Karl Philipp Moritz psychologischer Roman Anton Reiser gilt als wichtiger Schritt zur Etablierung der Erfahrungsseelenkunde unter den angesehenen Wissenschaften des 18. Jahrhunderts und zugleich als auslösender Moment zur Entwicklung der psychologischen Fachrichtungen wie wir sie heute kennen.
Darüber hinaus bezeichnet der Untertitel seines Romans aber auch eine neue und innovative literarische Gattung der damaligen Zeit. Noch vor Erscheinen des ersten Teils des Anton Reiser im Jahre 1783 hatte Moritz Auszüge in die Materialsammlung seines “Magazins zur Erfahrungsseelenkunde“ aufgenommen und Aufsätze in der “Berlinische Monatsschrift“ veröffentlicht.
Zuvor hatte Moritz bereits mehrmals auf das Wechselverhältnis zwischen Literatur und Erfahrungsseelenkunde hingewiesen. Demnach sind literarische Quellen nicht nur Quellen seelenkundlicher Fragestellung, sondern auch nützliche Quellen für Dichter „bei der Erkenntnis der menschlichen Natur […] und dies gerade, wenn es sich um literarische Schilderungen von Motivation, Verhaltensweisen, emotionalen Reaktionen und psychologischen Ausnahmezuständen handelt, die dem Autor aus persönlicher Erfahrung nicht vertraut“ sind.
Gerade diese Erkenntnis liegt auch dem Roman Anton Reiser zugrunde. Stets wird der Leser mit den verschiedensten Aspekten und Überlegungen der Erfahrungsseelenkunde konfrontiert und in das Empfinden des Anton Reiser hineinversetzt, so dass mitunter gar ein Gefühl des Mitleids entsteht.
In der vorliegenden Ausarbeitung möchte ich, um das innere Gefüge des Romans und die damit einhergehende wissenschaftliche Betrachtung der Erfahrungsseelenkunde besser verstehen zu können, sowohl die damaligen theoretischen Überlegungen K. Ph. Moritz aufzeigen als auch immer wieder die Verknüpfung mit dem Roman selbst herstellen.
Gliederung
1. Einleitung
2. Der Begriff “Erfahrungsseelenkunde“ und das damit verbundene Magazin
3.1 Die einzelnen Themenbereiche
3.2 Die Verfasser der Berichte
3.3 Einteilung in Kapitel
3.4 Seelenzeichenkunde
3.5 Seelennaturkunde
3.6 Seelenkrankheitskunde
3.7 Seelenheilkunde
3.8 Seelendiätetik
4. Schluss
1. Einleitung
Karl Philipp Moritz psychologischer Roman Anton Reiser gilt als wichtiger Schritt zur Etablierung der Erfahrungsseelenkunde unter den angesehenen Wissenschaften des 18. Jahrhunderts und zugleich als auslösender Moment zur Entwicklung der psychologischen Fachrichtungen wie wir sie heute kennen.
Darüber hinaus bezeichnet der Untertitel seines Romans aber auch eine neue und innovative literarische Gattung der damaligen Zeit. Noch vor Erscheinen des ersten Teils des Anton Reiser im Jahre 1783 hatte Moritz Auszüge in die Materialsammlung seines “Magazins zur Erfahrungsseelenkunde“ aufgenommen und Aufsätze in der “Berlinische Monatsschrift“ veröffentlicht.
Zuvor hatte Moritz bereits mehrmals auf das Wechselverhältnis zwischen Literatur und Erfahrungsseelenkunde hingewiesen. Demnach sind literarische Quellen nicht nur Quellen seelenkundlicher Fragestellung, sondern auch nützliche Quellen für Dichter „bei der Erkenntnis der menschlichen Natur […] und dies gerade, wenn es sich um literarische Schilderungen von Motivation, Verhaltensweisen, emotionalen Reaktionen und psychologischen Ausnahmezuständen handelt, die dem Autor aus persönlicher Erfahrung nicht vertraut“[1] sind.
Gerade diese Erkenntnis liegt auch dem Roman Anton Reiser zugrunde. Stets wird der Leser mit den verschiedensten Aspekten und Überlegungen der Erfahrungsseelenkunde konfrontiert und in das Empfinden des Anton Reiser hineinversetzt, so dass mitunter gar ein Gefühl des Mitleids entsteht.
In der vorliegenden Ausarbeitung möchte ich, um das innere Gefüge des Romans und die damit einhergehende wissenschaftliche Betrachtung der Erfahrungsseelenkunde besser verstehen zu können, sowohl die damaligen theoretischen Überlegungen K. Ph. Moritz aufzeigen als auch immer wieder die Verknüpfung mit dem Roman selbst herstellen.
2. Der Begriff „ Erfahrungsseelenkunde“ und das damit verbundene Magazin
Der Begriff “Erfahrungsseelenkunde“ wurde geprägt durch das von Karl Phillip Moritz (1756 - 1793) herausgegebene “Magazin zur Erfahrungsseelenkunde“.
Dieses Magazin wurde im Zeitraum von 1783 -1793 regelmäßig, unter späterer Mitwirkung von Carl Friedrich Pockels und Salomon Maimon publiziert und bildete damit die erste psychologische Fachzeitschrift in Deutschland.[2]
Moritz versuchte durch die Herausgabe des “Magazins zur Erfahrungsseelenkunde“ das „Interesse an Selbstbeobachtung und [...] Entschlüsselung von beinahe pathogen zu bezeichnenden Sozialisationsmustern zu versachlichen, zu verallgemeinern und zu verwissenschaftlichen“[3].
Dieses Ziel sollte vor allem durch die Sammlung zahlreicher psychologischer Fallgeschichten verschiedenster Ausprägung, durch Erfahrungsberichte aus dem Alltagsleben und durch die Einbeziehung von Beiträgen aus der Kriminalistik und der Sprachheilkunde erreicht werden. Durch die Sammlung dieser vielfältigen Bewusstseinszustände versuchte sich die Erfahrungsseelenkunde als eine „empirische“ Wissenschaft zu etablieren.
Dabei sollte weitestgehend auf die Bildung rein spekulativer Theorien, wie sie in der damaligen Zeit bereits in zahlreicher Weise vertreten wurden, verzichtet werden.
Derartige Bedenken äußerte Moritz schon in seinen Vorüberlegungen zu einem “Magazin der Erfahrungsseelenkunde“. Hierin heißt es:
„Was mich darüber beunruhiget, daß ich die gegenwärtige Sündflut von Büchern noch mit einem neuen Buche vermehren will, ist dieses, daß ich Fakta, und kein moralisches Geschwätz, keinen Roman, und keine Komödie, liefere, auch keine anderen Bücher ausschreibe“[4].
Mit dieser Stellungnahme bezog sich Moritz direkt auf den damaligen Entwicklungsstand der Psychologie. Es existierten damals weder Schulen noch maßgebliche Repräsentanten und Vertreter dieser Theorie. Stattdessen gab es gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine enorme Theorienvielfalt und Heterogenität, die sich in einem „bizarren Netzwerk konkurrierender, sich überschneidender und ergänzender Netzwerke“[5] widerspiegelte. Vor allem Kirche und Religion hatten einen maßgeblichen Einfluss auf das Leben der Menschen.
In diese Gedankenbahnen war auch Anton Reiser eingeschlossen. „Ebensowenig konnte er aber auch, was in der Bibel stand, verwerfen; um so viel mehr, da dies die ersten Eindrücke auf seine Seele gewesen waren“[6]. Erst mit der Zeit konnten sich
Medizin, Anthropologie, Psychologie und Pädagogik als Leitsektoren eines immer differenzierter werdenden Ensembles von Wissenschaft etablieren. Im Mittelpunkt all dieser Überlegungen stand dabei die Frage nach der Natur des Menschen.
„Was da in unzähligen Abhandlungen, Aufsätzen und Büchern entsteht, ist nicht nur Dokument der Aufklärung über den Großgegenstand Natur, sondern zugleich ein Kollektivroman über die Natur der Aufklärung selbst“[7].
Zunächst war es deshalb Moritz Anliegen, möglichst viele Beispiele menschlichen Verhaltens zu sammeln und zu sichten, „um im Anschluß daran auf der Grundlage dieser empirischen “Fakta“ eine in ihren Ansätzen bereits gesellschaftskritische psychologische Anthropologie zu konzipieren“[8]. Auf diesem Weg verfeinerte Moritz seine Beobachtungsmethoden nach und nach. Auch der Begriff “Seele“, als ein Objekt der Wissenschaft musste erst einem Wandel unterzogen und neu definiert werden. Ziel hierbei war es, den Begriff, welcher geprägt war durch lange und tiefe Traditionen von Religion und Theologie zu überdenken und ihn zu einem Gegenstand der empirischen Forschung zu machen. „Die alte Seele muß zur Psyche der Psychologie werden, und dieser Verwandlungsprozeß ist ebensosehr Neuerfindung wie Neuentdeckung der Seele“[9].
3.1 Die einzelnen Themenbereiche
Die einzelnen Themenbereiche des Magazins spiegelten das gesellschaftliche Gesamtbild des ausgehenden 18. Jahrhunderts wieder. Dies wird schon in der enormen Themenvielfalt des Magazins deutlich. Letztendlich gab es kaum ein Thema, das nicht irgendwie Erwähnung im Magazin gefunden hätte. So wurden auch anfangs unwichtig erscheinende Beobachtungen und Erfahrungen in das Magazin aufgenommen und veröffentlicht.
[...]
[1] Zitiert nach: Kershner, Sybille. Karl Philipp Moritz und die „Erfahrungsseelenkunde“. Herne 1991, S. 10
[2] Vgl. Kershner, Sybille. Karl Philipp Moritz und die „Erfahrungsseelenkunde“. Herne 1991, S. 7
[3] Zitiert nach: Kershner, Sybille. Karl Philipp Moritz und die „Erfahrungsseelenkunde“. Herne 1991, S. 7
[4] Zitiert nach: Günther, Horst. Karl Philipp Moritz, Werke. Bd.3 Erfahrung, Sprache, Denken.
Frankfurt a.M. 1981, S. 103
[5] Zitiert nach: Kershner, Sybille. Karl Philipp Moritz und die „Erfahrungsseelenkunde“. Herne 1991, S. 10
[6] Zitiert nach: Günther, Horst. K. Ph. Moritz. Anton Reiser. Frankfurt a. M. 1998, S. 29
[7] Zitiert nach: Müller, Lothar. Die kranke Seele und das Licht der Erkenntnis. Frankfurt a. M. 1987, S. 10
[8] Zitiert nach: Kershner, Sybille. Karl Phillip Moritz und die „Erfahrungsseelenkunde“. Herne 1991, S. 7
[9] Zitiert nach: Müller, Lothar. Die kranke Seele und das Licht der Erkenntnis. Frankfurt a. M. 1987, S. 11
- Quote paper
- Timo Mauelshagen (Author), 2003, Karl Philipp Moritz: Anton Reiser und die Erfahrungsseelenkunde, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23073
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