Die Dialektik der Aufklärung, 1944 im amerikanischen Exil beendet und 1947 im ehemaligen
Exilanten-Verlag Querido in Amsterdam veröffentlicht, verstanden ihre Autoren Max
Horkheimer und Theodor W. Adorno [im Folgenden: H/A] als ‚Flaschenpost‘, die zum
Zeitpunkt ihrer Entstehung keinen Adressaten hatte, an den sie sich hätte wenden können. In
der Tat hat dieses Buch seine Leser erst knapp zwanzig Jahre nach seinem Ersterscheinen
gefunden, dann aber in einem völlig anderen Kontext, nämlich der BRD der ‚68er‘, deren
spezifische Wahrnehmung des Zustandes der Gesellschaft offen war für die Thesen des
Buches – zu einem Zeitpunkt, als sich dessen Autoren schon selbst von ihrem Exilwerk
distanziert hatten. 1
Der heutige Leser verspürt die historische Distanz, die 55 Jahre nach seiner Entstehung von
diesem Werk trennt. Die zentrale These, daß Aufklärung in letzter, unaufgehaltener
Konsequenz zur totalitären, den Menschen seiner selbst entfremdenden, ja sogar
faschistischen Gesellschaft führe, ist vom Lauf der Geschichte nicht bestätigt worden; die
pessimistische Sichtweise des Werkes, der fast schon zynische Ton, in dem ein düsteres Bild
nicht nur des faschistischen Deutschlands, sondern überhaupt des Spätkapitalismus gezeichnet
wird, wirken heute befremdlich.
1 Zu den spezifischen Rezeptionsbedingungen vgl.: Albrecht, Clemens, u.a.: Die intellektuelle Gründung der
Bundesrepublik: eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule. Frankfurt/ M. 1999, zur
Publikationsgeschichte bes. Kap. 10.
Inhalt:
Flaschenpost
Rekonstruktion der Struktur des Arguments – die Dialektik der Aufklärung
Auswege: der „positive Begriff von Aufklärung“
Kritische Betrachtung
Die Dialektik der Aufklärung im Kontext ihrer Entstehung
Der Begriff der Aufklärung und seine Funktion in der Dialektik der Aufklärung
Flaschenpost
Die Dialektik der Aufklärung, 1944 im amerikanischen Exil beendet und 1947 im ehemaligen Exilanten-Verlag Querido in Amsterdam veröffentlicht, verstanden ihre Autoren Max Horkheimer und Theodor W. Adorno [im Folgenden: H/A] als ‚Flaschenpost‘, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung keinen Adressaten hatte, an den sie sich hätte wenden können. In der Tat hat dieses Buch seine Leser erst knapp zwanzig Jahre nach seinem Ersterscheinen gefunden, dann aber in einem völlig anderen Kontext, nämlich der BRD der ‚68er‘, deren spezifische Wahrnehmung des Zustandes der Gesellschaft offen war für die Thesen des Buches – zu einem Zeitpunkt, als sich dessen Autoren schon selbst von ihrem Exilwerk distanziert hatten.[1]
Der heutige Leser verspürt die historische Distanz, die 55 Jahre nach seiner Entstehung von diesem Werk trennt. Die zentrale These, daß Aufklärung in letzter, unaufgehaltener Konsequenz zur totalitären, den Menschen seiner selbst entfremdenden, ja sogar faschistischen Gesellschaft führe, ist vom Lauf der Geschichte nicht bestätigt worden; die pessimistische Sichtweise des Werkes, der fast schon zynische Ton, in dem ein düsteres Bild nicht nur des faschistischen Deutschlands, sondern überhaupt des Spätkapitalismus gezeichnet wird, wirken heute befremdlich.
Dies sollte jedoch kein Anlaß sein, die ‚Flaschenpost‘, um im Bild zu bleiben, ungelesen wieder ins Meer zu werfen. Neben der kritischen Analyse zentraler Thesen des Buches kann ein Blick auf den historisch-biographischen Kontext der Entstehung des Werkes Aufschlüsse vermitteln über Reaktionsweisen zweier exilierter jüdischer Sozialphilosophen auf das Phänomen des Faschismus, die auch die befremdlichen und heute nicht mehr akzeptablen Elemente des Werkes verstehen helfen und Hinweise darauf geben, welche Bedeutung die Auseinandersetzung mit der Aufklärung für H/A hatte.
Rekonstruktion der Struktur des Arguments – die Dialektik der Aufklärung
Am Anfang (der Argumentation, aber nicht des Buches) steht die Feststellung, daß nach der „Aufklärung des Geistes“ die eigentlich zu erwartende „reale Emanzipation der Menschen“ ausblieb, d.h. daß marxistisch gesprochen (und der Ansatz ist in diesem Punkt bei H/A marxistisch) die Entwicklung von aufgeklärter geistiger Haltung des ‚Überbaus‘ und realen gesellschaftlichen Verhältnissen auseinanderklafft. Die Postulate der Aufklärung (Emanzipation des Menschen aus der Unmündigkeit; Anleitung zum freien Gebrauch der Vernunft) sind nicht in gesellschaftliche Realität umgesetzt worden; weiter aufrecht erhalten, erstarren sie zur Ideologie und werden letztlich von Herrschaft zur Kontrolle der Individuen mißbraucht.[2]
Um zu erklären, wie dieser Prozeß der Instrumentalisierung von Aufklärung möglich war, d.h. um die Kernfrage der Dialektik der Aufklärung zu beantworten, nämlich „Wie konnte etwas grundsätzlich Positives, das auf Emanzipation und Befreiung des Menschen abzielte, in sein eigenes Gegenteil umschlagen?“, analysieren H/A das Wesen der Aufklärung selbst. Welche Bestandteile der Aufklärung machen sie so beschaffen, daß sie zur Ideologie wird und von Herrschaft mißbraucht werden kann?
An diesem Punkt reichte der marxistische Ansatz zur Erklärung der beobachteten Prozesse nicht mehr aus; schon in den zwanziger Jahren standen marxistisch orientierte Theoretiker, so auch der Kreis um das Frankfurter Institut für Sozialforschung, vor dem Problem, daß Marx‘ Theorie angesichts der ausbleibenden Revolution, für die nach dessen Thesen die Zeit mehr als reif war, ergänzt werden mußte, um die Entwicklung noch weiter erklären zu können. Die theoretische Fehlstelle, die man bei Marx ausmachte, war die Psyche des Individuums in der Gesellschaft. Die hinzugezogene Freudsche Psychoanalyse sollte erklären, welche Auswirkungen des beobachteten Prozesses auf die individuelle Psyche die von Marx vorhergesehene Revolution verhinderten.
[...]
[1] Zu den spezifischen Rezeptionsbedingungen vgl.: Albrecht, Clemens, u.a.: Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik: eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule. Frankfurt/ M. 1999, zur Publikationsgeschichte bes. Kap. 10.
[2] Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/ M.: Fischer Taschenbuch 1988, Kap. Elemente des Antisemitismus, VI, S. 207.
- Citation du texte
- Jutta Faehndrich (Auteur), 2001, Die Dialektik der "Dialektik der Aufklärung" von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21919
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