Mehr noch als der Feminismus hat seine Weiterentwicklung im Konzept Gender, die akademische Landschaft mit einem Taifun überzogen. Die deutschen Universitäten konnten gar nicht schnell genug Professuren für die sog. Gender Studies einrichten. Ein Ende dieser modischen Tendenz ist noch nicht absehbar, allerdings gewiss; es ist ein Glück, dass nichts auf dieser Welt von dauernder Dauer ist. So stimmt es froh, dass dies klar ist: so wie Goldpreis und DAX fallen, so wird auch diese Mode auf der Halde vergangener Ideen dahindämmern.
Inhalt
Vorbemerkung
Sex und Gender
Gendern
Erste und Zweite Natur
Performanz und Wesen
Das anatomische Geschlecht: eine soziale Konstruktion
Die binäre heterosexuelle Matrix
Ideologie: notwendiges, aber falsches Bewusstsein
Parteilichkeit
queer theory
Die schwarze Lesbe
Akkreditierung des Devianten
Wir brauchen Aschenputtel!
Fatal triviale Typologisierungen
Rating-Agenturen gesucht
Kalifornischer Salat: Judith Butler
Erste und Zweite Natur
Ein Fazit
Wo bleibt die Evolutionstheorie?
Strohmann-Struktur
Transzendental und empirisch
Das Theorem von der Verschiebung des Sinns
Immunisierungsstrategien
Die Gauß’sche Normalverteilung
Windmühlen-Kämpfe
Archaische Sammelleidenschaft
Aschenputtel – wo bist du?
Normen sind nötig
Falsche Empfehlungen
Anmerkung zu den sog. popcolonial studies
Orientalism und Okzidentalism
Die Elgin Marbles
Marxistisch-feministisch-dekonstruktivistische Kritik
Unfähigkeit, die Wahrheit zu denken
Mimikry, Maskerade und Hybridität
Schwerverständlicher, kryptisch-esoterischer Stil
Das Ganze ganz ausleuchten
Sati, suttee: die gute Ehefrau, die als Witwe freiwillig brennt
Die Malabarischen Witwen
Verständnis des Anderen, des Fremden
Transformation in den Neo-Kolonialismus
Versuche der Destabilisierung
Der Subalternitäts-Diskurs
Archaik und Modernisierung
These
Verkehrte Welt. Eine Nachbemerkung
Zeitalter der vollendeten Sündhaftigkeit
Zivilisation und Barbarei
Warum Denken traurig macht
Eine Welt kontroverser Positionen
Hinweis auf eine Neuerscheinung
Vorbemerkung
Gegenwärtig tummelt sich ein buntes Völkchen im öffentlichen Raum; schrill, phonetisch und semantisch, ist eine Qualität der Lebenswelt. Beispiele zu nennen ist kaum möglich, da alles im verrückten Ganzen ver-rückt ist.
Da wird mit Lärm ein Superstar gesucht, dort wird ein Bundespräsident scheinheilig betroffen und mit klammheimlicher Freude gejagt und gehetzt, so als sei noch Herbst und eine Hubertusjagd finde statt. Gibt der genervt und am Ende seiner Kräfte auf, wird der designierte Nachfolger einer medialen Inquisition unterzogen. Beleuchter haben Konjunktur, die dunkle Stellen erhellen wollen. Aber bekanntlich sind auch die Jahreszeiten schon aus dem Konzept gelaufen. Da wird in der Einkaufsmeile in Gießen eine Sprungschanze aufgebaut am verkaufsoffenen Sonntag bei gut 10 Grad plus, die Kerlchen springen dann grad mal 2,50 m. Lächerlich. Aber der Schnee wurde, Umweltkosten uninteressant, herangekarrt. Wenn es derUmsatzsteigerung dient … [ein leicht verändertes Zitat]
Das Volk fordert wie im Alten Rom Unterhaltung; damals panem et circenses, Brot und Spiele, heute mindestens Harz IV und RTL; eine mediale Meute, selbst in einem harten Konkurrenzclinch liegend, an die eigene Subsistenzsicherung denkend, die Abo-Zahlen müssen stimmen, sucht, präsentiert, inszeniert events. Fällt in den Anden ein Bus in den Abgrund mit 30 Toten, reicht das für die Tagesschau. Die verweist dann auf weitere Einzelheiten im Internet unter tagesschau.de. Ja, Gott, merkt Ihr nicht mehr, wie besoffen Ihr seid? Wo bleibt in diesem Lärm noch Zeit, den Rosenkranz zu beten J? Aber, Ihr Schreiberlinge, Ihr lebt davon. Eben, am 18. Januar 2012, wird im hessischen Fernsehen um 21.45 in der Sendung Meinungsmacher zaghaft darauf hingewiesen: dass in der Wulff-Affäre übelste Seilschaftspraktiken, Konkurrenzmechanismen am Werkeln waren.
[Der vorstehende Absatz garantiert, dass diese Publikation unbeachtet bleiben wird.]
Diese Zustände kennzeichnen heute die Alltagswelt; für der Welt der Wissenschaft gilt: hier geht es genauso zu. Es besteht eine kaum verblüffende Strukturhomologie.
Die hier versammelten Kapitel liefern eine kritische Re-Vision kultureller Rituale und Muster unserer Zeit, teils anhand der Besprechung einzelner Bücher, in denen sich diese Erscheinungen konzentriert sedimentieren.
Die gender studies dürfen noch immer als die avantgardistische Ideologie in den Kultur-, den Humanwissenschaften angesehen werden. Die, auch so genannten Geistewissenschaften, haben viele Beerdigungen überlebt: alle marxistischen Varianten sind vom wissenschaftlichen Tanzboden weg und halten sich nur noch in esoterischen, wenig lernfähigen hardliner-Zirkeln. Hierher gehört besonders die kryptomarxistische Kritische Theorie der Frankfurter Schule [Adorno u.a.]; die Dekonstruktion [Derrida] ist zur Lachnummer geworden [vgl. dazu unten], die Dislurstheorie Foucaults gilt nach der glänzenden, fundiert-soliden, vernichtenden Kritik durch Hans Ulrich Wehler[1] nur noch in Fangemeinden als Geheimtipp. Ebenso geht es der Luhmannschen Systemtheorie, die nur noch dort Akzeptanz findet, wo dogmatisch bornierte Engführungen, die doch noch im Bewusstsein der universalen Gültigkeit ihrer Ansätze leben, mutig beschritten werden.
Die vorliegende Arbeit schickt einige Methoden und Theorien wenn nicht in den Orkus des Vergessens, dann doch in die Revisionsabteilung. Hierzu gehören die genannten gender studies, die spätfeministische Sprachfolklore, sog. hermeneutische Verfahren, die Evolutionstheorie, die Anthropologie der patchwork-Familie, der Partnerwechsel-Diskurs, der Multikulturalismus, der Holocaust-Diskurs, der Atheismus-Diskurs, die Islam-Debatte. Sie alle werden fundiert kritisiert und in ihre Schranken gewiesen.
Am ehesten finde ich meine Ideen vertreten von dem Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa in seinem neuen Buch La Civilisación del Espectáculo, Madrid, 2012. Jetzt deutsch: Alles Boulevard. Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst, Berlin 2012
Sex und Gender
Frau Franziska Schößler liefert in ihrer Einführung in die Gender Studies eine souverän geschriebene Darstellung der gender studies ab, die jede frau mit Gewinn lesen kann, gewisse Vorkenntnisse in Geisteswissenschaften sind nicht schädlich[2]. Bis ins lay out hinein [angenehm abgerundete Ecken, Marginalien, die den Überblick erleichtern, ein „Serviceteil“ u.a. mit Bibliographie, ein Glossar mit prägnanten Definitionen; die Kapitel enden jeweils mit „Fragen und Anregungen“, „Lektüreempfehlungen“], bis in die Präsentation hinein ist der Band hervorragend geeignet, allen Interessierten, jedermann, eine fundierte Einsicht in diese avantgardistisch methodisch-theoretische Position zu ermöglichen.
Gendern
Dabei können diese studies höchste Aktualität beanspruchen [eine ausführliche Auseinandersetzung mag daher auch begründet sein]. Im Jahr 2007 wurde im Bundesland Hamburg ein Schulbuch, das akkreditiert war, auf politischen Druck zurückgezogen. Es war nicht, wie man liest, gegendert [der Duden wird sich überlegen müssen, ob er dies Wort aufnehmen will]. Bei Abbildungen müssen Jungen und Mädchen zahlenmäßig gleich sein, die letzteren mit kurzen Haaren und in Hosen, Menschen mit Migrationshintergrund gehören dazu, Farbige, girlies mit Kopftuch, bayrische Lederhosen sind nur gewichtet politisch korrekt.
Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis mag vor einer differenzierenden Analyse nützlich sein:
Was sind Gender Studies? [Feminismus und Gender Studies - Entwicklungstendenzen der Geschlechterforschung - Gender Studies und die Wissenschaften], dann weit ausholend: Zur Geschichte der Geschlechter um 1800 [Aufklärung und Französische Revolution - Die bürgerliche Geschlechterordnung - Wissenschaft und Gesellschaft], Zur Geschichte der Geschlechter um 1900 [Die Krise der Moderne und die Hysterie - Weiblichkeit und Judentum - Die Psychoanalyse] Pionierinnen des Feminismus [Die materialistische Kunsttheorie Virginia Woolfs - Der Existenzialismus Simone de Beauvoirs - Die Auseinandersetzung mit Sigmund Freud], Frauenbildforschung [Die Ästhetisierung des Weiblichen - Die Poetik des schielenden Blicks - Frauenbilder und Faschismuskritik], Die Ecriture feminine und der dekonstruktive Feminismus [Die Psychoanalyse Jacques Lacans - Ecriture feminine - Die Dekonstruktion Jacques Derridas - Dekonstrukriver Feminismus] Die Diskursanalyse und die Identitätskritik Judith Butlers [Die Diskursanalyse Michel Foucaults - Die Performanztheorie Judith Butlers - Die Ambivalenz der Travestie], Queer Studies [Die Historisierung der Sexualität - Die Pluralisierung des Begehrens - Queer reading], Postcolonial Studies [Gender, Race und Class - Theoretische Modelle - Koloniale Fantasien in der Literatur], Men's Studies [Geschichte und Themen - Der männliche Habitus - Männlichkeit als Narration und Maskerade], Gender und Film Studies [Theorien des Zuschauens - Kino und Fantasie - Männlichkeit und Fremdheit im Film], Gender und das literarische System [Produktion und Rezeption - Narratologie - Drama und Theater], Gender und Memoria [Kanon und Archiv, Memoria-Theorien, Genres und Geschichte(n)], Wissenschaftskritik [Women in Science, Das Geschlecht der Natur und das situierte Wissen] [Eine Anmerkung für den Zuständigen im Verlag: wenn man so etwas gescannt ins Netz stellt, sollte man wenigstens gegenlesen, damit kleinere Scherze vermeidet: Fxrirure, Mannlichkeit] vermieden werden.
Was Schößler anbietet, ist imponierend und eine Versammlung alles dessen, was gegenwärtig en vogue ist; die folgenden Anmerkungen sind unverzichtbar.
Erste und Zweite Natur
Der unbedarfte Leser, auch wohl die Leserin, werden sich von Anfang an die Augen reiben. Dass Gender, als gesellschaftlich hergestellte zweite Natur, wie Georg Lukács gesagt hätte, und Sex, als anatomische Ausstattung der ersten Natur, unterschieden werden, ist der angestrebten Erkenntnis, die auf Wahrheit geht, nützlich. Allerdings wird dies binäre Konzept [gender-sex] modifiziert. „Gender ergibt sich, so die Auffassung seit den 1990er Jahren, aus performativen Verhandlungen zwischen diversen Geschlechterentwürfen.“ [8] Mit dieser Bestimmung ist zugleich ein modisches Motiv aktiviert, Performanz, das z.Zt. im argumentativen Palaver noch so stark ist wie die marxistische Doktrin, sagen wir um 1970. Dagegen war damals kein Kraut gewachsen. Tout le monde, was Rang und Namen hatte, die gesamte italienische Intelligenz, man denke an die Nietzsche-Editoren Colli und Montinari, die als einzige die Möglichkeit von der DDR-Riege bekamen, den Nachlass des Syphilitikers in Weimar einzusehen, die besseren Franzosen, an der Spitze der Stammheim-Tourist Sartre, maskierte sich marxistisch [Maske ist seit langem, besonders durch Lacancan, ein modisches Wort]. In die eklektizistische Performanz-Vorstellung fließen viele theoretische Momente ein, dass Wahrheit nur noch Spiel der Zeichen sei, dass Präsenz des Sinns, der Bedeutung in den disséminations nicht zu haben ist. Das ist dekonstruktivistisches Erbe. Aber auch Wittgenstein funkt von fern: dass die Bedeutung eines Wortes, Begriffes erst im Gebrauch sich festlege [was, ruhig reflektiert, eine Trivialität ist: denn was ‚Tisch’ bedeutet, wenn man das Wort ausspricht, wird erst deiktisch deutlich, in der Anwendung, es könnte ein Nierentisch aus den 50er Jahren sein].
Performanz und Wesen
Hier tritt nun etwas ein, was wissenschaftsgeschichtlich bekannt ist und vielfach beobachtet werden kann: methodisch-theoretische Verfahren tendieren in statu nascendi dazu, besonders heftig-kräftig aufzutreten, quasi mit dem Elan des Frühlings. Es ist jedes Mal, wenn ein Guru Innovation verheißt, wie ein Sonnenaufgang. Übersteigerungen werden nicht gesehen und nicht vermieden. Konkurrierende Verfahren werden gern mausetot gemacht, anathema sit. Es gibt Schlagworte, die als Schlagringe funktionalisiert werden; eine solche letal wirkende, geworfene Bierflasche ist der „Essentialismus“; das ist alteuropäisch, Metaphysik, längst überrundet. Das Wesen einer Sache, die ousia des Stagiriten, die essentia der mittelalterlichen Philosophie gehört ins Altersheim. Dass hier manches Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, zeigt sich bei Schößler allüberall. „Männlichkeit und Weiblichkeit [...] müssen unablässig reinszeniert werden [neben reformulieren ein beliebtes Modewort], so dass Geschlecht als ein Prozess zu beschreiben“ ist [10]. „Geschlecht ist, mit Simone de Beauvoir zu sprechen, ein Handeln, oder – nach Judith Butler – ein Effekt performativer Akte.“ [10] Hier sind in die gender-Ideologie über die Vermittlung durch Judith Butler auch Teile der Sprechakttheorie von Austin, Searle u.a. eingegangen, der performative, Wirklichkeit formierende Akt gehört hierher; wenig benutzt wird, sie bleibt fast ganz außen vor, die Systemtheorie etwa in der Ausprägung durch Luhmann. Man könnte ihn gut gebrauchen, weil er antiessentialistisch das Wesen ganz in Funktion auflöst. Die Performance der Popstrukturalisten ist die Funktion der Systemtheorie: beide aber sind nur die Realisierung einer Partitur, die alteuropäisch Wesen genannt wurde. Das Modell der Musik hülfe hier, um eine Vermittlung von Essenz, Performanz, Funktion zu konstruieren.
Essenz oder Natur ist quasi die [stumme] Partitur, die Aufführung, das Konzert ist die Perfamance. Nur, eine Perfomance wäre gar nicht möglich, wenn es keine Partitur, keine Noten gäbe, nach denen gespielt wird. Die modischen Performance-Hanseln [vulgo Theoretiker] spielen ohne Noten.
Bekämpft wird von den Genders „die Naturalisierung von Geschlecht – also die Auffassung, es sei die Natur, die uns festlegt“. Vielmehr sind es „soziale Prozesse“, „die grundsätzlich veränderbar sind“ [11]. Zur Hera [lat. herus = der Herr] wird so jene französische Ministerin, die morgens ihr Kind zur Welt bringt und mittags die Kabinettssitzung bei Sarkozy nicht versäumt. Das sind fromme Wünsche von Aktivistinnen. Allerdings: Fromme Wünsche schlagen hier dialektisch um, so hätten es die Brüder und Schwestern im realexistierenden Sozialismus formuliert: in politische Ziele. In Kalifornien, wo Frau Butler webt und strebt, sind gay and lesbian people noch nicht gesellschaftlich akzeptiert. Was als Wissenschaft auftritt, ist wirklich Politik.
Das anatomische Geschlecht: eine soziale Konstruktion
Immer wieder wird betont, so als sichere Wiederholung die Wahrheit und Gültigkeit, dass – „in Anlehnung an den Popstrukturalisten „Michel Foucault auch das anatomische Geschlecht (Sex) [...] eine soziale Konstruktion“ ist [11]. Anatomie erscheint als politisches Konstrukt, das gesellschaftliche Machtverhältnisse festschreibe. Bei Foucault ist eine solche Position auch biographisch verstehbar; er musste als Homosexueller das Schicksal Oscar Wildes kennen, und er wehrt sich mit allen Mitteln gegen diese juristische, gesellschaftliche Wertung der Homosexualität, die zu seiner Zeit noch Straftatbestand war [als es noch § 175er Witze gab nach dem Motto: Die Homosexuellen die Schrecken der Bordellen]. Foucault vollzieht indes eine metabasis eis allo genos; er springt von einem System ins nächste: von der Ontologie, wo es anatomischen(s) Sex gibt, in die Justiz, wo es das so, wie es damals war und dort, in den USA, in Arabien, im Vaterkan heute noch ist, Foucaults Perspektive nach nicht geben sollte.
Die binäre heterosexuelle Matrix
Das dogmatische Bewusstsein, das sich selbst als System bestimmt und als richtig weiß, während die gesamte Umwelt im Wahn versinkt, kann formulieren: „Die heute selbstverständliche Auffassung, die Menschheit teile sich in zwei völlig unterschiedliche Anatomien auf [eine Pauschalisierung, die ernsthaft niemand vertritt, haben Frauen doch auch männliche Hormone], in Männlichkeit und Weiblichkeit, entsteht tatsächlich erst um 1800 im Kontext der sich etablierenden [der um 1975 präferierte Ausdruck war: sich formierenden] bürgerlichen Gesellschaft.“ [11] Dies ist genau so richtig wie die These, die amour passion, Liebe als Leidenschaft, sei eine Erfindung der Romantiker, allenfalls der Nichtaufgeklärten in der Aufklärung. Das kann nur sagen, wer das Hohe Lied und Tristan und Isolde nicht kennt.
Die binäre Aufteilung ist zwar eine „Auffassung“, aber eine, die dem, was Sache ist, ziemlich nahe kommt. Seit Adam und Eva besteht dieser evolutionär entstandene kleine Unterschied. Es bleibt stupend überraschend, dass die Evolutionstheorie von den gender studies nicht zur Kenntnis genommen wird. Geschlechtliche Differenz ist eines der wichtigsten evolutionären Prinzipien, auch bei Pflanzen und Tieren. Was die Genders „sozial“ nennen, „gesellschaftlich vermittelt“ war eine Lieblingsformel Adornos, ist weithin evolutionär, hinter dem Rücken der männlichen und weiblichen Subjekte nicht verhinderbar entstanden.
Einfach, damit alle es verstehen. Essen ist ein Anthropinon und gehört zur ersten, biologischen Natur. Wer, wann, was, wie, wie viel etc. isst, ist sozial, gesellschaftlich vermittelt, auch individuell. Auch: manche essen selbstbestimmt zu viel, andere durch Mangel gezwungen zu wenig, usw. Kaviar oder Käfer [R. Nehberg], gegessen werden beide. Blutdrücke, Leberwerte u.v.a.m sind erste Natur. Diese erste Natur als evolutionär generierte kann nicht performativ hinwegpalavert werden. Sie bleibt, im Husserlschen Sinn, fundierend für alle gesellschaftlichen Formierungen, auch Luhmannsche Funktionen [übrigens lassen sich diese modernistischen Sprachspiele alle begreifen als Travestien des Kantschen Schemas vom Ding an sich und seinen Erscheinungen].
Ideologie: notwendiges, aber falsches Bewusstsein
Biologie ist Faschismus
Frühfeministisches Straßengeschrei
Man kann diese Differenz mit Adorno Ideologie nennen: notwendig, aber fasch [der Frankfurter hatte Ideologie als notwendiges, aber falsches Bewusstsein bestimmt]. Sie ist aber Ontologie und der Beginn der Arbeitsteilung, deren erste wirkliche Form. Im evolutionären Prozeß wurden sie und ihre Folgen quasi vertraglich festgeschrieben. Mann und Frau hatten sich auf ein Rollenschema geeinigt, das lange als bewährt akzeptiert war und erst seit kurzem nicht mehr mehrheitlich [?] akkreditiert wird. Allenfalls der Papa im Vatikan, viele muslimische Mitbürger, einige Urbayern aus dem Waldviertel halten daran weiter fest. Man muß auf jene Fortschritte der Gen-Forschung hoffen, die Männern ermöglichen, Kinder zu bekommen. Dann kann man männlich und weiblich performativ aushandeln, alles wird mannweiblich. Aber das wäre nur die zweitbeste Lösung; die bessere hatte Goethe schon ‚angedacht’: das Menschlein, Homunculus, wird im Reagenzglas gezüchtet. Die allerbeste wäre wohl aber, nach dem uralten Leitmotiv: o wär ich nie geboren, das Elend nicht mehr zu verlängern …
Man darf hier schon einmal sagen: das proton pseudos der gender studies, ihr erster folgenreicher Fehler, ist die Leugnung einer ontologischen, biologischen Asymmetrie. Weitere Fehler folgen. Der hier realisierte radikale Konstruktivismus ist ein Dogmatismus, der durch seine kompromisslose monopole Position Premium-Qualität hat und Guinness-Buch rekordverdächtig ist. Freilich schon Väter und Mütter hat: Simone de Beauvoir macht sich mit derselben Position motzig, Foucalt palaverte das nach.
Man darf davon ausgehen, was allenfalls so abwegig ist wie die gender-Theoreme, dass bestimmte Anthropina zur ersten Natur des sog. homo sapiens gehören und durch die zweite [nur] formatiert, inszeniert werden; dazu gehören Gier, Geiz, luxuria, gula, quasi die sieben Todsünden der Tradition, Ich-Zentrierung, Angst [AKW-Gegner haben viel Angst], Mut [Columbus hatte viel davon; man, theologische Kreise, hatten ihm gedroht, er falle von den Rändern der Erde ins Nichts, direkt in die Hölle], dazu gehört die anatomisch-physiologische, histologische Architektur von Mann und Frau[3], Lust am Sex. Modellierbar ist da manches, aber nicht alles. Die feministisch basierte gender-Ideologie erstrebt eine Egalisierung – all men and women are created equal – eine Gleichschaltung. Frau nicht nur als Traktoristin, auch als Pilotin, als Soldatin, als Vorstandschefin, Frau als Mann.
Die popstrukturalistisch verachteten Alt-Anthropina sind stärker als man und frau das wünschen. Sie gehören in die Stammhirnorganisation. Ihre gesellschaftliche Überformung ist immer nur das Konzept, das eine Partitur spielt. Arm und reich wollen gula, die einen mit Austern, die andern mit Döner. Geiz ist evolutionsgeschichtlich die Sicherung der egorettenden Nahrungsvorräte, deshalb erste Natur. Wer geizig war/ist, verhält sich fitter im survival of the fittest als die andern. So hat er Vorräte in seiner Höhle im Frühjahr, und damitVorteile im struggle for life.
Parteilichkeit
Und das alles, Pauken und Trompeten, am Anfang, auf den ersten drei Seiten dieser Einführung. O tempora, o mores.
Im Folgenden greife ich einige Punkte auf.
Schößler weist darauf hin, dass zu den feministischen Heiligen Kühen, zum Kernbestand des Argumentationsinventars, die „Parteilichkeit“ gehört „als unhintergehbare [ein Wort, das immer mal in Argumentationen auftaucht und das wachsam stimmen sollte, es ist nämlich mehr hintergehbar, als unsere Schulmeisterinnenhirne so denken] Bedingung von wissenschaftlicher Arbeit überhaupt“ gilt [17]. Inge Stephan und Sigrid Weigel fechten dafür in dieser Republik. Immer mit harten polemischen Rundschlägen: „objektives Wissen“ wird so „eine Fiktion“ [womit, beiher gesagt, auch die gender-Position fiktiv bleibt: denn warum sollte genau diese Sicht der Sache richtig sein und nicht die der Katholiken und Muslime]. Die Mädchen verrennen sich da in einem dunklen Wald.
Parteilichkeit gibt es schon lange, was das Prinzip nicht richtig machen kann, im 19. Jahrhundert greifbar in der Polemik zwischen Ferdinand von Freiligrath und Georg Herwegh: der erst rechte, später dann linke Freiligrath hält quasi klassisch an der Wahrheit fest, die jenseits der Interessen gültig ist. Der Dichter steht auf einer höhern Warte / Als auf den Zinnen der Partei. Georg Herwegh als Vormärzliteratat sah das politisch: Partei! Partei! Wer sollte sie nicht nehmen, / Die doch die Mutter aller Siege war! / Wie mag ein Dichter solch ein Wort verfemen, / Ein Wort, das alles Herrliche gebar? [...] Selbst Götter stiegen vom Olymp hernieder / Und kämpften auf den Zinnen der Partei! So war das in Troja. Ja, die Partei, die Partei, die hat immer recht, dichtete 1950 Louis Fürnberg für die Genossen der DDR. Damit ist man weiterhin und wieder bei Nietzsche [alle Erkenntnis ist Perspektive] und bei einem Buchtitel von Habermas, Erkenntnis und Interesse. Interesse bestimmt, was als Erkenntnis gilt. „Die Gender Studies sind parteilich“ [18], d.h. richtig formuliert: politisch. Hier wird man zu Ruhe und Ordnung rufen, zumindest bestimmte Bereiche: Logik, Mathematik, Astronomie u.a.m. liegen außerhalb dieser Interessenrelation. Parteilichkeit ist eine – im Adornoschen Sinn – ideologische Kategorie der Politik. Sie gehört nicht in die Wissenschaft. Solche Wahrheiten müssen ab und an reformuliert werden.
Jedenfalls bleibt ungeklärt, was bei einem Konflikt, einer Konkurrenz von Parteilichkeiten, Interessen, Perspektiven zu tun ist. Bleibt dann nur, was immer wieder und weiterhin angewandt wird, Gewalt? Gelöst wird mit dieser Methusalem-Position von Parteilichkeit wissenschaftlich nichts. [Außer Gewalt gibt es als Option nur „das herrschaftsfreie Gespräch“ und den „Zwang des besseren Arguments“; für die Entfaltung der Bedingungen dieses Konstrukts braucht Habermas 1 000 Seiten.] Die alten Probleme lachen sich ins Fäustchen und lauern in Abwartehaltung hinterm Schutzschild der Interessen auf den Tod der gegenwärtigen Dirigenten[4].
Die Parteilichkeit ist fundiert im popstrukturalistischen Syndrom: das autonome Subjekt gilt als Spielball diskursiver Mächte [Foucault]. Auch hier wird, ganz modernistisch verblendet, die Uralt-Struktur dieses Motivs negiert. Schon Freud hatte erkannt, dass das Ich nicht Herr im eigenen Haus ist. Der Wiener hatte aber nur reformuliert, was der Grieche Platon im Bild des Wagenlenkers dachte, der sich mit einem wilden und einem weniger wilden Pferd herumärgern muss [Platon, Phaidros 246a–247c, 253c–254e]. Zu diesem Syndrom gehört auch, dass große Erzählungen [Aufklärung, Fortschritt] abgelehnt werden, Binarität gilt als logozentriertes Konstrukt, Normalität ist der Wahnsinn, usf.
queer theory
Ausführlich beschäftigt sich Franziska Schößler mit der queer theory [105-118]. Queer, tatsächlich aus dem deutschen quer ins Englische im 16. Jh. übernommen, bedeutet „differing in some odd way from what is usual or normal“, seltsam, unerwartet, „one that is queer“ heißt: er ist homosexuell, queerness meint oddity, eccentricity usw. Man geht wie auch bei den Genders davon aus, dass Mann und Frau gesellschaftliche Konstrukte sind, sozial formatiert, nicht biologisch definiert, nicht genetisch bestimmt, nicht physei [fusei] hätten die alten Griechen gesagt, nicht von der Natur her. Simone de Beauvoir ist die Uroma-Stichwortgeberin, Frau wird nicht als Frau geboren [bekanntlich heißt eine Publikation von Alice Schwarzer: Man wird nicht als Frau geboren, sie müsste heißen: Frau wird nicht als Frau geboren]. Eben, endlich, erscheint bei dtv ein Buch, das zeigen will, „dass sich Mädchen und Jungs von klein an unterschiedlich entwickeln“, „dass Jungs und Mädchen im Hinblick auf Biologie und Entwicklung von Anfang an verschieden sind“ [Susan Pinker, Das Geschlechterparadox, September 2008]. Übrigens, metatheoretisch, Beobachtung der Beobachtung: rin, raus, heute so, morgen so, Position, Gegenposition. Alice Schwarzer, zusammen mit ihrer Gouvernante Simone de Beauvoir, sind heute zur Lachnummer geworden, gerade noch mit Respekt behandelt, aber, bei genauer, ruhiger Betrachtung homerisches Gelächter auslösend.
Die queers bringen eine Ineinsblendung verschiedener theoretischer Ansätze, nicht zu übersehen ist die alte Ideologiekritik, der Marxismus, der Postkolonialismus; sie werden so, ganz modern, zu einer Hybrid-Theorie.
Festhalten darf man aber auch, metatheoretisch, die Beobachtung der Beobachtung beobachtend, dass eine Position, hier der frühe Feminismus von Beauvoir-Schwarzer, wenn nicht sofort so doch bald eine Gegenposition hervorruft. So dass wir, sagen wir mit Goethe, polare Strukturen haben oder mit Kant antinomische, antithetische oder mit Hegel dialektische, wie Sie wollen.
Die schwarze Lesbe
Ein Prototyp der Queeristen ist die schwarze Lesbe: sie gilt als dreifach diskriminiert, als Frau, als Schwarze, als Homosexuelle. Für die Leute im frommen bible belt of America ist sie ein teuflisches Schreckgespenst. Zu verstehen ist der Ansatz der Queeristen aus dem gesellschaftlichen Kontext. Die USA sind noch lange nicht so weit wie wir – wir haben es inzwischen herrlich weit gebracht – dort ist noch Polemik nötig – o polemoj bedeutet Krieg –, Kampf. Arnold Schwarzenegger ist gegen das Grundsatzurteil des Obersten Gerichts, das eben erst den Weg frei macht für die Homo-Ehe.
Man kann hier schön nicht die Entstehung einer Supernova beobachten, wohl aber einer Theorie: in statu nascendi ist sie kämpferisch, gegen polare, antithetische, antinomische Positionen gerichtet. Vivere militare est, hatte der Stoiker Seneca gesagt.
Ernstgenommen werden alle devianten Lebensformen, so ist auch Porno ein Untersuchungsgegenstand. Die queer theory weicht dabei einer universalistischen Mission nicht aus. Sie arbeitet emphatisch an der Befreiung unterdrückter, gesellschaftlich nicht anerkannter, marginalisierter Randgruppen. Marx und Engels hatten noch ausgerufen: Proletarier aller Länder vereinigt euch! und dabei tatsächlich nur an die 16stündigen Arbeiter gedacht. Der Ruf geht heute an weitere Gruppen: Frauen, ehemals Kolonisierte, „Subalterne“, heutige Drittweltbewohner, Farbige, sexuell Deviante, gay and lesbian people usw. [auch an Polygamisten, Sodomisten, Sadomisten, Masochisten?]. In den USA ist das besonders nötig. Emanzipation von Minderheiten ist in diesem Land der Freiheitsstatue noch in statu nascendi. Wir wissen noch, was Ku-Klux-Klan bedeutet und dass Juden, die 1945 auf der Flucht New York erreichten, kein Hotelzimmer bekamen[5]. Die queers wenden sich honorig gegen Ausbeutungsverhältnisse aller Art. Sie arbeiten für die Rechte von Prostituierten [und liegen damit schon im clinch mit Alice Schwarzer], von Subalternen [ehemals Kolonisierten]. Mit Michel Foucault, der selbst homosexuell war, wird die historische, gesellschaftliche Bedingtheit von Geschlechterrollen betont, z.T. gegen neueste, ernstzunehmende Neuro- und Genforschung. Dem europäischen Denken werden von Queer-Theoretikerinnen wie Fatima El-Tayeb, die 1966 in Deutschland geboren wurde, „begrenzte Horizonte“ bescheinigt [Man möchte fragen: wie lange muss man sich das noch sagen lassen?]. Die Männer- und Frauenrolle – typisch für Germanisten festgeschrieben z.B. in Schillers „Lied von der Glocke“ – wird als alttestamentlich, alteuropäisch erkannt. [Hans Magnus Enzensberger, dessen Mutter mit 103 Jahren verstorben ist – sie kannte den Text noch auswendig –, war noch über diesen herrlichen Text hergezogen und hatte ihn aus dem Lesekanon verbannt, eine Innovation, die eine Schlimmovation ist. Das „Lied von der Glocke“ bleibt einer der großen, wichtigen Texte, eine Kletterwand, an der man Denken lernen kann].
Akkreditierung des Devianten
Der Prozess der Akkreditierung der Homosexualität ist/scheint in Deutschland abgeschlossen, wenngleich nicht alle auf diesem Weg der Anerkennung einer devianten Lebensform mitgenommen werden konnten, die Emanzipation aus juristischen Zwängen ist vollzogen. Es war ein langer Weg von der Verurteilung eines anerkannten Poeten, nachdem er geoutet wurde, zum Zuchthaus, vom Sturz des poeta laureatus in die Verachtung. Oscar Wilde, er starb bald nach seiner Entlassung vor gerade 100 Jahren, als Mensch gebrochen und zum Alkoholiker geworden. Die Fuchtel des § 175 hielt die Devianten in der Hürde. Homosexuelle wie Michel Foucault - in seiner „Geschichte der Sexualität“ - haben diesen Prozess der Befreiung und Anerkennung forciert. So ist ein Kennzeichen der Postmoderne die Legalisierung, die Akkreditierung des Devianten. Und deshalb, weil die dialektische Balance eine unverzichtbare ontologische Struktur ist, muss man, politisch ganz unkorrekt, provozierend, polemisch fordern: Schluss mit der Emanzipation!
Freilich wird Aufklärung – und hoffentlich merkbar – weitergehen als Fortführung der unvollendeten Freiheitsgeschichte [W. Oelmüller]. Wie aber wird sie weitergehen und wo wird sie enden?
[es gibt keine Alternative zur optimistischen Geschichtsphilosophie]
Die Freigabe des Banalen, Trivialen, des Primitiven, Brutalen, des Grobianischen gehört auch in diese Legalisierung, Akkreditierung des Devianten. die Freigabe des Schockierenden – Walter Benjamin hatte schon den choque, französisch geschrieben, als ein signum der Moderne erkannt –, freilich, auch schon die Romantiker, Friedrich Schlegel, ahnten hier etwas - , die Verwendung des Ekelerregenden, des Geschmacklosen gehört zu den Prinzipien moderner Regie.
Wir brauchen Aschenputtel!
Bei den Queers wird das Problem greifbar. Wir brauchen Aschenputtel! Wer trennt das Böse vom Guten? Blickt man ins Lager der Queeristen, so bemerkt man bald, dass es in Bezirke sich trennt. Hier springt die Katze aus dem Sack, etwa bei der Frage der Einschätzung von Prostitution und Pornographie. Die einen sehen darin „mechanisms for the oppression of women“, die anderen „means of adult sexual representation“. Wenn Alice Schwarzer den Ludwig Börne Preis bekommt, protestieren vor der Paulskirche in Frankfurt a.M. Vertreterinnen von Doňa Carmen, Frauen, die sich nicht von einer Preisträgerin in ihre Lebensgestaltung hineinreden lassen, vielleicht verstehen sie sich als pflegende Berufe, als Dienstleistungen erbringend, die sozialpsychologisch durchaus nützlich sind. Sexuelle Selbstdefinition: dann ist auch Masturbation, gegen die Bibel und damit alteuropäische Wertmaßstäbe und frühere medizinische Meinungen akkreditiert.
Härteste Beispiele sind Frauenbeschneidung als folkloristisch eingeklagtes und realisiertes Recht [„wir tun, was schon immer zu unserer Tradition gehört, wir lassen uns nicht durch kolonialistischen Logozentrismus dominieren und fremdbestimmen“], natürlich Zwangsprostitution, Sodomie, so schlichte Dinge wie Polygamie, Knabenliebe, bei den alten Griechen noch ín, Kinderpornographie, Inzest. Wer bremst die? Wer macht diesen Leuten klar, dass ihre Art der Selbstbestimmung nicht mit allgemeiner Zustimmung rechnen kann? Wer bremst de Sade, Sacher-Masoch? Wer bremst die falschen Minderheiten, die Minderheitenschutz einklagen? Wo ist das Aschenputtel, das illegitime „minoritäre Formen des Begehren“ [12] mutig als illegitim bezeichnet? „Sexualität“ mag „Produkt zivilisatorischer Zurichtung“ sein [ebda], aber, wer gibt der Devianz die Akzeptanz?
Kant hatte im 18. Jh. die Theologie unter die Kuratel der Philosophie gestellt; zu viel Unsinn und Unfug, zuviel Wahnsinn war theologisch konfirmiert, akkreditiert worden, in der Spitze etwa die Inquisition mit den Hexenverfolgungen. Die queer theory steht heute unter der Kontrolle der Justiz. Das Recht, sich selbst zu bestimmen, das die Queers für alle einfordern, kann nicht unbegrenzt gelten. Das bedeutet also, dass wir jene Instanz brauchen, die Grenzen zieht, die Grenzen zieht, die dem Menschen angemessen sind.
Fatal triviale Typologisierungen
Die Erträge der gender studies für die Literaturwissenschaft i.e.S. nehmen sich insgesamt, bei ruhiger Betrachtung, eher bescheiden aus. Die écriture feminine, die weibliche Ästhetik etc. bleibt blass. Daran kann auch die Fanfare am Anfang des Kapitels „gender und das literarische System“ [159] nichts ändern: „Das gesamte System der bürgerlichen Literatur ist auf den Gender-Diskurs bezogen“ [161, gibt es auch nicht-bürgerliche Literatur und ist es da anders?]. Das ist, wissenschaftstheoretisch und -historisch gesehen, eine für die kämpferische Phase des in statu nascendi typische Universalisierung. Da es nun mal Mann und Frau gibt, gender und sex, wird das auch – und hier wird das Universale banal – überall anzutreffen sein.
Die Ergebnisse erinnern fatal an triviale Typologisierungen, wie sie in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts modisch waren. Das gibt es um 1800 „rauschhaftes Lesen“ von Frauen [die Uhr landet im kochenden Wasser statt dem Ei, auf das der bekochte Eheherr drängelnd wartet], der Mann setzt im Lesen eher „revolutionäre Impulse“ frei [161]. Auch der „implizite Leser ist geschlechtlich codiert“ [162], Claudia Liebrand zeige das an E.T.A. Hoffmans „Goldenem Topf“, da gebe es „männlich semantisierte Leseransprachen“. Wer hat festgelegt, was „männlich semantisiert“ heißt? [das Problem hatten schon die Frankfurter Kritischen Theoretiker. Was war das Maß ihrer Kritik? Sie haben es diskret undercover gehalten].
Man darf hier innehalten und einen katholischen Dichter erinnern; der Schlesier Eichendorff beendet seine göttliche Novelle vom Schloß Dürande in der Provence [1837] mit dem Satz: „Du aber hüte dich, das wilde Tier zu wecken in der Brust, daß es nicht plötzlich ausbricht und dich selbst zerreißt.“ Wer ist das Du? Richtet sich Eichendorff nur an Machos? Oder meint er die Menschen, darunter auch femmes fatales?[6] Eichendorffs wildes Tier ist die erste Natur; sie ist stärker – wie gerade wieder Ereignisse in der katholischen Kirche zeigen – als die formierte, gesellschaftlich vermittelte zweite. Ein Versuch der Vermittlung, der Stärkung der zweiten Natur, ist die Entwicklung des ethisch-moralischen, dann juristischen Systems. Das wilde Tier in unserer Brust muss seit seiner Entdeckung durch jüdische Gefangene in Babylon gebändigt, zivilisiert werden.
Oder, da wird erkannt, dass „die Novelle, eine kleine Form und Ausdruck eines geselligen Erzählens, als weibliches Genre“ gelten darf, das „Drama hingegen“ wird als „männliche Ausdrucksform definiert“. „Der Roman, der aufgrund seiner Formlosigkeit als mittlere Gattung gilt, scheint beiden Geschlechtern zugänglich zu sein“. [165] Richtiger sind solche Sätze: es gibt Novellen, es gibt auch Dramen; beide Textsorten haben als literarische Genres bestimmte Eigenschaften. „Männlich“ oder „weiblich“ sind sie nicht. Wer das sagt, klebt einen Button auf, der den Sachen fremd bleibt [.so wie die Unterscheidung von maskulinem und femininem Artikel in der Grammatik nichts trifft]. Oder: da gibt es unterschiedliche Formen des Wissens: „eine untergründige, geheime, geradezu magische Weisheit [als weibliches Wissen] auf der einen, die männliche Erkenntnis auf der anderen Seite“. Das sind Typologien, die den Charme von carnevalistischem Kokolores haben. Ein letztes Beispiel: „das auktoriale, allwissende Erzählen [gilt] als männlich, das polyperspektivisch-subjektivierende als weiblich“. Weißgott, „die Gender-Theorie weist eine hohe Affinität zu Maskerade, Performanz und Theatralität auf“. 166]
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[1] Hans-Ulrich Wehler, Die Herausforderung der Kulturgeschichte, München 1998
[2] Franziska Schößler. Einführung in die Gender Studies, Berlin: Akademie-Verlag, 2008. 232 S., Ill.; Akademie Studienbücher Literaturwissenschaft. ISBN 978-3-05-004404-0
[3] Vgl. z.B. als Einführung: Götz Kockott, Die Sexualität des Menschen, München 1995
[4] vgl. Thomas Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions, auch deutsch
[5] vgl. die Memoiren des Germanisten Werner Vordtriede, Das verlassene Haus. Tagebuch aus dem amerikanischen Exil 1938–1947, Erweiterte Fassung. Mit einem Nachwort von Dieter Borchmeyer, 496 S. 2002, ISBN 3-909081-92-4].
[6] V zu Grass-Debatten, Israel und Griechenland, zu Grass-Debatten, Israel und Griechenland, zu Grass-Debatten, Israel und Griechenland, zu Grass-Debatten, Israel und Griechenland, zu Grass-Debatten, Israel und Griechenland, zu Grass-Debatten, Israel und Griechenland, zu Grass-Debatten, Israel und Griechenland, zu Grass-Debatten, Israel und Griechenland, zu Grass-Debatten, Israel und Griechenland, zu Grass-Debatten, Israel und Griechenland, zu Grass-Debatten, Israel und Griechenland, zu Grass-Debatten, Israel und Griechenland, zu Grass-Debatten, Israel und Griechenland, zu Grass-Debatten, Israel und Griechenland, zu Grass-Debatten, Israel und Griechenland, gl. Matthias Luserke, Die Bändigung der wilden Seele. Literatur und Leidenschaft in der Aufklärung, Stuttgart 1995
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- Prof. Dr. Erwin Leibfried (Autor), 2013, Kritik der gender studies. Kritik der postcolonial studies, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230223
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