In dieser Arbeit möchte ich sowohl den Weg eines einzelnen Menschen, wie auch dessen Einbettung in das Schicksal von weiteren sechs Millionen verfolgen. Es ist die Spur eines Kindes im Dritten Reich, das wie unzählige andere durch die Verfolgung der Juden zu leiden und zu kämpfen hatte – und diesen Kampf letzten Endes mit seinem Leben bezahlen musste. Übrig blieb ein schriftliches Dokument, das als historische Hinterlassenschaft für die heutige Erinnerungsliteratur von enormer Bedeutung ist: Das Tagebuch der Anne Frank.
Ich werde im Folgenden damit beginnen darzulegen, wie Autobiographien in der Literaturwissenschaft einzuordnen sind und was zu ihren Hauptmerkmalen zählt. Anhand der Autobiographietheorie von Elisabeth W. Bruss möchte ich die Gattung Autobiographie, sowie die Einhaltung des autobiographischen Aktes am Beispiel des Tagebuchs der Anne Frank theoretisch untersuchen. Im Zentrum meiner Arbeit steht die Analyse des Lebens und der Persönlichkeit von Anne Frank.
In diesem Zusammenhang habe ich mich dazu entschieden, zwei deutsche Übersetzungen der niederländischen Originalversion zum Gegenstand meiner Untersuchungen heranzuziehen: Das „Anne Frank Tagebuch“ in der Fassung von Otto Frank und Mirjam Pressler und „Die Tagebücher der Anne Frank“, herausgegeben vom Niederländischen Staatlichen Institut für Kriegsdokumentation. In diesem Buch wurden Teilen von Annelise Schütz: „Das Tagebuch der Anne Frank“ mit aufgenommen. Die dadurch entstandenen Unterschiede zum Original-Tagebuch waren für mich Grund zur Auswahl beider Übersetzungen. Ich halte es im Zusammenhang mit dem brisanten Thema dieser Arbeit für wichtig, bei der Auswahl der Lektüre unvoreingenommen zu sein, um bei meinen wissenschaftlichen Analysen Objektivität garantieren zu können.
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
2. AUTOBIOGRAPHIE ALS LITERARISCHE GATTUNG
2.1 Literatur als Selbstzeugnis
2.2 Der literarische Akt bei Elisabeth W. Bruss
3. ANNE FRANK – EINE JUGEND IM KRIEG
3.1 Biografie Teil 1: Die unbeschwerte Kindheit
3.2 Biografie Teil 2: Leben im Versteck
4. DIE PERSON ANNE FRANK
4.1 Aussehen und Ausstrahlung
4.2 Das soziale Umfeld
4.2.1 Vater, Mutter und Margot
4.2.2 Bewohner und Helfer im Hinterhaus
4.3 Weltanschauung
4.3.1 Die Sehnsucht nach Freundschaft und Liebe
4.3.2 Religion und Natur
4.3.3 Aufwachsen im Dritten Reich
4.4 Zeitvertreib und Lebensinhalt
4.4.1 Freizeit im Hinterhaus
4.4.2 Schreiben als Leidenschaft
5. DAS TAGEBUCH DER ANNE FRANK
5.1 Form, Gestaltung und Funktion
5.2 Authentisch oder gefälscht?
6. SCHLUSSWORT
7. BIBLIOGRAPHIE
1. EINLEITUNG
In dieser Arbeit möchte ich sowohl den Weg eines einzelnen Menschen, wie auch dessen Einbettung in das Schicksal von weiteren sechs Millionen verfolgen. Es ist die Spur eines Kindes im Dritten Reich, das wie unzählige andere durch die Verfolgung der Juden zu leiden und zu kämpfen hatte – und diesen Kampf letzten Endes mit seinem Leben bezahlen musste. Übrig blieb ein schriftliches Dokument, das als historische Hinterlassenschaft für die heutige Erinnerungsliteratur von enormer Bedeutung ist: Das Tagebuch der Anne Frank.
Ich werde im Folgenden damit beginnen darzulegen, wie Autobiographien in der Literaturwissenschaft einzuordnen sind und was zu ihren Hauptmerkmalen zählt. Anhand der Autobiographietheorie von Elisabeth W. Bruss[1] möchte ich die Gattung Autobiographie, sowie die Einhaltung des autobiographischen Aktes am Beispiel des Tagebuchs der Anne Frank theoretisch untersuchen. Im Zentrum meiner Arbeit steht die Analyse des Lebens und der Persönlichkeit von Anne Frank. In diesem Zusammenhang habe ich mich dazu entschieden, zwei deutsche Übersetzungen der niederländischen Originalversion zum Gegenstand meiner Untersuchungen heranzuziehen: Das „Anne Frank Tagebuch“[2] in der Fassung von Otto Frank und Mirjam Pressler und „Die Tagebücher der Anne Frank“[3], herausgegeben vom Niederländischen Staatlichen Institut für Kriegsdokumentation. In diesem Buch wurden Teilen von Annelise Schütz: „Das Tagebuch der Anne Frank“[4] mit aufgenommen. Die dadurch entstandenen Unterschiede zum Original-Tagebuch waren für mich Grund zur Auswahl beider Übersetzungen. Ich halte es im Zusammenhang mit dem brisanten Thema dieser Arbeit für wichtig, bei der Auswahl der Lektüre unvoreingenommen zu sein, um bei meinen wissenschaftlichen Analysen Objektivität garantieren zu können.
2. AUTOBIOGRAPHIE ALS LITERARISCHE GATTUNG
2.1 Literatur als Selbstzeugnis
Meistens sind es Prominente, die ihrem Leben rückwirkend durch literarische Selbstzeugnisse einen tiefern Sinn verleihen. Je unbekannter der Autor einer Autobiographie ist, desto bedeutsamer muss die erzählte Lebensgeschichte für die gesellschaftliche Masse sein.
Für die Geschichte der Literatur – im Besonderen für die fiktionale Literatur und deren Verhältnis zur Realität – ist kaum etwas von größerem Interesse als diese schriftlichen Selbstzeugnisse, die sich z.B. in Autobiographien, Memoiren oder Tagebucheinträgen zeigen. Um die Vielzahl von Texttypen deutlicher voneinander unterscheiden zu können, ordnet sie die Literaturwissenschaft in Gattungen ein. Diese literarischen Gattungen dienen als Orientierungsleistung, führen jedoch das Problem mit sich, dass sie einzelne textliche Eigenarten verdecken oder nur ungenügend behandeln. Die Memoiren unterscheiden sich insofern von der Autobiographie, als dass sie keine stringente Erzählform verfolgen und Erzähler und Hauptfigur nicht identisch sind. Tagebucheinträge stellen wiederum eine gesonderte Form der autobiografischen Erzählweise dar und werden im Verlauf dieser Arbeit noch genauer untersucht. Ich möchte an dieser Stelle damit beginnen, die Hauptmerkmale einer Autobiographie zu nennen, da ich dies als Grundlage für die Analyse der Tagebücher der Anne Frank für unerlässlich halte. Zum Autor-Verständnis in der Autobiographie ist folgendes zu sagen: Anders als im Roman, sind Autobiographien durch Berichte über die real-historische Welt rückgebunden an den Autor. Der Autor einer Autobiografie belegt dabei eine textliche Doppelung.[5] In der Autobiographie wird durch die Erzählführung eine eigene narrative Welt des Erzählens erschaffen. Diese Erzählweise besitzt eine starke Anlehnung an die empirische Welt, verfügt aber dennoch über Bruchstellen zwischen der Wirklichkeit und der Erzählung im Text.
Von besonders wichtiger Bedeutung bei der Untersuchung autobiographischer Texte ist der Anspruch auf Authentizität und Objektivität. Schildert der Autor in seiner Erzählung ausschließlich erfundene Welt, handelt es sich um keine Autobiographie mehr. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass Autobiographien einerseits vom kulturellen Gedächtnis, andererseits jedoch vom persönlichen Erinnerungsvermögen des Autors geprägt werden und bei der Widergabe des Erlebten mit Erinnerungslücken gerechnet werden muss.[6] Das mag an der Tatsache liegen, dass der häufigste Ausgangspunkt zur Entstehung eines autobiographischen Textes eine Extremsituation umfasst, die den Autor in seinem Wesen und der Bildung seines Selbst fordert, wenn nicht gar überfordert, wie z.B. Krankheit, Lebenskrise, Pubertät oder die Auseinandersetzung mit Tod und Alter. Damit erklärt sich auch eines der letzten Merkmale der Autobiographie, das ich an dieser Stelle nennen möchte: Die starke Zeitraffer-Funktion, bei der einzelne Augenblicke eines Lebens herausgehoben und mit der Frage der Herkunft und den Wurzeln von Text und Autor verbunden werden.
2.2 Der literarische Akt bei Elisabeth W. Bruss
Der Begriff der Gattung lässt sich nach der Theorie von Elisabeth W. Bruss nur schwer definieren. Eine Definition ist zwar möglich, muss aber auf Seiten von Autor und Leser mit bestimmten Zwängen unterlegt sein. Diese Zwänge umfassen laut Bruss Form, Textstruktur und Funktion der Autobiographie. Dabei stellt sie die klare Abgrenzung von Form bzw. immanenter Textstruktur und der Textfunktion, die dieser Struktur zugewiesen ist, an den Ausgangspunkt der Definition. Die Beziehung zwischen Form und Funktion ist dabei nicht isomorph und einer Struktur werden für gewöhnlich auch mehrere Funktionen zugewiesen, wobei die meisten Funktionen wiederum von mehr als nur einer Form erfüllt werden können.[7] Auch müssen der Charakter eines Textes, sprich der jeweilige Stil oder die syntaktische Kategorie, sowie die Funktion eines Textes getrennt voneinander behandelt werden, da sich Stil, Funktion und Form zweier Texte unterscheiden und dennoch derselben Gattung angehören können.[8] Als Beispiel möchte ich hierbei die bereits erwähnten deutschen Übersetzungen des Tagebuchs der Anne Frank anführen. Beide Fassungen unterscheiden sich in ihrer Struktur, d.h. beispielsweise in der Wortwahl der Übersetzerin. So schreibt Anne in der Originalfassung ihres Tagebuchs: „...zuletzt sah er aus wie ein Riese und war so ein Faschist, wie es keinen schlimmeren gibt,“ ein Satz, den Annelise Schütz in „zu einem unüberwindlichen Riesen wachsen sehen“[9] umformulierte. Dennoch beanspruchen diese Texte für sich dieselbe Gattungsfunktion und behandeln trotz ihrer stilistischen und strukturellen Unterschiede dieselbe Thematik. Da es bei der Einordnung von Texten in eine bestimmte Gattung keine einheitliche Vorgehensweise gibt, stellt Elisabeth W. Bruss Regeln zur Textbetrachtung auf. Diese Regeln besagen, wie man sich einem Text und dessen Gattungscharakter oder Textaufbau analytisch nähern soll. Dabei ist es nicht möglich, die Gattung nach stilistischen Kriterien zu beschreiben. Bei der Bestimmung der Gattung wird bei Bruss der Schwerpunkt auf den Leser gelegt; genauer gesagt ist ihr dabei die Wirkung des Textes auf den Leser wichtig, die durch seinen „Aktionstypus“, den ihn „umgebenden Kontext“ und dem „Wesen seiner Elemente“ erzeugt wird.[10] Da in diesem theoretischen Text die veränderte Blickrichtung der Literaturwissenschaft bezüglich der Autobiographie-Gattung im Interesse steht, stellt Bruss eine analoge Verbindung zwischen der literarischen Gattung und dem illokutionären Akt der Sprachphilosophie her. Zur Lösung des Problems der Gattungsbestimmung greift sie auf die Sprachlichkeit des Daseins zurück, im Speziellen auf die Sprachphilosophen Austin und Strawson und die Sprechakttheorie von Searle und definiert dadurch jeden literarischen Diskurs als ein System aus illokutionären Typen. Dadurch wird die Literatur selbst zum illokutionären Typus und unterliegt mit ihren literarischen illokutionären Akten ebensolchen speziellen Bedingungen, wie sprachliche illokutionäre Akte in erkennbaren Sprechsituationen.[11] Bei der Einordnung eines Textes in eine bestimmte Gattung ist es hilfreich für den Autor und die notwendige illokutionäre Wirkung des Textes, wenn der Leser mit der Gattung bereits vertraut ist. Im Tagebuch der Anne Frank erwähnt die Autorin selbst, um welche Art von Text es sich hierbei handelt.[12] Gattungen unterliegen laut Bruss einem Wandel, der sich in der Textcharakteristik, dem Grad der Gattungsfunktionen, dem literarischen Wert einer Gattung oder dem illokutionären Charakter der Gattungsfunktion auswirken kann.[13] Diese Veränderungen können sich in einem oder mehreren Punkten gleichzeitig auswirken oder Gattungen können sich im Lauf der Zeit durch systemimmanente Rückstöße wandeln. Logische Folgerung daraus ist, dass der formale Aspekt zur Erzeugung der illokutionären Wirkung eines Textes nicht mehr ausreicht. Ergänzend werden deshalb von Bruss drei allgemeingültige Regeln für den autobiographischen Akt aufgestellt. In der ersten wird die Doppelrolle des Autobiographen als Textgegenstand und Textursprung festgelegt.[14] Im Falle des Tagebuchs der Anne Frank ist dies besonders deutlich, da Anne fast ausschließlich aus der Ich-Perspektive schreibt, was sich in einem eingeschränkten und intimen Gefühls- und Handlungsrahmen auswirkt.[15] Die zweite Regel besagt, dass die Informationen im Text „wahr sein, wahr gewesen sein oder hätten wahr sein können“.[16] Dieser Punkt ist bei Anne Franks Tagebuch lange Zeit sehr umstritten gewesen. Es herrschte Uneinigkeit über die Authentizität des Tagebuchs. Ich werde die Frage nach Authentizität noch ausführlicher behandeln und möchte an dieser Stelle nur festhalten, dass die Echtheit des Tagebuchs als erwiesen gilt. Die dritte Regel nimmt die Wirkung des Textes auf den Leser mit auf, indem sie den Autor dazu verpflichtet, dass er von seinen Aussagen überzeugt ist oder zumindest den Schein der Überzeugung gegenüber dem Leser wahrt, damit die illokutionäre Wirkung erzielt werden kann. Auch auf diesen Punkt möchte ich im Folgenden noch näher eingehen. Abschließend möchte ich noch auf die wichtige Rolle des Lesers in der Autobiographietheorie von Elisabeth W. Bruss hinweisen. Bruss schildert den autobiographischen Akt vom Standpunkt des ursprünglichen Publikums aus. Dieses Vorgehen begründet sie damit, dass ein heutiger Leser ihrer Meinung nach nicht „die Haltungen und Rollen teilt, die man von dem ursprünglichen Publikum des Werkes erwartete...“[17] Sie ist der Überzeugung, dass der autobiographische Pakt[18] nur mit Lesern abgeschlossen werden kann, die die Regeln eines literarischen Aktes nachvollziehen können.[19] Im weiteren Verlauf dieser Arbeit möchte ich versuchen, eben diese Theorie am Beispiel des Tagebuchs der Anne Frank zu überprüfen.
[...]
[1] Bruss, Elisabeth W.: Die Autobiographie als literarischer Akt, in: Niggl, Günter (Hg): Die Autobiographie. Zu Form und Geschichte einer literarischen Gattung. Darmstadt, 1998, S. 258-279
[2] Frank, Anne: Anne Frank Tagebuch. Einzig autorisierte und ergänzte Fassung von Otto H. Frank und Mirjam Pressler. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 1991
[3] Niederländisches Staatliches Institut für Kriegsdokumentation (Hg): Die Tagebücher der Anne Frank. Aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 1988
[4] Schütz, Annelise: Das Tagebuch der Anne Frank. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 1988
[5] Bruss, Elisabeth W.: Die Autobiographie als literarischer Akt, a.a.O. , S. 270
[6] ebenda, S. 274
[7] Bruss, Elisabeth W.: Die Autobiographie als literarischer Akt, a.a.O. , S. 260
[8] ebenda
[9] Schütz, Annelise: Das Tagebuch der Anne Frank, a.a.O., S. 39
[10] Bruss, Elisabeth W.: Die Autobiographie als literarischer Akt, a.a.O. , S. 261f
[11] ebenda, S. 263
[12] Niederländisches Staatliches Institut für Kriegsdokumentation (Hg): Die Tagebücher der Anne Frank, a.a.O., S. 215
[13] Bruss, Elisabeth W.: Die Autobiographie als literarischer Akt, a.a.O. , S. 267
[14] ebenda, S. 273
[15] Frank, Anne: Anne Frank Tagebuch, a.a.O., S. 213
[16] Bruss, Elisabeth W.: Die Autobiographie als literarischer Akt, a.a.O. , S. 274
[17] ebenda, S. 259
[18] Lejeune, Philippe: Der autobiographische Pakt, in: Niggl, Günter (Hg): Die Autobiographie. Zu Form und Geschichte einer literarischen Gattung. Darmstadt, 1998, S. 214-257
[19] Bruss, Elisabeth W.: Die Autobiographie als literarischer Akt, a.a.O. , S. 259
- Arbeit zitieren
- Amely Braunger (Autor:in), 2003, Analyse der Tagebücher der Anne Frank, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21589
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