Die Arbeit untersucht die verfassungsrechtlichen Grenzen der polizeirechtlichen Verantwortlichkeit des Zustandsstörers. Von besonderer praktischer Relevanz ist diese Frage bei der Altlastensanierung nach dem Bundesbodenschutzgesetz. Zunächst stellt der Autor die allgemeinen rechtlichen Grundsätze für die Sanierung von Altlasten nach dem Bundesbodenschutzgesetz dar und gibt einen Überblick über die tatsächliche Dimension und die ökologische Herausforderung der Altlasten-Problematik.
Anschließend werden ausführlich mögliche Ansätze für eine Begrenzung der Haftung des Zustandsstörers analysiert. Dabei werden zunächst die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte sowie entsprechende Vorschläge im Gesetzgebungsverfahren zum BBodSchG und zum Entwurf des Umweltgesetzbuches untersucht. Im Folgenden setzt sich der Autor kritisch mit den in der Literatur entwickelten Vorschlägen zur Begründung einer verfassungsrechtlichen Begrenzung der Zustandsstörerhaftung auseinander. Die vorgeschlagenen Lösungen reichen dabei von einem Ausschluss der Störereigenschaft bei „Opferrolle“ des Zustandsstörers über eine strikte Trennung der Primär- und Sekundärebene bis zu einer teilweisen Haftungsbegrenzung allein bei der Verteilung der Kosten der Sanierung für den Fall gestörter Privatnützigkeit. Der Autor plädiert dafür, den Aspekt der Effektivität der Gefahrenabwehr allein bei der Frage der Schnelligkeit der Sanierung, sondern auch für die Frage der Kostenverteilung und damit bei der Finanzierbarkeit der Altlasten-Sanierung angemessen zu berücksichtigen.
Einen weiteren Schwerpunkt bildet eine detaillierte Besprechung der Grundlagen-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16.02.2000 zu dieser Problematik. Kurz gesagt kommt das Bundesverfassungsgericht zu einer Beschränkung der Haftung des Zustandsstörers bei der Kostenverteilung auf den Wert des Grundstückes, die aus Art. 14 GG resultiert. Der Autor beleuchtet den Hintergrund der Entscheidung, analysiert die Entscheidungsgründe und setzt sich mit der Kritik an dieser Entscheidung ausführlich auseinander.
Anschließend zeigt der Verfasser die Konsequenzen der Entscheidung für die Verwaltungspraxis auf und macht auf Rechtsfragen aufmerksam, die weiterhin einer Klärung bedürfen.
Schließlich plädiert der Autor für eine Änderung des § 24 BBodSchG, der eine Haftungsbegrenzung nicht ausdrücklich vorsieht und angesichts seines Wortlauts und seiner Entstehungsgeschichte nur schwerlich verfassungskonform ausgelegt werden kann.
INHALTSVERZEICHNIS
A. Die polizeirechtliche Verantwortlichkeit für den Zustand von Sachen
B. Sanierung von Altlasten nach polizeirechtlichen Grundsätzen
I. Die ökologische Herausforderung der Altlasten-Problematik
II. Die Lösung der Altlasten-Problematik zwischen allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht, Landesbodenschutzgesetzen und dem Bundesbodenschutzgesetz
III. Umweltrechtlicher Überblick: Altlasten-Sanierung nach dem Bundesbodenschutzgesetz
C. Die Begrenzung der Zustandshaftung in Rechtsprechung, Landesrecht und Gesetzentwürfen
I. Rechtsprechung
1. Lösung der Trümmerfälle nach dem Badischen VGH
2. Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte zu den Altlastenfällen
3. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
II. Landesrecht
III. Gesetzgebungsvorschläge
1. UGB-E
2. BBodSchG-E
D. Vorschläge zur Begründung einer verfassungsrechtlichen Begrenzung der Zustandsstörerhaftung
I. Ausschluss der Störereigenschaft bei „Opferrolle“ des Zustandsstörers
1. Friauf: Ausschluss der Störereigenschaft
2. Strikte Trennung zwischen Primär- und Sekundärebene
3. Stellungnahme
II. Bejahung der Störereigenschaft mit begrenzter Haftung hinsichtlich der Kosten
1. Papier: Haftungsbegrenzung bei gestörter Privatnützigkeit
2. Stellungnahme
E. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16.02.2000
I. Darstellung
1. Sachverhalt
2. Entscheidungsgründe
II. Reaktionen, insbesondere die Kritik von Lepsius
F. Folgen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
I. Umsetzung der Leitlinien des Bundesverfassungsgerichts im Verwaltungsverfahren auf Grundlage des allgemeinen Polizeirechts
II. Nichtigkeit der Eingriffsermächtigung des BBodSchG – die verfassungsrechtlichen Grenzen der verfassungskonformen Auslegung
A. Die polizeirechtliche Verantwortlichkeit für den Zustand von Sachen
Seit den Anfängen des rechtsstaatlichen Polizeirechts gilt der Eigentümer einer Sache als verantwortlich für den deren Zustand. So formuliert Günther Heinrich von Berg im Jahre 1799:
„So ist zwar jeder berechtigt, sein Eigentum nach Gutbefinden zu gebrauchen und sich in seinem Hauswesen nach seinen Einsichten und Zwecken einzurichten. Wenn aber dadurch für seine Mitbürger und Nachbarn, die mit und neben ihm wohnen müssen, Gefahr entsteht, so muß er den zur Verhütung derselben abzweckenden Vorschriften sich unterwerfen, wie dies z.B. bei vielen Anordnungen der Bau- und Feuerpolizei der Fall ist,, welche freilich manches, was der natürlichen Freiheit entgegen ist, gebietet oder verbietet“[1].
Heute ist die Zustandsverantwortlichkeit in den Polizeigesetzen aller Bundesländer[2] normiert, in Nordrhein-Westfalen in den §§ 5 Abs. 1 und 2 NWPolG sowie § 18 Abs. 1 und 2 NWOBG. Danach können Maßnahmen gegen den Eigentümer und auch gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt einer Sache gerichtet werden, von der eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Diese polizeirechtlichen Verantwortlichkeit ist Ausfluss der tatsächlichen und rechtlichen Sachherrschaft, die die Nutzung der Sache mit den sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Vorteilen ermöglicht[3].
Sinn und Zweck besteht der Haftung sind letztlich zwei Aspekte. Zum einen ist sie Ausdruck der Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG[4]: Der Eigentümer ist verantwortlich für die von der Sache ausgehenden Gefahren für die Allgemeinheit. Damit dient die Zustandshaftung zugleich dem polizeirechtlichen Grundsatz von der Effektivität der Gefahrenabwehr, da der Zustandsstörer durch seine – typischerweise bestehende – rechtliche und/oder tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache in der Lage ist, die Gefahr zu beseitigen.
Ausgelöst wird die Verantwortlichkeit durch eine Gefahr, die von der Sache ausgeht. Dies kann sich sowohl aus der Beschaffenheit der Sache als solcher, als auch durch ihre Lage im Raum ergeben, eine der Sache dauerhaft anhaftende Eigenschaft wird nicht verlangt[5] (relevant z.B. bei einem „an sich“ ungefährlichen Fahrzeug, das verkehrswidrig abgestellt ist). Inwiefern die im Polizeirecht vorherrschende Kausalitätstheorie der unmittelbaren Verursachung[6] auch für die Zustandshaftung Bedeutung hat, wird kontrovers beurteilt[7]. Der Wortlaut des § 18 Abs. 1 S. 1 NWOBG („geht von einer Sache ... eine Gefahr aus“) weist zunächst dahin, dass eine Kausalitätsbeziehung zwischen Sache und Gefahr erforderlich sei. Allerdings ist zu beachten, dass im Fall der Zustandshaftung die Sache selbst die Gefahr bildet[8]. Die Sache verursacht nicht die Gefahr, sondern stellt sie selbst da, so dass für Kausalitätserwägungen kein Platz ist. Deutlich zum Ausdruck kommt dies etwa in § 7 BWPolG, der davon spricht, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung „durch“ den Zustand einer Sache bedroht oder gestört wird.
Nach ganz h.M. ist die Verantwortlichkeit für den Zustand von Sachen unabhängig von einem Verschulden oder der Verschuldensfähigkeit[9], ja überhaupt von einem Verhalten des Eigentümers[10]. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut und ist Ausfluss des Prinzips der Effektivität der Gefahrenabwehr. Der Zustandsstörer muss die Gefahr somit auch dann beseitigen, wenn sie auf Naturereignissen, Zufall, höherer Gewalt oder Handlungen Dritter beruht. Zudem ist die Verantwortlichkeit auch nicht im Hinblick auf Ausmaß der erforderlichen Maßnahmen begrenzt.
Die Effektivität und „Strenge“ der Zustandshaftung führt in einigen Fällen im Ergebnis zu großen Härten, die verbreitet als „unbillig“ empfunden wird. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen der Eigentümer selbst als „Opfer“ erscheint oder die Gefahr auf ganz außergewöhnliche Ereignisse zurückzuführen sind.
Beispiele geben die sog. „Trümmerfälle“ aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Wurden auf einem Grundstück Bomben gefunden, so stellte sich die Frage, ob die Kosten für die Entsorgung nicht billigerweise von der Gemeinschaft zu tragen sind, statt von dem Eigentümer des Grundstücks, auf das die Bombe – allein nach dem Zufallsprinzip – gefallen war.
Ganz überwiegend kam die Rechtsprechung dabei jedoch zu dem Ergebnis, dass allein der Eigentümer als Zustandsstörer die Kosten der Entfernung tragen muss[11]. Kriegsschäden lägen nicht so gänzlich außerhalb des normalen Gefahrenbereichs, dass allein aus Billigkeitserwägungen die Anwendung der Zustandshaftung nach § 20 Preußisches Polizeigesetz abgelehnt werden müsse[12].
In der Rolle des Opfers erscheint auch der von der Ordnungsbehörde auf Ersatz der Kosten in Anspruch genommene Eigentümer des Grundstücks, auf das nach dem Unfall eines Tankwagens Öl ausläuft und das Grundwasser zu verseuchen droht[13].
B. Sanierung von Altlasten nach polizeirechtlichen Grundsätzen
Neben diesen durch den Lauf der Zeit weitgehend erledigten „Trümmerfällen“ und den – außerhalb der juristischen Ausbildung – wohl eher vereinzelt vorkommenden „Tanklaster-Fällen“ stellt sich die Frage nach der Begrenzung der Zustandshaftung in praktisch bedeutendem Ausmaß bei der Sanierung von Altlasten.
I. Die ökologische Herausforderung der Altlasten-Problematik
Mit den Begriff der Altlasten werden mit Schadstoffen kontaminierte Flächen bezeichnet, von denen Beeinträchtigungen der Umwelt – insbesondere des Trinkwassers – ausgehen. Terminologisch kann zwischen Altstandorten und Altablagerungen unterschieden werden. Altstandorte sind vor allem stillgelegte Industrieanlagen, wie Chemie- und Munitionsfabriken, Färbereien, Tankstellen oder Gaswerke. Altablagerungen bezeichnen Deponien, sei es für Haus-, Gewerbe- oder Sondermüll[14].
Die Bezeichnung Alt-last weist darauf hin, dass die gefährlichen Verunreinigungen vor längerer Zeit entstandene sind. Sie resultieren aus der wachsenden Industrialisierung in den 50er und 60er Jahren verbunden mit einem bis Mitte der 70er Jahre nur sehr gering ausgeprägten Bewusstsein für mögliche Gefahren und die ökologischen Folgen. Daneben fehlte es vielfach auch schlicht an technischem und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Als Beispiel sei nur genannt, dass man viele Jahre davon ausging, das Eindringen von chlorierten Kohlenwasserstoffen in den Boden und damit das Grundwasser könne man allein durch eine dicke Betonabdichtung zuverlässig verhindern. Erst viel später wurde erkannt, dass diese bereits innerhalb weniger Stunden oder Tage eine einen Meter dicke Betonschicht durchdringen könne[15]. Erst Anfang der 80er Jahre wurde das Ausmaß der ökologischen Schäden und die Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen erkannt. Amtliche Schätzungen gingen Ende der 80er Jahre von 50-80 Tausend „Verdachtsflächen“ aus[16]. Auf dem Gebiet der früheren Deutschen Demokratischen Republik befinden sich mehrere Tausend weitere ökologisch verseuchte Grundstücke[17]. Die amtliche Begründung zum Referentenentwurf des BBodSchG vom 7.2.1994 geht für November 1993 im alten Bundesgebiet von ca. 70.000 Verdachtsflächen, im Gebiet der neuen Bundesländer von 65.000 Verdachtsflächen aus. Die Schätzungen für die anfallenden Kosten der Altlastensanierung variieren zwischen 9 und 200 Mrd. EURO[18].
II. Die Lösung der Altlasten-Problematik zwischen allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht, Landesbodenschutzgesetzen und dem Bundesbodenschutzgesetz
Neben den Herausforderungen, vor die die Altlasten-Problematik die Umwelt-, Natur- und Ingenieurwissenschaften stellt, musste sie auch juristisch bewältigt werden. Zunächst kam dabei das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht zur Anwendung, man sprach gar von der „Renaissance des Polizeirechts“[19]. Schon bald wuchs jedoch das Bedürfnis nach gesetzlichen Grundlagen, die Vorgaben für die spezifischen Probleme der Altlasten enthalten. Es fehlte bereits an gesetzlichen Grundlagen für die dringend notwendige katastermäßige Erfassung der altlastenverdächtigen Flächen. Weiterhin gab es keine Bestimmungen darüber, wann von einer Altlast eine Gefahr im polizeirechtlichen Sinne ausgeht und auch die gesetzliche Bestimmung, die „erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen war unzureichend. Als hinderlich erwies sich daneben die Unsicherheit über die rechtliche Zulässigkeit von Gefahrerforschungseingriffen nach der polizeilichen Generalklausel[20]. Schließlich war eine umfassende Gesamtsanierung kontaminierter Areale von der polizeilichen Generalklausel nicht gedeckt, da Maßnahmen zur Rekultivierung regelmäßig die vorgeschriebene Grenze der Erforderlichkeit überschreiten[21].
Daher sind die Bundesländern nach und nach dazu übergegangen Gesetze zu erlassen[22], die besondere gesetzliche Regelungen enthielten, die die Erfassung und Sanierung der Altlasten erleichtern sollten. Außerdem wurden altlastenspezifische Regelungen in die Landesabfallgesetze eingefügt[23]. Der Bund betrachtete die je nach Standpunkt als Beispiel für Rechtsvielfalt oder Rechtszersplitterung bezeichnete Kompetenz der Länder für die Bewältigung der Altlasten-Problematik skeptisch und wollte eine bundesgesetzliche Regelung des Bodenschutz- und Altlastenrechts schaffen, damit für die bedeutendsten Belastungsquellen des Bodens bundesweite einheitliche rechtliche Maßstäbe für Gefahrenermittlung, Durchführung von Maßnahmen und auch Vorsorgemaßnahmen festgelegt werden. Nach ausführlichen Diskussionen über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit[24] trat am 17. März 1998 das Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) in Kraft[25].
Die zuvor entlassenen spezifischen landesrechtlichen Gesetze verloren ihre Gültigkeit gem. Art. 31 GG und sind inzwischen größtenteils auch formal an die neue Rechtslage angepasst worden und beschränken sich auf die Regelung von Verfahrensfragen und andere im BBodSchG nicht geregelte Inhalte.
III. Umweltrechtlicher Überblick: Altlasten-Sanierung nach dem Bundesbodenschutzgesetz
Wie die meisten umweltrechtlichen Gesetze[26] definiert § 1 BBodSchG den Zweck des Gesetzes. Dieser besteht darin, nachhaltig die Funktionen des Bodens (der in § 2 Abs. 1 BBodSchG näher definiert wird) zu sichern oder wiederherzustellen, indem schädliche Bodenveränderungen abzuwehren, er Boden und Altlasten sowie hierdurch verursachte Gewässerverunreinigungen zu sanieren und Vorsorge gegen nachteilige Einwirkungen auf den Boden zu treffen sind. Die beiden zentralen Begriffe für die Auslösung bodenschutzrechtlicher Pflichten sind die Altlasten sowie die schädlichen Bodenveränderungen. Dabei definiert § 2 Abs. 3 schädliche Bodenveränderungen als Beeinträchtigungen der Bodenfunktionen, die geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für den einzelnen oder die Allgemeinheit herbeizuführen.
Unter Altlasten versteht das Gesetz gem. § 2 Abs. 5 BBodSchG stillgelegte Abfallbeseitigungsanlagen sowie Grundstücke stillgelegter Anlagen, auf denen mit umweltgefährdenden Stoffen umgegangen worden ist[27].
Die zentrale Rechtspflicht enthält § 4 Abs. 3 BBodSchG[28]. Danach sind bestimmte Störer – dazu sogleich – verpflichtet, den Boden und Altlasten sowie bestimmte Verunreinigungen von Gewässern so zu sanieren, daß dauerhaft keine Gefahren, erheblichen Nachteile oder erheblichen Belästigungen für den einzelnen oder die Allgemeinheit entstehen. Als Sanierungsmaßnahmen sind vor allem Maßnahmen zur Beseitigung oder Verminderung der Schadstoffe (Dekontaminationsmaßnahmen) oder sog. Sicherungsmaßnahmen, die, ohne die Schadstoffe selbst zu beseitigen, ihre Ausbreitung langfristig verhindern oder zumindest vermindern[29].
§ 10 BBodSchG Abs. 1 enthält die Ermächtigungsnorm für den Vollzug des BBodSchG, die sog. „bodenschutzrechtliche Generalklausel“. Danach kann die zuständige Behörde die zur Erfüllung der sich aus § 4 ergebenden Pflichten die notwendigen Maßnahmen treffen[30]. Neben dieser Möglichkeit der ordnungsbehördlichen Verfügung stellt § 13 Abs. 4 BBodSchG ausdrücklich die Zulässigkeit eines Sanierungsvertrages, eines öffentlich-rechtlichen Vertrages[31], fest. Insbesondere bei hochkomplexen, technisch, naturwissenschaftlich und juristisch komplizierten Sanierungsfällen bietet sich eine solche „kooperative“ Zusammenarbeit an, an der neben Behörden und Störern bereits frühzeitig die mit den Sanierungsuntersuchung,
-planung und –durchführung beauftragten Unternehmen beteiligt werden können[32].
Als Adressaten einer auf §§ 4, 10 BBodSchG gestützten Verfügung kommen sämtliche in § 4 Abs. 3, 6 BBodSchG aufgezählten Störer in Betracht[33]. Ordnet man die möglichen Störer systematisch den beiden polizeirechtlichen Idealtypen des Störers zu, Verhaltens- und Zustandsstörer, so ergibt sich folgendes Bild:
„Verhaltensstörer“
- der Verursacher einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast (§ 4 Abs. 3 S. 1, 1. Var. BBodSchG)
- dessen Gesamtrechtsnachfolger (§ 4 Abs. 3 S. 1, 2. Var. BBodSchG)
„Zustandsstörer“
- der Grundstückseigentümer (§ 4 Abs. 3 S. 1, 3. Var. BBodSchG)
- der Inhaber der tatsächlichen Gewalt (§ 4 Abs. 3 S. 1, 4. Var. BBodSchG)
- wer aus handelsrechtlichem oder gesellschaftsrechtlichem Rechtsgrund für eine juristische Person einzustehen hat, der ein belastetes Grundstück gehört (§ 4 Abs. 3 S. 4, 1. Var. BBodSchG) – sog. Durchgriffshaftung
- wer das Eigentum an einem solchen Grundstück aufgibt (§ 4 Abs. 3 S. 4, 2. Var. BBodSchG)
- der frühere Eigentümer eines belasteten Grundstücks, wenn er sein Eigentum nach dem 1.3.1999 übertragen hat und die Belastung kannte oder kennen musste (§ 4 Abs. 6 BBodSchG)
Die Behörde hat somit auf den ersten Blick eine breite Auswahl an Störern, die sie zur Sanierung verpflichten kann. Bei der Auswahl zwischen mehreren Störern gelten auch im Anwendungsbereich des BBodSchG die Regeln des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts[34]. Die Behörde kann grundsätzlich gegen denjenigen vorgehen, der in der Lage ist, die Gefahr oder Störung am schnellsten und effektivsten zu beseitigen[35]. Es gibt insbesondere keine feste Regel, dass der Verhaltensstörer generell vor dem Zustandsstörer in Anspruch zu nehmen ist[36]. Die Tatsache, dass ein Zustandsstörer selbst „Opfer“ der Altlast sein kann, kann jedoch ein ermessensleitendes Kriterium sein. Sie ist Ausdruck des in Art. 3 GG wurzelnden Grundsatzes der gerechten Lastenverteilung, dem bei der Auswahl des Adressaten ebenfalls Rechnung zu tragen ist[37]. Daneben ist zu berücksichtigen, dass selbst bei Inanspruchnahme des Verhaltensstörers meist noch eine Duldungsverfügung gegen den Grundstückseigentümer ergehen muss. Die Behörde muss bei Ausübung ihres Auswahlermessens nach § 40 VwVfG auch die Vermögensverhältnisse der Störer berücksichtigen[38]. Entscheidendes Lenkungsprinzip für das Auswahlermessen bleibt die Effektivität der Gefahrenabwehr[39].
[...]
[1] Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1. Teil, Hannover 1799, S. 87, hier zitiert nach Würtenberger, in: Merten/Papier (Hrsg.), HRG, Bd. I, 2004, § 2, Rn. 64.
[2] Nachweise bei Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Auflage, 2003, Rn. 268 mit Fn. 107.
[3] BVerwG, NJW 1986, 1626 (1627); BVerwG, NVwZ 1991, 475.
[4] Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 434.
[5] Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Auflage, 1986, S. 318.
[6] In der Rspr. schon PreußOVGE 31, 409, 411; 103, 139 ff.; VGH Mannheim, DÖV 1986, 441; OVG NW, NJW 1993, 2698; aus der Literatur nur Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Auflage, 2003, Rn. 242 m.w.N.; anders Schnur, DVBl. 1962, 1, 3 ff. (Theorie der rechtswidrigen Verursachung); Muckel, DÖV 1998, 18, 22, der die Kausalität i.S. der Äquivalenztheorie genügen lässt und die notwendigen Einschränkungen durch die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei der Ermessensausübung vornehmen will; kritisch dazu Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Auflage, 2003, Rn. 241 mit Fn. 37.
[7] Vgl. einerseits (bejahend) Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Auflage, 2003, Rn. 268; Schoch, JuS 1994, 936 f., andererseits Friauf, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Auflage 1999, Rn. 83; ders., DVBl. 1971, 713 (716).
[8] Friauf, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Auflage 1999, Rn. 83.
[9] Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Auflage, 1986, S. 320; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Auflage, 2003, Rn. 271
[10] Ganz anders jetzt Hösch, VBlBW 2004, 7, der die Zustandshaftung als spezielle Handlungshaftung des Eigentümers versteht, die die Verletzung besonderer Eigentümerpflichten voraussetzt, und dies zu Unrecht „im Grunde“ der Rechsprechung des Bundesverfassungsgericht entnimmt (S. 13).
[11] BVerwGE 10, 282 (283); OVG NW MDR 1955, 762; OVG Nds. JZ 1952, 437 ff.; anders aber Bad. VGH JZ 1953, 238; NJW 1956, 76.
[12] OVG Münster, OVGE 5, 185.
[13] OVG Münster, DVBl. 1964, 683 (684).
[14] Ausführlichen Tatsachenmaterial ist zu finden in den beiden Sondergutachten Altlasten I und II des Sachverständigenrates für Umweltfragen, abgedruckt als BT-Drs. 11/6191, Rn. 4 ff. sowie BT-Drs. 13/380 Rn. 12 ff.
[15] Oerder, NVwZ 1992, 1031, 1035.
[16] BT-Drs. 11/4104.
[17] Oerder, NVwZ 1992, 1031 nennt die Zahl von 20.-30.000 Verdachtsflächen in den neuen Bundesländern.
[18] Kloepfer, Umweltrecht, § 12 Rn. 60; Breuer, DVBl. 1994, 890 m.w.N. [Zahlen dort jeweils in DM].
[19] Knoche, GewArch 2000, 448.
[20] Vgl. nur Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Auflage, 2003, Rn. 86 ff.
[21] Papier, DVBl. 1985, 873 (874).
[22] Z.B. in Baden-Württemberg das Gesetz zum Schutz des Bodens vom 24. Juni 1991, GBl. S. 434; dazu Peters, Das neue Altlastenrecht in Baden-Württemberg, VBlBW 1991, 49.
[23] Z.B. §§ 22 Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen und die Behandlung von Altlasten in Baden-Württemberg vom 8.1.1990, GBl. S. 1; ausführliche Übersicht über Landesabfall- bzw. Landesbodenschutzgesetze bei Kloepfer, Umweltrecht, § 12, Rn. 65.
[24] Dazu insbesondere Peine, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Bodenschutz, Düsseldorf, 1992, siehe auch v. Buch, NVwZ 1998, 822.
[25] Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten vom 17.3.1998, BGBl. I S. 502.
[26] Vgl. jeweils § 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, Gentechnikgesetz, Umweltinformationsgesetz.
[27] Zu den Einzelheiten siehe Bickel, BBodSchG, 4. Auflage, 2004, § 2 Rn.12 ff.
[28] Hasche, DVBl. 2000, 91 (96).
[29] vgl. § 2 Abs. 7 BBodSchG.
[30] Zu den Einzelheiten Giesberts, Kommentierung zu § 10 BBodSchG in: Fluck, Kreislaufwirtschafts-, Abfall- und Bodenschutzrecht – Kommentar (Loseblatt).
[31] Instruktiv zum Verwaltungsvertrag M. Ogorek, JA 2003, 436 ff.
[32] Näheres bei Bickel, BBodSchG, § 13, Rn. 8 ff.
[33] Näher zur Verantwortlichkeit im Bodenschutzrecht Giesberts, Kommentierung zu § 4 BBodSchG, in: Fluck, KrW-/AbfG/BBodSchG; Erbguth/Stollmann, DVBl. 2001, 601.
[34] VGH Mannheim, NVwZ 2000, 1199 (1200); Füllkrug, Störerauswahl nach dem Bundes-Bodenschutzgesetz, altlasten spektrum 2003, 136.
[35] Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Auflage, 2003, Rn. 285 m.w.N; umfassend Giesberts, Die gerechte Lastenverteilung unter mehreren Störern, 1990
[36] VGH Mannheim, NVwZ-RR 1991, 27 (28) betont ausdrücklich, dass es kein Rangverhältnis zwischen §§ 6 und 7 PolGBW gibt und es im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde steht, einen polizeiwidrigen Zustand durch ein Vorgehen gegen den Verhaltens- oder den Zustandsstörer beseitigen will; ebenso VGH Mannheim, NuR 2000, 333; VGH München, BayVBl. 2002, 470; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Auflage, 2003, Rn. 285; Friauf, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Auflage 1999, Rn. 98; Giesberts, Lastenverteilung, S. 41 ff., 68 ff.
[37] Giesberts, Lastenverteilung, S. 45 ff.; ders., in: Fluck, KrW-/AbfG/BBodSchG, § 4 BBodSchG, Rn. 232; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 234.
[38] Muckel, in: Rüfner/Muckel, Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Auflage, 2002, S. 62, 67.
[39] Papier, DVBl. 1985, 873 (879); a.A. B. Becker, UPR 2004, 1 (2 ff.), der das Verursacherprinzip als wichtigste Argumentationsfigur versteht und daher einem eindeutigen Vorrang der Handlungsverantwortlichkeit vor der Zustandsverantwortlichkeit annimmt.
- Citation du texte
- Thomas Traub (Auteur), 2004, Verfassungsrechtliche Grenzen der polizeirechtlichen Verantwortlichkeit des Zustandsstörers, insbesondere bei der Altlastensanierung nach dem Bundesbodenschutzgesetz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22682
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