Mehr als 70 Jahre nachdem Richard Alewyn Johann Beer in den 1930er Jahren als Romanautor wiederentdeckt hat und diese neue Rolle des seit Mattheson bekannten Hofmusikers und Verfassers musikalischer Schriften offenbarte, verfügt die Forschung dank Ferdinand van Ingen und Hans Gert Roloff über eine leicht zugängliche zwölfbändige Gesamtausgabe seiner Schriften. Neben den 21 Romanen finden sich in einem Doppelband auch die musikalischen Schriften Beers.
Diese sollen Ausgangspunkt sein für folgende Überlegung, für die wir einen flüchtigen Exkurs in Beers Biografie unternehmen müssen. Johann Beer schreibt alle seine Romane in sieben Jahren ab 1676. In diesem Jahr ist Beer 21 Jahre alt. Alle Romane erscheinen unter Pseudonymen und Beer selbst erwähnt sie mit keinem Wort in seinen Lebenserinnerungen. Ganz im Gegensatz zu den musikalischen Schriften, die unter seinem Namen und Titel als Konzertmeister am Sächsisch-Weißenfelser Hof erschienen. Diese namentlich erschienenen Schriften bergen genug Material für eine Aussage über die Musikauffassung des Musikers und Konzertmeisters. Diese Arbeit soll nun klären, ob wir diese Musikauffassung des Konzertmeisters Johann Beer am Hof bereits in seinen unter Pseudonymen erschienenen Romanen finden.
Dazu soll Beers Musikauffassung in einem ersten Schritt anhand der musikalischen Schriften beschrieben werden. Sowohl Beers „Musikalische Diskurse“ als auch die „Schola Phonologica“ bilden dafür die Basis. Danach soll in den Romanen nach Leitideen von Beers Musikauffassung gesucht werden und so etwaige Konsonanz oder Dissonanz zwischen den Musikauffassungen des literarischen und des musikalischen Beers ermittelt werden.
Inhalt
1. Einleitung
2. Beers Musikauffassung
2.1. Beers musiktheoretische Werke
2.1.1. Schola
2.1.2. Discurse
2.2. Allegorische Umsetzung: Der Musikalische Krieg / Bellum Musicum
3. Die Musikauffassung in den nicht musiktheoretischen Schriften
3.1. Musik, höchste der Künste: Distanzierung als Respektsbekundung?
3.2. Diskursive Einbindung in den Romanen
3.3. Von Bierfiedlern und Huren
3.4. Musik als Gleichnis des Lebens
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
„Was ist die Pausa generalis? – Der Todt.“
Aus Johann Beer: Pokazi.
1. Einleitung
Mehr als 70 Jahre nachdem Richard Alewyn Johann Beer in den 1930er Jahren als Romanautor wiederentdeckt hat und diese neue Rolle des seit Mattheson bekannten Hofmusikers und Verfassers musikalischer Schriften offenbarte, verfügt die Forschung dank Ferdinand van Ingen und Hans Gert Roloff über eine leicht zugängliche zwölfbändige Gesamtausgabe seiner Schriften. Neben den 21 Romanen finden sich in einem Doppelband auch die musikalischen Schriften Beers.
Diese sollen Ausgangspunkt sein für folgende Überlegung, für die wir einen flüchtigen Exkurs in Beers Biografie unternehmen müssen. Johann Beer schreibt alle seine Romane in sieben Jahren ab 1676. In diesem Jahr ist Beer 21 Jahre alt. Alle Romane erscheinen unter Pseudonymen und Beer selbst erwähnt sie mit keinem Wort in seinen Lebenserinnerungen. Ganz im Gegensatz zu den musikalischen Schriften, die unter seinem Namen und Titel als Konzertmeister am Sächsisch-Weißenfelser Hof erschienen. Diese namentlich erschienenen Schriften bergen genug Material für eine Aussage über die Musikauffassung des Musikers und Konzertmeisters. Diese Arbeit soll nun klären, ob wir diese Musikauffassung des Konzertmeisters Johann Beer am Hof bereits in seinen unter Pseudonymen erschienenen Romanen finden.
Dazu soll Beers Musikauffassung in einem ersten Schritt anhand der musikalischen Schriften beschrieben werden. Sowohl Beers „Musikalische Diskurse“ als auch die „Schola Phonologica“ bilden dafür die Basis. Danach soll in den Romanen nach Eckpunkten[1] von Beers Musikauffassung gesucht werden und so etwaige Konsonanz oder Dissonanz zwischen den Musikauffassungen des literarischen und des musikalischen Beers ermittelt werden.
2. Beers Musikauffassung
Das Studium Johann Beers musiktheoretischer Schriften offenbart, wie auch Irmgard Wirtz erkennt[2], viele Grundzüge einer spätbarocken Musikauffassung des Autors. Letztere soll in diesem Abschnitt anhand Beers musiktheoretischer Schriften erläutert werden. Die nachfolgende nähere Betrachtung der zwei großen musiktheoretischen Werke Johann Beers, die Schola Phonologica[3] sowie die Musicalischen Discurse[4], soll dieser Musikauffassung für die nachfolgenden Überlegungen zu den bedeutendsten Fragestellungen und Einflüssen in Beers Werk (die forma & materia-Frage, die Harmonie sowie das Verhältnis von Musik und Text) die nötige Substanz verleihen. Im Anschluss daran bietet die Analyse der Musikalischen Kriege weitere Substanz für die nachfolgende Beschäftigung mit Beers literarischem Oeuvre.
2.1. Die Schola phonologica
Die Schola phonologica[5] ist eine auf den ersten Blick durchschnittliche Kompositionsschule. Das vorliegende Exemplar, welches 2005 herausgegeben wurde, basiert auf einer Abschrift von 1732. Ein Original existiert nicht. Teilweise fehlen längere Kapitel, die noch bei Mattheson erwähnt werden. So zum Beispiel das 39. Kapitel und ein letztes 46. Kapitel. Die Schola ist strukturell und inhaltlich eng an bereits etablierte musiktheoretische Lehrwerke angelehnt und bietet zunächst wenig mehr, als andere zeitgenössische Traktate. Tonarten, Intervalle und Klauseln finden sich genauso wie die wichtigsten satztechnischen Regeln und ein umfangreiches Korpus zur Fugenkomposition. Besondere Nähe zur zeitgenössischen Literatur drängt sich in den Kapiteln 23 bis 32 der Schola auf, denn die darin verhandelten musikalisch-rhetorischen Figuren sind so bereits in den Traktaten Christoph Bernhards zu finden.[6] Noch bei Matthesons Kompositionslehre finden wir direkte Rückbezüge auf Bernhards Werk.[7]
Als innovativ kann allerdings Beers diskursiven Stil werten. Beinahe liberal formuliert er seine Regeln, wo zu allzu oft Dogmatismus vorherrschte. Bereits in der Vorrede postuliert Beer:
„Ich Verlange Niemands Kopf, von denen Achseln zu reißen, sondern will ihn mit den Pfaffen am Kahlenberge, gar gern einen jeden auf dem Rumpffe stehen laßen, und seine eigene Caprizze, als einen unbewegl. Satz aller Musicorum unangegriffen laßen. Denn warum soll ich einen andern die Freӱheit hemmen, von mir zu Judiciren, da ich meine nicht umdämmen lasse, von andern zu urtheilen?“
und „Niemand hebt des anderen seine Principia auf, wenn er seine eigene Publiciret.“[8]
So finden sich zum Beispiel in Kapitel 2: „CAP: II. De Doctrina Tonorum in Specie“ sowohl die italienischen Bezeichnungen für Tongeschlechter, als auch die griechischen und die „teutsche“ Umsetzung dieser. Beer stellt in den Raum, dass „sich die Meister, biß auf diesen Tag, so wohl wegen der Ordnung, als auch wegen der Anzahl der Tonen, annoch nicht verglichen haben. Statuiren demnach etliche 24, etliche 16, etliche 14, etliche 12, die meisten aber 8 Tone.“[9] Es werden mehrere Positionen von Beers vorgestellt, der gängigsten folgt er in seinen Ausführungen.
In gleichem Maße, wie Beers Vorgehensweise diskursiv erscheint, stellt er seine Musikauffassung hinsichtlich Tradition und Ästhetik beinahe dialektisch dar. Ebenfalls im Vorwort formuliert er gleich zu Beginn der Schola den Fluchtpunkt seiner Musik- und Kunstauffassung. Schon der Untertitel stellt letztere in Komprimierter Form dar:
„Vorrede. In welcher bewiesen wird, dass die Music seӱ, die vortrefflichste Kunst und Wissenschaft.“[10]
Und gleich der erste, für Beer ungewöhnlich kurze und prägnante Satz ist Beers Hauptthese, die er im gleichen Absatz syllogistisch beweisen will: „Nichts besteht ohne die Harmonie.“[11] Beer sieht die Harmonie als zentrales Moment allen Daseins. Sie ist eine prinzipielle Übereinstimmung bestimmter Sachverhalte (Himmel & Erde, Geist und Körper etc,), die in der Musik als aller vollkommenster aller Künste idealiter zur sinnlichen Anschauung gebracht werden kann. Harmonie ist das Grundprinzip der Welt und nur Musik kann sie fassbar machen.
Beer begründet die Überlegenheit der Musik gegenüber den übrigen septem artes liberales sakral: „was vor eine Kostbarkeit ist sie, wenn dadurch Gott, in alle Ewigkeit, von allen Außerwehlten, solle gelobet, und gepriesen weden.“ und „durch welche die Kinder des Himmels, ewig sollen erfreuet werden.“[12]
In gleichem Maße, wie die Harmonie das Grundprinzip der Welt sein soll, sollen auch Theorie und Praxis in Einklang gebracht werden. Dieser Praxisbezug unterscheidet Beers Schola von anderen zeitgenössischen Traktaten.[13]
Findet sich in der Schola bereits der Ansatz zum Diskursiven, setzt sie sich in den Musicalischen Diskursen sehr viel stärker durch, verlassen diese nämlich ausgetretene Pfade konventioneller Regelwerke.
2.2. Die Musicalischen Discurse
Johann Beers Musicalische Discurse sind aus mehreren Gründen eine Besonderheit in der musiktheoretischen Literatur des 17. Jahrhunderts. Allein die Form ist ein Novum: In 60 Kapiteln setzt sich Beer mit verschiedenen praktischen sowie philosophischen Problemen der Musik seiner Zeit auseinander. Das Werk besteht aus musikalische Glossen, Scherz- und Schimpfreden, die stets eine Art Erörterung und ein unterhaltsames, narratives Element beinhalten. Letzteres ist oft der syllogistischen Methode sowie dem Methaphern- und Allegoriereichtum geschuldet. Die kleinteilige, gezielte Auseinandersetzung mit einer Idee oder einem Problem erscheint ebenfalls ungewöhnlich für zeitgenössische Musikliteratur.[14]
Inhaltlich befasst sich Beer in den Discursen mit unterschiedlichsten Fragen der Ontologie, der Terminologie und Etymologie, der Norm, dem Generalbaß und weiteren kompositorischen Detailaspekten auch zur Problematik des mensuralen Proportionensystems. Inmitten dieser konkreten Fragen finden sich auch unverblümt wertende Vergleiche der Musik in Deutschland und Italien und bereits eingangs Antworten auf die kulturpessimistische Frage, „Aus was Ursachen die Music an vielen Orten degenerire?“
Hervorzuheben ist die diskursive Darlegung und Begründung von Beers Meinung, die Entfernung von Konvention, Autorität, Tradition und Transzendenz, und dass Beer in beinahe allen Beiträgen mehr Gewicht auf den zeitgenössischen Kontext und aktuellen Gebrauch legt. Wie auch in der Schola legt sich Beer auch in der Vorrede der Discurse methodisch fest: „Die Terminos angelangend ist zu wissen daß ich hierinnen nicht definitive, sondern discursive philosophiere.“[15] und „So disputiere ich auch secundo nicht rigorosum in modum, und seynd meine Argumenta nicht aus einer unüberwindlichen Vestung.“[16]
Doch was für damalige Verhältnisse als neuartig gewertet werden kann, erscheint aus heutiger Sicht eher befremdend: Folgt Beer einerseits einer modernen diskursiven Erkenntnismethode, begründet er andererseits seine Schlussfolgerungen mit dem tradierten Argumentations-verfahren der Analogiebildung, des Syllogismus.[17]
Neben gewiss wichtigen Fragen der moralischen Zulässigkeit von Oper und Musiktheater oder der Abwägung von erzieherischem Nutzen und moralischer Fragwürdigkeit von Musik findet man in den Diskursen ein klares ständisches Bestreben, nämlich die Verteidigung der Position ausgebildeter Berufsmusiker. Beer bekennt seine Aversion gegen unprofessionelles Musizieren der Hümper und Stümper, Wirtshausmusikanten und Dorforganisten und kritisiert das den Deutschen fehlende Gefühl für das Decorum.[18]
2.2.1. forma & materia
Interessanter als solche Werturteile, die sich sicherlich durch einen engen musizierpraktischen Realitätsbezug auszeichnen, erscheint allerdings das aus heutiger Sicht zentrale Kapitel der Discurse: „Ob die Regel aus dem Gehör, oder das Gehör aus der Regel komme?“.[19] Beer bemerkt gleich eingangs, dass diese Frage wiederum oft diskutiert wurde und es ebenso viele Befürworter für die eine, wie für die andere Meinung gäbe. Sogleich legt Beer seinen Standpunkt pointiert dar:
[...]
[1] Michael Heinemann stellt die Existenz dieser Eckpunkte bereits fest, geht aber nicht tiefer darauf ein. Heinemann, Michael: Stil und Polemik. Zur Musikanschauung von Johann Beer, in: Brandtner, Andreas und Neuber, Wolfgang (Hrsg.): Beer. 1655-1700. Hofmusiker, Satiriker, Anonymus. Eine Karriere zwischen Bürgertum und Hof, Wien 2000, S. 145.
[2] Wirtz, Irmgart: Musikauffassung und Poetik bei Johann Beer, in: Brandtner, Andreas und Neuber, Wolfgang (Hrsg.): Beer. 1655-1700. Hofmusiker, Satiriker, Anonymus. Eine Karriere zwischen Bürgertum und Hof, Wien 2000, S. 147.
[3] Beer, Johann: Sämtliche Werke, Hrsg. von van Ingen, Ferdinand und Roloff, Hans-Gert. - Bern ; Berlin ; Brüssel; Frankfurt a.M. ; New York ; Oxford ; Wien: Lang. Bd. 12. Musikalische Schriften, 2. Schola-Phonologica / hrsg. von Michael Heinemann aufgrund von Vorarbeiten von Elisabeth Lam-Bär und Peter Heßelmann, 2005.
[4] Ebd., Bd. 12. Musikalische Schriften, 1. Ursus Murmerat, Ursus Vulpinatur, Bellum Musicum, Musicalische Discurse, 2005.
[5] nachfolgend mit Schola abgekürzt
[6] Sowohl in den editorischen Beigaben der Schola von 2005 als auch bei Irmgard Wirtz und Michael Heinemann wird dieser direkte Bezug auf Christoph Bernhards „Tractatus compositionis augmentatus“ gezogen, es erschien lediglich in: Schütz, Heinrich: Die Kompositionslehre Heinrich Schützens in der Fassung seines Schülers Christoph Bernhard, Hrsg. von Joseph Müller-Blattau, Kassel 1963.
[7] Petersen-Mikkelsen, Birger: Die Melodielehre des Vollkommenen Capellmeisters von Johann Mattheson. Eine Studie zum Paradigmenwechsel der Musiktheorie des 18. Jahrhunderts, Eutin 2002, S. 206.
[8] Beides Schola, S. 14.
[9] Schola, S. 24.
[10] Schola, S. 9,
[11] Ebd.
[12] Ebd., S.12/13.
[13] Heinemann, Michael: Stil und Polemik. Zur Musikanschauung von Johann Beer, in: Brandtner, Andreas und Neuber, Wolfgang (Hrsg.): Beer. 1655-1700. Hofmusiker, Satiriker, Anonymus. Eine Karriere zwischen Bürgertum und Hof, Wien 2000, S. 137.
[14] Wirtz, S. 148.
[15] Discurse, S. 291.
[16] Ebd., S.292.
[17] Wirtz., S. 151.
[18] Vgl. Wirtz, S. 149.
[19] Discurse, S. 308-312.
- Citar trabajo
- Jens Fischer (Autor), 2009, Johann Beer als Musikschriftsteller, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/213316
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