Der Begriff „Sicherheit“ und sein Antagonismus „Unsicherheit“ haben nicht erst
nach den Anschlägen des 11. September 2001 eine besondere Beachtung in den
gesellschaftlichen Resonanzkörpern Presse, Medien und Politik gefunden,
sondern waren schon vorher dazu geeignet, Ängste zu wecken, Befürchtungen
hervorzurufen und Besorgnis zu evozieren. Dass sich mit dem Schlagwort
„Unsicherheit“ besonders nachhaltig politische Stimmungen erzeugen lassen und
parteipolitisch ausgenützt werden, ist nicht nur der Wahlkampfpropaganda
geschuldet, sondern gründet vielmehr auf einer Grundtendenz der modernen
Gesellschaft. Das Gefühl in einer unsicheren Gesellschaft zu leben hat in den
letzten 30 - 40 Jahren stark zugenommen, wie man aus Meinungsumfragen des
Allensbach-Instituts von 1991 schließen kann.1 Auch im ausgehenden 19.
Jahrhundert wird immer wieder über die Zunahme von „Unsicherheit“ geklagt;
nur die auslösenden Momente für dieses Gefühl sind z. T. verschieden. Heute
wecken die drohende Arbeitslosigkeit, der übermäßige Zuzug von Ausländern und
die steigende Kriminalität Unsicherheit, im 19. Jahrhundert waren es die
Landflucht in die Städte, die Sittenlosigkeit in den expandierenden urbanen
Zentren und der Gegensatz zwischen besitzender und arbeitender Klasse. Obwohl
objektiv betrachtet immer mehr Risiken und Bedrohungsfaktoren im Lauf der
Jahrzehnte und Jahrhunderte beherrschbar gemacht wurden, beispielsweise durch
die Schaffung von Versicherungen (z. B. gegen Arbeitslosigkeit, gegen Brände
schon im 18. Jh.) und die Gründung von Polizeien und Gendarmerien (z. B. zur
Kriminalitätsbekämpfung), nimmt das Bedürfnis nach Sicherheit nicht ab, sondern
eher zu. [...]
1 Vgl. Ekkehard Lippert et al. (Hrsg.): Sicherheit in der unsicheren Gesellschaft, Opladen 1997, S.
7. – Im Datenreport 1999 konstatiert Heinz-Herbert Noll basierend auf Daten von 1998, dass „[i]m
Vergleich mit anderen Aspekten der Lebensverhältnisse […] die Zufriedenheit mit der öffentlichen
Sicherheit ausgesprochen niedrig“ ist, obwohl seit 1993 die Zufriedenheit in diesem Bereich
tendenziell steigt. Heinz-Herbert Noll: Öffentliche Sicherheit und Kriminalitätsbedrohung. In:
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Datenreport 1999. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik
Deutschland, [= Schriftenreihe der BpB; Bd. 365], Bonn 2000, S. 521 – 529, hier: S. 521.
Inhaltverzeichnis
I. Einleitung
1. Einführung
2. Zielsetzung
3. Vorgehensweise
II. Theoretische Grundlagen
1. Recherche, Quellen und wichtige Sekundärliteratur
1.1 Recherche
1.2 Quellen
1.3 Wichtige Sekundärliteratur
2. Historische Voraussetzungen für Fürths Aufstieg im 19. Jahrhundert
3. Demographie und kommunaler Haushalt
3.1 Demographische Entwicklung im 19. Jahrhundert
3.2 Wachstum des kommunalen Haushalts
4. Polizei- und Gendarmeriewesen in Bayern
4.1 Polizei
4.1.1 Zum Begriff „Polizei“
4.1.2 Forschungsthesen zur Polizei und ihren Aufgaben im
19. Jahrhundert
4.1.3 Institutionelle Polizei
4.2 Gendarmerie
5. Das System der städtischen Selbstverwaltung
III. Sicherheitsinstitutionen in Fürth
1. Kommunale Sicherheitsorgane
1.1 Bürger- und Sicherheitswehren
1.2 Feuerwehren
1.3 Flurer
1.4 Förster
1.5 Nachtwächter
1.6 Turmwächter
1.7 Distriktsvorsteher
1.8 Polizeisoldaten
1.9 Zusammenfassung
2. Staatliche Sicherheitsorgane
2.1 Polizeisenat
2.2 Gendarmerie
2.3 Landwehr
2.4 Linienmilitär
2.4.1 Fürths erste Bewerbung um eine Garnison 1866
2.4.2 Fürths zweite Bewerbung um eine Garnison 1871
2.4.3 Die Garnisonsstationierung in Fürth 1890
2.4.4 Einsätze des Militärs zu Zwecken der inneren Sicherheit
2.4.5 Militär als Sicherheitsrisiko
2.5 Zusammenfassung
IV. Beispiele für Tumulte, Exzesse und Krawalle
1. Der Silvestertumult 1843
2. Der Bierkrawall 1866
3. Der große Kirchweihexzess 1872
4. Der Ausstand der Holz- und Glasarbeiter 1896
V. Zusammenfassung der Ergebnisse
VI. Verzeichnisse, Glossar und Register
1. Ungedruckte Quellen
2. Gedruckte Quellen
2.1 Chroniken, Adressbücher und Physikatsberichte
2.2 Zeitungen
2.3 Quellensammlungen
3. Handbücher
4. Sekundärliteratur
5. Bilder, Stadtpläne und Fotografien
6. Abkürzungen
7. Glossar
8. Register
8.1 Orts- und Straßenregister
8.2 Personen- und Namensregister
8.3 Sachregister
VII. Anhang
1. Polizeipersonal in Fürth im 19. Jahrhundert
2. Wichtige Quellentexte
2.1 Ausschnitt aus dem Intelligenz-Blatt der Stadt Fürth von Montag, den 25. Dezember 1843, Nr. 103
2.2 Protokoll der Versammlung des Polizeisenats vom 30. Dezember 1843
2.3 Öffentliche Bekanntmachung des Stadtmagistrats vom 1. Januar 1844
2.4 Ausschnitt aus dem Intelligenz-Blatt der Stadt Fürth von Donnerstag, den 4. Januar 1844, Nr. 2
2.5 Ausschnitt aus dem Intelligenz-Blatt der Stadt Fürth von Montag, den 8. Januar 1844, Nr. 3
2.6 Bekanntmachung des Stadtmagistrats der Stadt Fürth vom 4. Mai 1866
2.7 Aufruf der Stadtverwaltung an die Bürgerschaft Fürths 1866
2.8 Ausschnitt aus dem Amts-Blatt für die Gerichts- und Verwaltungs-Bezirke Fürth und Heilsbronn von Montag, den 15. April 1867
2.9 Ausschnitt aus dem Fürther Tagblatt von Freitag, den 14. Juli 1871, Nr. 167
2.10 Artikel über den Kirchweihtumult 1872 in den Fürther Neusten Nachrichten von Mittwoch, den 2. Oktober 1872, Nr. 236
2.11 Artikel aus den Fürther Neusten Nachrichten von Dienstag, den 26. November 1872, Nr. 283
2.12 Artikel aus der Fürther Neusten Nachrichten von Freitag, den 20. Dezember 1872, Nr. 304
2.13 Abschrift eines Briefs des Ministeriums des Inneren an die Kreisregierungen das polizeiliche Dienstpersonal betreffend (1840)
2.14 Brief der Kreisregierung Mittelfranken an den Stadtmagistrat Fürths (1840)
3. Lebenslauf
4. Erklärung
I. Einleitung
1. Einführung
Der Begriff „Sicherheit“ und sein Antagonismus „Unsicherheit“ haben nicht erst nach den Anschlägen des 11. September 2001 eine besondere Beachtung in den gesellschaftlichen Resonanzkörpern Presse, Medien und Politik gefunden, sondern waren schon vorher dazu geeignet, Ängste zu wecken, Befürchtungen hervorzurufen und Besorgnis zu evozieren. Dass sich mit dem Schlagwort „Unsicherheit“ besonders nachhaltig politische Stimmungen erzeugen lassen und parteipolitisch ausgenützt werden, ist nicht nur der Wahlkampfpropaganda geschuldet, sondern gründet vielmehr auf einer Grundtendenz der modernen Gesellschaft. Das Gefühl in einer unsicheren Gesellschaft zu leben hat in den letzten 30 - 40 Jahren stark zugenommen, wie man aus Meinungsumfragen des Allensbach-Instituts von 1991 schließen kann.[1] Auch im ausgehenden 19. Jahrhundert wird immer wieder über die Zunahme von „Unsicherheit“ geklagt; nur die auslösenden Momente für dieses Gefühl sind z. T. verschieden. Heute wecken die drohende Arbeitslosigkeit, der übermäßige Zuzug von Ausländern und die steigende Kriminalität Unsicherheit, im 19. Jahrhundert waren es die Landflucht in die Städte, die Sittenlosigkeit in den expandierenden urbanen Zentren und der Gegensatz zwischen besitzender und arbeitender Klasse. Obwohl objektiv betrachtet immer mehr Risiken und Bedrohungsfaktoren im Lauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte beherrschbar gemacht wurden, beispielsweise durch die Schaffung von Versicherungen (z. B. gegen Arbeitslosigkeit, gegen Brände schon im 18. Jh.) und die Gründung von Polizeien und Gendarmerien (z. B. zur Kriminalitätsbekämpfung), nimmt das Bedürfnis nach Sicherheit nicht ab, sondern eher zu. Der Wunsch nach Sicherheit ist anthropologisch begründet[2] und letztlich endlos, da ein Zustand vollständiger Sicherheit nicht erreicht werden kann. Die Annäherung daran wird aber als Ziel verstanden und ist eine Triebfeder der menschlichen Existenz.
Gleichzeitig versteht der Soziologe Ulrich Beck die Gesellschaft nach 1945 als „Risikogesellschaft“[3], die sich durch technische und soziale Entwicklungen Gefahren aussetzt, die immer weniger beherrschbar scheinen und folglich große Unsicherheit, gleichsam eine riskierte Gesellschaft erzeugen.
Diese kurz angedeuteten Aspekte machen nachvollziehbar, warum der Begriff „Sicherheit“ auf so großes Interesse in der heutigen Öffentlichkeit stößt.
Sicherheit wie wir sie heute verstehen, ist oftmals eine „Sicherheit vor “ (Sicherheit vor Kriminalität, vor Feuer usw.), d. h. Sicherheit besitzt viele verschiedene Facetten, so dass für verschiedene Aspekte von Sicherheit auch unterschiedliche Institutionen, Behörden und Organe notwendig werden.
Zudem ist Sicherheit janusköpfig, da die Sicherheit des einen die Unsicherheit des anderen ist. So ist beispielsweise die Bevölkerung vor der Beteiligung an der Brandbekämpfung sicher, weil diese Gefährdung an die sich im 19. Jahrhundert langsam bildenden (freiwilligen) Feuerwehren abgegeben werden kann. Sicherheit wird also zum delegierbaren Gut.
Als Historiker ist es nun interessant, den Blick zurück zu wagen und zu fragen, wie es mit der Sicherheit in der Vergangenheit (in diesem Fall im 19. Jahrhundert) aussah und welche Institutionen für die Aufrechterhaltung von „Sicherheit und Ordnung“ zuständig waren. Dabei soll diese Untersuchung einen auf Archivquellen basierenden Blick in die Praxis der städtischen Sicherheitsorgane und Sicherheitskonzeptionen liefern und kann so einen Komparationspunkt für städtevergleichende Untersuchungen bilden. Als räumlichen Forschungsgegenstand bot sich die Stadt Fürth in Bayern an, da Fürth als Industrie- und Handelsstadt im 19. Jahrhundert ein enormes Bevölkerungswachstum erlebte, das Fragen nach der sicherheitspolitischen Bewältigung dieses für das 19. Jahrhundert typischen Phänomens weckt.
Leider kann in dieser Abhandlung nicht auf alle Aspekte des schillernden Begriffs „Sicherheit“[4] im urbanen Rahmen eingegangen werden, der im weiteren Sinn auch Seuchen- und Krankheitsprävention (Krankenhäuser und Sanitätskolonnen), die sich im 19. Jahrhundert entwickelnde städtische Leistungsverwaltung (Armenpflege, Versicherungen, Schulwesen) und technische Neuerungen (Kanalisation, Elektrizität) umfassen würde. Ein Eingehen auf diese Teilgebiete von Sicherheit würde den Rahmen dieser Abhandlung sprengen und könnte aufgrund der Quellenfülle nur im Zuge eines langfristig angelegten Forschungsprojekts bewältigt werden.
2. Zielsetzung
Das Ziel dieser Abhandlung soll der Versuch sein, der institutionalisierten Sicherheit im engeren Sinn in der Stadt Fürth im 19. Jahrhundert nachzuspüren und an ausgewählten Beispielen ihr Wirken und Vorgehen zu zeigen. Dabei ist von einem Zeitraum von 1808, der Erhebung Fürths zur Stadt II. Klasse bis 1899 (mehrere Eingemeindungen nach Fürth[5] ) auszugehen, wobei vereinzelt – wenn dies sinnvoll und nötig scheint – über den betrachteten Zeitrahmen hinausgegriffen wird. Sicherheit im engeren Sinne heißt hier Schutz der Bevölkerung vor Ausschreitungen, vor Kriminalität, vor Störungen der „Ruhe und Ordnung“, also Sicherheit im Sinne von Gefahrenabwehr.[6] Zudem soll noch der Schutz vor Feuer und Brand in den hier gesetzten Rahmen der Sicherheit im engeren Sinn aufgenommen werden, da Brände im 19. Jh. noch immer ein essentielles Sicherheitsproblem darstellten und in hohem Maß die öffentliche Wahrnehmung beschäftigten. Gleichzeitig wird daran deutlich, welche Konzeptionen die Stadt Fürth zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit verfolgt und wie sich die Sicherheits- und Ordnungskräfte im Laufe des untersuchten Jahrhunderts immer mehr professionalisieren. Zudem wird zu zeigen sein, dass der unmittelbare kommunale Zugriff auf die Sicherheitsinstitutionen langsam aber stetig abnimmt und immer mehr in die Hände des Staates gleitet. Ein Beispiel dafür ist die Abschaffung der Nachtwächter und die Übertragung ihrer Sicherheitsaufgaben an die Polizeimannschaft, die nur im Rahmen einer staatlichen Auftragsverwaltung von der Stadtgemeinde Fürth unterhalten wird, also praktisch auch den direkten Weisungen der mittelfränkischen Regierung in Ansbach als der unmittelbar vorgesetzten Behörde untersteht.
Besonderes Interesse gilt folglich den Entsprechungen der heutigen Polizei und Feuerwehr. Für Fürth kommen dabei einerseits die Polizey-Diener (später Polizei-Soldaten, dann Schutzmänner), die Gendarmerie, die Nacht- und die Turmwächter, die Flurer und Förster, sowie die Bezirksvorsteher und Bürgerwehren (Freicorps) in Betracht, andererseits die Freiwillige und die Turnerfeuerwehr. Ferner soll versucht werden, nachzuzeichnen, warum sich der Fürther Magistrat seit der Mitte der 1860er Jahre - und lange Zeit vergeblich - um die Verlegung einer Garnison nach Fürth bemüht. Dieses Ansinnen hatte in der Frühphase in Fürth nämlich nur zum Teil finanzielle, gewerbefördernde Gründe, sondern vielmehr kommunal-sicherheitspolitische. Thomas Nipperdey meint in seiner „Deutschen Geschichte“ auch, dass „bis 1890 […] das Militär immer als die letzte Reserve der Polizei, z. B. bei Unruhen und großen Streiks“[7] gilt, d. h. eine getrennte Aufgabenzuweisung an Polizei (innere Sicherheit) und Militär (äußere Sicherheit) existiert noch nicht; das Militär ist für innere und äußere Sicherheit zuständig. Allerdings geraten diese Gründe bis zur tatsächlichen Verlegung von Artillerieeinheiten nach Fürth im Jahr 1890 immer mehr in den Hintergrund und werden von den lange Zeit nur beiläufig erwähnten Prestigegründen (Es gebe nicht allein in Bayern, sondern auch in ganz Deutschland keine Stadt von der Größe Fürths, die wie Fürth ohne Garnison sei […].[8] ) überlagert. Es soll ferner untersucht werden ob das Militär eine Bedeutung bei der Herstellung von Sicherheit in Fürth geleistet hat.[9] Hierbei soll auch auf die Landwehr eingegangen werden, die in Fürth nicht nur rühmlich auffiel.
Dass auf die Stadtverwaltung als den obersten kommunalen Dienstherrn, also Stadtkommissariat (bis 1869), Magistrat und Kollegium der Gemeindebevollmächtigten im Rahmen einer solchen Untersuchung einzugehen ist, versteht sich von selbst. Sie werden deshalb in einem Unterpunkt kurz behandelt.
Schließlich soll die Vorgehensweise der Stadt Fürth bei Problemen mit der öffentlichen Sicherheit an einzelnen ausgewählten Beispielen dargestellt werden. Dabei sollen eingehend der Silvestertumult 1843/44, der Bierkrawall von 1866 und der Kirchweihexzess von 1872 geschildert werden. Ferner sind einzelne Schlaglichter auf kleinere, weniger bedeutsame Sicherheits- und Ordnungsstörungen zu richten, die in der bisherigen Geschichtsschreibung zu Fürth noch keine Beachtung gefunden haben.
Daran anschließen soll sich die Frage, ob Fürth im 19. Jahrhundert tatsächlich eine der ruhigsten und dem Gesetze folgsamsten Städte[.] des Königreichs[10] gewesen ist, wie sie von Adolf Mair in seinem Physikatsbericht an das bayerische Innenministerium von 1861 beschrieben wird oder ob er hier die aufstrebende Industrie- und Handelsstadt Fürth in einem milden, heimatverklärenden Licht zeichnete.
Bisher ist zum Thema „Sicherheit in Fürth im 19. Jahrhundert“ noch kein Forschungsbeitrag entstanden, so dass sich diese Abhandlung auch als Pionierleistung mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen eines solchen Unternehmens versteht.
3. Vorgehensweise
In einem ersten Teil sollen die theoretischen Grundlagen für die Untersuchung geschaffen werden. Dort wird zunächst die Quellenlage erörtert, dann in einem kurzen Exkurs die historische Entwicklung Fürths in groben Zügen nachgezeichnet, da sie Grundlage für den rasanten Aufstieg in Zeiten der Industrialisierung ist, und anschließend auf die Bevölkerungsentwicklung Fürths im 19. Jahrhundert, sowie auf die städtische Haushaltspolitik eingegangen. Danach sollen Polizei- und Gendarmeriewesen in Bayern im allgemeinen und in ihren Entwicklungslinien kurz dargestellt werden, sowie das System der selbständigen Stadtverwaltung kurz beschrieben werden.
In einen zweiten Teil sollen dann die oben bereits genannten einzelnen Sicherheitsinstitute, die für Fürth Relevanz besitzen, deskriptiv behandelt und so weit dies aus den untersuchten Quellen möglich ist, bewertet werden.
Im abschließenden dritten Teil finden dann die Beispiele für das Vorgehen der Stadtverwaltung (Stadtmagistrat, Stadtkommissär) und die Exempel für den Einsatz von Sicherheitskräften Raum.
II. Theoretische Grundlagen
1. Recherche, Quellen und wichtige Sekundärliteratur
1.1 Recherche
Bei den Recherchen zum Thema im Fürther Stadtarchiv sind drei Schwierigkeiten zu meistern gewesen. Zum ersten ist unter den Stichwörtern „Sicherheit“ und „Sicherheitspolizei“ nur wenig systematisches Material vorhanden. Zwar sind eine Reihe von themenrelevanten Magistratsakten erhalten und einsehbar, aber sie befassen sich nur mit singulären Verwaltungsakten wie der Übernahme eines Gendarmen in den städtischen Polizeidienst. Eine magistratische Aufstellung des Ist-Personalstandes der Polizeisoldaten ist beispielsweise nicht vorhanden. Zum zweiten sind die Akten nicht mehr in allerbesten Zustand, was die Lesbarkeit erschwert, wenn nicht unmöglich macht. Setzt man den erwartbaren Ertrag in Relation zur aufgewandten Zeit und Mühe, dann steht der Aufwand in keinem Verhältnis zum bescheidenen (falls überhaupt verwertbaren) Ergebnis, so dass die langwierige Durchsicht von tausenden handgeschriebener Seiten nicht als adäquates Mittel erscheint, um ein fundiertes Ergebnis zu erhalten. Die magistratischen Akten wurden deshalb nur in Ergänzung zu anderen Quellen hinzugezogen. Zum dritten sind die Bestände an gedruckten Quellen wie Zeitungen und Intelligenzblätter schon so umfangreich, dass die Fülle des Vorhandenen keine systematische Durchsicht mehr erlaubte. Nur wenn bereits Anzeichen in Form von eingrenzbaren Zeiträumen in den untersuchten Fürther Chroniken zum 19. Jahrhundert für eine Durchsicht der Lokalzeitungen sprach, wurden diese zu Rate gezogen. Zweifellos sind sie für dieses Thema jedoch die geeignetsten Quellen, da in ihnen ausführlich und z.T. protokollartig über Magistrats- und Gemeindebevollmächtigtenversammlungen berichtet wird, sie oft einen Polizeibericht und Lokales enthalten und zudem Leserbriefe abdrucken.
1.2 Quellen
Als Quellen wurden zunächst die drei Fürther Chroniken herangezogen, die sich mit dem 19. Jahrhundert beschäftigen. Die „Chronik der Stadt Fürth“[11], verfasst vom Medizinalrat Georg Tobias Christoph Fronmüller (1809 – 1889), umfasst einen Zeitraum von der ersten urkundlichen Erwähnung Fürths bis hin zum Jahr 1887, wobei der Schwerpunkt auf der Zeit nach 1830 liegt. Die zweite herangezogene Chronik „Chronik der Stadt Fürth (1887 – 1906)“[12] schließt unmittelbar an die Fronmüller-Chronik an und wurde vom Schwiegersohn Georg Fronmüllers, dem Magistratsrat Paul Käppner verfasst. Sie reicht von 1887 bis ins Jahr 1906. Die dritte herangezogene und von Friedrich Marx geschriebene Chronik „Fürth in Vergangenheit und Gegenwart“[13] geht selektiver vor als die beiden anderen, die mehr oder weniger wahllos alles die Stadt Fürth betreffende taggenau festhalten, und enthält auch einen breiten systematischen Teil, der sich mit bestimmten Entwicklungen und Institutionen Fürths längsschnittartig befasst.
Diese Chroniken dienten als erster Einstieg in die Materie. Ebenfalls miteinbezogen wurde der Physikatsbericht[14] von Adolf Mair, der gute, z. T. auf statistischen Auswertungen beruhende Beschreibungen zu Fürth in den verschiedensten Thematiken bereithält, unter anderem auch zur Kriminalitätsentwicklung in Fürth. Allerdings endet sein Beobachtungszeitraum mit dem Jahr 1861, dem Jahr, in dem er den Bericht nach München weiterleiten musste.
Ferner wurden selektiv Zeitungen (Fürther Neuste Nachrichten, Fürther Central Anzeiger, Intelligenzblatt der Stadt Fürth) und sämtliche Adressbücher der Stadt Fürth, die im Stadtarchiv Fürth vorhanden sind, für die Behandlung des Themas herangezogen. Da die Adressbücher aber einige Zeit bis zur Drucklegung brauchten, waren sie zumeist nicht auf dem Stand des Jahres, in dem sie gedruckt und veröffentlicht wurden, sondern beschrieben zum Teil den überholten Stand von vor einem Jahr. Zum Teil sind sie jedoch die einzige Quelle, um an Personen, tatsächliche Personalbestandszahlen und Adressen zu gelangen. Hier helfen die mit Einzelfakten überfüllten Chroniken überhaupt nicht weiter.
Als Ergänzung dienten ferner die Akten des Magistrats, die allerdings z. T. unvollständig sind. So fehlen bedauerlicherweise die Aufzeichnungen und die Korrespondenz über die Garnisonsgesuche von 1866 bis 1872 in den Akten.[15] Gerade in dieser Zeit entspann sich in Fürth aber eine rege Debatte über die Notwendigkeit und den Sinn einer Garnison für die innere Sicherheit. Diese Diskussion und ihre Resultate in Form von Bittgesuchen an das Kriegsministerium in München hätten für diese Arbeit bereichernd sein können.
Ferner muss bedauert werden, dass für Fürth kein Bürgerbuch im Stadtarchiv Fürth existiert wie es Herbert Reinke beschreibt[16], in dem die kommunale Verfassung Fürths in ihrem historischen Verlauf festgehalten ist.
Die gedruckt vorliegende Quellensammlungen von Kiessling et al.[17] wurden für die gesetzlichen Grundlagen der bayerischen Gemeindeverwaltung herangezogen.
1.3 Wichtige Sekundärliteratur
An dieser Stelle sollen die Werke genannt werden, die sich für einen schnellen Einstieg in die Thematik dieser Abhandlung eignen und die vom Autor als Inspirationsquellen verwendet wurden.
Für das zu behandelnde Thema anregend und dienlich sind zur Klärung des Begriffs „Sicherheit“ die Aufsatzsammlung von Ekkhart Lippert et al.[18], die sich vom soziologisch-gegenwartsbezogenen Standpunkt umfassend mit den zahlreichen Facetten des Begriffs auseinandersetzte. Für den historischen Kontext des Terminus „Sicherheit“ ist der Beitrag von Werner Conze[19] im Lexikon für geschichtliche Grundbegriffe geeignet.
Einen grundsätzlichen Einstieg in die Thematik Sicherheit und Stadt bieten sodann Martin Dinges und Fritz Sack mit ihrer Aufsatzsammlung „Unsichere Großstädte? Vom Mittelalter bis zur Postmoderne“[20], in der die grundsätzlichen Sicherheitsprobleme, mit denen Städte seit dem Mittelalter rechnen mussten, an ausgewählten Beispielorten vergegenwärtigt sind.
Weitere Impulse zum Thema städtische Sicherheit im 19. Jahrhundert im Hinblick auf die Wechselwirkungen von Stadt und Militär liefern die Aufsatzsammlung „Stadt und Militär“[21] von Bernhard Sicken und die bereits erwähnte Lokalstudie zur Nürnberger Garnison von Thomas Bruder[22].
Inspirierendes zum Thema nächtliche Sicherheit findet sich bei Joachim Schlör und dessen Werk „Nachts in der großen Stadt“[23], das durch die Heranziehung sowohl authentischer als auch fiktiver Quellen ein eindrucksvolles Panorama der Großstadtnacht von 1840 bis 1930 aufzeigt.
Für den Einstieg in die ideengeschichtliche Entwicklung von „Polizei“ eignet sich der Standardartikel von Franz-Ludwig Knemeyer[24] als erste Anregung und für die institutionelle Polizeigeschichte in Bayern das für ein breiteres Publikum geschriebene Werk „Bayerns Polizei im Wandel der Zeit“[25].
Bei der Recherche nach Sekundärliteratur zu Fürth ist als Einstieg eine Dissertation von Oliver Bender[26] hervorragend geeignet, da sie eine umfangreiche Bibliographie enthält, die bis 1998 praktisch alle relevanten Beiträge zu Fürth im 19. Jahrhundert umfasst.
2. Historische Voraussetzungen für Fürths Aufstieg im 19. Jahrhundert
Fürth wird im Jahr 907 erstmals schriftlich erwähnt als Ort der Ausstellung einer Urkunde.[27] Der Ort geht vermutlich auf eine Kapelle zurück, die Kaiser Karl der Große im Rednitz-Pegnitz-Dreieck zum Gedenken des Heiligen Martins errichten ließ. 1007 wurde Fürth (locus furti) dann als kaiserliche Schenkung den neugegründeten Dompropstei Bamberg übertragen. Zur Mitte des 11. Jahrhunderts verlor es dann unter Heinrich III. sein Marktrecht an die Nachbarsiedlung Nürnberg. Obwohl schon im Jahr 1062 eine erneute Verleihung erfolgte, büßte Fürth diesen Entzug bitter und konnte den erlittenen Bedeutungsverlust (im Prinzip bis heute) nicht mehr aufholen.[28] Der Bedeutungszuwachs Nürnbergs machte es der ehemaligen Fürther Filialkirche St. Lorenz in Nürnberg leicht, die oberpfarreilichen Rechte an sich zu ziehen, so dass Fürth spätestens im 14. Jahrhundert in den Einflussbereich der mächtigen Reichsstadt geriet. Dies hatte schließlich auch die rasche Einführung der Reformation zur Folge. Gleichzeitig streckten die Markgrafen von Bamberg die Hände nach Fürth aus und versuchten sich Einfluss und Besitz zu sichern. Unter dem Schutz mal des einen und mal des anderen Herrn konnte sich die andernorts nicht erwünschten Juden und späterhin die emigrierenden Hugenotten und Niederländer in Fürth niederlassen[29], die dann zum Gewerbefleiß Fürths erheblich beitrugen.
Die sogenannte Dreiherrschaft in Fürth (die Reichsstadt Nürnberg, der Bamberger Bischoff und der Markgraf von Ansbach hatten Besitz in Fürth) und die Konkurrenzsituation zu Nürnberg hemmte jedoch nicht nur die Entwicklung Fürths, sondern waren gleichzeitig ein „stimulierendes Element“[30], da es fleißige Einwanderer anzog bzw. aufgrund des fehlenden Zunftzwanges[31] der Gewerbstätigkeit seiner Einwohner im Gegensatz zu Nürnberg keine Schranken setzte. Vielmehr sorgte die ständige Konkurrenz mit Nürnberg für die Ausbildung eines überregional wettbewerbsfähigen Gewerbes.[32] Erst mit der kurzen Zugehörigkeit zu Preußen (1792-1808), das die rechtliche Nachfolge des Markgrafentums Ansbach antrat, erhielt Fürth einen einheitlichen Stadtherren und wurde mit dem Übergang an Bayern im Jahr 1808 endlich offiziell Stadt zweiter Klasse, nachdem sich bereits seit 1804 die Bezeichnung Stadt für den ehemaligen Marktflecken Fürth durchgesetzt hatte.
Allerdings war es mit der städtischen Selbstverwaltung unter bayerischem Führung zunächst nicht weit her, da dem städtischen Magistrat ein Stadtkommissär zur obersten Aufsicht vorgesetzt wurde und sie selbst unter der beständigen Kuratel des Staates[33] stand. Erst das Gemeindeedikt von 1818 förderte die Selbstverwaltung der bayerischen Gemeinden, wenngleich die Staatsaufsicht in Form der beigeordneten Stadtkommissariate bis zur Revision der Gemeindeordnung von 1869 bestehen blieb. Diese Revision schafft die Stadtkommissariate ab und bot den Gemeinden, die nun freilich schon mit dem bayerischen Staat so weit verwachsen waren, dass eine Lockerung der staatlichen Aufsicht gefahrlos möglich war, mehr Freiheiten bei der Selbstverwaltung.
Fürth setzt nun unter einheitlich Verwaltung gestellt in vielerlei Beziehung zur Expansion an: Bevölkerung, Arbeiterschaft, Verwaltung, Gewerbezahlen, Kapital- und Kreditwesen wuchsen.[34] Die Attraktivität der Stadt für mobile, landflüchtige Zuwanderer nahm zu, weil ihre Hoffnungen hier Arbeit zu finden nicht fehl gingen.[35]
Die Industrialisierung, die mit der Ludwigsbahn zwischen Nürnberg und Fürth ein prominentes Stadtbein in Fürth hat, war unter anderen ein Auslöser dieser Urbanisierungsbewegung[36], die wiederum dafür sorgte, dass in den Städten genügend billige landflüchtige Arbeitskräfte verfügbar waren, um kostengünstig mit Hilfe von dampfbetriebenen Maschinen produzieren zu können. Der Nürnberg-Fürther Raum profitierte bis zur Jahrhundertwende besonders von dieser gesamtwirtschaftlichen Aufschwungbewegung. Nach 1900 ist die Zuwanderung nur noch gering und die verlangsamte Bevölkerungszunahme in Fürth resultiert überwiegend aus dem Geburtenüberschuss.[37]
3. Demographie und kommunaler Haushalt
3.1 Demographische Entwicklung im 19. Jahrhundert
Im Jahr 1808, nachdem Fürth bayerische Stadt zweiter Klasse geworden war, zählte sie 12.709 Einwohner.[38] Bis ins Jahr 1849 stieg die Zahl der Einwohner bedächtig, aber kontinuierlich (mit Ausnahme der Jahre 1809 und 1810) bis auf 16.061 an, was einem relativen Zuwachs um 26,4 % entspricht. Von da ab kommt es zu einem beschleunigten Bevölkerungswachstum, das aber bis zum Jahr 1875 mit 27.428 Einwohner und einem relativen Zuwachs um 115,9 % zur Basis von 1808 noch nicht als außergewöhnlich zu bezeichnen ist. Ab 1875 steigt die Bevölkerung jedoch bemerkenswert rasant an und erreicht mit dem Jahr 1900 mit 54.822 Einwohnern und einem relativen Wachstum um 331,7 % den Höhepunkt dieser Entwicklung. Zwar wächst die Bevölkerung auch nach der Jahrhundertwende noch an, aber nicht mehr in diesen jährlichen Steigerungsraten. In der letzten Phase muss jedoch in Rechnung gestellt werden, dass Fürth im Jahr 1890 Sitz einer Garnison geworden ist, deren Militärpersonal und zugezogenen Angehörigenschaft mit in die Bevölkerungszahlen Eingang gefunden haben, was zu einem gewissen Teil die ungewöhnlich starke Bevölkerungszunahme im letzten Jahrzehnt vor der Jahrhundertwende erklärt.
Zum Vergleich sei an dieser Stelle noch die aktuelle Bevölkerungszahl Fürths angegeben, die im dritten Quartal des Jahres 2001 bei 111.392 lag[39], was einer Steigerung um 776,5 % im Vergleich zu 1808 entspricht. Allerdings ist das Wachstum in der Nachkriegszeit nach 1945 nicht mehr kontinuierlich und von Brüchen, Stagnationen und Wachstumsphasen durchzogen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Schaubild 1: Die Grafik zeigt die drei Phasen in der Bevölkerungszunahme in Fürth im 19. Jahrhundert: 1. Phase des bedächtigen Wachstums (1808 – 1849), 2. Phase des beschleunigten Wachstums (1849 – 1875), 3. Phase des rasanten Wachstums (1875/1880 – 1900)[40]
Das Bevölkerungswachstum in Fürth wird, wie in anderen Regionen Deutschlands auch, aus zwei Quellen gespeist. Zum einen ist das Wachstum generativ begründet, d.h. die Bevölkerung wächst aus sich selbst heraus. Der Grund hierfür liegt in der Verringerung der Geburtensterblichkeit und einer verlängerten Lebenserwartung, die wiederum auf eine Verbesserung der hygienischen und sanitären Verhältnisse (Wasserleitungen, Kanalisation), der ärztlichen Versorgung (Krankenhäuser[41] ) und der verbesserten Ernährungslage zurückzuführen ist.[42]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bild 1: Die Industriestadt Fürth vom Süden aus betrachtet, um 1890. Im Zentrum steht der belebte Hauptbahnhof und in der linken Bildmitte ist der alles überragende Rathausturm zu sehen. (Aufgenommen und gez. von E. Frank. Photograph. Pressendruck & Co., Leipzig-Plagwitz.)
Zum anderen nimmt die Mobilität der Bevölkerung zu: Grundherrliche Bindungen verschwinden zusehends und die Attraktivität der Städte wächst für junge, aktive meist männliche Arbeitsuchende vom Lande. Diesen Bevölkerungszuwachs aufgrund von Wanderung gibt es auch in Fürth, wie Hans Mauersberg plausibel belegen kann. Er macht zudem den überwiegenden Teil des demographischen Wachstums aus.[43] Dass diese Zuwanderung nach Fürth enorm gewesen ist, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass Fürth durch Auswanderungen nach Amerika einen nicht unbedeutenden Teil seiner angestammten Bevölkerung verlor.[44] Da im Betrachtungszeitraum (1808 – 1899) keine Eingemeindungen vorgenommen wurden, ist der Einwohnerzwachs folglich vornehmlich auf Zuwanderung zurückzuführen. Diese Zuwanderer stammen zumeist aus dem landwirtschaftlich geprägten Umland Mittel- und Oberfrankens und dann auch der Oberpfalz. Mauersberg weist aber auch darauf hin, dass nicht nur aus Bayern, sondern auch aus Thüringen, Hessen, Sachsen und Württemberg, sowie vereinzelt aus dem Ausland Menschen in den Nürnberg-Fürther Ballungsraum übersiedelten.[45]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Schaubild 2: Die Grafik zeigt, dass Nürnberg im Vergleich zu Fürth ebenfalls im Jahr 1849 in eine verstärkte Wachstumsphase übergeht, die jedoch mit einer kräftigeren Zunahmequote einhergeht. Gleichzeitig wird deutlich, dass Nürnberg von einer sehr viel höheren Bevölkerungsbasis ins Zeitalter der Industrialisierung startet.[46]
Wie schon erwähnt wagten vor allem junge Männer den Schritt in die besonders zum Ende des Jahrhunderts als sittenlos geltende (Groß-)Städte.[47] Es ist zu vermuten, dass dieser breite Zustrom aktiver Männer nicht folgenlos für die Sicherheitslage einer Stadt wie Fürth bleiben konnte. Mögliche Folgen wären eine Zunahme von Raufhändeln und Schlägereien aufgrund von Trunkenheit und jugendlichem Übermut. Allerdings wäre zum Beweis dieser Annahme eine präzise statistische Auswertung der Polizeiberichte nötig, wobei zweifelhaft bliebe, ob die zuständigen Ordnungsstellen akribisch jede Rauferei aufführten. Eine derartige Auswertung kann im Rahmen dieser Abhandlung jedoch nicht geleistet werden.
Zudem weist Herbert Reinke darauf hin, dass die Städte im 19. und 20. Jahrhundert zwar als Orte der Unsicherheit und Unordnung wahrgenommen wurden, dass dies jedoch eher ländlichen Voreingenommenheiten über die städtische Welt entsprang als den Realitäten. Ursächlich für dieses verzerrte Wahrnehmungsbild war sicherlich der angstauslösende und Unsicherheit erzeugende Zwang in die fremde und ungewohnte Umgebung der Stadt auf der Suche nach Arbeit umziehen zu müssen. Nach Reinke führte aber die massive Einwanderung und Ansiedlung junger Männer nicht automatisch zu einem Anstieg der Kriminalitätsbelastung; andere Faktoren wie dauerhafte Arbeitslosigkeit u.ä. mussten hinzukommen.[48]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Schaubild 3: Das Diagramm zeigt das Bevölkerungswachstum mittelgroßer bayerischer Städte im 19. Jahrhundert im Vergleich. Auffällig ist, dass Fürth bis 1915 sämtliche Städte an Einwohnern überrundet, obwohl es zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur im Mittelfeld rangiert. Zudem fällt auf, dass ab 1870 alle Städte einen bedeutenden Wachstumsschub erleben.[49]
3.2 Wachstum des kommunalen Haushalts
Doch nicht nur die Bevölkerung nimmt zu, sondern dementsprechend wachsen auch die Ausgaben der Gemeinde. Die Kosten sowohl für Armenpflege und Schulwesen, Straßenpflasterung, -beleuchtung und Kanalisation, wie auch für Polizeiverwaltung und Feuerlöschwesen steigen im Verlauf des 19. Jahrhunderts enorm an. Als Beispiel seien hier nur die steigenden Ausgaben für das Feuerlöschwesen im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts aufgeführt, wobei allerdings die Inflation noch unberücksichtigt bleibt: Im Jahr 1891 gab die Stadt 9000 M. für das Feuerlöschwesen aus, ein Jahr später betrugen die Gesamtausgaben für das Feuerlöschwesen 10.777 Mark[50] (19,7 % mehr als 1891), im Jahr 1895 machten die Ausgaben dann einen gewaltigen Sprung auf 19.400 Mark[51] (Zunahme um 115,8 % im Vergleich zu 1891), um im Jahr 1897 wieder auf 11.077 Mark[52] (Zunahme um 23,1 %) zurückzufallen. Im Jahr darauf beträgt die Zunahme aber schon wieder 46,3 % auf 13.164 Mark[53]. Das Jahr 1895 stellt sicher eine Ausnahme dar, da hier hohe Anschaffungskosten für Gerätschaften (neue, längere Feuerleiter; Vermehrung der Weckerlinie zur Alarmierung der Feuerwehrleute[54]) besonders ins Gewicht fielen, trotzdem ist eine klare steigende Tendenz der kommunalen Ausgaben im Feuerlöschbereich in diesem demographischen Expansionsjahrzehnt deutlich ersichtlich. Die Zunahme der Ausgaben rührt einerseits aus steigenden Wartungs- und Reparaturkosten vorhandener Gerätschaften und aus vermehrten Neuanschaffungen, andererseits aus der Professionalisierung der Feuerwehr (ständige Feuerwache im Rathaus, ständige Unterhaltung von Zugpferden[55] ). Das Bedürfnis nach Schutz vor dem Feuer spornte die Gemeinde an, mehr Geld für Sicherheit zu investieren, obwohl sich auch immer Widerstände gegen die Mehrausgaben regten. So beklagt der Bürgermeister Langhans[56] in den Etatberatungen des Magistrats für das Jahr 1895: Der Magistrat war früher sparsam und ist auch jetzt noch sparsam. Was war das für ein Geschrei, als die Umlagen auf 105 Proz. festgesetzt wurden, da hieß es, das Geld wird hinausgeschmissen, und die Wahlen wurden sogar hierdurch beeinflusst und andererseits nennt man uns wieder zu sparsam.“[57]
Dass der Fürther Magistrat bis 1875 tatsächlich sparsam gehaushaltet hatte, beweist der geringe Aufwand für die Schuldentilgung von nur 587 fl. Doch schon im Jahr 1890 umfassten die Kosten für die Schuldenrückführung 10 % des Gemeindeetats (136229 M.).[58] Die rasche Bevölkerungszunahme und das Bedürfnis nach mehr Sicherheit im Leben (Sicherheit im weiteren Sinne, Lebensstandard) führen zu einer zunehmenden Verschuldung der Gemeinde.[59] Hinzu kommt, dass Fürth, um als Standort attraktiv für die Verlegung einer Garnison zu erscheinen, zunächst einige infrastrukturelle Kosten (Kanalisation, Grundstückserwerb in der Nachbargemeinde Höfen, Bau von Kasernenbaracken) auf sich nimmt, in der Hoffnung, dass sich diese Investition in Form von Prestigegewinn, wirtschaftlicher Belebung und Gewinn für die innere Sicherheit rentiert. Diese Kosten laufen ab 1889, dem Jahr der Zuweisung einer Garnison bei der Stadt auf und werden zum Teil über Kredite gedeckt.
So übersteigen noch bis ins Jahr 1860/61 die Einnahmen der Stadt (v. a. Akzisen[60] und Aufwandsteuern[61] ) die Ausgaben z. T. erheblich, doch spätestens ab 1875 setzt parallel zum Bevölkerungswachstum ein Ausgabenzuwachs ein, der durch die gesetzlich zugebilligten kommunalen Aufschlägen und auch durch die städtischen Umlagen (ab 1866 in Fürth erstmalig eingeführt[62] ) nicht mehr gedeckt werden kann.
Von 21.104 fl. im Jahr 1815/16 steigen die Ausgaben auf 1.550.709 M. (ca. 878.738 fl.), was einem Anstieg um das über vierzigfache entspricht.[63] Schaubild 4 zeigt den Verlauf des kommunalen Ausgabenanstiegs für Fürth.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Schaubild 4: Die Darstellung zeigt das enorme Ausgabenwachstum der Stadtgemeinde Fürth im 19. Jahrhundert. Besonders signifikant ist der Anstieg nach 1875, eine Phase, die mit dem rasanten Bevölkerungswachstum einhergeht (vgl. Schaubild 1). Die Zahlen von 1890 und 1900 sind Umrechnungen aus der Währung Mark in Gulden, damit eine bessere Vergleichbarkeit gegeben ist.[64] Allerdings ist in der Grafik die Inflation nicht berücksichtigt.[65]
4. Polizei- und Gendarmeriewesen in Bayern
4.1 Polizei
4.1.1 Zum Begriff „Polizei“
Der Begriff „Polizei“ hat eine lange Geschichte und geht auf griech. politeia (lat. politia), also auf die Bezeichnung für Stadtgemeinde zurück.[66] Im Humanismus wird der Begriff aufgegriffen und umfasst als Policey (Polizey und andere Schreibungen) nun zum einen den Zustand guter Ordnung des Gemeinwesens, sowie die Stadt oder den Staat selbst und zum anderen einen Rechtssatz, der der Erhaltung der guten Ordnung in den Gemeinden dient, also im Sinne von Policey -(Ver-) Ordnung zu verstehen ist.
Im Laufe der semantischen Entwicklung und unter Eindruck der Polizeiwissenschaft bildet sich ein Polizeibegriff heraus, der alle Gebiete der inneren Verwaltung umschließt. Langsam schälen sich aber die zentralen Kerne von Policey heraus, die mit Gefahrenabwehr und Wohlfahrtspflege am treffendsten umschrieben sind. Zunehmend wird Policey auch für eine bestimmte Behörde und ihre Mitglieder verwendet, die die Aufgaben der Gefahrenabwehr und Wohlfahrtspflege wahrnehmen (institutionelle Bedeutung). Gleichzeitig bürgerte sich ein formeller Polizeibegriff ein, der die Aufgaben der Polizeiinstitutionen bezeichnete und sie unter einem Überbegriff zusammenfasste. Die Vermischung der verschiedenen Aspekte im Ausdruck „Polizei“ macht die Materie unübersichtlich und gestaltet es sich schwierig, einem Gesichtspunkt stringent zu folgen.
Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts wird zunächst in juristischen und philosophischen Kreisen der materielle Polizeiterminus enger gefasst und das Eudämonieprinzip, also der Wohlfahrtszweck, der bisher als ein Kern von Polizey angesehen wurde, eliminiert. Gottlieb Fichte schränkt in den „Grundlagen des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre“ (1797) auf allgemeine Gefahrenabwehr, Sicherheits- und Schutzfunktion und Überwachung der Einhaltung von Gesetzen ein. Zwar findet sich schon 1794 in § 10, Abs. II, Satz 17 des Preußischen Allgemeinen Landrechts der Satz: Die nötigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem publico oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizei.[67] In der Praxis wird diese semantische und rechtlich postulierte Verengung jedoch nicht umgesetzt, vielmehr bleibt „Polizei“ ein Sammelbegriff für viele Bereiche der inneren Verwaltung. Dies resultiert daher, weil in vielen Verwaltungsbereichen Sicherungs- und Ordnungs-, sowie Wohlfahrtsaufgaben ineinander übergehen und vielfältige Überschneidungsflächen bieten. Eine zielgerichtete Entwicklung bis hin zur Sicherheits- und Vollzugspolizei unserer Tage kann also nicht zu konstatiert werden.[68]
In Bayern, hält Franz-Ludwig Knemeyer fest, findet sich ab dem Mitte des 19. Jahrhunderts „eine klare Trennung zwischen Polizei und allgemeiner Verwaltung“[69]. Polizei wird auf die „mit Zwangsgewalt ausgestattete Verwaltung“ beschränkt.
Nach 1945 wird „Polizei“ zu einer im institutionellen Sinne gebrauchten Bezeichnung für ein staatliches Vollzugsorgan, das sich hauptsächlich der Kriminalitätskontrolle, der Mithilfe bei der Strafverfolgung, der Gefahrenabwehr und der Straßenverkehrsüberwachung widmet. Es spalten sich die kommunalen Sicherheits- und Ordnungsbehörden ab, die nun unter dem Begriff „Ordnungsamt“ firmieren und der Polizei nur noch Weisungen erteilen können.
4.1.2 Forschungsthesen zur Polizei und ihren Aufgaben im 19. Jahrhundert
In der Forschungsliteratur[70] wird darauf hingewiesen, dass bis ins 20. Jahrhundert hinein das Eudämonieprinzip ein Bestandteil der polizeilichen Aufgaben bleibt und dass diese polizeiliche Wohlfahrtpflege ein Steuerungselement von städtischen Entwicklungsprozessen sei (These 1). Andere Autoren stellen heraus, dass zwar die polizeiliche Macht mit immer mehr rechtlichen Beschränkungen versehen wird und der Wohlfahrtszweck ausgegliedert wird, dass aber andererseits die Wohlfahrtsaufgaben in anderen Verwaltungsbereichen gestärkt werden und somit die staatliche Kontrolle (Herrschaftskontrolle) massiver wird (These 2). Die „Polizei“ als Sicherheitsbehörde sehen manche Forscher als das Resultat der wachsenden Unsicherheit und der Zunahme an Kriminalität (These 3). In der anglo-amerikanischen Forschung werden die Aufgaben der Polizei als „class control“ und „crime control“ beschrieben, wobei hier tendenziell die Klassenüberwachung der Polizei, als Mittel der sozialen Kontrolle verstanden, tendenziell mehr der Wohlfahrtsfunktion zugeschrieben wird, während die Sicherheits- und Schutzfunktion unter „crime control“ eingeordnet wird (These 4).
Dass „class control“ aber auch von explizit für die Sicherheit zuständigen Polizeivollzugsbehörden ausgeübt wird, dafür ist der Einsatz der Gendarmerie beim Streik der Arbeiter in der Fürther Spiegelindustrie 1893 ein Beleg (siehe S. 79ff.).
4.1.3 Institutionelle Polizei
Von Interesse für diese Arbeit ist vor allem die institutionelle Polizei, also die Polizei als Institution der Gefahrenabwehr und der Herstellung von Sicherheit und Ruhe. Dabei gilt es hier den Vorläufern der heutigen Vollzugsbehörden – wie sie oben beschrieben wurden - im Bayern des 19. Jahrhunderts nachzugehen, der Frage also, wer bei Tumulten, Exzessen und Krawallen wieder die Ruhe herstellte und dann die Sicherheit gewährleistete.[71]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Für dieses Sicherheitsinstitut „Polizei“ waren in den Städten zunächst staatliche Polizeidirektoren[72] zuständig. In einer Dienstanweisung an die Direktoren heißt es am 24. September 1808: „[…] Die ganze Verantwortlichkeit für die öffentliche Ruhe und Sicherheit liegt bei den Directionen der Polizei. Sie haben deshalb alle Veranlassungen welche sie stören könnten zu entfernen, öftere Streifen gegen das verdächtige und müßige Gesindel zu veranstalten, keine Unterschleife zu gestatten und besonders auf die erwerbslose Klasse der Einwohner genaue Aufsicht zu tragen.“[73] Den Polizei-Directoren unterstand zu diesem Zweck zum einen eine Polizey-Wache, die z. T. auch Streifendienst am Tag und in der Nacht verrichtete, und zum anderen ein Bureaux, das die Verwaltung[74] erledigte. Bis 1815 wurden die Angehörigen der Polizey-Wache Polizey-Diener genannt, danach hießen sie Polizey-Soldaten.
Bild 2: Nach dem Uniformreglement vom 12. Mai 1807 musste die Stadt-Polizey einen Uniformrock von dunkelblauem Tuch mit einem Unterfutter in gleicher Farbe und einem scharlachroten Vorstoß tragen. Diese dunkelblaue Uniform erhält sich über die Jahrhundertwende hinweg, dagegen wird der Uniformrock im Laufe des 19. Jahrhunderts kürzer und dem modischen Trend folgend mit einer Doppelreihe Silberknöpfe versehen. Der Tschako wird schließlich um 1876 durch die Pickelhaube als Polizeihelm ersetzt. Ab 1846 tragen die Polizeisoldaten an ihrer Kopfbedeckung ein kleines weißmetallenes Schild mit dem aufgeprägten Stadtwappen.[75]
Zwar war die Gemeinde verpflichtet, die Unterhaltung des zur Polizei-Aufsicht und Verwaltung erforderlichen Personals zu bestreiten, hatte aber selbst keinen direkten Einfluss auf das Polizeiorgan. Allerdings gewährte der Staat einen Zuschuss zur Polizeiverwaltung, der im Verlauf des 19. Jahrhunderts aber zumeist nicht mit dem Bevölkerungswachstum der Städte und der daraus resultierenden Kostenexplosion Schritt halten konnte.
Da für eine erfolgversprechende polizeiliche Arbeit genaue Ortskenntnisse erforderlich waren, wurden zunächst Stadtpläne entworfen und die Einwohnerschaft listenmäßig erfasst. Dies erklärt, warum in Fürth seit 1800 die Zahl der Adressverzeichnisse und -bücher, sowie die Anzahl der Stadtpläne stetig zunimmt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bild 3: Fürther Stadtplan von 1819 (Norden ist hier links oben). Erkennbar ist hier, dass Fürth als ehemals dreigeteilter Marktflecken keine Stadtmauer wie zum Beispiel Nürnberg[76] besitzt. Damit fehlt Fürth das Sicherheitsinstitut der Torsperrer, die v. a. des nachts als Filter gegen kriminelle Elemente hätten eingesetzt werden können.
Mit dem Gemeindeedikt von 1818 gehen die Befugnisse zur Polizeiverwaltung auf den städtischen Magistrat und den Bürgermeister als seinen Vorstand über und somit auch die Aufsichts- und Weisungsfunktion für die Polizeisoldaten. Jedoch nimmt der Bürgermeister diese Aufgabe nicht im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung wahr, sondern nur anstatt des Staates, also in Auftragsverwaltung.[77]
[...]
[1] Vgl. Ekkehard Lippert et al. (Hrsg.): Sicherheit in der unsicheren Gesellschaft, Opladen 1997, S. 7. – Im Datenreport 1999 konstatiert Heinz-Herbert Noll basierend auf Daten von 1998, dass „[i]m Vergleich mit anderen Aspekten der Lebensverhältnisse […] die Zufriedenheit mit der öffentlichen Sicherheit ausgesprochen niedrig“ ist, obwohl seit 1993 die Zufriedenheit in diesem Bereich tendenziell steigt. Heinz-Herbert Noll: Öffentliche Sicherheit und Kriminalitätsbedrohung. In: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Datenreport 1999. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland, [= Schriftenreihe der BpB; Bd. 365], Bonn 2000, S. 521 – 529, hier: S. 521.
[2] Vgl. zu den anthropologischen Aspekten: Udo Zelinka: Sicherheit – ein Grundbedürfnis des Menschen? In: Ebd. Dort heißt es auf Seite 53f.: „[Es] läßt sich feststellen, daß der Mensch ein im Grunde seiner Existenz riskiertes Wesen ist. Unsicherheit gehört zum menschlichen Dasein wie Geburt und Tod. Sie ergibt sich aus der anthropologischen Konstitution seines Wesens, das im Gegensatz zum seiner selbst sicheren und in seiner Umwelt eingepassten Tier, sein Leben führen muß. Der Mensch muß innere und äußere Sicherheit erst herstellen. […] Sein ständiger Begleiter ist dabei die Angst, weil der Aufbruch in das stets Unbekannte sich als zwangsläufige Konsequenz dieser typisch menschlichen Grundsituation einstellt. Angst kann insbesondere dann lähmend wirken, wenn die im Unbekannten liegende(n) Gefahr(en) überfordern, sie kann aber auch zur Triebfeder neuer Energien und neuer Entwicklungen werden, sobald den einzelnen eine kognitive Bearbeitung der situativen Herausforderung gelingt. […] So gesehen, besitzt Angst auch innovativen Charakter und wirklichkeitserschließende Funktion. […] Ein weltoffenes Wesen, das in der Reflexion auf sich selbst immer wieder mit den Möglichkeiten seiner Existenz konfrontiert wird, bleibt in der ständigen Sorge um Geborgenheit und Sicherheit.“
[3] Ulrich Beck: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a. M. 1986, [= es 1365].
[4] „Sicherheit“ kann generell auf zwei Weisen verstanden werden: Einerseits im psychologisch-subjektiven Sinn (Gefühl der Geborgenheit), andererseits im objektiv-rechtlich Sinn (Zustand des Geschütztseins bzw. -werdens). In dieser Arbeit soll „Sicherheit“ v. a. im letzteren Sinn verstanden werden. Vgl. Werner Conze: Sicherheit, Schutz. In: Otto Brunner et al. (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 5, o. O. 1984, S. 831 – 862, hier: 831.
[5] Teile von Höfen mit Weikersdorf am 1. Januar 1899, Poppenreuth am 1. Januar 1900, Dambach mit Ober- und Unterfürberg am 1. Januar 1901. Bis ins Jahr 1899 wächst Fürth praktisch aus sich selbst heraus, so dass sich die zeitliche Grenzziehung anbietet. Vgl. Adolf Schwammberger: Fürth von A bis Z. Ein Geschichtslexikon, Fürth 1968, S. 104.
[6] Meist wird Sicherheit spontan auf diesen Kontext bezogen und soll deshalb im Zentrum der Untersuchung stehen.
[7] Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866 – 1918, Bd. II: Machtstaat vor der Demokratie, München 1992, S. 127f.
[8] Aussage von dem magistratischen Rechtsrat Friedrich Langhans, dem späteren 1. Bürgermeister Fürths, in der Magistratssitzung vom 3. Okt. 1872. In: Fürther Neuste Nachrichten, Nr. 238, von Freitag, 4. Okt. 1872.
[9] Für Nürnberg hat Thomas Bruder die wechselnde Zustimmung der Bürger zum Militär im Laufe des Jahrhunderts sehr genau untersucht. Dabei reicht das Spektrum von skeptischer Ablehnung 1806 (bayerische Soldaten wurden als Besatzungsmacht empfunden) über Akzeptanz bis hin zu Zufriedenheit über die Leistungen des ansässigen Militärs (1870/71). Vgl. Thomas Bruder: Nürnberg als bayerische Garnison von 1806 bis 1914. Städtebauliche, wirtschaftliche und soziale Einflüsse, [= Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte; Bd. 48], Nürnberg 1992.
[10] Adolf Mair: Fürth zu Beginn des Industriezeitalters. Geschichte, Lebensumstände und Bevölkerungsentwicklung, bearb. v. Hermann Ott, [= Fürther Beiträge zur Geschichts- und Heimatkunde; Heft 6], Fürth 1989, S. 49.
[11] Georg Tobias Christoph: Chronik der Stadt Fürth, Fürth 1887, Nachdruck: Neustadt a. d. Aisch 1985.
[12] Paul Käppner: Chronik der Stadt Fürth (1887 – 1906), Fürth 1907.
[13] Friedrich Marx: Fürth in Vergangenheit und Gegenwart, Fürth 1887.
[14] Adolf Mair: Fürth zu Beginn des Industriezeitalters, (Anm. 10).
[15] Bereits im Herbst 1872 wird in der Magistratssitzung beklagt, dass diese Akten verschollen sind. Sie werden zunächst beim Landtagsabgeordneten Marquardsen vermutet, der als Lobbyist für die Fürther Interessen eintreten sollte. Allerdings sind diese Akten nicht mehr aufgetaucht und deshalb auch nicht im StadtA Fürth im Fach 0, Nr. 2444 vorhanden.
[16] Herbert Reinke: Das Amt der Polizei. Eine Einleitung. In: Ders.: „… nur für die Sicherheit da …“? Zur Geschichte der Polizei im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt 1992, S. 13: „Diese Bürgerbücher gab es fast in jeder größeren Stadt des Deutschen Reiches. Sie bestanden aus einer Zusammenstellung von Gesetzesregelungen, Statuten, Verordnungen und anderen Bestimmungen, die die kommunale Verfassung der jeweiligen Stadt dokumentierten und die Zuständigkeiten der Stadtverwaltung auflisten.“
[17] Rolf Kiessling; Anton Schmid und Werner K. Blessing: Regierungssystem und Finanzverfassung, [= Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern hrsg. v. Karl Bosl; Abteilung III: Bayern im 19. und 20. Jahrhundert; Bd. 2], München 1976; Rolf Kiessling; Anton Schmid und Werner K. Blessing: Die bayerische Staatlichkeit, [= Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern hrsg. v. Karl Bosl; Abteilung III: Bayern im 19. und 20. Jahrhundert; Bd. 3], München 1977.
[18] Ekkehard Lippert et al. (Hrsg.) : Sicherheit in der unsicheren Gesellschaft, (Anm. 1).
[19] Werner Conze: Sicherheit, Schutz, (Anm. 4).
[20] Martin Dinges und Fritz Sack (Hrsg.): Unsichere Großstädte? Vom Mittelalter bis zur Postmoderne, [= Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven; Bd. 3], Konstanz 2000
[21] Bernhard Sicken (Hrsg.): Stadt und Militär 1815 – 1914. Wirtschaftliche Impulse, infrastrukturelle Beziehungen, sicherheits-politische Aspekte, [= Forschungen zur Regionalgeschichte; Bd. 25], Paderborn 1998.
[22] Thomas Bruder: Nürnberg als bayerische Garnison von 1806 bis 1914, (Anm. 9).
[23] Joachim Schlör: Nachts in der großen Stadt. Paris, Berlin, London 1840 – 1930, München und Zürich 1991.
[24] Franz- Ludwig Knemeyer: Polizei. In: Otto Brunner et al. (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 4, o. O. 1978, S. 875 – 897.
[25] Otto Ernst Breibeck: Bayerns Polizei im Wandel der Zeit. Achthundert Jahre bayerische Polizeigeschichte, München 1971.
[26] Oliver Bender: Die Entwicklung der fränkischen Industriestadt Fürth im 19. Jahrhundert (1800-1914). Aufbau und Interpretation eines geographischen Informationssystems auf Basis der Hausgrundstücke, Diss., Bamberg 1999.
[27] Adolf Mair: Fürth zu Beginn des Industriezeitalters. (Anm. 10) , S. 15.
[28] Heinrich Habel: Fürth als Stadtdenkmal, [= Deutsche Kunst- und Denkmalpflege; Sonderdruck], München und Berlin 1977, S. 5f.
[29] Adolf Schwammberger: Fürth von A bis Z. Ein Geschichtslexikon, Fürth 1968, S. 111.
[30] Heinrich Habel: Fürth als Stadtdenkmal, (Anm. 28), S. 6.
[31] Der Zunftzwang Nürnbergs wurde in Fürth durch die Privilegienverleihung des Bistums Bamberg, des Markgrafen und zum Ende des 18. Jahrhunderts Preußens ausgehebelt. Vgl. Ebd.
[32] Ernst Hirschmann: Das Steuerrecht der bayerischen Gemeinden seit 1800 dargestellt an der Stadt Fürth, Diss., Erlangen 1951, S. 185.
[33] Zitiert aus: Edikt über die Verfassung und Verwaltung der Gemeinden (1808), § 8. In: Rolf Kiessling; Anton Schmid und Werner K. Blessing: Regierungssystem und Finanzverfassung, S. 143.
[34] Gut dargestellt bei Erhard Schraudolph: Vom Handwerkerort zur Industriemetropole. Industrialisierung in Fürth vor 1870, [= Mittelfränkische Studien; Bd. 6], Ansbach 1993, S. 15 – 48.
[35] Besonders die Spiegel-, Rahmen- und Maschinenindustrie (Löschgeräte) sind in der Frühphase der Industrialisierung bedeutende Arbeitgeber in Fürth.
[36] Andere auslösende Aspekte für die Urbanisierungsbewegung waren die Lockerung bzw. Beseitigung der Bindung an den ländlichen Grundherren und die stetige Verbesserung der Verkehrswege und –mittel. Vgl. Hans Fehn: Das Land Bayern und seine Bevölkerung seit 1800. In: Max Spindler (Hrsg.): Handbuch der Bayerischen Geschichte. Bd. 4,2: Das neue Bayern 1800 – 1970, München 1975, S. 680. – Ab 1843 findet Fürth auch Anschluss an den Ludwigs-Main-Donau-Kanal, was die Verkehrssituation nochmals erheblich verbessert und den Austausch schwerer Transportgüter erleichtert.
[37] Vgl. Hans Mauersberg: Wirtschaft und Gesellschaft Fürths in neuerer und neuster Zeit. Eine städtegeschichtliche Studie, Göttingen 1974, S. 77.
[38] Die Zahlen stammen aus: Erhard Schraudolph: Vom Handwerkerort zur Industriemetropole, (Anm. 34), S. 226.
[39] Vgl. Stadt Fürth (Hrsg.): Statistischer Vierteljahresbericht 3/2001, Fürth 2002, S. 1.
[40] Die der Grafik zugrundeliegenden Zahlen stammen aus: Else Hölzl: Die Gemeindefinanzen der Stadt Fürth/Bayern von 1808 – 1913, Diss. Erlangen 1922, S. 1f. Zitiert nach: Erhard Schraudolph: Vom Handwerkerort zur Industriemetropole, (Anm. 32), S. 226. Mit der Einteilung in drei Phasen folge ich Hans Mauersberg: Wirtschaft und Gesellschaft Fürths in neuerer und neuster Zeit, S. 72 – 78. Allerdings scheint die dritte Phase in Fürth – meiner Ansicht nach - erst ab 1880 zu beginnen.
[41] Im Jahr 1830 errichtete die Stadt Fürth ein den hygienischen Bedingungen der Zeit angepasstes Krankenhaus in der Schwabacher Str. 51, das bis 1885 als solches, danach als Spital für gebrechliche Menschen betrieben wurde. Vgl. Adolf Schwammberger: Fürth von A bis Z, (Anm. 29), S. 228.
[42] Vgl. Hans Mauersberg: Wirtschaft und Gesellschaft Fürths in neuerer und neuster Zeit, (Anm. 37), S. 72.
[43] Vgl. ebd.
[44] Vgl. ebd., S. 74
[45] Ebd.
[46] Zahlen nach: Adolf Mair: Fürth zu Beginn des Industriezeitalters, (Anm. 9), S. 82f. und Adalbert Küttlinger und Herman Reuter: Nürnberg vor 125 Jahren. Die Medizinal-Topographie von 1862, bearb. v. Jutta Seitz, hrsg. v. Gerhard Hirschmann, [= Nürnberger Forschungen; Bd. 24], Nürnberg 1987, S. 66.
[47] Vgl. Horst Matzerath: Urbanisierung in Deutschland im 19. Jahrhundert. In: In: Bernhard Sicken: Stadt und Militär, (Anm. 21), S. 24. – Das Land und die Kleinstädte galten als Orte der Gemeinschaft, während die Großstädte als Orte der Zerstörung der Sitten, der Ausschweifung, der Vernichtung von Kultur, des gnadenlosen Rationalismus und des Judentums galten.
[48] Herbert Reinke: Das Amt der Polizei, (Anm. 16), S. 25f.
[49] Das ist übernommen aus Oliver Bender: Die Entwicklung der fränkischen Industriestadt Fürth im 19. Jahrhundert, (Anm. 26), Anhang 19.
[50] Paul Käppner: Chronik der Stadt Fürth (1887 – 1906), (Anm. 12), S. 208.
[51] Ebd., S. 274.
[52] Ebd., S. 333.
[53] Ebd., S. 377.
[54] Etatberatung des Magistrats der Stadt Fürth am 17. Dezember 1894. In: Fürther Central Anzeiger, Nr. 297, von Dienstag, den 18. Dezember 1894.
[55] Ebd. Früher wurden Miet-Pferde eingesetzt, die bei Bedarf erst vom Besitzer requiriert werden mussten und somit die Zeit bis zum Entreffen am Brandort verlängerten.
[56] Zu der Person Friedrich von Langhans: Peter Frank: Die Ära des Bürgermeisters Friedrich von Langhans 1873 – 1901. In: Fürther Heimatblätter 52 (2002), S. 21 – 50.
[57] Etatberatung des Magistrats der Stadt Fürth am 17. Dezember 1894. In: Fürther Central Anzeiger, Nr. 297, von Dienstag, den 18. Dezember 1894.
[58] Hans Mauersberg: Wirtschaft und Gesellschaft Fürths in neuerer und neuster Zeit, (Anm. 37), S. 125.
[59] Vgl. zur Urbanisierung und den damit verbundenen kommunalen Entwicklungen: Horst Matzerath: Die Urbanisierung in Deutschland im 19. Jahrhundert, (Anm. 47), S. 11 – 25.
[60] z. B. Fleischaufschlag, Getreide- und Mehlaufschlag, Malz- und Bieraufschlag.
[61] z. B. Vergnügungssteuer (Lustbarkeitsabgabe), Hundesteuer und Bürgergeld.
[62] Ernst Hirschmann: Das Steuerrecht der bayerischen Gemeinden seit 1800 dargestellt an der Stadt Fürth, (Anm. 32), S. 115.
[63] Die Inflationsrate wurde bei solchen vergleichen unberücksichtigt gelassen, da es für Fürth keine Untersuchung über den Verlauf der Teuerung gibt.
[64] Umrechnungszahl bei Paul Käppner: Chronik der Stadt Fürth (1887 – 1906), (Anm. 11), S. 150: 1 fl. = 1, 7647 M. Die Zahlen für 1890 und 1900 in Mark: 1.245.674 M. und 1.550.709 M.
[65] Die Daten die der Grafik zugrunde liegen stammen aus der Fürther Stadtrechnung und werden zitiert nach: Hans Mauersberg: Wirtschaft und Gesellschaft Fürths in neuerer und neuster Zeit, (Anm. 35), S. 122.
[66] Im folgenden Abschnitt 5.1.1 zum Begriff „Polizei“ folgt der Verfasser: Franz-Ludwig Knemeyer: Polizei, (Anm. 23), S. 875 – 897.
[67] Zitiert nach: Franz-Ludwig Knemeyer: Polizei, (Anm. 24), S. 891.
[68] Vgl. Herbert Reinke: Das Amt der Polizei, (Anm. 16), S. 19.
66 Franz-Ludwig Knemeyer: Polizei, (Anm. 24), S. 894.
[70] Vgl. zu Abschnitt 4.1.2 Herbert Reinke: Das Amt der Polizei, (Anm. 16), S. 19- 21.
[71] Dem Aspekt der Kriminalitätsverfolgung in Fürth kann im Laufe der Abhandlung nur in Ansätzen nachgegangen werden, da eine Auswertung der Polizeiberichte nicht vorliegt und ein solches Vorhaben den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.
[72] In § 105 des Edikts über die Verfassung und Verwaltung der Gemeinden von 1808 heißt es: In den grösseren Städten über 5000 Seelen werden, statt des Gemeinde-Vorstehers und Gemeinde-Rathes, besondere Polizei-Direktoren oder Komissäre [zur Polizeiverwaltung] angestellt.
[73] Zitiert nach: Otto Ernst Breibeck: Bayerns Polizei im Wandel der Zeit, (Anm. 25), S. 46.
[74] Gegenstände der Polizeiverwaltung waren (in Fürth war es nicht anders): Sicherheit, Armenpflege, Gesundheitswesen, Gewerbe, Bauwesen, Reinlichkeit, Lebensmittelüberwachung, Unfallvorbeugung, Religion und Sitte.
[75] Vgl. Otto Ernst Breibeck: Bayerns Polizei im Wandel der Zeit, (Anm. 25), S. 48b und S. 62.
[76] Bis 1866 besaß Nürnberg Festungscharakter. Vgl. Thomas Bruder: Nürnberg als bayerische Garnison von 1806 bis 1914, (Anm. 9), S. 522.
[77] Vgl. Otto Ernst Breibeck: Bayerns Polizei im Wandel der Zeit, (Anm. 25), S. 46.
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- Markus Wawrzynek (Author), 2002, Eine der ruhigsten und dem Gesetze folgsamsten Städte[.] des Königreichs? Sicherheitsinstitutionen in Fürth im 19. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21998
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