Die vorliegende Untersuchung versteht sich als Beitrag zur politikwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem noch relativ jungen Phänomen regionaler Interessenvertretung in der europäischen Arena.1 Aus der Perspektive des Landes Berlin als einem regionalen Akteur im Mehrebenensystem der Europäischen Union (EU) sollen Motive und Strategien der europapolitischen Interessenvermittlung eines Bundeslandes außerhalb der institutionalisierten Mechanismen der Länderbeteiligung an der bundesdeutschen Europapolitik herausgestellt werden.
Regionen als Akteure in der europäischen Politik erfahren erhöhte wissenschaftliche Aufmerksamkeit, seit eine Mobilisierung regionaler Akteure auf europäischer Ebene konstatiert worden ist (Marks 1993; Hooghe 1995; Mazey 1995). Diese wurde forciert durch die mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) eingeleiteten Integrationsfortschritte und fand ihren auffälligsten Ausdruck in einer geradezu inflationären Eröffnung von Regionalbüros in Brüssel während der späten 1980er Jahre, deren Zahl heute bei etwa 150 liegt (Hooghe/Marks 2001: 86; Marks [u.a.] 1996).2 Eine Debatte über Rolle und Einfluß regionaler Akteure im europäischen Politikprozeß hat sich entwickelt, in der von der einen Seite die Emanzipation der regionalen politischen Handlungsträger aus ihrem nationalstaatlichen Aktionsrahmen betont wird (Marks 1993; Hooghe 1995; Hooghe 1996), während die andere Seite zu der Einschätzung gelangt, daß nationale Regierungen nach wie vor die in jedem Fall letztlich dominierenden Politikakteure in der EU darstellen (Pollack 1995; Bache 1998; Allen 2000). Diese Diskussion zielt letztlich auf die Frage nach dem Charakter einer sich formenden polity EU, der im Zusammenhang mit Steuerungsmodi eines veränderten Regierens in Netzwerken (Kohler-Koch [u.a.] 1998; Heinelt/Smith 1996) und im weiteren Rahmen einer sich verändernden Staatlichkeit im Zuge all-gemein konstatierter Dezentralisierungstendenzen und globalisierter Wirtschaftsaktivitäten diskutiert wird (Benz 2001; Keating 1998).3
Inhalt
Abkürzungen
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
1. Einleitung
1.1. Erkenntnisinteresse
1.2. Forschungsstand
1.3. Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
2. Regionale Interessenvermittlung im Lichte politikwissen- schaftlicher Theoriebildung und empirischer Erkenntnisse
2.1. Die begrifflichen Konstrukte „europäische Region“ und „regionaler Akteur“
2.2. Die Systemperspektive: Die Europäische Union als variables Mehrebenensystem
2.2.1. Das Konzept der multi-level governance und seine analytischen Grenzen
2.2.2. Das Einflußpotential von Regionen auf europäische Politik
2.2.2.1. Regionale Kompetenzen im nationalen System
2.2.2.2. Das policy-making in der Europäischen Union
2.3. Die Akteursperspektive: Lobbying im europäischen Mehrebenen- system
2.3.1. Lobbying als Charakteristikum der Interessenmediation in der Europäischen Union
2.3.2. Regionales Lobbying
2.3.3. Endogene Ressourcen als Faktoren der regionalen Interessenwahrnehmung
3. Die Bundesländer als regionale Akteure in der Europäischen Union
3.1. Die „Third-Level Strategy“: Der Ausschuß der Regionen
3.2. Die deutschen Länderbüros in Brüssel
3.3. Grenzen des Konsens: Konfliktlinien in der Europapolitik
4. Analyseinstrumentarium: Kategorien, Hypothesen, Methode
4.1. Kanäle und Strategien direkter regionaler Interessenvertretung
4.2. Motive direkter Interessenvertretung eines deutschen Landes
4.3. Arbeitshypothesen
4.4. Fallstudie: Methodisches Vorgehen
4.4.1. Kategorien der Auswertung
4.4.2. Qualitative Dokumentenanalyse
4.4.3. Experteninterviews
5. Endogene Ressourcen: Die „Europakompetenz“ des Landes Berlin
5.1. Die „Europäisierung“ der Berliner Politik
5.1.1. Politische Konzentration und administrative Diffusion der Europapolitik
5.1.2. Konzeption und Koordinierung der Europapolitik
5.1.3. Koordinierungs- und Effizienzprobleme
5.2. Fachliche Ressourcen: die „Europafähigkeit“ der Verwaltung
5.3. Das Lobbyinginstrument: Das Berliner Büro in Brüssel
5.3.1. Aufgaben des Büros
5.3.2. Das Kontaktnetz in Brüssel
5.3.3. Personelle und finanzielle Ausstattung
5.4. Strukturen horizontaler Kooperation und externer Vernetzung
5.4.1. Kooperation mit anderen Bundesländern
5.4.1.1. Die Arbeitskreise der Länderbüros
5.4.1.2. Das Land Brandenburg
5.4.2. Transnationale interregionale Kooperation
5.4.2.1. Europäische Hauptstädte und Hauptstadtregionen
5.4.2.2. Eurocities
6. Das Land Berlin als regionaler Akteur in der europäischen Arena
6.1. Motive und Ziele im Fokus der direkten Interessenvertretung des Landes
6.1.1. Die europäische Strukturpolitik
6.1.2. Die Osterweiterung der Europäischen Union
6.1.3. Die europäische Beschäftigungspolitik
6.2. Die Nutzung der Kanäle direkter Interessenvertretung
6.2.1. Der Ausschuß der Regionen
6.2.2. Informelle horizontale Kooperation
6.2.3. Direktkontakte in europäische Organe
6.3. Strategien der direkten Interessenvertretung des Landes
6.3.1. Die Strukturfondsförderung: Einflußnahme auf Verteilungsentscheidungen
6.3.1.1. Die Förderung des „Sechsten Neuen Bundeslandes“
6.3.1.2. Politikgestaltende Dimensionen der Strukturpolitik: Die Förderung von Städten
6.3.2. Im Zeichen der Erweiterung: Die Ausgestaltung von speziellen EU-Programmen
6.3.2.1. Modifikationen in den Heranführungsintrumenten
6.3.2.2. Berlin als Grenzregion zum Erweiterungsraum
6.3.3. Die europäische Beschäftigungsstrategie: Politikgestaltung unter dem Vorzeichen einer europäischen Städtepolitik
6.3.3.1. Die Verstetigung der europäischen Beschäftigungspolitik
6.3.3.2. Lokale Beschäftigungsstrategien und städtische Dimensionen und
7. Resümee
Anhang
A: Regierungen und Europabeauftragte des Landes Berlin seit 1985
B: Einnahmen, Ausgaben, Schuldenstand des Landes Berlin seit 1991
C: Übersicht der geführten Gespräche
D: Leitfaden
Dokumente
Literatur
Abkürzungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
Abbildung 1: Kanäle direkter Interessenvertretung eines Bundeslandes
Abbildung 2: Koordinierungsstrukturen der Europapolitik des Landes Berlin
Abbildung 3: Senatsverwaltung für Finanzen, Einnahmen, Ausgaben, Schuldenstand des Landes Berlin seit 1991
Tabelle 1: Personelle Ausstattung des Berliner Büros in Brüssel, 1990 bis 2003
Tabelle 2: Strukturfondsmittel aus der Ziel-1- und der Ziel-2- Förderung, 1990 bis 2006
Tabelle 3: Regierungen und Europabeauftragte des Landes Berlin, 10. bis 15. Wahlperiode, 1985 bis 2006
1. Einleitung
1.1. Erkenntnisinteresse
Die vorliegende Untersuchung versteht sich als Beitrag zur politikwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem noch relativ jungen Phänomen regionaler Interessenvertretung in der europäischen Arena.1Aus der Perspektive des Landes Berlin als einem regionalen Akteur im Mehrebenensystem der Europäischen Union (EU) sollen Motive und Strategien der europapolitischen Interessenvermittlung eines Bundeslandes außerhalb der institutionalisierten Mechanismen der Länderbeteiligung an der bundesdeutschen Europapolitik herausgestellt werden.
Regionen als Akteure in der europäischen Politik erfahren erhöhte wissenschaftliche Aufmerksamkeit, seit eine Mobilisierung regionaler Akteure auf europäischer Ebene konstatiert worden ist (Marks 1993; Hooghe 1995; Mazey 1995). Diese wurde forciert durch die mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) eingeleiteten Integrationsfortschritte und fand ihren auffälligsten Ausdruck in einer geradezu inflationären Eröffnung von Regionalbüros in Brüssel während der späten 1980er Jahre, deren Zahl heute bei etwa 150 liegt (Hooghe/Marks 2001: 86; Marks [u.a.] 1996).2
Eine Debatte über Rolle und Einfluß regionaler Akteure im europäischen Politikprozeß hat sich entwickelt, in der von der einen Seite die Emanzipation der regionalen politischen Handlungsträger aus ihrem nationalstaatlichen Aktionsrahmen betont wird (Marks 1993; Hooghe 1995; Hooghe 1996), während die andere Seite zu der Einschätzung gelangt, daß nationale Regierungen nach wie vor die in jedem Fall letztlich dominierenden Politikakteure in der EU darstellen (Pollack 1995; Bache 1998; Allen 2000). Diese Diskussion zielt letztlich auf die Frage nach dem Charakter einer sich formenden polity EU, der im Zusammenhang mit Steuerungsmodi eines veränderten Regierens in Netzwerken (Kohler-Koch [u.a.] 1998; Heinelt/Smith 1996) und im weiteren Rahmen einer sich verändernden Staatlichkeit im Zuge allgemein konstatierter Dezentralisierungstendenzen und globalisierter Wirtschaftsaktivitäten diskutiert wird (Benz 2001; Keating 1998).3
Klassische Integrationstheorien sind ebenso wie die staatenzentrierte Sicht der Internationalen Beziehungen in bezug auf die Erklärung des Regierens und der Politikentstehung in der EU an ihre Grenzen gestoßen. So besteht in der aktuellen Forschung weitgehend Einigkeit darüber, daß die EU nicht umfassend und befriedigend als intergouvernementales Verhandlungssystem erklärt werden kann. Stattdessen ist die relativ vage Vorstellung der EU „as a loosely integrated multi-level system of governance characterized by fragmentation and complexity“ ein verbreiteteter Minimalkonsens (Benz/Eberlein 1999: 331).
Mehrebenenansätze erkennen die Emanzipation von Regionen aus der Rolle reiner Objekte europäischer Politik an und erweitern dadurch die Analyse europäischer Politikprozesse um neue Akteursdimensionen. Überdies erhöhen das Nebeneinander verschiedener Arten von governance und die variable Rolle, die die einzelnen territorialen Ebenen - europäisch, national, regional, lokal - darin spielen, den Grad der Komplexität einer so vorgestellten EU (Wallace 2000; vgl. Scharpf 2000). Ausmaß und Grenzen der den regionalen Akteuren offenstehenden Handlungsspielräume, die zudem zwischen den einzelnen Regionen und in den verschiedenen Politikfeldern variieren, bleiben dabei bisher ebenso umstritten wie die Faktoren, die dieses regionale Einflußpotential letztlich determinieren (Sloat 2001).
Grundsätzlich lassen sich zwei Wege unterscheiden, auf denen regionale Interessen im europäischen Mehrebenensystem vermittelt werden können: indirekt über die nationale Ebene und direkt auf der europäischen Ebene (Neunreither 2001; Mazey 1995).
Aus einer national-vergleichenden Perspektive sind es - neben den belgischen Regionen - die deutschen Länder, die im Rahmen des kooperativen Föderalismus der Bundesrepublik über die weitreichendsten formellen Mitwirkungsmöglichkeiten der regionalen Ebene am europäischen Politikprozeß verfügen. Ihnen ist auf der Basis ihrer legislativen Kompetenzen im Vorfeld des Maastrichter Vertrages nicht nur die Ausweitung und Institutionalisierung ihrer innerstaatlichen Mitwirkungsrechte gelungen, sondern auch die Verankerung regionaler Beteiligungsrechte auf europäischer Ebene im Vertragswerk. Mit der durch Artikel 203 im Vertrag über die Europäische Gemeinschaft (EGV) prinzipiell eröffneten Möglichkeit, Landesminister in den Rat zu entsenden, sowie mit dem Bundesratsverfahren gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes (GG) und dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG) sind die Bundesländer gegenüber anderen europäischen Regionen hinsichtlich ihrer formellen Einflußmöglichkeiten im europäischen Politikprozeß privilegiert.4
Diese institutionalisierten europapolitischen Mitwirkungsmechanismen besitzen allerdings, was die Vertretung spezifischer Landesinteressen betrifft, zwei wesentliche Nachteile: Erstens sind die über sie vermittelten Interessen diejenigen einer Ländermehrheit bzw. Ausdruck eines zuvor zwischen den Ländern ausgehandelten Kompromisses und können daher als Instrumente der Mediation spezifischer Länderinteressen nur genutzt werden, wenn das Anliegen von der Mehrheit der Länder unterstützt bzw. ihm zumindest nicht widersprochen wird. Zum zweiten zielt der überwiegende Teil dieser Einflußmechanismen auf den Rat. Dieser stellt zwar nach wie vor den zentralen Ort der Entscheidung in der EU dar, doch spätestens seit Einführung und Ausweitung von qualifizierten Mehrheitsbeschlüssen und des Mitentscheidungsverfahrens bietet er keine garantierte Blockademöglichkeit mehr. Darüber hinaus ist es die Kommission, die neben ihrem formalen Initiativrecht in nahezu allen Bereichen der ersten Säule über die entscheidende agenda-setting power im europäischen Politikprozeß verfügt, während der Rat oft erst in einem relativ späten Stadium des Entscheidungsprozesses aktiv wird (Peters 2001). Gerade die frühen Phasen der policy initiation und Politikformulierung sind jedoch entscheidend für die Versuche regionaler Interessen, Einfluß auf die Ausgestaltung europäischer Politik zu nehmen (Neunreither 2001; Peterson/Bomberg 1998).
Aus diesen Gründen und gestützt von der Tatsache, daß alle Bundesländer eigene Büros in Brüssel unterhalten,5geht die vorliegende Untersuchung von der Annahme aus, daß sich deutsche Länder zur Vertretung ihrer spezifischen Interessen der verschiedenen Formen direkter regionaler Interessenvertretung in der europäischen Arena bedienen.
Diese Annahme wird unterstützt von einer in den letzten Jahren konstatierten Tendenz von der Kooperation zur Konkurrenz in den europapolitischen Aktivitäten der Länder, die in Zusammenhang gesetzt wird mit einem verstärkten Fokus auf die jeweiligen Landesinteressen und das in den Vordergrundrücken ökonomischfinanzieller Motive (Mentler 2000; Engel 2000; Borkenhagen 1998). Anhand des Landes Berlin soll beispielhaft untersucht werden, inwieweit ein Bundesland als regionaler Akteur auf der europäischen Bühne die vorhandenen Möglichkeiten der direkten Interessenmediation tatsächlich nutzt. Im Zentrum steht dabei die Frage nach Motiven, Zielen und Strategien dieser Art der regionalen Interessenvertretung.
Das Land Berlin bietet sich für eine solche Fallstudie an, weil aus zweierlei Gründen eine Reihe spezifischer europapolitischer Interessen vorstellbar sind, die die Nutzung des direkten Weges der Interessenvertretung motivieren könnten: Zum einen kann davon ausgegangen werden, daß sich die Interessen eines Stadtstaates gerade hinsichtlich distributiver EU-Politiken wie der Strukturpolitik von jenen der Flächenstaaten unterscheiden, wodurch sich potentiell ein von Verteilungskonkurrenz geprägtes Konfliktfeld zwischen den deutschen Ländern ergibt, in dem Stadtstaaten die Minderheitenposition besetzen. Darüber hinaus ist zu vermuten, daß ein deutsches Land, das zugleich ein großstädtischer Ballungsraum ist, spezifische Interessen in bezug auf europäische Politik verfolgt, die im Zusammenhang stehen mit typischen Problemen von urbanen Agglomerationen beispielsweise im sozialen Bereich, in der Verkehrspolitik, in Umweltfragen u.a.
Zum anderen hat sich die materielle Relevanz der europäischen Strukturpolitik für das Land in Folge der Wiedervereinigung erheblich erhöht und überdies mit dem Nebeneinander von Ziel-1-Gebiet (Ostberlin) und Ziel-2-Gebiet (Westberlin) in einer Förderregion einen Sonderfall in der europäischen Förderlandschaft geschaffen. Der Bedeutungszuwachs der Strukturfondsförderung erfährt darüber hinaus eine relative Vergrößerung, betrachtet man ihn vor dem Hintergrund der extrem defizitären Lage des Landeshaushalts, die sich vor allem mit dem Wegfall der Berlin-Subventionen des Bundes und durch die Krise der landeseigenen Bankgesellschaft zugespitzt und zur Erklärung der „extremen Haushaltsnotlage“ im Herbst 2000 geführt hat. Der Schuldenstand hat sich seit 1991 auf aktuell fast 50 Milliarden Euro verfünffacht, womit das Land Berlin die höchste Pro-Kopf-Verschuldung in der Bundesrepublik aufweist (Mäding 2002: 87f.; siehe Abbildung 3, Anhang B).
1.2. Forschungsstand
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Regionen als Akteure in der europäischen Arena ist geprägt von Arbeiten, die von Mehrebenenansätzen ausgehend den Einfluß regionaler Akteure im europäischen Politikprozeß untersuchen. Dabei wird überwiegend basierend auf Netzwerkkonzepten im Bereich der Implementation europäischer Regionalpolitik der gestiegenen Bedeutung regionaler und lokaler Akteure nachgespürt und die Politikkoordination im Mehrebenensystem EU thematisiert (vgl. Staeck 1997; Heinelt/Smith (Hrsg.) 1996; Goldsmith/Klausen 1997; Bache 1998; Ast 1999). Auf der anderen Seite wird nach den Auswirkungen des europäischen Integrationsprozesses auf die regionale Politik gefragt (vgl. z.Bsp. Kohler-Koch [u.a.] 1998; Knodt 1998; Thielemann 2000; Benz/Eberlein 1999).
Aufgrund der starken Heterogenität der regionalen Dimension in der EU herrscht dabei häufig eine national-vergleichende Perspektive vor, für die der potentielle Zusammenhang zwischen der Rolle der Regionen im nationalen politischen System und ihrem Einfluß auf europäischer Ebene im Vordergrund steht. In solchen Analysen gelten die Länder bedingt durch ihre starke instutitionelle Stellung im föderativen System der Bundesrepublik als pivilegiert (vgl. Jeffery 1997a; Peterson/Bomberg 1998). Es existiert daneben zahlreiche Literatur über die Beteiligung der Länder an der deutschen Europapolitik im Rahmen des bundesdeutschen Föderalismus (vgl. zuletzt Brummer 2002).
Ändert man jedoch den Blickwinkel dahingehend, die deutschen Länder als individuelle regionale Akteure auf der europäischen Ebene zu betrachten und danach zu fragen, wann, wie und warum ein Land dort agiert, um seine auf Europa bezogenen Interessen zu vermitteln, und von welchen Variablen dieses Handeln determiniert wird, so ist der Forschungsstand eher dürftig. Die außerstaatliche europapolitische Interessenmediation der Länder findet sich in einigen national-vergleichenden empirischen Arbeiten thematisiert (vgl. Morass 1994; Jeffery 1997; Neunreither 2001). Sucht man nach ländervergleichenden Arbeiten oder Studien zu einzelnen Ländern, ergibt sich ein ausgesprochen defizitäres Bild der Einzelfallforschung. Die wenigen Abhandlungen, die dazu exisitieren sind meist deskriptiv angelegt (vgl. Krämer 1995; Borchmann 1994). Zuletzt ist im Rahmen einer Hochschulabschlußarbeit, exemplarisch anhand eines Vergleichs zwischen Bayern und MecklenburgVorpommern, die These aufgestellt worden, daß Unterschiede in der sozioökonomischen Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit sowie in den regionalen Politikstilen die Konzepte und Strategien der direkten Interessenvertretung von Bundesländern in der EU trotz gleicher formal-rechtlicher Stellung signifikant prägen (Erfurth 2000).
Aus einer anderen Perspektive läßt sich der regionalen Interessenvertretung mit Untersuchungen zum europäischen Lobbying begegnen, die nach dem Funktionieren und den Spezifika von Interessenmediation auf europäischer Ebene fragen. Solche Arbeiten erwähnen dabei häufig die regionalen Repräsentanzen in Brüssel, fokussieren aber ganz überwiegend auf private Interessengruppen und nicht auf öffentliche Akteure. Bisher mangelt es überdies der akademischen Beschäftigung mit dem Phänomen des EU-Lobbyings sowohl an systematischer empirischer Forschung als auch an einem umfassenden theoretischen Konzept. Das Bild wird dominiert von eher deskriptiven Darstellungen und empirischen Fallstudien, die häufig die versuchte Einflußnahme von Wirtschaftsinteressen auf regulative Gemeinschaftspolitiken im Blick haben (Andersen/Eliassen 1995: 428f.; van Schendelen 2001; van Schendelen 1993).
1.3. Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
Vor dem Hintergrund dieses Forschungsstandes zur Interessenvertretung von Regionen, speziell der deutschen Länder in der EU wählt die vorliegende Arbeit eine induktiv-orientierte Vorgehensweise, bei der allerdings auf theoretische Überlegungen zum Mehrebenensystem und zum Lobbying in der EU sowie auf bisherige empirisch gewonnene Erkenntnisse zurückgegriffen wird, um für die Motive und Strategien der regionalen Interessenvertretung in der europäischen Arena Arbeitshypothesen zu generieren, die das empirische Vorgehen der Fallstudie strukturieren und damit eine stärker zielgerichtete Erhebung und Auswertung der Daten im Hinblick auf die Fragestellung ermöglichen (vgl. Strauss 1991: 38). Der explorative Charakter der Einzelfalluntersuchung soll also über die Beschreibung von Akteursverhalten und Handlungszusammenhängen hinaus mit dem Versuch eines analytischen Erkenntnisgewinns verbunden sein (Nohlen 1994: 77 ; vgl. Alemann/Ortlieb 1975: 163f.).
Der thematische Teil dieser Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel. Einer kurzen Definition des zugrundegelegten Begriffs der „europäischen Region“ und des verwendeten Akteursbegriffs folgt die theoretische Annäherung an das Phänomen regionaler Interessenvertretung in der europäischen Arena von zwei Seiten: einerseits ausgehend von Postulaten des Konzepts der multi-level governance (MLG) anderseits unter Zuhilfenahme von politikwissenschaftlichen Ansätzen zum Lobbying in der EU. Basierend auf bisherigem Kenntnisstand werden die das regionale Einflußpotential im europäischen Politikprozeß bestimmenden Variablen beleuchtet sowie die Anwendbarkeit der empirischen Erkenntnisse zur Interessenmediation in der EU auf öffentliche regionale Akteure überprüft (Kapitel 2).
Das darauffolgende Kapitel (3) widmet sich der direkten europapolitischen Interessenvertretung der deutschen Länder und wirft Licht auf europapolitische Konfliktlinien. Daran schließt sich die Kategorisierung von Motiven, Kanälen und Strategien der direkten regionalen Interessenvertretung an, die in der Aufstellung von Arbeitshypothesen für die empirische Untersuchung im Sinne des oben aufgezeigten Erkenntnisinteresses mündet und der die Schilderung des konkreten methodischen Vorgehens folgt (Kapitel 4).
Die Fallanalyse setzt bei den politisch-administrativen Rahmenbedingungen der Europapolitik im Land Berlin seit 1990 ein und untersucht jene endogenen Faktoren und ihre Entwicklung, die als Voraussetzung für eine effektive Wahrnehmung der zur Verfügung stehenden Kanäle direkter regionaler Einflußnahme identifiziert worden sind (Kapitel 5). Anschließend erfolgt die Auswertung von Motiven und Zielen der direkten europapolitischen Interessenvermittlung des Landes sowie der Nutzung der verschiedenen kategorisierten Kanäle, die nach Auswahl und Darstellung der konkreten Interessenlage in den primären Politikbereichen der Interessenvertretung auf europäischer Ebene überleitet zur Untersuchung der in diesen Fällen angewandten Strategien der direkten Interessenvertretung (Kapitel 6).
Die Resultate werden im Resümee hinsichtlich des Erkenntnisinteresses sowie der Reichweite ihrer Aussagekraft bewertet, wobei abschließend Ansätze für die weitere Forschung aufgezeigt werden.
2. Regionale Interessenvermittlung im Lichte politikwissenschaftlicher Theoriebildung und empirischer Erkenntnisse
Die theoretische Annäherung an das Phänomen der Interessenvertretung von Regionen in der europäischen Arena kann aus zwei Perspektiven erfolgen: aus der Systemperspektive, die auf die Rolle von Regionen als Akteure im europäischen policymaking fokussiert und die damit den Charakter des Regierens im Mehrebenensystem EU im Blick hat, und aus einer Akteursperspektive, die auf das Verhalten des regionalen Akteurs unter den Bedingungen des politischen Systems der EU und der darin ablaufenden Politikentstehungsprozesse abstellt.
2.1. Die begrifflichen Konstrukte „europäische Region“ und „regionaler Akteur“
Der Begriff der „europäischen Region“ muß eher als eine akademische und politische Hilfskonstruktion verstanden werden, als daß er ein realexistierendes und klar abgrenzbares Phänomen bezeichnen würde. Im Gegenteil, die europäischen Regionen in ihrer Gesamtheit sind hochgradig heterogen. Es handelt sich zum einen um verschieden definierte Räume - geographische, kulturelle, politisch-administrative, sozio-ökonomische und weitere - die das Territorium der EU in eine Reihe sich teils überlagernder, teils miteinander verwobener Regionenteppiche unterteilen (Rohe 1996; vgl. Benz 1998: 112-115). Zum anderen unterscheiden sich die Regionen nicht nur im Grad ihrer kulturellen, sozialen und ökonomischen Kohärenz gravierend voneinander, sondern ebenso hinsichtlich ihrer politisch-administrativen Institutionalisierung und ihrer Stellung im Machtgefüge der nationalen politischen Systeme (Sodupe 1999; vgl. Morgan 2001). Es ist daher plausibel zu behaupten, daß „there is no level of regional government in Europe“ (Keating 1998: 28).
Auch die EU selbst verzichtet auf eine klare Defintion ihres Regionenbegriffs. Im Ausschuß der Regionen (AdR) sind „Vertreter der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften“ versammelt, deren Konkretisierung den entsendenden Mitgliedsstaaten überlassen bleibt (Artikel 263 EGV). Allein im Rahmen der Strukturpolitik existiert eine Kategorisierung von europäischen Regionen, die sich zwar zum Teil an bestehenden politisch-administrativen Untergliederungen der Mitgliedsstaaten orientiert, aber mit den drei regionalen Ebenen NUTS I, II und III im Grunde eine statistisch determinierte Abgrenzung vornimmt.1
Die dieser Untersuchung zugrundeliegende Vorstellung eines Bundeslandes als „europäische Region“ beruht auf der Verortung von Regionen als territorial, funktional und politisch intermediäre Räume zwischen Nationalstaat und kommunaler bzw. lokaler Ebene (vgl. Keating 1998). In dieser einfachen Konstruktion eines Regionenbegriffs sind sowohl Regionen als auch Kommunen subnationale Einheiten des Nationalstaates.
Der benutzte Begriff des „regionalen Akteurs“ wird hier eingeschränkt verwendet für öffentliche Akteure, d.h. regionale Regierungen bzw. Gebietskörperschaften, die als korporative Akteure vorgestellt werden (Jansen 1997), um die Untersuchung der Interaktion mit anderen Akteuren in der nationalstaatlichen und europäischen Arena zu vereinfachen. Bei den europapolitischen Interessen, welche der regionale Akteur im Falle der Länder verkörpert durch die Landesexekutive - vertritt, handelt es sich um auf Landesebene aggregierte, regionale Interessen in bezug auf europäische Politik. Die Entstehung dieser regionalen europapolitischen Interessen im Zusammenwirken politischer und gesellschaftlicher Meinungs- und Entscheidungsbildungsprozesse im Land, das selbst natürlich auch eine politische Arena darstellt, wird in dieser Arbeit nicht thematisiert, ebenso wie auch Akteure unterhalb der Landesebene und private regionale Akteure nicht in die Untersuchung einbezogen werden.
2.2. Die Systemperspektive: Die EU als variables Mehrebenensystem
2.2.1. Das Konzept der multi-level governance und seine analytischen Grenzen
Die vorliegende Untersuchung basiert auf der grundlegenden Annahme, daß regionale Akteure auf europäische Politik Einfluß nehmen können, der nicht allein durch ihren formalen Zugang zu Entscheidungsprozessen auf der nationalen und europäischen Ebene determiniert wird. Voraussetzung dafür ist die Vorstellung der EU als ein Mehrebenensystem, in dem subnationale Akteue und europäische Institutionen neben nationalstaatlichen Exekutiven für die Entstehung europäischer Politik relevant sind.
Diese Vorstellung ist eng verknüpft mit dem inzwischen in der politikwissenschaftlichen Forschung verbreiteten Konzept der MLG, für dessen Entwicklung die Ende der 1980er Jahre beobachtete Mobilisierung von Regionen in der europäischen Arena als auslösendes Moment gelten kann (vgl. Marks 1993; Marks [u.a.] 1996; Hooghe 1995).
Der Vorteil gegenüber intergouvernementalen Betrachtungsweisen besteht gerade darin, daß der MLG-Ansatz neben den Nationalstaaten weitere Akteure in die Analyse der Politikentstehung einbezieht und „no center of accumulated authority“ in der EU ausmacht:
„Instead, variable combinations of governments on multiple layers of authority - European, national and subnational - form policy networks for collaboration.“ (Hooghe 1996: 18).2
In diesem „set of overarching, multilevel policy networks“ (Marks [u.a.] 1996: 167) werden hierarchische Verhältnisse relativiert und die politischen Arenen nicht als „nested“, sondern als miteinander verbunden vorgestellt. Supranationale Institutionen verfügen als „unitentended consequence“ über einen von ihren nationalstaatlichen Begründern unabhängigen Einfluß, und subnationale Akteure, die ihren Handlungsrahmen auf die europäische Ebene ausgedehnt haben, beschneiden die Rolle nationaler Regierungen als exklusive Vermittler regionaler Interessen in die europäische Politik (Marks/Hooghe/Blank 1996; Marks 1997).
So erodiert die Kontrolle einzelner staatlicher Exekutiven über das Ergebnis kollektiven europäischen decision-making nicht nur mit institutionellen Integrationsfortschritten, sondern auch durch die Zunahme des meist informellen Einflusses regionaler und anderer Akteure wie Interessengruppen auf das europäische policy-making (Marks/Hooghe/Blank 1996: 346f.; Hooghe/Marks 2001: 17; Marks 1993; KohlerKoch 1998a).
Ursprünglich entwickelt ausgehend von der Partizipation subnationaler Akteure im Rahmen der europäischen Strukturpolitik, die durch die Etablierung des Partnerschaftsparadigma mit der Reform von 1988 forciert worden ist, wurde das Konzept der MLG als richtungsweisend für die zukünftige Entwicklung der EU postuliert (Marks 1993: 407; Hooghe 1996). Gerade die vielfältigen Kanäle direkter regionaler Interessenvermittlung werden dabei als „part of a broader transformation in the EU [...] from state-centric to multi-level governance“ verstanden (Hooghe/Marks 2001: 81; Tömmel 1998):
„Regions and local authorities increasingly participate in European policy-making, and this policy-making often escapes the control oft the traditional 'gatekeeper', the national state executive.“ (Hooghe 1996: 121; vgl. Marks 1997)
Diese Kernaussage von MLG ist allerdings nicht einmal für das Paradebeispiel der Strukturpolitik unwidersprochen geblieben, zumal die Strukturfondsvereinbarungen von 1993 und 1999 eher eine Renationalisierungstendenz anzeigen, die den direkten Zugang der subnationalen Akteure zu europäischen Institutionen zurückdrängt und damit auch deren Potential, quasi am Nationalstaat vorbei Einfluß auf europäische Politik nehmen zu können (Bache 1998; ders. 1999; Allen 2000; Pollack 1995; vgl. Morgan 2001).3
Daher soll, ohne die Schlußfolgerungen von MLG in letzter Konsequenz zu übernehmen, die EU zwar als Mehrebenensystem vorgestellt werden, das aber durch eine flexible, „variable Geometrie“ gekennzeichnet ist (Benz 2001: 285). Darin verfügen unterschiedliche subnationale Akteure neben europäischen und nationalen Handlungsträgern über sehr verschieden ausgeprägte Einflußpotentiale in unterschiedlichen Politikfeldern und Politikphasen sowie zu unterschiedlichen Zeiten (Benz 1998: 126; vgl. Bache 1998; Jachtenfuchs/Kohler-Koch 1996).4
Damit liefert das MLG-Konzept gerade für das komplexe policy-making in der EU eine hinreichend flexible Vorstellung davon, „how it currently functions as a ‚political system‘“ (Jordan 2001: 196), welche mit der skizzierten, variablen Mehrebenenperspektive die Hintergrundfolie bildet für das in dieser Arbeit im Blickfeld stehende Agieren eines individuellen regionalen Akteurs in der europäischen Arena. Vorhersagen zu treffen über das Verhalten regionaler Akteure oder überprüfbare Hypothesen aufzustellen über dessen Determinanten, ist dagegen auf Basis dieses Konzepts nicht möglich, da es anders als eine wissenschaftliche Theorie keine kausalen Erklärungszusammenhänge postuliert (Jordan 2001; Benz/Eberlein 1999).
Überdies herrscht auch unter seinen Verfechtern Unklarheit darüber, inwieweit nationale Regierungen überhaupt versuchen, den direkten Zugang ihrer subnationalen Gebietskörperschaften zu beschneiden, wie effektiv die von regionalen Akteuren genutzten direkten Interessenvertretungskanäle sind und inwieweit schließlich durch die Beteiligung regionaler Akteure am europäischen policy-making in der Tat Verhandlungsoutcomes geformt werden (Sloat 2001). Denn auch wenn zweifelsohne eine Mobilisierung regionaler Akteure auf europäischer Ebene konstatiert werden kann, so kann doch daraus allein noch nicht auf ihren tatsächlich realisierten Einfluß geschlossen werden (Jordan 2001: 201; Jeffery 2000: 3).
2.2.2. Das Einflußpotential von Regionen auf europäische Politik
Der tatsächliche Einfluß von Regionen auf Politikprozesse im europäischen Mehrebenensystem ist Gegenstand politikwissenschaftlicher Debatten, die hier nicht vertieft werden sollen, da sie für den Erkenntnisgewinn im Rahmen dieser Arbeit wenig fruchtbar sind, zumal der tatsächliche Einfluß im Einzelfall schwer zu operationalisieren ist (Bouwen 2002: 366; Neunreither 2001: 173; Hooghe/Keating 1994: 375). Grundsätzlich bezweifelt die vorliegende Untersuchung nicht, daß der Weg über die innerstaatlichen Mediationskanäle am erfolgversprechendsten für regionale Einflußnahme ist (vgl. Morgan 2001; Jeffery 2000; Brummer 2002; Benz 1998: 118f.). Immerhin wird die nach wie vor dominierende Stellung der nationalen Regierungen als
„dynamischen Mehrebenensystem“ als Verdeutlichung der Verlagerung von Handlungskompetenzen im Laufe der Zeit durch politische Praxis und Rechtssprechung. „the most important pieces of the European puzzle“ auch von MLG-Theoretikern anerkannt (Marks/Hooghe/Blank 1996: 4).
Stattdessen sollen jene Faktoren im Blick stehen, die als wesentliche Determinanten des Einflußpotentials von regionalen Akteuren auf der europäischen Ebene in der Diskussion sind, das unbestritten ganz erheblich differiert (Bomberg/Peterson 1998; Marks [u.a.] 1996; Marks 1997; Jeffery 1997; Pollack 1995).
2.2.2.1. Regionale Kompetenzen im nationalen System
Die Möglichkeiten der Einflußnahme auf europäische Politik werden innerhalb der nationalstaatlichen Arena stark von der Machtverteilung zwischen Zentrale und Regionen bestimmt, die zwischen den Mitgliedsstaaten entlang einer Achse vom Föderalstaat zum Zentralstaat erheblich variiert (Jeffery 2000: 12). Die Stellung der Regionen im jeweiligen politischen System definiert dabei nicht nur deren formalrechtlichen und politischen Kompetenzen im Sinne ihrer Beteiligung an der nationalen Europapolitik, sondern erhöht mit zunehmender Legitmität und Repräsentativität auch den potentiellen Wert des regionalen Akteurs für die Kommission (Jeffery 1997: 193; Kohler-Koch 1998a: 251).
Entsprechend verfügen die Regionen der föderal verfaßten Mitgliedsstaaten nicht nur über ein höheres Einflußpotential auf europäische Politik bedingt durch ihre weitreichenden und institutionalisierten innerstaatlichen Einflußmechanismen sowie aufgrund ihrer größeren politischen und materiellen Ressourcen, sondern sie befinden sich auch in der europäischen Arena in einer privilegierten „Ausgangsposition“ gegenüber ihren Gegenstücken der eher unitaristischen Mitgliedsstaaten (vgl. Greenwood 1997). Entsprechend ist vermutet worden, daß die institutionell stärksten Regionen von allen zur Verfügung stehenden, d.h. indirekten und direkten Wegen der regionalen Interessenvertretung am intensivsten Gebrauch machen (Hooghe 1995: 34; Hooghe/Keating 1994: 375).
2.2.2.2. Das policy-making in der Europäischen Union
Im variablen Mehrebenensystem EU herrschen in verschiedenen Politikfeldern, in verschiedenen Politikphasen und bei verschiedenen Arten von Politikentscheidungen jeweils verschiedene Arten der Politikentstehung vor. Das europäische policy-making wird damit auch unter analytischen Gesichtspunkten zu einem hochkomplexen Vorgang, der nicht mit einem einzigen Konzept zu erfassen ist (vgl. Scharpf 2000; Wallace 2000).5
Vor diesem Hintergrund variieren die Einflußmöglichkeiten regionaler Akteure mit den verschiedenen Formen des policy-making in der EU.
Eine Unterscheidung allein nach Politikfeld greift dabei zu kurz, wie an der Strukturpolitik der Gemeinschaft demonstriert worden ist: So differieren die Involvierung und das Einflußpotential subnationaler Akteure erheblich zwischen den verschiedenen Politikphasen. Während sie vor allem bei Planung und Implementation der Programme eine relativ starke Rolle einnehmen (Staeck 1997; Thielmann 2000), bleiben die nationalen Regierungen bei der Politikformulierung, d.h. der Entscheidung über das Gesamtbudget und die generellen Förderziele, die dominaten Akteure und können als gatekeeper fungieren (Allen 2000; Bache 1998) - auch wenn regionale Akteure versuchen, ihre Einflußnahme auf diese frühen Phasen der Strukturpolitik auszudehnen (Sutcliffe 2000: 300; Peterson/Bomberg 1998; Staeck 1996: 264).6
Das Ausmaß, in dem nationale Regierungen diese Rolle ausfüllen, hängt allerdings wiederum von der innerstaatlichen Machtverteilung zwischen Zentrale und Regionen ab (Pollack 1995: 377). So urteilt Bache (1999) für Großbritannien, daß die britische Regierung selbst in der Implementationsphase als ein „extended gatekeeper“ auftreten kann (vgl. Greenwood/Levy/Stewart 1995).
Die Debatte um eine einerseits als „essentially intergovernmental“ charakterisierte europäischen Regionalpolitik (Bache 1998; Pollack 1995; Allen 2000), die aber anderseits als Musterfall für das MLG-Konzept angeführt wird (Marks 1993), kann mit Petersons Modell (1995; Peterson/Bomberg 1999) für die politikwissenschaftliche Forschung zum europäischen policy-making fruchtbar gemacht werden. Peterson führt zu analytischen Zwecken eine Differenzierung des Regierens in der EU ein, die sich an der Art der Entscheidungsfindung orientiert. Er unterscheidet auf supersystemische, systemische und subsystemische Art getroffene Entscheidungen, denen er verschiedene Formen des Regierens und entsprechend verschiedene theoretische Konzepte zuordnet:
Durch intergouvernementale Verhandlungen, beispielsweise auf Gipfeltreffen des Europäischen Rats oder auf Regierungskonferenzen, mittels bargaining und package dealing herbeigeführte Entscheidungen finden demnach supersystemisch statt. Die Nationalregierungen sind die dominanten Akteure. Häufig handelt es sich dabei um history-making decisions, im Bereich der Strukturpolitik ordnen Peterson/Bomberg (1999: 150-155) dem aber auch die Entscheidungen über das Gesamtbudget der Förderperiode, die zentralen Verteilungsfragen mit der Festlegung der Ziel-1-Regionen sowie die generelle Richtung der Strukturpolitik zu (vgl. Pollack 1995: 367f.).
Entscheidungen, die in einem systemischen Kontext getroffen werden, zeichnen sich dagegen durch den Wettbewerb zwischen den europäischen Institutionen um den jeweiligen Einfluß auf das decision-making aus. Potentiell dominieren der Rat und der Ausschuß der Ständigen Vertreter (COREPER), aber auch die Kommission und je nach Zuständigkeit das Europäische Parlament (EP) können als entscheidende Akteure auftreten. So können interinstitutionelle Koalitionen für das Ergebnis durchaus ausschlaggebend sein (Peterson 1995: 73f.). Dies betrifft Entscheidungen über das policy-setting in der Auswahl von Politikoptionen. Das Gewicht der Kommission ist hierbei je nach Politikbereich verschieden, gerade aber in der Strukturpolitik hat sie sich eine führende Rolle erarbeitet. Zwar entscheidet sie nicht allein, trägt aber die Initiative über die Verordnungen und Prinzipien der Strukturpolitik und schlägt auch die Förderkriterien vor (Peterson/Bomberg 1999: 156-163).
Subsystemisch dagegen resultieren Entscheidungen am ehesten aus Politiknetzwerken, an denen eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure beteiligt sein kann. Zentren dieser Netzwerke sind die admininistrativen Etagen der Kommission und das vielfältige Ausschußwesen von Rat und Kommission. Hier wird in überwiegend informellen Mechanismen Politik ausgestaltet (Peterson 1995: 74-76), so daß individuelle regionale Akteure wie auch private Interessengruppen in diesen vertikalen Netzwerken grundsätzlich die größten Einflußchancen auf europäische Politik besäßen (Peterson/Bomberg 1998; Peterson/Bomberg 1999: 21). Das trifft auch auf die Strukturpolitik zu, bei der in den subsystemischen Akteursbeziehungen nicht nur Implementation und Monitoring im Zentrum stehen, sondern diese mit den dort entstehenden Entwürfe zu Strukturfondsverordnungen auch Kern von Politikformulierung sein können (Peterson/Bomberg 1999: 166f.).
Daran wird deutlich, daß Petersons Unterscheidung weder mit einer Aufteilung des Politikprozesses in Politikphasen korreliert, noch zwangsläufig mit der Reichweite der getroffenen Entscheidung korrespondiert (Peterson/Bomberg 1999: 10). Vielmehr entsteht durch die verschiedenen Arten von decison-making und die im Verlaufe des Politikprozesses variierenden Modi von governance eine hochkomplexe politikfeldspezifische Kombination aus beidem (Wallace 2000: 70-73).
Entgegen dieser analytisch kaum noch handhabbaren Komplexität läßt sich festhalten, daß für die Chancen der Einflußnahme grundsätzlich die frühen Phasen des Politikprozesses, insbesondere das agenda-setting, die entscheidenden sind (Peters 2001). Dies gilt für defensive Ziele spätestens seit dem Mitentscheidungsverfahren und der Ausweitung der qualifizierten Mehrheit im Rat, mehr noch aber für Versuche aktiver Politikgestaltung.
2.3. Die Akteursperspektive: Lobbying im europäischen Mehrebenensystem
Hat die Auseinandersetzung mit dem europäischen policy-making das variable Einflußpotential von regionalen Akteuren in der europäischen Arena deutlich gemacht, so sollen unter Rückgriff auf Erkenntnisse zum Lobbying in der EU Aussagen über das Verhalten von Regionen als Akteure direkter Interessenvermittlung getroffen werden. Dies geschieht unter der Annahme, daß ein Großteil der direkten regionalen Interessenvertretung in der EU außerhalb formeller, institutionalisierter Arrangements stattfindet (Benz 1998: 119; Neunreither 2001; vgl. Ast 1999: 36f.). Benutzt man den Raum zwischen van Schendelens (1993: 3) Minimaldefinition von Lobbying als „the informal exchange of information with public authorities“ und seiner Maximaldefinition als „trying informally to influence public authorities“, so lassen sich alle Arten der auf informellen Wegen versuchten Interessenmediation als Lobbying verstehen.7In die Gruppe der Lobbyingakteure, im klassischen Verständnis private Interessen jeder Art, müssen demnach für den Politikprozeß in der EU auch öffentliche Akteure einbezogen werden (van Schendelen 1993; Mazey 1995; Greenwood 1997; Pfeiffer 1995: 59).8
2.3.1. Lobbying als Charakteristikum der Interessenmediation in der Europäischen Union
Lobbying ist als ein Charakteristikum des europäischen Politikprozesses herausgearbeitet worden, auf den die großen Konzepte der Interessenmediation (Korporatismus/Pluralismus) nicht ohne weiteres übertragen werden können, da ein einziges, zentrales Gremium der politischen Entscheidung im Mehrebenensystem EU nicht existiert (Grande 1996).
Voraussetzung für ein hohes Maß an Lobbying ist eine pluralistische Grundstruktur mit einer relativ frei zugänglichen und kompetitiven politischen Arena. Dafür ist im europäischen Mehrebenensystem der hohe Informationsbedarf der Kommission grundlegend, die einen „sponsered pluralism“ etabliert hat (Nollert 1997).9Als „adolscent bureaucracy“ ist sie auf den Input von Ideen, Interessen und Expertise geradezu angewiesen (Mazey/Richardson 1993: 9, 21; Hull 1993; van Schendelen 1993; Mazey/Richardson 2001; Pfeiffer 1995: 29f.).
Von dieser Annahme ausgehend arbeiten theoretische Ansätze zum EU-Lobbying häufig mit Angebot-Nachfrage-Konzepten, die sich auf Information und Expertise, aber auch auf Repräsentativität als Ressource beziehen, über die Lobbyingakteure verfügen und die in Abhängigkeit von der jeweiligen Politikphase und dem politischen Akteur ihre Zugangschancen bestimmen und damit die Wahrscheinlichkeit, diese „Tauschwerte“ in politischen Einfluß umzumünzen (vgl. Bouwen 2002; Michalowitz 2001; van Schendelen 2001).
Herangehensweisen dieser Art, wie jüngst Bouwens „theory of access“ (2002), beschränken sich allerdings auf klassische Lobbyingakteure und beziehen sich überwiegend auf den gemeinschaftlichen Legislativprozeß.10Auf diesen werden jedoch die Versuche direkter regionaler Einflußnahme in dieser Untersuchung nicht eingegrenzt. Zudem gibt es weitere Gründe, warum solche theoretischen Ansätze nicht ohne weiteres auf die Interessenvertretung öffentlicher regionaler Akteure in der EU angewandt werden können:
Regionale Gebietskörperschaften als Lobbyisten aggregieren und verfolgen im Gegensatz zu Verbänden und anderen organisierten Interessengruppen eine Vielfalt auf verschiedene Politikfelder bezogene Interessen (Mazey 1995; Greenwood 1997).
Für subnationale Akteure in der EU ergibt sich durch die formale Einbindung in den politischen Prozeß das Problem der Abgrenzung des Lobbyings von institutionalisierten Formen regionaler Mitwirkung, die solchen Akteuren zur Verfügung stehen (Pfeiffer 1995: 59-63). Dies ist besonders augenscheinlich im Falle der Bundesländer, die über den Bundesrat im innerstaatlichen Politikprozeß auch Entscheidungsträger sind und über Sanktionsmöglichkeiten verfügen. Das Konzept von Lobbying ist hierauf nicht anwendbar.
Dennoch besitzt, wie im weiteren gezeigt werden soll, auch die direkte regionale Interessenvertretung der Länder in der europäischen Arena Spezifika des Lobbyings.
2.3.2. Regionales Lobbying
Obwohl sich Darstellungen zum EU-Lobbying selten explizit auf öffentliche Akteure als Interessenvermittler beziehen, werden die Brüsseler Regionalbüros in deskriptivorientierten Abhandlungen häufig in einer Reihe mit den Lobbyingeinrichtungen anderer organisierter Interessen genannt (Mazey/Richardson 1993: 7; Greenwood 1997; Pfeiffer 1995: 19; Diekmann 1998: 211). In der Tat haben Studien zu diesen Regionalbüros gezeigt, daß ein Großteil ihrer Tätigkeiten klassischen Lobbyingtechniken entspricht. Neben dem Informationsaustausch beruht dabei, vergleichbar mit privaten organisierten Interessen, die „Lobbying-Strategie der Regionenbüros [...] auf der geschickten Ausnutzung eines Netzwerkes, das persönliche Kontaktpflege über längere Zeit erfordert.“ (Neunreither 2001: 171). Dieses Kontaktnetz reicht in die europäischen Institutionen hinein und darüber hinaus zu potentiellen Verbündeten (Morass 1994; Marks et. al. 1996; Badiello 1998; Neunreither 2001: 156f.; Jeffery 1997). Die Regionalbüros sind daher als Teil einer informellen regionalen Interessenvertretung zu verstehen, für die der Begriff des „regional lobbying“ (Mazey 1995; Badiello 1998) bzw. „public lobbying“ (van Schendelen 1993) geprägt wurde.11
Da sowohl private als auch öffentliche Lobbyingakteure unter den spezifischen Bedingungen des europäischen Mehrebenensystems und seines institutionellen Gefüges operieren, kann von einer Reihe von Gemeinsamkeiten für beide Akteursgruppen ausgegangen werden (vgl. Mazey/Richardson 1993: 9f., 16f.):
Die versuchte Einflußnahme folgt der Betroffenheitslogik (Mazey 1995; Greenwood 1997; Neunreither 2001).
Die Kommisson mit ihrem administrativen Unterbau ist der vorrangige Adressat des Lobbyings auf europäischer Ebene. Zum einen ist sie bedingt durch den oben erwähnten Informationsbedarf relativ offen und zugänglich für Interessengruppen aller Art, die damit potentiell ihre „power of knowledge“ gegenüber den anderen europäischen Institutionen erhöhen (Elgström/Smith 2000: 677). Zum anderen eröffnen sich durch ihr legislatives Initiativrecht in der ersten Säule und ihre agenda-setting power die Möglichkeiten einer frühzeitigen Einflußnahme, die zugleich die Erfolgsaussichten eines verfolgten Anliegens beträchtlich erhöhen (Hull 1993: 83f.; van Schendelen 1993; Peters 2001). Mit der Ausweitung seiner Kompetenzen wird auch das EP verstärkt in das Lobbying einbezogen (Mazey/Richardson 1993: 12; vgl. Mazey/Richardson 2001). zesses regulativer Politik in der ersten Säule und schränkt damit das Spektrum seiner Anwendung erheblich ein.
Das Fehlen eines „center of accumulated authority“ (Hooghe 1996: 18) und damit zugleich das Fehlen eines zentralen access point für externe Einflußnahme im europäischen Mehrebenensystem bedingen die Notwendigkeit einer komplexen „multi-track lobbying strategy“, die auf unterschiedlichen Ebenen und an verschiedenen Punkten angreift (Mazey/Richardson 1993: 16f.; Grande 1996: 323; van Schendelen 2001; Pfeiffer 1995: 74f.). Für regionale Akteure wie die Bundesländer bedeutet dies einen hohen Koordinierungsbedarf zwischen ihrer innerstaatlichen Mitwirkung und Einflußnahme und ihren Interessenvertretungsbemühungen auf europäischer Ebene.
Lobbying in der EU erfolgt häufig reaktiv. Ursache dafür ist die vergleichsweise hohe, generelle Unvorhersagbarkeit des europäischen Politikprozesses (van Schendelen 2001) und insbesondere des agenda-setting, das sich kompetitiv zwischen den verschiedenen europäischen Institutionen und auch den nationalen Regierungen entwickelt (Peters 2001; Mazey/Richardson 1993: 11; Mazey/Richardson 2001). Dies erschwert zusammen mit der kompartimentalen Struktur der Kommission das Monitoring der Politikentwicklung erheblich (Mazey/Richardson 1993: 20-22; vgl. Donelly 1993).
Die Lobbyingstrategien und das konkrete Vorgehen sind abhängig vom jeweiligen Anliegen (van Schendelen 2001; Diekmann 1998: 239; vgl. Neunreither 2001).
Kollektiven Strategien des Lobbyings, die sich auf eine möglichst repräsentative, transnationale Koalition stützen, erhöhen die potentiellen Erfolgsaussichten, weil dadurch das verfolgte Anliegen für die gesamteuropäischen Interessen verpflichtete Kommission an Gewicht gewinnt (van Schendelen 2002; Mazey/Richardson 2001; Kohler-Koch 1993; Diekmann 1998). Für spezifische Regionalinteressen bestehen Chancen zur Einflußnahme gerade auch in den frühen Politikformulierungsphasen dann, wenn ihnen die Schaffung einer „winning coalition“ unter Einschluß der Kommission gelingt (Peterson/Bomberg 1998; Jeffery 2000; Greenwood 1997: 224).
Gegenüber Verbänden und anderen Interessengruppen haben regionale Akteure, soweit es sich um gewählte Gebietskörperschaften handelt, dabei den Vorteil, daß sie eine grundsätzliche Legitimität und Repräsentativität der von ihnen verfolgten Interessen geltend machen können (Jeffery 1997: 193; Diekmann 1998: 236; Pfeiffer 1995: 82f.; siehe 2.2.2.1.). Mit der persönlichen Intervention ihrer politischen Repräsentanten bei hochrangigen Kommissionsbeamten oder direkt bei Kommissaren steht ihnen überdies eine „,dramatischere‘ Form des Lobbyings“ zur Verfügung, die ihrem Anliegen höheres politisches Gewicht verschaffen kann (Diekmann 1998: 221; Neunreither 2001: 172; Morass 1994: 147). Bezüglich der europäischen Strukturpolitik kommt hinzu, daß subnationale Akteure aufgrund ihrer Relevanz bei Planung und Implementation einen zusätzlichen Nutzen für die Kommission besitzen (Goldsmith/Klausen 1997).
Zudem ist die Involvierung regionaler Akteure von der Kommission politisch gewollt. Seit der Strukturfondsreform von 1998 unterbreitet sie gezielt Anreize zur Beteiligung subnationaler Akteure in der Regionalpolitik und darüberhinaus am europäischen Politikprozeß bei der Diskussion um ordnungspolitische Leitideen in Grünund Weißbüchern sowie zur Bildung transnationaler interregionaler Interessenkooperationen (Hooghe 1996; Tömmel 1998; Kohler-Koch 1998: 24; Greenwood 1997: 224). Diese Stimuli erwiesen sich insgesamt als „powerful mobilizers of diverse local and regional interests“ (Hooghe/Keating 1994: 385; Goldsmith/Klausen 1997).
2.3.3. Endogene Ressourcen als Faktoren der regionalen Interessenwahrnehmung
Unabhängig von ihren formalrechtlichen und politischen Kompetenzen im Rahmen ihres nationalen Systems steht die Möglichkeit, über informelle Wege der direkten Interessenvermittlung Einfluß auf den europäischen Politikprozeß zu nehmen, prinzipiell allen regionalen Gebietskörperschaften offen. Dennoch nehmen nicht alle die Angebotsstrategie der Kommission gleichermaßen wahr.
Eine starke innerstaatliche Stellung der subnationalen Ebene stellt zwar eine privilegierte Ausgangsbasis dar, sie ist aber nicht die ausschließliche Determinante für eine erfolgreiche Vertretung regionaler Interessen auf europäischer Ebene (Boucké [u.a.] 2001; vgl. Peterson/Bomberg 1998; Ast 1999). Goldsmith/Klausen (1997a: 239) kommen am Ende ihrer empirischen Studie über die Ausrichtung lokaler Gebietskörperschaften auf den europäischen Politikprozeß zu dem Schluß, daß sich in jedem Mitgliedsstaat Beispiele für die verschiedenen, von ihnen aufgestellten Kategorien der konteraktiven, passiven, reaktiven und proaktiven Gebietskörperschaften finden lassen, die sich auch auf regionale Akteure anwenden lassen. Proaktive Akteure zeichnen sich dabei durch eine grundsätzlich pro-europäische Einstellung der Exekutive aus, verfügen über europapolitische Verwaltungsabteilungen mit qualifiziertem Personal sowie über ein Büro in Brüssel und sind in transregionale Kooperationsstrukturen eingebunden (Goldsmith/Klausen 1997a).
Die Nutzung der regionalen Einflußchancen steht also im Zusammenhang mit endogenen Faktoren, die hier entliehen von Schmitt-Egner (1996), aber modifiziert unter dem Stichwort der „Europakompetenz“ zusammengefaßt werden.12Dabei wird auf folgende endogene Ressourcen abgehoben:
Die Ausrichtung der regionalen Exekutive auf die Politikprozesse in der EU und damit verbunden eine interne administrative Anpassung werden als eine grundlegende Voraussetzung für die Wahrnehmung der Möglichkeiten direkter regionaler Interessenvertretung angenommen (Sturm/Pehle 2001; Goldsmith/Klausen 1997a; Jeffery 2000: 14f.; vgl. Kohler-Koch 1998a: 250f.; Hooghe/Keating 1994). Dies bedeutet auch die Notwendigkeit der Entwicklung entsprechender fachlicher Kompetenz in der Verwaltung.
Mit Hinblick auf die Erfordernisse des Agierens im komplexen und zeitlich überdies variablen Mehrebenensystem EU wird analog zu klassischen Lobbyingakteuren ein positiver Zusammenhang zwischen dem Potential der regionalen Interessenvermittlung und der internen Effizienz, Koordinierungs- und Anpassungsleistung des regionalen Akteurs unterstellt (vgl. Nollert 1997: 119; Mazey/Richardson 2001).
Ebenfalls analog zu anderen organisierten Interessen wird angenommen, daß die Nutzung der vorhandenen Möglichkeiten direkter regionaler Interessenvertretung von den verfügbaren finanziellen, personellen und fachlichen Ressourcen abhängt (vgl. Nollert 1997: 117f.; Mazey/Richardson 2001; Jeffery 1997). Desweiteren wird auch die transregionale Vernetzung, d.h. die Einbindung und Fähigkeit zur transnationalen interregionalen Kooperation als potentiell positives Moment für die Einbringung regionaler Interessen in den europäischen Politikprozeß verantwortlich gemacht (Grote 1998: 87; vgl. Schmitt-Egner 1996; Knodt 1998):
„Für die einzelne Region wird die erfolgreiche Interessendurchsetzung und Einflußnahme auf die Europapolitik [...] zusehends von der Vernetzungsleistung ihrer politischen Entscheidungsträger abhängen, [...] und [davon] externe Kooperationspartner zur gemeinsamen Interessendurchsetzung oder Problemlösung zu finden.“ (Fischer 1999: 39)
Die Vernetzung deutet dabei auf zwei Aspekte: Zunächst ist die Beteiligung an Netzwerken, interregionalen Foren sowie an anderen transnationalen Kontakten mit einem „social learning process“ der Akteure verbunden (Weyand 1997; vgl. Ercole [u.a.] 1997). Zweitens wird dadurch die Bildung von Koalitionen erleichtert, die für den individuellen regionalen Akteur auschlaggebend sein können, um das decision-making in seinem Sinne zu beeinflussen oder ein spezifisches Anliegen durchzusetzen (Peterson/Bomberg 1998). Dabei stehen interregionale Kooperation und regionale Konkurrenz in einem Spannungsverhältnis, sind aber nicht grundsätzlich widersprüchlich (vgl. Ercole [u.a.] 1997: 220).
Entgegen der oben erwähnten Annahme, daß die insitutionell stärksten regionalen Akteure zugleich auch die anderen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der regionalen Interessenvertretung em ehesten wahrnehmen (Hooghe 1995), deuten empirische Untersuchungen darauf hin, daß beispielsweise die Beteiligung an informellen Netzwerken durch die deutschen Länder vernachlässigt wird, ihnen wird im allgemeinen eine relativ schwache Vernetzung attestiert (Peterson/Bomberg 1998; vgl. Diekmann 1998: 257). Im Vergleich zu bedeutend schwächeren subnationalen Gebietskörperschaften wie englischen counties oder französischen régions scheinen sie auch weniger bemüht um Pilotprojekte und weniger erfolgreich bei der Akquirierung von Fördermitteln (Benz/Eberlein 1999; vgl. Peterson/Bomberg 1998; Ehrenberg 2001).
3. Die Bundesländer als regionale Akteure in der EU
Bewertet man die Machtverteilung und die sich überlappenden Kompetenzen im europäischen policy-making zwischen den verschiedenen territorialen Ebenen im Resultat der regionalen Mobilisierung maximal als ein „Europe with some regions“ (Marks [u.a.] 1996: 189; Boucké [u.a.] 2001), so zählen die deutschen Länder sicherlich zu diesen some, auch wenn zwischen ihnen das Maß und die Intensität ihrer auf die EU bezogenen Aktivitäten differieren (Jeffery 2000: 18; Knodt 1998; vgl. Erfurth 2000). Gemessen an der Kategorisierung von Goldsmith/Klausen (vgl. 1997: 240f.) können sie alle zumindest als reaktive Akteure im europäischen Mehrebenensystem verortet werden.
Das folgende Kapitel setzt sich mit der Nutzung von Einrichtungen der direkten Interessenvertretung durch die Länder auseinander und wirft Licht auf Konfliktlinien zwischen ihnen hinsichtlich europapolitischer Fragen, da in divergierenden Interessenlagen der Länder ein wesentlicher Anreiz zum Engagement auf europäischer Ebene vermutet wird.1
3.1. Die „Third-Level Strategy“: Der Ausschuß der Regionen
Neben dem Konzept der „European domestic policy“, mit dem die Länder ihre Ansprüche auf institutionell gesicherte Teilhabe an der bundesdeutschen Europapolitik begründeten, haben sie, so Jeffery (1997a; vgl. Zumschlinge 1989: 231), ein über diese defensive Strategie hinausgehendes Ziel verfolgt: die Etablierung einer starken regionalen Ebene in der europäischen Arena mit einer institutionell verankerten dritten Kammer, die über Mitspracherechte verfügt. Dieses Bestreben manifestiert sich im durch den Vertrag von Maastricht geschaffenen AdR, der auf die Initiative der Bundesländer zurückgeht (Kalblfleisch-Kottsieper 1994).
Angesichts der Realität des AdR muß jedoch das eigentliche Projekt einer „dritten Ebene“ als gescheitert gelten (Jeffery 1997a).
Verbunden mit den innerstaatlichen Mitwirkungsmöglichkeiten hat insgesamt eine Refokussierung der Länder auf ihre eigenen Ziele stattgefunden, so daß sie kaum noch versuchen, ihre Interessen im weiteren Kontext einer dritten Ebene in der EU durchzusetzen (Jeffrey 1997a; vgl. Kalbfleisch-Kottsieper 2001). Neben den rein konsultativen Kompetenzen des regionalen Gremiums ist es vor allem seine heterogene Zusammensetzung aus gewählten politischen Repräsentanten der regionalen Einheiten föderal verfaßter Mitgliedsstaaten und Vertretern kleiner lokaler Gebietskörperschaften, die für seine schwache Position im europäischen Politikprozeß verantwortlich ist (Bindi Calussi 1998: 231; Degen 1998; bereits Morass 1994: 160f.). Zwar hat sich die Anzahl der Entschließungen und Stellungnahmen, die der AdR jährlich im Rahmen seines Selbstbefassungsrechts und der obligatorischen Anhörung verabschiedet, seit 1995 beträchtlich erhöht, diese werden aber vom Rat häufig nicht einmal gelesen (Bindi Calussi 1998: 240). Die Kommission dagegen unterhält eine intensive Kommunikation mit dem Ausschuß, nimmt an den Fachkommissionssitzungen und häufig an vom AdR organisierten thematischen Konferenzen teil (Hrbek 2001: 492f.). Dies geschieht vor dem Hintergrund der interinstitutionellen Konkurrenz, wobei sie die eigene Position gegenüber dem Rat durch einen Informationsvorteil in spezifischen Fragen zu stärken sucht, und durch eine höhere Legitimität, die sie aufgrund der Vertretung transeuropäischer Interessen für sich reklamieren kann (Bindi Calussi 1998: 238). Die demokratische Legitimation seiner gewählten Mitglieder wird entsprechend auch als der eigentliche Grund dafür angesehen, daß der AdR zumindest mehr Einfluß geltend machen kann als der ebenfalls nur mit konsultativen Rechten ausgestattete Wirtschafts- und Sozialausschuß (Bindi Calussi 1998).
Die deutschen Länder spielen, gemessen an der Zahl der Berichterstatter und Auschußvorsitzenden, die die Meinungsbildung in den Ausschüssen maßgeblich bestimmen, keine führende Rolle (Kalbfleisch-Kottsiper 2001: 171; Degen 1998). Häufig mangelt es an der Anwesenheit ihrer Vertreter, da Beamte weder im Plenum, noch in den Fachausschüssen über Stimmrecht verfügen (Degen 1998). Es scheint eher so zu sein, daß für die deutschen Länder im Zusammenhang mit dem AdR ein „institutioneller Lernprozeß transregionaler Kooperation“ im Vordergrund steht (Morass 1994: 168) und seine Bedeutung eher als Forum zum Knüpfen interregionaler Kontakte zu sehen ist (Brummer 2002: 32). Auch wenn es vor allem Deutschland war, das die Ausweitung der obligatorischen Anhörung des AdR und seine institutionelle Stärkung im Rahmen des intergouvernementalen bargaining bei den Verträgen von Amsterdam und Nizza durchgesetzt hat (Bindi Calussi 1998), so kann davon ausgegangen werden, daß der AdR für die deutschen Länder „verglichen mit den innerstaatlich durchgesetzten Mitwirkungsmöglichkeiten eher eine Sache von sekundärer Bedeutung“ darstellt (Kalbfleisch-Kottsieper 1994: 138).
3.2. Die deutschen Länderbüros in Brüssel
Die Errichtung der Länderbüros in Brüssel hing sowohl mit der im Zuge der EEA ausgeweiteten Überschneidung regionaler und supranationaler Kompetenzen zusammen als auch mit der Unzufriedenheit der Länder hinsichtlich der Informationspolitik der Bundesregierung in europäischen Angelegenheiten (Zumschlinge 1989).2Die ursprüngliche Motivation für den Aufbau direkter Kontakte nach Brüssel war also nicht vorrangig von finanziellen Interessen bestimmt (vgl. Marks [u.a.] 1996). Den Informationsbedarf der Länder durch Monitoring der europäischen Politikvorhaben und Entscheidungsprozesse sowie den Informationsausstausch mit den europäischen Institutionen zu befriedigen, gilt nach wie vor als die wesentliche Funktion dieser Verbindungsbüros (Jeffrey 1997; Neunreither 2001: 154f.; vgl. Zumschlinge 1989: 229f.).
Neben der Rolle eines Frühwarnsystems bezüglich anstehender und für das Land relevanter europäischer Vorhaben, spielen die Länderbüros jedoch zunehmend auch eine aktivere Rolle in der direkten Interessenvertretung, die sie von anderen Regionalbüros in Brüssel unterscheidet. Motiviert durch den Wunsch der Länder, sich an der Gestaltung europäischer Politik zu beteiligen, die Angelegenheiten ihres spezifischen Interessens berührt, erbringen die Büros im Auftrage eines policy-shaping einen Informationsinput in den europäischen Politikprozeß (Jeffery 1997a; Neunreither 2001: 155f.). Dabei fungieren die Büros in Brüssel als „ein Element innerhalb einer komplexen Strategie der Interessenvertretung des Landes“ (Neunreither 2001: 171). Die Ausfüllung dieser Rolle steht allerdings im Zusammenhang mit den finanziellen und personellen Ressourcen des Verbindungsbüros und bestimmt sich durch das jeweilige Selbstverständnis des Landes (Neunreither 2001: 153; Jeffery 1997a). Als „big Euro-players“ gelten die großen Flächenländer Bayern, Baden-Württemberg und NRW (Jeffery 1997a: 64). Zumindest diesen dürfte es inzwischen auch um „Einflußnahme auf den Entscheidungsprozeß von EG-Organen“ gehen und nicht nur um „Informationsbeschaffung“ (Zumschlinge 1989: 231; vgl. Neunreither 2001: 154f., 171)
Die deutschen Länderbüros besitzen im allgemeinen ein höheres Gewicht als andere Regionenbüros, da sie Repräsentanzen demokratisch legitimierter Regierungen sind, die über einen hohen innerstaatlichen Einfluß verfügen (Diekamm 1998: 236). Überdies ist die horizontale Koordination der Länder in der Europapolitik, die innerhalb der bundesdeutschen Arena hauptsächlich über die Europaministerkonferenz (EMK) und die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) geschieht, mit der Einrichtung der thematischen Arbeitskreise der Länderbüros auf Brüssel ausgedehnt worden. Diese Maßnahme dient in erster Linie der Arbeitsrationaliserung, indem sie den Informationsgewinn effektiver gestaltet (Neunreither 2001: 157f., 172; vgl. Diekmann 1998: 254f.; Engel 2000: 50).3
Morass (1994: 152, 193) schließt sogar, daß über diesen Informationsaustausch hinaus typischerweise keine Kooperation zur Interessenvermittlung zwischen den Länderbüros bzw. mit anderen Regionalbüros in Brüssel besteht, weil er die Motive hinter der direkten regionalen Interessenvertretung im Zusammenhang mit regionaler Standortkonkurrenz verortet. Anders als zu Beginn stünden nach der Ausweitung der innerdeutschen Beteiligungsrechte auch bei den deutschen Länderbüros konkrete materielle Interessen im Vordergrund, die sich beispielsweise im Versuch manifestieren, die speziellen Bedingungen von Förderprogrammen entsprechend zu modifizieren und die bestmöglichen Ausschöpfung von Fördermitteln zu erreichen (vgl. Neunreither 2001: 153f., 170). Empirische Untersuchung ergaben entsprechend, daß das Lobbying durch die Länderbüros Anfang 1990er Jahre fallbezogenen war und sich auf „punktuelle Interventionen“ beschränkte, weshalb Morass (1994: 145) sie auch den Interessengruppen gleichstellte (vgl. Neunreither 2001: 180). und wurden erst im § 8 EUZBLG von 1993 formalrechtlich verankert, ausdrücklich ohne diplomatischen Status (Morass 1994: 154-156.; Zumschlinge 1989: 230f.).
[...]
1Der Begriff der Arena wird in dieser Arbeit bezogen auf die verschiedenen politischterritorialen Ebenen in der EU verwendet, wo er einen „institutionell abgrenzbaren Interaktionszusammenhang“ bezeichnet, der je nach Politikfeld variieren kann (vgl. Benz 1992: 153).
2Die Angaben darüber, welches das erste Regionalbüro in Brüssel war, differieren. Jeffery (1997: 183) verweist auf das 1984 eröffnete Büro des Birmingham City Council, Marks [u.a.] (1996: 165) dagegen nennen die Vertretungen des Saarlandes und Hamburgs.
3Für regionale Aktivitäten außerhalb des nationalstaatlichen Handlungsrahmens ist der Begriff der „paradiplomacy“ geprägt worden, der allgemein auf Regionen als neue Akteure im internationalen System fokussiert (Keating 1999).
4Sämtliche Angaben zu den Artikeln beziehen sich auf die durch den Vertrag von Amsterdam konsolidierten Fassungen von EGV und EUV.
5Einzige Ausnahme bilden die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein, die gemeinsam das „Hanse-Office“ betreiben.
1Die Nomenklatur der statistischen Gebietseinheiten (NUTS) wurde von Eurostat erstellt, um ein einheitliches und zusammenhängendes Schema der Gebietseinteilung zu schaffen. NUTS I bezeichnet in Deutschland die Länder, kann aber wie im Falle Irlands oder Schwedens auch das Gebiet des gesamten Nationalstaates umfassen. NUTS II entsprechen in der Bundesrepulik die Regierungsbezirke, NUTS III bezieht sich auf die Landkreise. Im Falle des Landes Berlin sind NUTS I und II deckungsgleich, während Westberlin und Ostberlin zu den NUTS-III-Regionen zählen.
2MLG ist demnach eng mit der Anwendung von Netzwerkanalysen auf das policy-making in der EU verknüpft. Die Netzwerktheorie wird hier nicht erörtert, da diese Arbeit das Thema
3Hooghe (1996) konstatiert zwar eine Rückkehr zum Pragmatismus und ein Erstarken der nationalen Exekutive und der Machtpolitik in der EU-Strukturpolitik nach der Reform 1993, da aber die subnationalen Akteure nach wie vor involviert seien, bleibt ihrer Ansicht nach die Vorstellung der EU als einer „multi-level polity“ berechtigt (vgl. Sutcliffe 2000).
4Benz (2001) spricht auch vom „Mehrebenenstaat“ EU, womit gemeint ist, daß die klassischen Staatsaufgaben zwar weiterhin wahrgenommen werden, aber auf verschiedene territoriale Ebenen verteilt sind. Bache (1998) hat das Konzept des „flexible gatekeeping“ für den europäischen Politikprozeß entwickelt; Jachtenfuchs/Kohler-Koch (1996) sprechen vom
5Scharpf (2000) unterscheidet vier Modi des Regierens hinsichtlich des Grades ihres supranationalen Charakters, bezieht aber subnationale Akteure nicht ein.
6Gerade durch die funktionale Differenzierung wird dabei die Gefahr von Politikblockaden verringert, indem die Entscheidungsarenen entkoppelt werden (Benz 1998; Benz/Eberlein 1999).
7Diese Definition entspricht der auf Verbände und Interessengruppen reduzierten Definition von Nollert (1997).
8Pfeiffer (1995: 59f.) verortet öffentliche Lobbyingakteure in der EU auf allen Ebenen, national, regional und kommunal.
9Im sponsered pluralism besitzen organisierte Interessen grundsätzlich relativ große Einflußchancen, ohne jedoch institutionell in den Politikprozeß eingebunden zu sein wie in korporativen Systemen der Interessenmediation (Nollert 1997).
10Bouwen (2002) stellt Hypothesen für den Erfolg verschiedener Lobbyingstrategien auf, wobei er die Gewährung des Zugangs und damit den potentiellen Einfluß in einen kausalen Zusammenhang stellt zur Art des von den europäischen Institutionen nachgefragten und durch den Lobbyingakteur bereitgestellten „access good“. Die Theorie bezieht sich ausdrücklich nur auf Wirtschaftsinteressen in der Entscheidungsphase des Gesetzgebungspro
11Nicht zu vergessen ist hierbei, daß regionales Lobbying ein sehr heterogenes Phänomen darstellt. Insbesondere muß im Einzelfall unterschieden werden zwischen regionalen öffentlichen Akteuren, d.h. Repräsentanten regionaler Körperschaften wie den Vertretungsbüros der deutschen Länder, und regional basierten privaten Interessen, wobei sich hierbei auch Formen von korporativer Interessenvertretung herausgebildet haben (Mazey 1995; Greenwood 1997).
12Schmitt-Egner (1996) bezieht die „Europäische Kompetenz“ von Regionen in erster Linie auf die interne und externe Vernetzung der regionalen Akteure mit anderen öffentlichen, aber auch privaten Akteuren.
1Nicht betrachtet werden dabei jene Instrumente, die zwar auf europäischer Ebene angesiedelt sind, aber im Dienste der Gesamtheit der Länderinteressen stehen (Länderbeobachter, Teilhabe von Landesministern im Rat, Bundesratsbeauftragte in Gremien des Rates und der Kommission), da davon ausgegangen wird, daß diese nicht aktiv im Sinne spezifischer regionaler Interessenvertretung genutzt werden können.
2Im Zeitraum zwischen 1985-88 eröffneten alle westdeutschen Bundesländer eigene Büros in Brüssel, bis Juni 1992 folgten dann auch alle neuen Länder (Jeffrey 1997: 189). Die Länderbüros waren vom Bund zunächst als „Nebenaußenpolitik“ der Länder interpretiert worden aus der Sicht eines regionalen Akteurs behandelt und nicht der Frage ihres Anteils an der Politikentstehung in der EU nachgeht.
- Arbeit zitieren
- Victoria Krummel (Autor:in), 2003, Das Land Berlin als europäische Region - Motive, Ziele und Strategien regionaler Interessenvertretung in der europäischen Arena, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22338
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