„Mein Gott, was soll aus Deutschland werden?“ - diese und ähnliche Formulierungen finden sich in großem Umfange in den späteren Aufzeichnungen Konrad Adenauers wieder. Die Sorge um das Gemeinwesen der BRD, die politische und ökonomische Stabilität, ist ein durchgängiger Topos in den Äußerungen des ersten Kanzlers der BRD. Immer hat er befürchtet, dass, sobald er von der großen Bühne der Politik verschwunden sein würde, sein Werk des souveränen und in der europäischen Gemeinschaft aufgegangen Westdeutschlands von unfähigen Nachfolgern gefährdet werden würde.
Via veritas ([ich bin] der Weg [und] die Wahrheit) - so sah er sich selbst und sein Wirken war ganz darauf ausgerichtet, seine Vorstellung von (West-) Deutschland zu realisieren. War er also einer der platonischen Philosophenkönige, die aus der Vollkommenheit der eigenen Erkenntnis das Beste zum Wohl des eigenen Volkes an-strebten und ob ihres überlegenen Geistes der Wahrheit am Nächsten standen? Oder war er doch eher ein Adept machiavellistischer Machtpolitik, der alles tat, um sich selbst und seine Position an der Spitze des Staates zu behaupten?
Möglicherweise gibt es zwischen diesen beiden Positionen eine dritte, eine vermittelnde, die er einnahm. Vielleicht die des ‚geriebenen Idealisten‘, der auf der einen Seite ein Idealbild mit ehrenwerten Motiven vertrat, auf der anderen Seite hingegen nicht zimperlich war in der Anwendung unlauterer Mittel, um seine Ziele zu erreichen.
Das scheint eine grundsätzliche Frage zu sein: Darf ein Politiker, der seine Ziele umzusetzen versucht, sich jedes Werkzeuges bedienen, um diese zu erreichen? Wie steht es mit dem Verhältnis von Macht und Moral, Wahrheit und Lüge im politischen Geschäft?
Wenn im Folgenden von Lüge die Rede ist, so ist damit „eine aktive Handlung zur vorsätzlichen Täuschung eines Zielpublikums“ (Mearsheimer 2011) gemeint. Diese beinhaltet das Erfinden von Fakten oder das Leugnen und hat immer die Beeinflussung der Adressaten zum Ziel, um die eigene Politik durchzusetzen.
Ob Adenauer der „Lügenkanzler“ (Kurt Schumacher) oder der „Realist par excellence“ (Hans-Peter Schwarz) war, wird anhand der Problematik der ‚Deutschen Frage‘, insbesondere dem von Adenauer postuliertem Junktim zwischen Wiedervereinigung und Westintegration in den Jahren 1949 bis 1955 untersucht. Die theoretische Fundierung bedient sich zweier ideengeschichtlicher Stränge: einerseits der ‚edlen Lüge‘ Platons, andererseits der ‚Machtpolitik‘ Machiavellis...
I
„ Mein Gott, was soll aus Deutschland werden? “ - diese und ähnliche Formulierungen finden sich in großem Umfange in den späteren Aufzeichnungen Konrad Adenauers wieder. Die Sorge um das Gemeinwesen der BRD, die politische und ökonomische Stabilität, ist ein durchgängiger Topos in den Äußerungen des ersten Kanzlers der BRD. Immer hat er befürchtet, dass, sobald er von der großen Bühne der Politik verschwunden sein würde, sein Werk des souveränen und in der europäischen Gemeinschaft aufgegangen Westdeutschlands von unfähigen Nachfolgern gefährdet werden würde.
Via veritas ([ich bin] der Weg [und] die Wahrheit) - so sah er sich selbst und sein Wirken war ganz darauf ausgerichtet, seine Vorstellung von (West-) Deutschland zu realisieren. War er also einer der platonischen Philosophenkönige, die aus der Vollkommenheit der eigenen Erkenntnis das Beste zum Wohl des eigenen Volkes anstrebten und ob ihres überlegenen Geistes der Wahrheit am Nächsten standen? Oder war er doch eher ein Adept machiavellistischer Machtpolitik, der alles tat, um sich selbst und seine Position an der Spitze des Staates zu behaupten?
Möglicherweise gibt es zwischen diesen beiden Positionen eine dritte, eine vermittelnde, die er einnahm. Vielleicht die des ‚geriebenen Idealisten‘, der auf der einen Seite ein Idealbild mit ehrenwerten Motiven vertrat, auf der anderen Seite hingegen nicht zimperlich war in der Anwendung unlauterer Mittel, um seine Ziele zu erreichen.
Das scheint eine grundsätzliche Frage zu sein: Darf ein Politiker, der seine Ziele umzusetzen versucht, sich jedes Werkzeuges bedienen, um diese zu erreichen? Wie steht es mit dem Verhältnis von Macht und Moral, Wahrheit und Lüge im politischen Geschäft?
Wenn im Folgenden von Lüge die Rede ist, so ist damit „ eine aktive Handlung zur vorsätzlichen Täuschung eines Zielpublikums “ (Mearsheimer 2011) gemeint. Diese beinhaltet das Erfinden von Fakten oder das Leugnen und hat immer die Beeinflussung der Adressaten zum Ziel, um die eigene Politik durchzusetzen.
Ob Adenauer der „ Lügenkanzler “ (Kurt Schumacher) oder der „ Realist par excellence “ (Hans-Peter Schwarz) war, wird anhand der Problematik der ‚Deutschen Frage‘, insbesondere dem von Adenauer postuliertem Junktim zwischen Wiedervereinigung und Westintegration in den Jahren 1949 bis 1955 untersucht. Die theoretische Fundierung bedient sich zweier ideengeschichtlicher Stränge: einerseits der ‚edlen Lüge‘ Platons, andererseits der ‚Machtpolitik‘ Machiavellis.
Aufgabe ist es hier nicht, moralische Kategorien auf Protagonisten des politischen Geschäftes anzuwenden, sondern die politische Logik des Lügens und Täuschens zu beleuchten.
II
Platon hat in der Politeia den Philosophenkönigen das Recht zugesprochen, zum Wohle der Allgemeinheit, die ‚edle Lüge‘ anzuwenden. Ausgangspunkt war die von Platon gesehene Notwendigkeit, die herrschende Klassenstruktur zu perpetuieren und die der Natur des Menschen innewohnende Tendenz, soziale Unterschiede aufzuheben, nicht zur Geltung kommen zu lassen (zu ‚edlen Lüge‘ bei Platon: Georg Martin). Die Lüge sollte gewaltsame Auseinandersetzungen verhindern und das tradierte Gemeinwesen stabilisieren. Zur bildhaften Verdeutlichung der ‚natürlich‘ gegebenen Sozialstruktur schuf er den ‚Metallmythos‘, der beinhaltet, dass jedem Menschen unterschiedliche Metalle beigefügt seien. Den allermeisten Personen nur Eisen und Erze, einer geringeren Anzahl Silber und den allerwenigsten Gold. Daraus ergäbe sich der Platz, der jedem Mitglied in der Gesellschaft zusteht.
Die Lüge besteht nun darin, dass die Herrscher, die die Erzählung verbreiten, wissen, dass sie falsch ist. Zur ‚edlen Lüge‘ wird die Unwahrheit, indem auf das höhere Gut, das Wohl der Allgemeinheit, verwiesen wird. Die ‚edle Lüge‘ entspringt also der Überzeugung der Herrschenden, erkannt zu haben, wie ein idealer Zustand der Gemeinschaft, eines Staates etc. auszusehen hat. Sie meinen zu wissen, wie dem Allgemeingut am besten gedient sei und müssen die Maßnahmen, die zur Erreichung dieses Zieles am dienlichsten sind, kaschieren, indem sie die Mehrheit der Bevölkerung belügen. Wichtig ist dabei, dass die Lüge vermeintlich den Belogenen dient und nicht nur den Lügenden. Damit wird die ‚edle Lüge‘ zu einer altruistisch begründbaren Notwendigkeit.
Die Philosophenkönige, die Experten in der Regierungstheorie und -praxis sind, haben eine ganz genaue Vorstellung davon, was der Mehrheit der Menschen nützlich ist und da sie sich der menschlichen Neigungen ebenso bewusst sind und die mangelhafte Wissensbasis der Gesellschaftsmitglieder berücksichtigen, haben sie quasi die Pflicht, die Unwahrheit zu sagen. Dabei zielen sie auf langfristige Veränderungen in der Wahrnehmungs- und Denkstruktur der Belogenen ab, um den anvisierten Status der Gemeinschaft mit möglichst wenig Reibungsverlust zu verwirklichen. Diese Philosophenkönige hatten nach Platon in der Tat die Wahrheit zur Verfügung und kannten allein den Weg dorthin und daraus leitet sich die Rechtfertigung der ‚edlen Lüge‘ her.
III
Ungefähr 18 Jahrhunderte nach Platon veröffentlichte der Florentiner Niccolò Machiavelli sein Werk ‚ Der Fürst ‘. Damit brach er radikal mit den vorher üblichen Fürstenspiegeln, die eine Ansammlung von Herrschertugenden und Benimmregeln für die Fürsten enthielten und auf theologisch-ethischer Basis das Handeln von Herrschern zu normieren versuchten. Anstelle des Normativen setzte er auf die reine Faktizität und Empirie. Ausgangspunkt für seine ‚Handlungsanleitung‘ ist seine pessimistische Anthropologie. So sind die Menschen für ihn „ undankbar, wankelmütig, falsch, feig in Gefahren und gewinnsüchtig.“ Weil die Menschen so sind, wird der Herrscher zur Repression gezwungen, will er das Gemeinwesen und den Staat stabil erhalten. Die „ Korruptibilität “ (Münkler) ist den Menschen eigen und so hilft es nichts, wenn der Fürst nur immer gutmeinend agiert, „ denn ein Mensch, der in allen Dingen nur das Gute tun will, muss unter so vielen, die das Schlechte tun, notwendig zugrunde gehen.“ Damit wird einer generellen Amoralität keineswegs das Wort geredet; das Verhalten des Fürsten ob mild oder grausam, wahrhaft oder trügerisch hängt einzig ab von der politischen Situation, in welcher er sich befindet. Ob sich ein Herrscher ‚gut‘ oder ‚böse‘ verhält, ist einzig abhängig von den vorgefundenen Verhältnissen, denn „[d] er Mittel aber, das Volk zu gewinnen, sind mancherlei; sie richten sich nach den Umständen und lassen sich deshalb nicht in eine bestimmte Regel fassen.“ So ist denn die Kenntnis der necessità, das, was gerade notwendig ist, von herausgehobener Bedeutung für den erfolgreichen Fürsten. Nur derjenige, der die Geschichte kennt und sich ihrer Logik gemäß zu bewegen weiß, wird Erfolg haben (Münkler). Und der politische Erfolg ist bei Machiavelli das einzige Kriterium, das er zulässt. Nur der Erhalt der Macht gibt Auskunft darüber, ob eine Politik richtig oder falsch war. Damit werden ethische und theologische Kriterien aus der politischen Theorie suspendiert. Effizienz anstelle von Tugend, Erfolg anstelle von Gottgefälligkeit - die bisher geltenden moralischen Kategorien werden durch funktionale ersetzt (Reinhardt). Gleichwohl der ‚Fürst‘ durchaus wohltätig sein darf, wenn es ihm in der passenden Situation hilft, folgt aus der ‚Natur des Menschen‘, dass zum Erhalt des Gemeinwesens, aus Staatsräson also, notgedrungen Grausamkeit und List, Betrug und Verrat anzuwenden sind. Denn es „ zeigt die Erfahrung unserer Tage, dass die Fürsten, die sich aus Treu und Glauben wenig gemacht und die Gemüter der Menschen mit List zu betören verstanden haben, Großes geleistet und schließlich diejenigen, welche redlich handelten, überragt haben.“ Dazu bedarf es einer Zwienatur. Einerseits der menschlichen, die sich in Recht und Gesetz ausdrückt, andererseits der tierischen. Die erste ist nicht ausreichend, um als Fürst zu bestehen und daher muss er zugleich ‚tierisch‘ sein und mit Gewalt (dem Löwen) und/oder List (dem Fuchs) handeln können. Dabei ist die ‚füchsische Natur‘ die effizientere, weil „ derjenige, der am besten den Fuchs zu spielen verstand, am weitesten gekommen ist. “
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- Quote paper
- Jörg Wiegner (Author), 2012, Konrad Adenauer. ‚Edler Lügner‘ oder ‚gerissener Fuchs‘?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/215689
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