft endet mit dem islamischen Glaubensbekenntnis.
Nun ist die Lage klar, die Maschine ist ein Renegade. Das extra für diesen Fall nach dem 11. September eingerichtete Lage- und Führungszentrum für Sicherheit im Luftraum übernimmt die Kontrolle.
Dem Zentrum rennt die Zeit davon, in spätestens 10 Minuten wird sich das Flugzeug über dicht besiedeltem Gebiet befinden. In 15 erreicht es das Berliner Regierungsviertel. Keine 30 Sekunden Flugzeit weiter entfernt liegt der Berliner Hauptbahnhof, ein Verkehrsknotenpunkt, in dem sich um diese Tageszeit tausende Menschen aufhalten. Insgesamt halten sich im potentiellen Zielgebiet ca. 100.000 Menschen auf. Eine Evakuierung ist realistisch nicht mehr durchzuführen und allein der Versuch würde wohl eine Massenpanik auslösen.
Wie zu erwarten reagiert der Airbus weder auf weitere Versuche der Kontaktaufnahme noch auf abgegebene Warnschüsse. 5 Minuten noch. Will man handeln bleibt nur eine Option: Abschuss.
Wäre dieser in irgendeiner Weise zur rechtfertigenden? Ist es mit der Verfassung zu vereinbaren die Maschine abzuschießen, um potentiell Tausende zu retten? Ist das Recht auf Leben der Menschen im Zielgebiet nicht höher zu bewerten als das der Flugzeuginsassen? Sind sie nicht zum einen mehr und zum anderen werden die Passagiere nicht so oder so sterben? Darf der Staat seinen Bürgern das Recht auf Leben nehmen, um das der anderen zu schützen? Abschuss oder Abdrehen?
Zunächst stellt sich die Frage ob der Einsatz der Luftwaffe überhaupt zulässig ist. Dazu führt Artikel 35 Abs. 2 an, dass bei einem besonders schweren Unglücksfall, die Streitkräfte hinzugezogen werden. Es ist wohl legitim anzunehmen, dass ein solcher Fall bei einem derartigen Angriff definitiv vorliegt. Eine weitere Grundlage für den Einsatz bietet Artikel 91 Abs. 2. Wenn ein Bundesland nicht imstande ist eine Bedrohung abzuwehren, so ist der Einsatz der Bundeswehr rechtens. Davon ausgehend, dass die Polizeikräfte Berlins über keine Möglichkeit verfügen das Flugzeug selbst zu stoppen, wäre also auch auf dieser Grundlage ein Einsatz der Bundeswehr legitim. Prinzipiell billigt die Verfassung also den Einsatz der Luftwaffe in diesem Fall. Wirklich wichtig ist jedoch die Frage, ob diese auch verfassungskonform einen Abschuss des Flugzeugs durchführen darf.
Bei dieser Frage ist zunächst zu klären, ob der Verteidigungsfall ausgerufen wurde.
Tritt der Fall nach Artikel 115 in Kraft, übernimmt der Gemeinsame Ausschuss als Notparlament die Funktion der Legislative und der Oberbefehl über die Bundeswehr und damit auch der Luftwaffe wird an den Bundeskanzler übertragen. Wichtig ist jedoch, dass sich die BRD mit Eintreten des Falls automatisch im Kriegszustand befindet.[1]
Es ist denkbar, dass dieser nach Artikel 115a Absatz 4[2]eintritt. Spätestens nachdem das Bekennervideo ausgestrahlt wurde, kann es als sicher angenommen werden, dass die BRD mit Waffengewalt von außerhalb angegriffen wird. Ist der Verteidigungsfall nicht ausgerufen, so ist der Abschuss nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in jedem Fall unzulässig, wenn sich unbeteiligte Personen an Bord befinden.[3]
[...]
[1]Abgeleitet aus Art. 115l.
[2]Wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen und sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, sofort die Feststellung nach Absatz 1 Satz 1 zu treffen, so gilt diese Feststellung als getroffen und als zu dem Zeitpunkt verkündet, in dem der Angriff begonnen hat. Der Bundespräsident gibt diesen Zeitpunkt bekannt, sobald die Umstände es zulassen.
[3]http://www.bundesverfassungsgericht.de/en/press/bvg05-101.html, Zugriff: 25.5.13
- Citation du texte
- David Kunze (Auteur), 2013, Ist der Abschuss eines von Terroristen entführten Passagierflugzeugs mit dem deutschen Grundgesetz zu vereinbaren?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230902