Judenfeindschaft in Deutschland ist nicht erst ein Phänome n der Neuzeit, auch wenn
man zugeben muss, dass der Holocaust während des Zweiten Weltkriegs alles bis dahin
erlebt und dokumentierte durch seine unvorstellbaren Ausmaße und unmenschliche
Grausamkeit bei weitem übertraf.
Ausschreitungen gegen Mitbürger jüd ischen Glaubens gab es in Deutschland schon
während des Mittelalters, doch wurden diese durch ein äußeres Ereignis hervorgerufen.
„Durch den vom Papst Urban II. befohlenen ersten Kreuzzug begannen im Jahre 1096
die deutschen Judenverfolgungen [...].“1
Einen geschichtlichen Abriss der Entwicklung der Beziehungen zwischen Juden und
Christen würde das Maß dieser Arbeit sprengen und auch deren Sinn verfehlen, wichtig
erscheint mir jedoch in diesem Zusammenhang, dass dieser religiöse Fanatismus eben
den Hauptunterschied zum modernen Antisemitismus darstellt.
Der Begriff ‘Antisemitismus’ ist eine Neubildung des letzten Drittels des 19.
Jahrhunderts und bezieht sich vielmehr auf eine rassenbiologische Trennung von Ariern
und Semiten, wohingegen ‘Antijudaismus’ eine Judenfeindschaft aufgrund religiöser
Gegensätze bezeichnet.2 Dass ich also in dieser Arbeit von antijüdischen und nicht von
antisemitischen Mustern spreche, ist definitorisch bedingt und schließt sich im Übrigen
der Meinung von Heiko A. Obermann an, der sich dafür aussprach, „[...] die
Judenfeindschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit mit ‘Antijudaismus’ zu
bezeichnen, da nicht in rassischen Kategorien gedacht worden sei.“3 [...]
1 Margit Frank: Das Bild des Juden in der deutschen Literatur im Wandel der Zeitgeschichte. Freiburg,
1987, S. 10.
2 Vgl. Christine Mittelmeier: Publizistik im Dienste antijüdischer Polemik. Spätmittelalterliche und
frühneuzeitliche Flugschriften und Flugblätter zu Hostienschändungen. Frankfurt am Main,
2000, S.33 f., im folgenden zitiert als Mittelmeier: Publizistik .
3 Mittelmeier: Publizistik. S.34. Mittelmeier erwähnt in diesem Zusammenhang, dass diese Abgrenzung
zum Antisemitismus dann problematisch oder nahezu unmöglich wird, wenn man die
Blutreinheitsgesetze in Spanien, die bei konvertierten Juden in Kraft traten, mitberücksichtigen
möchte.
Gliederung
1. Einleitung
2. Antijüdische Muster in spätmittelalterlicher Maerendichtung
2.1 „Die Wahrsagebeeren“ des Hans Folz
2.2 „Der falsche Messias“ des Hans Folz
3. Schluss
4. Bibliographie
5. Erklärung
1. Einleitung
Judenfeindschaft in Deutschland ist nicht erst ein Phänomen der Neuzeit, auch wenn man zugeben muss, dass der Holocaust während des Zweiten Weltkriegs alles bis dahin erlebt und dokumentierte durch seine unvorstellbaren Ausmaße und unmenschliche Grausamkeit bei weitem übertraf.
Ausschreitungen gegen Mitbürger jüdischen Glaubens gab es in Deutschland schon während des Mittelalters, doch wurden diese durch ein äußeres Ereignis hervorgerufen. „Durch den vom Papst Urban II. befohlenen ersten Kreuzzug begannen im Jahre 1096 die deutschen Judenverfolgungen [...].“[1]
Einen geschichtlichen Abriss der Entwicklung der Beziehungen zwischen Juden und Christen würde das Maß dieser Arbeit sprengen und auch deren Sinn verfehlen, wichtig erscheint mir jedoch in diesem Zusammenhang, dass dieser religiöse Fanatismus eben den Hauptunterschied zum modernen Antisemitismus darstellt.
Der Begriff ‘Antisemitismus’ ist eine Neubildung des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts und bezieht sich vielmehr auf eine rassenbiologische Trennung von Ariern und Semiten, wohingegen ‘Antijudaismus’ eine Judenfeindschaft aufgrund religiöser Gegensätze bezeichnet.[2] Dass ich also in dieser Arbeit von antijüdischen und nicht von antisemitischen Mustern spreche, ist definitorisch bedingt und schließt sich im Übrigen der Meinung von Heiko A. Obermann an, der sich dafür aussprach, „[...] die Judenfeindschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit mit ‘Antijudaismus’ zu bezeichnen, da nicht in rassischen Kategorien gedacht worden sei.“[3]
Ein besonderes Merkmal des christlich-mittelalterlichen Antijudaismus ist die Tatsache, dass das judenfeindliche Gedankengut nicht allein über Predigten, Flugschriften, Legenden, geistliche Spiele u.ä. verbreitet wurde, sondern dass auch die Vermittlung durch Bilder eine große Rolle spielte.[4] Figurale judenfeindliche Darstellungen an Kirchenportalen, wie zum Beispiel die in Stein verewigte „Opposition von trauernder Synagoge und siegreicher Ecclesia“[5], erreichten ein breites Publikum.
Aber auch die Schriftlichkeit unterstützte, neben ihrer großen Bedeutung für Verwaltung, Organisation und Rechtssicherheit in der Stadt, ein ausgeprägtes literarisches Leben, so gab es im Mittelalter eine „zunftspezifische Produktion und Rezeption bestimmter Werke.“[6] Und da der Rezipientenkreis für Literatur spätestens seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert auch die Darstellung von antijüdischen Stoffen erwartete, kann man in der Literatur antijüdische ‘Bilder’, Werner Röcke spricht hier von „sprachliche[n] Vorurteilsmuster[n]“[7], wiederfinden.
In der neueren Forschung haben sich einige Wissenschaftler bereits diesem Themenbereich angenommen. So untersucht zum Beispiel Christine Mittelmeier spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Flugschriften und Flugblätter zu Hostienschändungen anhand ausgewählter Beispiele in Bezug auf die darin enthaltenen Darstellungen von Juden. Sie unterscheidet dabei die Darstellung der Juden als Gottesmörder, der Juden als verstockt und blind (in Bezug auf den Erlöser Jesus Christus), der Juden als Verkörperung des Bösen, der Juden als Wucherer, der Juden in den Illustrationen (optische Charakteristika).[8]
Winfried Frey widmet sich hingegen in einem Aufsatz der Darstellung von Juden in spätmittelalterlichen Heiligkreuzspielen.[9]
Die aktuellste Forschungsliteratur zu diesem Thema ist der von Ursula Schulze 2002 herausgegebene Band „Juden in der deutschen Literatur des Mittelalters“[10], in dem elf Untersuchungen verschiedener Autoren veröffentlicht wurden, deren Quellen sich von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis ins 16. Jahrhundert erstrecken und verschiedene literarische Gattungen abdecken. Das gemeinsame Ziel besteht darin, in volkssprachlichen literarischen Texten christlich- jüdische Beziehungen zu untersuchen, die Beschaffenheit und den Gebrauch antijüdischer Stereotype aufzudecken.
Ziel der vorliegenden Arbeit soll es nun sein, durch möglichst textnahe Untersuchung antijüdische Muster in spätmittelalterlicher Maerendichtung aufzudecken. Diese ‘Muster’ sind teilweise offensichtlich, sie können aber auch in unterschwelligen Andeutungen versteckt sein. Man sollte aber nie außer Acht lassen, dass auch diese „latenten Formen einer Denunziation jüdischen Glaubens und jüdischen Lebens“[11] von dem zeitgenössischen Publikum erkannt und mit Gelächter quittiert wurden.
In der spätmittelalterlichen Maerendichtung gibt es mehrere Maeren, deren Handlungsverlauf von Judenfeindlichkeit gekennzeichnet ist. Dabei handelt es sich zum Beispiel um zwei Maeren des Hans Folz, um „Der falsche Messias“ und „Die Wahrsagebeeren“. Diese beiden Maeren sollen im Verlauf der Arbeit ausführlich bezüglich antijüdischen Darstellungen untersucht werden.
Was Hans Folz anbelangt, so ist dessen antijüdische Haltung kein Geheimnis mehr, zumal vor allem seine späten Schriften von unversöhnlichem Hass geprägt sind.[12] Es wird davon ausgegangen, dass er ab 1474 beim Rat der Stadt Nürnberg „ein offenes Ohr für seine antijüdische Polemik finden konnte und von der bekanntermaßen strengen Zensur des Rates nichts zu befürchten hatte.“[13]
Seine Texte haben eine historische Zwischenstellung, da die Progrome während den Pestjahren 1348-50 stattfanden und somit lang vor seiner Geburt (1435) sich zutrugen. In seiner Heimatstadt Nürnberg wurden die Juden aber erst endgültig 1498/99 vertrieben, was „[...] von Hans Folz offensichtlich ganz entschieden unterstützt worden ist.“[14]
Seinen literarischen Texten, die 1470/80 entstanden und somit vor der endgültigen Judenvertreibung in Nürnberg datiert sind, räumt Werner Röcke besondere Bedeutung bei:
„Sie reproduzieren und normieren die überkommenen Bilder der
Judenfeindschaft, nutzen sie zugleich aber auch für eine Mentalität
der Vorurteile, die schließlich zur endgültigen Vertreibung der
Juden aus Nürnberg führt.“[15]
Welche antijüdischen Mustern er in seinen Maeren verarbeitet, soll im folgenden untersucht werden.
2. Antijüdische Muster in spätmittelalterlicher Maerendichtung
2.1 „Die Wahrsagebeeren“ des Hans Folz
Dieses Maere liegt in zwei Fassungen vor, in einer älteren von 1479 (Nr. 9a) und in einer um 1485/86 neubearbeiteten gekürzten Fassung (Nr. 9b). Der darin verarbeitete Stoff wurde bereits in den ‘Facetien’ II 46 von Heinrich Bebel und in der 35. ‘Uhlenspiegel’ -Historie verwendet.[16][17]
Es beginnt in der ersten Fassung damit, dass ein abentewrer (9a, V.1) auf einem Jahrmarkt einen Händler erblickt, der für viel Geld Bisam[18] verkauft. Da diese Ware von weit her geschafft werden musste (Dort her von Allexandria; 9a, V.11) und ein seltenes Gut war, worauf in der zweiten Fassung gleich zu Beginn hingewiesen wird (Der pisem wart selten darna; 9b, V.2), handelte es sich um äußert wertvolle Ware. Dem Abenteurer geht dieses Erlebnis nicht mehr aus dem Kopf und [e]in nacht er drauff sinnen began ( 9b, V.8).
Während dessen kratz er sich an seinem Gesäß und fasst auf diese Weise in seine eigenen Exkremente. Die Freude darüber ist groß, denn er erkennt, dass er seinen eigenen Kot als Bisam verkaufen kann.
Er dachte: «das ist die pisemgrub,
Die man nent Lexselbander do.»
Herauß zoch er sie und was fro.
(...)
Verpant sie in ein neües glas,
Stund zu dem pesten auff ein placz
Und leit zu licht sein kauffmanschacz.[19]
[...]
[1] Margit Frank: Das Bild des Juden in der deutschen Literatur im Wandel der Zeitgeschichte. Freiburg, 1987, S. 10.
[2] Vgl. Christine Mittelmeier: Publizistik im Dienste antijüdischer Polemik. Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Flugschriften und Flugblätter zu Hostienschändungen. Frankfurt am Main, 2000, S.33 f., im folgenden zitiert als Mittelmeier: Publizistik.
[3] Mittelmeier: Publizistik. S.34. Mittelmeier erwähnt in diesem Zusammenhang, dass diese Abgrenzung zum Antisemitismus dann problematisch oder nahezu unmöglich wird, wenn man die Blutreinheitsgesetze in Spanien, die bei konvertierten Juden in Kraft traten, mitberücksichtigen möchte.
[4] Vgl. František Graus: Pest, Geißler, Judenmorde. Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit. Göttingen, 1988, S.277.
[5] Werner Rö> Antijudaismus und Dämonisierung des Fremden in der städtischen Literatur des späten Mittelalters. S. 124, aus: Thomas Müller (Hg.): „Nicht allein mit Worten“. Festschrift für Joachim Dyck zum 60. Geburtstag. Stuttgart- Bad Cannstatt, 1995, S.124-146, im folgenden zitiert als Rö>
[6] Matthias Schönleben: Antijüdische Motive in Schwänken und Fastnachtsspielen von Hans Folz. S.164, im folgenden zitiert als Schönleben: Antijüdische Motive. Aus: Ursula Schulze (Hg.): Juden in der deutschen Literatur des Mittelalters. Religiöse Konzepte- Feindbilder - Rechtfertigungen. Tübingen, 2002, S.163-182.
[7] Rö>
[8] Vgl. Mittelmeier: Publizistik. S.9f.
[9] Vgl. Winfried Frey: das jüdisch gsatz ihn welchem Gott gschicht großer tratz. Zur Darstellung von Juden in spätmittelalterlichen Heiligkreuzspielen. S. 183. Aus: Ulrich Mehler (Hg.): Mittelalterliches Schauspiel. Festschrift für Hansjürgen Linke zum 65. Geburtstag. Amsterdam- Atlanta, 1994, S.183-197.
[10] Ursula Schulze (Hg.): Juden in der deutschen Literatur des Mittelalters. Religiöse Konzepte- Feindbilder-Rechtfertigungen. Tübingen, 2002.
[11] Rö>
[12] Vgl. Edith Wenzel: » Do worden die Juden alle geschant « . Rolle und Funktion der Juden in spät- mittelalterlichen Spielen. München, 1992, S. 261, im folgenden zitiert als Wenzel: Rolle und Funktion.
[13] Edith Wenzel: Zur Judenproblematik bei Hans Folz. S.104. In: Zeitschrift für Deutsche Philologie 101(1982), S. 79-104, im folgenden zitiert als Wenzel: Judenproblematik.
[14] Rö>
[15] Rö>
[16] Ich zitiere nach der Ausgabe: Hans Folz: Die Reimpaarsprüche. Hg. von Hanns Fischer, München, 1961, Nr. 9a / 9b, S. 60-72, im folgenden zitiert als Folz: Wahrsagebeeren.
[17] Vgl. Kurt Ruh (Hg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Berlin- New York, 1980, S.783, im folgenden zitiert als Ruh: Verfasserlexikon.
[18] ‘Bisam’ bezeichnet das Sekret mehrerer Tierarten, heutzutage würde man es ‘Moschus’ nennen. Vgl. hierzu Rüdiger Brandt / Jürgen Fröhlich : Bisam, “Dreck” und “Unflat”. Pharma- kologisch- poetologische Implikationen eines Motivs in den ‘Wahrsagebeeren’ von Hans Folz und Historie 35 des ‘Eulenspiegel’. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 124 (1995), S.76-91, im folgenden zitiert als Brandt: Bisam.
[19] Folz: Wahrsagebeeren. S. 63, 9b, V.14-22.
- Quote paper
- Johanna Zeiß (Author), 2003, Antijüdische Muster in spätmittelalterlicher Maerendichtung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21397
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