Das Osmanische Reich kämpfte im Ersten Weltkrieg an der Seite Deutschlands und musste am 30. Oktober 1918 kapitulieren. Die Siegermächte sahen für die Türken nur noch ein „staatliches Rumpfgebilde ohne eigene Souveränität“ vor. General Mustafa Kemal sollte nun im Auftrag des Sultans in Anatolien die Auflagen der Sieger erfüllen. Kemal widersetzte sich allerdings diesem Auftrag und stellte sich an die Spitze einer nationalen Bewegung, die sich gegen die weitgehenden Forderungen des Friedensvertrages von Sèvres (1920) stellte. Nach Auflösung des Parlaments in Istanbul durch die Briten wurde Kemal Präsident der neugegründeten „Großen Türkischen Nationalversammlung“ in Ankara. Durch anhaltenden militärischen Widerstand türkischer Truppen mussten die Siegermächte zudem mit dem Frieden von Lausanne im Juli 1923 einen Kompromiss eingehen, bei dem der Türkei Territorien und uneingeschränkte Souveränität zugesichert wurde. Am 29. Oktober 1923 wurde schließlich die Republik ausgerufen. Mustafa Kemal, der später von der Nationalversammlung mit dem Beinamen „Atatürk“, Vater der Türken, ausgezeichnet wurde, bestimmte in den Folgejahren die Politik des Landes. Für Kemal war „Modernisierung gleichbedeutend mit Europäisierung ohne Wenn und Aber“. Er stellte sogleich die Weichen für einen laizistischen Staat, indem er das Kalifat und den Islam als Staatsreligion abschaffte. Zahlreiche Reformen folgten: Es wurden eine europäische Gesetzgebung, das aktive und passive Wahlrecht für Frauen, der Gregorianische Kalender und das lateinische Alphabet eingeführt.
Atatürk prägte wie kein anderer die Entwicklung der Türkei hin zu Europa. Sein Name ist noch heute in der türkischen Öffentlichkeit allgegenwärtig. Selbst in der Türkischen Verfassung, die ohne ihn heute auch nicht in dieser modernen Form denkbar wäre, wird seine Leitbildfunktion hochgehalten: „ Die Republik Türkei“ , heißt es dort in Artikel 2, „ist ein demokratischer, säkularer, sozialer Rechtsstaat, der sich an friedlichem Zusammenleben, nationaler Solidarität und Gerechtigkeit orientiert, Menschenrechte achtet und sich dem Nationalismus Atatürks verpflichtet fühlt“
Inhalt
1. Geschichtliche Stationen der türkischen Republik
1.1. Die Anfänge der Republik – Europäisierung unter Mustafa Kemal.
1.2. Demokratie mit Unsicherheiten – Westorientierung.
2. Der derzeitige Stand der Annäherung – Kandidatenstatus ohne Beitrittsverhandlungen
3. Hindernisse eines Beitritts zur EU
3.1. Die wirtschaftliche Lage
3.2. Die Achtung der Menschenrechte
3.2.1. Die Diskriminierung der Frau
3.2.2. Das Kurdenproblem
3.3. Die ungelöste Zypernfrage
4. Vorteile einer Einbindung der Türkei in die EU
4.1. Die geostrategische Lage: Friedenssicherung – Energiesicherung
4.2. Leuchtkraft einer islamischen Demokratie
5. Die Beitrittsperspektive als Reformanreiz
6. Ist die Türkei ein Teil Europas?
7. Literatur / Quellen
1. Geschichtliche Stationen der türkischen Republik
1.1. Anfänge der Republik – Europäisierung unter Mustafa Kemal
Das Osmanische Reich kämpfte im Ersten Weltkrieg an der Seite Deutschlands und musste am 30. Oktober 1918 kapitulieren. Die Siegermächte sahen für die Türken nur noch ein „staatliches Rumpfgebilde ohne eigene Souveränität“[1] vor. General Mustafa Kemal sollte nun im Auftrag des Sultans in Anatolien die Auflagen der Sieger erfüllen. Kemal widersetzte sich allerdings diesem Auftrag und stellte sich an die Spitze einer nationalen Bewegung, die sich gegen die weitgehenden Forderungen des Friedensvertrages von Sèvres (1920) stellte. Nach Auflösung des Parlaments in Istanbul durch die Briten wurde Kemal Präsident der neugegründeten „Großen Türkischen Nationalversammlung“ in Ankara. Durch anhaltenden militärischen Widerstand türkischer Truppen mussten die Siegermächte zudem mit dem Frieden von Lausanne im Juli 1923 einen Kompromiss eingehen, bei dem der Türkei Territorien und uneingeschränkte Souveränität zugesichert wurde. Am 29. Oktober 1923 wurde schließlich die Republik ausgerufen. Mustafa Kemal, der später von der Nationalversammlung mit dem Beinamen „Atatürk“, Vater der Türken, ausgezeichnet wurde, bestimmte in den Folgejahren die Politik des Landes. Für Kemal war „Modernisierung gleichbedeutend mit Europäisierung ohne Wenn und Aber“[2]. Er stellte sogleich die Weichen für einen laizistischen Staat, indem er das Kalifat[3] und den Islam als Staatsreligion abschaffte. Zahlreiche Reformen folgten: Es wurden eine europäische Gesetzgebung, das aktive und passive Wahlrecht für Frauen, der Gregorianische Kalender und das lateinische Alphabet eingeführt.
Atatürk prägte wie kein anderer die Entwicklung der Türkei hin zu Europa. Sein Name ist noch heute in der türkischen Öffentlichkeit allgegenwärtig. Selbst in der Türkischen Verfassung, die ohne ihn heute auch nicht in dieser modernen Form denkbar wäre, wird seine Leitbildfunktion hochgehalten: „ Die Republik Türkei“ , heißt es dort in Artikel 2, „ist ein demokratischer, säkularer, sozialer Rechtsstaat, der sich an friedlichem Zusammenleben, nationaler Solidarität und Gerechtigkeit orientiert, Menschenrechte achtet und sich dem Nationalismus Atatürks verpflichtet fühlt“[4]
1.2. Demokratie mit Unsicherheiten – Westorientierung
Die Orientierung hin zu Europa wurde fortgesetzt, als die Türkei 1948 Gründungsmitglied der OEEC (heute OECD) wurde und im folgenden Jahr auch dem Europarat beitrat. Bei den darauffolgenden ersten demokratischen Wahlen 1950 konnte die „Demokratische Partei“ schließlich einen triumphalen Sieg erringen und die kemalistische Elite in die Bedeutungslosigkeit verbannen. Den Kemalisten, die während ihrer langen Herrschaft das Land konsequent umstrukturiert hatten, wurde „kulturelle Entfremdung [..,Vernachlässigung..] der Landbevölkerung [..und..] Unterdrückung des Islam“[5] vorgeworfen.
Der nun sich immer stärker zuspitzende „Kalte Krieg“ ließ die Türkei angesichts der territorialen Nähe zur Sowjetunion um ihre Souveränität fürchten. Mit dem NATO-Beitritt 1952 erhoffte sie sich Schutz und bezog damit klar Stellung Richtung Westen.
Auch wenn die Anfänge der Demokratie in Form von wirtschaftlichem Aufschwung vielversprechend waren, kam es 1960 zum Putsch des fortwährend starken Militärs. Der Versuch des Ministerpräsidenten Menderes die Opposition auszuschalten und zunehmende wirtschaftliche Probleme führten zu diesem Umsturz. Im folgenden Jahr gelang aber die Rückkehr zur Demokratie. Nun bildeten sich immer mehr sowohl links- als auch rechtsextremistische Parteien und Gruppierungen heraus. Die Situation verschärfte sich zum Ende der sechziger Jahre, so dass wiederum das Militär eingriff und die Politik von 1971 bis 1973 lenkte. Auch nach diesem undemokratische Zwischenspiel blieben die genannten Probleme existent, da wirksame Reformen ausblieben und extremistische Kräfte nicht eingedämmt werden konnten. Durch die neue Konstellation nach der Wahl mussten sich nun Sozialdemokraten und fundamentalistische Muslime arrangieren, was ihnen nur unzureichend gelang und stattdessen allzu oft Blockadepolitik auf der Tagesordnung stand. Zum dritten Mal in der Geschichte der türkische Demokratie übernahmen 1980 Generäle die Macht, nach dem durch zahlreiche terroristische Anschläge teilweise bürgerkriegsähnliche Zustände vorherrschten. Mit radikaler Entschlossenheit stellten die Militärs nun die Weichen um zu Ordnung und Stabilität zurückzukehren, um 1983 wieder Wahlen zuzulassen.
[...]
[1] Steinbach, Udo: Grundlagen und Anfänge der Republik. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.):
Informationen zur politischen Bildung. Türkei, Heft Nr. 277, Bonn, 2002.
[2] Steinbach, Udo: Türkei. In: Weidenfeld, Werner (Hg.): Europahandbuch, Bonn, 2002.
[3] Der Kalif war nach muslimischem Glauben der Nachfolger Mohammeds und besaß im Osmanischen Reich
neben der geistlichen Gewalt auch die weltliche Macht, das Sultanat.
[4] Vgl. Internetseite der Türkischen Regierung: www.tbmm.gov.tr./anayasa/constitution – Übersetzung vom
Verfasser der Hausarbeit. Auf Differenzen von Verfassung und Wirklichkeit, im Hinblick auf den
Menschenrechtsschutz wird unter 3.2. näher eingegangen.
[5] Steinbach, Udo: Stationen der Innenpolitik seit 1945. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.):
Informationen zur politischen Bildung. Türkei, Heft Nr. 277, Bonn, 2002.
- Quote paper
- Timo Blaser (Author), 2003, Die Türkei auf ihrem langen Weg in die Europäische Union, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21973
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.