„Welche Erkenntnisart nun aber betrachtet jenes außer und unabhängig von aller Relation bestehende, allein eigentlich Wesentliche der Welt, den wahren Gehalt ihrer Erscheinungen, das keinem Wechsel Unterworfene und daher für alle Zeit mit gleicher Wahrheit Erkannte, mit einem Wort, die Ideen, welche die unmittelbare und adäquate Objektität des Dinges an sich, des Willens sind? Es ist die Kunst, das Werk des Genius. Sie wiederholt die durch reine Kontemplation aufgefassten ewigen Ideen, das Wesentliche und Bleibende aller Erscheinungen der Welt, und je nachdem der Stoff ist, in welchem sie wiederholt, ist sie bildende Kunst, Poesie oder Musik. Ihr einziger Ursprung ist die Erkenntnis der Ideen; ihr einziges Ziel Mitteilung dieser Erkenntnis.“
Dieses Zitat aus dem dritten Buch von Arthur Schopenhauers „Welt als Wille und Vorstellung“ enthält die Kernaussagen seiner Ästhetiktheorie. Da die Kunst bei Schopenhauer eine wichtige Rolle für seine gesamte Willensphilosophie inne hat, soll es Ziel dieser Arbeit sein, dem Leser Einblicke in die Ausführungen Schopenhauers zur Ästhetik zu gewähren, indem hier die wichtigsten im Zitat erwähnten Aspekte seiner Lehre noch einmal betrachtet und wenn nötig auch erläutert werden.
Ich werde mich im Folgenden bezüglich der Reihenfolge und dem Inhalt überwiegend an dem dritten Buch von der „Welt als Wille und Vorstellung“ orientieren. Diese Vorgehensweise bietet sich deshalb an, weil der Autor zunächst sozusagen das „Material“, wie zum Beispiel die Eigenschaften der ewigen Ideen, mit dem er arbeitet im Allgemeinen beschreibt, um dann auf jenen Erklärungen basierend das Wirken und die Aufgaben dieser „Materialien“ im Einzelnen zu erläutern.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1.0 Schopenhauers Willensphilosophie
2.0 Die platonischen Ideen in der Schopenhauerschen Ästhetik
2.1 Das reine Subjekt des Erkennens
3.0 Die Kunst und der Künstler
3.1 Das Schöne und das Erhabene
4.0 Die verschiedenen Stufen der Objektivation des Willens in der Kunst
4.1 Die Bildenden Künste
4.2 Die Poesie
4.3 Die Musik
5.0 Schlussbetrachtung
6.0 Literatur
Einleitung
„Welche Erkenntnisart nun aber betrachtet jenes außer und unabhängig von aller Relation bestehende, allein eigentlich Wesentliche der Welt, den wahren Gehalt ihrer Erscheinungen, das keinem Wechsel Unterworfene und daher für alle Zeit mit gleicher Wahrheit Erkannte, mit einem Wort, die Ideen, welche die unmittelbare und adäquate Objektität des Dinges an sich, des Willens sind? Es ist die Kunst, das Werk des Genius. Sie wiederholt die durch reine Kontemplation aufgefassten ewigen Ideen, das Wesentliche und Bleibende aller Erscheinungen der Welt, und je nachdem der Stoff ist, in welchem sie wiederholt, ist sie bildende Kunst, Poesie oder Musik. Ihr einziger Ursprung ist die Erkenntnis der Ideen; ihr einziges Ziel Mitteilung dieser Erkenntnis[1].“
Dieses Zitat aus dem dritten Buch von Arthur Schopenhauers „Welt als Wille und Vorstellung“ enthält die Kernaussagen seiner Ästhetiktheorie. Da die Kunst bei Schopenhauer eine wichtige Rolle für seine gesamte Willensphilosophie inne hat, soll es Ziel dieser Arbeit sein, dem Leser Einblicke in die Ausführungen Schopenhauers zur Ästhetik zu gewähren, indem hier die wichtigsten im Zitat erwähnten Aspekte seiner Lehre noch einmal betrachtet und wenn nötig auch erläutert werden.
Ich werde mich im Folgenden bezüglich der Reihenfolge und dem Inhalt überwiegend an dem dritten Buch von der „Welt als Wille und Vorstellung“ orientieren. Diese Vorgehensweise bietet sich deshalb an, weil der Autor zunächst sozusagen das „Material“, wie zum Beispiel die Eigenschaften der ewigen Ideen, mit dem er arbeitet im Allgemeinen beschreibt, um dann auf jenen Erklärungen basierend das Wirken und die Aufgaben dieser „Materialien“ im Einzelnen zu erläutern.
1.0 Schopenhauers Willensphilosophie
Um in die Betrachtung der Schopenhauerschen Ausführungen zur Kunst und ihrer Funktion einzusteigen, ist es zunächst notwendig, den Grundgedanken seiner Philosophie zu erläutern. Bevor ich damit beginne, sei noch darauf hingewiesen, dass die nachfolgende Erklärung, angesichts des komplexen philosophischen Systems, mit welchem Schopenhauer seine Willensphilosophie bestätigt sehen will, nur unvollständig und äußerst verkürzt im Rahmen dieser Arbeit erfolgen kann. Für ein genaues Bild seiner Philosophie ist die Beschäftigung mit den Werken Schopenhauers unbedingte Vorraussetzung.
Arthur Schopenhauer sieht den Willen als das Erste, das allein Ursprüngliche und Reale in einer Welt, die, so wie wir sie mit der uns bekannten Erkenntnisweise erblicken, nichts weiter ist als Vorstellung. Der Wille ist unabhängig von Raum und Zeit, sowie von jeglicher Kausalität. Er ist es, der die Dinge in der Welt existieren und wirken lässt. Denn nach Schopenhauer sind alle Erscheinungen nur die Verkörperung des einen, blinden, weil erkenntnislosen Willens. Letztendlich sind auch die Menschen, ebenso wie beispielsweise ein Stein, nur die Objektivationen des einen Willens. Er unterscheidet hier lediglich in der jeweiligen Stufung der Verkörperungen des Willens und der Willenäußerungen. So führt Schopenhauer auf der höchsten Ebene der Objektivation das Handeln eines Menschen in erster Linie auf Motive, die nicht anschaulich vorliegen müssen, zurück. Die Handlungen der Tiere basieren auf anschaulichen Motiven und die Bewegungen der Pflanzen auf Reizen. Auf der untersten Stufe, weil gänzlich ohne Erkenntnis und anorganisch, erklärt er die Vorgänge in der unorganischen Natur mit dem Prinzip von Ursache und Wirkung[2]. Die Objekte in der Welt die wir täglich vor uns sehen, existieren nur, weil der Wille zum Leben sie benötigt, und sie selbst wiederum Wille sind. Da der Wille stets neue Bedürfnisse hat, kann es nie zu seiner dauerhaften Befriedigung kommen. Dies sieht Schopenhauer als Ursprung des menschlichen Leidens an. Denn wo Bedürfnisse vorhanden sind, herrscht Mangel, welcher wiederum Leid erzeugt. Die Beseitigung des Mangels durch Befriedigung ist von kurzer Dauer, da ein Bedürfnis des Willens stets von einem neuen abgelöst wird. Alles was in der Welt vor sich geht, verursacht der Wille durch sein Wollen. Das Leid wird zudem noch dadurch verschärft, dass alles in der Welt objektivierter Wille ist, und der Wille dadurch permanent mit sich selbst in Konkurrenz steht. So kommt es zum Beispiel, dass sich die Menschen, obwohl ihnen allen der Wille als Grundprinzip ihres Daseins innewohnt, wegen der Befriedigung der Bedürfnisse des Willens gegenseitig bei der Erfüllung dieser behindern.
Dies meint Schopenhauer wenn er von der Welt als Wille spricht. Was er meint, wenn er von der Welt als Vorstellung spricht, soll nun im Folgendem beschrieben werden.
Wir nehmen die Objekte mittels der Erkenntnis wahr, welche auf den Vorstellungsprinzipien von Raum und Zeit sowie Ursache und Wirkung beruht. Da der Wille, wie oben angeführt, jedoch unabhängig von diesen Prinzipien existiert, können wir das eigentliche Wesen der Objekte, welches der Wille ist, nicht erkennen. Als individuelle Subjekte des Erkennens sind die von uns wahrgenommenen Objekte eben auch nur für uns in der Form, wie wir sie unter den genannten Vorstellungsbedingungen betrachten, da. Was sie an sich sind, können wir aufgrund unserer individuellen, vom Willen geleiteten und den Prinzipien von Ursache und Wirkung, sowie der Raum und Zeit unterworfenen Erkenntnisart und Weise nicht erkennen. Deshalb nennt Schopenhauer die Welt nicht nur Wille, sondern auch Vorstellung. Die Welt um uns herum existiert, so wie wir sie wahrnehmen, nur in unserer Vorstellung und nicht in der Realität.
Um das Innere, den wahren Gehalt der Objekte zu erkennen, benötigen die Menschen die Ästhetik. Sie ist das Mittel, welches uns durch Kontemplation von den Bedürfnissen des Willens und den Bedingungen unserer „normalen“ Erkenntnis, Raum, Zeit und Kausalität befreit. Während der ästhetischen Betrachtung verliert sich der Mensch sozusagen im Objekt und erkennt, losgelöst vom eben Beschriebenen, als reines Subjekt der Erkenntnis ohne Raum -und Zeitgefühl, sowie ohne Grund und damit ohne Willensäußerung, das wahre Wesen des betrachteten Objekts, die Ideen[3]. Welche Verbindung die Ideen wiederum zur Erkenntnis des Willens als das wahrhaft Reale haben, soll im Folgenden Punkt erläutert werden.
2.0 Die platonischen Ideen in der Schopenhauerschen Ästhetik
Da ich im vorherigen Punkt darauf hingewiesen habe, dass durch die Kontemplation das wahre Wesen der Objekte offenbar wird, kann dadurch leicht der Eindruck entstehen, dass mittels der ästhetischen Betrachtung der Wille direkt zu erkennen sein müsste, da er wie beschrieben das allein Reale der Welt ist . Dies ist jedoch nicht möglich. Der Wille kann deshalb nicht erkannt werden, weil er kein zu erkennendes Objekt darstellt. Er unterliegt keiner Form der Erkenntnis wie wir sie kennen. Dies ist der einzige, aber entscheidende Unterschied zwischen dem Willen und den Ideen[4]. Beide sind grundsätzlich frei von den Formen der Erscheinung, also den Vorstellungsbedingungen. Die Ideen sind dabei jedoch im Gegensatz zum Willen immer noch Objekt für ein erkennendes Subjekt, was nach Schopenhauer die erste und allgemeinste Form der Vorstellung ist und sie mit den Erscheinungen in der Welt der Vorstellung verbindet und diese Seite der Welt ausmacht. Dieser Unterschied führt dazu, dass die Menschen durch die Kontemplation nur die adäquate, unmittelbare Verkörperung des Willens, die Ideen erkennen können[5]. Erst über die intuitive Erkenntnis der Urbilder von den Erscheinungen, die demnach nur vergängliche Abbilder der Ideen sind, kann es zur Erkenntnis des Willens als dem inneren Prinzip alles Seienden kommen.
[...]
[1] A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung. Drittes Buch. Die Platonische Idee: das Objekt der Kunst, § 36, 217.
[2] Eine, wie ich finde, sehr prägnante Beschreibung des Willens gibt Schopenhauer in einer seiner kleineren Schriften. Siehe dazu A. Schopenhauer, Über den Willen in der Natur, in: Kleinere Schriften von A. Schopenhauer, 190-191.
[3] A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, § 36, 217
[4] ebda., § 32, 206.
[5] ebda., § 32, 206.
- Quote paper
- Holger Lehmann (Author), 2003, Die ästhetische Betrachtungsweise bei Arthur Schopenhauer, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22730
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