Von 1934 bis 1945 wurden im gesamten Deutschen Reich rund 400.000 Menschen zwangssterilisiert. Darüber hinaus gab es neben den legalen auch illegale Sterilisationen. Betroffen waren davon einerseits Insassinnen und Insassen von Heil- und Pflegeanstalten, die ohne vorher sterilisiert worden zu sein, die Anstalt nicht verlassen durften, andererseits auch „fremdvölkische“ Arbeiterinnen
Inhalt
1. Einleitung
2. Geschichtliche Entwicklung der Eugenik
2.1. Entwicklung der Eugenik vor 1933
2.2. Entwicklung der Eugenik im Nationalsozialismus
3. Positive und negative eugenische Maßnahmen der Nationalsozialisten
3.1. Positive eugenische Maßnahmen
3.1.1. Kinderbeihilfe für kinderreiche Familien
3.1.2. Ausbildungsbeihilfen für kinderreiche Familien
3.1.3. Hinterbliebenenbeihilfe für Angehörige von gefallenen Soldaten der Wehrmacht
3.1.4. Ehrenkreuz der deutschen Mutter
3.1.5. Ehestandsdarlehen
3.1.6. “Biologische Ehevermittlungszentrale“ und „Hilfe bei der Gattenwahl“
3.1.7. Abtreibungsbekämpfung
3.2. Negative eugenische Maßnahmen
3.2.1. Eheverbote
3.2.2. Vernichtung von Erbkranken in Euthanasiestätten
4. Propaganda des NS-Regimes für die Zwangsterilisationen
4.1. NS-Propaganda-Filme
4.2. Statistiken und Rechenbeispiele
5. Rechtsgrundlage für die Sterilisationen
5.1. Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933
5.2. Erste Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
5.3. Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 26. Juni 1935
5.4. Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 4. Februar 1936
5.5. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und des Ehegesundheitsgesetzes vom 31. August 1939
6. Die Gesundheitsämter
6.1. Errichtung der Gesundheitsämter
6.2. Tätigkeitsbereiche der Gesundheitsämter
7. Die Rolle der Ärzte bei den Zwangssterilisationen
8. Erbgesundheitsgerichtsbarkeit
8.1. Struktur der Gerichte
8.2. Das Verfahren allgemein
8.3. Verfahrensgrundsätze
8.3.1. Prüfung von Amts wegen
8.3.2. Ermittlungsverfahren
8.3.3. Nichtöffentlichkeit
8.3.4. Beschlussfassung
8.3.5. Beschwerde gem §§ 9 und 10 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
8.3.6. Wiederaufnahme gem § 12 Abs 2 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
8.3.7. Kosten des Verfahrens
8.3.8. Problem der Gewaltenteilung bei den Sterilisationsverfahren
9. Ablauf der Sterilisationen
9.1. Auswahl und Anzeige
9.1.1. Definition von Erbkrankheit
9.1.2. Antragsberechtigung
9.1.3. Anzeigepflicht
9.1.4. Antragspflicht
9.1.5. Ausnahmetatbestände laut Art. 1 der 1. AVO:
9.1.5.1. Fortpflanzungsunfähigkeit
9.1.5.2. Lebensgefahr durch operativen Eingriff
9.1.5.3. Dauernde Anstaltsbedürftigkeit
9.2. Ärztliches Gutachten
9.3. Gerichtliche Entscheidung
9.4. Durchführung der Sterilisationen
9.5. Die Kosten des Eingriffs
10. Widerstand gegen die Zwangssterilisationen
10.1. Widerstand von Betroffenen
10.2. Widerstand von Nicht-Betroffenen
11. Schlusswort
1. Einleitung
Die vorliegende Diplomarbeit behandelt Zwangssterilisationen während der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland und Österreich.
Um das Wort „Zwangssterilisation“ zu definieren, bedarf es einer Trennung des aus zwei Wörtern zusammengesetzten Begriffes. Unter „Sterilisation“ versteht man „Unfruchtbarmachung“.[1] Beim Wort „Zwang“ gestaltet sich die Definition schwierig. Unter Zwang versteht man im Allgemeinen die Ausübung von Druck auf jemanden.[2] Zwang im juristischen Sinn ist die „Einwirkung auf einen Menschen oder eine Sache mit Gewalt“.[3] Ab wann liegt Zwang vor? Ist die bloße Androhung von Zwang auch schon Zwang? Die Grenzen zwischen Freiwilligkeit und Zwang verschwimmen. In der vorliegenden Arbeit wird das Wort Zwang im allgemeinen Verständnis verwendet, denn es liegt sicherlich auch eine Form von Zwang vor, wenn auf einen Menschen ein solcher Druck ausgeübt wird, dass er sich „freiwillig“ sterilisieren lässt.[4]
Von 1934 bis 1945 wurden im gesamten Deutschen Reich rund 400.000 Menschen zwangssterilisiert.[5] Darüber hinaus gab es neben den legalen auch illegale Sterilisationen. Betroffen waren davon einerseits Insassinnen und Insassen von Heil- und Pflegeanstalten, die ohne vorher sterilisiert worden zu sein, die Anstalt nicht verlassen durften, andererseits auch „fremdvölkische“ Arbeiterinnen.[6] Mehrere tausend Sterilisationsopfer starben an den Folgen des Eingriffes, 90 Prozent der Todesopfer waren Frauen. Ob aufgrund der vielen Opfer die Zwangssterilisation als erster Teil der Massenvernichtungen der Nationalsozialisten anzusehen ist, ist strittig. Vom überwiegenden Teil der zeitgenössischen AutorInnen wird die Sterilisationspolitik schon als Teil der nationalsozialistischen Mordpolitik gesehen, da sie ähnlich wie die Euthanasie zur „Ausmerzung“ von rassisch Minderwertigen diente.[7] Anderer Ansicht waren Autoren zur Zeit des Nationalsozialismus: Sterilisation sei „humaner“ als Euthanasie, sei „schonend und liebevoll“ und mache Euthanasie langfristig „überflüssig“..[8]
Grundlage für diese Sterilisationen war das Gesetz zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“.[9] Mit diesem Gesetz wollte man minderwertiges Erbgut ausschalten und die „hemmungslose Fortpflanzung“[10] Minderwertiger vermeiden. Das Gesetz war 11 Jahre wirksam, in dieser Zeit wurden auch außerhalb dieser gesetzlichen Grundlage Sterilisationen ohne Wissen oder Willen der Opfer durchgeführt.
Es wurden gleich viele Frauen und Männer sterilisiert, dennoch sollte man die Sterilisation beider Geschlechter differenziert betrachten. Durch den komplizierten Ablauf der Operation ging der Eingriff bei Frauen viel öfter tödlich aus als bei Männern.[11] Es ist jedoch verfehlt, hier Frauen als Opfer - Männer als Täter darzustellen. Viele Frauen waren damals schon in Sozialberufen tätig und hatten dadurch mit den Zwangssterilisationen auch auf der Täter-Seite zu tun.[12]
Auf unterster Verwaltungsebene entschieden über diese Zwangssterilisationen die so genannten Gesundheitsämter. Diese Ämter waren nach Reichsgauen (Bezirken) aufgeteilt. Sie entschieden über finanzielle Beihilfen, Heiratserlaubnis und Sterilisationen. Besetzt waren sie mit Verwaltungsbeamten und Amtsärzten, die in Österreich oftmals noch aus der Gesundheitsverwaltung vor der nationalsozialistischen Herrschaft stammten.[13]
Um das Thema Zwangssterilisation zu erörtern, werde ich zunächst auf die geschichtliche Entwicklung der Eugenik eingehen und klar zu legen versuchen, weshalb die gesetzliche Regelung und die Durchführung der Sterilisationen in der Bevölkerung auf so wenig Widerstand stießen. Daran anschließend folgt eine Auflistung der wichtigsten eugenischen Maßnahmen der Nationalsozialisten. Die Zwangssterilisation stellt nur einen Teil von vielen Maßnahmen dar, die zur „Höherentwicklung“[14] der „deutschen“ Rasse führen sollten. Viele bevölkerungspolitische Maßnahmen dienten dazu, möglichst umfassende Daten über die Bevölkerung und somit auch über potentielle Sterilisationskandidaten zu sammeln. Die folgenden Beispiele sollen aufzeigen, wie man die Bevölkerung für den bevorstehenden eugenischen Kurs gewinnen wollte. Nach einer Erörterung der Rechtsgrundlagen für Sterilisationen werde ich auf die Errichtung, Funktionen, Struktur und Zusammensetzung der Gerichte eingehen, die über die Sterilisationen zu entscheiden hatten. Der Hauptteil der Arbeit besteht aus dem Ablauf der Sterilisationen in Verbindung mit den gesetzlichen Vorgaben. Der Widerstand gegen Sterilisationen, von Betroffenen und Nicht-Betroffenen wird den Abschluss der Untersuchung bilden.
2. Geschichtliche Entwicklung der Eugenik
2.1. Entwicklung der Eugenik vor 1933
Die Vorstellung, die Verbreitung von Erbkrankheiten durch erbschädigende Einflüsse verhüten zu können, ist keine Erfindung des Nationalsozialismus. Auch war Eugenik nicht nur auf Deutschland und Österreich beschränkt. Vertreter dieser Ideologie waren in Nordamerika, Australien und vielen europäischen Ländern zu finden.[15] Die Anfänge der Erbgesundheitslehre sind Mitte des 19. Jahrhunderts bei den Naturwissenschaften zu suchen. Das Buch des Briten Charles Darwin „On the Origins of Species“ („Die Entstehung der Arten“) erschien 1859. Es beinhaltet eine neue Theorie über die Entwicklung der Natur: die Evolutionstheorie. Darwin ging davon aus, dass Arten von Lebewesen nicht unverändert bleiben, sondern sich entwickeln. Den Mechanismus, den er dafür verantwortlich machte, nannte er „natürliche Selektion“. Sir Francis Galten entwickelte Darwins Lehre weiter (sog. Sozialdarwinismus). Er wollte durch die praktische Anwendung des Selektionsprinzips schönere, klügere und gesündere Menschen züchten. Er erarbeitete verschiedene Konzepte, wie die Erbgesundheit einer Bevölkerung zu verbessern sei. Diese biologische Verbesserung sollte durch ein System von verschiedenen Anreizen und Zwangsmaßnahmen erreicht werden.[16]
Der Zoologe und Anatom Ernst Haeckel machte mit seinem Buch „Die Welträtsel“, das 1899 erschien, Darwins Evolutionstheorie in Deutschland und Österreich bekannt. Über 500.000 verkaufte Exemplare sind ein Beweis für das damals große Interesse am Thema Eugenik. Haeckel entwickelte die sogenannte Menschenpyramide: Er stellte den „weißen Menschen“ an die Spitze, die „niedrigen Menschenrassen“, wie Papua-Menschen und Hottentotten, siedelte er nahe bei den Menschenaffen an.[17] „Diese Naturmenschen stehen in psychologischer Hinsicht näher den Säugetieren (Affen, Hunden) als dem hochzivilisierten Europäer; dafür ist auch ihr individueller Lebenswert ganz verschieden zu beurteilen.“, schreibt Ernst Haeckel in seinem Werk „Die Lebenswunder“.[18] Aus dieser Rangordnung der Menschenrassen folgerte Haeckel, dass die Vormachtstellung der deutschen „Rasse“ nur durch eugenische Maßnahmen gesichert werden könne. In diesem Zusammenhang plädierte er für die Tötung schwächlicher, kränklicher Neugeborener.[19]
Ähnliche Vorschläge hatte auch der Sozialdemokrat Alfred Ploetz. Der Arzt und Eugeniker gab in seinem Buch „Die Tüchtigkeit der „Rasse“ und der Schutz der Schwachen“ sehr konkrete Anweisungen, wie man die deutsche „Rasse“ verbessern könnte: „Stellt es sich trotzdem heraus, dass das Neugeborene ein schwächliches oder missgestaltetes Kind ist, so wird ihm von einem Ärzte-Kollegium, das über den Bürgerbrief der Gesellschaft entscheidet, ein sanfter Tod bereitet, sagen wir durch eine kleine Dosis Morphium. Die Eltern, erzogen in strenger Achtung vor dem Wohl der Rasse, überlassen sich nicht länger rebellischen Gefühlen, sondern versuchen frisch und fröhlich ein zweites Mal, wenn ihnen dies nach ihrem Zeugnis über Fortpflanzungsfähigkeit erlaubt ist.“[20] Ploetz ging, als die deutsche Sozialdemokratie verboten wurde, in die Schweiz ins Exil. In Zürich kam er mit den Ansichten des Psychiaters und Sozialreformers Auguste Forel[21] in Kontakt, der als Ausweg aus der Degenerationsproblematik die Sterilisation von „Trägern schlechter Keime“ vorschlug und dies auch in der von ihm geleiteten Psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich praktizierte.[22] Ein weiterer Sozialdemokrat, Karl Kautsky veröffentlichte 1910 eine Arbeit mit dem Titel „Vermehrung und Entwicklung in Natur und Gesellschaft“: Er kritisierte, dass die Medizin „weit weniger die Kunst, kranke Menschen zu heilen ist, als kranken Menschen das Leben zu verlängern und damit die Möglichkeit, Kinder in die Welt zu setzen.“[23] Kautsky war gegen eine zwangsweise Durchsetzung der eugenischen Maßnahmen. Er setzte vielmehr auf das „Einsehen“ der Betroffenen und hoffte, „dass alle kränklichen Individuen, die kranke Kinder zeugen können, auf die Fortpflanzung verzichten, was bei dem heutigen Stande der Technik, wie wir schon wissen, nicht mehr Verzicht auf die Ehe in sich schließen braucht.“[24]
Durch den Ersten Weltkrieg verschärften sich die eugenischen Positionen. Die „negative Selektion des Krieges“ kostete vielen jungen, „gesunden“ Männern das Leben.[25] Die Eugeniker befürchteten, dass sich durch den Verlust der erbgesunden Männer die „Minderwertigen“ ungebremst vermehren könnten. Dazu kam in den Zwanzigerjahren die große staatliche Finanzkrise, wodurch die Frage nach der Leistbarkeit der Fürsorge für die „Minderwertigen“ auftrat. Lösungsansätze für die finanziellen Probleme wurden in Zwangssterilisation „Minderwertiger“ und der Tötung von „lebensunwertem Leben“ gesehen. Eugenische Konzepte wurden in allen Industriestaaten diskutiert. Eine Reihe von Publikationen[26] setzte sich mit der Thematik auseinander. Alle Autoren verfolgten das Ziel, eine Vermehrung „Minderwertiger“ zu verhindern, unterschiedlich waren jedoch die vorgeschlagenen Maßnahmen. Während konservative Eugeniker staatliche Zwangsmaßnahmen befürworteten (Asylierung oder Zwangssterilisation), zielten progressive Vertreter auf die Einsicht der Betroffenen ab (Einsatz von empfängnisverhütenden Mitteln, die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, sowie die freiwillige Unfruchtbarmachung).[27]
2.2. Entwicklung der Eugenik im Nationalsozialismus
Der Nationalsozialismus nahm die Ergebnisse der eugenischen Diskussion auf und entwickelte sie weiter. “Die gesunde deutsche Familie – Die Sicherung Deutschlands“ stand auf Propagandaplakaten der Nationalsozialisten. Die kleinste Zelle der Volksgemeinschaft war nach nationalsozialistischer Auffassung die Familie, die besonders gefördert werden sollte. Die Scheidung derer, die Mitglieder der deutschen Volksgemeinschaft sein sollten, und jener, die davon auszuschließen waren, war die Voraussetzung für die Entfernung der Menschen, die nicht in das deutsche Idealbild passten. Durch verschiedene Messinstumentarien, wie Augenfarben- und Haarfarbentafeln oder Tasterzirkel zur Vermessung des Schädels wurde der „arische Rassestandard“ festgelegt und entsprechende erbbiologische Untersuchungen sollten „Minderwertige“ aufspüren. Ein Netz von Institutionen und Maßnahmen wurde für diese Ermittlungsaufgabe geschaffen. Am Ende dieser Erfassung von „Asozialen“, „Erbkranken“ oder „rassisch Minderwertigen“ standen oftmals Zwangssterilisation, Arbeitserziehungslager, Anstaltseinweisung und Tötung.[28]
Um ein „perfektes“, „gesundes“, „deutsches“ Volk zu werden, setzte man verschiedene Maßnahmen ein. Einerseits wollte man alle der Norm entsprechenden Volksgenossen fördern (positive Eugenik), andererseits das „Nichtdeutsche“ und „Nichtgesunde“ unterbinden, ja sogar vernichten (negative Eugenik).
3. Positive und negative eugenische Maßnahmen der Nationalsozialisten
Im Folgenden sollen die wichtigsten eugenischen Maßnahmen vorgestellt werden, die neben den Zwangssterilisationen zur Erreichung der „Züchtungsziele“ für die deutsche Rasse führen sollten.[29] Die positive Eugenik diente neben der Förderung von erbgesunden, deutschen Bevölkerungsmitgliedern auch der Sammlung möglichst vieler Daten über die Bevölkerung. Ein Bündel sozialpolitischer Maßnahmen sollte dazu dienen, arische, erbgesunde Familien zu unterstützen, um die Geburtenzahl zu erhöhen. Zu diesem Zweck wurden Kinderbeihilfe, Kindergeld, Ehestandsdarlehen und Familienbeihilfen eingeführt. Die negative Eugenik sollte anfangs die Zahl der rassisch „Minderwertigen“ und der erbkranken „Ballastexistenzen“ minimieren, später sogar völlig vernichten. Im Folgenden werden jedoch nur die gesundheitspolitischen, nicht die rassepolitischen Maßnahmen vorgestellt, da diese in engerem Zusammenhang zur Zwangssterilisation stehen.
3.1. Positive eugenische Maßnahmen
3.1.1. Kinderbeihilfe für kinderreiche Familien
Die Kinderbeihilfe war nur für erbgesunde deutsche Kinder vorgesehen.[31] Die Erbgesundheit der Kinder hatte der Amtsarzt zu bestätigen. Der Haushaltsvorstand musste deutscher Volks- und Staatsangehöriger sein.[32] Beide Elternteile durften nicht „erbkrank“ sein. Außerdem konnte die Beihilfe verweigert werden, wenn der Haushaltsvorstand das Kind nicht im Sinne der NSDAP erziehen wollte.[33] Anfangs gab es die Kinderbeihilfe nur für einkommensschwache Familien, ab 1941 einkommensunabhängig für alle Familien.[34]
3.1.2. Ausbildungsbeihilfe für kinderreiche Familien
[35] Seit März 1938 gab es im Deutschen Reich neben den Kinderbeihilfen auch Ausbildungsbeihilfen.[36] Solche Ausbildungsbeihilfen wurden nur an kinderreiche Familien ausbezahlt. Als kinderreich galten Familien mit mindestens 4 Kindern. Für die Gewährung war eine amtsärztliche Untersuchung im Hinblick auf „erbbiologische Begutachtung“ nötig. Voraussetzung war, wie auch bei der Kinderbeihilfe, die Erbgesundheit und deutsche Herkunft.[37]
3.1.3. Hinterbliebenenbeihilfe für Angehörige von gefallenen Soldaten der Wehrmacht
[38] Für die Hinterbliebenen, insbesondere auch für die unehelichen Kinder von gefallenen Soldaten, konnte beim Wehrmachtsfürsorge- und Versorgungsamt Antrag auf Hinterbliebenenversorgung bzw. –beihilfe gestellt werden.[39] Voraussetzung war die „erb- und rassenhygienische Tauglichkeit“ sowie die Tatsache, dass gegen die Ehe der Eltern kein Eheverbot nach dem Ehegesetz vom 1. Juli 1938[40] bestand.[41]
3.1.4. Ehrenkreuz der deutschen Mutter
Das Mutterkreuz wurde über Antrag für vier bis sechs Kinder in Bronze, für sechs bis acht Kinder in Silber und für mehr als acht Kinder in Gold an reichsdeutsche Mütter verliehen, deren Kinder als „arisch“ und erbgesund galten.[42] Bis September 1941 wurden im Großdeutschen Reich fast 5 Millionen Mutterkreuze verliehen.[43]
3.1.5. Ehestandsdarlehen
Die Nationalsozialisten machten Ehe und Familie zu einer staatlichen Angelegenheit.[44] Von den Gesundheitsämtern wurden an junge Ehepaare unverzinsliche Darlehen zur Gründung eines eigenen Hausstandes sowie zur „Aufzucht eines gesunden Nachwuchses“ ausgegeben. Voraussetzungen dafür waren, dass kein gesetzliches Ehehindernis vorlag, beide Antragssteller aus gesunden und erbtüchtigen Sippen stammten, und dass die Eheschließung samt zu erwartendem Nachwuchs für die Volksgemeinschaft erwünscht war.[45] Das Ehestandsdarlehen sollte die Frühehe fördern und somit die Anzahl der Kinder erhöhen.[46]
[...]
[1] Duden, Das Fremdwörterbuch (1997), 772.
[2] Vgl Duden, Das Stilwörterbuch (1988), 862.
[3] Köbler, Juristisches Wörterbuch (1999), 497.
[4] Vgl Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik (1986) 12 f und 238.
[5] Vgl Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik (1986) 8.
Für die Ostmark geht man von 5.000 bis 10.000 Zwangssterilisationen mit einer Todesrate von etwa 1,2 Prozent aus. Vergleicht man diese Zahlen mit denen des Altreiches (von 1934 – 1945 wurden ca. 400000 Menschen sterilisiert, mehrere tausende starben daran), fällt auf, dass in der Ostmark weit weniger Sterilisationen vorgenommen wurden als im Altreich. Dies liegt vor allem daran, dass die „erb- und rassenpflegerischen Maßnahmen in Österreich erst einsetzten, als sie im Altreich schon wieder deutlich abnahmen. Vgl Goldberger, NS-Gesundheitspolitik im Reichsgau Oberdonau 1938 – 1945 in Amt der oberösterreichischen Landesregierung (Hg),Wert des Lebens. Begleitpublikation zur Ausstellung in Schloss Hartheim (2003) 30.
Grundsätzlich stimmen österreichische Untersuchungsergebnisse mit deutschen überein, daher werden nur in Ausnahmefällen besondere Hinweise auf Österreich gemacht.
[6] Vgl Goldberger, NS-Gesundheitspolitik im Reichsgau Oberdonau 1938 – 1945 in Amt der oberösterreichischen Landesregierung (Hg), Wert des Lebens. Begleitpublikation zur Ausstellung in Schloss Hartheim (2003) 36.
[7] Vgl Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik (1986) 8.
[8] Nähere Hinweise bei Thomalla, Warum Bevölkerungspolitik (1934) 30; Ristow (1935), 8f, 21, 38; Gaupp; Die Unfruchtbarmachung geistig und sittlich Kranker und Minderwertiger (1925) 2.
[9] Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses; dRGBl. I 1933, 529.
[10] Gütt/Rüdin/Ruttke, Zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (1934) 60.
[11] Vgl Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus (1986) 12 f und 238.
[12] Vgl Gumpinger, Volkspflege. Sozialarbeit im Nationalsozialismus in Amt der oberösterreichischen Landesregierung (Hg), Wert des Lebens; Begleitpublikation zur Ausstellung des Landes OÖ in Schloss Hartheim (2003) 39 ff.
[13] Vgl Goldberger, NS-Gesundheitspolitik im Reichsgau Oberdonau 1938 – 1945 in Amt der oberösterreichischen Landesregierung (Hg),Wert des Lebens. Begleitpublikation zur Ausstellung in Schloss Hartheim (2003) 29.
[14] Neugebauer, Die Aktion „T4“ in Amt der oberösterreichischen Landesregierung (Hg),Wert des Lebens. Begleitpublikation zur Ausstellung in Schloss Hartheim (2003) 63.
[15] Vgl Makowski, Eugenik, Sterilisationspolitik, „Euthanasie“ und Bevölkerungspolitik in der nationalsozialistischen Parteipresse (1996) 48 f.
[16] Vgl Galton, Genie und Vererbung (1919).
[17] Vgl Kepplinger, Sozialdemokratie und Eugenik in Amt der oberösterreichischen Landesregierung (Hg), Wert des Lebens, Begleitpublikation zur Ausstellung des Landes OÖ in Schloss Hartheim (2003) 54.
[18] Haecke l, Die Lebenswunder (1904) 450.
[19] Vgl Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte (1868) 177.
[20] Ploetz, Die Tüchtigkeit der Rasse und der Schutz der Schwachen (1895) 144 f.
[21] Auguste Forel (1848-1931)
[22] Vgl Kepplinger, Sozialdemokratie und Eugenik in Amt der oberösterreichischen Landesregierung (Hg), Wert des Lebens. Begleitpublikation zur Ausstellung des Landes OÖ in Schloss Hartheim (2003) 55.
[23] Kautsky, Vermehrung und Entwicklung in Natur und Gesellschaft (1910) 262 f.
[24] Kautsky, Vermehrung und Entwicklung in Natur und Gesellschaft (1910) 263.
[25] Vgl Kepplinger, Sozialdemokratie und Eugenik in Amt der oberösterreichischen Landesregierung (Hg), Wert des Lebens (2003) 54.
[26] Vgl Kautsky, Vermehrung und Entwicklung in Natur und Gesellschaft (1910) 263; Ploetz, Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz des Schwachen (1895); Goldscheid, Höherentwicklung und Menschenökonomie. Grundlegung der Sozialbiologie. (1911) 575; Tandler, Ehe und Bevölkerungspolitik (1924) 21.
[27] Vgl Kepplinger, Wert des Lebens (2003) 54.
[28] Ausstellung Wert des Lebens, Schloss Hartheim, Raum 10: Aufartung und Ausmerze Stand: 12. 05. 2005
[29] Vgl Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie. Von der Verhütung zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ (1992) 65.
[30] dRGBl. I 1935, 1160. Neuregelung durch die Kinderbeihilfenverordnung vom 9. Dezember 1940; dRGBl. I 1940, 1571.
[31] § 2 Kinderbeihilfenverordnung, dRGBl I 1940, 1571. Neuere Literatur zum Thema Kinderbeihilfen für den Reichsgau Oberdonau siehe Goldberger, NS-Gesundheitspolitik im Reichsgau Oberdonau 1938 – 1945 in Amt der oberösterreichischen Landesregierung (Hg),Wert des Lebens. Begleitpublikation zur Ausstellung in Schloss Hartheim (2003) 33.
[32] § 1 Kinderbeihilfenverordnung, dRGBl. I 1940, 1571.
[33] Richtlinien über die Erhebung des Widerspruchs gegen die Gewährung von Kinderbeihilfe im RdF.-Erl. vom 3. 3. 1941; dRGBl. 1941, 2197.
[34] Vgl Goldberger, NS-Gesundheitspolitik (2004) 60 f; Makowski, Eugenik, Sterilisationspolitik„ Euthanasie und Bevölkerungspolitik in der nationalsozialistischen Parteipresse (1996) 276.
[35] dRGBl. I 1938, 241; Neuregelung der Ausbildungsbeihilfen in den Richtlinien für die Gewährung von Ausbildungsbeihilfen, dRGBl 1942, 337.
[36] dRGBl. I 1938, 241.
[37] Vgl Goldberger, NS-Gesundheitspolitik (2004) 62 f.
[38] dRGBl. I 1939, 1217.
[39] Neuere Erkenntnisse für Oberdonau in Goldberger, NS-Gesundheitspolitik (2004) 64 f.
[40] dRGBl. I 1938, 807.
[41] Vgl Goldberger, NS-Gesundheitspolitik (2004) 64 f.
[42] dRGBl. I 1938, 1925. Vgl Benz/Graml/Weiß, Enzyklopädie des Nationalsozialismus (1997) 591; Makowski, Eugenik, Sterilisationspolitik„ Euthanasie und Bevölkerungspolitik in der nationalsozialistischen Parteipresse (1996) 248. Vgl für Oberdonau: Goldberger, NS-Gesundheitspolitik im Reichsgau Oberdonau 1938 – 1945 in Amt der oberösterreichischen Landesregierung (Hg),Wert des Lebens. Begleitpublikation zur Ausstellung in Schloss Hartheim (2003) 33.
[43] Vgl Makowski, Eugenik, Sterilisationspolitik„ Euthanasie und Bevölkerungspolitik in der nationalsozialistischen Parteipresse (1996) 263; Benz/Graml/Weiß, Enzyklopädie des Nationalsozialismus (1997) 225 f; Makowski, Eugenik, Sterilisationspolitik„ Euthanasie und Bevölkerungspolitik in der nationalsozialistischen Parteipresse (1996) 248 Für Österreich: Goldberger, NS-Gesundheitspolitik in Oberdonau (2004) 68.
[44] Vgl Czarnowski, Das kontrollierte Paar. Ehe und Sozialpolitik im Nationalsozialismus (1991) 101-135 und 173 ff.
[45] § 1 Abschnitt V Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit vom 1. Juni 1933; dRGBl. I 1933, 326. Siehe insbesondere auch Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Förderungen der vom 3. November 1937; dRGBl I 1937, 1158. Vgl Bock, Zwangssterilisation (1986) 182; Makowski, Eugenik, Sterilisationspolitik„ Euthanasie und Bevölkerungspolitik in der nationalsozialistischen Parteipresse (1996) 214.
[46] Vgl Bock, Zwangssterilisation (1986) 146 ff; Bock, Zwangssterilisation (1986) 148, 369.
- Citation du texte
- Katharina Mucha (Auteur), 2007, Zwangssterilisation während der NS-Zeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/213124
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