Diese Diplomarbeit beschäftigt sich mit dem Thema „Mehrsprachigkeit in früher
Kindheit. Institutionelle Möglichkeiten und praktische Empfehlungen am Beispiel Hamburgs“.
Folgende Fragen werden untersucht: Was ist Mehrsprachigkeit genau und wie wird
sie gefördert? Ist es sinnvoll, Kinder schon vor dem Schuleintritt parallel mit mehreren Sprachen zu konfrontieren, zu einem Zeitpunkt, da sie noch dem Erwerb ihrer Muttersprache nachgehen? Welche Regeln sollen Eltern beachten, damit ihr Kind effektiv parallel mehrere Sprachen lernen kann? Dabei wird auch der Frage nachgegangen, ob die Leichtigkeit, mit der Kinder in diesem Alter parallel mehrere Sprachen intuitiv und spielerisch lernen, möglicherweise überschätzt wird.
Die vorliegende Diplomarbeit soll eine umfassende Übersicht über Mehrsprachigkeit, Sprachfördermodelle und praktische Empfehlungen sowie institutionelle Möglichkeiten am Beispiel der Stadt Hamburg aufzeigen.
Weiterhin wird die emotionale und kognitive Disposition des Kindes in Bezug auf lerntheoretische Aspekte beleuchtet. Aus diesen Erkenntnissen leiten sich
Rahmenbedingungen und didaktische Prinzipien ab, die bei der Planung jedes
Sprachenangebotes als konkrete Empfehlungen in authentischen
Kommunikationssituationen über die kindgerechte Lernform „Spiel“ dienen können.
Der Schwerpunkt dieser Diplomarbeitarbeit liegt daher auf Empfehlungen, welche
der Zielgruppe eine weitere Sprache kindgerecht, anschaulich, spielerisch,
multisensorisch und ganzheitlich näher bringen und einen positiven Erstkontakt zu weiteren Sprache vermitteln.
Die vorgestellten Empfehlungen werden sowohl aus den alternativen
Vermittlungsempfehlungen der Fremdsprachendidaktik für Erwachsene, als auch den Erkenntnisse über frühkindliche Lernformen aus der Kindergartendidaktik
herausgearbeitet. Keine der vorgeschlagenen Empfehlungen genügt sich selbst. Sie sollen miteinander kombiniert werden und sind auf jede Sprache anwendbar.
Inhaltverzeichnis
Einleitung und Problemstellung
1. Mehrsprachigkeit in früher Kindheit
1.1 Was heißt Mehrsprachigkeit?
1.2 Zur Diskussion um das „Für und Wider“ der kindlichen Mehrsprachigkeit und den optimalen Zeitpunkt für das parallele Erlernen mehrerer Sprachen
1.3 Typen und Formen der Mehrsprachigkeit
1.4 Der Erwerb der Mehrsprachigkeit Zusammenfassung
2. Besonderheiten des Sprachenlernens in der frühen Kindheit - Kindliche Sprachentwicklung
2.1 Kognitive Faktoren
2.2 Emotionale Faktoren
2.3 Das Spiel als dominante Lernform des Kindes
2.4 Didaktische Prinzipien Zusammenfassung
3. Institutionelle Möglichkeiten und deren Modelle am Beispiel Hamburgs
3.1 Die heutige Situation in Hamburg
3.2 Wie die kindliche Mehrsprachigkeit gefördert wird
3.2.1 Einbeziehung der Eltern, Medien, Materialien und Umfeld des Kindes
3.2.2. Submersionsmodell
3.2.3. Immersionsmodell
3.2.4 Bilinguale, bilingual-bikulturelle und multikulturelle Modelle Zusammenfassung
4 Empfehlungen und Hinweise für Eltern mehrsprachig aufwachsender Kinder
4.1 linguistische Empfehlungen
4.2 medizinische Empfehlungen
4.3 pädagogische Empfehlungen Zusammenfassung
Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
Einleitung und Problemstellung
„Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen.“
(Johann Wolfgang von Goethe)
Mehrere Sprachen zu beherrschen, ist eine wertvolle Fähigkeit in einem vereinigten Europa. Dabei bietet eine mehrsprachige Erziehung im frühen Kindesalter den Eltern die Chance, ihren Kindern diese Fähigkeit effektiv und erfolgreich zu vermitteln.
Die Debatte um die Mehrsprachigkeit schon in der frühen Kindheit wird nicht nur von PädagogInnen sowie Erziehungswissenschaftlern/innen geführt, sondern neben Vertretern der Psychologie, Linguistik und Hirnforschung ebenfalls von Politikern, beispielsweise von der Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU).
Aktuell haben sich dabei zwei unterschiedliche Positionen herausgebildet. Zum einen wird die Vermittlung komplexer Lerninhalte wie das parallele Erlernen von mehreren Sprachen im frühen Kindesalter, als wünschenswert erachtet, denn die Lernfähigkeit in den frühen Jahren sei besonders hoch und Kinder lernen so schnell und so viel wie nie wieder in ihrem Leben. Zum anderen vertritt die ältere Generation oftmals die Meinung, dass Kinder durch vielfältige „Unternehmungsangebote“ überfordert seien und ihre Kindheit zunächst ausleben sollten.[1]
Die Meinung, dass Mehrsprachigkeit Kinder überfordern und dazu führen würde, dass letztlich keine Sprache richtig gelernt wird, tritt jedoch zurück. Dies besagt in der Tat die aktuelle Forschung. Kinder, die in jungen Jahren mehrsprachig aufwachsen, sind geistig flexibler und leistungsfähiger in ihrer Wahrnehmung. Die entscheidenden Weichen werden von der Natur aus gestellt und Versäumnisse seien in späteren Jahren sehr schwer zu korrigieren. Bis zum dritten Lebensjahr speichern Kinder verschiedene Sprachen effektiv ab. Beruhend auf dem Prinzip der Nachahmung lernen sie parallel mehrere Sprachen genauso gut, wie nur eine einzige.[2] Die Forscher sprechen hierbei vom „doppelten Erstspracherwerb.“ Demzufolge dürfen Kinder gerade in den ersten Lebensjahren nicht unterfordert werden. Eine intensive Förderung und geistig kommunikative Anregungen sind von Anfang an besonders notwendig.
Die Bildungsangebote zur frühen Parallelsprachförderung verbreiten und verbessern sich rasch. Eltern haben bereits wahrgenommen, dass den Kindern Gelegenheit gegeben werden soll, zu experimentieren, zu kommunizieren und ihre Kreativität zu entfalten – und dabei beiläufig eine neue Kultur und dementsprechend ihre Sprache mit allen Sinnen wahrzunehmen sowie das Denken zu üben und soziale Fähigkeiten zu entwickeln. Kinder leben heutzutage in einer multikulturellen Gesellschaft und haben durch die Medien täglich Zugang zu anderen Sprachen. Ferner haben sie schon in den Kindereinrichtungen Kontakt zu Kindern verschiedenster Herkunft, so dass sie schon dort auf eine Vielfalt von Kulturen und Sprachen treffen. Doch für eine optimale Sprachentwicklung brauchen Kinder und Eltern feste Sprachregeln, z. B. empfiehlt es sich für binationale Familien, dass jeder Elternteil in den ersten 3-4 Lebensjahren des Kindes konstant in seiner Muttersprache spricht, beispielsweise der Vater Russisch und die Mutter Deutsch. Auch die Unterteilung in eine Familien- und eine Umgebungssprache fördert jedenfalls die Zweisprachigkeit: Zu Hause wird die Erstsprache der Eltern gepflegt, in Kindergarten und Schule lernen die Kinder Deutsch.
Im Rahmen dieser Diplomarbeit werde ich mich mit dem Thema „Mehrsprachigkeit in früher Kindheit. Institutionelle Möglichkeiten und praktische Empfehlungen am Beispiel Hamburgs“ beschäftigen. Die Zielgruppe wird absichtlich nicht festgelegt, da Mehrsprachigkeit nicht nur für Eltern interessant sein könnte, sondern auch für StudentenInnen, ErzieherInnen und LehrerInnen, die mittels dieser Diplomarbeit ihr Wissen auffrischen können.
Folgende Fragen werden untersucht: Was ist Mehrsprachigkeit genau und wie wird sie gefördert? Ist es sinnvoll, Kinder schon vor dem Schuleintritt parallel mit mehreren Sprachen zu konfrontieren, zu einem Zeitpunkt, da sie noch dem Erwerb ihrer Muttersprache nachgehen? Welche Regeln sollen Eltern beachten, damit ihr Kind effektiv parallel mehrere Sprachen lernen kann? Dabei wird auch der Frage nachgegangen, ob die Leichtigkeit, mit der Kinder in diesem Alter parallel mehrere Sprachen intuitiv und spielerisch lernen, möglicherweise überschätzt wird. Die vorliegende Diplomarbeit soll eine umfassende Übersicht über Mehrsprachigkeit, Sprachfördermodelle und praktische Empfehlungen sowie institutionelle Möglichkeiten am Beispiel der Stadt Hamburg aufzeigen.
Zu Beginn wird das oben genannte Thema im Allgemeinen erläutert. Um diesen Diskurs mit allen Konnotationen darzustellen, werden Begriffe, die in den Ausführungen immer wieder vorkommen, definiert. Ferner werden pädagogische, kulturelle und praktische Argumente für Mehrsprachigkeit in früher Kindheit genannt. Die zu Anfang gestellte Frage, was Mehrsprachigkeit genau ist und nach ihrem optimalen Zeitpunkt bei nicht alphabetisierten Kindern, wird ebenso im ersten Kapitel erörtert.
Kapitel zwei zeigt die kindliche Sprachentwicklung und die Besonderheiten von Lernenden in der frühen Kindheit auf. Erstens bestimmt die kognitive Entwicklung des Kindes Lern- und Lehrprozesse und soll daher ebenfalls mitbetrachtet werden, zweitens spielen emotionale Faktoren eine sehr große Rolle. Kinder müssen nicht zum Lernen angetrieben, sondern lediglich unterstützt werden.
Werner Bleyhl geht davon aus, dass die Reifung des Neuronennetzes in zwei Stufen verläuft. Während der Kindheit wird gleichsam der Schaltplan der Nervenvernetzung erstellt. Diese Vernetzungsmöglichkeiten sind für das geistige Potential an erster Stelle maßgeblich und können nur durch Anregungen und Förderung in den ersten Lebensjahren optimal ausgeschöpft werden. Bis zum Ende der Pubertät reift das Gehirn heran, dann ist das Netz fein geknüpft. Lernen besteht nun zumeist nur noch darin, bereits vorhandene Synapsen zu stärken oder zu schwächen. Gänzlich neue Nervenverbindungen werden nur noch selten hergestellt. Deshalb haftet Wissen umso schlechter im Gedächtnis, je später es erworben wird.[3]
Ein weiterer Punkt, der hier zu beachten ist, sind die Lernformen. Aus psychologischer, pädagogischer und aus biologischer Sicht ist seit langem bekannt, dass Spielen und Lernen zusammen gehören. „Beim Spiel werden körperliche und geistige Fähigkeiten für das Erwachsenenleben erworben. Kinder wollen von sich aus, von Geburt an, viel lernen, sie gehen Dingen neugierig auf den Grund. Im Kindergartenalltag haben sie viele Möglichkeiten für Spiel und Gespräche untereinander. Das Spielen mit gleichaltrigen Kindern in einer Gruppe hat in der Regel einen positiven Einfluss auf die Sprachentwicklung im Allgemeinen und speziell auf Zweit-, Dritt- oder Fremdsprachen, da die Kinder auch voneinander lernen (Wortwahl, Satzbau).“[4] Didaktische Prinzipien werden ebenfalls in diesem Kapitel erörtert.
Das Kapitel drei wird den Hamburger Modellen für die Sprachförderung, sowie zahlreichen Hinweisen und Empfehlungen von KinderärztInnen, LinguistInnen und PädagogInnen gewidmet.
Die Verwendung mehrerer Sprachen ist mittlerweile in vielen Migrantenfamilien, nicht nur Hamburgs, alltägliche Praxis. Die These, dass es eine strikte Trennungslinie zwischen Erst- und Zweitsprache aufgrund einer rein muttersprachlichen Sprachpraxis in der Familie und der rein deutschen Sprachsituation im weiteren Umfeld sowie in den Bildungsinstitutionen gibt, entspricht folglich nicht der Realität. Den Migrantenfamilien wird damit eine Tendenz zur Reinerhaltung ihrer Kultur und insbesondere ihrer Sprache unterstellt, welcher ziemlich deutlich abweicht von der faktischen sprachlichen Lebensführung in diesen Familien. In der Praxis sind Migrantenkinder mindestens mit zwei Sprachen konfrontiert. Mehrsprachigkeit ist somit eine Normalität ihres Kinderlebens und sprachlichen Alltags. Belastend und schwierig wird die Situation für sie erst durch Erwartungen und Anforderungen, die von Seiten der an sie Erwachsenen gestellt werden. Mit der Sprache werden Ansprüche auf einer von der Sprachpraxis abgehobenen Ebene verbunden, die mit den sprachlichen, vorrangig kommunikativen Bedürfnissen der Kinder nichts mehr gemein haben.[5]
Die Muttersprache soll nicht verlorengehen, als Beleg für die Nähe zur Familienkultur, während die deutsche Sprache als ein Gradmesser für die Integration in die deutsche Gesellschaft gilt. Diese Ansprüche treffen auf Kinder, die mit der Sprache kommunikative Absichten verfolgen sowie ihre mehrsprachige Kompetenz als Mittel der kreativen Gestaltung ihrer Interaktionen einsetzen. Mit dem Eintritt in die Bildungsinstitutionen wird den Kindern die Normalität ihres mehrsprachigen Alltags genommen. In Kindereinrichtungen werden sie mit den Einstellungen und den Haltungen konfrontiert, dass die deutsche Sprache das einzig anerkannte und zugelassene Kommunikations- und Denkmittel ist. Im Weiteren wird mit dem Eintritt in die Schule eine sprachliche Kompetenz erwartet, die sich am Sprachstand eines durchschnittlichen, einsprachig deutsch aufwachsenden Kindes orientiert.[6] Darauf wird hier zunächst nicht weiter eingegangen. Diese Fakten sollten jedoch eine Überlegung einbringen, die für die Situation im Elementarbereich wichtig erscheint.
Die Erkenntnisse aus den einzelnen Kapiteln werden schließlich in der Schlussfolgerung zusammengeführt und mit einem Ausblick abschließen.
1. Mehrsprachigkeit in früher Kindheit
Kindliche Mehrsprachigkeit ist zu einem aktuellen Forschungsgebiet von WissenschaftlerInnen, PädagogInnen und ÄrztInnen geworden. Zahlreiche Veröffentlichungen aus der sprachwissenschaftlichen und besonders aus der neurologischen Forschung waren bzw. sind immer noch erforderlich, bis sich in der erziehungswissenschaftlichen und sprachendidaktischen Fachwelt ein Bewusstsein dafür entwickelte bzw. noch deutlicher entwickeln wird, dass das Grundschulalter als Zeitfenster für das parallele Erlernen mehrerer Sprachen fast schon zu spät sei.
Christian Lehmann vertritt folgende These: „Plastizität gibt es in vielen Bereichen. Durch Sport im Kindesalter kann man die Beweglichkeit gezielt ausbauen. Das menschliche Gehirn bleibt bis zur Pubertät plastisch [...]. Ersteres besagt, dass die Funktionen ausgefallener Hirnregionen von anderen übernommen werden können, letzteres (die Neuroplastizität) besagt lediglich, dass man lernen kann [...] Die Phonetik ist ein klares Beispiel: Die wenigsten Erwachsenen, die eine Fremdsprache lernen, bringen es zu einer akzentfreien Aussprache. Ein Kind lernt seine Muttersprache in wenigen Jahren vollständig und mühelos handhabbar. Es lernt auch im Kindergarten und im Schulalter noch Fremdsprachen akzentfrei zu sprechen, falls es nur genug Gelegenheit bekommt. Diese Fähigkeit verliert sich bei den meisten Menschen mit der Reifung [...] Es gibt also für das Sprachlernen eine kritische Periode, die allerdings ziemlich genau mit der Phase der Neuroplastizität zusammenzufallen scheint [...]“[7] Die besten Ergebnisse beim Spracherwerb werden nachgewiesenermaßen erzogen, indem alle Sprachen vom frühesten Kindesalter an gelernt werden. Allerdings werden erhebliche individuelle Unterschiede beachtet, die sich insbesondere auf die Fähigkeit Sprachen zu lernen, beziehen.
Lutz Götze geht ebenfalls davon aus, dass grundsätzlich aus hirnpsychologischer Sicht der frühere parallele Erwerb mehrerer Sprachen sinnvoll ist, da die dafür erforderlichen Schaltungen im Gehirn frühzeitig angelegt sind. Das Gehirn ist vorbereitet.[8]
Ralf Hexel ist der Ansicht, dass man erstaunlich wenig über die Prozesse, die sich im Hirn von Menschen abspielen, weiß [...]. Was zu wissen ist, sind die neurologischen Aktivitäten zu keinem Zeitpunkt umfassender und vielfältiger, als etwa zum Ende des zweiten Lebensjahres. In diesen frühen Jahren, aber auch in den weiteren Jahren der Kindergartenzeit, werden neurologisch die Grundlagen für Lern- und Wahrnehmungsfähigkeiten gelegt, die das ganze weitere Leben beeinflussen. [...] Diese sind eine entscheidende Voraussetzung für ein erfolgreiches Leben in einer Gesellschaft, in der Wissens- und Kompetenzerwerb immer wichtiger wird.[9]
1.1 Was heißt Mehrsprachigkeit?
Um zu verstehen, was Mehrsprachigkeit ist, erscheint es sinnvoll. zunächst eine Definition von Sprache im Allgemeinen voranzustellen.
„Sprache ist das umfassendste und differenzierteste Ausdrucksmittel des Menschen, zugleich die höchste Erscheinungsform sowohl des subjektiven, wie auch des objektiven Geistes. Die Sprache hat sich aus Naturlauten entwickelt. Jeder Schrei ist schon eine Art Sprache. An der Verbesserung dieses wichtigen, wenn auch noch primitiven Verständigungsmittels arbeitete der Mensch, indem er den Schrei zu gestalten suchte“[10]
Jürgen Trabant bezeichnet die Sprache als eine genetisch gegebene Fähigkeit des Menschen, im Gehirn mentale Einheiten auf eine Art und Weise zu kombinieren, wie dies kein anderes Lebewesen vermag.[11]
Laut Els Oksaar ist Sprache ein Zeichensystem : „Sie dient dem Menschen in Denk-, Erkenntnis- und sozialen Handlungsprozessen als Werkzeug. Somit ist Sprache das wichtigste Ausdrucks- und Kommunikationsmittel des Menschen. Die Sprache jeder Gemeinschaft spiegelt deren spezifische Lebenswelt wider, sie organisiert diese, transportiert kulturelle Elemente und vermittelt Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft Wissen über die Welt und die Konstruktionen geteilter Wirklichkeit.“[12]
Um nun Definition von Mehrsprachigkeit einzuführen, werden zunächst die wichtigsten Fachbegriffe aus der Sprachwissenschaft erklärt. Mit deren Hilfe ist es möglich, unterschiedliche Gesichtspunkte der Sprache eines Kindes zu benennen und sie voneinander zu unterscheiden
„Jakob, der Neffe meines Ehemannes, stammt aus einer Familie jüdischer Herkunft und wuchs zunächst in Israel auf. Seine Eltern sprachen mit ihm zunächst nur hebräisch. Sein erstes Wort war „Ima“ – das hebräisch Wort für „Mama“. Mit einem Jahr zogen seine Eltern nach Deutschland. Jakob kam in eine Kindergruppe, in welcher seine Spielkameraden und die Betreuerin, zu neuen – deutschsprechenden - Bezugspersonen wurden. Sein Alltagshorizont weitete sich aus, auf dem Spielplatz und im Umgang mit den Freunden seiner Eltern, war Jakob immer häufiger mit der deutschen Sprache seiner weiteren Umgebung konfrontiert. Zu seinem deutschen Lieblingswort wurde das Wort „dahin“ und er verstand, dass deutsche Kinder zu ihrer „Ima“ “Mama“ sagen. Schließlich kam Jakob in den Kindergarten und verwendet heute die deutsche Sprache immer leichter und selbstverständlicher. In dem Kindergarten kommt nun noch eine weitere Sprache hinzu, zweimal in der Woche darf er „Engländer spielen“. Er trägt dann einen englischen Namen und lernt Wörter wie: car, cat und dog. Für ihn ist es ganz deutlich, dass es irgendwo auf der Welt kleine Jungs und Madchen gibt, die nicht „Ima“ und nicht „Mama“, sondern „mum“ zu ihrer Mutter sagen.“[13]
Die erste Sprache, die der kleine Junge lernte, war Hebräisch. Das ist die Sprache, in der er seine ersten Worte sagen konnte und es ist wahrscheinlich auch die Sprache, die ihn ein Leben lang an seine Kindheit und an seine Mutter erinnern wird. Hebräisch ist deshalb für Jakob seine Erstsprache. Darunter wird im Allgemeinen die Sprache verstanden, die der Mensch zuerst erworben hat.[14] Oft wird Erstsprache neben der Abkürzung „L1“ (für first language) auch synonym mit Muttersprache verwendet. „Das ist die Sprache eines Individuums, die es mit den Mitgliedern einer homogenen Kulturgemeinschaft gemeinsam hat. Darüber hinaus verspürt das Individuum eine affektive Bindung zur Gruppe auf Grundlage der Muttersprache.“[15] Es ist allerdings zu beachten, dass es sich um eine offizielle EU-Sprache oder um eine nicht-europäische Sprache handeln kann, die von Migranten gesprochen wird.
Familiensprachen sind in diesem Sinne alle Sprachen, die innerhalb einer Familie zur Kommunikation der Familienmitglieder untereinander verwendet werden. Je nachdem, ob Mutter und Vater dieselbe oder unterschiedliche Sprachen mit dem Kind sprechen, ob das Kind von einer anderen Bezugsperson als den Eltern eine andere Sprache regelmäßig hört oder ob es außerdem noch weitere Familiensprachen gibt, spricht man von mono-, bi- oder multilingualem Erstspracherwerb.[16]
Als Jakob in die Kindergruppe kam, lernte er im Umgang mit neuen Freunden und der Betreuerin seine zweite Sprache. Er lernte Deutsch, um mit den anderen Kindern spielen und kommunizieren zu können.
Der Begriff Zweitsprache wird in verschiedenen Kontexten unterschiedlich verwendet. Hans Barkowski schlägt eine Einteilung in drei wesentliche Bereiche vor:
- Die konkret-sprachlichen Produktionen von Zweitsprachenlernern in ihrer zweiten Sprache bzw. deren gesamte zweitsprachliche Kompetenz
- das Unterrichtsfach, das die Vermittlung einer Zweitsprache zum Gegenstand hat
- die (Teil-) Disziplin der Wissenschaften vom Lehren und Lernen der Sprachen, die sich mit dem Erwerb von Zweitsprachen sowie mit deren unterrichtlicher Vermittlung beschäftigt.[17]
Eduard Blocher beschreibt Zweisprachigkeit als: „die Zugehörigkeit eines Menschen zu zwei Sprachgemeinschaften in dem Grade, dass Zweifel darüber bestehen können, zu welcher der beiden Sprachen das Verhältnis enger ist, oder welche als Muttersprache zu bezeichnen ist, oder welche mit größerer Leichtigkeit gehandhabt wird, oder in welcher man denkt.“[18]
Schließlich lernt Jakob nun Englisch zweimal in der Woche in dem Kindergarten. Kein Familienmitglied spricht mit ihm Englisch und er muss der Kindergärtnerin glauben, wenn sie erzählt, dass es Länder gibt – noch viel weiter weg als Deutschland und Israel – in denen alle Leute so sprechen, wie die Kinder es hier in dem Kindergarten lernen. Die Sprache eines fremden Landes, die er brauchen wird, wenn er groß ist und reisen möchte; dies ist seine erste Fremdsprache. „Eine Fremdsprache ist eine Sprache , die nicht vom eigenen Volk, Volksstamm o.Ä. gesprochen wird und die man zusätzlich zu seiner eigenen Sprache erlernen kann [..].“[19]
Diese Definition ist in dem linguistischen Wörterbuch „Babylon“ zu finden: „Eine Fremdsprache ist eine Sprache, die nicht die Muttersprache einer Person ist. Eine solche fremde Sprache eignet sich eine Person nur durch bewusstes Lernen – sei es in der Schule, durch Sprachkurse oder autodidaktisch – oder spielerisch als im fremden Sprachraum lebendes Kind an.“[20]
Im Gegensatz zur primär erlernten Sprache, der Muttersprache, wird eine Fremdsprache in der Regel in einer Bildungsinstitution erlernt, ohne dass der alltägliche Sprachkontakt in dieser Sprache gegeben ist. Durch diesen fehlenden Sprachkontakt und die fehlenden authentischen Kommunikationssituationen wird im Fremdsprachenunterricht oft eine vereinfachte, didaktisierte, nach Wortschatz und Grammatik sequenzierte Sprache vermittelt.[21]
Wichtig ist die Unterscheidung der Zweitsprache von einer Fremdsprache, auf die die zitierte Einteilung ebenfalls anwendbar ist. Eine Zweitsprache wird in der Regel in einem muttersprachlichen Kontext gelernt, d.h. in einer Umgebung, in der diese Sprache zumindest von Teilen der Bevölkerung gesprochen und im täglichen Leben verwendet wird. Der Zweitspracherwerb erfolgt dabei weitgehend ohne unterrichtliche Unterstützung und weist hierbei Parallelen zum Erstspracherwerb auf. „Der Unterschied zum Erstspracherwerb liegt in der Sprachkompetenz der Lernenden: Da sie bereits über eine Erstsprache verfügen, können sie beim Zweitspracherwerb auf deren Strukturen aufbauen.“[22]
Jede weitere Sprache, die zusätzlich zur ersten Zweitsprache erlernt wird, bezeichnet man als Drittsprache. Synonym dafür werden auch der Begriff Tertiärsprache und die Abkürzung „L3“ verwendet. Wie viele Sprachen das sind, ist dabei nicht relevant.
Der Begriff Begegnungssprache wird für jede der oben genannten Kategorien der Sprache, außer der Muttersprache, in dieser Diplomarbeit aufgeführt.
Was ist Mehrsprachigkeit? Ist der Begriff überhaupt auf die Kinder in der frühen Kindheit anwendbar? Tatsächlich ergibt eine Recherche in der Literatur und im Internet, dass in der Regel mit „Mehrsprachigkeit“ je nachdem, was man unter "Sprache" versteht, etwas anderes gemeint ist. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird anstelle von Mehrsprachigkeit häufig der Begriff Zweisprachigkeit/Bilingualismus verwendet. Mit Zweisprachigkeit oder Bilingualismus ist gemeint, dass zwei Sprachen zur gleichen Zeit erworben werden, d. h. das Kind lernt parallel die Laute, Wörter und die Grammatik von mindestens zwei unterschiedlichen Sprachen. Dies bedeutet, dass sich beide Sprachen aufgrund der Laute, des Wortschatzes und der Grammatik, aber auch aufgrund ihrer Geschichte und ihres soziokulturellen Hintergrundes unterscheiden lassen. Der gleichzeitige Erwerb von Hochdeutsch und Sächsisch wird aber nicht als mehrsprachig verstanden.[23]
Aus der nachfolgenden Beschreibung: "Sprache ist eine ausschließlich dem Menschen eigene, nicht im Instinkt wurzelnde Methode, zur Übermittlung von Gedanken, Gefühlen und Wünschen mittels eines Systems von frei geschaffenen Symbolen“[24], ergibt sich, dass Mehrsprachigkeit oder Bilingualismus die Verwendung unterschiedlicher Symbolsysteme (sprachliche, z. B. Wörter und nichtsprachliche Zeichen, wie Gestik, Mimik und Gebärden) sei. Dieses Verständnis beinhaltet, dass alle Menschen mehrsprachig aufwachsen. Diese Annahme wird von Rosemarie Tracy bestätigt: "Demographisch betrachtet ist Mehrsprachigkeit keine Ausnahme, sondern Normalität […] aus sprachwissenschaftlicher Perspektive (ist) Einsprachigkeit eigentlich eine Fiktion." Unter sprachwissenschaftlichen Aspekten ist die Beherrschung von Dialekten, unterschiedlichen Sprachstilen und Fachsprachen als mehrsprachige Kompetenz anzusehen, in der sich die "grundlegenden Fähigkeiten des menschlichen Gehirns, mit mehr als einer Sprache umzugehen" widerspiegelt.[25]
In der vorliegenden Arbeit wird die gesamte Zeit von der Geburt bis zur Einschulung als frühe Kindheit verstanden. Das ist eine Zeit der bemerkenswerten körperlichen, kognitiven, sprachlichen, sozialen und emotionalen Entwicklung. Das parallele Erlernen mehrerer Sprachen wird oft in Kindertageseinrichtungen angeboten. Es ist wichtig anzudeuten, dass bilingualer Spracherwerb im gesamten häuslichen Umfeld sowie in einer Kindereinrichtung erfolgen kann, dies soll ebenfalls in der vorliegenden Arbeit behandelt werden.
Unter Frühförderung bei dem parallelen Erlernen von Sprachen, wird die Möglichkeit verstanden, Kinder ab dem Moment ihrer Geburt oder ihrer Aufnahme in Kindereinrichtungen sprachlich zu begleiten und sie mit einem natürlichen, durchdachten und möglichst intensiven Sprachangebot zu versorgen.[26] Im Idealfall geschieht dies in der mehrsprachigen Familie oder in einer Kleingruppe, damit ErzieherInnen Gelegenheit haben, einzelne Kinder in ihrem sprachlichen und sprachbezogenen Verhalten zu beobachten und zu beschäftigen.
Unter institutioneller Möglichkeit wird im Rahmen dieser Arbeit vom Kindergarten die Rede sein. Unter dem Begriff Kindergarten werden im Folgenden alle Kindertagesstätten gefasst, also auch solche, die von Kindern unter drei Jahren besucht werden. Diese Begriffsverwendung resultiert daraus, dass die Begriffe Kindertagesstätte oder Kindertageseinrichtung, laut Christina Preissing, keine positiven Assoziationen wecken, sondern mehr auf eine 'verwaltete' Kindheit verweisen.[27] Als Synonym für den Begriff Kindergarten werden in der vorliegenden Arbeit ebenfalls die Begriffe Kita und Kindertagestätte verwendet, um die wünschenswerte Verknüpfung zwischen Kindergarteneinrichtungen stärker zu betonen.
Bei der Definition der Aneignung von Sprachen ist eine Unterscheidung in Lernen und Erwerben sinnvoll. Diese Begrifflichkeiten werden zwar in der Alltagssprache wie in Publikationen oft synonym gebraucht, sollten aber im wissenschaftlichen Diskurs bewusst verwendet und voneinander abgegrenzt werden.
Sprachentwicklung[28]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Während mit „Erwerb“ das weitgehend: „unbewusste, beiläufige Aneignen einer Sprache“ gemeint ist, werden mit „Lernen“ „bewusste Sprachverarbeitungsprozesse bezeichnet.“[29] Die Erstsprache erwirbt das Kind, da beim Kleinkind nicht von einem intentionalen Lernprozess gesprochen wird – auch dann nicht, wenn die Eltern es z. B. durch strukturierte Übungen für die richtige Verwendung verschiedener Pluralbildungen sensibilisieren wollen. Eine Fremdsprache wird meist in einem Unterrichtskontext erlernt. Eine Unterscheidung in formelle Situationen mit Unterricht und informelle Situationen ohne Unterricht wird allein auf die Lehrenden bezogen. Tatsächlich können beide Formen, sowohl Lernen als auch Erwerben, von den Lernenden selbst gesteuert oder von einem Interaktionspartner initiiert und strukturiert werden. Sowohl Selbst- als auch Fremdsteuerung ist also in beiden Kontexten gegeben. Allerdings sind die Übergänge fließend. Vor allem in der frühen Sprachvermittlung werden Sprachenlernen und Erstspracherwerb immer wieder parallel geführt und mit den gleichen Verlaufsmustern erklärt.[30]
Nach der Ansicht von Rosemary Tracy wird das Kind als Akteur seiner Entwicklung betrachtet, als ein sich organisierendes System, das einerseits mit seiner Umwelt im Austausch steht und sie sich aneignet und anderseits seinen Entwicklungsprozess selbst reguliert und organisiert. Entwicklung bedeutet eine dynamisch-prozesshafte qualitative Veränderung bereits angeeigneter Funktionen und Fähigkeiten.[31]
Bei den praktischen Empfehlungen, welche in dieser Arbeit vorgestellt werden, findet ein solcher Eingriff von pädagogisch-didaktischer Seite statt. Die Lerninhalte werden kindgerecht aufbereitet, Vokabeln durch mehrere Sinneskanäle vermittelt, Bewegungselemente und ein kreativer Umgang mit Sprache bewusst in den Sprachlernprozess eingebaut. Um über kindliche Mehrsprachigkeit sprechen zu können, muss allerdings das Kind selbst aktiv in den Lernprozess eingebunden werden.
1.2 Diskussion um das „Für und Wider“ der kindlichen Mehrsprachigkeit und den optimalen Zeitpunkt für das parallele Erlernen mehrerer Sprachen.
Wie bereits dargestellt, wird die kindliche Mehrsprachigkeit weiter intensiv untersucht, gefördert und gefordert. Ein erster Kontakt mit mehreren Sprachen wird schon vor Schuleintritt empfohlen. Trifft dann aber die Gleichung „Je früher – desto besser!“ das pädagogisch Gewollte? Die Komplexität dieser Lernprozesse und das „Für und Wider“ der parallelen Begegnung mit mehreren Sprachen, wird im folgenden Abschnitt beleuchtet.
Sprache ist in erster Linie ein Instrument zur Herstellung sozialer Kontakte. Dieser Grundsatz, dem in der gesunden Aneignungssituation der Erstsprache eines Kindes meist instinktiv entsprochen wird, ist auch bei der Mehrsprachigkeit zu berücksichtigen. Norbert Huppertz schlägt folgende Argumente aus verschiedenen Bereichen vor, die insbesondere für eine Vielfalt des Sprachenerwerbs herangezogen werden können:
- Sprachen öffnen den Zugang zu fremden Kulturen und Völkern. Verständigung in „anderen Zungen“ ist vielleicht der Ausweg aus der babylonischen Gefangenschaft und damit eine echte Chance, auseinander driftende Partikulargesellschaften zu einem neuen Ganzen zusammenzuführen. Die Begriffe Weltgesellschaft und Weltbürgertum wurden mehrfach genannt und machen Sinn in diesem Zusammenhang.
- Ökonomisch: Es ist nicht nur menschlich, sondern auch wirtschaftlich gesehen schlichtweg unrentabel, Kinder erst mit zehn Jahren mehrere Sprachen lernen zu lassen; dies ist vergeudetes Potenzial und eine vertane Chance.
- Anthropologisch: Das parallele Erlernen mehrerer Sprachen ist im frühkindlichen Alter bereits möglich, es schadet den Kindern nicht.
- Grenznähe: Für alle Kinder, die in Grenzgebieten leben, gilt, dass sie möglichst früh die Sprache des Nachbarn erlernen sollten. Das ist auch der beste Schutz gegen Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit.
- Neurodidaktisch: Durch die Erfahrung, die das Kind in seiner frühen Zeit mit der anderen und mit seiner Muttersprache macht, binden sich tatsächlich vorteilhafte Hirnstrukturen aus, die das Erlernen aller weiteren Sprachen erleichtern. Dieses ist nur in der frühen Kindheit möglich.
- Lernpsychologie: Kinder lernen nie mehr so leicht (allein schon durch Imitation), wie in der frühen Kindheit; es handelt sich um eine sensible Phase, in der es primär motiviert ist.[32]
Neben sprachlichen, kognitiven und arbeitsmarktpolitischen Argumenten, ist es ebenfalls die Förderung kindlicher Kompetenzen, die für die frühkindliche Sprachenvermittlung sprechen. So werden „die Ich-Kompetenz des Kindes, seine soziale Kompetenz, die Motorik, kommunikative Fertigkeiten, Gestaltungskompetenz, Achtsamkeit und seine emotionale Kompetenz gefördert“, sowie „Wertschätzung des Sprachpotentials in der Gruppe“ und „das gesteigerte Selbstvertrauen bei den Lernenden.“[33] Angelika Hüfner betont: „Sprachen lernen heißt auch Ängste nehmen.“[34]
Dies sind Gründe, die einer erwachsenen Sichtweise zufolge für frühkindliche Mehrsprachigkeit sprechen und wahrscheinlich die Eltern überzeugen sollen, ihre Kinder eine weitere Sprache erlernen zu lassen. Kinder denken nicht an Berufsmöglichkeiten. Sie haben Spaß am Entdecken und dem Kommunizieren mit Kindern aus anderen Sprachgruppen. „Die Motivation für die Begegnung mit einer weiteren Sprache liegt beim Kind im Hier und Jetzt, wenn genügend kindgerechter Anreize für das Sprachenlernen geboten wird. Voraussetzung dafür sind Vermittlungsmethoden, die nicht nur die sprachlichen Fertigkeiten des Kindes im Auge haben, sondern das Kind ganzheitlich fördern und fordern.“[35]
Allerdings gibt es immer noch zahlreiche Vorurteile, die gegen ein frühes Vermitteln einer weiteren Sprache sprechen. Wissenschaftliche Positionen, die beispielsweise besagen, „die Kinder sollen erst mal richtig Deutsch lernen“, sind inzwischen nicht mehr haltbar. Dass eine Sprache aber nur dann erfolgreich erlernt werden kann, wenn die Vermittlung möglichst früh einsetzt, „solange das Gehirn noch die notwendige Flexibilität dafür aufweist“, bezeichnet Guilio Pagonis als eine der Mythen , „die zwar dem wissenschaftlichen Diskurs entstammen, dabei aber nur eine von mehreren Auffassungen wiedergeben und die Sachlage damit erheblich verkürzen.“[36]
Zu welchem Zeitpunkt der sprachlichen Entwicklung des Kindes bietet sich ein erster Einstieg in eine weitere Sprache an? Dazu werden ebenso unzählige Argumente angeführt. „Kinder sind neugierig, begeisterungsfähig und offen für alles.“[37] Sie sind große Mimen und saugen Informationen auf „wie ein Schwamm.“[38] Dies sind natürlich vor allem Stimmen, die frühkindliche Mehrsprachigkeit aus verschiedensten Interessen propagieren wollen. Manche Argumente verwenden auch das Ausschlussverfahren. So setzt sich z. B. Leonora Fröhlich-Ward, Peter Graf und Helmut Tellmann etwa für Mehrsprachigkeit im Kindergarten ein, obwohl sie den „vernünftigsten“ Zeitpunkt für den Einstieg in Mehrsprachigkeit aus pädagogischer Sicht am Beginn der Grundschulzeit des Kindes sehen. Gerade die besondere Zeit des ersten Schuljahres aber berge „die Gefahr einer Überforderung des Kindes, wenn es neben dem Erwerb der grundlegenden Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Rechnens gleichzeitig eine Fremdsprache zu lernen hätte“[39]
Es liegen allerdings zahlreiche Studien vor, die sich detailliert mit den Vor- und Nachteilen von frühkindlicher Mehrsprachigkeit auseinandersetzen. Ein früher Start bedeutet nicht automatisch nur Vorteile beim Sprachenlernen. „Die Behauptung, Kinder seien einer weiteren Sprache gegenüber positiv eingestellt und lernten diese in der entsprechenden Umgebung spielend und ohne Schwierigkeiten, bedarf der Relativierung“. Kinder, die sich in einer neuen Umgebung erst zurechtfinden und eine fremden Sprache erlernen sollen, können sich z. B. weigern, „sowohl die Sprache des Ziellandes, als auch jede zusätzlich angebotene Sprache zu erwerben/ zu lernen, wenn sie sich überfordert fühlen.“[40]
Generell kann festgehalten werden: „das parallele Erlernen von mehreren Sprachen an sich kann keine negative Folgen haben.“[41] Die Gefahr besteht lediglich in der psychischen Überforderung des Kindes, wenn es durch eine zu hohe Erwartungshaltung etwa der Eltern oder der PädagogInnen unter Druck gesetzt wird. „Kinder reagieren ebenso sensibel auf Stresssituationen, wie sie offen für fremde Sprachen sind. Soweit allerdings Kinder frühzeitig mit dem Lernen einer weiteren Sprache beginnen, ohne dass ausreichende Lernhilfen oder ein zuverlässiges Konzept vorhanden sind, kann dies den Kindern eher schaden als nutzen. Enttäuschende Ergebnisse können dazu führen, dass die Vorteile der frühen Mehrsprachigkeit insgesamt angezweifelt werden.“[42]
Das kindliche Gehirn ist für den Lernvorgang optimal ausgestattet. Die Hirnforschung weist uns darauf hin, dass die neuronale Plastizität des Gehirnes bis zum 4. Lebensjahr am stärksten ist. „Gelingt es, in dieser Zeit den Kindern eine oder mehrere Sprachen qualitativ gut näher zu bringen (mit ihnen zu kommunizieren), dann kann dies für das Erlernen von Sprachen im weiteren Leben positive Auswirkungen haben. Dieses Zeitfenster sollte also optimal genutzt werden.“[43] Das Zeitfenster, das Gombos anspricht, läuft in der Fachliteratur auch unter der Bezeichnung „sensible Phase“ oder „kritische Periode“. Diese „Hypothese der kritischen Periode“ wurde erstmals von Eric Lenneberg formuliert: „Thus we may speak of a critical period for language acquisition. At the beginning it is limited by a lack of maturation.“[44] Ebenfalls diese Hypothese nennt Guilio Pagonis einen Mythos, der den Forschungsdiskurs trotz verschiedener anderer Argumentationsrichtungen bis heute dominiert. In der Tat trifft die Hypothese der kritischen Periode für den Mutterspracherwerb zu, kann jedoch nicht vorbehaltlos auf den Fremdsprachenerwerb übertragen werden. Die Praxis der Sprachenvermittlung bleibt laut Guilio Pagonis: „dem Einfluss erwerbstheoretisch ungesicherter Initiativen ausgeliefert und die Existenz einer Vielzahl kontroverser Vermittlungsmethoden unausweichlich“[45]
Diesen Vorwurf ernst nehmend, stützt sich diese Arbeit in der Beschreibung der praktischen Empfehlungen der frühkindlichen Mehrsprachigkeit auf fundierte Erkenntnisse der Kindergarten-Didaktik, die auf den Sprachenlernprozess umgelegt werden. So stark die Hypothese der kritischen Periode aber kritisiert wird, kann doch von sensiblen Phasen für bestimmte Bereiche des Spracherwerbs ausgegangen werden. Die sicherste Erkenntnis liegt im Bereich der Phonologie. „Der Erwerb einer akzentfreien Aussprache kann nur im Kindesalter stattfinden, wobei für das Ende dieser Phase unterschiedliche Altersgrenzen angegeben werden, auch abhängig von der Leistung des Gehörs.“[46] Weiter gehen die optimalen Entwicklungsphasen für bestimmte Aspekte der Morphosyntax schon im Alter von vier bis sechs/sieben Jahren zu Ende. Demnach kann Sprachenvermittlung im frühen Kindergartenalter den Erwerb von einer weiteren Sprache bedeutend erleichtern.[47]
Für die Identifizierung einer sensiblen Phase als Determinante für den Spracherwerb wurden vor allem Studien über so genannte „Wolfskinder“ herangezogen. Dies zeigt sich an einem Beispiel Rolf Oerters, der den Fall des Mädchens Genie, welches im April 1957 in Kalifornien geboren wurde, untersucht hat. Genie musste vom 4. bis zum 11. Monat wegen eines angeborenen Defektes ihrer Hüfte geschient werden. Sie erkrankte mit 14 Monaten so schwer, dass die Ärzte die Eltern auf die Gefahr einer Retardierung hinwiesen. Leider fasste der anscheinend psychisch gestörte Vater die Warnung als Tatsache auf und sperrte Genie in einen sehr kleinen Raum, in dem sie, tagsüber und manchmal auch nachts, auf einem Stuhl festgebunden wurde. Die übrige Zeit lag sie in einem Kinderbett, das mit einem Drahtnetz auf allen Seiten und nach oben ausgestattet war. Ihre zunehmend erblindende Mutter gab ihr nur das Notwendigste und der Vater misshandelte sie körperlich, wenn sie irgendeinen Laut von sich gab. So redeten der Vater und auch der gesunde Bruder nicht ein Wort mit Genie, bellten sie aber manchmal wie Hunde an. Im Jahre 1970 wurde Genie befreit. Sie konnte nicht aufrecht stehen, war unsauber und gab keine Laute von sich, kein Lachen, kein Weinen. In der Zeit nach der Befreiung fing sie von selbst an, einzelne Wörter zu sprechen. Sie erhielt gezielten Sprachunterricht, sobald ihr Sozialverhalten es zuließ. Allerdings erlernte sie niemals, eine Sprache zu sprechen und sie blieb sozial gesehen, weitgehend ein "wildes" Kind.[48]
Dies führte zu der Feststellung, dass Kinder, die erst nach der Pubertät eine Sprache erlernen, diese nicht mehr ausreichend erlernen können. Deutlich wurde hierdurch zudem, dass die Aneignung von Sprache nicht nur von inneren Reifungsvorgängen, sondern im Besonderen von Interaktionserfahrungen abhängig ist.[49]
In der Fachliteratur gilt als Konsens der Altersempfehlung für den Beginn frühkindlicher Mehrsprachigkeit und ihre Vermittlung, die Zeit ab dem dritten Lebensjahr. Das Kind ist mit drei Jahren an einem Punkt seiner Aufnahmefähigkeit und seiner imitativen, sowie lautdiskriminativen und expressiven Fähigkeiten, der eine optimale Aufnahme sprachlicher Lerninhalte ermöglicht.[50] Vor allem in einer Lernsituation wie im Kindergarten oder in einer Spielgruppe, in der die Kinder in der Gruppe lernen, bedarf es neben der kognitiven Reife aber auch grundlegender sozialer Fähigkeiten für erfolgreiches Sprachenlernen. Leonora Fröhlich-Ward setzt den frühest möglichen Zeitpunkt für institutionellen Sprachenunterricht bei Kindern daher mit fünf Jahren an. Erst in diesem Alter besitzt die Mehrzahl der Kinder jene sozialen Fähigkeiten, „die sie zum altersgemäßen Erlernen einer Fremdsprache in stufenbezogenem Unterricht einer Gruppe befähigen,“[51] obwohl aus phylogenetische Entwicklung ein Alter bis zum Ende des zweiten Lebensjahres sinnvoll wäre. Beim Neugeborenen bilden die Nervenzellen ein dichtes Netz, diese Verbindungen nehmen mit der Zeit enorm zu. Vom zweiten Lebensjahr bis zur Pubertät nimmt das Wachstum der Nervenzellen ab und die Gehirnentwicklung konzentriert sich eher auf deren Bildung und Verstärkung.[52]
Sprache hat nicht nur eine linguistische und eine soziale Seite, sie ist vor allem auch emotional und sensorisch erfahrbar. Dieser Aspekt von Sprache ist für Kinder in früher Kindheit in höchstem Maße faszinierend. Vor allem im Alter zwischen dreieinhalb und viereinhalb Jahren interessiert sich das Kind „noch keineswegs für Wörter oder Sätze, es wird von der sensorischen Seite der Sprache gefesselt [...] und von der rein sensorischen Tatsache, dass zu jedem Buchstaben ein entsprechender Laut gehört.“[53] Diese sensorische Spracherfahrung kann einen ersten Zugang zu einer weiteren Sprache erleichtern.
Laut Patricia Nauwerck ist gelungene mehrsprachige Kommunikation ein sehr komplexes Lernziel und kann nur auf lange Sicht erreicht werden. Ziel eines Bildungsangebotes im Elementarkontext kann lediglich sein, das Sprachgefühl und das Sprachbewusstsein für die eigene und eine andere Sprache bei Kindern zu entdecken. Ferner, mit der Sprachmelodie einer weiteren Sprache vertraut zu werden, neue Wörter bzw. ihre Bedeutungen zu speichern, sie artikulieren zu lernen und die Motivation zu wecken. Sprachenlernen kann durchaus als Metaziel der frühkindlichen Sprachenvermittlung gesehen werden. Durch ganzheitliche Vermittlungskonzepte werden neben den sprachlichen Fertigkeiten auch Motorik, Sinneswahrnehmung, Kreativität sowie ästhetische und musikalische Sensibilisierung gefördert.[54] Ziel eines Sprachenangebotes in den Kindereinrichtungen soll nicht sein, das Kind dazu zu bringen, den Eltern zu Hause die neu gelernte Vokabel brav aufzusagen. Es darf aber darauf vertraut werden, dass die Fähigkeit zur Kommunikation in einer Sprache durch entsprechende Angebote angebahnt und grundgelegt wird.
1.3 Typen und Formen der Mehrsprachigkeit
Laut Claudia Maria Riehl stellt Mehrsprachigkeit eine wichtige natürliche Ressource in der globalisierten Gesellschaft dar, die sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft von Bedeutung ist. Im Weiteren wird noch detaillierter auf den Inhalt des Vortrages und auf ihre persönliche Meinung eingegangen.
„Im Gegensatz zu Mitteleuropa ist in vielen Regionen der Welt Mehrsprachigkeit der Normalfall. Statistisch gesehen gibt es weltweit mehr mehrsprachige als einsprachige Menschen.“[55] Viele MehrsprachigkeitsforscherInnen sind daher der Meinung, dass Mehrsprachigkeit die Regel und Einsprachigkeit die Ausnahme sei. Dabei wird zwischen drei Typen von Mehrsprachigkeit unterschieden:
individuelle, territoriale und institutionelle:
Während individuelle Mehrsprachigkeit sich auf den einzelnen Sprecher bezieht, wird unter territorialer Mehrsprachigkeit der Sprachgebrauch in mehrsprachigen Staaten/Regionen und unter institutioneller Mehrsprachigkeit die Verwendung mehrerer Arbeitssprachen in Institutionen verstanden. Dabei muss allerdings davon ausgegangen werden, dass diese verschiedenen Mehrsprachigkeitstypen gekoppelt sind und die territoriale Mehrsprachigkeit zumeist mit individueller Mehrsprachigkeit einher geht. Allerdings treten auch verschiedene Formen von individueller Mehrsprachigkeit auf, die je nach Sozialisation und Situation unterschiedlich sein können und neben dem Zeitpunkt zugleich von der Art des Erwerbs abhängen.[56]
Generell wird deutlich, dass der frühe Erwerb mehrerer Sprachen über psychologische Aspekte hinaus zugleich kognitive Vorteile mit sich bringt. „Diese Vorteile können aber nur weiter genutzt werden, wenn die beiden Sprachen gezielt gefördert werden, das gilt vor allem für den Ausbau der Schriftlichkeit in den Sprachen. Aufgrund der zahlreichen individuellen und gesellschaftlichen Vorteile sollte die Förderung von Mehrsprachigkeit bei Kindern mit und ohne Migrationshintergrund eine wichtige bildungspolitische Aufgabe sein.“[57]
Bei der Bestimmung von individueller Mehrsprachigkeit neigen die Linguisten heute nicht mehr zu solchen normativen Definitionen wie noch vor 40 Jahren, als davon ausgegangen wurde, dass als zweisprachig nur eine Person bezeichnet werden dürfte, die die gleiche Kompetenz in beiden Sprachen besitzt und sie auch gleichzeitig von Kind auf erlernt hat.[58] Diese Annahme ist deswegen unrealistisch, da eine mehrsprachige Person selten alle Situationen des Lebens in beiden/mehreren Sprachen meistern soll, außerdem wird nach dem Kindesalter noch eine höhere Kompetenz in einer Sprache erworben. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Fall einer "perfekten" Mehrsprachigkeit, eine quasi muttersprachliche Kompetenz in zwei oder mehr Sprachen, die Ausnahme bildet. Voraussetzung für Mehrsprachigkeit ist damit, die Fähigkeit eines Mehrsprachigen, in den meisten Situationen ohne Weiteres von der einen Sprache zur anderen umschalten zu können.[59] Außerdem ist meist eine Sprache dominanter als die andere, was sich aber im Laufe des Lebens immer verschieben kann.
Die Gebrauchssituationen für die jeweiligen Sprachen können ebenfalls ganz unterschiedlich sein: So kann ein mehrsprachiger Sprecher beispielsweise mehrere Gebrauchssprachen haben, die täglich in einer Vielfalt von Situationen gesprochen werden, oder eine Gebrauchssprache in der Jugend, eine andere im Erwachsenenalter. Manche Sprecher haben auch eine „Wochenendsprache“, die bei der wöchentlichen Heimkehr in die Familie gesprochen wird, und eine 'Wochentagssprache', die alle täglichen Bedürfnisse erfüllt. Außerdem kann es sein, dass ein Sprecher eine Sprache nur in ihrer gesprochenen Form und die andere überwiegend als geschriebene Form verwendet.[60] Damit ist ein weiterer wichtiger Aspekt angesprochen, nämlich die Unterscheidung von mündlicher und schriftlicher Mehrsprachigkeit.
Meist ist bei mehrsprachigen Personen eine der Sprachen dominant. Das gilt besonders für die Schriftsprache. Denn im Gegensatz zur mündlichen Mehrsprachigkeit ist Mehrsprachigkeit im Bereich der Schriftlichkeit eher das Privileg einer Elite. Dies hängt mit der schriftsprachlichen Sozialisation zusammen, die in der Regel nur in einer Sprache erfolgt. In vielen mehrsprachigen Gesellschaften ist die Sprache, die im Elementarbereich und in der Schule unterrichtet wird, nicht die Muttersprache der Sprecher. Ganz im Besonderen gilt dies für Migrantengruppen: Die Kinder wachsen in einem Land mit einer anderen Sprache auf, werden in dieser Sprache alphabetisiert und in dieser Sprache unterrichtet. Viele Sprecher, die auf der Ebene des mündlichen Austausches mehrsprachig sind, tendieren daher auf der Ebene der schriftsprachlichen Kommunikation eher zur Einsprachigkeit. Dies rührt vor allem daher, dass der Erwerb einer Sprache als Schriftsprache sich nicht nur auf den Erwerb des Alphabets und der Orthografie bezieht, sondern es sich dabei um den Erwerb von ganz speziellen schriftsprachlich geprägten grammatischen Strukturen oder Formulierungsmustern handelt, die man im mündlichen Diskurs nicht verwendet, z.B. sog. „erweiterte Attribute“ wie Aufgrund der vom Kompetenzzentrum beschlossenen Maßnahmen kommen in der gesprochenen Sprache nicht vor. Dies ist etwa bei der Gegenüberstellung von mündlichem und schriftlichem Erzählen zu beobachten: Während beim mündlichen Erzählen ein einfacher, alltäglicher Wortschatz verwendet wird, wie z. B. „ gut; sagen “, verlangt die geschriebene Erzählung einen teilweise literarischen Wortschatz wie etwa „ exzellent; sich äußern.“ In der Syntax gibt es ebenfalls Unterschiede. So stellt man in der gesprochenen Sprache Sachverhalte in Hauptsätzen nebeneinander, z. B. Luise ging im Park spazieren. Sie fand eine Tasche.[61]
Im Geschriebenen dagegen werden häufig mehrere Sachverhalte in einen einzigen Satz integriert, z. B. Bei einem Spaziergang im Park fand Luise eine Tasche.[62]
Im Bereich der Satzverknüpfung verhalten sich gesprochene und geschriebene Sprache auch anders: In der gesprochenen Erzählung werden die Texte durch einfache Gliederungssignale wie „mal; und dann “, verknüpft, im Geschriebenen gibt es dagegen besondere narrative Gliederungssignale wie „eines schönen Tages; urplötzlich “ häufig bleiben jedoch die Sätze ohne explizites Einleitewort.[63]
„Wenn Sprachen im Laufe ihrer Geschichte eigene geschriebene Sprachformen ausgebildet haben, spricht man vom sog. „Sprachausbau“ (Kloss), den Dialekte etwa gar nicht mitgemacht haben. Außerdem spielen beim Schreiben von Texten auch bestimmte pragmatische Konventionen eine Rolle, die kulturspezifisch sind.“[64] Wenn diese nicht erworben werden, bleibt der Bereich des schriftlichen Ausdrucks einsprachig. Da der Erwerb von schriftsprachlichen Ausdrucksformen auch mit dem Erwerb einer komplexeren Ausdrucksfähigkeit einhergeht, wird in diesem Zusammenhang auch ein Extremfall diskutiert, nämlich die Problematik der sog. „Doppelten Halbsprachigkeit“.
[...]
[1] Generationsbeziehungen: Kinder-Eltern-Großeltern. Baden-Württemberg 2012, S. 12. http://www.statistik.baden-wuerttemberg.de/BevoelkGebiet/FaFo/Familien_in_BW/R20123.pdf; Stand 7.09.2012
[2] Die deutsche Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF): Mehrsprachigkeit als Chance. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung. Heft 1, Band 23, 2012, S. 123f.
[3] Vgl. Bleyhl, Werner: Fremdsprachen in der Grundschule. Hannover 2000, S. 22.
[4] Richter, Erwin; Brügge, Walburga: So lernen Kinder sprechen. München 2001, S. 82.
[5] Jampert, Karin: Schlüsselsituation Sprache – Ergebnisse aus der Spracherwerbsforschung und ihr Beitrag zum Verständnis des Sprachentwicklungsprozesses bei mehrsprachigen Kindern. Deutsches Jugendinstitut DJI (Hg.), Heft 2, 1999, S. 38.
[6] Jampert, Karin: Schlüsselsituation Sprache – Ergebnisse aus der Spracherwerbsforschung und ihr Beitrag zum Verständnis des Sprachentwicklungsprozesses bei mehrsprachigen Kindern. Deutsches Jugendinstitut DJI (Hg.), Heft 2, 1999, S. 39.
[7] Lehmann, Christian: www.christianlehmann.eu/ling/elements/plastizitaet.html; Stand: 05.08.2012.
[8] Vgl. Götze, Lutz: Vom Nutzen der Hirnforschung für den Zweitspracherwerb. In: Linguistics with a Human Face. Graz 1995, S. 113ff.
[9] Vgl. Hexel, Ralf; Jorch, Gerhard: Die Chancen der frühen Jahre nutzen – Lernen und Bildung im Vorschulalter. Magdeburg 2004, S. 42.
[10] Kühnle, Reinhold Günter: Zur Verbindung des englischen Geistes mit der europäisch-abendländischen Leitkultur. In: Opperrmann Eva (Hg.): Literatur und Lebenskunst. Literature and the Art of Living. Festschrift für Gerd Rohmann. Kassel 2006, S. 29.
[11] Vgl. Trabant, Jürgen: Was ist Sprache? München 2008, S. 12.
[12] Oksaar, Els. 2009, S. 16.; zitiert nach: Lengyel, Drorit: Zweitspracherwerb in der Kita. Eine Integrative Sicht auf die sprachliche und kognitive Entwicklung mehrsprachiger Kinder. Münster 2009, S. 17.; http://www.e-cademic.de/data/ebooks/extracts/9783830920861.pdf; Stand 11.10.2012.
[13] Young, Irina, 2012.
[14] Vgl. Oksaar, Els. 2003, S. 13.; zitiert nach: Boos-Nünning, Ursula; Karakasoglu, Yasemin: Viele Welten leben. Zur Lebenssituation von Mädchen und jungen Frauen mit Migrationshintergrund. Münster 2005, S. 236.
[15] Lengyel, Drorit: Zweitspracherwerb in der Kita. Eine integrative Sicht auf die sprachliche und kognitive Entwicklung mehrsprachiger Kinder. Münster 2009, S. 17.
[16] Vgl. Boeckmann, Klaus-Börge: Grundbegriffe der Spracherwerbsforschung. In: Starten schon im Kindergarten. Heft 7, 15. Jahrgang. München 2006, S. 38.
[17] Vgl. Barkowski, Hans: Zweitsprachenunterricht. In: Bausch, Karl-Richard; Christ, Herbert; Krumm, Hans-Jürgen (Hg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. o. O, 2007, S. 157.
[18] Blocher, Eduard. 1909, S. 17.; zitiert nach: Lengyel, Drorit: Kindliche Zweisprachigkeit und Sprachbehindertenpädagogik. Eine empirische Untersuchung des Aufgabenfeldes innerhalb der sprachheiltherapeutischen Praxis. Köln 2001, S. 13.
[19] http://www.babylon.com/definition/Fremdsprache/; Stand 20.09.2012
[20] http://woerterbuch.babylon.com/fremdsprache/; Stand 2.10.2012
[21] Vgl. Boeckmann, Klaus-Börge: Grundbegriffe der Spracherwerbsforschung. In: Starten schon im Kindergarten. Heft 7, 15. Jahrgang. München 2006, S. 38f.
[22] Boeckmann, Klaus-Börge: Grundbegriffe der Spracherwerbsforschung. In: Starten schon im Kindergarten. Heft 7, 15. Jahrgang. München 2006, S. 40.
[23] Zitiert nach: Sozialpädagogischem Institut Gütersloh e. V: http://www.spi-gt.de/site/index.php?Fort bildungen:Sprachentwicklung%E2%80%89%E2%80%A6; Stand 21.09.2012
[24] zitiert nach: Lyons, John, 4. Auflage. 1992, S. 13.
[25] Vgl. Tracy, Rosemarie. 2006a; zitiert nach: Deutscher Bundesverband für Logopädie e.V; http://www.dbl-ev.de/index.php?id=1704; Stand 23.09.2012
[26] Tracy, Rosemarie: Wie Kinder Sprachen lernen und wie wir sie dabei unterstützen können. Tübingen 2008, S. 157.
[27] Preissing, Christina: Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung im Kindergarten. Ein Konzept für die Wertschätzung von Vielfalt und gegen Toleranz. In: Preissing, Christina; Wagner, Petra: Kleine Kinder – keine Vorurteile? Interkulturelle und vorurteilsbewusste Arbeit in Kindertageseinrichtung. o.O, 2003, S. 12.
[28] Edmondson, Willis; House, Juliane: Einführung in die Sprachlernforschung. Tübingen 2000, S. 11.
[29] Vgl. Apeltauer, Ernst: Grundlagen des Erst- und Fremdsprachenerwerbs. Eine Einführung. Berlin, München, Wien, Zürich, New York (= Fernstudieneinheit 15) 2006, S .14.
[30] Vgl. Apeltauer, Ernst: Grundlagen des Erst- und Fremdsprachenerwerbs. Eine Einführung. Berlin, München, Wien, Zürich, New York (= Fernstudieneinheit 15) 2006, S .15f.
[31] Tracy, Rosemarie: Wie Kinder Sprachen lernen und wie wir sie dabei unterstützen können. Tübingen 2008, S. 141.
[32] Vgl. Huppertz, Norbert: Heute gelernt, morgen gelehrt – Französisch so früh! Das Projekt am Oberrhein. In: Fremdsprachenerwerb- Wie früher und wie anders ? Workshop des Forum Bildung am 14. September. Berlin 2001, S. 31f.
[33] Hübner, Klaus: Mit Kindern die Natur - und Sprache - erleben. In: Frühes Deutsch (Hg.) Vom Huhn zum Spiegelei. Erkenntnisse und Beispiele aus dem integrierten Sprach- und Sachunterricht. Heft 11, 16. Jahrgang. München 2007, S. 30f.
[34] Hüfner, Angelika. In: Fremdsprachenerwerb- Wie früher und wie anders? Workshop des Forum Bildung am 14. September. Berlin 2001, S. 78.
[35] Huppertz, Norbert: Heute gelernt, morgen gelehrt – Französisch so früh! Das Projekt am Oberrhein. In: Fremdsprachenerwerb- Wie früher und wie anders ?, Workshop des Forum Bildung am 14. September. Berlin 2001, S. 31f.
[36] Vgl. Pagonis, Guilio: Der Altersfaktor in Theorie und Praxis. In: Ahrenholz, Bernd; Klein Wolfgang (Hg.): Worauf kann sich der Sprachunterricht stützen? Stuttgart 2009, S. 113f.
[37] Hüther, Gerald: Singen ist „Kraftfutter“ für Kindergehirne. In: Frühes Deutsch(Hg.), Heft 13, 2008, S. 8f
[38] Wappelshammer, Elisabeth; u.a: Fremdsprachen im Kindergarten. In: Kühne, Norbert (Hg.), Praxisbuch Sozialpädagogik. Arbeitsmaterialien und Methoden. Bd. 6. Troisdorf 2008, S. 63.
[39] Fröhlich-Ward, Leonora: Fremdsprachenunterricht im Vorschul- und Primarbereich. In: Bausch, Karl-Richard; Christ, Herbert; Krumm, Hans-Jürgen (Hg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht 2007, S. 199. und Graf, Peter; Tellmann, Helmut: Vom frühen Fremdsprachenlernen zum Lernen in zwei Sprachen. Schulen auf dem Weg nach Europa. (= Europäische Bildung im Dialog. Region – Sprache – Identität, Bd. 5). Frankfurt am Main 1997, S. 75f.
[40] Leopold-Mudrack, Annette: Fremdsprachenerziehung in der Primarstufe. Vorraussetzungen, Konzept, Realisierung. Münster 1998, S. 40f.
[41] Vgl. Gombos, Georg: Bildungschance frühkindliche Mehrsprachigkeit. Frühkindlicher Sprachenerwerb durch mehrsprachige Kindergärten. In: James, Allan (Hg.): Vielerlei Zungen. Mehrsprachigkeit+Spracherwerb+Pädagogik+Psychologie+Literatur+Medien. Klagenfurt 2003, S. 50.
[42] EKM (Europäische Kommission für Mehrsprachigkeit) 2008, http://ec.europa.eu/education/languages/languagelearning/doc149_de.htm; Stand 18.09.2009
[43] Gombos, Gerorg: Sprachliche Frühförderung schon im Vorschulalter – im Rahmen einer Förderung individueller Mehrsprachigkeit (Plurilingualismus). 2005, S. 1.; http://www.zv-wien.at/download /bildungspolitiknational/20050622gombosbildungskonferenz.pdf; Stand 27.09.2012
[44] Vgl. James, Leon: http://www.soc.hawaii.edu/leonj/499s99/cachola/chpt2/chptr2.html; Stand 7.12.2012
[45] Pagonis, Guilio: Der Altersfaktor in Theorie und Praxis. In: Ahrenholz, Bernd; Klein, Wolfgang (Hg.): Worauf kann sich der Sprachunterricht stützen? Stuttgart 2009, S. 115f. u. 124.
[46] Leopold-Mudrack, Annette: Fremdsprachenerziehung in der Primarstufe. Vorraussetzungen, Konzept, Realisierung. Münster 1998, S. 37f.
[47] Vgl. Meisel, Jürgen: Mehrsprachigkeit in der frühen Kindheit: Zur Rolle des Alters bei Erwerbsbeginn. In: Anstatt, Tanja (Hg.): Mehrsprachigkeit bei Kindern und Erwachsenen. Erwerb, Formen, Förderung. Tübingen 2007, S. 110f.
[48] Vgl. Oerter, Rolf; Montada, Leo: Entwicklungspsychologie. Weinheim: Psychologie. Darin Kap. 15. 1998.
[49] Young, Irina. 2012
[50] Vgl. Nauwerck, Patricia: Fremdsprachenvermittlung im Kindergarten - Was sagt die Sprachwissenschaft dazu? In: Huppertz, Norbert (Hg.): Fremdsprachen im Kindergarten. Didaktik. Methodik. Praxi s. o. O, 2003, S. 53.
[51] Vgl. Fröhlich-Ward, Leonora: Fremdsprachenunterricht im Vorschul- und Primarbereich. In: Bausch, Karl-Richard; Christ, Herbert; Krumm, Hans-Jürgen (Hg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. o. O, 2007, S. 198.
[52] Vgl. LeDoux, Joseph: Das Netz der Gefühle. Wie Emotionen entstehen. München 2003, S. 13.
[53] Vgl. Standing, Mortimer E.: Mari a Montessori. Leben und Werk. Waldschmidt, Ingeborg; Eckert, Ela (Hg.), Berlin 2009, S. 89.
[54] Vgl. Nauwerck, Patricia: Fremdsprachenvermittlung im Kindergarten - Was sagt die Sprachwissenschaft dazu? In: Huppertz, Norbert (Hg.): Fremdsprachen im Kindergarten. Didaktik. Methodik. Praxis. o. O, 2003, S. 52f.
[55] Vgl. Riehl, Claudia Maria: Die Bedeutung von Mehrsprachigkeit. Beitrag. In: Natürliche Mehrsprachigkeit in Köln Chorweiler. Brachliegende Potenziale ausschöpfen. Köln 2011, S. 12.
[56] Vgl. Riehl, Claudia Maria: Mehrsprachigkeit: Grundlagen, Vorteile und didaktische Konsequenzen. Universität zu Köln, o. J
[57] Riehl, Claudia Maria: Mehrsprachigkeit: Grundlagen, Vorteile und didaktische Konsequenzen. Universität zu Köln, o. J.
[58] Vgl. Oksaar, Els: Zweitspracherwerb. Wege zur Mehrsprachigkeit und zur interkulturellen Verständigung. Stuttgart 2003, S. 27ff.; zitiert nach: Riehl, Claudia Maria: Mehrsprachigkeit: Grundlagen, Vorteile und didaktische Konsequenzen. Universität zu Köln, o. J.
[59] Vgl. Oksaar, Els: Mehrsprachigkeit, Sprachkontakt, Sprachkonflikt 1980, S. 43 In: Nelde, Peter Hans. (Hg.), Sprachkontakt und Sprachkonflikt. Wiesbaden, S. 43-52.; zitiert nach: Riehl, Claudia Maria: Mehrsprachigkeit: Grundlagen, Vorteile und didaktische Konsequenzen. Universität zu Köln, o. J.
[60] Vgl. Lüdi, Georges; Py, Bernard: Zweisprachig durch Migration. Einführung in die Erforschung der Mehrsprachigkeit am Beispiel zweier Zuwanderergruppen in Neuenburg. Tübingen 1984, S. 8.; zitiert nach: Riehl, Claudia Maria: Aspekte der Mehrsprachigkeit: Formen, Vorteile, Bedeutung Universität zu Köln, o. J, S. 1.
[61] Young, Irina. 2012
[62] Young, Irina. 2012
[63] Riehl, Claudia Maria: Aspekte der Mehrsprachigkeit: Formen, Vorteile, Bedeutung. Universität zu Köln, o. J, S. 4.
[64] Riehl, Claudia Maria: Schreiben, Text und Mehrsprachigkeit. Zur Textproduktion in mehrsprachigen Gesellschaften am Beispiel der deutschsprachigen Minderheiten in Südtirol und Ostbelgien. Tübingen 2001
- Arbeit zitieren
- Irina Young (Autor:in), 2013, Mehrsprachigkeit in früher Kindheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/229457
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