„Jede Fotografie ist ein Dokument. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Aufnahme aufgrund eines Auftrags oder zur privaten Erinnerung angefertigt worden ist, ein künstlerisches Interesse bestanden hat, welche Gestaltungsmittel eingesetzt worden sind, eine Veröffentlichung vorgesehen war oder das Negativ und ein Abzug archiviert werden sollten.[...] Das Dokumentarische jeder Fotografie liegt darin, dass sie auf etwas verweist, das gewesen ist. Mit ihrem Bezug zu einem Moment der Vergangenheit hat das fotografische Bild – analog einem Schriftstück – den Charakter einer Urkunde.“1
„Jede Fotografie ist ein Dokument. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Aufnahme aufgrund eines Auftrags oder zur privaten Erinnerung angefertigt worden ist, ein künstlerisches Interesse bestanden hat, welche Gestaltungsmittel eingesetzt worden sind, eine Veröffentlichung vorgesehen war oder das Negativ und ein Abzug archiviert werden sollten.[...] Das Dokumentarische jeder Fotografie liegt darin, dass sie auf etwas verweist, das gewesen ist. Mit ihrem Bezug zu einem Moment der Vergangenheit hat das fotografische Bild - analog einem Schriftstück - den Charakter einer Urkunde.“1
Folgt man diesen ersten Zeilen von Timm Starls Definition zur Dokumentarfotografie aus „DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst“, erscheint es nichtig, einzelne Fotografien dem Genre eines der Fotografie abgegrenzten Bereichs des Dokumentarischen zuzuordnen. So lässt auch Gertrud Baruchs Erläuterung des Fotografischen in ihrem Essay „Was ist eine Fotografie?“ die Schlussfolgerung zu, dass einer Fotografie schon immer etwas Dokumentarisches innewohnt. Als „Anthologie[n] von Bildern“ fangen Fotografien mithilfe der Kamera Erfahrungen der Welt ein und halten sie in unserem Bewusstsein fest. „Fotografieren heißt sich das fotografierte Objekt aneignen. Es heißt sich selbst in eine bestimmte Beziehung zur Welt setzen, die wie Erkenntnis - und deshalb wie Macht - anmutet“2. Als dokumentarisches Beweismaterial für stattgefundene Ereignisse in der lebensrealen Wirklichkeit, sind Fotografien für Baruch Spiegelbilder des eigenen Stils, Weltanschauung und der Moral und somit eine subjektive Interpretation der Realität. „Selbst wenn die Fotografen es als ihre Hauptaufgabe betrachten, die Realität widerzuspiegeln, bleiben sie dennoch den stummen Befehlen des Geschmacks und des Gewissens ausgesetzt“3. Fotografieren - das ist für Baruch ein Akt des Nicht-Eingreifens, dass insofern an den filmdokumentarische Konzept der Direkt-Cinema-Bewegung erinnert, als das Realität nur durch objektive, passive Beobachtung wirklichkeitsgetreu abgebildet werden kann und die Betrachter dadurch eigenständig Erkenntnisse über die Welt erfahren. „Fotografieren bedeutet an den Dingen, wie sie nun einmal sind, interessiert zu sein, daran, daß ihr status quo unverändert bleibt […] Es bedeutet im Komplott mit allem zu sein, was ein Objekt interessant, fotografierenswert macht, auch - wenn das gerade von Interesse ist - mit dem Leid und Unglück eines anderen Menschen“4. Baruch sieht damit Fotografen im Allgemeinen als Dokumentaristen bzw. „Voyeuren unserer Zeit“. „Menschen fotografieren heißt ihnen Gewalt antun, indem man sie so sieht, wie sie selbst sich niemals sehen; indem man von ihnen etwas erfährt, was sie selbst nie erfahren; es verwandelt Menschen in Objekte, die man symbolisch besitzen kann“5. Die oftmals in anderen Künsten vom Dokumentarischen angestrebten Umwälzungen des moralischen Denkens und der Gesellschaft sind nach Baruch in der Fotografie nicht unabhängig von den politischen Rahmenbedingungen der Zeit. „Die Voraussetzung für eine moralische Beeinflussung durch Fotos ist die Existenz eines relevanten politischen Bewußtseins“6. Wenn nach Baruch das Dokumentarische in jeder Fotografie zu finden ist - warum ordnet man dann Werke einzelner Fotografen implizit der dokumentarischen Fotografie zu? Warum gelten Fotografien der populären amerikanischen Dokumentarfotografin Diane Arbus als dokumentarische Werke?
Für Timm Starls existieren in seiner weiterführenden Definition des Begriffs der Dokumentarfotografie sowohl das Fotografische wie auch das Dokumentarische im Verhältnis zur Wirklichkeit, unterscheiden sich jedoch in ihrer Beziehung zur Realität. Er erkennt in seiner Analyse drei verschiedene Formen von Dokumentarfotografie - die archivalische, dokumentarische und konzeptuelle Dokumentarfotografie. „Dabei überwiegt bei der ersten [archivalischen] die Absicht, sich einen mehr oder weniger repräsentativen Überblick zu verschaffen, bei der zweiten [dokumentarischen] Erscheinungen aus durchaus subjektiver Sicht zu beschreiben, und bei der dritten [konzeptuellen] sich eines dokumentarischen Stils sozusagen als Geste zu bedienen“7. Beim archivalischen Ansatz werden Fotografien nach bestimmten Kriterien gesammelt und enzyklopädisch aufgezeichnet, bei der dokumentarischen Variante werden Fotografien nach den subjektiven Erfahrungen, Interessen, Stimmungen und Motiven der Fotografen aufgenommen. Und bei der konzeptuellen Form bestimmt wiederum die Form der Annäherung das Erscheinungsbild und die Sicht auf die Motive, die jeweils nach bestimmten Mustern arrangiert sind. Nicht in verschiedene Ansätze unterteilend, sondern ein abgesteckter historischer Rahmen sowie die Bezugnahme auf die jeweilige Sprache und Kultur sind für Abigail Solomon-Goudeau Voraussetzungsbedingungen, um Fotografien dem Dokumentarischen zuzuordnen. Dass diese mit „offenen und versteckten, persönlichen und institutionellen Programmen“ verknüpft sind, birgt die Gefahr ,die ideologisch-subjektive Sichtweise universalistisch zu lesen - das müsse unterbunden werden.8 Roland Barthes spricht in diesem Zusammenhang von einer „Ideologie des Aufnehmens“.9
Alexandra Gräfin von Stosch sieht in der Dokumentarfotografie folglicherweise einen „ hybriden Charakter, nämlich den Anspruch absoluter Objektivität einerseits und der unweigerlich subjektiven Interpretation des Photographen in Wahl und Inszenierung des Sujet andererseits“10. Michael Leicht grenzt dokumentarische Fotografie dagegen als Reportagen über Menschen ein, die sich nicht beobachtet fühlen. Um etwas als realistisch oder wahr einzuschätzen, muss man seiner Meinung nach notwendigerweise die Geschichte dahinter kennen: „Das heißt, wir müssen uns über die realen Beziehungen zwischen abgebildeter Person, Bild und Bildproduzent und deren geschichtliches Umfeld in Kenntnis setzen. Und das heißt, wir müssen die Kontexte erarbeiten, in denen die drei Elemente ihre Berührungspunkte finden“11. Inwieweit lassen sich aber in der fotografischen Praxis unterschiedliche Dokumentarstile den Werken von Dokumentarfotografen wie Diane Arbus zuordnen? Wie machen sich diese theoretischen Ansätze im Werk Diane Arbus kenntlich?
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1 Timm Starl: Dokumentarische Fotografie. In: DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst. Hrsg. von Hubertus Butin. Köln 2002. S.73-77, hier. S.73
2 Gertrud Baruch: In Platos Höhle. In: Über Fotografie. Hrsg. Von Susan Sontag. New York 1977. S. 9-28, hier: S.10
3 Ebd. S.12
4 Ebd. S.17f.
5 Ebd. S.20
6 Ebd. S.24
7 Vgl. dahingehend zur näheren Erläuterung: Starl 2002: S.75
8 Vgl. Abigail Solomon-Goudeau: Wer spricht so? Einige Fragen zur Dokumentarfotografie. In: Diskurse der Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters. Hrsg. von Herta Wolf. Frankfurt 2003. S. 53-75, hier: S. 72
9 Vgl. Roland Barthes: Über Fotografie. In: Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters. Hrsg. von Herta Wolf. Frankfurt 2002. S.82-89, hier: S. 83
10 Vgl. Alexandra Gräfin von Stosch: Stanley Kubricks Bildwelten. Untersuchungen ausgewählter Photographien 1945-1950. München 2004. S. 47
11 Michael Leicht: Wie Katie Tingle sich weigerte, ordentlich zu posieren und Walker Evans darüber nicht grollte.Eine kritische Bildbetrachtung sozialdokumentarischer Fotografie. Bielefeld 2006. S.31
- Citar trabajo
- Daniel Voigt (Autor), 2013, Dokumentarismus in der Fotografie, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/229464
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