Erving Goffman schreibt in seinem Buch „Interaktion: Spaß am Spiel, Rollendistanz“ in dem Kapitel „Rollendistanz“ über die Situation des Individuums, das an gewisse Rollen gebunden ist, mit denen es sich jedoch nicht immer identifizieren kann.
Diese Nicht- dentifikation des Individuums mit der ihm auferlegten Rolle wird dabei oftmals durch Rollendistanz ausgedrückt, d.h. das Individuum erfüllt zwar die Aufgaben der Rolle, macht aber deutlich, daß er dies nur widerwillig tut.
Dabei stellt sich die Frage, wie sich diese Rollendistanz bei an Schizophrenie erkrankten Personen ausdrückt.
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
2. ROLLENDISTANZ
3. FALLANALYSE EINER SCHIZOPHRENEN PSYCHOSE
4. BEANTWORTUNG DER FRAGESTELLUNG
5. LITERATURVERZEICHNIS
1. Einleitung
Erving Goffman schreibt in seinem Buch „Interaktion: Spaß am Spiel, Rollendistanz“ in dem Kapitel „Rollendistanz“ über die Situation des Individuums, das an gewisse Rollen gebunden ist, mit denen es sich jedoch nicht immer identifizieren kann Diese Nicht- Identifikation des Individuums mit der ihm auferlegten Rolle wird dabei oftmals durch Rollendistanz ausgedrückt, d.h. das Individuum erfüllt zwar die Aufgaben der Rolle, macht aber deutlich, daß er dies nur widerwillig tut.
Dabei stellt sich die Frage, wie sich diese Rollendistanz bei an Schizophrenie erkrankten Personen ausdrückt.
2. Rollendistanz
Da der Begriff der Rolle in der Soziologie oftmals sehr allgemein verwendet wird, definiert Goffman zunächst Begriffe der Rollentheorie.
Dabei ist ein „Status [ist] eine Position in einem System oder Schema von Positionen und durch reziproke Bindungen auf die anderen Positionen in der Einheit bezogen, durch Rechte und Pflichten, die die Inhaber binden.“1 Das System oder Schema beansprucht jedoch nur einen Teil des Individuums.
„Die Rolle besteht in der Tätigkeit, in der sich der Inhaber engagiert, handelte er lediglich im Sinn der normativen Forderungen, die jemandem in seiner Position auferlegt werden. Die Rolle in diesem normativen Sinn ist vom Rollenspiel oder vom Rollenverhalten zu unterscheiden, dem tatsächlichen Verhalten eines besonderen Individuums, während es in seiner Position „im Dienst“ ist.“2
Das Rollenverhalten des Individuums wird durch einen Kreis direkter sozialer Situationen mit Rollenpartnern deutlich, d.h. mit bedeutsamen Bezugspersonen. Dabei bezeichnet Goffman verschiedene Rollenpartner oder Rollenbeziehungen als Rollensatz.
Er schreibt weiter, daß die „Über“-Rolle, die einer Position entspricht, in Rollenabschnitte, bzw. -teile oder Unterrollen zerfällt, von denen jede mit einer besonderen Art von Rollenpartnern zu tun hat.
Soziale Veränderungen in einer Rolle finden demnach aufgrund von Verlust oder Gewinn an Rollenpartnern statt, innerhalb eines speziellen Sektors einer Rolle, der den Rollenträger mit einem bestimmten Rollenpartner verbindet.
Der Rolleninhaber, der eine bestimmte Position einnimmt, muß ein ganzes Bündel von Verhaltensweisen annehmen, das die entsprechende Rolle umfaßt.
Nach Goffman bewirkt die Einnahme einer Rolle eine gewisse Unfreiheit des menschlichen Willens: „Rolle bedeutet also einen sozialen Determinismus und eine Lehrmeinung über Sozialisation. [...] Die Rolle ist damit die Grundeinheit der Sozialisation. Durch Rollen werden in einer Gesellschaft Aufgaben zugewiesen und Vorbereitungen getroffen, um deren Durchführung zu erzwingen.“3
Das Innehaben einer Position wird durch Statussymbole, z.B. Benehmen, Kleidung, verdeutlicht. Durch einen bestimmten sozialen Maßstab bringt diese Position ein entsprechendes Maß an Prestige oder Verachtung ein. In seinem Rollenverhalten muß das Individuum darauf achten, daß die Eindrücke, die es in der Situation auf andere macht, mit den dieser Rolle zugeschriebenen Eigenschaften vereinbar sind. Goffman schreibt, daß zugeschriebene und erwartete persönliche Eigenschaften eine Positionsbezeichnung bilden, welche dem Inhaber als Basis für sein Selbstbild dient und den Rollenpartnern ein Bild von ihm vermittelt.
„Ein Selbst wartet also darauf, daß das Individuum eine Position einnimmt; es braucht sich nur dem auf ihn wirkenden Druck anzupassen, und es wird ein Ich finden, das für ihn gemacht ist. Tun ist nach Kenneth Burke sein.“4
Goffman schreibt weiter, daß die Funktion einer Rolle der Teil ist, den sie in der Aufrechterhaltung (Eufunktion) oder Zerstörung (Dysfunktion) eines Systems oder Schemas als eines Ganzen spielt. Dabei unterscheidet er zwischen manifester und latenter Funktion.
Eine manifeste Funktion liegt vor, wenn die funktionale Rolle offen bekannt und anerkannt ist. Bei einer latenten Funktion ist die Wirkung nicht regelmäßig voraussehbar.
Von einer Verpflichtung des Individuums kann dann die Rede sein, wenn es in eine Position gedrängt und gezwungen wird, mit den damit verbundenen Vor- und Nachteilen zu leben und zu akzeptieren. Solch starke Rollenverpflichtung kommt gewöhnlich nur bei regelmäßig ausgeübten Rollen vor.
Rollenverhaftung kann ein Individuum demonstrieren, das sein Eigenimage liebt, es für äußerst wünschenswert hält und seine Selbstgefühle an sie überträgt. Nach Goffman ist eine Person seelisch gesund, wenn sie ihrer Rolle verhaftet ist und sie daher ergeben und regelmäßig ausübt.
Rollenverpflichtung und Rollenverhaftung können auch gemeinsam auftreten, können aber auch getrennt vorkommen.
Goffman schreibt, daß es eine Grundannahme der Rollenanalyse ist, „daß jedes Individuum in mehr als einem System oder Schema engagiert sein und daher mehr als eine Rolle ausüben wird. Jedes Individuum wird daher mehrere „Ichs“ haben, was uns vor das interessante Problem Stellt, wie diese „Ichs“ miteinander verwandt sind.“5 Gerade nicht ausgeübte Rollen werden aufrechterhalten, die bei anderen Gelegenheiten zum Vorschein kommen. Dabei muß sich das Individuum im Klaren sein, wo und was es wann sein soll. Nach Goffman kann diese Rollentrennung durch Publikumstrennung erleichtert werden, da das Individuum in bestimmten Situationen die einen Rollenpartner, in anderen Situationen, beim Ausüben einer anderen Rolle, die anderen Rollenpartner hat.
In einem Rollendilemma befindet sich diejenige Person, die beim Ausüben einer Rolle auf einen Rollenpartner einer anderen Rolle trifft. Die Person reagiert auf diesen Rollenkonflikt mit Verwirrung und Schwanken.
In Bezug auf Rechte und Pflichten eines Rollenträgers unterscheidet Goffman zwischen Vorschrift und Erwartung: „als Vorschrift im Sinne einer eigenen Aktion, die es von selbst oder andere von ihm fordern können, und als Erwartung im Sinne einer Aktion anderer, die es selbst oder die anderen legitimerweise fordern können.“6 Goffman ergänzt den Begriff der Position so, daß eine Position die Situation des Individuums während eines Lebensabschnitts ist. „Die Rolle kann jetzt in dieser korrigierten Fassung als die typische Reaktion von Individuen in einer besonderen Position definiert werden. [...] Im allgemeinen muß dann eine Unterscheidung zwischen einer typischen Rolle, den normativen Aspekten der Rolle und dem tatsächlichen Rollenverhalten eines besonderen Individuums gemacht werden.“7 Ein situationsabhängiges Handlungssystem, in dem Rollenträger gemeinsam aktiv werden, stellt das situierte Aktivitätssystem dar, ein geschlossener, sich selbstausgleichender und sich selbstbeendender Kreislauf voneinander abhängigen Aktionen mit dem Ziel, eine bestimmte gemeinsame Aufgabe auszuführen. Situierte Rollen entstehen durch die häufige Wiederholung des Verlaufs eines situierten Systems. Dabei umfaßt die situierte Rolle ein Bündel von Aktivitäten, die zwar selbstständig von einem Individuum ausgeführt werden, aber gleichzeitig in deutlichem Zusammenhang mit den Aktivitäten der anderen stehen.
Eine Person, die in einem situierten System aktiv ist, wird dadurch zum situiertem Ich, weil die Rolle, die es dort spielt, unvermeidlicherweise etwas darüber aussagt, was diese über sich selbst denkt und welches Bild die anderen von ihm haben.
Goffman nennt zwei Grundannahmen der Rollenperspektive, nämlich „daß man das, was man zu dieser Zeit tut, als Identifizierung seiner selbst hinnimmt, und daß, wenn einmal Hinweise über die eigene Position übermittelt wurden, der Rest der Information, der in der Situation verfügbar wird, diese anfänglichen Hinweise bestätigt.“8 Ein Individuum kann aber während sozialen Situationen die Informationen über sich selbst, die dort offengelegt werden, nicht vollkommen kontrollieren, was damit das Problem der Ausdruckskontrolle verdeutlicht. Dabei kann eine Diskrepanz zwischen dem, was die Person zu sein erwartet, und dem, was es den tatsächlichen Ereignissen nach ist, entstehen. Damit diese Diskrepanz nicht auftritt, nimmt die Person aktiv an der Aufrechterhaltung einer Situationsdefinition teil, damit diese stabil bleibt und mit ihrem Bild von sich übereinstimmt. Methoden, durch die diese Person versucht, daß ihr Gegenüber bestimmte Merkmale der Situation nicht für die Definition ihrer Person benutzt, können Erklärungen oder Entschuldigungen sein, die als Grenzen für die Ausdruckskraft der Rolle gelten.
Goffman gebraucht den Ausdruck Erfassung der Rolle, wenn folgende drei Merkmale vorhanden sind: „zugegebene zum Ausdruck kommende Bindung an die Rolle; Demonstration von Qualifikationen und Fähigkeiten zur Durchführung; aktiver Einsatz oder spontanes Einbezogensein in das Rollenhandeln, d.h. einen sichtbaren Einsatz von Aufmerksamkeit und Muskelanstrengung. [...] Eine Rolle so zu erfassen, bedeutet völlig in dem faktischen Selbst zu verschwinden, das in der Situation verfügbar ist- ganz in Begriffen des (Rollen-) Leitbildes gesehen zu werden und ausdrücklich zu bestätigen, daß man es akzeptiert. Eine Rolle erfassen heißt, von ihr erfaßt zu werden.“9
Das Erfassen einer Rolle wird dann von einem Individuum vorgetäuscht, wenn es eine mangelnde Bindung an die Rolle zu verbergen versucht. Andererseits wird ein Individuum sichtbaren Widerwillen gegen eine Rolle vortäuschen, um sich gegen die psychologischen Gefahren einer wirklichen Bindung an die Rolle zu wehren. Eine Person kann jedoch einer Rolle verhaftet sein und doch dabei scheitern, sie zu erfassen.
Ausgelassenes Verhalten kann jedoch einen Keil zwischen dem Individuum und seiner Rolle, zwischen Tun und Sein darstellen. Goffman nennt diese „effektiv“, zugespitzte Trennung zwischen dem Individuum und seiner mutmaßlichen Rolle Rollendistanz. „Das Individuum leugnet tatsächlich nicht die Rolle, sondern das faktische Selbst, das in der Rolle für alle Darsteller enthalten ist, die die Rolle akzeptieren.“10 Die Person, die Unzufriedenheit mit und Widerstand gegen die Rolle empfindet, könnte dies mit Rollendistanz ausdrücken, d.h. die Aufgabe mit gelangweilter, ungezwungener Kompetenz ausführen.
Goffman nennt drei Feststellungen hinsichtlich der Rollendistanz, die in bestimmten Situationen leicht nachvollziehbar sind: „Erstens: [...] Die Handlung, durch die man sich den Versuch leisten kann, sich an die Situation anzupassen, ist eine, die man sich zurechtschneiden kann, um zu zeigen, daß man etwas fehl am Platz ist. Man tritt so weit in die Situation ein, daß man demonstrieren kann, man gehöre nicht dorthin. Ein zweiter allgemeiner Punkt hinsichtlich der Rollendistanz ist die Tatsache, daß das Publikum in der Entfaltung der Rollendistanz eine sehr direkte Rolle spielt. [...] Noch ein letzter Punkt: Wir haben anscheinend zwei verschiedene Mittel, die Rollendistanzierung festlegen zu können, gefunden. In einem Fall versucht das Individuum, sich so gut wie möglich von der „Befleckung“ durch die Situation zu isolieren. [...] Im anderen Fall produziert das Individuum kooperativ ein kindliches Selbst; es kommt der Situation mehr als halbwegs entgegen, zieht sich aber dann durch eine kleine Geste von dem weggeworfenen Selbst zurück, um zu zeigen, daß der Scherz jetzt weit genug gegangen sei.“11
Es gibt Rollen, deren Erfassung ganze Kategorien von Individuen für unklug halten, wobei es sich um eine Rolle handeln kann, die einige Personen ihr ganzes Leben lang, andere jedoch niemals ernst nehmen. Dieses Nicht-ernst-nehmen einer Rolle wird durch Rollendistanz ausgedrückt, die besonders dann ausdrücklich und verstärkt demonstriert.
[...]
1 Goffman, Erving (1973) Interaktion, S. 95
2 Goffman, Erving (1973) Interaktion, S. 95
3 Goffman, Erving (1973) Interaktion, S. 97
4 Goffman, Erving (1973) Interaktion, S. 98
5 Goffman, Erving (1973) Interaktion, S. 101
6 Goffman, Erving (1973) Interaktion, S. 103
7 Goffman, Erving (1973) Interaktion, S. 104-105
8 Goffman, Erving (1973) Interaktion, S. 116
9 Goffman, Erving (1973) Interaktion, S. 120
10 Goffman, Erving (1973) Interaktion, S. 121
11 Goffman, Erving (1973) Interaktion, S. 123-124
- Quote paper
- Dr. Monique Zimmermann-Stenzel (Author), 1997, Rollendistanz bei Schizophrenie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23080
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