Seit den 70er Jahren haben sich, ausgelöst durch die Reformen der 68er Bewegung, die Anforderungen an den modernen Literaturunterricht geändert. Stand bis zu diesem Zeitpunkt vor allem das Erschließen literarischer Texte durch die Analyse von Form und Inhalt im Zentrum des Unterrichts, rückte nun die Auseinandersetzung zwischen Leser und Text in den Vordergrund. Der Leser als Rezipient mit jeweils spezifischen soziokulturellen Voraussetzungen wurde in zunehmendem Maße in die Interpretation einbezogen. Es ging nicht mehr ausschließlich um das Erfassen eines vermeintlich textimmanenten Sinnes, das Verstehen eines Textes wurde vielmehr als Mitschaffen des Lesers begriffen.
In den 80er Jahren wurde dieser Ansatz ausgeweitet und verabsolutiert: Literarische Texte sollten nicht mehr nur gelesen, interpretiert und analysiert werden, sondern als Anlass für eigenes literarisches Schreiben der Schüler/-innen dienen. Damit wurde die traditionelle Trennung zwischen Leser und Autor weitgehend aufgehoben.
In dieser Arbeit möchte ich nun auf das Konzept des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts eingehen. Dabei sollen handlungs- und produktionsorientierte Methoden vorgestellt und mit den "herkömmlichen Methoden" der Erschließung literarischer Texten verglichen werden. Es geht mir nicht darum, Handlungsorientierung als das "Nonplusultra" der modernen Literaturdidaktik darzustellen, lebt doch guter Unterricht vor allem von einer ausgewogenen Methodenvielfalt. Vielmehr möchte ich aufzeigen, dass handlungs- und produktionsorientierte Verfahren eine Möglichkeit sind, den Unterricht abwechslungsreicher und lebendiger zu gestalten und somit dazu beitragen, die Motivation der Schüler/-innen für den Literaturunterricht zu steigern und die Leselust zu fördern.
Inhalt
I. Einleitung
II. ´Herkömmliche´ Methoden des Literaturunterrichts beim Umgang mit Texten
III. Das Konzept des handlungs- und produktionsorientierten Unterrichts
1. Ein Blick in denThüringer Lehrplan
2. Curriculare Begründung
3. Merkmale
IV. Handlungs- und produktionsorientierte Verfahren beim Umgang mit literarischen Texten - Eine Auswahl
V. Vorteile handlungs- und produktionsorientierter Verfahren im Vergleich zu den ´herkömmlichen´ Methoden im Literaturunterricht
VI. Ansätze zur Kritik dieser Verfahren
VII. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Seit den 70er Jahren haben sich, in Zusammenhang von Reformen, die nicht zuletzt durch die 68er Bewegung ausgelöst wurden, die Anforderungen an den Literaturunterricht geändert. Stand bis zu diesem Zeitpunkt vor allem das Erschließen eines Textes durch die Analyse von Form und Inhalt im Zentrum des Unterrichts, rückte nun die Auseinandersetzung zwischen Leser und Text in den Vordergrund. Der Leser als Rezipient mit jeweils spezifischen soziokulturellen Voraussetzungen wurde von nun an in zunehmendem Maße in die Interpretation einbezogen. Das Verstehen eines Textes wurde als Mitschaffen des Lesers begriffen. (>> Rezeptionsorientierung)
In den 80er Jahren wurde dieser Ansatz ausgeweitet und verabsolutiert: Literarische Texte sollten “[...] nicht mehr nur gelesen, interpretiert und analysiert werden, sondern als Anlass für eigenes literarisches Schreiben der Schüler[/innen] dienen.”[1] Damit wurde die traditionelle Trennung zwischen Leser und Autor weitestgehend aufgehoben.[2]
In dieser Arbeit möchte ich nun auf das Konzept des handlungs- und produktionsorientierten (Literatur)unterrichts eingehen. Dabei sollen handlungs- und produktionsorientierte Methoden vorgestellt und mit den ´herkömmlichen Methoden´ bei der Erschließung von literarischen Texten verglichen werden. Es geht mir nicht darum, Handlungsorientierung als das Nonplusultra der modernen Literaturdidaktik darzustellen. Vielmehr möchte ich aufzeigen, dass produktive Verfahren eine Möglichkeit sind, den Unterricht abwechslungsreicher und lebendiger zu gestalten und somit dazu beitragen, die Motivation der Schüler/innen für den Literaturunterricht zu steigern.
II. ´Herkömmliche´ Methoden des Literaturunterrichts beim Umgang mit Texten
Hermann Helmers ermittelte bereits in den 1960er Jahren sechs im Literaturunterricht übliche Wege zum Verstehen literarischer Texte.Diese betreffen auch die Art und Weise der Unterrichtsgestaltung:[3]
1. Erschließen des Textes durch Leitfragen
Die Textanalyse läuft vorwiegend im Unterrichtsgespräch ab. Dieses wird durch den Lehrer/in mittels Leitfragen, die auf den Kern des Textes hinführen sollen, gesteuert.
Eine mögliche Gefahr dieser Methode liegt darin, dass die Leitfrage durch den Lehrer/in falsch angesetzt wird. Das Unterrichtsgespräch kann dadurch in die falsche Richtung gelenkt werden. Die eigentliche Dichtung gerät leicht außer Blick. Vorteilhaft ist, dass diese Methode bei nahezu allen Texten, besonders auch bei schwer verständlichen, angewendet werden kann.
2. Zergliedern des Textes
Die Teile des Textes werden nacheinander systematisch behandelt, meist durch Lehrerfrage-Schülerantwort. Eine detaillierte Planung des Unterrichts- ablaufs durch den Lehrer/in ist möglich und auch nötig. Auf Grund der ge- nauen Planung, besteht jedoch die Gefahr, dass die Analyse innerhalb eines starren Schemas bleibt, das nicht jeder Dichtung gerecht wird.
3. Freies Besprechen
Nach dem Einhören oder Einlesen erfolgt eine im Einzelnen ungeplante Besprechung des Textes. Die Gefahr einer Zerstückelung des Textes und auch die der Fehlplanung, wie sie bei den bereits vorgestellten Methoden vorhanden ist, werden hier umgangen. Ein Kritikpunkt ist, dass durch das freie ungeleitete Besprechen der eigentliche Kern der Dichtung von den Schüler/innen nicht erfasst wird.
4. Erlesen/ Ersprechen
Dieses Verfahren eignet sich besonders gut bei dramatischer und emphatischer[4] Literatur. Beim Ausfeilen der Lese- und Vortragstechnik werden technische Fragen des Gestaltens zu Sinnfragen.
5. Vorgestalten (Antizipation)[5]
Der Hinweis auf das Thema soll bei den Schüler/innen zu Überlegungen führen, wie das Werk gestaltet sein mag. Die Annahmen der Schüler/innen werden anschließend in gemeinsamer Arbeit am Text überprüft.
6. Selbstständiges Erarbeiten
Diese Vorgehensweise ähnelt dem freien Besprechen. Die Dichtung wird nach dem Einhören oder dem Einlesen besprochen, wobei sich der Lehrer/in weitgehend zurückhält. Die Schüler/innen gehen beim Besprechen jedoch nach einem vorher eingeübten Schema vor, das wiederum sehr starr ist.
Nach Helmers kommt es in der Praxis zu einer Vermischung dieser Methoden, die auch im gegenwärtigen Literaturunterricht noch ihre Berechtigung haben, auch wenn sie durch handlungs- und produktionsorientierte Verfahren ergänzt wurden. Man muss außerdem sagen, dass einige dieser Methoden den produktiv-kreativen Verfahren schon sehr nah sind, z.B. die sogenannte Antizipation, bei der die Schüler/innen in die Situation des “literarischen Machens” versetzt werden. Auf diese Weise wird bei ihnen ein kreatives Interesse geweckt - ein Ansatz aus dem Konzept des handlungs- und produktionsorientierten Unterrichts.
III. Das Konzept des handlungs- und produktions- orientierten Unterrichts
1. Ein Blick in den Thüringer Lehrplan
Den allgemeinen Bestimmungen des Thüringer Lehrplans[6] gemäß ist die “Thüringer Schule ein Lern- und Erfahrungsraum. Sie verbindet fachliches mit fächerübergreifendem Arbeiten, fördert ganzheitliches Lernen, erzieht zu
Toleranz und Solidarität und stärkt die Individualität der Kinder und Jugend- lichen.”[7] An der Schule soll eine Grundbildung gesichert werden. Diese “[...]
zielt auf die Entwicklung der Fähigkeit zu vernunftbetonter Selbstbestimmung, zur Freiheit des Denkens, Urteilens und Handelns, sofern dies mit der Selbstbestimmung anderer Menschen vereinbar ist.”[8]
Die didaktischen Leitlinien für den Deutschunterricht sind auf diese Ziele ausgerichtet. Sie beinhalten unter anderem die Forderung nach der “Gestaltung eines lebensverbundenen Unterrichts”, der sich durch “Handlungsorientiertheit durch [das] Einbeziehen vielfältiger, ausgewogen eingesetzter Schüler- tätigkeiten”[9] auszeichnet. Auch das “individuell[e] und gemeinsam[e] Lernen in verschiedenen Arbeits- und Sozialformen”[10] ist als Leitlinie für den Deutschunterricht festgelegt.
2. Curriculare Begründung
Ein Lehrplan, in dem das Ziel verankert ist, die Schüler/innen durch die Schulbildung zu ´vernunftbetonter Selbstbestimmung´ und zur ´Freiheit des Denkens, Urteilens und Handelns´ (Vgl. oben) zu befähigen, kann nicht davon ausgehen, dass sich Selbsttätigkeit und Selbstständigkeit am Ende der Schulzeit von allein einstellen, “wenn nur zuvor ein ausreichendes Maß an Sach- und Sozialkompetenz vermittelt worden ist. Selbstständigkeit muss geübt werden. Handlungs- und produktionsorientierter Unterricht bildet dafür einen Handlungsrahmen.”[11]
Jank und Meyer liefern weitere bildungstheoretische Begründungen für den handlungs- und produktionsorientierten Unterricht:[12]
>> Wenn Erziehung zur Selbstständigkeit ein übergeordnetes Ziel der Schule ist, dann
muss sie im Unterricht geübt werden.
>> Handlungsorientierter Unterricht ist notwendig, um dem allmählichen Verschwinden
der Wirklichkeit aus dem Lernprozess zu begegnen.
>> Handlungsorientierter Unterricht kann die Schüler/innen bei der schwieriger gewordenen
Identitätsbildung unterstützen.
>> Handlungsorientierter Unterricht ist notwendig, um der Ausgrenzung der Sinnlichkeit im Lehr-/Lernprozess entgegenzuwirken.
>> Handlungsorientierter Unterricht ist notwendig, um den gesellschaftlichen Verwertungs- zusammenhang des in der Schule angeeigneten Wissens durchschauen und kritisieren zu können.
[...]
[1] Spinner: Literaturdidaktik der 90er Jahre, S. 26-27.
[2] Die Angaben zur Entwicklung der Didaktik des Literaturunterrichts in der BRD sind entnommen aus:
Spinner: Literaturdidaktik der 90er Jahre, S. 23-36.
[3] Helmers: Didaktik der deutschen Sprache, S. 311.
[4] gemeint ist beispielsweise Lyrik, die besonders ausdrucksstark ist und mit Nachdruck vorgetragen
werden sollte
[5] Vorwegnahme von zukünftigem Geschehen
[6] Der Deutschunterricht im Thüringer Gymnasium. Hrsg. v. Thüringer Kultusministerium.
[7] Ebd., S. 4.
[8] Ebd., S. 4.
[9] Ebd., S. 6.
[10] Ebd., S. 6.
[11] Jank und Meyer: Didaktische Modelle, S. 372.
[12] Jank und Meyer: Didaktische Modelle, S. 372-373.
- Quote paper
- Hendrikje Schulze (Author), 1999, Zum handlungs- und produktionsorientierten Umgang mit Texten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21510
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