David Lynchs Kultfilm "Mulholland Drive" gibt jede Menge Rätsel auf. Als echter Klassiker des Mindfuck-Genres erhitzt der Film noch Jahre nach seiner Premiere die Gemüter.
Journalist und Mindfuck-Experte Christian Hardinghaus versucht in seiner Interpretation die letzten Fragen zu klären: Was ist auf dem Mulholland Drive wirklich passiert? Was haben der Schlüssel, die blaue Box und das Monster hinter "Winkie’s" zu bedeuten? Was verraten die zehn Hinweise, die David Lynch dem Zuschauer mit auf den Weg gibt?
Schritt für Schritt entschlüsselt Hardinghaus den Filmplot und erzählt dabei die Geschichte von Camilla und Diane, von Betty und Rita und der 'Traumwelt Hollywood'.
Ein Buch für alle Filmbegeisterten, denen "Mulholland Drive" einfach nicht mehr aus dem Kopf geht.
– Inhalt
1 Mindfuck: Verwirrung mit Konzept
2 Kann Mulholland Drive wirklich entschlüsselt werden?
Tausende Interpretationsmöglichkeiten
Wie David Lynch erzählt
3 Licht ins Dunkel: Die Geschichte von Mulholland Drive
Zehn Hinweise von David Lynch
Mulholland Drive verstehen: Die Chronologie der Ereignisse
Das Leben der Diane Selwyn
4 Schauspiel einer Träumenden: eine Step-by-Step-Analyse von Mulholland Drive
Ein Auftragsmord im Restaurant
Vom Tanz in den wilden Traum
Ein Monster hinter Winkie’s
Die Geburt der Betty Elms – und wie Camilla zu Rita wird
Ein verpatztes Casting und ein trauriger Regisseur
Vertauschte Rollen: Eine traumhafte Poolparty
Camillas Weg ins Rampenlicht
Versteckte Hinweise: Dianes Kindesmissbrauch und ihre Rotlichttätigkeit
Farben- und Zahlenspiele
Ein schaurig-romantisches Ende
5 Ein abgedrehter Dreh hinter einer abgedrehten Geschichte
6 Wissenswertes und Kurioses rund um Mulholland Drive
7 Produktionsnotizen
Produktion
Full Cast
Filmografie – David Lynch
Bildnachweise
1 Mindfuck: Verwirrung mit Konzept
Was wäre, wenn Ihnen in diesem Moment bewusst würde, dass Sie seit einer Woche tot sind und nur mit Geistern kommunizieren. Wenn Sie jetzt erführen, nur geträumt zu haben, dass Sie verheiratet sind und ihr Lebenspartner nie existiert hat? Oder Sie erkennen würden, dass Sie schizophren sind und in den letzten Jahren ein Doppelleben geführt haben? Tagsüber sorgender Familienvater, nachts Serienkiller. Ihnen plötzlich klar würde, dass der Hund, den Sie jeden Tag füttern, längst in Ihrer Küche verwest, die Welt schon längst untergegangen ist. In diesen Momenten der Erkenntnis wären Sie „mindfucked“.
Aber wir gehen jetzt einfach mal davon aus, Sie wären quicklebendig und könnten mit klarem Verstand dieses Buch lesen. Doch allein die Vorstellung, dass Menschen solch ein Horror widerfahren könnte, macht einen Mindfuck-Film so faszinierend. Wenn wir nicht mit einer solchen Wendung rechnen, dann sind wir zusammen mit den Protagonisten, die von der erschreckenden filmischen Wahrheit eingeholt werden, „mindfucked“.
Ein annehmbares deutsches Wort für „Mindfuck“ gibt es nicht. Die Eins-zu-eins-Übersetzung aus dem Englischen würde für den deutschen Geschmack zu vulgär klingen. Der Ausdruck lässt sich am ehesten irgendwo zwischen „Simulierter Realität“ und „Kopfverdreher“ ansiedeln. Aber es kommt auch überhaupt nicht auf die Übersetzung, sondern auf die Wirkung an. Denn „Mindfuck“ ist weniger ein Wort als ein Effekt, der uns an unseren eigenen Sinnen zweifeln lassen soll. Der Clou eines jeden Mindfuck-Werkes ist, dass der Regisseur uns einen fiesen Streich spielen und auf etwas völlig Ungeahntes bringen möchte.
Im Film erwartet den Zuschauer eine komplett überraschende Wendung kurz vor dem Ende. Wenn der Zuschauer sich ärgert, Opfer einer filmischen Lüge geworden zu sein, bevor er die Zusammenhänge begreift, hat der Filmemacher gut gearbeitet und der Mindfuck funktioniert. Typisch für ein Mindfuck-Movie ist, dass nicht nur der Zuschauer, sondern auch der Protagonist selbst die nahende Wendung nicht erahnt und ebenso überwältigt oder schockiert ist. Genau hier zeigt sich dann auch der Unterschied zum klassischen Thriller, in dem der Mörder von vornherein weiß, dass er der Mörder ist. Nur das Publikum tappt im Dunkeln.
Ist es Intention des Mindfuck-Regisseurs, vor dem Abspann Klarheit zu schaffen, so stellen sich bestimmte Szenen meist als unwahr heraus. Der Protagonist merkt, dass alles nur ein Traum, ein Spiel, eine Halluzination oder ein schizoider Anfall war. Dem Zuschauer wird nach dem Mindfuck die filmische Wahrheit präsentiert. Das geschieht oft durch geschickt eingesetzte Rückblenden, die eine komplett neue Sichtweise zeigen oder versteckte Details an die Oberfläche katapultieren. Manchmal dauert es eine ganze Weile, bis der Zuschauer wirklich begreift, was hier tatsächlich geschehen ist. Die Folge: Er springt noch mal ein paar Kapitel auf seiner Disc zurück oder schaut sich gleich den ganzen Film noch einmal an – was bei dieser Art von Filmen durchaus gewollt und empfehlenswert ist.
Oftmals gibt der Regisseur versteckte Hinweise, die auf die richtige Deutung des Filmes hinweisen, vom Zuschauer aber nicht bemerkt oder als unwichtig erachtet werden. Spaß macht das nur, wenn hinterher wirklich alles einen Sinn ergibt. Das heißt, der Regisseur muss tatsächlich genügend Hinweise in seinem Werk untergebracht haben, damit der Zuschauer die Aufklärung auch als sinnvoll erleben kann. Je mehr solcher verborgener Anhaltspunkte er in den Film integrieren kann, ohne dass sie jemandem beim ersten Anschauen auffallen, desto genialer ist sein Werk.
Es gibt aber auch Mindfuck-Movies, die am Schluss zunächst scheinbar gar nichts erklären und dem Publikum selbst die Interpretation in die Hand legen. Der Regisseur verrät nichts, lässt aber erahnen, dass es eine Lösung gibt. Der Mindfuck-Film wird zum Mindfuck-Puzzle. Solche Filme können über Jahre hinweg immer wieder neue Diskussionen und Theorien auslösen – und das macht ihren Kultcharakter aus.
2 Kann Mulholland Drive wirklich entschlüsselt werden?
Wenn Sie den Film Mulholland Drive, um den sich in diesem Buch alles dreht, noch nicht gesehen haben, rate ich Ihnen jetzt, dieses Buch gleich wieder wegzulegen. Schauen Sie sich David Lynchs Kultfilm unvoreingenommen an und steigen Sie dann an genau dieser Stelle wieder ein!
Sie haben Mulholland Drive gesehen? Irgendwann mal? Vor einem Jahr? Sie waren von dem Film fasziniert und möchten mehr darüber erfahren? Dann können Sie jetzt weiterlesen, dieses Buch wird Sie gut unterhalten, aber Sie werden den Film am Ende nicht verstanden haben. Denn er muss Ihnen genau in diesem Moment präsent sein. Mein Rat: Schauen Sie ihn sich vor dem Weiterlesen noch einmal an.
Gut, Sie haben also Mulholland Drive gerade zum ersten oder zum erneuten Mal gesehen. Sie haben die Stimmung und die Bilder, vielleicht die Musik genossen? Sie haben sich vor dem Monster hinter Winkie’s erschrocken, mit Diane gelitten, die Spannung im Club Silencio gespürt, über aberwitzige Dialoge gelacht? Aber Sie sind noch völlig verwirrt und möchten wissen, worum es jetzt wirklich geht, was real ist und was nicht: Welcher Name zu wem gehört, was die blaue Box soll und ob die Geschichte überhaupt irgendwie Sinn ergibt? Vielleicht haben Sie auch schon eine Ahnung oder eine Theorie entwickelt und möchten diese überprüfen? Dann sind Sie hier genau richtig!
Ich versichere Ihnen, am Ende dieses Buches werden Sie dem Ziel, Mulholland Drive zu verstehen, ein gewaltiges Stück näher gekommen sein. Und Sie werden eine wahre Freude daran haben, sich den Film noch mal anzuschauen, heute oder morgen oder irgendwann einmal. Mit diesem Buch haben Sie das richtige Werkzeug an der Hand, um die vielen Geheimnisse von David Lynchs Filmuniversum zu ergründen.
Tausende Interpretationsmöglichkeiten
Vorwegnehmen muss ich allerdings, dass es viele Hunderte, wenn nicht Tausende von Interpretationsmöglichkeiten für diesen Film gibt. Mulholland Drive hat eine unglaublich große Fangemeinde und auch Jahre nach Erstaufführung des Filmes wird noch immer leidenschaftlich in Foren diskutiert, um alle Rätsel zu entschlüsseln. Keine Theorie gleicht der anderen: Mal ist alles ein Traum, mal ein Drogenrausch, mal eine Halluzination. Hier Vergangenheit, da Zukunft, dort Paralleluniversum. Es gibt übernatürliche Deutungen, religiöse, künstlerische und mathematische.
Die eine, allgemeingültige Erklärung kann niemand für sich beanspruchen. Ich aber meine, nach unzähligen Sichtungen des Filmes mit anschließenden On- und Offline-Diskussionen, Hintergrundrecherchen – und natürlich mit ein bisschen Fantasie –, eine zufriedenstellende und in sich schlüssige Interpretation gefunden zu haben, mit der die Story des Filmes nachvollziehbar wird.
In meiner Analyse werde ich an jeder entscheidenden Stelle klare Hinweise zur Entschlüsselung geben, dennoch kann nicht alles zweifelsfrei bewiesen werden. Dazu liefert der Film zu wenige eindeutige Informationen, was von Lynch fraglos so gewollt ist. Einige Handlungsstränge lässt er offen. So wird es an mehreren Stellen dieses Buches vorkommen, dass Sie die Worte „womöglich“, „wahrscheinlich“ oder „vermutlich“ lesen.
Um den Film zu verstehen, können Sie gerne meine Interpretationsmöglichkeit annehmen oder aber sie als Anknüpfungspunkt für eigene Deutungen nutzen. Ich werde nicht verschiedene Theorien oder Interpretationsmöglichkeiten vergleichen, sondern nur mein Ergebnis darlegen und dieses mit allen verfügbaren Mitteln begründen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
MULHOLLAND DR. – Traumstraße in der Finsternis
Und nun lehnen Sie sich zurück und kommen Sie mit auf eine spannende Reise, die am Ende die „Straße der Dunkelheit“ erleuchten wird. Sie wissen ja, Reisen beginnen oft auf einer Straße. Und genau dort fangen wir jetzt an. Straßen schreiben Geschichte und Geschichten spielen auf der Straße.
Auch Regisseur David Lynch lässt sich von Straßen inspirieren und faszinieren. Nach seinem namenlosen Lost Highway inszenierte er Mulholland Drive und ahnte im Aufführungsjahr 2001 sicher selbst noch nicht, dass man heute mit dem Namen „Mulholland Drive“ mehr seinen Kultfilm verbindet als jene kurvenreiche Straße am Rande Hollywoods, die an vielen Stellen einen atemberaubenden Blick auf Los Angeles zulässt und an der zahlreiche prominente Schauspieler ihr Haus gebaut haben. Warum ist das so?
Wie David Lynch erzählt
Was macht Mulholland Drive zum Kult? Zunächst einmal die Arbeitsweise des Regisseurs selbst: Wird ein neuer „Lynch“ angekündigt, kann und darf man zumeist ein neues Kultwerk erwarten. Seine Filme sind kein vorgekautes Popcornkino, sondern spielen auf surrealistische und mystische Art und Weise mal mit den Träumen, mal mit den Urängsten der Zuschauer. Lynch braucht keinen Happy Start und kein Happy End. Er erzählt nonlinear, symbolisch und metaphorisch, er ist detail- und kunstverliebt und lässt genau das den Zuschauer an jeder Stelle seines penibel durchdachten Filmmaterials spüren.
Seine irrationalen, verstörenden Themen ziehen Cineasten wie magisch an und gehen unter die Haut. Lynchs Kino ist unheimlich, bizarr, romantisch und postmodern. Schauspieler, Filmmusik und Requisite sind akribisch ausgewählt. Seine Filme haben ein offenes Ende und doch lässt es sich erschließen, wenn der Zuschauer sich auf Lynchs Fantasie und Erzählstruktur einlässt.
Zu Recht könnte sich der 1946 geborene Regisseur als Vorreiter der Mindfuck-Movie-Szene bezeichnen. Schon frühe Filme wie Eraserhead (1977) und Blue Velvet (1986) darf man dazuzählen. David Lynch ist ein künstlerisches Multitalent. Er arbeitet auch als Drehbuchautor, Filmproduzent und Schauspieler sowie als Fotograf, Maler und Komponist. Mit seinem ersten Musikalbum Crazy Clown Time beweist er sich sogar als Sänger.
Kultfilme zeichnen sich durch eine große, stetig wachsende Fangemeinde aus. Sie sind zeitlos und werden generationenübergreifend gefeiert, geliebt und gesammelt. Meistens zählen sie nicht zu den großen Blockbustern, sondern bestechen durch Tiefgang und künstlerischen Anspruch. Kultfilme sind auch immer Geheimtipps. Der DVD-Verkauf von Kultfilmen stagniert nicht und somit verlieren sie auch nie an Bedeutung. Das kann und darf man von fast allen David Lynch-Filmen erwarten. Auch seine Kultserie Twin Peaks wandert immer wieder über die Bildschirme.
Mulholland Drive hat in der International Movie Database (IMDB) mit 8 von 10 Punkten eine Top-Bewertung. Über 40.000 Zuschauer gaben dem Film eine 10: Mulholland Drive ist Kult! Tatsächlich gibt es viele Mindfuck-Filme, die es unter die Top 250 bei IMDB schaffen. Zum Beispiel auch David Finchers Fight Club oder Richard Kellys Donnie Darko, die beide durch Lynch-Filme inspiriert sind.
Einige kleinere Produktionen setzen oft den Hinweis „Ein Film in der Machart von David Lynch“ aufs DVD-Cover. Das muss nicht unbedingt für Qualität sprechen. Meist soll damit in der Filmbeschreibung zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich um einen Mindfuck-Film handelt, doch das kann nicht im Sinne des Erfinders sein – und auch Lynch könnte darüber wohl nur den Kopf schütteln. Idealerweise sollten die Macher eines Mindfuck-Filmes eben nicht im Vorfeld verraten, dass es sich um einen solchen handelt.
3 Licht ins Dunkel: Die Geschichte von Mulholland Drive
Wenn es um die Geheimnisse seiner Filme geht, schweigt David Lynch normalerweise wie ein Grab – und dennoch ist es möglich, sie zu entschlüsseln. So verwirrend der Film Mulholland Drive zunächst auch wirkt, es steckt eine runde und sinnhafte Geschichte dahinter, die man sich erschließen kann.
Lynch selbst regt uns dazu an, indem er uns für Mulholland Drive zehn Hinweise mit auf den Weg gibt, mit denen wir den Film deuten sollen. Das klappt natürlich nicht zwangsläufig. Nicht beim ersten Sehen und auch nicht beim fünften. Sie dürfen es aber gerne vorab noch einmal selbst versuchen, bevor ich seine Hinweise detailliert auflöse.
Zehn Hinweise von David Lynch
1. Schenken Sie dem Anfang des Filmes besondere Aufmerksamkeit: Zwei wichtige Hinweise finden sich bereits vor dem Eröffnungstitel.
2. Beobachten Sie, wann und wo rote Lampenschirme eine Rolle spielen.
3. Achten Sie darauf, wie der Titel des Filmes heißt, für den sich Adam Kesher Schauspielerinnen anhört und ansieht. Wird dieser Titel an einer anderen Stelle wiederholt?
4. Ein Unfall ist ein schreckliches Ereignis. Beachten Sie genau den Ort des Unfalls.
5. Wer gibt wem einen Schlüssel – und warum?
6. Achten Sie genau auf die Kleidung, den Aschenbecher, die Tasse Kaffee.
7. Was wird im Club Silencio gefühlt, beobachtet und gewonnen?
8. Hilft Camilla allein ihre Begabung?
9. Beobachten Sie genau die Vorkommnisse im Umfeld des Mannes hinter Winkie’s.
10. Wo ist Tante Ruth?
Wenn Sie jetzt noch verwirrter sind als vorher, dann macht das nichts. Wir fangen gleich mit der vollständigen Interpretation an. Wenn Sie nun den Film noch einmal ansehen möchten, um den Hinweisen nachzugehen: Tun Sie es! Sie können hier wieder einsteigen.
Mulholland Drive verstehen: Die Chronologie der Ereignisse
Lassen wir Lynchs Hinweise zunächst einmal beiseite und fangen ganz von vorne an. Zunächst scheint beim Zuschauer von Mulholland Drive die größte Verwirrung darin zu bestehen, dass die Geschichte nicht linear erzählt wird. Das heißt, die Chronologie der Ereignisse im Film entspricht nicht dem tatsächlichen Verlauf der Story. Das Ganze ist dann noch einmal umso schwieriger einzuordnen, weil der Film auf drei verschiedenen Erzählebenen verläuft.
Die Traumebene macht dabei den größten Teil aus. Die Realitätsebene ist in filmische Gegenwart und filmische Vergangenheit unterteilt. Dabei wird die Vergangenheit aus der Erinnerung der Hauptfigur Diane Selwyn (Naomi Watts) rekonstruiert und im Traum in Form ihres Alter Egos Betty Elms (Naomi Watts) verarbeitet, verändert und weitergesponnen.
Um den Film interpretieren zu können, ist es vorab wichtig, dass wir die Chronologie des Filmes den jeweiligen Erzählebenen zuordnen. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über alle Filmszenen – so, wie sie uns vom Anfang bis zum Ende präsentiert werden. Daneben wird erläutert, ob diese Szenen in der Ebene des Traums, der gegenwärtigen Realität oder der erinnerten Vergangenheit spielen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Leben der Diane Selwyn
Um das tatsächliche Leben der Diane Selwyn rekonstruieren zu können, müssen wir versuchen, die vielen Informationen zueinander in Relation zu setzen, die uns der Film auf den verschiedenen Erzählebenen präsentiert. So können wir Dianes Leben nachvollziehen und damit die Geschichte von Mulholland Drive chronologisch, an den Ereignissen orientiert und korrekt wiedergeben. Zunächst soll es also darum gehen, der Story einen Sinn zu geben und die Charaktere mit ihren Rollen in der gegenwärtigen Realität einzuführen.
Im Kapitel Schauspiel einer Träumenden gehen wir auf die entscheidenden Hinweise zur Herleitung ein – mögen diese auch noch so versteckt sein. Wichtig ist dabei, auch die sehr subtilen Hinweise und Symboliken zu beachten. Deren Auslegung bleibt letztlich immer mehrdeutig und anfechtbar, aber ohne sie wäre der Mindfuck auch nur halb so wirkungsvoll.
Auch wenn Sie sich im ersten Moment fragen, wie man auf diese Konstruktion beziehungsweise Rekonstruktion der Geschichte kommt – nehmen Sie diese bitte zunächst so in Kauf und lassen Sie Spekulationen beiseite. Es ist außerordentlich wichtig, die tatsächliche Rahmenhandlung zu kennen, um dann im Folgekapitel die Herleitung und Erklärung, warum diese Geschichte so – oder so ähnlich – stattgefunden haben muss, begreifen zu können.
Mulholland Drive erzählt also die Geschichte der Diane Selwyn, die aus dem kleinen Ort Deep River in Ontario, Kanada, stammt. In ihrer frühen Kindheit muss sie den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater und das Nichteinschreiten ihrer Mutter ertragen. Nachdem beide bei einem Autounfall umkommen, lebt die 16-jährige Diane fortan bei ihren Großeltern (Jeanne Bates, Dan Birnbaum). Auch dort ist ihr Alltag alles andere als schön. Anerkennung bekommt sie von ihren Großeltern nur durch herausragende Leistungen.
Um sich Liebe zu erkämpfen, die ihr schon durch die Eltern verwehrt blieb, versucht der Teenager auf viele erdenkliche Weisen, Oma und Opa stolz zu machen. Diane liebt es zu tanzen. Eines Tages gewinnt sie einen Jitterbug-Tanzwettbewerb, ihr bisher größter Erfolg. Zum ersten Mal erfährt sie den Zuspruch ihrer Großeltern, die mit ihrem Berufswunsch Schauspielerin einverstanden zu sein scheinen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Falscher Stolz: Dianes Großeltern
Als ihre Tante Ruth (Maya Bond), die als Casting-Agentin in Hollywood gelebt und gearbeitet hat, stirbt, wittert Diane ihre Chance, Kanada verlassen und gleichzeitig vor ihren Großeltern fliehen zu können. Da Tante Ruth Diane in ihrem bisherigen Leben kaum unterstützt hat, weil sie wohl selbst nicht so recht an Dianes Talent glaubte, möchte sie ihr noch einen Wunsch erfüllen: In ihrem Nachlass erlaubt Ruth erlaubt ihrer Nichte ihre Wohnung in Hollywood zu übernehmen. Solange die Miete immer bezahlt wird, darf Diane in der beliebten Wohnanlage 1612 Havenhurst bleiben . In einem Brief vermittelt sie ihr wichtige Kontakte und als Starthilfe erbt Diane noch etwas Geld.
In Hollywood bekommt Diane ein Vorsprechen bei der Casting-Agentur ihrer Tante, vermittelt durch deren Freund Wally Brown (James Karen). Gesucht wird die Hauptdarstellerin für die Sylvia North Story. Aus Rücksicht auf ihre kürzlich verstorbene, einflussreiche Tante bescheinigt man Diane zunächst Talent. Im Grunde lässt man sie aber nur aus Gefälligkeit vorspielen, für gut genug hält man sie nicht und Diane kann diesen Eindruck auch nicht revidieren.
Der Regisseur Bob Rooker (Wayne Grace) vergibt die Rolle an Camilla Rhodes (Laura Elena Harring). Diane lernt sie bei den Proben kennen und ist von ihrer Art zu spielen begeistert. Sie trifft sich ein paar Mal mit ihr und die beiden werden Freunde. Camilla vermittelt Diane ein paar Nebenrollen in Filmen, doch leben kann sie davon nicht und ein größerer Schauspiel-Job ist nicht in Sicht.
Schon bald kann Diane die Miete für das Appartement ihrer Tante nicht mehr aufbringen, sie muss Havenhurst verlassen und in einem schäbigen Parkhotel neues Quartier beziehen. Der dortige Besitzer heißt Cookie (Geno Silva). Auch an diesem Ort hat Diane ohne lukratives Engagement Schwierigkeiten, die Miete zu zahlen. Cookie sucht sie regelmäßig auf und verlangt sein Geld. Diane nimmt einen Job als Kellnerin im Schnellrestaurant Winkie’s an. Der Verdienst reicht hier zwar für ein normales Leben, doch Diane träumt weiter vom Dasein als Star und umgibt sich nach Feierabend mit wohlhabenden Leuten aus der Szene. Sie braucht mehr Geld für einen gehobenen Lebensstandard, um Anerkennung als Schauspielerin zu finden.
In ihrer Verzweiflung nimmt sie einen Job als Callgirl an und wird im „schwarzen Buch“ des Zuhälters Ed (Vincent Castellanos) registriert. Vor einigen Kunden ekelt sie sich, weil sie sich durch sie an den Missbrauch durch ihren Vater erinnert fühlt. Einer davon ist der reiche Produzent Luigi Castigliane (Angelo Badalamenti). Sie lässt den Sex über sich ergehen, weil sie sich ein Engagement in einem Film erhofft.
Einen weiteren reichen Filmproduzenten namens Mr. Roque (Michael J. Anderson) findet Diane aber so abstoßend, dass sie ihn als Kunden ablehnt, obwohl dieser bereit ist, ihrem Zuhälter Ed mehr Geld zu zahlen als notwendig. Immer wieder versucht Mr. Roque, sie über Mittelsmänner telefonisch zu erreichen. Ed ist sauer, aber kann Diane nicht überzeugen, kürzt ihr indessen ihren Eigenanteil an den Freiern. Diane ist nun gezwungen, auch auf dem Straßenstrich hinter dem Hotdog-Schnellrestaurant Pink’s Geld zu verdienen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Mr. Roque belästigt Diane über das Telefon.
Doch auch Camilla kann nicht allein von ihrem Talent leben. Sie muss ebenfalls Opfer bringen und sich im Filmgeschäft „hochschlafen“. Allerdings hat sie den richtigen Riecher, um Karriere zu machen. Durch ihre Schauspieltätigkeit hat Camilla etwas mehr Geld und beschließt, mit Diane zusammenzuziehen. Ihr neues Zuhause wird das Appartement Nr. 12 in der Sierra Bonita -Wohnanlage.
Bald kommen sich die beiden näher und beginnen eine leidenschaftliche Romanze. Doch während sich Diane unsterblich verliebt, bleibt sie für Camilla nur eine kurze Affäre. Camilla verliebt sich ihrerseits in den erfolgreichen Regisseur Adam Kesher (Justin Theroux), in dessen neuem Film sie eine Hauptrolle bekommt und durch den sie auf weitere Angebote hoffen kann. Sie zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus – auch, weil sie nichts mehr mit dem Rotlichtmilieu zu tun haben will und sich durch Dianes wenig angesehene Nebentätigkeit beeinträchtigt fühlt.
Während Camilla es in Hollywood dank ihrer Liaison mit Adam zu großem Erfolg bringt, ergeht es Diane immer schlechter. Es gibt Probleme auf dem Straßenstrich und Mr. Roque will sie immer noch nicht in Ruhe lassen. Joe (Mark Pellegrino), ihr Zuhälter auf dem Strich, sieht sich in starker Konkurrenz zu Dianes anderem Zuhälter Ed, der ihr wohlhabendere Kunden vermittelt. Über Diane erfährt er, wo und wie Ed seine Geschäfte verzeichnet: im schwarzen Buch. Er beschließt, Ed zu töten und ihm dieses Buch zu stehlen, um an Adressen von betuchten Kunden zu kommen, die er womöglich erpressen kann. Außerdem entledigt er sich durch den Mord seines Konkurrenten.
Diane kommt damit, und vor allem mit der Trennung von Camilla, nicht mehr zurecht. Sie wendet sich an den Therapeuten Herb, der ihr allerdings auch nicht helfen kann, mit ihren Ängsten klarzukommen. Diane beschließt, mit ihrer Nachbarin (Johanna Stein) die Appartements in der Sierra Bonita -Anlage zu tauschen. Sie zieht aus Appartement Nummer 12 in die Nummer 17, um sich vor Eds Hintermännern zu verstecken, die auf der Suche nach ihr sind. Camilla versucht indessen, wieder Kontakt zu Diane aufzunehmen, schläft sogar wieder mit ihr. Doch eines Tages – nach einem Schäferstündchen auf Dianes Couch – beendet Camilla auch das. Anschließende Versuche von Camilla, sich Diane wieder zu nähern, wehrt diese gekränkt ab. Dennoch hofft Diane, dass Camilla Adam verlassen und zu ihr zurückkommen wird. Sie will die endgültige Trennung nicht akzeptieren.
Doch Camilla hat sich entschieden: Sie will bei Adam bleiben. Während einer Filmprobe, in der Camilla die Hauptrolle und Diane eine durch sie vermittelte Nebenrolle spielt, versucht Camilla ihr zum letzten Mal klarzumachen, dass sie an einer Liaison mit ihr nicht mehr interessiert ist. Sie lässt Diane wissentlich leiden und knutscht vor ihren Augen mit Adam.
Als Camilla Diane eine Zeitlang später jedoch anruft, um sie zu einer Überraschung einzuladen, weckt das Telefonat neue Hoffnungen. Die angekündigte Überraschung stellt sich allerdings als Besuch auf Camillas und Adams Verlobungsfeier heraus: eine weitere Demütigung. Dort küsst Camilla erneut jemanden vor Dianes Augen, diesmal eine andere Frau (Melissa George). Anschließend lässt sie ihre geplante Heirat mit Adam verkünden. Am Nebentisch entdeckt Diane ihren Freier Luigi, der sie lüstern anschaut. Dianes Panik steigert sich ins Unermessliche; sie fühlt sich von allen um sich herum ausgenutzt, gedemütigt und betrogen.
[...]
- Citation du texte
- Christian Hardinghaus (Auteur), 2013, Mulholland Drive: Die Entschlüsselung. David Lynch und seine "Straße der Finsternis" verstehen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/214650
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