Schon 1972 lag mit dem Bericht des Club of Rome zu den Entwicklungschancen unserer Welt ein Dokument vor, was angesichts begrenzter Ressourcen eine Aufforderung zu nachhaltigeren (Wachstums-)Strategien darstellte. Mit einem in den letzten Jahren (wieder) verstärkt geführten Diskurs zu Nachhaltigkeitsfragen werden auch „Die Grenzen des Wachstums“ erneut thematisiert. Dass nachhaltigere Strategien her müssen, daran besteht mittlerweile kein Zweifel mehr. Bleibt allerdings die Frage, von wem ausgehend eine nachhaltigere Gesellschaft zu denken ist. Wer ist Akteur dieser Bemühungen um mehr Zukunftsfähigkeit unserer belebten und unbelebten Umwelt? Dahinter steckt auch die Frage nach der Verantwortung für den Wandel. Bei wem sollte sie liegen, damit das Unterfangen Nachhaltigkeit Erfolg haben kann? Darum geht es in der vorliegenden Debatte aus der Zeitschrift „GAIA“.
Einführung
Schon 1972 lag mit dem Bericht des Club of Rome zu den Entwicklungschancen unse- rer Welt1 ein Dokument vor, was angesichts begrenzter Ressourcen eine Aufforderung zu nachhaltigeren (Wachstums-)Strategien darstellte. Mit einem in den letzten Jahren (wieder) verstärkt geführten Diskurs zu Nachhaltigkeitsfragen werden auch „Die Gren- zen des Wachstums“ erneut thematisiert. Dass nachhaltigere Strategien her müssen, dar- an besteht mittlerweile kein Zweifel mehr. Bleibt allerdings die Frage, von wem ausge- hend eine nachhaltigere Gesellschaft zu denken ist. Wer ist Akteur dieser Bemühungen um mehr Zukunftsfähigkeit unserer belebten und unbelebten Umwelt? Dahinter steckt auch die Frage nach der Verantwortung für den Wandel. Bei wem sollte sie liegen, damit das Unterfangen Nachhaltigkeit Erfolg haben kann? Darum geht es in der vorliegenden Debatte aus der Zeitschrift „GAIA“.
Nachhaltigkeit als politisches Anliegen des Einzelnen
„[...] Mehr oder weniger wird die Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung in den privaten Bereich abgeschoben - das kann im besten Fall wenig zielführend, im schlimmsten sogar kontraproduktiv sein. Denn Nachhaltigkeit ist eine Aufgabe der politischen Systeme. […] Die Aufgabe [des einzelnen Menschen, J.V.] ist es […], politisch für die Nachhaltigkeit einzutreten [...]“.2
Armin Grunwald stößt mit seiner These vom nahezu nutzlosen Engagement des einzelnen Verbrauchers in Nachhaltigkeitsfragen eine Debatte an, die in ihrem Verlauf vielfältige Herausforderungen und Hindernisse auf dem Weg zu einer nachhaltige(re)n Entwicklung deutlich werden lässt.
Von Haus aus Physiker, Mathematiker und Philosoph geht es Grunwald in seinem Arti- kel „Wider die Privatisierung der Nachhaltigkeit“ darum, klarzustellen, dass Nachhaltig- keit vordergründig eine politisch zu bewältigende Aufgabe ist. Er konstatiert eine Ver- schiebung der Erwartungen in Bezug auf Nachhaltigkeit „[...] weg von der politischen Ebene hin zum privaten Handeln [...]“3. Genau damit aber werde die Politik aus der Ver- antwortung genommen, die sie als solche eigentlich übernehmen müsse. Bilharz et al. missverstehen diese Anprangerung Grunwalds als „Bagatellisierung der Konsumenten- verantwortung“.4 Jedoch, so stellt Grunwald in einer späteren GAIA-Ausgabe5 klar, ist dies nicht die hinter seinem ersten Artikel liegende Absicht: „[...] Meine Rede richtet sich nicht gegen eine nachhaltige Lebensführung und sagt auch nicht, dass nachhaltiger Konsum grundsätzlich irrelevant sei [...]“6. Mit seinem Plädoyer für eine Politisierung der Nachhaltigkeit habe er vielmehr einen Warnschuss abgeben wollen. In Grunwalds Augen birgt die Fokussierung allein auf das Konsumentenhandeln - wie er sie in der öf- fentlichen Debatte beobachtet - die Gefahr des Selbstbetrugs. Letztlich geht es ihm um eine Desillusionierung. Seine mehrschrittige Diagnose baut zunächst auf Beobachtun- gen über die „Erwartungen an das private Nachhaltigkeitshandeln“ auf: den Konsumen- ten werde zunehmend die Verantwortung für Nachhaltigkeit zugeschrieben, privates Umweltbewusstsein- und handeln gerate stärker in den Fokus und mittels kompensatori- scher Elemente werde dem Konsumenten - da er sich von seinen Umweltsünden frei- kaufen könne - indirekt wieder die Verantwortung für mehr Nachhaltigkeit aufgebür- det.7 Seine Hauptthese „Nachhaltigkeit lässt sich nicht privatisieren“ stützt sich auf drei Argumente: Zunächst sei für die Privatperson die Wissensbeschaffung über nachhaltig- keitsrelevate Faktoren ihres Handelns äußerst schwierig. Dieses Wissen ist aber notwen- dig, „[...] um Nachhaltigkeitsbewertungen machen zu können [...]“8. Weiterhin stellt er die Prämisse, dass individuelles Handeln unmittelbar der Umwelt zugute komme, infra- ge. Grund für seine Zweifel an dieser Stelle sind gesellschaftliche intermediäre Ebenen, die zwischen privates Handeln und Auswirkungen auf die Umwelt zwischengeschaltet sein können und so eher konterkarierend oder gar kontraproduktiv wirken können.9 Sein letztes kritisches Argument ist demokratietheoretischer Natur: Indem privates Handeln bei Nachhaltigkeitsfragen unter öffentliche Beobachtung und öffentlichen Druck gestellt werde, werde „[...] die traditionelle und in liberalen Systemen wichtige Trennung in eine öffentliche und eine private Sphäre [aufgeweicht, J.V.] [...]“10. Charakteristisch für diese Aufweichung sei hierbei die „[...] Moralisierung des Konsumhandelns und eine Instrumentalisierung dieser Moralisierung für die Nachhaltigkeit [...]“11, welche nach Grunwalds Ansicht mit einem modernen und liberalen Staatsverständnis unvereinbar sind.
Worauf nun will Grunwald hinaus? Ihm geht es nicht um eine Schwächung der Konsu- mentenposition, sondern um eine Stärkung der politischen Position des Bürgers, der auch und gleichzeitig Konsument ist. Die Verpflichtungen des Individuums richteten sich nicht auf das private Konsum- und Umwelthandeln, sondern auf die politische Di- mension des individuellen Handelns.12 Nachhaltigkeit sei Aufgabe und Herausforderung für den Einzelnen, aber eben für den Einzelnen als politisch aktives Glied der Gesell- schaft. „[...] Die Macht der Individuen liegt nicht in ihrer Konsummacht […], sondern in ihrer politischen Macht [...]“13, welche z.B. darin bestehen könne, dass die politische Akteure, bzw. Vorgänge durch bürgerschaftliches Engagement in Richtung nachhaltig(er)er Lösungen gedrängt werden.
Was in der Macht der Konsumenten liegen kann
Wie bereits angesprochen wird Grunwalds These im Verlauf der Debatte stark kritisiert. Bilharz, der im Umweltbundesamt für Verbraucheraktivierung und Förderung nachhalti- gen Konsums zuständig ist, reagiert als Erster auf Grunwald. Unter dem kämpferischen Titel „Wider die Bagatellisierung der Konsumentenverantwortung“ legen er und weitere Autoren ein umfangreiches Plädoyer dafür ab, dass das Verhalten des Verbrauchers kei- neswegs unerheblich sei in Nachhaltigkeitsfragen. Unter der Prämisse, die Wahrheit lie- ge in der Mitte zwischen politischer und privater Verantwortung für Nachhaltigkeit14 werden fünf Gegenthesen aufgestellt: politische Entscheidungen sind ähnlich komplex wie Kaufentscheidungen und daher nicht gegeneinander auszuspielen, bzw. einander vorzuziehen15, „[...] Konsumentscheidungen senden immer auch politische Signale [...]“16, der Wirkungsgrad der sogenannten „peanuts“ kann in addierter Form durchaus mit dem der sogenannten „big points“ verglichen werden17, Verantwortungsübernahme und nachhaltiger(er) Konsum sind durch erweiterte Handlungsspielräume förderbar18 und (in Anlehnung an Beck) seien Konsumenten und Unternehmen als „subpolitische Akteure“ durchaus relevant19. Bilharz et al. schließen mit der Aufforderung, den Trend zu mehr Konsumentenverantwortung als nutzenswerte Chance zu sehen, statt ihn zu bekämpfen.20 Dabei scheint jedoch der Warnschuss Grunwalds missverstanden worden zu sein, denn die Verbraucherverantwortung zu bekämpfen, ist nicht seine Intention. Eine weitere Nouancierung der Debatte erreicht Siebenhüner, der im Anschluss an Bil- harz ebenfalls auf Grunwald reagiert und die Frage stellt: „Kann die Politik es richten?“21. Siebenhüner, der eine Professur für ökologische Ökonomie inne hat, stellt in Anlehnung an Ergebnisse der Forschung zum nachhaltigen Konsum beispielhaft fest, dass klimaschützendes Verhalten - wenn es in der Breite der Bevölkerung durch ent- sprechende Strategien/ Programme verankert werden kann - die Klimabilanz der BRD durchaus signifikant beeinflussen kann. Er stärkt Grunwalds Position, indem auch er Konsumenten als politisch Handelnde betrachtet; gleichzeitig unterstützt er Bilharz' An- liegen, den Wert der „peanuts“ herauszustellen. Siebenhüner diskutiert die Möglichkei- ten und Grenzen politischer Steuerung und findet - wie auch Bilharz - die Wahrheit in der Mitte: „[...] Es gilt […], das Politische innerhalb der gesellschaftlichen Teilsysteme zu begreifen […], zu stärken und die Gestaltungsmöglichkeiten in diesen Systemen für Nachhaltigkeitsinitiativen zu nutzen [...]“22.
Wie bereits oben angeführt, reagiert Grunwald in einer weiteren Ausgabe auf seine Kri- tiker und stellt klar: „[...] Ich meine eine Politisierung der Nachhaltigkeit im Sinne des politischen Engagements der Bürger[...], aber keine Verstaatlichung […] [Hervorhebun- gen im Original]“23. Die Verhältnisbestimmung zwischen politischem und Konsumhan- deln stellt seiner Ansicht nach den größten Dissens in dieser Debatte dar.24 Was kann Politik? Was darf sie? Grunwald setzt einen neuen Akzent, indem er versucht, nachhalti- ges Konsumhandeln vor dem Kontext einer nachhaltigen Lebensweise zu betrachten. In dieser ganzheitlicheren Sicht kann er dann auch politisches Engagement verorten. „[...] Die Forderung nach pragmatischer Konstistenz […] verpflichtet alle, die sich politisch für nachhaltige Entwicklung einsetzen, mindestens auf ein Bemühen um eine ,nachhalti- ge Lebensführung' und entsprechenden Konsum [...]“.25
In der übernächsten Ausgabe schalten sich Heidbrink et al. in die Debatte ein. Sie arbei- ten die Notwendigkeit heraus, dass dem Bürger von staats wegen gezeigt werden muss, wo nachhaltigkeitsrelevantes Handeln in seinem eigenen Interesse liegt. Die These, dass die „[...] Förderung nachhaltiger Konsum- und Nutzungspraktiken […] an den Ent- scheidungskontexten, die das Alltagsverhalten von Konsumenten beeinflussen […]“26 ansetzen müsse, stellen sie ihren Überlegungen voran. Heidbrink et al. kontextualisieren die Nachhaltigkeitsfrage mit Betrachtungen zu Konsumentenmentalität und Lebensstil. Grunwalds Plädoyer für eine ganzheitlichere Sicht in dieser Debatte wird hier mit Über- legungen zur Gesellschaft und ihrer politischen Beeinflussbarkeit Rechnung getragen. Einen hilfreichen Ansatzpunkt, um nachhaltigkeitsrelevante Entscheidungen zu fördern, sehen die Autoren im Konzept des „libertären Paternalismus“ (Thaler et al.). Danach ist es die Aufgabe des Staates, die Handlungskontexte von Menschen förderlich zu gestal- ten.27 Ihrer Ansicht nach, sei der „[...] libertäre Paternalismus […] ein sozialpolitisches Governanceverfahren, mit dem es gelingen kann, die Idee des gestaltenden Staates mit dem Ideal der freien Selbstbindung der Bürger zu verknüpfen [...]“28.
Einen abschließenden Beitrag zu dieser Debatte liefern Petersen et al. im direkten An- schluss an Heidbrink. Petersen, dessen Arbeitsschwerpunkt politische Ökonomie der Umweltpolitik ist, hakt bei der Verhältnisbestimmung von konsequenter Nachhaltig- keitspolitik und individueller Freiheit ein. Dort scheine es zu einem Spannungsverhält- nis zu kommen.29 Bilharz' Argument, privates Konsumhandeln sei schon politisch, hal- ten Petersen et al. für fragwürdig und setzen deshalb beim Begriff der Verantwortung an. Sie kommen zum Schluss: „[...] Konsument(inn)en können prinzipiell keine politi- sche Verantwortung für Nachhaltigkeit übernehmen, weil es ihnen an notwendigem Wissen und auch Macht fehlt, sicherzustellen, dass ihr Handeln tatsächlich nachhaltig- keitsfreundliche Folgen hat [...]“30.
Abschließende Bewertung der Debatte
Es scheint, als sei im Verlauf der Debatte ein Bogen geschlagen worden.
Seinen Anfang nimmt der Diskurs mit Grunwalds Warnung vor einer Privatisierung der Nachhaltigkeit. Er sieht darin die Gefahr, die Politik könne aus ihrer Verantwortung ent- lassen werden, die sie aber in größerem Maße als der Verbraucher für Nachhaltigkeit zu tragen habe. Im Fortgang wird engagiert über die Konsumentenverantwortung disku- tiert. Wer soll es richten - Staat oder Verbraucher oder beide? In letzterem Fall wäre die Frage der Verhältnisbestimmung zu klären. Heidbrink et al. zeigen einen Weg mit dem Konzept des „libertären Paternalismus“ auf, sind sich aber der zu bewältigenden Grat- wanderung hierbei bewusst. Abschließend wird nun durch Petersen et al. der Bogen zu Grunwalds Ausgangsthese insofern geschlagen, als dass auch sie die Verlagerung der politisch zu tragenden Nachhaltigkeitsverantwortung auf die Schultern des Konsumen- ten ablehnen.
[...]
1 Vgl. Meadows et al. (1973): Die Grenzen des Wachstums.
2 Grunwald (2010): Wider die Privatisierung der Nachhaltigkeit. In: GAIA 19/3, S. 178.
3 Ebda.
4 Vgl. Bilharz (2011): Wider die Bagatellisierung der Konsumentenverantwortung. In: GAIA 20/1, S. 9- 13.
5 Vgl. Grunwald (2011): Statt Privatisierung: Politisierung der Nachhaltigkeit. In: GAIA 20/1, S. 17-19.
6 Ebda., S. 17.
7 Vgl. Grunwald (2010): Wider die Privatisierung der Nachhaltigkeit. In: GAIA 19/3, S. 178f.
8 Ebda., S. 179.
9 Vgl. Ebda., S. 179 u. 180.
10 Ebda., S. 180.
11 Ebda.
12 Vgl. Grunwald (2010): Wider die Privatisierung der Nachhaltigkeit. In: GAIA 19/3, S. 181.
13 Ebda., S. 182.
14 Vgl. Bilharz et al. (2011): Wider die Bagatellisierung der Konsumentenverantwortung. In: GAIA 20/1, S. 9.
15 Vgl. Ebda., S. 10.
16 Ebda.
17 Vgl. Ebda., S. 11.
18 Vgl. Ebda., S. 11f.
19 Vgl. Ebda., S. 12.
20 Vgl. Bilharz et al. (2011): Wider die Bagatellisierung der Konsumentenverantwortung. In: GAIA 20/1, S. 13.
21 Siebenhüner (2011): Kann die Politik es richten?. In: GAIA 20/1, S. 14.
22 Ebda., S. 16.
23 Grunwald (2011): Statt Privatisierung: Politisierung der Nachhaltigkeit. In: GAIA 20/1, S. 18.
24 Vgl. Ebda., S. 17.
25 Ebda., S. 18.
26 Heidbrink et al. (2011): Nachhaltiger Konsum durch politische Selbstbindung. In: GAIA 20/3, S. 152.
27 Vgl. Ebda., S. 154.
28 Ebda., S. 155.
29 Vgl. Petersen et al. (2011): Politische Verantwortung für Nachhaltigkeit und Konsumentensouveräni- tät. In: GAIA 20/3, S. 157.
30 Ebda., S. 160.
- Citation du texte
- Janka Vogel (Auteur), 2012, Mehr Nachhaltigkeit in unserer Gesellschaft - aber wie?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/213126
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