Angesichts der entscheidenden Bedeutung von Zensuren und
Zeugnissen im Leben von Kindern und Jugendlichen wundert es kaum, dass schulische Leistungsmessung und -beurteilung seit langem ein zentrales Thema der Schulpädagogik darstellt. Wer sich damit beschäftigt, wird schnell feststellen, dass es kaum ein anderes Thema gibt, bei dem die Meinungen so weit auseinander gehen.
Seit die Kritik an der Ziffernbenotung in den zwanziger Jahren laut wurde, sind alternative Formen pädagogischer Bewertung erprobt und vielfach diskutiert worden. Das Ergebnis dieser Diskussion war die Empfehlung der Kultusminister, in den ersten beiden Grundschuljahren Noten durch Verbalbeurteilung zu ersetzen. Damit verband sich u.a. die Hoffnung, Kindern eine fördernde und individuelle Leistungsbestätigung geben zu können. In meiner Arbeit werde ich zunächst einmal versuchen, einen Überblick über das komplexe Problem der Leistung in der Schule zu geben. Ferner soll der Frage nachgegangen werden, ob die verschiedenen Funktionen der schulischen Leistungsbewertung durch Ziffernzensuren erfüllt werden können.
Anschließend soll untersucht werden, welche Vorteile man sich von der
Zeugnisreform in der Grundschule versprach und inwieweit Zeugnisse in Form von Wortgutachten (auch Lernentwicklungsberichte oder Berichtszeugnisse genannt) den angestrebten Intentionen gerecht werden konnten.
Um einen Einblick in die Meinungen und Einstellungen von Eltern zu Noten und Berichtszeugnissen zu bekommen, werden die wichtigsten Ergebnisse von Elternbefragungen vorgestellt und anschließend mit den Resultaten des eigenen Elterninterviews verglichen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Zum Begriff der Leistung
1.2 Begründung der Leistung in der Schule
1.3 Gesellschaftlicher Leistungsbegriff
1.4 Pädagogischer Leistungsbegriff
1.5 Fazit
2. Einführung in die Thematik schulischer Leistungsbewertung
2.1 Zur Entstehungsgeschichte von Zensuren und Zeugnissen
2.2 Leistungsbewertung in der Grundschule:
Rechtsgrundlagen und amtliche Bestimmungen
2.3 Zeugnisregelungen in der Primarstufe
2.4 Fazit
3. Bezugsnormen der Leistungsbewertung
3.1 Subjektorientierte (individuelle) Bezugsnorm
3.2 Lernzielorientierte (sachliche) Bezugsnorm
3.3 Vergleichsorientierte (soziale) Bezugsnorm
3.4 Fazit
4. Zur Messqualität von Leistungsbeurteilungen
4.1 Objektivität
4.2 Reliabilität
4.3 Validität
4.4 Störfaktoren und Urteilsfehler bei der
Leistungsbewertung
4.5 Fazit
5. Funktionen der Leistungsbewertung
5.1 Gesellschaftliche Funktionen
5.2 Pädagogische Funktionen
5.3 Relevanz der Funktionen in den verschiedenen Schulstufen
5.4 Notenzeugnisse: Ansprüche und Realität
6. Lernentwicklungsberichte als Alternative zum Notenzeugnis
6.1 Begründung für Zeugnisse ohne Zensuren
6.2 Zur Entstehungsgeschichte von
Lernentwicklungsberichten
7. Berichtszeugnisse: Ansprüche und Realität
7.1 Motive, die mit verbaler Beurteilungsform verbunden
werden
7.2 Bedenken und Einwände gegen Berichtszeugnisse
7.3 Aktueller Forschungsstand zur Praxis der
Berichtszeugnisse
7.3.1 Ergebnisse von Zeugnisanalysen und
Lehrerbefragungen
7.3.2 Fazit
7.4 Ergebnisse von Elternbefragungen
7.5 Eigene Elternbefragung
7.5.1 Informationen zum Ablauf der Befragung
7.5.2 Auswertung der Ergebnisse und Vergleich mit
anderen Elternbefragungen
7.5.4 F
8. Schlussgedanke
9. Literaturverzeichnis
Einleitung
Leistung ist aus unserem menschlichen Alltag nicht wegzudenken. Die ernüchternden Ergebnisse deutscher Schülerinnen und Schüler bei nationalen und internationalen Vergleichsstudien (TIMSS, PISA) haben die öffentliche Diskussion um Leistung in der Schule wieder aufleben lassen. Damit geriet auch die schulische Beurteilungspraxis erneut ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit
Sobald der Begriff „Leistungsbeurteilung“ fällt, denkt vermutlich jeder als erstes an Zensuren und Zeugnisse. Es handelt sich um Instrumente, mit deren Hilfe die Leistungsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern (scheinbar objektiv) gekennzeichnet wird. Dieser Aufgabe gerecht zu werden ist schwierig, denn schulische Leistungsbeurteilung befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen der optimalen Förderung jedes Schülers einerseits und den Leistungsanforderungen der Gesellschaft andererseits
Die hierarchische Gliederung des deutschen Schulsystems in Gymnasium, Real- und Hauptschule hat zur Folge, dass Zeugnisse in der Grundschule oft eine wichtige Rolle im Hinblick auf den weiteren Bildungsweg des einzelnen Schülers spielen. Angesichts der entscheidenden Bedeutung von Zensuren und Zeugnissen im Leben von Kindern und Jugendlichen wundert es kaum, dass schulische Leistungsmessung und -beurteilung seit langem ein zentrales Thema der Schulpädagogik darstellt. Wer sich damit beschäftigt, wird schnell feststellen, dass es kaum ein anderes Thema gibt, bei dem die Meinungen so weit auseinander gehen
Seit die Kritik an der Ziffernbenotung in den zwanziger Jahren laut wurde, sind alternative Formen pädagogischer Bewertung erprobt und vielfach diskutiert worden. Das Ergebnis dieser Diskussion war die Empfehlung der Kultusminister, in den ersten beiden Grundschuljahren Noten durch Verbalbeurteilung zu ersetzen. Damit verband sich u.a. die Hoffnung, Kindern eine fördernde und individuelle Leistungsbestätigung geben zu können
In meiner Arbeit werde ich zunächst einmal versuchen, einen Überblick über das komplexe Problem der Leistung in der Schule zu geben. Ferner soll der Frage nachgegangen werden, ob die verschiedenen Funktionen der schulischen Leistungsbewertung durch Ziffernzensuren erfüllt werden können. Anschließend soll untersucht werden, welche Vorteile man sich von der Zeugnisreform in der Grundschule versprach und inwieweit Zeugnisse in Form von Wortgutachten (auch Lernentwicklungsberichte oder Berichtszeugnisse genannt) den angestrebten Intentionen gerecht werden konnten
Um einen Einblick in die Meinungen und Einstellungen von Eltern zu Noten- und Berichtszeugnissen zu bekommen, werden die wichtigsten Ergebnisse von Elternbefragungen vorgestellt und anschließend mit den Resultaten des eigenen Elterninterviews verglichen
1. Zum Begriff der Leistung
Das Wort „Leistung“ lässt sich ableiten von der indogermanischen Wortwurzel „leis-“, was mit „Fußspur, Furche“ übersetzt werden kann, sowie von der gotischen Verbform „laistjan“, was soviel wie „einer Spur nachfolgen“ bedeutet (vgl. Sacher 2001, S.1). Die Urform des Wortes beschreibt somit eine Vorgabe, eine Norm, die zur Orientierung dienen soll
Bei der Betrachtung des sprachgeschichtlichen Hintergrunds wird die Vielschichtigkeit des Begriffs deutlich: das indogermanische „lis“ (gehen) verleiht dem Wort den Aspekt des Dynamischen, während das lateinische „praestare“ (vorstehen) auf den statischen Aspekt des Wortes Leistung hinweist (vgl. Ziegenspeck 1999, S. 30)
Die beiden Aspekte findet man auch in der aktuellen Definition von Klafki (1996), nach der unter Leistung „der Vollzug und das Ergebnis einer Tätigkeit, die mit Anstrengung verbunden, auf die Erlangung eines Zieles gerichtet und auf Gütemaßstäbe und Anforderungen bezogen ist“ (Klafki, zit. nach Sacher 2001, S.1) zu verstehen ist. Aus dieser Definition von Leistung folgt, dass Leistung sowohl einen dynamischen, auf den Vollzug bezogenen als auch einen statischen, ergebnisbezogenen Leistungsbegriff impliziert
1.2 Begründung der Leistung in der Schule
„Solange es Schulen bei uns gibt, solange wurden in diesen Schulen […] Leistungen von den Schülern erwartet und gefordert“ (Schröder 1990, S. 21). Nun stellt sich aber die Frage, inwieweit die Leistungsforderung in der Schule berechtigt ist. Darüber, dass das Leistungsstreben zu den seelischen Grundbedürfnissen eines Menschen gehört, ist man sich einig, denn „etwas leisten zu wollen und leisten zu können […] ist dem Menschsein immanent“ (Jürgens 1996, S. 8). Diese Tatsache allein liefert jedoch noch keine hinreichende Begründung dafür, dass überhaupt in der Schule Leistungen gefordert werden
Nach Neill, dem Vertreter der antiautoritären Erziehung, lässt sich Leistungsforderung in der Schule auch gar nicht legitimieren, denn sie mache „unfrei“ und führe zu „verstärkten Aggressionen“ (Neill, zit. nach Schröder 1990, S. 26). Dies sei aber nur der Fall, so Schröder (vgl. ebd.), wenn Leistung als Mittel der Unterdrückung eingesetzt und Leistungsanforderungen mit Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden
Bei dieser einseitig negativen Argumentationsweise wird jedoch die erzieherische Funktion der Leistung außer Acht gelassen. Die Leistungsforderungen in der Schule sind nämlich durchaus legitim, wenn sie einen Beitrag zur Förderung der kindlichen Persönlichkeit leisten. Nach Klafki (1974) kann „der Sinn der Leistung nie vollständig in ihr selbst liegen“ (Klafki, zit. nach Schröder 1990, S. 27). Die Schule darf Leistungen fordern, aber nur, solange sie die Bewältigung der Aufgaben ermöglicht, die zur Mündigkeit, Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit der jungen Menschen führen können (vgl. ebd.)
Solange Leistung also zur Bildung und Entfaltung der Persönlichkeit beiträgt, sind Anstöße von außen durchaus zulässig und nach Kant sogar notwendig, da ein Mensch ohne diesen Antrieb sein Potential nicht ganz ausschöpfen würde. Der Mensch muss sich nämlich großen Anstrengungen unterziehen, um seine Faulheit zu überwinden und sich somit aus der Unmündigkeit zu befreien. Da die Ziele der Bildung und der Selbstverwirklichung ohne Leistungsbereitschaft nicht erreicht werden können, hat Leistung auch in der Schule ihre Legitimation. (Vgl. Schilmöller 1990, S. 11)
Diese Überlegungen lassen den Schluss zu, dass Leistung in der Schule nur in ihrer pädagogischen Funktion gesehen werden sollte. In Wirklichkeit wird das Lernen und Leisten in der Schule von dem gesellschaftlichen Leistungsverständnis nicht unwesentlich beeinflusst
1.3 Gesellschaftlicher Leistungsbegriff
In der heutigen Gesellschaft wird Leistung oft auf ihren statischen Aspekt reduziert, dabei darf der prozesshafte Charakter der Leistung besonders in der Schule nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. Schröder 1990, S.13)
Nach Bartnitzki & Christiani (1987, S. 8) gehört Produktorientierung zu den Merkmalen eines nichtpädagogischen Leistungsbegriffs, welcher auf den Gesetzen des gesellschaftlichen Wettbewerbs beruht: Die von einem Mitglied der Gesellschaft erbrachte Leistung wird an bestimmten Maßstäben gemessen und dementsprechend honoriert
Nicht die Herkunft, sondern die individuell erbrachte Leistung soll über den beruflichen und sozialen Status eines jeden Menschen entscheiden. Es ist der Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft, der die Ablösung des Geburtsprinzips durch das Leistungsprinzip zur Folge hatte. Dieses sollte von nun an für eine gerechte Verteilung der Güter sorgen. (Vgl. Schwark, in: Schwark/Weiß/Regelein 1986, S. 11)
Der auf dem gesellschaftlichen Wettbewerb basierende Leistungsbegriff weist folgende Merkmale auf:
- Konkurrenzorientierung: Um jeden Preis besser sein als der andere; der ständige Wettbewerb verhindert Solidarität.
- Ausleseorientierung: Die Leistungsschwächeren werden ausgesiebt, nur die Besten kommen weiter.
- Produktorientierung: Gewinnmaximierung hat oberste Priorität. Allein das Ergebnis ist von Bedeutung
Die Übertragung des gesellschaftlichen Leistungsprinzips auf den schulischen Bereich wird von den Vertretern eines reformpädagogischen Leistungsverständnisses aus mehreren Gründen als problematisch angesehen. Normierte Anforderungen an alle Schüler zu stellen hieße nämlich, sie alle über einen Kamm zu scheren und damit deren sehr unterschiedliche Lernvoraussetzungen unberücksichtigt zu lassen. (Vgl. Bartnitzki/Christiani 1987, S. 9)
Bei der Nichtbeachtung der individuellen Ausgangsbedingungen und Fähigkeiten der Schüler würde Leistung somit einer mechanischen Selektion in leistungsstarke und leistungsschwache Kinder und nicht mehr der Entfaltung der kindlichen Persönlichkeit dienen. Dagegen gehört es zu den Grundsätzen eines reformpädagogischen Leistungsbegriffs, dass er „die Gesamtpersönlichkeit der Schüler in den Blick nimmt und den Erfolg der Schule an der Entfaltung individueller Entwicklungsmöglichkeiten misst“ (Tillmann/Vollstädt in: Beutel u.a. 1998, S. 13)
Trotz geäußerter Bedenken lässt sich nicht leugnen, dass der wirtschaftlich geprägte Leistungsbegriff sich bereits seit dem 19. Jahrhundert in der Schule etabliert hat. Dies wird vor allem an der Überbewertung der Lernergebnisse gegenüber dem Lernprozess sowie an der fehlenden inneren Differenzierung deutlich. Die Aneignung des abfragbaren Wissens steht dabei deutlich im Vordergrund und ist ausschlaggebend für den Übergang in weiterführende Institutionen
Befürwortet wird die Orientierung der Schule am gesellschaftlichen Leistungsbegriff vor allem von Vertretern der Wirtschaft, die sich davon konkurrenzfähige und damit auf das Leben und Arbeiten in einer Leistungsgesellschaft vorbereitete Nachwuchskräfte versprechen. Die Schule sei Teil der Gesellschaft, die nach dem Leistungsprinzip funktioniere und habe daher die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Schüler für das Leben und Leisten in dieser Gesellschaft gewappnet werden. (Vgl. ebd., S. 12)
Gegen diese Auffassung kommt von Sacher (2001, S. 5) der Einwand, dass unserer Gesellschaft kein einheitlicher Leistungsmaßstab zugrunde liegen würde, da die Meinungen darüber, was gute Leistung ist, deutlich auseinander gingen. Angesichts der existierenden sozialen und ökonomischen Einflüsse könne von einer Chancengleichheit und damit auch von einer Leistungsgesellschaft keine Rede sein (vgl. ebd.)
Dies sei an einem Beispiel aus der Grundschule verdeutlicht: Ein Kind aus einer Akademikerfamilie kommt vermutlich mit bestimmten Vorkenntnissen in die Grundschule, weil seine Eltern großen Wert auf eine gute Schulbildung legen und es daher für wichtig halten, das Kind zusätzlich zu fördern. Anders ist die Situation bei einem Grundschulkind aus einer Arbeiterfamilie, dessen Eltern aus zeitlichen und ökonomischen Gründen sich nur wenig um die Förderung ihres Kindes kümmern können. Auch wenn es am Ende der Grundschulzeit eine Gymnasialempfehlung bekommt, könnte ihm ein höherer Bildungsweg dennoch verwehrt bleiben, weil die Eltern die Meinung vertreten, ihrem Kind sei mit einem Hauptschulabschluss und einem „anständigen Beruf“ besser gedient
Angesichts der vielen anderen Verteilungsprinzipien (z.B. Beliebtheitsprinzip oder Herkunftsprinzip), die neben dem Leistungsprinzip in unserer Gesellschaft eine Rolle spielen, wäre es somit pädagogisch falsch die Schüler im Glauben zu lassen, es käme in unserer Gesellschaft ausschließlich auf Leistung an (vgl. Jürgens in: Beutel/Vollstädt 2000, S. 16)
Aber auch wenn wir eine Gesellschaft wären, die sich ausschließlich am Leistungsprinzip orientiert, hat sich vor allem die Grundschule zur Aufgabe zu machen, „jedem einzelnen Kind eine positive Selbsterfahrung zu ermöglichen, Geborgenheit zu vermitteln und das Gefühl für das eigene Wert zu stärken“ (SVBI 5/81, Lernen in der Grundschule, S. 119)
Es ist also enorm wichtig den Kindern erst einmal die Möglichkeit zu geben, eine starke Persönlichkeit mit Selbstvertrauen und Lebensmut zu entwickeln, damit sie später dem Leistungsdruck im Berufsleben standhalten können. Daraus folgt, dass es besonders im Falle der Grundschule einen anders definierten Leistungsbegriff bedarf
1.4 Pädagogischer Leistungsbegriff
Nach Bartnitzki & Christiani (1987, S. 9) kann nur dann von einem pädagogischen Leistungsbegriff die Rede sein, wenn dieser dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Grundschule gerecht wird. Dieser lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die (Grund-)Schule soll:
- allen Schülern Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten vermitteln
- unter Berücksichtigung vorschulischer Erziehung und individueller Lernfähigkeiten ihren Beitrag zur Weiterentwicklung der kindlichen Persönlichkeit leisten
- bei allen Kindern die Voraussetzungen für schulisches Lernen schaffen und ihrem Anspruch auf optimale Förderung gerecht werden
- zur Selbständigkeit der Schüler beitragen und ihr Vertrauen in eigene Fähigkeiten stärken
- zur Herausbildung sozialer und mitmenschlicher Fähigkeiten beitragen
- zu solidarischem Verhalten und toleranter Haltung den Mitmenschen gegenüber
(vgl. NSchG 1994, S. 22f; SVBI 5/81, S. 113f)
Aus diesen zentralen Aufgaben der Schule lassen sich folgende Merkmale eines pädagogischen Leistungsbegriffs ableiten:
1.4.1 Merkmale des pädagogischen Leistungsverständnisses
1. Leistung ist produkt- und prozessorientiert
In der Schule dominiert ein Leistungsverständnis, das durch das Abfragen der Ergebnisse von schulischen Leistungen gekennzeichnet ist (schriftliche Tests, Beherrschung normierter Fertigkeiten). Dabei sind die prozessualen Aspekte des schulischen Lernens mindestens genauso wichtig. In diesem Sinne betont auch Klafki (1975):
„Es bedarf der Entwicklung von Leistungskriterien, die sich auf geistige Prozesse beziehen, z.B. den Vollzug von Kommunikation im Unterricht, die Entwicklung einer Kritik […], den Vorgang einer mathematischen Problemlösung, usf.“ (Klafki 1975, S. 529)
Auch Jürgens (in: Beutel/Vollstädt 2000, S. 22) ist der Ansicht, dass ein in erster Linie produktorientiertes Leistungsverständnis die Bemühungen des Schülers auf dem Weg zum Ziel unberücksichtigt lässt; das Lernergebnis wird damit unberechtigterweise dem Lernen gleichgesetzt. Ferner weist er darauf hin, dass bei Kindern, angesichts des mangelnden Interesses ihrer Eltern für den Lernweg mit all seinen Höhen und Tiefen, der Eindruck entstehe, es käme beim Lernen nur auf registrierbare und vergleichbare Ergebnisse an
Die Lehrkraft kann dieser Engführung entgegenwirken, indem sie neben der Bewertung am Ende des Arbeitsprozesses auch prozessbegleitende Rückmeldungen liefert, denn „wer Schüler bewertet, [muss] ausdrücklich erwähnen, dass dazu eine Berücksichtigung der jeweils individuell unternommenen Anstrengungen [gehört]“ (Floreck 1999, S. 40)
2. Leistung ist individuelles und soziales Lernen
Die Schule kann eine Verbindung zwischen dem individuellen und dem gemeinsamen Leisten herstellen, indem sie „um die Ausbildung eines Arbeits- und Sozialverhaltens bemüht ist, das von einem Miteinander und der wechselseitigen Anregung und Ergänzung in gemeinsamen Vorhaben getragen wird, ohne dabei die Entwicklung einer unverwechselbaren Ich-Identität behindern oder unterdrücken zu wollen“ (Jürgens in: Beutel/Vollstädt 2000, S. 23)
Dies steht mit dem Erziehungsauftrag der Schule im Einklang, die Heranwachsenden zur Kooperation und Solidarität sowie zur Hilfe gegenüber Schwächeren und Benachteiligten zu erziehen. In einer Wettbewerbsatmosphäre des Frontalunterrichts kann solidarisches Verhalten der Lernenden jedoch kaum erwartet werden. Ein differenzierender Unterricht dagegen, in dem in Gruppen-, Frei- und Projektarbeit Aufgaben gemeinsam gelöst und diskutiert werden, baut Konkurrenzverhalten ab und schafft eine günstige Grundlage für Lernkooperation unter Schülern (vgl. Tillmann/Vollstädt in: Beutel u.a. 1998, S. 16)
Auch Klafki (1985, S. 176) ist der Ansicht, dass „Lernen und Leisten […] viel stärker als bisher in Gruppen vollzogen werden [sollten]; die individuelle Leistung sollte primär an ihrem Beitrag zur Lösung gemeinsamer Aufgaben gemessen werden und zugleich an ihrem Beitrag zum Lernfortschritt aller Mitglieder einer Gruppe […]“ (ebd.)
Zu den Merkmalen des pädagogischen Leistungsbegriffs zählt somit auch, dass Schüler sich gegenseitig beim Lösen von Aufgaben und Lernproblemen unterstützen
3. Leistung ist problemmotiviertes und vielfältiges Lernen
„Selbstgesteuerte Tätigkeit ist die intensivste Form des Lernens“ stellt Jürgens (in: Beutel/Vollstädt 2000, S. 23) treffend fest. Im herkömmlichen lehrerzentrierten Unterricht findet Lernen im Gleichschritt statt. Bei genormten Anforderungen und genormten Lernzeit ist es dem Kind kaum möglich, ein Unterrichtsthema selbständig und in seinem individuellen Lerntempo zu bearbeiten. In so einem Unterricht bleibt kein Raum für aktives und selbstgesteuertes Lernen (vgl. ebd.)
Die Schule muss also Lernsituationen schaffen, welche die kindliche Neugier wecken und sie zum Selbsttätigwerden anregen. Offene Formen des Unterrichts wie Wochenplanunterricht oder Freie Arbeit geben, im Gegensatz zum Frontalunterricht, den Kindern die Möglichkeit selbständig ihr Wissen zu erweitern, die Lernzeit aktiv zu nutzen und Verantwortung für das eigene Lernen zu entwickeln. (Vgl. Bartnitzki/Christiani 1987, S. 17)
Die in so einem Kontext gestellten Lernaufgaben sollten möglichst viele unterschiedliche Bereiche der Lernkompetenz aktivieren, d.h. neben dem kognitiven sollte auch kooperatives, kreatives, analytisch-abstraktes und entdeckendes Lernen stattfinden. Diesbezüglich betont Schröder (1990, S. 37), dass die Entwicklung der o.g. vielfältigen Kompetenzen für die Persönlichkeitsentfaltung des Kindes mindestens genauso wichtig ist wie die Schulung seiner geistigen Fähigkeiten
Es bedarf folglich eines Leistungsverständnisses, das selbsttätiges Lernen im Unterricht favorisiert und damit den Schülern die Möglichkeit bietet sach- und problemorientierte Leistungsmotivation zu entwickeln (vgl. Tillmann/ Vollstädt in: Beutel u.a.1998, S. 16)
In der Grundschule ist dieses vielfältige Lernen im Hinblick auf die verschiedenartigen Eingangsvoraussetzungen der Kinder besonders wichtig. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer am Individuum orientierten Förderung, die dem Prinzip des Lernens im Gleichschritt, d.h. an alle Kinder zur gleichen Zeit die gleichen Anforderungen zu stellen, deutlich widerspricht. (vgl. Jürgens 1998, S. 126)
4. Leistung ist norm- und zweckbezogen
Um eine Leistung bestimmen und anschließend bewerten zu können, muss eine Norm festgelegt werden, die vorgibt welche Merkmale ein Lernprozess bzw. Lernergebnis aufzuweisen hat (vgl. Tillmann/Vollstädt, in: Beutel u.a. 1998, S. 15)
Diese Vorgabe erfolgt in den meisten Fällen durch die Lehrperson und ist somit nicht frei von deren subjektiven Vorstellungen von einem angemessenen Lernverhalten. So können beispielsweise die Ansprüche eines Lehrers an eine angemessene Leistung im Fremdsprachenunterricht durchaus Unterschiede zu denen seines Kollegen aufweisen. Während der eine großen Wert auf systematisches Auswendiglernen von Vokabeln und grammatischen Regeln legt, ist der andere der Ansicht, dass ein umfangreicher Wortschatz noch keine Garantie für sprachliche Kompetenz darstellt. Er verspricht sich einen Kompetenzzuwachs bei seinen Schülern, indem er Unterrichtssituationen schafft, die zum Einsatz der erworbenen Inhalte anregen. Dass die Schüler sich in einfachen Sätzen verständigen können, ist ihm wichtiger als das Einprägen unzähliger Vokabeln. Durch den Austausch und Kooperation unter den Lehrkräften könnten derartige Differenzen zwischen den Leistungsansprüchen deutlich reduziert werden
Schließlich muss der Sinn der schulischen Leistung für die Schüler transparent sein. Sie müssen über das zu erreichende Ziel in Kenntnis gesetzt werden. Noch wirkungsvoller als eine Zielangabe sind Anlässe, welche bei den Kindern das Interesse für die Sache wecken und sie dadurch im Sinne der intrinsischen Motivation zum Lernen und Leisten anregen. (Vgl. ebd.)
5. Leistung unterliegt einer Selbst- und Fremdbeurteilung
Wie bereits geschrieben, sollten Schüler durch die Lehrperson über den Sinn und Zweck ihrer Leistungen sowie über die jeweiligen Beurteilungskriterien aufgeklärt werden. Effektiver wäre es jedoch die Schüler in diesen Begründungs- und Beurteilungsprozess einzubeziehen (vgl. Klafki 1975, S. 530)
Auf diese Weise hätten die Schüler selbst die Möglichkeit, kritische Überlegungen im Hinblick auf die erbrachte Leistung anzustellen, sie auf gelungene und weniger gelungene Momente hin zu untersuchen. Das Reflektieren über den eigenen Leistungsprozess würde zur Entwicklung der Fähigkeit zur Selbsteinschätzung und damit zu einem realistischen Selbstbild führen. Dies hätte wiederum zielgerichtetes und selbständiges Handeln der Schüler zur Folge. Aus diesem Grund ist es ratsam, die Fremdbeurteilung durch den Lehrer mit der Selbstbeurteilung der Schüler zu kombinieren. (Vgl. Bohl 2001, S. 29)
6. Leistung basiert auf Ermutigung und Anerkennung
Kinder brauchen Zuwendung und Geborgenheit. Diese emotionale Basis trägt zu einer positiven Arbeits- und Lernatmosphäre im Unterricht bei, was sich vor allem auf die Leistungs- und Anstrengungsbereitschaft bei Kindern förderlich auswirken kann. Wichtig ist auch, den Lernenden bereits in der Grundschule den positiven Zusammenhang von Leistungsanstrengungen und Leistungserfolg erkennen zu lassen. Durch Erfolgerlebnisse wird nämlich das Selbstbewusstsein der Lernenden gestärkt, so dass sie ihren Lernerfolg zunehmend auf die eigenen Fähigkeiten und Anstrengungen zurückführen werden
Damit aber der Schüler Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten aufbauen kann, sollte die Lehrperson auf die Angemessenheit der gestellten Leistungsansprüche achten. Ist der Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe nicht zu leicht und nicht zu schwer, stellt sich ein „wohldosiertes Diskrepanzerlebnis“ ein, was nach Heckhausen (in: Schröder 1990, S. 35) eine besonders motivierende Wirkung auf den Schüler habe
Sollte das Kind dennoch auf Hindernisse auf dem Weg zum Lernziel stoßen, ist es die Aufgabe des Lehrers durch Ermutigung und einfühlsame Beratung dem Kind bei der Überwindung dieser Hürden zu helfen. Jürgens sieht in dieser Art von Unterstützung eine überaus wichtigste Aufgabe für die (Grund-)Schule, nämlich „allen [Kindern] die Chance und notwendige Hilfe zum sinnvollen „Leisten-Wollen“ zu geben“ (Jürgens 1998, S. 124)
Obwohl Leistung zur Persönlichkeitsentfaltung beiträgt und zu den Grundbedürfnissen des Menschen zählt, darf vor allem in der Grundschule nicht vergessen werden, dass schulischer Unterricht sich nicht auf das Erbringen von Leistung beschränken darf. Kinder brauchen auch leistungsfreie Räume, in denen sie sich auch spielerisch betätigen und ihren Emotionen freien Lauf lassen können, denn Spielen bildet eine wichtige Voraussetzung für die Entfaltung der kindlichen Persönlichkeit. (Vgl. Schröder 1990, S. 38)
1.5 Fazit:
Offensichtlich liegen den beiden Leistungsbegriffen, dem pädagogischen und dem gesellschaftlichen, teilweise sehr unterschiedliche Merkmale zugrunde. Im Gegensatz zum gesellschaftlichen Leistungsverständnis, das nur an überprüfbaren Resultaten orientiert ist, erlaubt das pädagogische Leistungsverständnis die Lernbiographie des Kindes, d.h. seine individuellen Lern- und Entwicklungsprozesse, mitzuberücksichtigen. Den jeweiligen Lernbedingungen, dem Zustandekommen einer schulischen Leistung wird damit Rechnung getragen
Dem gemeinschaftlichen Lernen wird im Falle des pädagogischen Leistungsverständnisses ein hoher Stellenwert beigemessen, denn schulisches Lernen ist nicht nur das Produkt individueller Anstrengung, es findet auch in Kooperation mit den Mitschülern statt. Allen Schülern wird Anspruch auf Förderung und Anerkennung zugestanden, damit wird der Orientierung an der Auslese widersprochen
Dieser Leistungsbegriff verdient es pädagogisch genannt zu werden, weil „es den ganzen Menschen einbezieht, Persönlichkeitsbildung und Wissensvermittlung gleichermaßen berücksichtigt und unterschiedliche Lerndimensionen herausfordert“ (Jürgens in: Beutel/Vollstädt 2000, S. 20)
Die Schule braucht also ein Leistungsverständnis, das nicht nur auf die kognitive und inhaltlich-fachliche Dimension verkürzt bleibt, sondern methodisch-strategisches, sozial-kommunikatives und emotionales Lernen favorisiert (vgl. Vogelsberger 1995, S. 7)
In diesem Zusammenhang stellt sich allerdings die Frage, inwieweit die gängigen Bewertungsmechanismen diesem weitgefassten Leistungsbegriff auch gerecht werden können
2. Einführung in die Thematik schulischer Leistungsbewertung
2.1 Zur Entstehungsgeschichte von Zensuren und Zeugnissen
Die im 16. Jahrhundert eingeführten Benefizienzeugnisse sind die wichtigsten Vorläufer der uns heute bekannten Schulzeugnisse. Diese Empfehlungsschreiben enthielten eine Beurteilung der erbrachten Leistungen und sollten begabten, aber mittellosen Schülern den Zugang zu kostenloser Verpflegung und finanzieller Unterstützung in Form eines Stipendiums ermöglichen. „Die ersten Zeugnisse dienten also der Erlangung von wirtschaftlichen Vergünstigungen im Interesse des Schulbesuchs“ (Dohse 1967, S. 11). Mittels der Benefizienzeugnisse wurden aber nur Kinder aus ärmlichen Verhältnissen einer Auslese im Hinblick auf Begabung unterworfen. Kinder aus privilegierten Familien waren auf diese Art von finanzieller Unterstützung und somit auch auf Benefizienzeugnisse nicht angewiesen
Auch von der Einführung des Reifezeugnisses, das den Zugang zur Universität ermöglichen sollte, waren zunächst nur die mittellosen Schüler betroffen. Erst im 19. Jahrhundert erlangte das Reifezeugnis seine Berechtigungsfunktion für alle und wurde damit als notwendige Bedingung für den Zugang zu den Universitäten anerkannt. Dahinter verbarg sich die Absicht der deutschen Fürstenhäuser, unerwünschte Entwicklungen in den Universitäten zu unterbinden sowie die politischen Neigungen der Studienanwärter zu kontrollieren. Das Zeugnis hat bis heute die Aufgabe, den Zugang zur Universität inhaltlich und formal zu regeln
Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die allgemeine Schulpflicht und damit auch das Abgangszeugnis eingeführt. Durch dieses wurde dem Schulabgänger eine ordnungsgemäße Erfüllung der Schulpflicht bescheinigt. Ohne das Entlassungszeugnis blieb einem die Möglichkeit einer Ausbildung weitgehend verwehrt
Die ursprünglichen Funktionen von Zeugnissen waren also die der Selektion, der Kontrolle und der Sozialisation, deren Auswirkungen zunächst nur die unteren Bevölkerungsschichten zu spüren bekamen (vgl. Sacher 2001, S. 7f)
Heute gibt es an den meisten Schulen zweimal jährlich Zeugnisse. Das erste Zeugnis bekommen die Kinder am Ende des ersten Schuljahres (in manchen Bundesländern bereits nach dem 1. Halbjahr). Ab der zweiten Klasse wird am Ende der ersten Schuljahreshälfte ein Halbjahreszeugnis erteilt, dem am Schuljahresende ein Klassenendzeugnis folgt. Durch das Abschlusszeugnis wird der ordnungsgemäße Schulbesuch bescheinigt
Eine Bewertungspraxis in Form von Zensuren und Zeugnissen war jedoch nicht immer ein Bestandteil der Schule. Sacher (2001, S. 8f) vermutet hinter dem Ersatz freier Formulierungen durch Ziffernnoten das Bestreben, die schulische Selektion zu vereinfachen und ihr damit einen Anschein von Objektivität zu geben
Arnold & Jürgens (2001, S. 5) dagegen sind der Meinung, dass Zensuren ursprünglich zur Differenzierung der Schüler einer Klasse dienen sollten. Die räumliche Sitzordnung war früher, so die Autoren, von der Memorierfähigkeit der Schüler abhängig, d.h. je besser die Leistung im Memorieren war, desto weiter vorne durfte der Schüler im Klassenraum sitzen. Die zahlenmäßige Kennzeichnung der Sitzordnung soll schließlich dazu geführt haben, dass Leistungsstufen mittels einer Ziffer ausgedrückt wurden. Eine Leistungsverbesserung ermöglichte dem Schüler einen Platz weiter vorne einzunehmen bzw. „versetzt“ zu werden, was das Zustandekommen des heutigen Begriffs der „Versetzung“ in die nächst höhere Jahrgangsstufe erklärt
Die Entstehung der sechsstufigen Zensurenskala lässt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Von ihr versprach man sich die Erfüllung der Anreiz- und der Klassifikationsfunktion. Der Anreizfunktion lag die Annahme zugrunde, dass jeder Schüler den Wunsch hat mehr zu leisten, um bessere Noten zu bekommen und somit in der Klassenhierarchie aufzusteigen. Der damaligen Zensurenskala lag also eine soziale Bezugsnorm zugrunde, d.h. die Leistungen der Schüler wurden am Klassendurchschnitt gemessen, was auch an den Bezeichnungen für die einzelnen Stufen, nämlich: optimus, bonus, mediocris, dubius, retinendus und rejiciendus zu erkennen war (vgl. Arnold/Jürgens 2001, S. 6)
2.2 Leistungsbewertung in der Grundschule: Rechtsgrundlagen und amtliche Bestimmungen
Die Grundschule umfasst in Niedersachsen die ersten vier Schuljahre. Nach dem Niedersächsischen Schulgesetz besteht die zentrale Aufgabe der Grundschule in der Vermittlung von Grundkenntnissen und Grundfertigkeiten sowie in der Entwicklung der verschiedenen Fähigkeiten einzelner Schüler (vgl. NSchG 1994, § 6, S. 35)
Dabei muss sie „an die individuellen Lernerfahrungen und Lernfähigkeiten der Kinder sowie an die Formen des Lernens im vorschulischen Bereich“ anknüpfen und anschließend schrittweise „zu den spezifischen Formen des Lernens in den Fächern der Grundschule“ führen. Ebenso gehört es zu ihren Aufgaben „bei Kindern mit Entwicklungsverzögerungen und Lernbeeinträchtigungen die Voraussetzungen für schulisches Lernen zu schaffen“ (SVB1 5/81, Arbeit in der Grundschule, S. 113)
Das gemeinsame Leben und Lernen in der Grundschule ist für die Kinder neu und muss daher erst einmal gelernt werden. Dabei sind die unterschiedlich entwickelten sozialen Fähigkeiten der Kinder zu berücksichtigen. Die Schüler sollen allmählich lernen „sich anderen Schülern gegenüber situationsangemessen, hilfsbereit und rücksichtsvoll zu verhalten, eigene Wünsche zurückstellen zu können, sich an Ordnungsformen zu halten, Regeln der Zusammenarbeit zu beachten, aber auch sich selbst zu behaupten und eigene Standpunkte zu vertreten“ (ebd.)
Schließlich gehört es zu den Aufgaben der Grundschule „den Schülern erfolgreiches Lernen zu ermöglichen und sich zu bemühen, ihre Lernfreude zu erhalten“ (ebd.). Wichtig ist dabei, dass den Kindern ein aktiver Umgang mit Lerninhalten ermöglicht und ihre Lern- und Leistungsbereitschaft angeregt wird
2.3 Zeugnisregelungen in der Primarstufe
Das schulische Leistungsprinzip ist seit Jahrzehnten Gegenstand heftigster Diskussionen. So heißt es in der 1970 abgegebenen Erklärung der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates:
„Das Leistungsprinzip, wie es im gesellschaftlichen Wettbewerb gilt, kann nicht auf den Bildungsprozeß der Jugendlichen oder gar des Kindes übertragen werden. Der Wettbewerb muß vielmehr in Formen eingeführt werden, die dem Alter entsprechen und frei sind von der Drohung lebenslanger Nachteile oder sozialer Deklassierung … Die Geltung des pädagogischen Leistungsprinzips in der Schule - das Prinzip der Herausforderung, die keine Angst erzeugt - muß im Zusammenhang mit einem differenzierten Lernangebot gesehen werden … So wichtig alle speziellen Lernleistungen auch sein mögen, die wesentlichen Lernziele müssen in den Lernprozessen gesehen werden, die den Grund für eine Bereitschaft zu lebenslangem Lernen legen“ (Deutscher Bildungsrat, zit. nach Ziegenspeck 1999, S. 80)
In dieser Erklärung wird die Kritik an der Leistungsbewertung durch Zensuren und der damit verbundenen „Drohung lebenslanger Nachteile“ deutlich. Die Leistungsbewertung sollte demnach mehr „dem Alter entsprechen“ und weniger produkt- und wettbewerbsorientiert sein
Die Kultusministerkonferenz der Länder nahm diese Hinweise zur Kenntnis und formulierte die neuen „Empfehlungen zur Arbeit in der Grundschule“, in denen die Bundesländer zur Abschaffung der Ziffernzensuren in den ersten beiden Klassen der Grundschule aufgerufen wurden:
„In der 1. und 2. Klasse ist eine allgemeine Aussage über die Leistungen des Kindes im Hinblick auf das Ziel dieser Schulstufe bedeutsamer, als die vorgeblich genaue Benotung der Leistungen in den einzelnen Teilgebieten des Unterrichts. In den ersten beiden Klassen ist daher jeweils am Ende eines Schuljahrs eine allgemeine Beurteilung des Kindes in freier Form im Zeugnis zu erteilen. Neben der Begutachtung des Sozial- und Arbeitsverhaltens sind Hinweise auf Interessen, besondere Fähigkeiten und Schwächen zu geben. Dabei muss umfassend festgestellt werden, ob und inwieweit die Leistungen mit der Einschätzung des geistigen Leistungsvermögens übereinstimmen“ (Kultusministerkonferenz der Länder, zit. nach Ulrich/Wöbcke 1981, S. 197)
Durch diese Empfehlungen ist im Grundschulbereich eine Reform der Zeugnisgestaltung in Gang gesetzt worden. In den meisten Bundesländern wurden noch in den siebziger Jahren für die 1. und 2. Klasse (in Schleswig-Holstein auch für die 3. Klasse) Noten- durch Berichtszeugnisse ersetzt. In Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen werden Berichtszeugnisse durch Noten ergänzt. In Berlin entscheiden der Klassenlehrer und die Mehrheit der Erziehungsberechtigten ob Noten- oder Berichtszeugnisse erteilt werden. Nur in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen werden bereits am Ende der 2. Klasse mit einem Kommentar versehene Notenzeugnisse erteilt
In Rheinland-Pfalz, Hessen, Hamburg, Bremen, Brandenburg und Berlin liegt die Entscheidung über die Zeugnisregelung im 3. und 4. Schuljahr bei den Erziehungsberechtigten sowie bei der Schulkonferenz. In Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfallen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Schleswig-Holstein (nur in der 4. Klasse) werden Notenzeugnisse bzw. Notenzeugnisse mit Kommentar erteilt. (Vgl. Ziegenspeck 1999, S. 81 f)
In Niedersachsen gelten seit 1977 folgende Zeugnisbestimmungen:
Die Zeugnisse sollen „den Stand der Lern- und Leistungsentwicklung der Schülerin oder des Schülers unter der Berücksichtigung des durchlaufenen Prozesses“ (SVB1 4/96, S. 87 f) wiedergeben. Sie geben den Schülern, den Eltern sowie den weiterführenden Einrichtungen Auskunft über Lernerfolge, aber auch über Lernschwierigkeiten in einem bestimmten Zeitraum (vgl. ebd.)
Am Ende des 1. Schuljahres und im 2. Schuljahr pro Halbjahr werden Berichtszeugnisse (Lernentwicklungsberichte) erteilt. Diese enthalten Aussagen über die Lernstände des Schülers in den Lehrgängen, über seine Interessen, Fähigkeiten, Fertigkeiten sowie über das Arbeits- und Sozialverhalten (im Erlass von 1977 werden nur Aussagen zum Arbeitsverhalten empfohlen, die Beschreibung des Sozialverhaltens ist erst mit dem Erlass von 1996 eingeführt worden). Die Zeugnisse können entweder in standardisierter Form (vgl. SVB1 4/96, S. 90) oder als frei gestaltete Berichtszeugnisse erteilt werden. Die Aussagen über Lernschwächen sollen „sehr vorsichtig formuliert“ (SVB1 6/77, S. 158) und durch Hinweise auf Fördermöglichkeiten ergänzt werden
Im 3. und 4. Schuljahr gibt es halbjährlich Notenzeugnisse mit einem zusätzlichen Kommentar zum Arbeits- und Sozialverhalten sowie zu besondern Interessen und Fähigkeiten des Schülers. Hinweise zur weiteren Förderung können unter „Bemerkungen“ aufgeführt werden. (Vgl. SVB1 4/96, S. 87 f)
Die Noten in den einzelnen Fächern werden vom Fachlehrer festgesetzt
„Da jedoch die Einzelfachnoten für die Entscheidungen der Konferenzen über Versetzungen, Abschlüsse und Übergänge von Bedeutung sind, haben diese das Recht und die Pflicht, die Notengebung des einzelnen Lehrers zu überprüfen, soweit ein Anlass dazu besteht“ (NSchG, § 35, S. 101), [z.B. wenn sich die Note innerhalb kurzer Zeit um mehr als eine Stufe verändert hat]
Gemäß Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 3.10.1968 sind in allen Bundesländern folgende Notenbezeichnungen und Notenziffern zu verwenden (SVB1 4/96, S. 88):
- Die Note sehr gut (1) soll erteilt werden, wenn die Leistung den Anforderungen im besonderen Maße entspricht.
- Die Note gut (2) soll erteilt werden, wenn die Leistung den Anforderungen voll entspricht.
- Die Note befriedigend (3) soll erteilt werden, wenn die Leistung im Allgemeinen den Anforderungen entspricht.
- Die Note ausreichend (4) soll erteilt werden, wenn die Leistung zwar Mängel aufweist, aber im Ganzen den Anforderungen noch entspricht.
- Die Note mangelhaft (5) soll erteilt werden, wenn die Leistung den Anforderungen nicht entspricht, jedoch erkennen lässt, dass die notwendigen Grundkenntnisse vorhanden sind und die Mängel in absehbarer Zeit behoben werden können.
- Die Note ungenügend (6) soll erteilt werden, wenn die Leistung den Anforderungen nicht entspricht und selbst die Grundkenntnisse so lückenhaft sind, dass die Mängel in absehbarer Zeit nicht behoben werden können
Das Berichtszeugnis enthält Aussagen über (vgl. SVB1 6/77, S. 159 ff):
- den von dem einzelnen Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichten Stand in den Lese-, Schreib- und Mathematiklehrgängen.
- Der Schüler hat das Ziel des Leselehrgangs am Ende der 2. Klasse erreicht, wenn er Texte mit neu auftretenden Wörtern selbständig erlesen kann.
- Das Ziel des Schreiblehrgangs ist erreicht, wenn der Schüler in der Lage ist, geübte Wörter und kurze Sätze aus der Vorstellung zu schreiben.
- Das Ziel des Mathematiklehrgangs am Ende der 2. Klasse ist erreicht, wenn der Schüler in der Lage ist, die meisten Aufgaben aus dem Bereich der Logischen Schulung selbständig zu lösen und Größer-, Kleinerbeziehungen zwischen zwei Zahlen im Bereich bis 100 angeben kann. In den Bereich der Logischen Schulung gehören folgende Inhalte: Dinge und ihr Eigenschaften, Relationen, Mengenbildung, -beschreibung, -operationen sowie Spiele zur Logischen Schulung. Ferner soll der Schüler die Addition und Subtraktion im Zahlenbereich bis 100 mit einstelligen Zahlen ohne Hilfsmittel beherrschen
Bei Schülern, die diese Ziele nicht erreicht haben, ist jeweils hinzuzufügen: „ … hat das Ziel des Leselehrgangs nicht erreicht“
- das Arbeitsverhalten des Schülers. Dieses wird hauptsächlich in den folgenden Aspekten beschrieben:
- Leistungsbereitschaft und Mitarbeit
- Ziel- und Ergebnisorientierung
- Kooperationsfähigkeit
- Selbständigkeit
- Sorgfalt und Ausdauer
- Verlässlichkeit
- das Sozialverhalten des Schülers. Bei den Aussagen zum Sozialverhalten sind vor allem folgende Aspekte zu berücksichtigen:
- Reflexionsfähigkeit
- Konfliktfähigkeit
- Vereinbaren und Einhalten von Regeln / Fairness
- Hilfsbereitschaft und Achtung anderer
- Übernahme von Verantwortung
- Mitgestaltung des Gemeinschaftslebens.
- Interessen, Fähigkeiten und Fertigkeiten des Schülers. Die Aussagen sollen Aufschluss über das Lernverhalten des Schülers in Unterrichtsbereichen geben, welche durch die Beschreibung der Lernstände und des Arbeitsverhaltens noch nicht angesprochen wurden (vgl. SVB1 4/96, S. 89)
Die Bewertung des Arbeits- und Sozialverhaltens erfolgt durch Beschluss der Klassenkonferenz auf Vorschlag des Klassenlehrers. Für die Bewertung werden jeweils folgende Abstufungen angeboten:
- verdient besondere Anerkennung
- entspricht den Erwartungen in vollem Umfang
- entspricht den Erwartungen
- entspricht den Erwartungen mit Einschränkungen
- entspricht nicht den E
Die Gesamtkonferenz entscheidet zusammen mit dem Schulelternrat und dem Schülerrat im Grundsatz, ob die Klassenkonferenz die fünf oben genannten Abstufungen ohne Hervorhebung einzelner Gesichtspunkte verwenden oder diese durch freie Formulierungen ersetzen soll. (Vgl. Erl. d. MK vom 22.03.1996, i. d. F. vom 08.02.2002, auf: www.mk.niedersachsen.de)
Zu jedem der drei Bereiche werden Formulierungsbeispiele gegeben. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass es sich um „Vorschläge“ und nicht um „verbindliche Vorgaben“ (SVB1 6/77, S. 159) handelt. Die Aufgabe des Lehrers sei es, die Aussagen so zu formulieren, dass „die Eltern in der Lage sind, der Formulierung im Zeugnis den jeweiligen Lernstand ihres Kindes zu entnehmen und diesen in den Lehrgang einzuordnen“ (ebd.). Die notwendige Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Eltern über die Inhalte der Lehrgänge und ihre Bedeutung aufgeklärt werden
Bezüglich der Form des Zeugnisses wird folgendes vorgeschrieben:
„Zeugnisse bestehen aus einem Kopfteil, der allgemeine Angaben über die Schülerin oder den Schüler enthält, einem Mittelteil, der Informationen über den erteilten Unterricht und die Bewertung enthält, sowie einem Schlussteil für besondere Informationen, für das Datum der Ausstellung und für Unterschriften. Kopfteil und Schlussteil sind für alle Schulformen gleichartig. Der Mittelteil enthält die den unterschiedlichen Grundsatzerlassen und Rahmenrichtlinien der verschiedenen Schulformen entsprechenden Besonderheiten“ (www.mk.niedersachsen.de)
Umfasst ein Zeugnis mehrere Seiten, so ist auf jeder Seite der Name des Schülers oder der Schülerin sowie das Datum der Ausstellung anzugeben (vgl. ebd.)
Unter den Erläuterungen zu den Zeugnisbestimmungen wird die Notwendigkeit einer Leistungsbewertung in Form von Lernentwicklungsberichten ausdrücklich betont:
„Das Gewöhnen an organisiertes Lernen in einer Lerngruppe und damit in einem größeren Sozialgefüge wird dem Schüler im 1. und 2. Schuljahr erleichtert, wenn ihm Sicherheit durch Anerkennung seiner individuellen Leistung gegeben wird. Eine Zensierung seiner Leistung, die die Orientierung an einer Norm nahe legt, wird dieser Aufgabe jedoch nicht gerecht“ (SVB1 6/77, S. 158)
Im Gegensatz zur Bewertung durch Zensuren, welche „die leistungsstärkeren Schüler in ihrer Leistung bestätigen, die leistungsschwächeren dagegen benachteiligen“, eröffne eine freiformulierte Bewertung der Lehrperson die Möglichkeit „den Lern-, Leistungs- und Entwicklungsstand eines Schülers differenziert zu beschreiben“ und ihm damit eine „ausführliche Beurteilung seines Leistungsverhaltens“ (SVB1 6/77, S. 158) zu bieten. Aus diesen Gründen soll eine Leistungsbewertung durch Zensuren erst in der 3. Klasse erfolgen, wobei der Übergang zum Zensieren durch einen zusätzlichen Kommentar unter „Bemerkungen“ erleichtert werden kann (vgl. SVB1 6/77, S. 158)
Auf Beschluss der Gesamtkonferenz können Notenzeugnisse durch Berichtszeugnisse ergänzt werden. Ersetzt werden können die Notenzeugnisse durch Lernentwicklungsberichte allerdings nur in vollen Halbtagsschulen und Integrationsklassen. Halbjahreszeugnisse können im 3. und 4. Schuljahrgang durch eine andere angemessene Information der Eltern und der Schüler ersetzt werden. In beiden Fällen ist die Zustimmung des Schulelternrates erforderlich. (Vgl. Meyenberg 1997, S.45)
Die Grundlage für die im Zeugnis festgehaltenen Bewertungen bilden Beobachtungen im Unterricht sowie mündliche, schriftliche und andere fachspezifische Lernkontrollen. Die Ergebnisse einzelner Lernkontrollen dürfen bei der Erteilung der Zeugnisnoten nicht überbewertet werden. Bei positiver Entwicklung der Leistungen soll sich der Lehrer für die bessere Note entscheiden
Schülerbeobachtung in Verbindung mit Lernkontrollen erlaubt dem Lehrer, den Unterricht auf seine pädagogische, didaktische und methodische Qualität hin zu überprüfen und über die möglichen Verbesserungen zu reflektieren. Es ist wichtig, den Schülern die Formen und Ergebnisse der Lernkontrollen und der Leistungsbewertung zu erläutern und einsichtig zu machen. Nur so wird es den Schülern möglich sein, die Lernkontrollen und die Leistungsbewertung als „selbstverständlichen Bestandteil des Unterrichts“ (SVB1 5/81, S. 118) zu begreifen und die Einsicht in den Sinn und Zweck der Leistungsbewertung auch für die Selbstkontrolle des eigenen Lernfortschritts zu gewinnen. (Vgl. ebd.)
Die Lernentwicklung und die Leistungen des Kindes werden im Laufe des Schuljahres verfolgt und schriftlich festgehalten. Über die Form der Aufzeichnungen (frei oder strukturiert) soll die Lehrperson selbst entscheiden. Anhand dieser Notizen sollen Schüler, Eltern und andere Lehrer erkennen können, wie die Bewertung im Zeugnis zustande gekommen ist. Auch für die anschließende Beratung sind die Aufzeichnungen unverzichtbar. (Vgl. ebd.)
Für die einzelnen Unterrichtsfächer gibt das Kultusministerium die Rahmenrichtlinien vor, welche der Lehrperson als Grundlage für den Unterricht dienen sollen. Diese Rahmenrichtlinien sind an den Lernzielen orientiert, d.h. sie legen fest, welche Grob- bzw. Feinlernziele in den einzelnen Fächern zu erreichen sind. (Vgl. NSchG, §122, S. 331 f)
Wichtig ist, Schüler und Eltern rechtzeitig über die Grundsätze und Maßstäbe der Bewertung sowie ihren Zusammenhang mit den Rahmenrichtlinien aufzuklären. Ferner soll die Lehrperson noch vor der Zeugniserteilung mit den Schülern deren Lernfortschritte sowie den aktuellen Lernstand besprechen. Solchen Gesprächen können sowohl die Schüler als auch der Lehrer für die Selbstkontrolle wichtige Informationen entnehmen. Schülerberichte, in denen die Lernenden ihre Leistungsentwicklung und Bewertung festhalten, können Lehrer ebenfalls zur Selbstkontrolle heranziehen. (Vgl. SVB1 4/96, S. 88)
2.4 Fazit
Den Zeugnisbestimmungen zur Folge erhalten niedersächsische Schüler der 1. und 2. Klasse seit 1977 keine Noten mehr. Stattdessen gibt es Berichtszeugnisse, in denen die Lehrkraft den Stand der Lern- und Leistungsentwicklung des einzelnen Schülers beschreibt. Diese Regelung entsprang der Erkenntnis, dass Kinder mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen in die Schule kommen. Sie unterscheiden sich in ihrem Vorwissen, in ihrer Lernfähigkeit, Lerngeschwindigkeit, Motivation, usw. Eine Leistungsbewertung durch Zensierung, der eine lernzielorientierte Bezugsnorm zugrunde liegt, würde diese individuellen Unterschiede außer Acht lassen. Sie könnte daher den Schülern nicht gerecht werden, da sie in erster Linie die Lernleistungen des Elternhauses und des sozialen Umfeldes des Kindes beurteilen würde
Ein weiteres Argument für die Einführung von Berichtszeugnissen bestand darin, dass Leistungsbewertung die Lernprozesse, d.h. die individuelle Leistung auf dem Weg zum Lernziel, stärker berücksichtigen sollte, denn nur so könnte die Grundlage für das lebenslange Lernen gelegt werden. Im Gegensatz zu Noten eröffne die freie Formulierung der Lehrkraft die Möglichkeit, dem Schüler eine differenzierte Rückmeldung über seine Lernfortschritte, aber auch über seine Lernschwierigkeiten zu geben sowie Hinweise auf Fördermöglichkeiten zu formulieren
Diese und ähnliche Überlegungen führten schließlich zu der Einsicht, dass Berichtzeugnisse den Ansprüchen einer pädagogischen Leistungsbewertung eher genügen und daher zumindest in den ersten beiden Klassen der Grundschule eine geeignetere Bewertungsform als Notenzeugnisse darstellen. Vom 3. Schuljahr an werden die Schülerleistungen in Niedersachsen (sowie in den meisten anderen Bundesländern) nach dem herkömmlichen Zensurensystem bewertet. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Schüler am Ende der 2. Klasse einen einheitlichen Leistungsstand erreicht haben (vgl. Meyenberg 1997, S. 15)
Die Realität zeigt allerdings, dass die Unterschiede im Leistungsstand während der gesamten Schulzeit vorhanden sind. In diesem Sinne heißt es bei Arnold & Jürgens: „Schulisches Lernen und schulischer Unterricht haben in jeder Schulstufe und jeder Schulform grundsätzlich von der Heterogenität ihrer Schülerschaft auszugehen, statt der Fiktion von homogener Lern- und Arbeitsgruppen vergeblich nachzujagen“ (Arnold/Jürgens 2001, S. 25)
So werden die Schüler am Ende der 3. Klasse zwar über bestimmtes gemeinsames Grundwissen verfügen. Sie werden sich aber vermutlich weiterhin in ihrer Lernfähigkeit, Lerngeschwindigkeit und Lernmotivation unterscheiden. Es wird sicherlich auch in der dritten und vierten Klasse Schüler geben, die unter enormen Anstrengungen ihren Leistungsstand im Rechnen oder Rechtschreiben verbessern und ihre Fehlerzahl auf ein Minimum reduzieren konnten sowie es sog. „Selbstläufer“ geben wird, die dasselbe Ergebnis relativ mühelos erreicht haben, ohne dabei „ihr Bestes“ gegeben zu haben
Sobald Zensuren erteilt werden müssen, kann der individuelle Fortschritt und die damit verbundenen Anstrengungen der einzelnen Schüler nicht mehr berücksichtigt werden, denn es ist untersagt, gleichwertige Leistungen unterschiedlich zu bewerten. Der Fleiß eines leistungsschwächeren Schülers darf vom Lehrer nicht besser benotet werden als die Arbeitsschwäche eines leistungsstärkern, weil er damit gegen das Gebot der „Gleichheit vor der Zensur“ (Meyenberg 1997, S. 13) verstoßen würde. Damit steht diese Vorschrift im Widerspruch zu einem bedeutsamen Merkmal des pädagogischen Leistungsbegriffs, nämlich dem Anspruch jedes Schülers auf Anerkennung der individuellen Lernleistung
Die gesetzlichen Vorschriften zur schulischen Leistungsbeurteilung lassen aber auch alternatives Vorgehen einzelner Schulen zu:
„Einzelne Schulen können einen von den Regelungen dieses Erlasses abweichenden Schulversuch erproben. Ausführlich begründete Anträge sind auf dem Dienstwege vorzulegen. Die Genehmigung erteilt die oberste Schulbehörde“ (SVB1 5/81, S. 119)
Ferner können an vollen Halbtagsschulen Notenzeugnisse durch Berichtszeugnisse ersetzt werden (auf Beschluss der Gesamtkonferenz und mit Zustimmung des Schulelternrates)
Den einzelnen Schulen wird somit die Möglichkeit eingeräumt, über ihre Beurteilungspraxis auch in der dritten und vierten Klasse zu entscheiden. Diese Möglichkeit wird bereits seit Jahren von Versuchsschulen wie z.B. von der Bielefelder Laborschule, von Montessori-Schulen sowie von einer Reihe anderer Schulen wahrgenommen
3. Bezugsnormen der Leistungsbewertung
„Bewerten kann man etwas nur in bezug auf die Norm“ stellt Sacher (1994, S. 49) treffend fest. Bevor man also über eine schulische Leistung urteilen kann, sollte der Zielpunkt des Bezuges festgelegt werden. Bei der Bewertung von Schülerleistungen können folgende Beurteilungsmaßstäbe, einzeln oder auch kombiniert, herangezogen werden
3.1 Die subjektorientierte (individuelle) Bezugsnorm
Diese Bezugsnorm bezieht sich auf den persönlichen Lernfortschritt des Kindes. Dabei wird die aktuell erreichte Leistung mit seinen früheren Leistungen verglichen, um festzustellen ob sich der Schüler in seiner individuellen Lernentwicklung verbessert hat. So werden die Leistungen des Lernenden unter der Berücksichtigung seiner individuellen Ausgangslage bewertet. (Vgl. Tillmann/Vollstädt, in: Beutel u.a. 1998, S. 18)
Nach Bartnitzky & Christiani (1987, S. 21) sollte der individuelle Beurteilungsmaßstab für die gesamte Grundschulzeit gelten. In Niedersachsen kann dieses Bezugssystem in der Regel nur in den ersten beiden Grundschulklassen zum Einsatz kommen, da hier die Leistungsbewertung in Berichtsform vorgeschrieben ist. In den folgenden Klassen sind die Lehrer verpflichtet Noten zu erteilen und haben sich damit bei der Leistungsbewertung an den im Lehrplan vorgeschriebenen Lernzielen zu orientieren, so dass der individuelle Maßstab zwangsläufig in den Hintergrund gerät
Herbert betont dennoch, dass die Orientierung am persönlichen Lernfortschritt des Kindes den anderen Maßstäben vorzuziehen ist, indem er schreibt:
„Der Erzieher vergleicht seinen Zögling nicht mit anderen, er vergleicht ihn mit sich selbst. Er vergleicht das, was der junge Mensch wird, mit dem, was derselbe vermutlich werden könnte. Er ist mit keinem zufrieden, der hinter sich selbst zurückbleibt, und mit keinem unzufrieden, welcher soviel wird, als man vermutlich von ihm erwarten durfte“ (Herbert, zit. nach Bartnitzky/Christiany 1987, S. 21)
Besonders in der integrativen Didaktik darf der individuelle Maßstab bei der Leistungsbeurteilung nicht fehlen. Eine Leistungsbeurteilung, der ein Vergleich mit dem Leistungsstand nichtbehinderter Kinder zugrunde liegt, würde die enormen Anstrengungen behinderter Kinder, die sie für jede auch so kleine Verbesserung ihrer Leistung aufbringen müssen, nicht hinreichend würdigen (vgl. Arnold/Jürgens 2001, S. 64)
Schließlich sollte die Feststellung, dass das Kind weit von seinem möglichen Leistungsstand entfernt geblieben ist, den Lehrer dazu veranlassen, über seinen Unterricht kritisch zu reflektieren und sich die Frage nach besseren Fördermöglichkeiten für das Kind zu stellen
3.2 Die lernzielorientierte (sachliche) Bezugsnorm
Im Zentrum dieser Bezugsnorm steht die Frage nach dem Leistungsstand des Schülers hinsichtlich der gesetzten Anforderungen: Welche Lernziele sind bereits erreicht worden? Welche müssen noch erreicht werden? Auf diese Weise gelangt der Lehrer an die notwendigen Informationen zum aktuellen Lernstand des Kindes. Daraus kann er dann schlussfolgern, wo ein Schüler noch Wissenslücken aufweist und wie er seinen Unterricht gestalten muss, damit der Schüler diese Lernrückstände beheben kann. Schließlich gibt der anforderungsbezogene Maßstab Auskunft darüber, ob die zu erreichenden Lernziele nicht zu hoch gesteckt worden sind
In den Bereichen, wo jedes Kind am Ende der Grundschulzeit über ein bestimmtes Grundwissen verfügen muss, dürfen derartige Überlegungen zum Entwicklungsstand des Schülers in Bezug auf die Lernziele nicht fehlen. Der Lernende sollte in diese Überlegungen miteinbezogen werden, indem er vom Lehrer darüber informiert wird, inwieweit die erbrachten Leistungen den gestellten Anforderungen gerecht werden und wo noch Nachholbedarf besteht
Der Rückmeldung in Form einer Ziffernnote kann der Schüler höchstens entnehmen, ob er das Lernziel erreicht, teilweise erreicht oder gar nicht erreicht hat. Ohne ein zusätzliches Kommentar von der jeweiligen Lehrperson erfährt der Lernende nichts Konkreten darüber, welche Lernziele er wie gut erreicht hat und an welchen Stellen zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen sind, um dem Ziel näher zu kommen
Ferner erlaubt der anforderungsbezogene Maßstab keinen Aufschluss darüber, unter welchen individuellen Anstrengungen das Kind den aktuellen Lernstand erreicht hat. Besonders auf leistungsschwache Kinder könnte eine Leistungsbeurteilung, die ausschließlich der Frage nachgeht, ob das Lernziel erreicht wurde oder nicht, auf Dauer eine entmutigende Wirkung haben. (Vgl. Bartnitzky/Christiani 1987, S. 21)
3.3 Die vergleichsorientierte (soziale) Bezugsnorm
Diese Norm wird angewandt, wenn Einzelleistung eines Kindes mit der Verteilung der Leistungen in der Lerngruppe verglichen wird. Anhand dieses Vergleichs setzt der Lehrer eine Durchschnittsleistung fest, die ihm als Orientierungspunkt dienen und erlauben soll, die Einzelleistungen als durchschnittlich bzw. unter- oder überdurchschnittlich einzustufen
Die meisten Lehrer verfahren dabei wie folgt: in den schriftlichen Arbeiten ermitteln sie die Anzahl der Fehler oder die Anzahl von Punkten, die bei Richtiglösungen vergeben werden und erstellen auf der Basis dieser Summenwerte eine Art Leistungsskala, welche sie bei der Bewertung der Einzelleistungen heranziehen (vgl. Arnold/Jürgens 2001, S. 45)
Die Problematik dieser Vorgehensweise wird deutlich wenn zwei Schüler mit der gleichen Fehlerzahl die gleiche Note bekommen sollen. Es ist zu bezweifeln, dass ein Schüler, der für eine Sachaufgabe einen originellen Lösungsweg gefunden hat, dem aber beim Ermitteln des Endergebnisses ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen ist, dieselbe Leistung erbracht hat wie ein Schüler, der bereits im Ansatz einen Fehler gemacht hatte und somit auch zum falschen Ergebnis gelangt ist. Dies ist bei der Bewertung zu berücksichtigen, damit derartig unterschiedliche Leistungen nicht im gleichen Topf landen
Um von der Lage der Durchschnittsleistung zu den einzelnen Notenstufen zu kommen, braucht der Lehrer eine Vorstellung darüber, mit welcher Häufigkeit gute, mittlere sowie schlechte Leistungen in der Klasse vorkommen. Der Verteilung von Zensuren in der Gruppe wird oft die Gauß’sche Normalverteilung zugrunde gelegt: wenige Schüler bekommen sehr gute Noten, wenige sehr schlechte und der Rest der Klasse teilt sich den mittleren Bereich, so dass der durchschnittlichen Leistung eine Note zwischen „3“ und „3,5“ zugeordnet werden kann. (Vgl. Ulrich / Wöbke 1981, S. 36)
Dass eine Leistungsbeurteilung, die von der Normalverteilung ausgeht in mehrfacher Hinsicht problematisch ist, wird von mehreren Autoren ausdrücklich betont. Eines der Argumente gegen die Normalverteilungsannahme ist die Tatsache, dass es sich hierbei um eine Verteilung der großen Zahlen handelt. Die Wahrscheinlichkeit, eine Normalverteilung in einer Klasse von 30 oder maximal 40 Schülern vorzufinden, ist somit äußerst gering (vgl. Sacher 2001, S. 101 f; Ulrich, S. 15 f). Die Orientierung am Klassendurchschnitt ist aber auch insofern problematisch als diese nur gruppen- bzw. klassenintern gilt. Die Beurteilung einer Einzelleistung hängt davon ab, wie stark der Leistungsstand der Klasse ist, deren Leistungsdurchschnitt als Maßstab gelten soll. So kann es passieren, dass die in der einen Klasse als durchschnittlich eingestufte Schülerleistung in einer der Parallelklassen als unterdurchschnittlich gelten wird, weil es sich um eine leistungsstärkere Klasse handelt
Ein weiterer Nachteil der vergleichsorientierten Bezugsnorm besteht darin, dass die leistungsschwachen Kinder dabei auf der Strecke bleiben, denn zu wissen, wie viele Kinder bessere Noten als sie bekommen haben, hilft diesen Schülern kaum ihren Misserfolg zu verarbeiten. Die Tatsache, dass immer nur wenige Schüler gute Noten bekommen, kann sich bei den leistungsschwachen Schülern auf die Anstrengungsbereitschaft negativ auswirken und schließlich sogar zu Resignation führen
Weiteres Argument gegen diese Bezugsnorm besteht darin, dass der ständige Vergleich der Schüler untereinander ein Klima der Konkurrenz erzeugt und rivalisierendes Lernen fördert. In diesem Sinne heißt es bei Ulrich & Wöbke: „die „guten“ werden oder bleiben nur gut, wenn dafür andere „schlecht“ werden oder bleiben“ (Ulrich/Wöbke 1981, S. 37). Die Folge ist, dass die Schüler nicht zum sozialen und kooperativen Verhalten angeregt, sondern zum Kampf um die wenigen guten Noten und damit zur Ellenbogentaktik verleitet werden
Im Hinblick auf Schulangst und Misserfolgsorientierung konnte ebenfalls eine negative Wirkung vergleichsorientierter Bezugsnorm festgestellt werden, allerdings vor allem bei leistungsschwächeren Lernenden. So ergab die Untersuchung von Krampen (1985), dass vergleichsorientierte Lehrerkommentare zu Noten auf leistungsschwächere Schüler eine eher negative Wirkung hätten, während bei lernzielorientierter und individueller Bezugsnorm tendenziell positive Effekte festgestellt wurden. Lissmann (1984) hingegen konnte bei leistungsstärkeren Schülern eine günstige Wirkung der vergleichsorientierten Bezugsnorm feststellen (vgl. Ingenkamp 1987, S. 51 f)
3.4 Fazit
Für die pädagogische Einschätzung der Beurteilungsmaßstäbe lässt sich schlussfolgern, dass die individuelle Bezugsnorm besonders in der Eingangsstufe der Grundschule bevorzugt eingesetzt werden sollte. Da in einer Jahrgangsklasse die Kinder mit unterschiedlichsten Fähigkeiten und Vorerfahrungen zusammen kommen, müssen sie selbst bei gleichem Lernzuwachs verschiedene Leistungen erbringen. Eine Beurteilung, der die individuelle Bezugsnorm zugrunde liegt, wird diesem Tatbestand gerecht (vgl. Ulbricht 1993, S. 18). Die anzustrebenden Lehrziele sollte der Lehrer dennoch nicht aus den Augen verlieren, damit er weiß, welche wichtigen Teilziele jedes Kind unbedingt erreichen sollte, um weiterhin erfolgreich mitarbeiten zu können
Die Rahmenbedingungen für das Anwenden der individuellen Bezugsnorm sind in der ersten und zweiten Klasse besonders günstig, weil hier die Leistungsbewertung in verbaler Form erfolgt (zumindest in Niedersachsen). So hat der Lehrer die Möglichkeit, ausgehend von den individuellen Voraussetzungen des Kindes auch die Lernprozesse und die damit verbundenen Anstrengungen bei der Leistungsbewertung mit zu berücksichtigen. Inwieweit diese Möglichkeit genutzt wird, steht auf einem anderen Blatt
In der dritten und vierten Klasse, wenn die Kinder bereits über ein gewisses Grundwissen verfügen, sollte der lernzielorientierte Beurteilungsmaßstab den subjektbezogenen ergänzen (vgl. Bartnitzky/Christiani 1987, S. 21). Da in diesen Grundschulklassen die Leistungsbeurteilung hauptsächlich durch Noten erfolgen muss, werden die Lehrplananforderungen als Beurteilungsmaßstab sogar zunehmend in den Vordergrund treten. Aber auch im Hinblick auf die Eltern sollte die sachliche Bezugsnorm zum Einsatz kommen. Die Eltern wollen und sollen erfahren, welche der vorgegebenen Lernziele vom Kind erreicht werden konnten und welche Unterrichtsgegenstände ihm noch Schwierigkeiten bereiten. Mit der Ziffernzensur allein kann dieser Informationsbedarf nur unzureichend gedeckt werden
Was den vergleichsorientierten Maßstab angeht, steht dieser wegen seiner konkurrenzverstärkenden Wirkung auf die Schüler im Widerspruch zu den Zielen der Grundschule, die Kinder zu kooperativem und solidarischem Handeln zu erziehen und sollte daher besonders in der Grundschule keine Anwendung finden (vgl. Bartnitzky / Christiani 1987, S. 22). Da aber bereits in der dritten Klasse Notenzeugnisse erstellt werden müssen, lässt sich dies nicht vermeiden. Denn obwohl nach der Vereinbarung der Kultusministerkonferenz den Noten die Orientierung an Lernzielen zugrunde zu legen ist, verfahren immer noch manche Lehrer so, dass sie erst die durchschnittliche Leistung ermitteln, um die erbrachten Schülerleistungen anschließend daran zu messen. Die Beschaffenheit der Ziffernnoten verleitet aber auch sowohl die Schüler als auch die Eltern dazu, diese für soziale Vergleiche heranzuziehen
4. Zur Messqualität von Leistungsbeurteilungen
Messungen von Schülerleistungen müssen einer Reihe von Anforderungen genügen, wenn die Messergebnisse gesellschaftlich und pädagogisch verwertbar sein sollen. Die wichtigsten Gütekriterien sind Objektivität, Reliabilität und Validität
4.1 Objektivität
Um die Objektivität einer Messung zu gewährleisten, müssen die intersubjektiven Einflüsse des Beurteilers ausgeschaltet werden. Die Messergebnisse sollten unabhängig von der Person des Prüfers sein, d.h. dass mehrere Prüfer zu demselben Ergebnis kommen müssten. (Vgl. Sacher 2001, S. 23; Ziegenspeck 1999, S. 133)
Die entsprechenden/einschlägigen Forschungen haben gezeigt, dass die gängige Beurteilungspraxis diesen Anforderungen kaum genügt. So fanden Maier (1988) und Schröter (1981) heraus, dass die Urteile der Lehrer unter anderem Unterschiede in Bezug auf die registrierten Fehler, die festgesetzten Höchstpunktzahlen sowie Gewichtung der Aufgaben nach dem Schwierigkeitsgrad aufweisen. Ferner hat man festgestellt, dass die o.g. Differenzen unter anderem durch den Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen wie Alter, Geschlecht, berufliche Motivation, erster Eindruck von den Prüflingen sowie Grad der Ermüdung des Prüfers zustande kommen. (Vgl. Sacher 2001, S. 29)
Nach Ingenkamp (1995, S. 27) ist jedoch die Forderung nach Objektivität nicht in allen Lernbereichen gleichermaßen angebracht. Er betont, dass das Bemühen um Objektivität nur dann Sinn macht, wenn die an eine Lösung gestellten Anforderungen eindeutig definierbar sind
So kommen z.B. bei der Aufgabe 0,75 – 0,25 nur 0,5 bzw. ½ als richtiges Ergebnis in Frage. Wenn jedoch die gestellte Aufgabe mehrere gleichwertige Bearbeitungsmöglichkeiten zulässt, wie es bei künstlerischen Gestaltungen und Dichtungen der Fall ist, ist das Konzept der Objektivität nicht angebracht. In diesem Sinne stellt auch Sacher fest, dass „das Bemühen um Objektivität zu einem Teil immer auf Kosten der Bandbreite zulässiger Leistungen [und damit auf Kosten der Kreativität] geht“ (Sacher 2001, S. 31). Folglich sollte in den Lernbereichen, wo es um kreative Leistungen geht, auf Prüfungen und Beurteilungen im Sinne des Berechtigungswesens verzichtet werden
[...]
- Arbeit zitieren
- Olesja Heinze (Autor:in), 2003, Zeugnisse in der Grundschule. Anspruch und Wirklichkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22475
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