Helge Schneider polarisiert wie kaum ein anderer Künstler. Viele halten ihn für einen albernen, vielleicht gar verwirrten Entertainer, aber die manchmal gut verborgene Genialität seiner Werke und der Kunstfigur Helge Schneider erkennen nur wenige.
Dieses Buch blickt auf die Hintergründe der Komik des Autors, Musikers und Filmemachers und gibt Antworten auf die Frage, ob Helge Schneider ein Dada-Avantgardist ist oder nicht.
Richtig, richtig, popichtig!
Aus dem Inhalt:
Die Komik in den Kommissar-Schneider-Romanen;
Reflexive Inszenierungen in Helge Schneiders Filmen;
Die Komik in den spontanen Bühnenerzählungen;
Einordnung der Kunstfigur Helge Schneider in eine dada-avantgardistische Geisteshaltung
„Dieser Mensch hat keine Grenze.“ Die Komik in den Kommissar-Schneider-Romanen
Einleitung
Konzepte der Komik
Der idealtypische Kriminalroman
Die Kommissar-Schneider-Romane
Schluss
Literaturverzeichnis
Reflexive Inszenierungen in Helge Schneiders Filmen "Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem" und "00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter"
Einleitung
Zur Person Helge Schneider
Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem
00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter
Fazit
Literaturverzeichnis
Bildanhang
''Das ist doch kein Name für eine Katze! [...] Ich riss das Schildchen ab und zerknüllte es in vier Teile.''
Einleitung
Theorien der Komik
Kommentierte Transkription „Operette für eine kleine Katze (Orang-Utan Klaus)“
Analyse von komischen Momenten in der spontanen Bühnenerzählung
Fazit dieser Betrachtungen
Literaturverzeichnis
Versuch einer Einordnung der Kunstfigur Helge Schneider in eine ‚dada-avantgardistische‘ Geisteshaltung
Dada-Avantgardistische Medienkunstfigur Helge Schneider – Lebensform Dada
Dada in der Post-Moderne
Eigenart als Befreiung zur selbstbestimmten Lebensform – Avantgarde als zwangsläufiges Resultat
Resümierenden Einordnung der zeitgenössischen (avantgardistischen) Kunstfigur Helge Schneiders
Literaturverzeichnis
„Dieser Mensch hat keine Grenze.“ Die Komik in den Kommissar-Schneider-Romanen
Von Jan Hosmann, 2008
Einleitung
„[…] Helge Schneider ist allerdings etwas für sehr bescheidene Köpfe. Diese Form von Kabarett ist mir zu simpel. Da gehört meiner Vorstellung nach mehr Geist und Hintergrund rein.“[1] Diese Bemerkung Reinhold Messners steht wohl exemplarisch für eine Rezeptionslinie der Kunst Helge Schneiders, die bis heute anhält. Jörg Seidel dagegen, der das umfangreiche Werk[2] Helge Schneiders – Bühnenauftritte, Musik- und Hörspielaufnahmen, Filme und Bücher – 1999 zum ersten und bis anhin einzigen Mal in größerem Maße kulturwissenschaftlich analysierte, erkennt in Helge Schneider einen legitimen Nachfahren von Diogenes von Sinipe, des „hervorragendsten Vertreter[s]“ des Kynismus, eine Figur der Philosophie also.[3] Und mittlerweile entstanden einige Essays, die sich mit dem Phänomen Helge Schneider ernsthaft auseinandersetzten, um sein Werk von den „Comedy“-Vertretern der „Spassgesellschaft“ abzugrenzen.[4] Erstaunlicherweise jedoch haben beide Seiten, Gegner und Befürworter, das, was Helge Schneider berühmt machte und für das sein Name steht, nicht wesentlich thematisiert: Die Komik.
Offenkundig wird als gegeben betrachtet, dass Helge Schneiders Auftritt in all seinen Sparten nicht immer, aber meistens komisch ist, und die Untersuchung richtet sich mehr auf die tiefere Bedeutung seiner Philosophie, seiner Kunst anstatt auf die Art seiner Komik. Gerade das aber halte ich für interessant und sogar essentiell, um seiner Kunst auf den Grund zu kommen. Auch Schneiders Bücher wurden nicht explizit auf dieses Thema hin behandelt. Ohnehin gilt das Interesse an Schneider – wohl nicht nur zu Unrecht – mehr seinem Gesamtwerk als den einzelnen Disziplinen an sich.[5] Dennoch ist es möglich, dieses Gesamtwerk in seinen Einzelteilen zu analysieren, und sogar notwendig, um dieses Werk überhaupt in seinen Facetten, die eben diese Einzelteile, die Mikroebene, ausmachen, darzustellen und entschlüsseln zu können. Ich werde mich daher auf den literarischen Teil dieses Werkes konzentrieren, genauer gesagt auf einen Teil dieser Disziplin: die „Kommissar Schneider“-Kriminalromane „Zieh dich aus du alte Hippe“ und „Das scharlachrote Kampfhuhn“.[6] Dabei werde ich sowohl die Kunstfigur Schneider als auch den Rest seines Werkes ausblenden, um unbefangen Konstanten herausarbeiten zu können, die nur der Text generiert. Mich interessiert, eine Lesart ausfindig zu machen, wie Komik produziert wird. Die Leitfrage wird sein, ob ein übergeordnetes System erkennbar wird, wie komische Effekte angelegt sind. Sind Muster zu erkennen, in die sich die komischen Aspekte der Erzählungen einordnen lassen? Dass ich mich an zwei Kriminalromane halte, rechtfertige ich damit, dass sie zusammen mit zwei weiteren Romanen[7] Seriencharakter haben und man nur bedingt von einzelnen in sich geschlossenen Geschichten sprechen kann. Vielmehr kann man von „ununterbrochene[n] Aneinanderreihung[en] von […] Handlungssequenzen, die nie zu einem großen Ganzen finden“[8], sprechen. Auch der Autor selbst gibt im Nachwort des ersten Romans einen Hinweis in diese Richtung: „Die Morde, die sonst noch so beschrieben sind […] haben nichts mit dem Fall ‚Zieh dich aus, du alte Hippe‘ zu tun.“[9] Diese ‚sonst noch so beschriebenen Morde‘ sowie die anderen Episoden, denen ich bis in ihre Mikrostruktur auf den Grund gehen möchte, sind eigentlich, diese These möchte ich vorausschicken, Zitat- und Klischeesammlungen, bei der beispielsweise selbst Anfang und Schluss nur das Klischee Kriminalroman bedienen und die grundlegend mit der Produktion der Komik verbunden sind. Das gilt es nachzuweisen.
Als Stützpfeiler dieser Arbeit werde ich daher zunächst einige Theoriekonzepte der Komik zusammentragen, anhand derer ich dann die ausgewählten Literaturbeispiele analysieren möchte. Als weiteren Stützpfeiler werde ich danach wesentliche Merkmale und Eigenschaften des idealtypischen Kriminalromans skizzieren, die bei Helge Schneiders Erzählungen relevant sind.
Im Zentrum der Textbeispiele wird die Figur des Protagonisten – Kommissar Schneider – stehen. Sie sollen mit dem Ziel erörtert werden, die komischen Elemente ausfindig und Gemeinsamkeiten sichtbar zu machen, nach denen die Leitfrage geklärt werden kann, ob eine übergeordnete Strategie zur Produktion von Komik gezeigt werden kann.
Konzepte der Komik
Der Betrachter des komischen Gegenstandes
„Die Komik, die Gewalt des Gelächters liegt in dem Lachenden und keineswegs in dem, worüber er lacht.“[10] Dieser Satz Baudelaires ist so banal wie wichtig für ein Grundverständnis für die Produktion von Komik. Keine Situation, kein Gespräch, kein Objekt an sich ist komisch. Komik entsteht erst, aber nie zwangsläufig, in einem Betrachter oder Zuhörer. Der Einfachheit halber werde ich das, was Komik hervorruft, also eine Reaktion des Lachens bewirkt, im weiteren als (komischen) Gegenstand bezeichnen. Die reagierende Person werde ich Betrachter nennen.
In diesem Zusammenhang beschreibt Dirk Baecker in einem Essay[11] den Ernst als Gegenstück des Unernsten als einen Ernst verschiedener Ordnungen: „Der Ernst erster Ordnung meint, was er sagt […]. Sein Ernst ist der Ernst […] der Welt.“[12] Der Ernst zweiter Ordnung dann bezieht sich rein auf die Ebene der Kommunikation. Dabei stellte er die These auf, dass der „Ernst der Welt“[13] nur in institutionalisierten Situationen ernsthaft angesprochen werden sollte, um ernst genommen zu werden. Außerhalb dieser sei es angebracht, seine ernste Meinung ironisch oder albern vorzubringen, um ernst genommen zu werden, weil dadurch Distanz aufgebaut wird, und es dem Gegenüber ermöglicht, sich nicht gleich vollumfänglich auf „Motive, Absichten, Kontextualisierungen und Sanktionstechniken“[14] einlassen zu müssen.[15] Außerdem wird dadurch dem Anderen freigestellt, ob er diese Form der Kommunikation selbst ernst nimmt, also auch den Witz oder die Albernheit. Baecker bescheinigt Helge Schneider, „wie kein zweiter den Ernst des Albernen auf den Punkt und den Begriff zu bringen“[16].
Auf dieses Konzept spielt auch der von Wolfgang Iser entwickelte Begriff des Kipp-Phänomens an. Er geht davon aus, dass die Erwartung des Betrachters und der Gegenstand der Komik zunächst kollidieren müssen. Zeigt sich die Reaktion dann tatsächlich im Lachen, und nicht etwa in der einfachen Annahme oder Ablehnung des neu entstandenen Sachverhalts, liegt das daran, dass die beiden oppositionellen Positionen ihr Verhältnis aufheben. Sobald der Betrachter die Komik gewähren lässt, kippt seine Position, wodurch die Position des komischen Gegenstandes allein, ohne Opposition dasteht. Der erste Effekt ist dann Verblüffung, die die entstandene Orientierungslosigkeit anzeigt. Je unerwarteter, je überfallartiger die Positionen zum Kippen gebracht werden, desto weniger hat der Betrachter die Möglichkeit, die neue Situation rational zu verarbeiten. Das Lachen ist die körperliche Reaktion auf diese Art von verstrickter Situation, die somit zum Unernst erklärt wird. Das Lachen ist eine Verarbeitungsmethode.[17]
Komik ist demnach immer nur die Reaktion eines Betrachters, der den Darsteller des komischen Gegenstandes in seiner Komik ernst nimmt, so dass beide Positionen kippen. Das erklärt fürs erste auch die unterschiedliche Aufnahme der – audio-visuellen oder schriftlichen – Darbietungen Schneiders: „Mit seinem Hit Katzeklo […] führte Helge Schneider 1993 den deutschen Schlager auf einen neuen geistigen Tiefpunkt. Auf „Katzeklo “-Niveau stehen sowohl das durchgängig in grundschülerhaftem Präsens geschriebene Zieh dich aus, du alte Hippe als auch die primitiven Kohlezeichnungen des Autors, […].“[18] Diese Person fand die Darbietungen wohl nicht sehr komisch. Anders äußert sich die nächste: „Da stand ich also […] und wohnte einem Wunder bei. Endlich sah ich mal einen, der nichts ‚durch den Kakao zieht‘, ‚aufs Korn nimmt‘ und, das ist wirklich eine Sensation, kein Lachen erzeugt, das ‚einem im Halse steckenbleibt‘, sondern ein ganz normales, herzliches Lachen.“[19] Obwohl sich beide Äußerungen nicht auf denselben Gegenstand beziehen, kann man annehmen, dass ihre Vorstellungen von Komik doch weit auseinander gehen. Das zweite Zitat von Max Goldt gibt einen Hinweis auf zwei verschiedene Spielarten von Humor, auf die ich aufbauen möchte. Er unterscheidet zwischen dem Lachen, dass „einem im Halse stecken bleibt“, und dem „normalen, herzlichen Lachen“.
Zwei unterschiedliche Spielarten von Komik
In dieselbe Kerbe schlägt Dieter Wellershoff in einem kurzen Essay, in dem er „beipflichtendes und befreiendes Lachen“[20] gegenüberstellt. „Beipflichtendes Lachen“ versteht er als Reaktion teilweise „simple[r] Ja-Nein-Entscheidungen“, deren positives Urteil ein Lachen zugunsten des komischen Gegenstandes provoziert. Dieser Gegenstand wird somit beipflichtend als lächerlich erklärt. Auch Wellershoff bleibt dieses Lachen allerdings „im Halse stecken“. Andere Ursachen liegen dem „befreienden Lachen“ zugrunde. „Befreiend“ wirkt das Lachen nämlich gerade nicht, wenn irgendwelche Vorstellungen oder Ansichten bestätigt werden, sondern wenn der komische Gegenstand einen „Wegfall von Moral- und Vernunftzwängen“ gestattet, indem er „unerwartete Möglichkeiten“ vorschlägt, die eine „emotionale Abreaktion“ auslösen, die „sich von keiner Moral regieren läßt“.[21]
Auch Sigmund Freud unterscheidet zwischen verschiedenen Ursachen für Komik.[22] Dabei verwendet er Komik nicht als Überbegriff, sondern stellt ihn neben die ebenfalls Lachen auslösenden Begriffe des Witzes[23] und des Humors. Er stellt dar, dass sie alle aus so genannten Aufwanddifferenzen hervorgehen. Als wesentlich relevant für diese Arbeit erachte ich lediglich das, was zu Witz und Komik gesagt wird, nämlich dass Witz aus erspartem Hemmungsaufwand und Komik aus erspartem Vorstellungsaufwand hervorgeht, die in verschiedenen Bereichen des Bewusstseins gesucht werden müssen. Der Witz ist laut Freud „sozusagen der Beitrag zur Komik aus dem Bereich des Unbewussten “, wohingegen das Komische dem Bereich des Vorbewussten entstammt.[24] Komik kann dort gefunden werden, wo der beachtete Gegenstand des Komischen sich nicht der Vorstellung gemäß verhält, von der man eigentlich ausgeht. Der Aufwand, den der Betrachter vorbewusst betreibt, um das Vorgehen des Gegenstandes nachzuvollziehen, stellt sich als unnötig heraus, da die Vorstellung nicht bestätigt wird. Die Aufwandersparnis löst sich darin auf, dass man belustigt ist. Der Betrachter lacht oder schmunzelt. Die Reaktion auf den Aufwand, den der Witz ausspart, ist dieselbe. Doch wird bei ihm nicht die vorbewusste Vorstellung, sondern die unterbewusste Hemmung entlastet. Im Unterschied zur Komik kann der Witz nur gemacht werden, während die Komik auch gefunden werden kann. Der Darsteller des Witzes steht „unter ungefähr gleichen Hemmungen oder inneren Widerständen“[25] wie der Betrachter. Dadurch, dass der komische Gegenstand diesen unterbewusst en Hemmungen aber keine Rechnung trägt und sie im Gegenteil ans Licht bringt, entfällt auch hier der Aufwand und stellt sich als unnötig dar. Der wahre Witz ist also erst dann gemacht, wenn die unterbewussten Hemmungen des Betrachters ad absurdum geführt werden, während die Komik vorbewusste Vorstellungen ins Leere laufen lässt. Als Mischform sei zu guter Letzt noch die „komische Entlarvung als Fassade für einen Witz “[26] erwähnt. Diese Entlarvung wirkt dann komisch, wenn sie die Vorstellung eines bekannten Gegenstandes dadurch verletzt, dass ein Darsteller sie enttäuscht, indem er „Unsinn“ produziert, also beispielsweise durch Übertreibung „psychische Automatismen“[27] offen legt. Erschließt sich dem Betrachter dahinter jedoch ein Sinn, der die unterbewusste Intention dieser Automatismen aufdeckt, so spricht Freud von einem Witz. Für diejenigen, die den Witz entdecken, ist der Unsinn lediglich dessen Fassade. Entscheidend ist im Unterschied zwischen Witz und Komik bei Freud, dass das Verstehen eines Witzes aus vermeintlichem Unsinn Sinn erschließen lässt, während die Komik ihren Gegenstand vor dem Betrachter als unsinnig präsentiert.
Festzuhalten bleibt fürs erste, dass sich Freuds Darstellung auch auf die beiden vorhergehenden anwenden lässt. Freuds Konzept beschreibt eine Differenzierung zwischen der als unsinnig erscheinenden Komik, die auf die Vorstellung im Vorbewussten verweist, und dem einen tieferen Sinn konstituierenden Witz, der innere Widerstände im Unterbewusstsein aushebelt. Die Entlarvung liegt im Bereich der unsinnigen Darstellungsweise, kann aber auch Fassade für den Witz sein. Wellershoff stellt beipflichtende, auf Konsenshaltung ansprechende und befreiende, von Zwängen lösende Komik gegenüber. Die beipflichtende Komik kann man als die Komik Freuds verstehen, die beispielsweise direkt parodistisch auf die eigentliche Vorstellung verweist.[28] Der Witz steht dann für die befreiende Komik, die den Wegfall von unterbewussten Zwängen gestattet.
Ähnlich verhalten sich auch Baudelaire’s Begriffe des „signifikant“ und des „absolut“ Komischen. Das „signifikant Komische“ verweist in erster Linie auf den moralischen Gedanken, sucht und benötigt also den Konsens des Betrachters. Währenddessen will das „absolut Komische“, das er auch das „Groteske“ nennt, „intuitiv erfasst werden“.[29] Außerdem hat das „absolut Komische kein Bewusstsein von sich selbst“, und ein Darsteller, der es hervorbringt, muss sein Wissen darum verbergen.[30]
Ich will die zentralen Erkenntnisse dieser Zusammenstellung von Komik-Konzepten kurz zusammenfassen:
1. Komik entsteht erst durch einen Betrachter, der die Komik als Kommunikationsform anerkennen muss.
2. Man kann zwischen verweisender Komik, die ein beipflichtendes Lachen erzeugt (das aber auch im Halse stecken bleiben kann) und intuitiv erfassbarer Komik unterscheiden, die ein befreiendes Lachen zu Tage fördert.
Der idealtypische Kriminalroman
Bevor ich nun mit der Analyse der Komik in den Kommissar-Schneider-Romanen beginne, will ich noch kurz das Genre des Kriminalromans skizzieren, in dessen Rahmen die Romane eingefasst sind. Ausgehend von der These in der Einleitung, dass die Romane im Großen und Ganzen Klischeesammlungen sind, gilt das Interesse jetzt dem idealtypischen Kriminalroman und seinem Protagonisten, dem Detektiv. Dieser idealtypische Kriminalroman wird in der einschlägigen Literatur nochmals in die Bereiche Detektivroman und Thriller unterteilt. Die Handlung des Detektivromans rankt sich um das zentrale Ereignis des Romans, den Mord. Dieser hat allerdings nur die auslösende Funktion, ein Rätsel voranzustellen, das der Detektiv im Laufe der Handlung lösen wird. Die Handlung ist also darauf ausgerichtet, mittels Analyse das gestörte Ordnungsverhältnis wiederherzustellen.[31] Im Thriller wird diese analytische Erzählstrategie zugunsten eines auf Ereignissen beruhenden Handlungsverlauf zurückgedrängt. Der Protagonist wandelt sich vom intellektuellen Detektiv zum tapferen, mutigen, körperlich agierenden Helden. Eine Sparte des Thrillers stellt aufgrund der ebenfalls aktionsbetonten Erzählweise der so genannte hard-boiled -Krimi dar. Allerdings spannt sich die Handlung ähnlich dem Detektivroman ebenfalls um ein zu lösendes Verbrechen. Wieder verändert sich die idealtypische Hauptfigur. Statt des autonomen, auf deduktive Logik bauenden Detektivs steht hier meist ein beamteter Fahnder, der selbstgerecht, grenzüberschreitend und gewalttätig agiert:[32] „Der Held wird zum amoralischen Bestandteil einer amoralischen Welt.“[33]
Die Kommissar-Schneider-Romane
Kommissar Schneider als idealtypischer hard-boiled -Held?
Mit dem dargestellten Komik-Konzept und der Bestimmung des Rahmens „Kriminalliteratur“ werde ich nun versuchen, eine mögliche Lesart der Produktion von Komik in den Kommissar-Schneider-Romanen zu fixieren.
An der Oberfläche werden die charakteristischen Elemente des Kriminalromans erfüllt. In beiden Romanen wird zu Beginn der Mordfall vorgestellt, um dessen Lösung sich der Kommissar im Laufe der Geschichte bemühen wird, bis der Mörder am Ende gestellt ist. Dabei konzentrieren sich die Handlungen meist auf den Protagonisten Kommissar Helge Schneider. Überhaupt treten unbeteiligte Figuren fast nur dann in Szene, wenn sie Kommissar Schneider mehr oder weniger zufällig über den Weg laufen oder mit seinem Privatleben verflochten sind, allen voran seine Frau und ihre diversen Liebhaber. Eigentlich wären also die Voraussetzungen für eine simple Kriminalgeschichte gegeben, doch wer nun eine stringente Aufklärung des Verbrechens oder Verfolgung des Verbrechers erwartet, sieht sich getäuscht. Der Teil der logischen Fahndung entfällt fast völlig, die Überführung des Täters passiert im Großen und Ganzen zufällig. Vielmehr wird die Handlung mit teilweise völlig unzusammenhängenden Episoden gefüllt, die vom Privat- und Berufsleben des Kommissars erzählen, um dann immer wieder zum eigentlichen Fall zurückzukehren. Das Vorgehen des Kommissars basiert lediglich zu einem kleinen Teil auf zielgerichtetem Handeln. Der Hauptfaktor ist der Zufall, gepaart mit der einzigartig genialen Kombinationsgabe des Kommissars, die allerdings nur Ergebnisse liefert. Die Gedankengänge entziehen sich zumeist der Wahrnehmung des Lesers. „‚Wie haben Sie denn das herausgefunden?‘ […] ‚Innere Eingebung.‘ Der Kommissar wird sich hüten, etwas dazu zu sagen. Er ist eben gut. […] Diesen Fall hat er gelöst.“[34] Es wird deutlich, dass die Person des Kommissars hier nicht anhand seiner Vorgehensweise entwickelt wird. Sie steht bereits von vornherein fest. Er ist der Kommissar, der „eben gut“ ist. So sind auch die Erzählungen nicht im Stile des Kriminalromans geschrieben, sie verweisen viel mehr auf den Stil des Kriminalromans. Das heißt aber nicht, dass die Figur deshalb eindimensional gezeichnet ist. Genauso inkonsistent wie die Handlungslinien ist die Figur selbst. Daher empfiehlt es sich auch, von den Figuren im Plural zu reden, die in der Person des Kommissars auftreten. Am prominentesten vertreten steht, analog zum zu klärenden Mordfall, die Figur des „Starpolizisten“[35], „des besten Verbrechensaufklärers überhaupt“[36], „des besten Kommissars der Welt“[37]. Doch er vereint verschiedene weitere Typen in seiner Figur. Z.B. den Ehemann, der alle stereotypen Facetten des Ehelebens bedient: Urlaub – „Jetzt sind wir schon vier Wochen hier in Lanzarote […].“[38]; Küchenkonversation – „Hier, nimm den Mantel und häng ihn an den Haken, Schatz. Was gibt’s zu essen, Schlampe!?“[39]; Feste mit „Ernsts […] und: Tante Horst!“[40]; Sex – „Dann wird das Licht ausgelöscht, und niemand sieht mehr was. Nur Fickgeräusche sind zu erkennen.“[41]; usw. Oft „negiert [der Kommissar seine Frau] einfach“[42].
Zum handelnden Kommissar Schneider scheint die Beschreibung des hard-boiled -Helden relativ passend zu sein. Auch Kommissar Schneider überschreitet Grenzen, um seine Auffassung von Recht durchzusetzen. Entscheidend ist jedoch der Unterschied, dass seine offensichtlichen Entgleisungen fast durchgehend gerechtfertigt werden. Deutlich veranschaulicht dies eine Szene, in der er auf die eindeutige Einladung einer Kantinenangestellten – „Komm Kommissar, popp mich!“[43] – spaßhaft mit der Imitation des Mörders reagiert, woraufhin es zum tödlichen Unfall kommt. „Es war grausam, aber so ist es manchmal. Nicht immer kann jemand etwas dafür. […] Aber er [der Kommissar] hatte sich korrekt verhalten.“[44] Auch seine stahlharte Vorgehensweise, die er beispielsweise bei einer seiner Lieblingsbeschäftigungen, der Fahrscheinkontrolle, an den Tag legt, erntet Beifall.[45] Ein andermal überlegt er sich, die Dreistigkeit eines Mannes, der ihn einen Tag nach Urlaubsende mit einem „unglaublich langweilig[en]“ Fall konfrontiert, „den ein Sextaner lösen kann“, mit einem „Schürhaken“ zu bestrafen.[46] Zu wichtig und großartig ist der Kommissar, als dass seine Zeit mit unwichtigen Fällen vergeudet werden dürfte. Nach einem weiteren Gewaltexzess, „einem Pistolenschuss in die Kniescheiben“, wird dann die Frage aufgeworfen, was er „sich bloß für einen dämlichen Beruf ausgesucht“ hätte. Die als rhetorische Frage verpackte Antwort: „Aber wer sollte sonst so was machen, wenn nicht ein Mann wie Kommissar Schneider.“[47] An anderer Stelle wird dieselbe Erklärung gegeben: „Warum der Kommissar Schneider gerne seine Arbeit tut? Er hat dazu nur eine einzige Begründung: Jemand MUSS es tun!“[48]
Das klingt jeweils wie ein Hinweis darauf, dass die schon angesprochene amoralische Welt zwangsläufig mit ihren eigenen Mitteln bekämpft werden muss. Kein Zweifel besteht aber darin, dass die erzählte Welt der Romane einen unantastbaren Kommissar Schneider hervorbringt, der über alle Zweifel erhaben ist.
Komik bei Kommissar Schneider
Wieso aber können die erwähnten Passagen Komik erzeugen, und vor allem, wodurch?
Fast durchgängig kann man in beiden Romanen klischeehafte Aussagen, Figurenzeichnungen und Handlungsabläufe erkennen. Der Kommissar erfüllt, je nach Szene, die Rolle des Ehemannes, des knallharten Fahnders oder anderer stilisierter Figuren. Dazu kommt, dass er so unberechenbar ist wie die Handlung. Als er für den Leser völlig überraschend zum Arzt muss, was auch für den weiteren Verlauf keinerlei Konsequenzen haben soll, reagiert er folgendermaßen auf die Aufforderung, seinen Krankenschein vorzuweisen:
„Sofort reißt der Kommissar seinen Mantel auf, holt einen Krankenschein raus, knüllt ihn zusammen und frisst ihn auf. Er gebärdet sich wirklich wie eine freigelassene Wildsau. Die Krankenarztassistentin [!] ist sprachlos, doch zieht der Kommissar noch einen Krankenschein aus der Tasche und füllt ihn aus. Nein, er hat ihn sogar schon ausgefüllt, das andere vorher war ein Bluff! Jetzt versteht die Frau. Der Kommissar ist immer lustig manchmal.“[49]
Immer und manchmal sind keine Widersprüche. In der Welt des Kommissar Schneiders ist alles möglich. Genauso wie er von einem Moment zum nächsten zwischen Scherzkeks und unerbittlichem Ermittler schwanken kann, ist es ihm möglich, den Szenarien seine physische Erscheinung anzupassen: Er „versucht zu begreifen, was passiert ist. Es ist Surrealismus. Doch der Kommissar macht das einzig [!] Richtige, er wird absurd. Er verwandelt sich in ein geometrisches Dreieck, aus dem Raum macht er einen Kreis, dessen Schnittpunkte sich mit dem Dreieck treffen, nun ist er frei.“[50]
An anderer Stelle wird erzählt, wie „der gewiefte Kommissar seinen unglaublichen Plan verwirklichen konnte: er war ein Hund geworden!“[51] Die Frage stellt sich, ob denn „nicht auch ein Kommissar dieser Fasson seine Grenzen [hat]? Hier ist die klare Antwort: Nein! Dieser Mensch hat keine Grenze.“[52]
Es ist also nicht möglich, den Kommissar und seine Aktionen zu fixieren. Zu sprunghaft sind seine Handlungen genauso wie die Darstellung der Szenarien, in denen er agiert: „Diese Irrationalität macht das Rationale an Kommissar Schneider aus, dessen Berechenbarkeit in der Unberechenbarkeit besteht.“[53] Und genau das könnte ein entscheidender Faktor der Produktion von Komik in diesen Texten sein. Für Seidel scheint die einzige Konstante das Außerkraftsetzen des Absehbaren zu sein. Spannung kann das nicht erzeugen, womit sich die Erzählungen auch von ihren idealtypischen Vorbildern entfernen, deren Hauptcharakterzug genau darin liegt. Der Leser gewinnt so Distanz zum Geschehen. Jetzt kommt es darauf an, wie er auf dieses Außerkraftsetzen des Absehbaren reagiert. Nimmt er es ernst, um mit Dirk Baecker zu sprechen, kann er der Erzählung komische Züge abgewinnen. Dennoch: Was macht dann die Texte komisch, welche Vorstellungen werden aufgelöst, oder welche Hemmungen überwunden, um Freud wieder ins Spiel zu bringen?
An diesem Punkt ist es notwendig, sich vor Augen zu führen, was in den Kommissar-Schneider-Romanen eigentlich passiert. Sowohl die genretypische Rahmenhandlung wie auch fast alle Handlungssequenzen können mit Bekanntem, mit Klischees assoziiert werden. Ein Beispiel: Nachdem Kommissar Schneider seine Frau, versehentlich mit einem „großkalibrigen Automatikgewehr“ angeschossen und sie ins Krankenhaus gebracht hat, wirft er ihr auf dem Operationstisch vor, dass sie ihn nicht hätte verfolgen dürfen: „‚Jetzt haben wir den Salat!‘ Und mit einer nonchalanten Drehung zu den Schwesternschülerinnen gewandt: ‚Frauen!‘ und zuckt die Achseln dazu.“[54] Ich möchte diese Passage nun ein wenig zerpflücken. Die Frau des Kommissars befindet sich durch sein unbeabsichtigtes Verschulden in Lebensgefahr im Operationssaal. Eine Erwartungshaltung oder Vorstellung, was passieren wird, bezieht sich nicht mehr primär auf die Frage, ob sie überleben wird oder nicht. Spannung produziert nur noch, welche Überraschung die Erzählung nun parat hält. Sie entscheidet sich für das Klischee des souveränen Charmeurs. „Nonchalant“ ist die Bewegung, mit der sich der Kommissar dem umstehenden weiblichen Krankenhausteam zuwendet, was Spielraum für allerlei Assoziationen zulässt. Aber das Wort selbst schon deutet einen Stimmungswechsel an und verändert das Szenario. Hinzu kommt ein chauvinistisch-liebevoller Anhang „Frauen!“, der mit einem Schulterzucken bedeutet, dass der Kommissar aus den Frauen nicht ganz schlau wird. Diese Wendung vom für seine Frau kämpfenden Mann hin zum charmanten Herr der Lage, der noch mit den Beteiligten zu kokettieren imstande ist kommt überraschend, obwohl die Überraschung selbst zu erwarten war. Beim Leser kann das folgende Reaktionen auslösen: 1. Er lehnt es als Blödsinn ab, als Unsinn, den er auch als solchen nicht ernst nehmen möchte. Er findet es nicht komisch, da er keine eigene Position überhaupt nur dagegen stellen kann. 2. Er findet es albern, erkennt aber den Unsinn als solchen darin an, dass dieses Verhalten der Situation einfach nicht gerecht wird. Seine Vorstellung, wie sich der Kommissar realistischerweise verhalten würde, entspricht in etwa dem Gegenteil. Er versteht es als direkt persiflierende oder parodierende Anspielung auf seine Position, sein Bild des hard-boiled -Macho-Helden, die nach Iser dadurch gekippt wird. Es entsteht, was Freud einfach nur das Komische, Baudelaire das signifikant Komische und Wellershoff das beipflichtende Lachen genannt hat. 3. Eine weitere Sichtweise ist möglich. Man kann dieses Parodistische zweifellos auch als so überspitzt betrachten, dass man nicht mehr die Nachahmung von Bekanntem sieht, sondern einfach Klischeematerial, dass auf naive Art und Weise Verwendung in einer Szenerie findet, die sich eigentlich gar nicht für dieses Material eignet. Trotzdem wird es in die Szenerie eingepasst. Was bleibt, sind auf der einen Seite die Handlung, die irgendwie weiterlaufen wird, und andererseits das völlig seines Zusammenhanges beraubte Klischee, verloren und daher umso deutlicher ausgestellt. Daraus bezieht es eine eigenartige, absurde Wirkung. Der unterbewusste Widerstand oder die Hemmung, die Freud anspricht, ist hier außer Kraft gesetzt. Hinter der Fassade der komischen Entlarvung ist ein Witz entstanden, der das Lachen nicht mehr im Halse steckenbleiben lässt (Goldt), der von Moral- und Vernunftzwängen befreit (Wellershoff), der intuitiv erfasst wird und kein Bewusstsein von sich selbst zu haben scheint (Baudelaire).
Diese Lesart der aus ihren Kontexten gelösten und dadurch preisgegebenen Klischees kann man komplett durch beide Romane hindurch verfolgen. Die Möglichkeiten der Assoziationen sind mannigfaltig, einerseits bedingt durch die Erzählinstanz, die den Leser von Wahrscheinlichkeiten und Kausalzusammenhängen entwöhnt, andererseits durch die Uneindeutigkeit der Sprache. Nicht nur Figuren- und Handlungsbildnisse werden naiv wiedergegeben, das Ausstellen von Eigenartigem geht sogar und gerade zurück auf die gesprochene Sprache und ihre Semiotik und Grammatik an sich. Es werden neue Wörter kreiert – „der Phrysath“[55], zusammengesetzt – „erbrochener Stuhl“[56] und widersprüchlich benutzt – „immer lustig manchmal“[57]. Auch die Namensgebung der dargestellten Personen lässt Spielraum für Ideen, wie z.B. der „widerlichste Rauschgifthändler aller Zeiten“, „Hoirkman Szeßht“[58]. Dieser Name zeigt nochmals, dass er als Verweis auf eine kriminelle Person östlicher Herkunft einfach komisch erscheinen kann. Doch liegt auf der Hand, dass dieser unaussprechliche und schier unmögliche Name mehr die naive Abbildung eines phantastisch konstruierten Namens für einen „Rauschgifthändler“ darstellt.
Schluss
Ich habe versucht deutlich zu machen, wie in den beiden Kriminalromanen von Helge Schneider Komik produziert wird. Es ging dabei nicht darum, die einzige, sondern nur eine mögliche Lesart vorzuschlagen. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass man nach dieser Lesart die Romane als eine Ansammlung von Klischees und Zitaten betrachten kann, die weite Assoziationsmöglichkeiten bereitstellen. Vom Kriminalfall als Rahmengebilde bis zur kleinsten Sequenz ist es möglich, ein Klischee auszumachen. Beispielsweise das Ende der Kriminalerzählung, idealtypisch die Aufklärung des Mordfalles, wird mustergültig bedient. Allerdings zeigt sich das Klischee gerade darin ausgestellt, dass beispielsweise in „Zieh dich aus du alte Hippe“ der Fall gelöst wird, ohne dass es Anzeichen dafür gibt, wie Kommissar Schneider auf die Lösung kommt. „Er ist eben gut.“[59] Das muss reichen.
Deutlich geworden ist auch, dass die Produktion von Komik erst durch den Betrachter geschieht. Erste Voraussetzung ist, dass er die Darstellung des komischen Gegenstandes ernst nimmt, um den Unernst anzuerkennen. Danach kann er die in den Kommissar-Schneider-Romanen präsentierten komischen Gegenstände entweder als verweisenden Unfug auf realistischere Vorgänge, Bilder, Figuren etc. aufnehmen und beipflichtend lachen. Oder er kann sich des zur Schau gestellten, freigelegten Klischees bewusst werden und befreiend Lachen.
Diesen zweiten Blick kann man wohl auch mit dem Erkennen der Farce beschreiben. Genau dieses Wort nimmt auch „Prof. Dr. [!] Helge Schneider“ als Nachtrag in „Der Scheich mit der Hundehaarallergie“ in den Mund:
„‚Das Leben wird zunehmend in unserer Makro-Funktional-Gesellschaft vom natürlichen Reiz entwöhnt; wenn man sich zusätzlich noch eigene Gesetze schafft, denen man sich unterwirft und unverschämterweise auch anderen dieses abverlangt, wird es zu einer Farce.‘“[60]
Nach der von mir vorgeschlagenen Methode ist es nun möglich, diese Farce, die ein gewisser Prof. Dr. Schneider hier entwickelt, selbst als Farce zu lesen, als Farce einer Farce sozusagen. Wenn allerdings die Farce selbst als bloßgestellt erscheint, was bleibt dann noch übrig? Nichts. Oder Alles.
In der Einleitung habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass ich es für wesentlich halte, Helge Schneider anhand seiner Komik zu analysieren. Das heißt allerdings nicht, dass es nicht auch wichtig wäre, eben nach tiefer angelegter Bedeutung zu suchen. Diese Bloßstellung der Farce lässt nämlich auch den Schluss zu, dass die von mir vorgeschlagenen Klischees, die sichtbar werden, nicht nur als Klischees taugen, sondern auch als menschliche Verhaltensweisen im Allgemeinen.
Ein Gedankenanstoß Friedrich Dürrenmatts dazu soll diese Arbeit abschließen:
„Wie besteht der Künstler in einer Welt der Bildung, der Alphabeten? […] Vielleicht am besten, indem er Kriminalromane schreibt, Kunst da tut, wo sie niemand vermutet. Die Literatur muss so leicht werden, dass sie auf der Waage der heutigen Literaturkritik nichts mehr wiegt: Nur so wird sie wieder gewichtig.“[61]
Literaturverzeichnis
Baecker, Dirk: Ernste Kommunikation, Merkur 51, 1997, S. 486-495.
Baudelaire, Charles: Vom Wesen des Lachens. Und allgemein von dem Komischen in der bildenden Kunst, Darmstadt 1977 (Sämtliche Werke/Briefe 1), S. 284-305.
Dürrenmatt, Friedrich: Theaterprobleme, in: Ders.: Theater, Zürich 1980
Freud, Sigmund: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, in: Ders.: Psychologische Schriften, Frankfurt a. M. 1975 (Studienausgabe Sigmund Freud 4), S. 169-219.
Goldt, Max: Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zwickau. Aus Onkel Max´ Kulturtagebuch, Zürich 1993.
Iser, Wolfgang: Das Komische: Ein Kipp-Phänomen, in: Preisendanz, Wolfgang/ Warning, Rainer: Das Komische, München 1976 (Poetik und Hermeneutik 7), S. 398-402.
Nusser, Peter: Der Kriminalroman, Weimar 2003 (Sammlung Metzler 191)
Pietrek, Klaus W.: Der klassische Detektiv, in: Walter, Lexikon der Kriminalliteratur 10, S. 14-15.
Schneider, Frank Apunkt: Helge Schneider für Kinder, testcard 11, 2002, keine Seitenangaben
Schneider, Helge: Das scharlachrote Kampfhuhn, in: Ders.: Arschfahl klebte der Mond am Fenster…. Die Kommissar-Schneider-Romane 1-4, Köln 2004, S. 113-226.
Schneider, Helge: Der Mörder mit der Strumpfhose, in: Ders.: Arschfahl klebte der Mond am Fenster…. Die Kommissar-Schneider-Romane 1-4, Köln 2004, S. 229-349.
Schneider, Helge: Der Scheich mit der Hundehaarallergie, in: Ders.: Arschfahl klebte der Mond am Fenster…. Die Kommissar-Schneider-Romane 1-4, Köln 2004, S. 351-505.
Schneider, Helge: Zieh dich aus du alte Hippe, in: Ders.: Arschfahl klebte der Mond am Fenster…. Die Kommissar-Schneider-Romane 1-4, Köln 2004, S. 9-111.
Seidel, Jörg: ‚Guten Tach!‘ Helge Schneider und die Philosophie, Giessen 2002.
Seidel, Jörg: Ondologie, Fanomenologie, Kynethik. Philosophieren nach Helge Schneider, Essen 1999.
Walter, Klaus-Peter: Helge Schneider (1955- ). Zieh dich aus, du alte Hippe.Kriminalroman, in: Ders. (Hg.): Lexikon der Kriminalliteratur 8, 1994, keine Seitenangaben.
Wellershoff, Dieter: Beipflichtendes und befreiendes Lachen, in: Preisendanz, Wolfgang/ Warning, Rainer: Das Komische, München 1976 (Poetik und Hermeneutik 7), S. 425.
Reflexive Inszenierungen in Helge Schneiders Filmen "Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem" und "00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter"
Von Sarah Müller, 2012
Einleitung
Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des Seminars Medien und Formate von Inszenierungen. Ziel des Seminars war es, unterschiedliche Formen von reflexiven Inszenierungen zu ermitteln und zu analysieren. Als reflexiv werden Inszenierungen bezeichnet, welche ihren eigenen Inszenierungscharakter thematisieren und ausstellen, bzw. sich ihrem Darbietungs-Charakter gewahr werden.
Gegenstand dieser Untersuchung sind Helge Schneiders Filme Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem und 00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter. Anhand dieser beiden Beispiele sollen Szenen reflexiver Inszenierung beleuchtet werden, um ferner ihre Bedeutung für die Humorrezeption in Schneiders Werk zu ermitteln. Wo liegt bei Helge Schneider die Grenze zwischen Improvisation und Absicht? Um diese Fragen weitreichend beantworten zu können, bedarf es sicherlich einer umfassenden Auseinandersetzung mit Schneiders Gesamtwerk. Diese Arbeit stellt den Versuch an, anhand zweier Filmbeispiele herauszufinden, wie sich Schneiders Vorliebe für die Improvisation auf die Reflexivität ihrer Darbietung auswirkt und inwieweit sie für Schneiders Humorverständnis notwendig ist. Da der primäre Fokus dieser Arbeit auf den reflexiven Inszenierungen dieser beiden Filme liegt und die inhaltliche Filmanalyse für diese Untersuchung irrelevant ist, wird es jeweils lediglich eine kurze Zusammenfassung der Handlung geben.
Der eigentlichen Untersuchung werden einige in unserem Zusammenhang nennenswerte Informationen über die Person Helge Schneider vorangestellt, die seine künstlerischen Absichten und seine Arbeitsweise möglicherweise ein Stück weit beleuchten werden. Um die beschriebenen Szenen reflexiver Inszenierung greifbarer zu gestalten, sind im Bildanhang Screenshots hinterlegt, um dem Leser die dargelegten Szenarien nahe zu bringen, bzw. ins Gedächtnis zurück zu rufen.
Zur Person Helge Schneider
Der Grund dafür, dass Schneider bevorzugt skurril wirkende Charaktere kreiert, lässt sich möglicherweise auch durch seine Familie erklären. Sein Vater war lediglich 1,50m groß und hatte einen Buckel, die Mutter hinkte und seine stets präsente und prügelnde Tante watschelte.[62] Vor allem sind es reale Erlebnisse des Alltags, die den 1955 in Mühlheim an der Ruhr geborenen Künstler inspirieren. Seine fiktiven Charaktere beruhen zumeist auf tatsächlichen Vorbildern, die Schneider mit Vorliebe in Stehcafés beobachtete. „Ich bin jetzt seit über zwanzig Jahren Stammgast bei Eduscho oder Tschibo, in allen Städten, wo ich hinkomme, gehe ich dahin. (…) Die Bewegungen und Stimmen, vor allen die unglaublichen Gesprächsthemen, einfach klasse.“[63] Die Komik im Alltäglichen zu finden, den ganz normalen Wahnsinn der facettenreichen menschlichen Natur zu erkennen und dies künstlerisch zu verarbeiten, ist maßgeblich für Schneiders Arbeit. Seine Auffassung von Humor widerspricht wohl dem, was ein Großteil der Gesellschaft als lustig empfindet. Über seinen Freund und Kollegen Charly Weiss sagt er: „Charly kann gut Witze erzählen, oft macht er sie selbst, sie haben gar keine Pointe und sind sehr sehr lang.“[64] Die Absurdität der Situation besitzt für Schneider ein viel größeres Humorpotential, als ein Witz, der einzig dahingehend konstruiert wurde, um Gelächter zu evozieren. Beispielhaft dazu lässt sich eine Konversation zwischen Schneiders Mutter und seiner Tanten nennen: „Hast du die Haare selbst gemacht, Anneliese?“ „Nein! Erna hat mir die Haare gemacht.“ „Ja, ich hab der Anneliese die Haare gemacht! Und mir selbst! Na? Wie hab ich das gemacht?“ „Ganz prima, Erna!“ „Ja! HERVORRAGEND! Der Kuchen ist auch lecker!“ „Was macht Günter?“ „Ich sach der Kuchen Anneliese, der Kuchen!“ „Will noch jemand Kaffee?“ „Günter hat schwarze Füße.“ „Lecker, der Kaffee!“ „Will noch jemand Kaffee?“ „Ich sach der Kuchen, Erna! DER KUCHEN!“ (…).[65]
[...]
[1] Zit. nach Seidel, Jörg: Ondologie, Fanomenologie, Kynethik. Philosophieren nach Helge Schneider, Essen 1999, S. 7. 2002 folgte eine gekürzte und vereinfachte Version: Seidel, Jörg: ‚Guten Tach!‘ Helge Schneider und die Philosophie, Giessen 2002.
[2] Den umstrittenen „Werk“-Begriff verwende ich hier, weil er am einfachsten das zusammenfasst, was Helge Schneider bis dato hervorgebracht hat.
[3] Seidel, Guten Tach 2002, S. 42.
[4] Vgl. z.B. Schneider, Frank Apunkt: Helge Schneider für Kinder, testcard 11, 2002, keine Seitenangaben.
[5] Lediglich Seidel widmet den bis 1999 entstandenen Büchern einige Seiten: Seidel, Ondologie 1999, S. 298-313.
[6] Schneider, Helge: Zieh dich aus du alte Hippe, in: Ders.: Arschfahl klebte der Mond am Fenster…. Die Kommissar-Schneider-Romane 1-4, Köln 2004, S. 9-111. Denselben Band verwende ich auch für den zweiten Titel. Schneider, Helge: Das scharlachrote Kampfhuhn, in: Ders.: Arschfahl klebte der Mond am Fenster…. Die Kommissar-Schneider-Romane 1-4, Köln 2004, S. 113-226.
[7] Im selben Sammelband: Schneider, Helge: Der Mörder mit der Strumpfhose, in: Ders.: Arschfahl klebte der Mond am Fenster…. Die Kommissar-Schneider-Romane 1-4, Köln 2004, S. 229-349. Und: Schneider, Helge: Der Scheich mit der Hundehaarallergie, in: Ders.: Arschfahl klebte der Mond am Fenster…. Die Kommissar-Schneider-Romane 1-4, Köln 2004, S. 351-505.
[8] Seidel, Ondologie 1999, S. 305.
[9] Schneider, Helge: Zieh dich aus du alte Hippe, S. 111.
[10] Baudelaire, Charles: Vom Wesen des Lachens. Und allgemein von dem Komischen in der bildenden Kunst, Darmstadt 1977 (Sämtliche Werke/Briefe 1), S. 292.
[11] Baecker, Dirk: Ernste Kommunikation, Merkur 51, 1997, S. 486-495.
[12] Ebd., S. 489.
[13].Ebd., S. 489.
[14] Ebd., S. 490.
[15] Vgl. ebd., S. 488ff.
[16] Ebd., S. 486.
[17] Iser, Wolfgang: Das Komische: Ein Kipp-Phänomen, in: Preisendanz, Wolfgang/ Warning, Rainer: Das Komische, München 1976 (Poetik und Hermeneutik 7), S. 398-402.
[18] Walter, Klaus-Peter: Helge Schneider (1955- ). Zieh dich aus, du alte Hippe. Kriminalroman, in: Ders. (Hg.): Lexikon der Kriminalliteratur 8, 1994, keine Seitenangaben.
[19] Goldt, Max: Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zwickau. Aus Onkel Max´ Kulturtagebuch, Zürich 1993, S. 187f.
[20] Wellershoff, Dieter: Beipflichtendes und befreiendes Lachen, in: Preisendanz, Wolfgang/ Warning, Rainer: Das Komische, München 1976 (Poetik und Hermeneutik 7), S. 425.
[21] Ebd., S. 425.
[22] Freud, Sigmund: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, in: Ders.: Psychologische Schriften, Frankfurt a. M. 1975 (Studienausgabe Sigmund Freud 4), S. 169-219.
[23] Ich werde einzig in diesem Abschnitt über das Konzept Freuds einige Begriffe kursiv schreiben. Das bietet sich an, weil diese Begriffe in ihrem Zusammenhang eine eigene, teils von meinen Begriffen divergierende Bedeutung haben.
[24] Ebd., S. 193.
[25] Ebd., S. 173.
[26] Ebd., S. 189.
[27] Ebd., S. 189.
[28] Vgl. ebd., S. 187f.
[29] Baudelaire, Vom Wesen des Lachens, S. 296.
[30] Ebd., S. 304.
[31] Pietrek, Klaus W.: Der klassische Detektiv, in: Walter, Lexikon der Kriminalliteratur 10, S. 14f.
[32] Vgl. Nusser, Peter: Der Kriminalroman, Weimar 2003 (Sammlung Metzler 191), S. 22-29, 40-42, 118f.
[33] Pietrek, Klaus W.: Der klassische Detektiv, S. 15.
[34] Schneider, Zieh dich aus du alte Hippe, S. 108.
[35] Ebd., S. 153.
[36] Ebd., S. 34.
[37] Schneider, Das scharlachrote Kampfhuhn, S. 214.
[38] Ebd., S. 207.
[39] Ebd., S. 145.
[40] Schneider, Zieh dich aus du alte Hippe, S. 87.
[41] Ebd., S. 20.
[42] Ebd., S. 87.
[43] Ebd., S. 34.
[44] Ebd., S. 36.
[45] Vgl., ebd., S. 14.
[46] Vgl., Schneider, Das scharlachrote Kampfhuhn, S. 208f.
[47] Ebd., S. 132.
[48] Ebd., S. 202.
[49] Schneider, Zieh dich aus du alte Hippe, S. 46.
[50] Ebd., S. 55.
[51] Schneider, Das scharlachrote Kampfhuhn, S. 156.
[52] Ebd., S. 214.
[53] Seidel, Ondologie, S. 306.
[54] Schneider, Das scharlachrote Kampfhuhn, S. 191ff.
[55] Schneider, Das scharlachrote Kampfhuhn, S. 159.
[56] Schneider, Zieh dich aus du alte Hippe, S. 86.
[57] Ebd., S. 46.
[58] Schneider, Das scharlachrote Kampfhuhn, S. 140.
[59] Schneider, Zieh dich aus du alte Hippe, S. 109.
[60] Schneider, Der Scheich mit der Hundehaarallergie, S. 505.
[61] Dürrenmatt, Friedrich: Theaterprobleme, in: Ders.: Theater, Zürich 1980, S. 71f.
[62] Vgl. Schneider, Helge: Guten Tach. Auf Wiedersehen. Autobiographie, Teil I, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1992, S. 34.
[63] Schneider, Helge: Guten Tach. Auf Wiedersehen. Autobiographie, Teil I, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1992, S. 91.
[64] Ebd. S. 77
[65] Ebd. S. 31.
- Citation du texte
- Jan Hosmann (Auteur), Sarah Cosfeld (Auteur), Martin Riebel (Auteur), Tim-André Elstner (Auteur), 2013, Helge Schneider: ein beklopptes Genie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230752
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