Einleitung
In der vorliegenden Arbeit wird unter dem Titel:
‚Bewegungsorientierte Jugendarbeit‘
- eine Analyse der Möglichkeiten, Grenzen und der strukturellen
Voraussetzungen - die Problematik des Sports in der (offenen) Jugendarbeit thematisiert.
Der Sport bzw. sportliche Aktivitäten rücken zunehmend wieder stärker in Bereiche der offenen Jugendarbeit vor. Immer mehr Jugendeinrichtungen erweitern seit Jahren ihr pädagogisches Programm mit sportlichen Angeboten. Verschiedene Sportangebote und Formen, angefangen vom Besuch eine Fußballspiels, über wechselnde, sporadische Sportangebote wie Bowling und ‚ins Squash-Center gehen‘, bis hin zu fest etablierten, regelmäßig trainierenden Sportgruppen bestimmen heute das Sportangebot in den (offenen) Jugendeinrichtungen.
Nach langjähriger kritischer Distanz, die bis zur Ablehnung des Sports in der Jugendarbeit reichte, wird der Sport heute wieder als ein wichtiger Schwerpunkt in der Jugendarbeit genannt (vgl. MÜNDER u.a. 1999, 165-166) .
Im Gegensatz zu anderen Sportbereichen wie Vereinssport, Schulsport, Breitensport oder Behindertensport, spielt das Phänomen Sport in der offenen Jugendarbeit bzw. die bewegungsorientierte Jugendarbeit in der Sportwissenschaft, als auch in den ‚Wissenschaften der Pädagogik‘ eine eher untergeordnete Rolle. Der Boom in der Praxis hat kein Äquivalent in der Theorie gefunden.
Dementsprechend kann der aktuelle Diskussionsstand über die Art, Bedeutung, Möglichkeiten und Aufgaben des Sports in o.g. Bereich als unzureichend bezeichnet werden.
Dieser Arbeit liegt die Annahme zugrunde, daß auch oder gerade in der offenen Jugendarbeit der Sport einen wichtigen Stellenwert einnehmen kann und soll.
Die zentrale Frage die in diesem Zusammenhang die gesamte Arbeit durchzieht ist, in wieweit die Institution Jugendzentrum (pädagogische) Effekte des Sports nutzen und ergänzend zum Schulsport und Sportverein wirken kann, welche strukturellen Voraussetzungen hierzu zur Verfügung stehen bzw. geschaffen
werden müßten und wo der Sport in Jugendeinrichtungen seine Grenzen findet bzw. was er nicht zu leisten vermag.
[...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Jugendarbeit im Wandel der Zeit
2.1 Geschichtliche Entwicklung der offenen Jugendarbeit in Deutschland
2.2 Quantitative Entwicklung der Einrichtungen in der BRD
2.3 Trägerstruktur von Jugendfreizeiteinrichtungen
3. Untersuchungsgegenstand Jugendzentrum (JZ)
3.1 Definition und Merkmale des Untersuchungsgegenstandes
3.2 Allgemeine Aufgaben der Jugendarbeit
3.3 Offene Jugendarbeit in Bielefeld
3.4 Anforderungsprofil und Aufgaben der offenen Jugendarbeit in der Stadt Bielefeld
3.4.1 Zum Anforderungsprofil der Bielefelder Jugendarbeit Stand
3.4.2 Anforderungen und Ziele der offenen Jugendarbeit in Bielefeld aktueller Stand
3.5 Mobile Jugendarbeit - eine Ergänzung –
3.5.1 Möglichkeiten der Mobilen Jugendarbeit
3.5.2 Eigenverständnis der mobilen Jugendarbeit
3.6 Mitarbeiterqualifikation in Jugendzentren
3.7 Ausbildungsstruktur der Mitarbeiter
3.7.1 Sport in der Erzieherausbildung
3.7.2 Sport in der Ausbildung zum Diplom-Pädagogen
3.7.3 Sport in der Ausbildung zum Diplom –Sozialpädagogen
3.7.4 Sport in der Ausbildung zum Diplom-Sozialarbeiter
3.8 Grundlegendes Anforderungsprofil an Sportanbieter in der offenen Jugendarbeit
3.9 Abschließende Betrachtung
4. Soziale und persönlichkeitsstärkende Effekte im und durch den Sport
4.1 Identitäts- und Persönlichkeitsbildung
4.1.1 Beiträge des Sports zur Identitätsförderung
4.1.2 Identitätsförderung durch eigene sportliche Leistungen
4.1.3 Identitätsförderung durch Sicherheit im Umgang mit dem eigenen Körper
4.1.4 Beiträge des Sports zur Identitätsförderung durch Geselligkeit
4.2 Moderator-Funktionen des Sports bei der Bewältigung von
4.3 Beiträge des Sports zur Selbst- und Mitbestimmung
4.4 Beiträge des Sports zur Emanzipation
4.5 Beiträge des Sports zur Gesundheitserziehung
4.6 Beiträge des Sports zur Erweiterung des Erlebnis- und Übungsfeldes von Jugendlichen durch Sportfreizeiten
4.6.1 Pädagogische Begründung
4.6.2 Umgang und Erlebnis mit der Natur
4.6.3 Individuell - selbständiges Handeln
4.6.4 Feste Regeln und soziale Verhalten
4.6.5 Alltagsbedeutung
4.7 Abenteuersport/Erlebnispädagogik (EP)
4.7.1 Gegenstandsbestimmung
4.7.2 ERZIEHUNG UND ERLEBEN
5. Ausländer und Sport
5.1 Einstellungen der Ausländer zum Sport
5.2 Mögliche Gründe für eine Sportabstinenz ausländischer Jugendlicher
5.2.1 Außerhäusliche Freizeitgestaltung
5.2.2 Soziale Schichtung
5.2.3 Ausländerklausel
5.3 Gründe für Sport mit Ausländern
5.3.1 Wohnumwelt
5.3.2 Freizeitgestaltung
5.4 Die Gruppe der Aussiedler/Übersiedler
6. Integration durch Sport:
6.1 Mögliche Maßnahmen für ein verbessertes Sportangebot für Ausländer
7. Empirische Untersuchung
7.1 Einleitung
7.2 Untersuchungsgegenstand
7.3 Art der Untersuchung
7.4 Aufbau des Fragebogens
7.5 Pretest
7.6 Auswertung des Fragebogens
7.7 Fragebogenerhebung
8. Architektonische und räumliche Voraussetzungen in den JZ
8.1 Anzahl der Räume
8.2 Größe der Einrichtungen
8.3 Die Situation der für Sport genutzten Räume
8.4 Freiflächen der Einrichtungen
8.5 Weitere Platz- bzw. Raumnutzungsmöglichkeiten für Sport
8.6 Zusammenfassung
9. Finanzielle Rahmenbedingungen
9.1 Höhe des Jahresetats
9.2 Ausgaben für den Bereich Sport
9.3 Zusammenfassung
10. Sportgeräte
10.1 Funktionsfähige Sportgeräte
10.2 Nutzungshäufigkeit der Sportgeräte
10.3 Zusammenfassung
11. Personalstruktur
11.1 Anzahl der Mitarbeiter
11.2 Geschlechterverteilung
11.3 Altersstruktur der Mitarbeiter im Sport, nach Geschlecht unterschieden
11.4 Persönlicher Zeitaufwand für Sport
11.5 Zusammenfassung:
12. Ausbildung der Sportanbieter
12. 1 Beruf der Sportanbieter
12.2 Sportbezogene Ausbildung
12.3 Persönliches sportliches Engagement
12.4 Lieblingssportart
12.5 Zusammenfassung
13. Aus- und Weiterbildung
13. 1 Stellenwert des Sports in der Ausbildung
13.2 Sportbereiche, denen in der Ausbildung mehr Bedeutung zu gemessen werden soll
13.3 Teilnahme an Fort-/ Weiterbildungsmaßnahme
13.4 Notwendige Fortbildungsthemen
13.5 Zusammenfassung
14. Besucherstrukturen
14.1 Altersstruktur der JZ Besucher
14.2 Zielgruppe des Sportangebots
14.3 Nutzung des Sportangebots
14.4 Einzugsgebiet der Jugendzentren
14.5 Schulbildung der Besucher
14.6 Ausländische Besucher
14.7 Sportteilnahme ausländischer Jugendlicher
14.8 Zusammenfassung
15. Sportangebot
15. 1 Anfänge des Sports in JZ:
15.2 Angebotene Sportarten
15.3 Geschlechtsspezifische Verteilung in den Sportarten
15.4 Besucherreaktionen auf das Sportangebot
15.5 Motive für das jeweilige Sportangebot
15.6 Ziele der Sportanbieter
15.7 Bedeutsamkeit des Sports in den Augen der Sportanbieter
15.8 Zusammenfassung
16. Sportorganisation
16.1 Organisationsform der Sportangebote
16.2 Feste Sportgruppen
16.3 Angebotsform Freizeit
16.4 Zusammenfassung
16.5 Teambesprechungen
16.6 Sportkonzeption
16.7 Aspekte bei der Planung von Sportaktivitäten
16.8 Haupttätigkeit der Mitarbeiter im Sport
16.9 Probleme bei der Planung und Durchführung
16.10 Kooperation mit anderen im Sport
16.11 Zusammenfassung
17. Schlußbetrachtung
17.1 Grenzen und Möglichkeiten des Sports
17.1.1 Gesundheitserziehung
17.1.2 Sportfreizeiten
17.1.3 Emanzipation
17.1.4 Integration von Ausländern
17.1.5 Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung
17.1.6 Selbst- und Mitbestimmung
17.2 Fazit
18. Anhang
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In der vorliegenden Arbeit wird unter dem Titel:
‚Bewegungsorientierte Jugendarbeit‘
- eine Analyse der Möglichkeiten, Grenzen und der strukturellen
Voraussetzungen -
die Problematik des Sports in der (offenen) Jugendarbeit thematisiert.
Der Sport bzw. sportliche Aktivitäten rücken zunehmend wieder stärker in Bereiche der offenen Jugendarbeit vor. Immer mehr Jugendeinrichtungen erweitern seit Jahren ihr pädagogisches Programm mit sportlichen Angeboten. Verschiedene Sportangebote und Formen, angefangen vom Besuch eine Fußballspiels, über wechselnde, sporadische Sportangebote wie Bowling und ‚ins Squash-Center gehen‘, bis hin zu fest etablierten, regelmäßig trainierenden Sportgruppen bestimmen heute das Sportangebot in den (offenen) Jugendeinrichtungen.
Nach langjähriger kritischer Distanz, die bis zur Ablehnung des Sports in der Jugendarbeit reichte, wird der Sport heute wieder als ein wichtiger Schwerpunkt in der Jugendarbeit genannt (vgl. MÜNDER u.a. 1999, 165-166) .
Im Gegensatz zu anderen Sportbereichen wie Vereinssport, Schulsport, Breitensport oder Behindertensport, spielt das Phänomen Sport in der offenen Jugendarbeit bzw. die bewegungsorientierte Jugendarbeit in der Sportwissenschaft, als auch in den ‚Wissenschaften der Pädagogik‘ eine eher untergeordnete Rolle. Der Boom in der Praxis hat kein Äquivalent in der Theorie gefunden.
Dementsprechend kann der aktuelle Diskussionsstand über die Art, Bedeutung, Möglichkeiten und Aufgaben des Sports in o.g. Bereich als unzureichend bezeichnet werden.
Dieser Arbeit liegt die Annahme zugrunde, daß auch oder gerade in der offenen Jugendarbeit der Sport einen wichtigen Stellenwert einnehmen kann und soll.
Die zentrale Frage die in diesem Zusammenhang die gesamte Arbeit durchzieht ist, in wieweit die Institution Jugendzentrum (pädagogische) Effekte des Sports nutzen und ergänzend zum Schulsport und Sportverein wirken kann, welche strukturellen Voraussetzungen hierzu zur Verfügung stehen bzw. geschaffen werden müßten und wo der Sport in Jugendeinrichtungen seine Grenzen findet bzw. was er nicht zu leisten vermag.
Um die Frage nach dem Nutzen und den Grenzen des Sports in Jugendzentren beantworten zu können, bedarf es einer genaueren Untersuchung der aktuellen Situation. Erst der Überblick über die institutionellen, personellen, finanziellen und konzeptionellen Bedingungen, sowie der internen Zielsetzung und dem Kontext, unter denen Sport in diesen Einrichtungen betrieben wird, erlaubt eine differenzierte Aussage über Nutzen, Grenzen und Möglichkeiten des Sports in diesem Bereich der Jugendarbeit.
Die Motive für die Behandlung dieses Themas waren und sind unterschiedlicher Art. Zum einen ist es der oben erwähnte mangelhafte Diskussionsstand zum anderen stellte sich mir immer wieder die Frage, weshalb in der sport - pädagogischen Debatte die Vertreter der Sportvereine ihre Institution Verein als diejenige ansehen, die am geeignetsten sein soll, sportliche Jugendarbeit zu leisten. Dies scheint fragwürdig vor dem Hintergrund, daß Sportvereine als Intention in erster Linie nicht ein pädagogisches Ziel verfolgen, sondern sportliche Interessen in den Vordergrund stellen. Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, daß mit der vorliegenden Arbeit der Versuch unternommen wird, die Arbeit der Sportvereine zu diskreditieren. Der Sport in der Jugendarbeit soll als Ergänzung verstanden werden für diejenigen Jugendlichen die:
- keine Bindung zum Sportverein besitzen und auch nicht aufbauen wollen
- dort sportlich sein wollen, da wo sie auch ihre Freizeit verbringen
- aufgrund ihrer Lebenslage den Anforderungen in den Sportvereinen nicht gerecht werden können
- die sportlichen Anforderungen nicht erfüllen, aber dennoch Freude an der Bewegung besitzen
- dem ‚durchorganisiertem‘ Sport ablehnend gegenüber stehen.
Anhand diese Aufzählung, die sich noch erweitern ließe, zeigt sich deutlich, daß Bedarf für pädagogisch flankierte sportliche Jugendarbeit besteht.
Im weiteren wird von einem weiten Sportbegriff ausgegangen, der als Sammelbegriff für alle bewegungsorientierten Aktionen zu verstehen ist. Hierunter fallen auch Tätigkeiten wie Bewegungsspiele, Geländespiele, Gymnastik uvm.. Um einen genauen Eindruck vom Gegenstand der Untersuchung zu bekommen, werden im Teil I dieser Arbeit zunächst die geschichtliche Entwicklung der Jugendarbeit sowie ihre Aufgaben und Ziele aufgegriffen. Im Mittelpunkt dieser Betrachtung werden die weitverbreiteten Institutionen der Jugendarbeit, die
Jugendfreizeitheime bzw. Jugendzentren (die begriffliche Unterscheidung erfolgt zum späteren Zeitpunkt), stehen.
Die Ausbildung der in den Einrichtungen angestellten Pädagogen wird betrachtet, um einen Eindruck davon zu bekommen, welche Qualifikationsvoraussetzungen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Hinblick auf sportliche Betätigungsfelder mitbringen.
Im folgenden Abschnitt werden die von verschiedenen Autoren beschriebenen sozialen, pädagogischen und psychologischen Effekte, die eine sportliche Situation unter bestimmten Voraussetzungen hervorbringen kann, vorgestellt.
Teil II, die empirische Untersuchung, befaßt sich mit den für den Sport in Jugendzentren gegebenen Rahmenbedingungen, Strukturen und Zielsetzungen; insbesondere wird hier auf die Einrichtungen in der Region Ostwestfalen-Lippe (OWL) eingegangen.
An Hand der gewonnen Daten lassen sich der Stellenwert des Sports, die oben erwähnten Rahmenbedingungen und Strukturen aufzeigen. Ebenfalls lassen sich entsprechenden Konsequenzen (Teil III) für die weitere Arbeit der Sportanbieter in den Jugendzentren ziehen.
Um eventuell auftretenden Einwänden seitens der Leserschaft vorzubeugen, möchte ich an dieser Stelle schon darauf hinweisen, daß alle im folgenden Text auftretenden Funktionsbegriffe wie ‚Übungsleiter‘, ‚Sportanbieter‘ auch immer in ihrer weiblichen Form zu lesen sind und dementsprechend auch gemeint sind. Die Entscheidung für diese Schreibweise erfolgt ausschließlich aus stilistischen Gründen.
2. Jugendarbeit im Wandel der Zeit
2.1 Geschichtliche Entwicklung der offenen Jugendarbeit in Deutschland
Die historischen Wurzeln der Jugendarbeit in Deutschland lassen sich zurückverfolgen bis ins 19. Jahrhundert. Neben der staatlichen Jugendfürsorge, dem Vorläufer der staatlichen Jugendpflege, spielten die sogenannten Jugendbewegungen eine große Rolle in der Jugendarbeit. 1896 rief Karl Fischer in Steglitz einen Schülerverein ins Leben, aus dem 1901 die Wandervogelbewegung hervorging, die sich bald darauf über das gesamte Deutsche Reich ausbreitete. Parallel zu den eher bürgerlichen Wandervögeln entstanden ab Herbst 1904 verschiedene sog. Lehrlings- bzw. Gesellenvereine, in denen sich junge Arbeiter organisierten, um sich besser gegen die Willkür ihrer Meister und Vorgesetzten wehren zu können.
Später wurden "unter dem Druck der damaligen repressiven Vereinsgesetzgebung alternative Jugendausschüsse eingerichtet, die die Arbeiterjugend auffangen sollten, ohne sie zu organisieren" (BIERHOFF 1983, 62).
Ungefähr zeitgleich mit der Entwicklung außerstaatlicher Jugendbewegungen und Vereine wurde der erste staatliche Jugendpflegeerlaß im Jahre 1911 verabschiedet. Im Gegensatz zur früheren Jugendfürsorge, die sich vornehmlich mit hilfsbedürftigen1 Jugendlichen beschäftigte, wollte die Jugendpflege sich "fördernd in das eigenständige öffentliche Gruppenleben der Jugend einschalten" (BIERHOFF 1983, 63) und prophylaktisch wirken.
Im ersten staatlichen Jugendpflegeerlaß in Preußen (1911 bis 1945) wird die Notwendigkeit pädagogischer Freizeitgestaltung - insbesondere für die arbeitende Jugend - mit der "fehlenden Befriedigung am Arbeitsplatz, ihrer Abgeschlossenheit von der Natur, ihrem schlechten Lesestoff, den trostlosen räumlichen Verhältnissen im Elternhaus, den drohenden Gefahren des Straßenlebens, der Langeweile, den Alkoholgefahren und den nicht ausreichenden Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung" (HAUPT 1991, 12) begründet.
Ebenso wie HAUPT verweist auch BIERHOFF (1983) in seinem Buch ‚Außerschulische Jugendarbeit' auf einen früheren Erlaß der öffentlichen Jugendpflege zu den konfessionellen Jünglings-, Lehrlings- und Gesellenvereinen. Mit diesem Erlaß vom 24. November 1901 begrüßt die öffentliche Jugendpflege die Arbeit der o.g. Vereine, da dort "aus der Schule entlassene Jünglinge, die eines geeigneten Familienanschlusses entbehren, die Möglichkeit geboten [ist], ihre freien Abende und Sonntage in einer Weise zu zubringen,
die ihnen zusagt und ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung förderlich ist" (BIERHOFF 1983, 64).
Nach der Gleichschaltung der pluralistischen Jugendbewegung zur Hitlerjugend im Zuge der Machtergreifung wurden nach Kriegsende im besetzten Deutschland die ersten offenen Jugendfreizeiteinrichtungen gegründet. Diese sog. Heime der ‚German Youth Activities' (GYA-Heime) können als die ‚Urgroßväter' unserer heutigen Jugendzentren bezeichnet werden.
Ziel dieser durch die Amerikaner gegründeten Einrichtungen war die Einführung und Vermittlung demokratischer Grundprinzipien. Auf Grund der sich ausdehnenden Jugendarbeit in den Kommunen wurde 1949 die Arbeitsgemeinschaft für die Jugendpflege und Jugendfürsorge gegründet, die später (1953) unter dem Namen ‚Gautinger Beschlüsse‘ bekannt gewordenen Richtlinien für die ‚Heime der Offenen Tür‘ (Nachfolger der GYA-Heime) erarbeitet hatte. Zielgruppe der Nachkriegsjugendarbeit waren vornehmlich Jugendliche, die nicht in Verbänden organisiert waren. Die neue Jugendarbeit unterschied sich von den traditionellen Verbänden vor allem darin, daß sie sich von den verbindlichen Freizeitangeboten abwandte und sich hin zu unverbindlichen Angeboten mit zwanglosem Charakter orientierte. Obwohl die traditionellen Verbände stark an dem erzieherischen Wert dieser ‚unverbindlichen' Jugendarbeit zweifelten, ging sie - gezwungen durch stagnierende Mitgliederzahlen - nach und nach dazu über, ihre Verbandshäuser auch für Nichtmitglieder zu öffnen. In dieser Zeit entstand der Begriff ‚ToT-Heim‘ (teiloffene Tür), der bis heute Verwendung findet.
Ziele und Aufgaben der ‚HOT`s‘ (Heime der offenen Tür)2 bestanden, definiert durch die Frankfurter Richtlinien von 1956, in einer "ergänzenden Funktion in der familiären, schulischen, kirchlichen und beruflichen Erziehung"
(HAUPT 1991, 13).
Mit Ausnahme der in den 70er und Anfang der 80er Jahren entstandenen alternativen bzw. selbstverwalteten Jugendzentren hat sich an der Struktur der Jugendfreizeitstätten bis heute nicht viel geändert. Zielsetzung und Programme unterliegen dagegen ständiger Veränderung.
Stand noch Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre die progressive, emanzipatorische Erziehung im Vordergrund (HAUPT 1991, 13), prägten in den 70er Jahren hauptsächlich die Folgen der Arbeitslosigkeit das Erscheinungsbild der Jugendeinrichtungen. Nach den Zeiten der 'Müsli', 'Punker' und 'Null-Bock' Generationen treten immer häufiger Themen der Ausländer-, bzw. der Aussiedlerproblematik, in den Jugendzentren auf (vgl. Kap. 5).
2.2 Quantitative Entwicklung der Einrichtungen in der BRD
Seit 1953 stieg die Anzahl der HOT's stetig an. Waren es in diesem Jahr erst 110 Einrichtungen, hatte sich die Anzahl bis 1965 schon mehr als verzwölffacht (auf 1448). Nach den letzten offiziellen Angaben aus dem Jahr 1976 betrug die Anzahl bis dato 4036 (vgl. HAUPT 1991, 10).
Trotz intensiver Suche und einer Anfrage beim Jugendamt Bielefeld ist es nicht gelungen, aktuellere Daten über den Bestand von Jugendfreizeitheimen zu erlangen. Anzunehmen ist, daß die Zahl bis 1990 noch stark angestiegen ist und daraufhin im Zuge der Sparmaßnahmen der Bundesregierung (und der damit verbundenen Kürzungen im sozialen Bereich, sowie der Umwandlung bestehender Häuser in Kulturzentren oder auch Wohnheime) zumindest stagniert, wenn nicht sogar absinkt.
2.3 Trägerstruktur von Jugendfreizeiteinrichtungen
Fragt man danach, welche Träger die unterschiedlichen Jugendfreizeiteinrichtungen heute unterhalten, so kann man diese nach GRAUER (1973, zit. bei NAHRSTEDT 1982, 109) zu den folgenden drei Gruppen zusammenfassen:
a) Konfessionelle Träger
b) Öffentliche Träger (Kommunen)
c) Initiativgruppen, Vereine, Verbände, sonstige Träger
Nach einer quantitativen Spitzenstellung der konfessionell geführten Häuser in den 60er Jahren, stieg die Zahl der öffentlichen Einrichtungen ab 1970 beträchtlich an (vgl. NAHRSTEDT 1982, 110).
Für das Jahr 1975 benennt GRAUER (zit. bei NAHRSTEDT 1982, 110) den Anteil der öffentlichen Träger mit 51,8 % und den der konfessionellen Träger mit 22,3 %. Die unter Punkt c) genannte Trägergruppe (z.B. DGB, AWO, Falken, etc.) schneidet mit 25,9 % immer noch besser ab, als die Gruppe der kirchlichen Träger.
Ebenso wie bei der Frage nach dem Bestand an Jugendfreizeitstätten überhaupt, ist es auch hier, bei der Frage nach den Anteilen der Träger nicht gelungen, an neuere Daten zu gelangen. Neuere Untersuchungen zu dieser Thematik scheinen daher dringend notwendig.
3. Untersuchungsgegenstand Jugendzentrum (JZ)
3.1 Definition und Merkmale des Untersuchungsgegenstandes
Jugendzentrum
In den 50er Jahren taucht zum ersten Mal der Begriff der Jugendfreizeitstätte auf. Er dient auch heute noch als Sammelbegriff für alle Einrichtungen, die Jugendarbeit für die Gesamtheit aller Jugendlichen betreiben. Heute häufig gebräuchliche Begriffe wie Jugendtreff, Jugendfreizeiteinrichtung, Jugendfreizeitheim, Jugendzentrum, etc. sind im allgemeinen Bezeichnungen, die synonym verwendet werden. Die unterschiedlichen Benennungen der einzelnen Einrichtungen sind vorwiegend auf verschiedene Sprachregelungen der einzelnen Bundesländer sowie unterschiedlicher Träger zurück zuführen. Im folgenden wird der Begriff ‚Jugendzentrum' (JZ) verwendet, da es sich hierbei um die regional typische Bezeichnung für die zu untersuchenden Einrichtungen handelt.
Wichtiger als die Benennung der Einrichtungen sind die Merkmale, die diese ausmachen:
- JZ sind lokale Einrichtungen, die den jeweiligen Strukturen ihres Einzugsbereiches unterworfen sind
- JZ bieten ein kontinuierliches und langfristiges Konkurrenzangebot zu
kommerziellen Anbietern an
- die Zielsetzungen der JZ orientieren sich vorwiegend an situations-/ und
personenbedingten Bedürfnissen der Besucher
- JZ sind gekennzeichnet durch freiwillige Teilnahme, ohne Zwang bzw. die Übernahme verbindlicher Mitgliedschaften, sowie geringer finanzieller Gegenleistung
- JZ sind abhängig von der Inanspruchnahme durch die Besucher
- JZ sind offene, allen Bevölkerungsschichten zugängliche Einrichtungen
- JZ sind abhängig von staatlicher Unterstützung sowie der Beschäftigung von hauptberuflichen Arbeitskräften (vgl. HAUPT 1990, 9-10).
3.2 Allgemeine Aufgaben der Jugendarbeit
Zu den allgemeinen Aufgaben der Jugendarbeit gehören nach dem Deutschen Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) vom 26.Juni 1990 u.a. die Bereitstellung von Angeboten, die der Förderung der Entwicklung junger Menschen dienen. Angeboten wird diese Jugendarbeit von Verbänden, Gruppen und Initiativen der Jugend, Trägern der öffentlichen Jugendarbeit sowie anderen Trägern (vgl. KJHG 1999. §11 Abs. 2; In: MÜNDER u.a. 1998)3. Ein Schwerpunkt der Jugendarbeit soll die Jugendarbeit in Sport, Spiel und Geselligkeit sein (vgl. KJHG § 11 Abs. 3 Nr. 2; In: MÜNDER u.a. 1998) .
Zu den Hauptzielen von Jugendzentren gehören nach den Vorstellungen der Gautinger Beschlüsse, den Frankfurter Richtlinien sowie dem 4. Nürnberger Jugendhilfetag:
- die Emanzipation und die Erziehung zur ‚Mündigkeit als oberstes Lernziel'
- die Förderung der Persönlichkeitsentfaltung zu einer freien, selbstständigen und selbstverantwortlichen Persönlichkeit
- die Förderung von ‚brachliegenden Fähigkeiten und Neigungen‘
- der Ausgleich/die Ergänzung zu Schule, Beruf und Elternhaus
- die ‚Vermittlung von Gemeinschaftserlebnissen‘ sowie das Ermöglichen von ‚aktiver Mitwirkung‘ (vgl. HAUPT 1990, 14).
Mit Bezug auf das ‚neue‘ KJHG (Stand 1999) läßt sich diese Aufzählung und die daraus resultierende Zielsetzung für die offene Kinder – und Jugendarbeit um folgende Punkte ergänzen:
Ziele der offenen Kinder- und Jugendarbeit sind insbesondere:
- die Freizeitgestaltung der Besucherinnnen und Besucher im Rahmen eines sozialpädagogischen Konzepts
- die Hilfe zur sozialen Integration
- das Herstellen von Chancengleichheit
- der Ausgleich von Defiziten und Abbau von Benachteiligungen
- das Einüben von partnerschaftlichem und sozialem Verhalten, von Mitbestimmung, Mitwirkung und Mitverantwortung
- die Toleranz gegenüber Menschen anderer Herkunft, Weltanschauung und Lebensweise (vgl. KJHG § 13 Abs. 1; In: MÜNDER u.a.1998).
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, daß dem Sport eine größere Bedeutung in der Jugendarbeit beigemessen wird, als es früher der Fall war. In
den Frankfurter Lehr- und Praxiskommentaren (Stand 1999) wird der Sport
explizit als ein Mittel in der Jugendarbeit bezeichnet (vgl. MÜNDER u.a. 1998, 165).
Während sich die Jugendarbeit lange Zeit von einem leistungs- und konkurrenzorientierten Sport distanziert hat, wird heute der Einsatz von Sport in der Jugendarbeit wesentlich positiver gesehen. “Es ist inzwischen anerkannt, daß der Sport vielfach in der Lage ist, die sich aus der allgemeinen gesellschaftlichen Strukturen ergebenen Einengungen und Trennungen z.T. aufzuheben und die Mitwirkenden zu sonst nicht erfahrbaren Handlungs- und Erfahrungsmöglichkeiten zu führen” (KREFT 1996; zit. in MÜNDER 1998, 166 ).
Die distanzierte Haltung zum Sport scheint sich, zumindest nach Meinung des Verfassers des Kommentars zum KJHG in eine neue, sportfreundliche Auffassung gewandelt zu haben. Es hat sich die Meinung durchgesetzt, daß das “Sporttreiben von Kindern und Jugendlichen in (Freizeit-) Gruppen und vor allem in (Sport-) Vereinen schon förderungswürdig im Sinne des KJHG sei, weil es bereits Elemente dessen enthalte, was allgemein Jugendarbeit kennzeichne” (KREFT 1996b; in MÜNDER 1998, 166-167).
Inwieweit diese Ansicht der Realität in der Praxis entspricht bzw. welche Möglichkeiten der Sport bzw. das Sporttreiben bietet wird in den folgenden Kapiteln näher betrachtet. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, daß die Bedeutung des Sports in der (offenen) Jugendarbeit in den letzten Jahren einen Wandel erfahren und an Bedeutung gewonnen hat (vgl. MÜNDER 1998, 165-166).
Ebenso scheint es Anzeichen dafür zu geben, daß auch der leistungsorientierte Sport in der Jugendarbeit an Bedeutung gewinnt. Indizien dafür sind z.B. die von Jugendämtern und insbesondere der Sportjugend, als Träger der offenen Jugendarbeit, durchgeführten Streetball- oder Soccerevents, bei denen neben dem Spaß das Leistungs- bzw. das Wettbewerbsprinzip einen zentralen Bestandteil bildet.
3.3 Offene Jugendarbeit in Bielefeld
Die offene Jugendarbeit in Bielefeld wird betrieben :
a) in stationären Jugendfreizeiteinrichtungen,
b) als mobile Jugendarbeit,
c) in Einrichtungen der Stadtteilarbeit.
Kennzeichen der offenen Jugendarbeit ist die freiwillige Teilnahme der Kinder und Jugendlichen an Angeboten der Anbieter.
3.4 Anforderungsprofil und Aufgaben der offenen Jugendarbeit in der Stadt Bielefeld
Ausgehend von der Überlegung, daß sich Jugend und somit die Merkmale und Ansprüche der Jugend in stetigem Wandel befinden, unterliegt das Anforderungsprofil bzw. die Zielsetzung der offenen Jugendarbeit permanenten Veränderungen.
Im folgenden wird exemplarisch auf die offene Jugendarbeit der Stadt Bielefeld eingegangen, da davon ausgegangen werden kann, daß Bielefeld als Siedlungsschwerpunkt der Region OWL trotz lokaler Unterschiede Signalwirkung auf umliegende Regionen ausüben kann.
Als Grundlage der Betrachtung dienen das Sitzungsprotokoll des damalige Jugendwohlfahrtsausschuß der Stadt Bielefeld vom 03.11.1988 sowie die Konzeption der offenen Kinder- und Jugendarbeit der Stadt Bielefeld, beschlossen am 8.05.1996.
An Hand dieser ‚Längsschnittbetrachtung‘ sollen zum einen Veränderungen in der Konzeption deutlich werden, mit denen versucht wird, auf neue Erscheinungen zu reagieren. Zum anderen lassen sich kontinuierliche Merkmale der Jugendarbeit benennen, die unabhängig vom aktuellen Zeitgeist ihre Gültigkeit besitzen. Basierend auf den Veränderungen bzw. auf den konstanten Merkmalen der Bielefelder Jugendarbeit zeichnet sich ein Profil ab, das Aufschluß über die derzeitigen Schwerpunkte der Jugendarbeit gibt.
3.4.1 Zum Anforderungsprofil der Bielefelder Jugendarbeit Stand 1988
a) Auf Grund einer wachsenden Orientierung der Jugendlichen an Konsum- und Gebrauchswerten hat sich in der offenen Jugendarbeit eine breite Programmvielfalt entwickelt, die den Freizeitbedürfnissen der Jugendlichen und Kindern entspricht.
Dienstleistungsähnliche Angebote mit professioneller Ausrichtung kennzeichnen die Arbeit. Diese Angebotsausrichtung hat eine ständige Ergänzung des Mitarbeiterstabs durch Honorarkräfte sowie die ständige Weiter- und Fortbildung der Mitarbeiter zur Folge (vgl. STADT BIELEFELD 1988, 1-2).
b) Für die wachsende Freizeitindustrie und andere Anbieter sind die Jugendlichen zu einem interessanten Kundenpotential geworden. Offene Jugendarbeit hat durch die Konkurrenz zu den kommerziellen Anbietern die Chance erhalten, bestimmte Arbeitsformen der offen Jugendarbeit (Projektarbeit u.a. ) in die Welt der kommerziellen ‚Freizeitanbieter' (STADT BIELEFELD 1988, 3) zu transportieren. Sie kann somit als Vermittlungssystem einen Beitrag zum Wertetransport (vgl. STADT BIELEFELD 1988, 3) leisten. Gleichzeitig setzt sie sich aber auch dem ständig steigenden Konkurrenzdruck durch die kommerziellen Anbieter aus.
c) Die in der letzten Zeit häufiger vergessene Zielgruppe der arbeitslosen Jugendlichen tritt in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation wieder stärker in den Vordergrund. Die STADT BIELEFELD hat schon 1988 auf diese Gruppe hingewiesen und sah für sie die offene Jugendarbeit als ein "zentrales Orientierungs- und Erlebnisfeld" (STADT BIELEFELD 1988, 3). Die Möglichkeiten der Freizeithilfen sind allerdings beschränkt, denn "Freizeithilfen können den Übergang in das Beschäftigungssystem nur begleiten und nicht selber bewirken." (STADT BIELEFELD 1988, 4). Eine überproportional große Gruppe unter den Arbeitslosen bilden die ausländischen Jugendlichen, die in Ermangelung anderer Infrastruktureinrichtungen verstärkt Jugendzentren aufsuchen.
d) Der immer größer werdende Einfluß unserer Medien- und Computergesellschaft auf die Kinder und Jugendlichen führt zu einer Verarmung an Handlungsmustern. Die Reduzierung von Konfliktlösungsmöglichkeiten auf die Strategie eines ‚Ninja Kämpfers‘ aus der vorabendlichen Fernsehserie oder die Orientierung an den neuen Kinderidolen der 90er Jahre, die ‚Wrestling - Kampfmaschinen‘, führt häufig dazu, daß "komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge von Jugendlichen auf Schablonen reduziert werden" (STADT BIELEFELD 1988, 4). Joseph WEIZENBAUER, Computerwisenschaftler am ‚Massachusetts Institut of Technologie' warnt: "Computerspiele lehren unseren Kindern eine furchtbare Unabhängigkeit von Tat und Konsequenzen" (WEIZENBAUER 1992).
Aufgabe der offenen Jugendarbeit ist es hierbei, tragfähige Orientierungssysteme zu entwickeln, die dem fortschreitenden Realitätsverlust durch die neue Medienwelt entgegenwirken (vgl. STADT BIELEFELD 1988, 4).
e) Durch das Defizit an naturgegebenen Spielmöglichkeiten in der Stadt sind spielpädagogische Angebote in der offenen Jugendarbeit notwendig. Die offene Jugendarbeit kann und muß Programme schaffen, die dem Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen nach Aktivität gerecht werden (vgl. STADT BIELEFELD 1988, 4).
f) Wegen der besonderen Benachteiligung von Mädchen und jungen Frauen in der heutigen Gesellschaft ist eine parteiliche Mädchenarbeit notwendig.
Auch die geringe Teilnahme weiblicher Besucher in der offenen Jugendarbeit hat zu verstärkten Bemühungen geführt, vermehrt Mädchen und junge Frauen in die Arbeit einzubeziehen und sie dort besonders zu fördern (vgl. STADT BIELEFELD 1988, 5).
g) Das heute zu beobachtende Abwenden der Jugendlichen von der Politik und die schon genannte Orientierungslosigkeit erfordert die Förderung einer politischen Alltagskultur (vgl. STADT BIELEFELD 1988, 6).
h) Die Themenbereiche Liebe, Sexualität, Freundschaft, Gefühle und der eigene Körper nehmen einen großen Raum in dem Alltag von Jugendlichen ein. Auf der Suche nach der eigenen Identität in diesem wichtigen Entwicklungsabschnitt kann die offene Jugendarbeit ein guter Wegbegleiter sein (vgl. STADT BIELEFELD 1988, 6).
Inwieweit es sich bei diesen Aussagen um wissenschaftlich haltbare Annahmen handelt ist nicht ganz eindeutig. Zum Teil scheint es sich um sehr plakative Thesen zu handeln, die einer genaueren Überprüfung nicht standhalten würden (z.B. Absatz d). Eine Überprüfung dieser Aussagen kann aber an dieser Stelle nicht Gegenstand dieser Arbeit sein. Es reicht zunächst für die weitere Betrachtung aus, daß sie als Grundlage der Bielefelder Jugendarbeit dienen bzw. gedient haben und somit die Basis für weitergehende Entscheidungen bilden.
3.4.2 Anforderungen und Ziele der offenen Jugendarbeit in Bielefeld aktueller Stand 1996
Nach eingehender Durchsicht der aktuellen Konzeption für die offene Kinder- und Jugendarbeit der Stadt Bielefeld muß an dieser Stelle festgestellt werden, daß im wesentlichen kaum Veränderungen stattgefunden haben. Im Einzelnen entsprechen die vorangegangenen Aussagen exakt dem Wortlaut der ‚neuen‘ Konzeption; insbesondere die unter Abschnitt a/ b/ c/ d/ und e genannten. Inwieweit hieraus die Schlußfolgerung gezogen werden kann, daß sich die Bedürfnisse oder die Situationen des jugendlichen Klientels nicht geändert haben, ist zumindest fraglich. Zumal in der ‚neuen‘ Konzeption selbst von den “Individualisierungsprozessen und der Pluralisierung von Lebensformen” sowie den sich “schnell verändernden (Lebens-)Stilen bei Jugendlichen” ausgegangen wird (STADT BIELEFELD 1996, 27). Aus welchen Gründen die Zielsetzungen und Maßnahmen dennoch dem Stand von 1988 entsprechen, muß an dieser Stelle unbeantwortet bleiben.
Lediglich in zwei Punkten unterscheidet sich die ‚alte‘ Konzeption von der ‚neuen‘ deutlich.
Diese sind:
- die parteiliche Mädchenarbeit
- die Kooperation/Vernetzung
Beide genannten Punkte werden weiter ausdifferenziert und im Falle der Mädchenarbeit mit einer eigenen Konzeption und einem Finanzierungsplan als Schwerpunkt für die offene Jugendarbeit in Bielefeld aufgenommen (vgl. STADT BIELEFELD 1996, 32).
Für den Aspekt Sport resultieren insoweit folgende Konsequenzen, daß zum einen verstärkt Kooperationspartner (z.B. Sportvereine etc.) gesucht, zum anderen sportliche Elemente in bzw. aus der Mädchenarbeit (Selbstverteidigungskurse, Abenteuersportangebote u.ä.) finanziert werden können. Ein expliziter Bezug zum Sport wird in der Konzeption zur parteilichen Mädchenarbeit allerdings nicht hergestellt (vgl. STADT BIELEFELD 1996,
31-32).
3.5 Mobile Jugendarbeit - eine Ergänzung –
Wie schon zur Konzeption der offenen Jugendabeit angemerkt wurde, gilt auch in der Mobilen Jugendarbeit, daß keine Veränderung in der Konzeption stattgefunden hat und somit die Konzeption vom 02.07.1992 wörtlich in die aktuelle Konzeption übernommen wurde. Sie bildet daher die Grundlage für die aktuelle Mobile Jugendarbeit. Dementsprechend gilt:
Die Mobile Jugendarbeit ist eine Ergänzung zu den existierenden Einrichtungen. Ausgangslage für die Mobile Jugendarbeit sind die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen und die daraus resultierende Interessenlage jugendlicher Menschen. Gemeint ist damit insbesondere:
- Ausdifferenzierung jugendlicher Lebensstile mit entsprechenden
Abgrenzungs tendenzen
- Privatisierung / Individualisierung eigener Lebensentwürfe
- Aneignung von Territorien in den Stadtteilen
- Geringe Bereitschaft junger Menschen, sich auf traditionelle Jugendverbände, Vereine usw. einzulassen ( vgl. STADT BIELEFELD 1992, 1-5).
3.5.1 Möglichkeiten der Mobilen Jugendarbeit
Die Mobile Jugendarbeit ist auf Grund ihrer besonderen Arbeitsformen in der Lage, flexibel auf veränderte Bedürfnisse und Entwicklungen zu reagieren. Veränderungen in der demographischen Entwicklung sowie der sozialen Situation der Jugendlichen können schnell erfaßt werden. Dementsprechend flexibel ist das Angebot für die Jugendlichen. Auf Grund der niedrigen Betriebskosten
(keine Unterhaltskosten für Gebäude etc.) und der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Gruppen und Initiativen ist die mobile Jugendarbeit in der Lage, verschiedene Kompetenzen zusammenzufassen und ein "attraktives Angebot mit hohem Erlebnisswert"[4] (STADT BILEFELD 1992, 2) anzubieten. Voraussetzungen für die mobile Jugendarbeit sind Anlaufstellen für die Jugendlichen in ihrem Stadtteil (z.B. Räume in einer Schule, einem Gemeindezentrum o.ä.) sowie Fachkräfte, die die Projekte und Angebote der mobilen Jugendarbeit begleiten. Oftmals handelt es sich hier um Honorarkräfte, die speziell für bestimmte Projekte unter Vertrag genommen werden.
3.5.2 Eigenverständnis der mobilen Jugendarbeit
Die mobile Jugendarbeit versteht sich nicht als eine sozialpädagogische Betreuung für z.B. verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche, sondern wirkt mehr initiierend und koordinierend. Gemeinsam mit anderen Einrichtungen, Verbänden und Vereinen baut die mobile Jugendarbeit eine gemeinsame Infrastruktur für Kinder und Jugendliche im Freizeitbereich auf (vgl. STADT BIELEFELD 1992, 3). Diese besteht einerseits aus den bereits erwähnten Räumen, andererseits aus einem Kursprogramm, das in seiner Vielseitigkeit auf unterschiedliche Interessen Jugendlicher eingeht, denn “auf diesem Wege können über ‚Schnupperangebote‘ Jugendliche ihre Neigungen entdecken und ausprobieren” (STADT BIELEFELD 1992, 3).
3.6 Mitarbeiterqualifikation in Jugendzentren
Wichtig für die in den Jugendzentren zu bewältigende Arbeit sind die Qualifikationsvoraussetzungen, die die Mitarbeiter u.a. durch ihre Ausbildung mitbringen. Unter Qualifikation versteht man in diesem Sinne ein "Arbeitsvermögen" und die “Gesamtheit der je subjektiv - individuellen Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten, die es dem Einzelnen erlauben, eine bestimmte Arbeitsfunktion zu erfüllen" (BAETHGE 1974, zit. bei NAHRSTEDT u.a. 1982, 44).
Sport bzw. sportliche Aktivitäten sind ein Bestandteil des vielseitigen Aufgabenbereiches von Mitarbeitern in Jugendzentren. Seine Ausübung und Gestaltung ist neben den persönlichen Einstellungen, Zielsetzungen und Wertschätzungen im wesentlichen abhängig von der persönlichen Qualifikation der Mitarbeiter. Vor diesem Hintergrund wird im folgenden die Ausbildungsstruktur der Mitarbeiter mit Blick auf ihre Befähigung untersucht, Sportkurse jugendgerecht anbieten und gestalten zu können.
3.7 Ausbildungsstruktur der Mitarbeiter
Neben berufsfremden Mitarbeitern wie Lehrer u.a. läßt sich die Mitarbeiterstruktur in den Jugendzentren wie folgt einteilen:
a) Diplom - Pädagogen
(Ausbildung an Universitäten, pädagogischen Hochschulen und
Gesamthochschulen)
b) Diplom - Sozialarbeiter und Diplom - Sozialpädagogen
(Ausbildung an Fachhochschulen)
a) Erzieher
(Ausbildung an Fachhochschulen, Akademien für Sozialpädagogik)
Bei den o.g. Gruppen handelt es sich um die gängigsten Berufsgruppen, die in Jugendzentren arbeiten (vgl. NAHRSTEDT 1982, 156; eigene Untersuchung). Im Zusammenhang mit dem Sportangebot in der offenen Jugendarbeit ist von Interesse, inwieweit die drei genannten Berufsgruppen in ihrer Ausbildung auf sportrelevante Themen vorbereitet werden und welchen Stellenwert die Sportausbildung in der Gesamtausbildung einnimmt.
Durch ihre Tätigkeit werden die o.g. Berufsgruppen mit zahlreichen Anforderungen aus dem Bereich Sport konfrontiert. Eine konsequente, pädagogisch und reflektierte Einbeziehung des Sports in die pädagogische Praxis ist ohne fundiertes Wissen über die sozialen und persönlichkeitsstärkenden Effekte, Wirkungsweisen und möglichen Gefahren (sowohl psychischer, als auch physischer Art) des Sports schwer realisierbar.
Die bloße Erkenntnis, daß durch Sport z.B. Gesundheit und Wohlbefinden, Motorik, die kognitive, affektive und soziale Entwicklung gefördert werden kann, reicht bei weitem nicht aus (vgl. KRÜGER 1985, 63).
Sollen die Möglichkeiten des Sports genutzt werden, bedarf es differenzierter Kenntnisse in den Teilgebieten der Sportwissenschaft. Im Einzelnen lassen sich mit KRÜGER vier mögliche Qualifikationsfelder nennen:
a) sporttheoretische Grundlagen
b) fachdidaktisch/methodische Grundlagen
c) sportmethodische Kenntnisse und Erfahrungen
d) praktisch - methodische Fähigkeiten
Von den hier genannten Bereichen kommt den praktisch - methodischen Fähigkeiten eine zentrale Bedeutung zu, da hier der unmittelbare Berührungspunkt des Mitarbeiters mit dem sozialpädagogischen Tun besteht (vgl. KRÜGER 1985, 98).
3.7.1 Sport in der Erzieherausbildung
Betrachtet man die Kompetenz- und Erfahrungsvermittlung in der Erzieherausbildung, insbesondere in den sportlichen Bereichen, so bedarf es einer zweigeteilten Betrachtungsweise, da die Erzieherausbildung (in NRW) einer Neukonzeption im Jahre 1994 unterliegt.
Im ersten Teil werden die Ausbildungssituation/ die Ausbildungsschwerpunkte bis August 1994 dargestellt. Der zweite Teil befaßt sich mit der Ausbildungskonzeption die ab August 1994 in Kraft getreten ist. Auf eine Auseinandersetzung mit der alten Ausbildungssituation kann an dieser Stelle nicht verzichtet werden, da anzunehmen ist, daß ein nicht unerheblicher Teil der Arbeitskräfte die heute in der Praxis stehen, nach dem alten Ausbildungskonzept ausgebildet worden sind.
a) bis 1994
In der Ausbildung zum Erzieher umfaßt das Fach ‚Leibeserziehung' in Nord - Rheinwestfalen (NRW) zwei Wochenstunden in einer Gesamtausbildungszeit von zwei Jahren (mit anschließendem einjährigen Praktikum). Im Vergleich dazu andere Bundesländer:
- unter zwei Stunden: Niedersachsen, Baden - Würtemberg, Hamburg
- bis zu drei Stunden: Hessen
- vier Stunden: Rheinlandpfalz
Geht man von 40 Wochen Unterricht pro Jahr aus, so umfaßt die Stundenzahl für Sport in den meisten Fällen nur ca. 80 Doppelstunden im gesamten Ausbildungszeitraum. Die in der Praxis häufig auftretenden Stundenausfälle sind hierbei nicht berücksichtigt (vgl. KRÜGER 1985, 124).
Zusammengefaßt lassen sich folgende Ziele des Faches Leibeserziehung in der Erzieherausbildung definieren:
a) das Kennenlernen des eigenen Körpers als ein geordnetes Ganzes, die richtige Einschätzung der physischen Kräfte und ihre sinnvolle Betätigung
b) theoretische und praktische Einführung in die Gestaltung von Bewegungsübungen mit Klein- und Schulkindern zur Vermeidung und Korrektur von Haltungsschäden
c) das Verständnis für rhythmische Bewegungsabläufe zu wecken und an selbst gestalteten Aufgaben zu erproben (vgl. KRÜGER 1985, 142).
Zielgruppe sind in diesem Zusammenhang Kindergarten- und Heimkinder. Zielgruppen aus möglichen anderen Betätigungsfeldern finden in den amtlichen Vorstellungen zum Fach ‚Leibeserziehung' in NRW keine Berücksichtigung.
Zum Vergleich: Der Lehrplan in Bayern berücksichtigt in der Erzieherausbildung verschiedene Bereiche wie Kindergarten, Hort, Heim und die Jugendarbeit (vgl. KRÜGER 1985, 138).
Insgesamt muß gesagt werden, daß die sportliche Ausbildung zeitlich und qualitativ eine untergeordnete Rolle in der Erzieherausbildung in NRW spielt. Zielsetzung und inhaltliche Aussagen zu den Unterrichtsgegenständen sind sehr allgemein und abstrakt gehalten und beschränken sich auf die Bereiche Kindergarten und Heimerziehung.
Sportwissenschaftliche Bereiche, ebenso wie die praktisch – methodische Ausbildung, haben einen unzureichenden Stellenwert in diesem Lehrplan. Die Mehrzahl der Sportausbilder und –lehrer in den Fachschulen setzt sich aus der Berufsgruppe der Gymnastiklehrer zusammen (56%).
b) ab 1994
Der Leitgedanke der gesamten Neuordnung der Erzieherausbildung ist die Verbesserung der Ausbildungsqualität für Erzieher und Erzieherinnen, um den gesteigerten Anforderungen und Erwartungen in der sozialpädagogischen Praxis gerecht zu werden. Das pädagogische Ziel des Gesamtkonzeptes des Bildungsganges ist es, die Auszubildenen zu handlungskompetenten Erziehern und Erzieherinnen zu qualifizieren. Die Ausbildung soll von den Lernenden als Entwicklungsprozeß verstanden werden “an dessen Ende sozialpädagogische Fachkräfte stehen, die über zentrale Fähigkeiten zur Bewältigung beruflicher Aufgaben verfügen” (KRÜGER 1995,48). Darüber hinaus wird von den Erziehern und Erzieherinnen eine Berücksichtigung zeitgeschichtlicher und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und deren Veränderung erwartet. Sie sollen sich über den einmal erreichten beruflichen Abschluß hinaus selbständig mit neuen gesellschaftlichen Situationen auseinandersetzen (können). Zur beruflichen Kompetenz gehört ebenfalls der Erwerb von sozialpädagogischen Handlungskompetenzen in nicht ausbildungsimmanenten Arbeitsfeldern (vgl. HIELSCHER 1998, 79). Mit dem Ziel, die berufliche Kompetenz zu optimieren, wurde die Ausbildung bzw. die Lehrpläne in vier Phasen unterteilt und der gesamte Ausbildungsgang fachübergreifend organisiert.
Das Fach Sport/Bewegungserziehung ist im Bildungsgang formal festgeschrieben. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, daß dem Fach alleinige Kompetenz für die berufliche Qualifizierung im Bereich Sport/ Bewegungserziehung zugewiesen wird. Das Fach wird in zwei Bereiche differenziert: es soll berufsqualifizierende und allgemeinbildende Aufgaben – die Lernenden sind selbst Adressaten von Bewegung und Sport – übernehmen. “Priorität gegenüber allgemeinbildenden Anliegen besitzt jedoch die berufsbezogene Kompetenzvermittlung” (MINISTERIUM FÜR ARBEIT, GESUNDHEIT UND SOZIALES NRW 1994, 246). Im Lehrplan ist verankert, daß die Sportlehrkräfte die Lernenden in der jeweiligen sozialpädagogischen Praxis (Praktika) vor Ort betreuen und beraten. Das Ausbildungsdeputat umfaßt drei Wochenstunden und erhält einen gleichberechtigten Stellenwert im Fächerkanon. Zudem wird die bewegungsorientierte Ausbildung mit dem Fach Rhythmik [d1] [d2] [d3]um eine Wochenstunde erweitert.
Der Inhalt des Lehrplans wurde nicht nach Sportarten und Sportspielen systematisiert, sondern er unterscheidet nach Themenbereichen/Themen und didaktisch - methodischen Hinweisen. Dementsprechend werden Sportarten und Sportspiele danach befragt, was sie konkret zur Bearbeitung eines Themas leisten können. Die Strukturierung der Ausbildung zielt nicht auf eine Spezialisierung nach Berufsfeldern oder Adressatengruppen der pädagogischen Arbeit von Erziehern und Erzieherinnnen in den unterschiedlichen Praxisfeldern ab. Im Vordergrund steht vielmehr eine breite Verfügbarkeit (vgl. HIELSCHER, 1998, 81).
Ohne an dieser Stelle noch weiter auf inhaltliche oder methodische Schwerpunkte in der Erzieherausbildung einzugehen, kann generell gesagt werden, daß die neue Konzeption des Faches Sport/Bewegungserziehung für die Fachschule für Sozialpädagogik in NRW im Vergleich zu dem vorläufigen Lehrplan aus dem Jahre 1971, der bis Mitte 1994 Gültigkeit besaß, eine quantitative und qualitative Erweiterung der Rahmenbedingungen bedeutet. Die Bedeutung der Bewegungserziehung in der Ausbildung für Erzieher und Erzieherinnen hat erheblich zugenommen und Bewegungserziehung hat eine Gleichstellung zum übrigen Fächerkanon erfahren.
Zudem läßt sich erkennen, daß in der Neuordnung dem Umstand Rechnung getragen wurde, daß die Betätigungsfelder von Erziehern und Erzieherinnen vielfältiger geworden sind. Desweiteren läßt sich erkennen, daß Erzieher und Erzieherinnen nicht mehr ausschließlich auf den ‚Kindergartenbereich‘ hin ausgebildet werden und sie deshalb in den unterschiedlichsten Bereichen eingesetzt werden (können).
Inwieweit dieser erweiterte Einsatz wünschenswert und ob dieser Wandel inhaltlich oder aber finanziell bzw. arbeitsmarktpolitisch begründet ist, sei an dieser Stelle zunächst nebensächlich. Aus sportpädagogischer Sicht kann festgehalten werden, daß dem Sport, der Bewegung in der Ausbildung von Erziehern/ Erzieherinnen mit der Neuordnung eine wesentlich größere Bedeutung beigemessen wird, als es bisher der Fall war.
3.7.2 Sport in der Ausbildung zum Diplom-Pädagogen
(exemplarisch betrachtet an Hand der Studienordnung für den Diplomstudiengang Erziehungswissenschaften der Universität Bielefeld)
Ein Sportanteil in der Ausbildung zum Diplom-Pädagogen ist laut der o.g. Studienordnung nicht verpflichtend vorgesehen. Als Nebenfächer können nur Psychologie und Soziologie (vgl. UNIVERSITÄT BIELEFELD, 1990 §7 Abs. 2), nicht aber Sport gewählt werden. Obwohl das Lehrangebot ausdrücklich von den Fakultäten für Psychologie und Sportwissenschaften sowie der Fakultät Soziologie gestaltet wird (UNIVERSITÄT BIELEFELD 1990, § 28 Abs. 2), läßt sich in der Ausbildung zum Diplom-Pädagogen nur in zwei von 22 Studienelementen der Sportbezug herstellen. Zum einen hat der Student (freiwillig) die Möglichkeit der Wahl eines Zusatzfaches mit 20 Semesterwochenstunden Umfang aus dem Gesamtangebot der Universität. Andererseits wird Sport auch einmal in einer Studienrichtung als ‚Freizeitpädagogik und Kulturarbeit im Zusammenhang mit Breitensport‘ (vgl. UNIVERSITÄT BIELEFELD 1990, §19 Abs. 2) genannt.
3.7.3 Sport in der Ausbildung zum Diplom –Sozialpädagogen
Als Ziel der Ausbildung zum Diplom-Sozialpädagogen wird in der entsprechenden Studienordnung genannt:
“Die Ausbildung soll den Studierenden ermöglichen, ihre Arbeitskraft in der gegenwärtigen Gesellschaft und innerhalb von Institutionen sozialer Arbeit qualifiziert anzuwenden” (FACHHOCHSCHULE BIELEFELD 1992, Abs. 2.1). Ebenso wie für die Ausbildung der Diplom-Pädagogen gilt auch hier, daß der Sport in der Ausbildung zum Diplom-Sozialpädagogen nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Der Student besitzt lediglich die Möglichkeit, einzelne Zusatzfächer (zur “fachlichen und außerfachlichen Abrundung und Ergänzung der Studieninhalte”) zu belegen (FACHHOCHSCHULE BIELEFELD 1992 Abs. 7.1), die jedoch in der Abschlußprüfung bei der Benotung keine Berücksichtigung finden. Auch der unter Absatz 5.3.6 genannte Abschnitt: “[...] soll die Bildung allgemein durch grundlegende, allgemeine, das Fachstudium ergänzende und/oder erleichternde und die Person des Studenten fördernde Veranstaltungen einen gebührenden Platz im Studium haben” (FACHHOCHSCHULE BIELEFELD 1992, Abs. 5.3.6) macht Sport als Ausbildungsinhalt theoretisch möglich; er wird jedoch nicht ausdrücklich genannt.
3.7.4 Sport in der Ausbildung zum Diplom-Sozialarbeiter
In der Studienordnung für den Studiengang Sozialarbeit der Fachhochschule Bielefeld wird wie in den o.g. Studiengängen dem Sport keine besondere Bedeutung zugemessen. Allerdings werden hier eine Anzahl von Qualifikationsbereichen genannt, in denen Sportbezüge denkbar wären. Diese sind:
- Freizeitpädagogik und außerschulische Jugendarbeit
- Gesundheitspolitik
- Heilpädagogik (Probleme der Körperbehindertenpädagogik)
- Sozialmedizin (psychomotorische Übungen)
Eine Verbindung zum Sport, die aus sportwissenschaftlicher Sicht hier offensichtlich sein müßte, wird von den Verfassern der Studienordnung nicht hergestellt (vgl. FACHHOCHSCHULE BIELEFELD 1992, 19-33).
3.8 Grundlegendes Anforderungsprofil an Sportanbieter in der offenen
Jugendarbeit
Nach den vorangegangenen Ausführungen stellt sich die Frage, welche grundlegenden Fähigkeiten die Sportanbieter in der Jugendarbeit während ihrer Ausbildung erlangen sollten, wenn sie in die Lage versetzt werden sollen, bewegungsorientierte Angebote anbieten zu können. Die folgende Auflistung erhebt keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit. Hierbei handelt es sich um eigene grundlegende Gedanken, die aus methodischen, didaktischen, medizinischen, pädagogischen und zum Teil aus versicherungsrechtlichen Überlegungen resultieren:
- der Sportanbieter muß Kenntnisse hinsichtlich sporttheoretischer Grundlage
besitzen
- über Wissen der sozialen Funktionen des Sports verfügen
- ein Grundwissen über die motorische Entwicklunge sowie über motorische
Defizite haben
- Möglichkeiten der Gesundheitsförderung durch Sport sowie die Gefahren des Sports kennen
- grundlegende medizinische Kenntnisse besitzen
- Sport als Medium der Freizeitgestaltung erkennen und um die
Zusammenhänge zwischen Sportarten und Teilnehmerinteressen wissen
- Sicherheitsvorschriften kennen
- sich über seine Zielsetzung im Sport im Klaren sein
- Grundlegendes Wissen über Sportverletzungen, ihre Vermeidung und
‚Erste Hilfe‘ besitzen
- Kenntnisse über die Handhabung von Sportgeräten besitzen sowie über deren ‚artfremde' Einsatzmöglichkeiten haben
- die Nutzungsmöglichkeiten von Sporthallen und -plätzen etc. kennen
- eigene Bewegungserfahrungen besitzen
- adressatenbezogene Sportangebote planen und durchführen können
- Informationen über mögliche Anlaufstellen, Beratungsangebote und Weiterbildungsmaßnahmen besitzen
- flexibel auf sich ändernde Besucherstrukturen und Interessenslagen reagieren können.
3.9 Abschließende Betrachtung
Betrachtet man die Ausbildungsinhalte für die Mitarbeitergruppen in Bezug auf den Sport, so fällt die defizitäre Lage auf.
Einzig die Erzieher erhalten eine Ausbildung mit sportbezogenen Inhalten, die allerdings in keinem Verhältnis zu den Arbeitsanforderungen in Jugendzentren steht.
Die Diplom-Pädagogen können bei eigenem Interesse in geringem Umfang sportliche Inhalte in ihre Ausbildung mit aufnehmen.
Aus sportpädagogischer Sicht wirkt es befremdlich, daß in den oben genannten pädagogischen Berufsausbildungen z.T. Bereiche wie Medienpädagogik, Museumspädagogik, Heilpädagogik oder Kunstpädagogik in den Fächerkanon der Ausbildung aufgenommen worden sind, der Sportpädagogik aber keine Bedeutung beigemessen wird.
Nachdem dem Sport eine hohe pädagogische Bedeutung in der Jugendarbeit von verschiedenen Seiten zugesprochen wird (vgl. KJHG; empirische Untersuchung Teil II) und Sport, Bewegung und Körper für Kinder und Jugendliche von zentraler Bedeutung in ihrer Entwicklung sein können, scheint die Forderung nach Aufnahme sportrelevanter Themen in die Ausbildung der entsprechenden Berufe zumindest optional, wenn nicht sogar verpflichtend wünschenswert.
[...]
1 “Das Abweichen von der gesellschaftlichen Norm in Fällen körperlicher oder geistiger Minderwertigkeit, Kriminalität u.a. wurde als Hilfsbedürftig definiert" (Bierhoff 1983, 63)
2 Heime, die für jeden jugendlichen Besucher zugänglich sein müssen
3 Zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Frankfurter Lehr- und Praxiskommentars waren in den Ausschüssen des Bundestags die letzten Änderungen zum KJHG beschlossen worden. Diese Änderunegn sollten am 01.01.1999 in Kraft treten. Aus diesem Grund ergeben sich Diskrepanzen zwischen der Nennung des KHJG mit Stand 1999 und der Quellenangabe 1998.
[4] Angebote wie: Kanutreffs, Felsklettern, Bikertreffs, offene Sporttreffs, etc.
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