Sexualität ist in der heutigen Gesellschaft allgegenwärtig. Ob in der Fußgängerzone oder in U-Bahnhöfen, überall werden wir mit eindeutiger oder auch zweideutiger Werbung konfrontiert. Die Industrie versucht den Konsumenten überall und mit allen Mittel zu verführen. So wird auf großen Werbeplakaten mit Unterwäschemodels in sexy Posen oder Leitsprüchen wie »Just do it!« die Aufmerksamkeit der Passanten erregt. In den meisten Werbespots geht es gar nicht um den Akt zwischen zwei Personen an sich, es geht darum, leicht bekleidete Körper – überwiegend von Frauen – zur Schau zu stellen, um eine gewisse Sexyness und Verfügbarkeit anzudeuten. Versucht man den Blick abzuwenden, werden wir spätestens zu Hause durch TV(-Werbung) und das Internet wieder an das Thema Sexualität erinnert. Sexualität hat jeden Aspekt des öffentlichen Lebens „infiziert“ (McLaren 1999: 1).
In der Literatur wird aktuell immer wieder von einer Gesellschaft gesprochen, die „oversexed“ und „underfucked“ ist. Die Medien zelebrieren Sex immer tabuloser während Lust auf Sex verschwindet. (Heyne 2012: 5) Eine Flut anzüglicher Bilder und Ansagen dazu wie Sex zu sein hat überschwemmt unsere Gesellschaft. Das Besondere der Sexualität scheint durch die extreme Kommerzialisierung ihren Zauber verloren zu haben (Fischer 1970: 13). Ist Sexualität somit zu etwas Normalen, Alltäglichen verkommen, das bei uns mitunter keine Reize mehr auszulösen vermag? Gerade die USA mit ihrer gewaltigen Pornoindustrie in „Silicone Valley“, Hochglanz-Erotik-Magazinen wie dem Playboy oder Hustler und Deutschland mit Beate Uhse sind Ausdruck einer Entwicklung, in der Sex verstärkt Einzug in die gesellschaftliche Realität erhalten hat. Doch wie und warum ist es dazu gekommen?
Folgende Frage scheint sich nahezu aufzudrängen:
Wie hat sich der Umgang mit Sexualität in Deutschland und den USA seit den 1960er Jahren entwickelt?
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definition: Sexualität des Menschen
3. Stand der Forschung
4. Theoretisches und methodologisches Vorgehen
5. Entwicklung des Umgangs mit der Sexualität seit den 1960er Jahren in den USA
5.1 Einleitung und historischer Abriss
5.2 Dimension Medien
5.3 Dimension Schule
5.4 Zusammenfassung
6. Entwicklung des Umgangs mit der Sexualität seit den 1960er Jahren in Deutschland
6.1 Einleitung und historischer Abriss
6.2 Dimension Medien
6.2 Dimension Schule
6.4 Zusammenfassung
7. Vergleich Deutschland - USA
8. Fazit
9. Quellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Früher galt der Ruch des Verbotenen bei allem was mit Sex zu tun hatte. Dann brach die sexuelle Revolution aus und alles war auf einmal erlaubt. Die Folgen sind bis in die Gegenwart zu spüren.“ (Fried 2012: 1)
1. Einleitung
„Wir erleben gegenwärtig in einem wohl noch nicht vorgekommenen Ausmaße den Auszug der Sexualität aus einer jahrhundertealten Landschaft ihrer Verschleierung, Sekretierung, Diffamierung und Repression, in welcher Orte eingestreut lagen, wo das zum Paria Gestempelte sein Ghetto und seine Saturnalien hatte. Sex ist en vogue. Die Schleier der Maja fallen. Das Abgesonderte wird allgemein.“ (Fischer 1970: 13)
Sexualität ist in der heutigen Gesellschaft allgegenwärtig. Ob in der Fußgängerzone oder in U-Bahnhöfen, überall werden wir mit eindeutiger oder auch zweideutiger Werbung konfrontiert. Die Industrie versucht den Konsumenten überall und mit allen Mittel zu verführen. So wird auf großen Werbeplakaten mit Unterwäschemodels in sexy Posen oder Leitsprüchen wie »Just do it!« die Aufmerksamkeit der Passanten erregt. In den meisten Werbespots geht es gar nicht um den Akt zwischen zwei Personen an sich, es geht darum, leicht bekleidete Körper – überwiegend von Frauen – zur Schau zu stellen, um eine gewisse Sexyness und Verfügbarkeit anzudeuten. Versucht man den Blick abzuwenden, werden wir spätestens zu Hause durch TV(-Werbung) und das Internet wieder an das Thema Sexualität erinnert. Sexualität hat jeden Aspekt des öffentlichen Lebens „infiziert“ (McLaren 1999: 1).
In der Literatur wird aktuell immer wieder von einer Gesellschaft gesprochen, die „oversexed“ und „underfucked“ ist. Die Medien zelebrieren Sex immer tabuloser während Lust auf Sex verschwindet. (Heyne 2012: 5) Eine Flut anzüglicher Bilder und Ansagen dazu wie Sex zu sein hat überschwemmt unsere Gesellschaft. Das Besondere der Sexualität scheint durch die extreme Kommerzialisierung ihren Zauber verloren zu haben (Fischer 1970: 13). Ist Sexualität somit zu etwas Normalen, Alltäglichen verkommen, das bei uns mitunter keine Reize mehr auszulösen vermag? Gerade die USA mit ihrer gewaltigen Pornoindustrie in „Silicone Valley“, Hochglanz-Erotik-Magazinen wie dem Playboy oder Hustler und Deutschland mit Beate Uhse sind Ausdruck einer Entwicklung, in der Sex verstärkt Einzug in die gesellschaftliche Realität erhalten hat. Doch wie und warum ist es dazu gekommen?
Folgende Frage scheint sich nahezu aufzudrängen:
Wie hat sich der Umgang mit Sexualität in Deutschland und den USA seit den 1960er Jahren entwickelt?
Um diese Frage beantworten zu können und etwaige Unterschiede in der Entwicklung beider Staaten zum Thema Sexualität anhand von Literatur herauszuarbeiten, scheint es zunächst sinnvoll, ein einheitliches Verständnis des Begriffes Sexualität des Menschen herzustellen (Kapitel 2). Anschließend soll Bezug auf den aktuellen Stand der Forschung genommen und allgemeine Aussagen sowie die Diskussion zum Thema Sexualität in der Literatur aufgegriffen werden (Kapitel 3), um darauf aufbauend das theoretische und methodologische Vorgehen der vorliegenden Arbeit darzustellen (Kapitel 4). Gemäß der zentralen Fragestellung der Arbeit wird die Entwicklung im Umgang mit Sexualität seit den 1960er Jahren in den USA (Kapitel 5) und Deutschland (Kapitel 6) betrachtet. Hierbei wird zunächst ein historischer Abriss gegeben, um das Verständnis der Entwicklung des jeweiligen Staates entsprechend darzustellen. Es folgt eine Auseinandersetzung mit den Dimensionen Schule und Medien anhand derer die Entwicklung kritisch abgebildet wird, sodass nach der separaten Betrachtung der beiden Staaten ein Vergleich der Entwicklung gezogen werden kann (Kapitel 7). Abschließend soll geklärt werden wie sich seit den 1960er Jahren der Umgang mit Sexualität in Deutschland und den USA entwickelt hat und welche Gründe es für möglicherweise unterschiedliche Entwicklungen gibt (Kapitel 8).
2. Definition: Sexualität des Menschen
„[Der] Grad und [die] Art der Geschlechtlichkeit eines Menschen reicht bis in den letzten Gipfel seines Geistes hinauf.“ (Nietzsche, zit. nach Runkel 2003: 6)
Der Begriff Sexualität als Fachausdruck entwickelte sich vor zweihundert Jahren. Er entstand „im Zusammenhang mit einer Neubestimmung der Kategorie Geschlecht, insbesondere der Bilder von Mann und Frau.“ (Lautmann 2002: 19) Mit der Entstehung des neuen Fachausdrucks entstand zugleich ein Problembereich, der zum Nachdenken anregte. Bis dato kam dieses neue, „ominöse“ Wort in den einschlägigen Schriften nicht vor. (Lautmann 2002: 19) Erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird der Begriff Sexualität wissenschaftlich verwendet. Sexualität (sinngemäß „Geschlechtlichkeit“) wird als eine allgemeine und grundlegende Äußerung des Lebens bezeichnet. Es heißt weiter, dass sie folgende drei Grundfunktionen beinhaltet: Fortpflanzung, Beziehung und Kommunikation, Lustgewinn und Befriedigung. Diese Grundfunktionen sind unabhängig voneinander zu betrachten und werden individuell differenziert gewünscht, gestaltet und gelebt. Der Mensch wird durch alle Aspekte der Sexualität geprägt, dabei sind sie steter Gegenstand sozialer Prägung und Kontrolle, kultureller Ausformung und Einschränkung. Ebenso haben die Aspekte der Sexualität Folgen für die verschiedenen Ebenen des sozialen Zusammenlebens. Dressler und Zink suggerieren, dass jeder Mensch ein Leben lang von der Sexualität begleitet wird, beginnend mit der Kindersexualität und endend mit der Alterssexualität. Äußere Einflüsse wie Sexualerziehung oder Traumatisierung gestalten die Sexualität eines Menschen. Für die meisten Menschen hat die Sexualität eine zentrale Bedeutung für die physische und psychische Befindlichkeit sowie in sozialer Hinsicht. (Dressler/Zink 2003: 485) Der Begriff Sexualität wird auch an Leistung und Konsum gekoppelt, bringt man ihn mit der „Sexwelle“ der 1960er Jahre in Verbindung (Koch 1989: 180). Des Weiteren wird Sexualität durch die Interaktion biologischer, psychologischer, sozialer, ökonomischer, politischer, kultureller, legaler, historischer, religiöser und spiritueller Faktoren beeinflusst (Lee 2011: 7).
3. Stand der Forschung
„Die Suche geht weiter. Denn obgleich drei »sexuelle Revolutionen« hinter uns liegen, wissen wir nicht, wie die sexuelle Freiheit aussieht. Wir können es immer noch nicht wissen, weil wir nach wie vor unfrei sind, genauer gesagt: weil wir inzwischen freie Unfreie sind.“ (Sigusch 2011: 9)
Gesellschaftliche sowie kulturelle Verhältnisse besitzen einen bedeutenden Einfluss auf das Sexuelle (Eder 2010: 153).
„Was in einer bestimmten Zeit als sexuell gilt, welche Images besonders erregend wirken und wie befriedigendes Handeln und Kommunizieren erfolgen können – dies und vieles mehr wird durch die bedeutungs- und sinngebenden Rahmungen des Sozialen und die symbolische Ordnung einer Kultur generiert, geprägt und beeinflusst.“ (Eder 2010: 153 f.)
Eder macht den Einfluss gesellschaftlicher sowie kultureller Verhältnisse an den rasanten Entwicklungen der letzten Jahrzehnte fest (Eder 2010: 153). Sexualnormen wie es sie früher gegeben hat gelten heute nicht mehr. Heute stehen an dieser Stelle andere Normen, welche allerdings nur zum Teil klar sind. (Becker 2010: 178) Dass es einen kulturellen Wandel der sexuellen Verhältnisse gegeben hat, steht außer Frage. Vielmehr stellt sich die Frage, wie sich dieser Wandel bewerten lässt. Becker geht davon aus, dass es für die einen eine Befreiung der Sexualität ist und für die anderen eine Befreiung von Sexualität (Becker 2010: 178). In der heutigen Zeit ist Sexualität eher als eine allgemeine Selbstverständlichkeit anzusehen, vergleichbar mit Egoismus (Sigusch 1998: 4). Zu Zeiten der „Sexuellen Revolution“[1] (1968) wurde die Sexualität laut Sigusch als eine „Metapher der Lust und des Glücks“ (Sigusch 1998: 4) angesehen. Sex sollte generell „so früh, so oft und so intensiv wie nur möglich praktiziert werden“ (Sigusch 2010: 137). „Monogamie und Reproduktion, Virginität und Treue, Abstinenz und Askese waren Auswurf oder Inbegriff der zu bekämpfenden Repression.“ (Sigusch 1998: 4) Sigusch beschreibt die alte Sexualität als Rausch, Ekstase und Transgression, welche vor allem aus Orgasmus, Heterosexualität und sexuellem Trieb bestand. Heute verbindet er mit der neuen Sexualität Selbstliebe, Geschlechtsunterschiede, Prothetisierung und Thrills. Ebenso lassen sich Gewalt, Missbrauch, Ungleichheit der Geschlechter, Pornografie und tödliche Infektionen in Verbindung mit der Neosexualität setzen. (Sigusch 1998: 5) Unterstrichen wird diese These auch von Schmidt: Tauchen in einem Umfeld der heutigen Zeit die Wörter Sexualität oder sexuell auf, werden diese heute viel häufiger mit negativen Dingen wie Gewalt oder Gefahr in Verbindung gebracht (Schmidt 1998a: 9). Die zu Zeiten der „Sexuellen Revolution“ Ende der 1960er Jahre positive Mystifizierung der Sexualität hat sich in eine negative gewandelt (Sigusch 1998: 4 ff.). Auch wenn die Zeit des Redens über die „Sexuelle Revolution“ vorbei ist, bleibt die Unruhe dennoch bestehen (Lautmann 2002: 492). „Sexuelles wird bleiben, was es seit langem gewesen ist: ein Problemgenerator.“ (Lautmann 2002: 492) Durch die neosexuelle Revolution eröffneten sich neue Freiräume und ehedem neue Zwänge. Dadurch entstanden Sexualfragmente, die bislang im Verborgenen lagen oder gar nicht existierten. Sigusch nennt hier ein breites „Angebot“ neuer Sexualidentitäten. Als Beispiel führt er Bisexuelle, Homosexuelle, Transgender und Asexuelle an, die sich durch die neue Freiheit der Sexualität entwickelt haben bzw. aus dem „Verborgenen“ in die Öffentlichkeit traten. Sexuelle Praktiken und Orientierungen, welche früher noch als pervers galten, werden heute mehr oder minder akzeptiert. (Sigusch 2010: 138) Ebenso spricht Sigusch von sogenannten Polyamorien[2], welche heute diskutiert werden (Sigusch 2011: 9). „Der Gegenstand der »Sexualität« des 19. und 20. Jahrhunderts löst sich so gesehen immer mehr in Fragmente auf, wird vervielfältigt und damit beliebig.“ (Eder 2010: 170)
Die Sexualmoral der Menschen hat sich durch die „Sexuelle Revolution“ verändert. Es wird angenommen, dass es Scham nicht mehr gibt, dies wird vor allem von den Menschen angenommen, die eine Abschaffung sexueller Tabus im Verhalten des Einzelnen sowie der gesamten Öffentlichkeit begrüßen (Gebhardt 1975: 30). Scham wird in diesem Kontext als eine „typische Prägung einer sexfeindlichen Gesamthaltung“ (Gebhardt 1975: 30) gesehen. Dem Zuwenig vor der „Sexuellen Revolution“ folgte ein Zuviel (Gebhardt 1975: 30 f.).
Lange Zeit galt für die Gesellschaft, Sexualität sei einzig und allein dazu da, Nachwuchs zu zeugen. Heute lässt sich feststellen,
„dass Sexualität und Fortpflanzung sich sukzessive gegeneinander verselbstständigt haben, das Zeugungsprinzip an Relevanz eingebüßt hat, sodass fortpflanzungsbezogene Sexualität nur noch einen relativ geringen Teil der empirisch stattfindenden Sexualität abdeckt – Sexualität ist heute primär lustbezogene Sexualität“ (Akalin/Benkel 2010: 20).
Becker macht zunächst die Antibabypille und dann die Reproduktionstechnologie für diese Entwicklung verantwortlich (Becker 2010: 180). Der Umgang mit Nacktheit in der Öffentlichkeit, z.B. in Zeitschriften oder auf Werbeplakaten, gilt heute als ästhetisch und wird sehr viel liberaler als noch Anfang der 1960er Jahre gehandhabt. Der „sexuelle Beigeschmack“ wird laut Akalin und Bekel außen vor gelassen (Akalin/Bekel 2010: 27). Trotz der Befreiung der Sexualität handelt es sich auch heute noch um ein tabuisiertes aber gleichzeitig viel diskutiertes Thema. Das Thema Sexualität ist zwar enttabuisiert und jeder kann wann immer er möchte in der Öffentlichkeit darüber sprechen, allerdings ist das Sprechen über dieses Thema nach wie vor von gesellschaftlichen Regeln geprägt. Persönliche Bekenntnisdarstellungen werden von diesen gesellschaftlichen Regeln gelenkt. Schließlich gibt es immer noch Facetten des sexuellen Lebens, welche in der heutigen Gesellschaft nicht akzeptiert werden. (Eder 2010: 23) „Das Anschauen pornographischer Filme ist nicht grundsätzlich negativ konnotiert, aber das Sprechen darüber führt zu einer negativen Konnotierung, denn es führt zu einem Konflikt mit dem Oberflächendiskurs.“ (Neuhaus 2002: 46) Abweichungen zum Oberflächendiskurs finden sich auch in Büchern wie Feuchtgebiet e von Charlotte Roche oder in dem publizierten Tagebuch Das sexuelle Leben der Catherine M. von Catherine Millet. Handlungen, die in diesen Büchern beschrieben werden, sind in der heutigen Gesellschaft nicht verboten, weichen jedoch von der Norm des Oberflächendiskurses ab. In diesen Büchern findet man „ein Mehr an sexuellen Abweichungen von der Norm, die der Oberflächendiskurs vorgibt“ (Neuhaus 2002: 49). Laut Neuhaus findet eine fortdauernde Reglementierungen von Sexualität sowohl auf staatlicher Ebene, wie durch die Eheschließung Homosexueller als auch auf kirchlicher Ebene, wenn es um Verhütung geht, statt (Neuhaus 2002: 49). Im 21. Jahrhundert wird Homosexualität zwar offen gelebt, allerdings wird sie „durch die Verweigerung der Gleichstellung zur heterosexuellen Beziehung dieser untergeordnet“ (Neuhaus 2002: 191). Sigusch bezeichnet die heutige Gesellschaft als „freie Unfreie“ (Sigusch 2011:9). Dies wird auch durch Herzog bestätigt, die den Gedanken Theodor Adornos in seinem Buch Sexualität und Verbrechen unterstreicht, „dass »die Befreiung des Sexus in der gegenwärtigen Gesellschaft bloßer Schein« sei. »Sexuelle Freiheit ist in einer unfreien Gesellschaft so wenig wie irgendeine andere zu denken.«“ (Adorno, zit. nach Herzog 2005: 191) „Echte sexuelle Freiheit ließ sich nur zusammen mit sozialer Gerechtigkeit erreichen“ (Herzog 2005: 191) heißt es weiter.
Trotz einiger fortdauernder Reglementierungen entwickelte sich das Sexuelle in den vergangenen Jahrzehnten von einem verschwiegenen und repressiven zu einem offenen Lebensfeld, sowohl im öffentlichen Diskurs als auch im Privaten. Durch zunehmendes Sexualwissen und Sexualaufklärung traten das sexuelle Erleben sowie der Umgang mit Sexualität immer mehr in den Kreis des aktuellen Geschehens. Heute wird in der Literatur diskutiert, ob die sexuelle Überflutung und die rechtliche Liberalisierung dazu geführt haben, dass Sexualität zu einer alltäglichen Angelegenheit geworden ist und den Anreiz des Verbotenen verloren hat. (Eder 2010: 172)
„Inzwischen sind die sexuellen Zeichen ubiquitär geworden. Man kann ihnen nicht entkommen. […] Heute […] ist Sex das Zeichen aller Zeichen, eine omnipräsente Energie auf der Suche nach ihrem Ziel. […] Aber genau diese Sucht, den sexuellen Code überall zu lesen und zu erkennen, nimmt dem Begehren das, worauf es in den Promi-Magazinen wesentlich angewiesen ist: das zeichenlose Geheimnis, die Aura des Verbots. Längst hat das Begehren den verschwiegenen Körper verlassen und ist öffentliches Wort geworden.“ (Neuhaus 2002: 51)
Bestätigt wird diese Annahme von Becker. Sie spricht von einer „gegenwärtigen Entmystifizierung der Sexualität in alle Richtungen“ (Becker 2010: 181). In ihren Augen ist Sexualität im Allgemeinen unwichtiger geworden. Überhöhte Erwartungen an Sexualität sind deutlich zurückgegangen, welches zu einer „Entzauberung“ und Banalisierung der Sexualität geführt hat. (Becker 2010: 181) Auch wird von einer inneren Desexualisierung und einer äußeren Sexualisierung der heutigen Gesellschaft gesprochen (Schmidt 1998a: 24 f.). Durch eine mit Sexualreizen „vollgestopfte“ Außen- und Medienwelt (äußere Sexualisierung) kommt es laut Schmidt zu einer inneren Desexualisierung der Gesellschaft. Darunter ist der aus einer Studie hervorgehenden Rückgang der sexuellen Aktivitäten in der Gesellschaft zu verstehen. (Schmidt 1998a: 23 f.) „»Unsere« Sexualität ist also eine Kulturform, die auch wieder verschwinden kann.“ (Sigusch 2009: 411)
Auch heute ist und bleibt die Sexualität eine Technik der Macht. Es werden Normen vorgegeben „die Entscheidungen in das Individuum [verlagert], das entsprechend der Normen sozialisiert wurde und dem es auf diese Weise schwer gemacht wird, etwas grundsätzlich anderes zu denken, als das, was es kennt“ ( Neuhaus 2002: 53).
„Unser Alltag ist von sexuellen Reizen ebenso übersättigt wie entleert, als könne die übertriebene kulturelle Inszenierung des Sexuellen und dessen ausufernde Kommerzialisierung die Lust effektiver austreiben als alle Verbote, die einst das Sexuelle groß gemacht haben und die heute bei uns institutionell im Ernst nur noch der Vatikan propagiert.“ (Sigusch 2010: 147)
4. Theoretisches und methodologisches Vorgehen
Ausgangspunkt der Auseinandersetzung ist die Vermutung, dass sich der Umgang mit Sexualität nach der „Sexuellen Revolution“ Ende der 1960er Jahre in den USA durch den Einfluss der konservativen „Christlichen Rechten“ in den USA konservativ entwickelt hat und im Gegensatz dazu in Deutschland liberal, da die Kirche in Deutschland keinen großen Einfluss auf politische Entscheidungen ausübt und die Einstellung zur Sexualität im Allgemeinen liberaler erscheint.
Anhand der Dimensionen Schule und Medien werden in der vorliegenden Arbeit Entwicklungen zum Umgang mit Sexualität in den USA und Deutschland seit den 1960er Jahren untersucht. Als Indikator für die Dimension Schule wird die Entwicklung des Aufklärungsunterrichts in einer historischen Abfolge seit den 1960er Jahren betrachtet. Die Indikatoren für den Bereich Medien werden sich auf Werbung, Filmindustrie sowie Zeitungs- und Buchverlage beziehen.
Aufgrund der immer wieder existenten Diskussionen in den Medien über das Thema Sexualität und deren Umgang, hat sich die Verfasserin dieser Arbeit zum einen für die Dimension Medien entschieden, zum anderen für die Betrachtung der Dimension Schule. Das Feld „Aufklärungsunterricht in der Schule“ ergab sich einerseits aus dem künftigen Berufsfeld der Verfasserin, außerdem aufgrund der Vermutung, dass eine stärkere Auseinandersetzung der Medien mit der Thematik Sex zu einer zunehmenden öffentlichen Wahrnehmung geführt hat, die eine Vermittlung von verschiedenen Informationen zum Thema Sexualkunde in Schulen notwendig gemacht hat. Insofern kann von einer wechselseitigen Beziehung der zwei Dimensionen ausgegangen werden – schließlich beeinflusst einerseits die öffentliche Diskussion die Lehrpläne der Schulen in oben genannter Weise, andererseits sind/ werden auch Schüler Mediennutzer, die bestimmte Inhalte nachfragen.
Hinsichtlich der Entwicklung der Bildungssysteme und damit des Aufklärungsunterrichts ist anzumerken, dass Bildungspolitik in beiden Ländern auf der Ebene der Bundesländer (Deutschland) bzw. der Ebene der Bundesstaaten (USA), stattfindet. Der Unterschied liegt allerdings darin, dass Gesetze in Deutschland vom Gesamtstaat festgelegt werden. In den USA werden politische Entscheidungen durch Volksentscheide auf Lokalebene getroffen. Dies bedeutet, dass der Inhalt des Aufklärungsunterrichts in Deutschland gesetzlich verankert ist. In den USA hingegen werden die Inhalte auf Lokalebene bestimmt.
Auch bei der Wahl der betrachteten Länder wird ein Einfluss vermutet: Die Entwicklungen in den USA wirken vor allem seit dem zweiten Weltkrieg auf die westlichen Staaten, in diesem Fall Deutschland, ein. Man kann von den USA als Sinnbild der westlichen Leitkultur sprechen. Aufgrund dessen erfolgt zunächst eine Untersuchung der Entwicklung des Umgangs mit Sexualität in den USA, anschließend wird Deutschland betrachtet, bevor in Kapitel (7) ein Vergleich der Länder erfolgt, der Zusammenhänge und Gegensätze verdeutlichen wird.
Der stark ausgeprägte Glauben der US-Amerikaner sowie der Einfluss der Kirche und die politische Umsetzung lassen Unterschiede in der Entwicklung im Umgang mit der Sexualität vermuten.
5. Entwicklung des Umgangs mit der Sexualität seit den 1960er Jahren in den USA
In diesem Abschnitt der Arbeit wird zunächst ein Einblick in die historische Entwicklung mit dem Umgang der Sexualität in den USA gegeben. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels wird dies detaillierter anhand der Dimensionen Medien und Schule untersucht.
5.1 Einleitung und historischer Abriss
„Keine Nation der Welt hat sich seit dem zweiten Weltkrieg so verändert wie wir Amerikaner […] Nirgendwo tritt dies klarer zutage als in unserer neuen Sexualmoral.“ (Buck, zit. nach Paloczi-Horvath 1968: 35)
Noch in den 1940er und 1950er Jahren herrschte in den USA eine sexuelle Repression. In diesen Zeiten nahm sich der Staat das Recht heraus sexuell abweichendes Verhalten zu bestrafen. So wurden z.B. Autoren bei der Veröffentlichung des „falschen“ Buches verklagt und Apotheker bei der Herausgabe von Kontrazeptiva an die „falschen“ Personen belangt. (Allyn 2001: 6) Ebenso hatte man mit Konsequenzen zu rechnen, wenn man vorehelichen Geschlechtsverkehr hatte, sich für eine Person einer anderen ethnischen Gruppe interessierte und mit dieser sexuelle Handlungen ausübte, oder sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte. Homosexualität wurde zu dieser Zeit als psychische Krankheit abgetan. (Donnelly et al. 2007: 88) Erst Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 entwickelte sich in den USA langsam die „Sexuelle Revolution“ und mit ihr die Liberalisierung im Umgang mit der Sexualität (Paloczi-Horvath 1968: 38 f.).
Auslöser der „Sexuellen Revolution“ waren die Kinsey Reports. Die Veröffentlichung der Kinsey-Reports durch den Sexualforscher Alfred Charles Kinsey Das Sexuelle Verhalten des Mannes (1948) und Das Sexuelle Verhalten der Frau (1953) schlug geradezu ein wie eine Bombe. Laut Sigusch ist Alfred Charles Kinsey „ohne Zweifel der berühmteste Sexualforscher aller Amerikas“ (Sigusch 2011: 184). Kinsey untersuchte das Sexualverhalten der US-Amerikaner und zeigte die weit verbreiteten Unterschiede des Sexualverhaltens in den Staaten auf. Es gelang ihm durch seine Untersuchung, die Kluft zwischen „den moralischen Ansprüchen der Gesellschaft und der vermeintlich tatsächlich gelebten und facettenreich praktizierten Sexualität aufzudecken“ (Osswald-Rinner 2011: 52). Die Reporte dokumentieren eine vielseitige Sexualität als wahr. Die einengende, vorherrschende Doppelmoral wurde durch die Reporte begraben, meint Oswald-Rinner (Osswald-Rinner 2011: 53). Paloczi-Horvath berichtet, dass es in der Öffentlichkeit zu unterschiedlichen Reaktionen auf die Kinsey-Reports kam. Sie wurden nicht nur begrüßt, sondern auch kritisiert und z.B. als „statistischer Schmutz“ bezeichnet. Auch wurde gegen die Veröffentlichung von Obszönitäten protestiert (Paloczi-Horvath 1968: 39). Andere wiederum begrüßten die Kinsey-Reports über das Sexualverhalten der US-Amerikaner. Die Veröffentlichung der Bücher führte zu einer enormen Kontroverse – in einigen Bundesstaaten wurden die Bücher sogar verbannt (Donnelly et al. 2007: 87). In sämtlichen Zeitschriften wurde das „unmoralische Verhalten“ der amerikanischen Gesellschaft geleugnet (Horvath 1968: 40.) Die amerikanische Bevölkerung war geschockt von den perversen Sexualpraktiken, die in gutbürgerlichen weißen Bevölkerungsschichten laut Kinsey weit verbreitet waren. Jahrelang wurde darüber diskutiert, ob die Kinsey-Reports eher repressive oder liberalisierende Tendenzen stärkten. Klar ist: Sie machten das Thema Sex öffentlich. Es ist laut Sigusch davon auszugehen, dass die Kinsey-Reports die Liberalisierung der Sexualität deutlich vorangetrieben haben. (Sigusch 2011: 186) Ebenso wird von einer Entmystifizierung der Sexualität durch Kinsey gesprochen (McLaren 1999: 164). Die folgenden 1960er Jahre waren eine aufregende und zugleich kontroverse Zeit in Amerika (Koerselman 1987: 1). Die US-Amerikaner erlebten in dieser Dekade enorme kulturelle und soziale Veränderungen. Sexualität wurde nun auch außerhalb der heterosexuellen Ehe mehr und mehr akzeptiert. Sie war allgegenwärtig und nicht mehr aus der Öffentlichkeit wegzudenken. Für viele US-Amerikaner war dieser neue Umgang mit Sexualität in der Öffentlichkeit jedoch skandalös (Allyn 2001: 4). Befürworter der „Sexuellen Revolution“ gründeten Organisationen und verspotteten Konventionen: “They refused to bow to convention, to dress “appropriately,” to act “normally,” to “go with the crowd“.” ( Allyn 2001: 7)
In der Werbung wurde mit Hilfe von schönen Frauenkörpern vom Auto bis zum Kühlschrank alles angepriesen was es auf dem Markt gab (Paloczi-Horvath 1968: 39). Durch den Kinsey-Boom traten Illustrierte hervor und berichteten über nichts anders als Sexualität (Steinbacher 2011: 166 f.). Zahlreiche Magazine wie der Playboy, Penthouse oder Hustler erreichten durch ihre sexuell anzüglichen Themen und erotischen Bilder vor allem die Aufmerksamkeit der männlichen Leser (Allyn 2001: 8). Ende der 1960er Jahre erkannte auch die Filmindustrie das lohnende Geschäft mit der Sexualität. Die Produktion von Pornofilmen, die in Sex-Kinos für die breite Masse zugänglich gemacht wurden, war nun nicht mehr aufzuhalten. 1972 wurde die Pornoindustrie mit dem Film Deep Throat, der als einer der einflussreichsten Filme der letzten Jahrzehnte gilt, aus der Schmuddelecke gezogen. Schon Ende 1972 wurde dieser Film in fast allen Bundesstaaten im Kino ausgestrahlt und erreichte somit eine ziemlich breite Masse. (Allyn 2001: 232 ff.) 1973 erreichte die „Sexuelle Revolution“ mit der ersten Reality-Show An American Family auch die TV-Formate. Allyn erwähnt, dass neben der Filmbranche auch erotische Musicals Ende der 1960er Jahre auf dem Broadway wie Oh! Calcutta! oder Hair ihren Erfolg zu verzeichnen hatten (Allyn 2001: 133).
Ebenso wie die Veröffentlichung der Kinsey-Reports trug auch die Einführung der Antibabypille im Jahr 1960 zur Veränderung des Umgangs mit Sexualität bei. Frauen waren nun in der Lage ihre Fertilität zu kontrollieren und nicht länger in ihren Freiheiten eingeschränkt (McLaren 1999: 170). Die Einführung der Antibabypille als Verhütungsmittel löste ethische und religiöse Kontroversen aus (Adams 2012: 115). Einige feierten die Innovation als eine Befreiung und Schritt hin zur Selbstbestimmung der Frauen, andere sahen dies als eine „Enthemmung und mörderische [sic] Eingriff in die gottgewollte Schöpfungsordnung“ (Adams 2012: 115). Die Gegner des neuen Verhütungsmittels sahen durch die Einführung der Antibabypille einen moralischen Sittenverfall vorher, welcher sich durch Untreue in der Ehe und Promiskuität zeigen werde (Becker 2010: 9). Bis zum Jahr 1968 hatten die Frauen kein Mitspracherecht beim Thema Schwangerschaftsabbruch. Radikale Feministinnen versuchten ihr Recht auf sexuelle Liberalisierung durch Proteste durchzusetzen: “Free abortion on demand!“ (Allyn 2001: 264). Abtreibung war in den USA bis zum Jahr 1973 illegal. 1973 beschloss der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten durch die Klage einer 22-jährigen alleinerziehenden Mutter, die unter dem Pseudonym Jane Roe gegen den Staatsanwalt Henry Wade klagte, den Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimester zu legalisieren. Der Fall Roe vs. Wade war einer der gesellschaftskritischsten Fälle in den USA. (Allyn 2001: 260) Die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs führte zu heftigen Reaktionen seitens der christlichen „Right of Life“-Bewegung und der katholischen Kirche. Im Jahr 1989 wurde die Legalität des Schwangerschaftsabbruchs aufgrund diverser Proteste in den kirchlichen Reihen ein weiteres Mal vom Obersten Gericht bestätigt. (Adams 2012: 115)
Auch der Umgang mit Schwulen und Lesben änderte sich: Vor der „Sexuellen Revolution“ wurde Homosexualität als psychische Krankheit abgetan. Anfang der 1960er Jahre kam es in den USA immer wieder zu Razzien von Schwulenbars, die bis dato illegal waren. Im Juni 1969 kam es erneut zu einer Razzia im Stonewall Inn, einer der größten Schwulenbars in Amerika zu dieser Zeit. In dieser Nacht widersetzte sich eine große Gruppe Homosexueller den Verhaftungen. Folge waren tagelange Straßenschlachten zwischen der Polizei und Homosexuellen. Seit dem Vorfall Ende der 1960er Jahre wird an diesem Tag gegen die Diskriminierung von Homosexuellen, auf dem „Pride March“ demonstriert. (Lee 2011: 85)
Die Veröffentlichung der Kinsey-Reports sowie die Einführung der Pille trugen zu einem liberaleren Umgang mit der Sexualität bei.
Mitte der 1970er Jahre hatte die „Sexuelle Revolution“ ihren Höhepunkt erreicht. Allyn spricht von einer amerikanischen Gesellschaft, in der in jeder Ecke über Sexualität diskutiert, porträtiert und gelebt wird. Geburtenregelung und Abtreibung sowie das Ausleben der Homosexualität ist seitdem viel einfacher als zuvor. Durch den zunehmend liberaleren Umgang mit Sexualität in der Öffentlichkeit wurden Schwulenbars und Badehäuser Ende der 1960er Jahre Anfang der 1970er Jahre auch für die heterosexuelle Welt „sichtbar“. Ebenso entstanden zu Zeiten der „Sexuellen Revolution“ Gegenbewegungen wie z.B. die „Christliche Rechte“, die für eine Liberalisierung der Sexualität wenig Verständnis aufbringen konnten. Frauen fühlten sich durch die Sexualisierung nackter Frauenkörper in Werbung und Pornoindustrie diskriminiert und forderten bei Demonstrationen gesellschaftliche Gleichberechtigung. (Allyn 2001: 271 ff.) 1966 wurde die National Organization for Women (NOW) von öffentlich aktiven Frauen gegründet. Das oberste Ziel dieser Organisation war, eine Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen als sozialer Gruppe zu erreichen sowie die Entscheidungsfreiheit der einzelnen Frau zu vergrößern. (Adams 2012: 114)
Mit der Zeit der „Sexuellen Revolution“ verbinden die US-Amerikaner nicht nur Gutes: Die Dämpfung der Konjunktur im Jahr 1973 war ein großer Schock für die Nation und hatte enorme Konsequenzen für die „Sexuelle Revolution“. Die Inflation, mit der die Produktionsraten fielen und Arbeitslosenzahlen in die Höhe schossen, startete bereits im Jahr 1971. Die Produzenten zahlreicher Illustrierten wie beispielsweise Hugh Hefner vom Playboy bekamen die Krise extrem zu spüren. Weder die Linken noch die Rechten wussten wie sie das Problem beheben sollten und so war es sehr einfach der „Sexuellen Revolution“ dafür die Schuld in die Schuhe zu schieben. Durch die Krise, auftauchende Geschlechtskrankheiten und Vergewaltigungen veränderten sich die Einstellungen der Gesellschaft zur Sexualität rapide. Viele US-Amerikaner fühlten sich von der Politik im Stich gelassen und suchten Halt bei der evangelischen Kirche. Die Kirche erfuhr einen enormen Zuwachs und so wurde im Jahr 1976 der erste evangelische Protestant, Jimmy Carter, zum Präsidenten gewählt. (Allyn 2001.: 272 f.) Die US-Amerikaner erlebten in den vergangenen fünfzehn Jahren eine Revolution in Sachen Sex und Sexualität unter dem Einfluss der Pornografie, Pharmakologie, Kommerzialisierung von Sexualität in den Medien und dem Umgang mit Sexualität im zwischenmenschlichen Sektor (Herzog 2008b: 13). Zur gleichen Zeit gab es aber auch einen Krieg gegen die Sexualität, geführt von der „Christlichen Rechten“: “a war the Religious Right in large part won.“ (Herzog 2008b: 13) Politisches Engagement war bis weit in die 1960er Jahre bei vielen Gläubigen verpönt. Als 1973 die Abtreibung durch das Oberste Gericht legalisiert wurde, politisierten sie sich dennoch. (Braml 2005: 42) Die Gegenbewegung die „Christliche Rechte“ entstand Anfang der 1970er Jahre in den USA durch Kooperation von Neokonservativen, evangelikal-fundamentalistischen Geistlichen sowie Jerry Falwell und Tim LaHayne, welche zu dieser Zeit als Fernsehprediger tätig waren (Brocker 2007: 24).
„Die Christliche Rechte kann als eine politische und soziale Bewegung verstanden werden, die entscheidend zur Politisierung und Mobilisierung des amerikanischen protestantischen Fundamentalismus ab Mitte der siebziger Jahre beigetragen hat.“ (Minkenberg 2003: 24)
Organisationen der „Christlich Rechten“ sind z.B . „Christian Coalition“, „Family Research Council“ und andere. Die Mitglieder dieser Organisationen lehnten die neue Sexualmoral strikt ab. Statt sexueller Liberalisierung fordern sie auch heute noch die Abschaffung der Homo-Ehe, ein Verbot der Abtreibung, die Berücksichtigung der biblischen Schöpfungsgeschichte im Biologieunterricht und die Abstinenzlehre in den Schulen statt Sexualaufklärungsunterricht, um nur einige ihrer Forderungen zu nennen. (Brocker 2007: 24 f.) Der politische Einfluss der Kirchen führte zu Änderungen in Sachen Sexualität. In den 1980er Jahren versuchten sie ihre Forderungen durch aggressive Mittel durchzusetzen. Brocker nennt hier als Beispiel Blockaden von Abtreibungskliniken sowie Massendemonstrationen. Die Erfolglosigkeit dieser Methode führte zu neuen Strategien. Hier sind das Lobbying im Kongress, vor dem Weißen Haus sowie vor den Gerichten zu nennen. Ihre politische Macht erlangte die „Christliche Rechte“ jedoch durch die gezielte Unterwanderung der Führungsgremien der Republikanischen Partei G.O.P. Durch diese Strategie war es ihnen möglich, Einfluss auf das Parteiprogramm sowie die Kandidatenauswahl zu nehmen. (Brocker 2007: 27 f.) 1980 zielte die erste Aktion in Sachen Wahlkampf auf die Abwahl des liberalen Präsidenten Jimmy Carter ab (Brocker 2004: 89). Dieser stärkte während seiner Amtszeit die Rechte der Frauen und tolerierte „feministische Exzesse“ (Braml 2005: 45). Um die Meinung der Öffentlichkeit zu beeinflussen, tauchten zu Zeiten der Bush-Ära (2001-2009) falsche Informationen auf der offiziellen Website der Bundesregierung auf.: So wurde dort etwa behauptet, dass Abtreibung das Brustkrebsrisiko erhöhen würde oder das Kondome nur einen geringen Schutz vor Geschlechtskrankheiten bieten würden. (Herzog 2008a: 1) Im Jahr 2000 verfügte die „Christliche Rechte“ in achtzehn Bundesstaaten über einen starken Einfluss auf die Partei. Dies machte es ihnen möglich die Auswahl der Kandidaten mitzubestimmen und ihren Forderungskatalog durchzusetzen. Durch finanzielle Unterstützung der Schulen gelang es der „Christlichen Rechten“ die Abstinenzlehre an den meisten öffentlichen Schulen einzuführen. Sie scheiterten allerdings an der Wiedereinführung des Abtreibungsverbots sowie der Illegalisierung von Pornografie (Brocker 2007: 28 ff.). Die Einstellung der Gesellschaft zu Themen wie „die Stellung der Frau in der Gesellschaft, zur Homosexualität, zur Pornographie und zu anderen soziomoralischen Fragen (mit Ausnahme der Abtreibung)“ (Brocker 2007: 31) hat sich laut Brocker seit der Jahrtausendwende liberalisiert. Auch heute übt die „Christliche Rechte“ noch einen starken Einfluss auf politische Entscheidungen aus.
Die „Sexuelle Revolution“ führte zu einer Liberalisierung der Sexualität bis Mitte der 1970er Jahre. Durch die gelockerte Gesetzgebung im Bereich Sexualität wurden die individuelle sexuelle Betätigung, Homosexualität und Pornografie legal. Die Krise und die Inflation Anfang der 1970er Jahre sowie auftretende Geschlechtskrankheiten und eine Zunahme der Vergewaltigungen ließen die Vorteile der „Sexuellen Revolution“ in der Gesellschaft anzweifeln. Anfang der 1980er Jahre hatte die „Sexuelle Revolution“ ihren Zauber verloren.
“People did not suddenly stop having sex outside of marriage, or having same-sex relationships, or consuming pornography. But Americans became ignorance, shame, self-loathing, and the fear of sexual expression had run its course.” (Allyn 2001: 293 f.)
Die US-Amerikaner hatten sich damit abgefunden, dass ihre Moral widersprüchlich ist und rein rational betrachtet einige Ungereimtheiten aufweist. Viele hatten den Einfluss des Staates sowie den der Kirche auf die Sexualmoral akzeptiert. (Allyn 2001: 293 f.) Die These Michael Foucaults “sexual liberation was all but impossible“ (Allyn 2001: 294) fand zu dieser Zeit sehr großen Anklang in der amerikanischen Bevölkerung.
Seit der „Sexuellen Revolution“ hat sich das Verhalten im Umgang mit Sexualität der Amerikaner bis zum 21. Jahrhundert liberalisiert, dennoch ist in vielen Bereichen immer noch ein „Hauch“ von Prüderie zu spüren. Auffällig ist vor allem die aufgezeigte Doppelmoral sowie die krassen Gegensätze zwischen liberalem und erzkonservativem Umgang.
5.2 Dimension Medien
Während der „Sexuellen Revolution“ nach dem Zweiten Weltkrieg kam es immer mehr zu einem öffentlichen Diskurs über Sexualität. Die repressive Sexualmoral sollte endgültig verschwinden, forderten Befürworter. Sexualität war aus der Öffentlichkeit nicht mehr wegzudenken und wurde in den Medien extrem kommerzialisiert. Erotische Magazine wie der Playboy, Penthouse oder Hustler, die sich seit Ende der 1940er Jahre langsam entwickelt hatten, waren nun Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre heiß begehrt. (Allyn 2001: 8) Die Menschen waren neugierig und wollten aus sexueller Hinsicht nichts verpassen. Verlage erkannten schnell, dass aus den Heftchen mit anzüglichen Bildern jede Menge Profit zu schlagen war, und so kam es zu zahlreichen Veröffentlichungen dieser Magazine. Das Magazin Penthouse, publiziert von Bob Guccione, wurde im April 1970 zum ersten Mal in den USA veröffentlicht. Penthouse versprach seinen Lesern neben erotischen Bildern auch Informationen zur Entwicklung der „Sexuellen Revolution“ zu liefern. (Allyn 2001: 231) Die meisten Magazine dieser Zeit publizierten ausschließlich nackte Frauenkörper, was Anfang der 1970er Jahre Frauenbewegungen auf den Plan rief. Die Frauen fühlten sich durch die extreme Kommerzialisierung des weiblichen Körpers diskriminiert und wollten durch Demonstrationen Gleichberechtigung erlangen. (Allyn 2001: 280). Die Veröffentlichung eines nackten Mannes in der Cosmopolitan im Jahr 1972 sollte für eine sexuelle Liberalisierung sorgen. Und so wurde Burt Reynolds nackt auf einem Bärenfell abgelichtet. Die Ausgabe mit dem Aktbild von Burt Reynolds war nach zwei Tagen ausverkauft. (Allyn 2001: 232)
Abbildung: Burt Reynolds in der Cosmopolitan 1972
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: BBC News 2012
Dies führte dazu, dass Magazine für Frauen wie z.B. das Playgirl gegründet wurden. Neben zahlreichen Magazinen wie dem Playboy, Penthouse und Hustler erschienen auch diverse Bücher mit sexuell behafteten Themen. 1972 publizierte Alex Comfort das Buch The Joy of Sex, von dem er in den ersten zwei Jahren insgesamt 3.8 Millionen Exemplare verkaufte. Das Buch gab Informationen und Auskunft über die heterosexuelle Beziehung und über die Steigerung ihres erotischen Genusses. Nach Veröffentlichung dieses Buches war es in jedem zweiten Haushalt Amerikas als sogenannte „Sex Bibel“ zu finden. (Allyn 2001: 229) Es folgten zwei weitere Bücher More Joy of Sex (1974) und New Joy of Sex (1991).
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[1] Sexuelle Revolution: Es wird der historische Wandel der öffentlichen Sexualmoral im Sinne einer Enttabuisierung sexueller Themen verstanden. Des Weiteren ist darunter die zunehmende Toleranz und Akzeptanz sexueller Bedürfnisse der Geschlechter sowie deren sexuelle Orientierung zu verstehen (Goldstein 2008: 2).
[2] Polyamorie: Offene Liebesbeziehungen zu mehreren Personen gleichzeitig (Sigusch 2011: 9).
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