Als ausschlaggebend für gesellschaftlichen Wandel werden in der Literatur durchgehend weitreichende Differenzierungs- und Individualisierungsprozesse angenommen, die durch Faktoren wie Bevölkerungswachstum, soziale Mobilisierung und Urbanisierung im Hohen Mittelalter in Gang gesetzt wurden und die sich bis in die Gegenwart fortsetzen. Diese Prozesse zeichnen sich unter anderem in der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Institutionen und sozialer Schichten ab, in familialen Strukturen und in der Beziehung zwischen den Geschlechtern. Im sozialhistorischen Vergleich zeigt sich, dass auch die Liebe in den verschiedenen Epochen eine unterschiedliche Ausprägung erfahren hat. Sie erscheint unter diesem Blickwinkel als eine Variable, die von gesellschaftlichen Aspekten wie Ökonomie, Herrschaft und Macht abhängt und wesentlich von Modernisierungsprozessen beeinflusst wird.
Aufzeigen lässt sich das anhand der einzelnen sozialen Schichten, die sich bis in das 20. Jahrhundert hinein stark voneinander abgrenzten, die jeweils eigene soziale Räume mit eigenen Normen und Strukturen bildeten und auf die damit auch ökonomische Faktoren sowie Macht- und Herrschaftsansprüche in unterschiedlicher Weise einwirkten. In der historischen Betrachtung zeigt sich die Liebe als ein wichtiges Element im Prozess der Vergesellschaftung, an das vielschichtige Interessen sozialer Gruppen und Familien sowie von Kirche und Staat gebunden waren. Je nach Schichtzugehörigkeit, sozialem Status und Geschlecht waren mit diesem Element für den Einzelnen spezifische Zwänge und Abhängigkeiten oder auch Freiheiten und Chancen verknüpft.
Im Verlauf der letzten 1.000 Jahre, vom Hohen Mittelalter über die Moderne bis hin zur Ge-genwart, hat sich die Bedeutung der Liebe gewandelt: Im Zuge von Differenzierungs- und Individualisierungsprozessen verlor sie ihre funktionale und materielle Zweckbindung und das Paar löste sich als eigenständige Einheit von den übergeordneten gesellschaftlichen Strukturen. Die vormals äußeren Restriktionen und Erwartungen wurden mehr und mehr zu einer Angelegenheit des individuellen Paares.
Liebe hat sich also als Kulturprodukt in einem historischen Prozess herausgebildet, der sich anhand schichtspezifischer und biographischer Unterschiede der Liebeskonzeptionen und Liebesgefühle nachweisen lässt (Wulf 1985:8). Allerdings zeigen sich im historischen Überblick nicht nur Unterschiede, sondern auch Gemeinsamkeiten: Konstanten, die über die Zeit keine wirkliche ...
Inhalt
1 Einleitung
1.1 Einige Aussagen über die Liebe
1.2 Zum Aufbau der Arbeit
2 Vom Hohen Mittelalter bis zur Moderne
2.1 Zur Situation der mittelalterlichen Gesellschaft
2.1.1 Ökonomie und Differenzierung der mittelalterlichen Gesellschaft
2.1.2 Einbindung von Ehe und Liebe in die Ökonomie des „ganzen Hauses“
2.2 Bauern und unterbäuerliche Schichten
2.2.1 Institutionalisierung der Liebe
2.2.1.1 Bedeutung der Ehe für die Familienökonomie
2.2.1.2 Kontrolle der Partnerwahl
2.2.1.3 Voreheliche Sexualität
2.2.1.4. Geschlechterverhältnis
2.2.2 Die Qualität der ehelichen Beziehung
2.2.2.1 Eheliche Sexualität
2.2.2.2 Liebesgefühle
2.3 Handwerker
2.3.1 Institutionalisierung der Liebe
2.3.1.1 Das soziale Regelwerk der Zünfte
2.3.1.2 Bedeutung der Eheschließung für den Handwerksbetrieb
2.3.1.3 Voreheliche Sexualität
2.3.1.4. Geschlechterverhältnis
2.3.2 Die Qualität der ehelichen Beziehung
2.3.2.1 Eheliche Sexualität
2.3.2.2 Liebesgefühle
2.4 Adel
2.4.1 Institutionalisierung der Liebe
2.4.1.1 Bedeutung der Ehe für die Herrschaftsstrukturen der adeligen Familien
2.4.1.2 Strukturen der Partnerwahl
2.4.1.3 Voreheliche Sexualität
2.4.1.4 Geschlechterverhältnis
2.4.2 Die Qualität der ehelichen Beziehung
2.4.2.1 Eheliche Sexualität
2.4.2.2. Liebesgefühle
2.5 Liebe und Ehe zwischen Kirche und Staat
2.5.1 Das Sakrament der Ehe
2.5.2 Unterscheidung zwischen der Liebe innerhalb und außerhalb der Ehe
2.6 Liebe in den Kulturepochen des Mittelalters
2.6.1 Höfische Liebe (11. – 13. Jh.)
2.6.2 Renaissance (14. – 16. Jh.)
2.6.3 Klassik (17. – 18. Jh.)
2.7 Zusammenfassung
3 Moderne
3.1 Die gesellschaftliche Situation in der Moderne
3.1.1 Ökonomie und Differenzierung der modernen Gesellschaft
3.1.2 Trennung der privaten und öffentlichen Sphären und ihre Bedeutung für Liebe und Ehe
3.2 Heimarbeiter
3.2.1. Institutionalisierung der Liebe
3.2.1.1 Bedeutung der Ehe und Eheschließung für das Milieu der Heimarbeiter
3.2.1.2 Voreheliche Sexualität
3.2.1.3 Geschlechterverhältnis
3.2.2 Liebe, Sexualität und die Qualität der ehelichen Beziehung
3.3 Industrielle Lohnarbeiter
3.3.1 Institutionalisierung der Liebe
3.3.1.1 Bedeutung der Ehe und Eheschließung
3.3.1.2 Voreheliche Sexualität
3.3.1.3 Geschlechterverhältnis
3.3.2 Liebe, Sexualität und die Qualität der ehelichen Beziehung
3.4 Das Bürgertum
3.4.1 Die bürgerliche Gesellschaft zwischen Adel und Proletariat
3.4.2 Das bürgerliche Eheideal
3.4.3 Institutionalisierung der Liebe
3.4.3.1 Bedeutung der Ehe und Eheschließung
3.4.3.2 Die bürgerliche Doppelmoral
3.4.3.3 Geschlechterverhältnis
3.4.3.4 Liebe, Sexualität und die Qualität der bürgerlichen Ehe
3.5 Kulturelle Strömungen in der bürgerlichen Gesellschaft
3.5.1 Entwicklung der bürgerlichen Gefühlskultur
3.5.2 Die zentralen Momente der modernen Liebe – von der empfindsamen romantischen Liebe bis zum Biedermeier
3.6 Zusammenfassung
4 Das 20. Jahrhundert
4.1 Zur gesellschaftlichen Situation im 20. Jahrhundert
4.1.1 Ökonomie und gesellschaftliche Strukturen
4.1.2 Differenzierungs- und Individualisierungsprozesse und ihre Bedeutung für die intime Paarbeziehung
4.2 Liebe und Ehe im Kontext gesellschaftspolitischer und ideologischer Ereignisse des 20. Jahrhunderts
4.2.1 Die Jahrhundertwende
4.2.2 Vom Ersten Weltkrieg bis zur Weimarer Republik
4.2.3 Die Zeit des Nationalsozialismus
4.2.4 Von der Nachkriegszeit bis zu den 68er Jahren
4.3 Liebe und Ehe in der Gegenwart
4.3.1 Partnerwahl
4.3.2 Sexualverhalten
4.3.3 Geschlechterverhältnis
4.3.4 Liebe als kulturelle Norm – Ideal und Wirklichkeit
4.3.5 Konfliktfelder der Liebe
4.3.6 Scheidungsraten, Heiratsquoten und alternative Beziehungsmodelle
4.4 Zusammenfassung
5 Schlussbetrachtung
6 Literatur
1 Einleitung
Als ausschlaggebend für gesellschaftlichen Wandel werden in der Literatur durchgehend weitreichende Differenzierungs- und Individualisierungsprozesse angenommen, die durch Faktoren wie Bevölkerungswachstum, soziale Mobilisierung und Urbanisierung im Hohen Mittelalter in Gang gesetzt wurden und die sich bis in die Gegenwart fortsetzen. Diese Prozesse zeichnen sich unter anderem in der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Institutionen und sozialer Schichten ab, in familialen Strukturen und in der Beziehung zwischen den Geschlechtern. Im sozialhistorischen Vergleich zeigt sich, dass auch die Liebe in den verschiedenen Epochen eine unterschiedliche Ausprägung erfahren hat. Sie erscheint unter diesem Blickwinkel als eine Variable, die von gesellschaftlichen Aspekten wie Ökonomie, Herrschaft und Macht abhängt und wesentlich von Modernisierungsprozessen beeinflusst wird.
Aufzeigen lässt sich das anhand der einzelnen sozialen Schichten, die sich bis in das 20. Jahrhundert hinein stark voneinander abgrenzten, die jeweils eigene soziale Räume mit eigenen Normen und Strukturen bildeten und auf die damit auch ökonomische Faktoren sowie Macht- und Herrschaftsansprüche in unterschiedlicher Weise einwirkten. In der historischen Betrachtung zeigt sich die Liebe als ein wichtiges Element im Prozess der Vergesellschaftung, an das vielschichtige Interessen sozialer Gruppen und Familien sowie von Kirche und Staat gebunden waren. Je nach Schichtzugehörigkeit, sozialem Status und Geschlecht waren mit diesem Element für den Einzelnen spezifische Zwänge und Abhängigkeiten oder auch Freiheiten und Chancen verknüpft.
Im Verlauf der letzten 1.000 Jahre, vom Hohen Mittelalter über die Moderne bis hin zur Gegenwart, hat sich die Bedeutung der Liebe gewandelt: Im Zuge von Differenzierungs- und Individualisierungsprozessen verlor sie ihre funktionale und materielle Zweckbindung und das Paar löste sich als eigenständige Einheit von den übergeordneten gesellschaftlichen Strukturen. Die vormals äußeren Restriktionen und Erwartungen wurden mehr und mehr zu einer Angelegenheit des individuellen Paares.
Liebe hat sich also als Kulturprodukt in einem historischen Prozess herausgebildet, der sich anhand schichtspezifischer und biographischer Unterschiede der Liebeskonzeptionen und Liebesgefühle nachweisen lässt (Wulf 1985:8). Allerdings zeigen sich im historischen Überblick nicht nur Unterschiede, sondern auch Gemeinsamkeiten: Konstanten, die über die Zeit keine wirkliche Veränderung erfahren haben.
1.1 Einige Aussagen über die Liebe
Das Wort Liebe meint in seiner alten Bedeutung „Freude in einem ganz allgemeinen Sinn“; war die Liebe zwischen Mann und Frau gemeint, wurde bis zum 12. Jahrhundert das Wort Minne benutzt, womit nicht nur Lieben, begehren gemeint war, sondern z.B. auch liebendes Denken an jemanden. Bis zum 15. Jh. erfuhr die minne dann eine starke Abwertung und wurde nur noch für die „körperlich-triebhafte Liebe“ verwendet, das Wort liebe nahm nun einen ideellen Stellenwert ein und verlor damit „seinen ursprünglichen allgemeineren Charakter (Freude)“ (Bein 2003:11).
Nach Rousseaus Auffassung enthält das Liebesgefühl einen leiblichen Teil, der die Begierde weckt und zur geschlechtlichen Vereinigung führt und einen geistigen Teil, der die Begierde auf eine Person festlegt. Der geistige Teil basiert auf Phantasie und Geschmack und ist damit ein kulturelles Produkt (Wulf 1985:18). Für Sennett ist auch die körperliche Liebe ein kulturelles Produkt, „ein Handeln [...], auf das sich Menschen einlassen, für das es notwendige Fiktionen gibt, die dem Handeln erst seine spezifische Bedeutung verleihen.“ (Sennett 1983:19)
„Im Unterschied zum bloßen geschlechtlichen Begehren, das von vielen Personen hervorgerufen werden kann, wird die Liebe durch eine bestimmte Person und ihre Ausschließlichkeit als Liebesobjekt erregt. Dieses Gefühl wird zu einem erheblichen Teil durch die Einbildungskraft bewirkt, mit deren Hilfe das sexuelle Verlangen an einen Menschen gebunden wird.“ (Wulf 1985:18)
Das Wort Liebe benennt immer eine Beziehung zwischen mindestens zwei Partnern, einem Liebenden und einem Geliebten. Diese Liebesbeziehung kann einseitig oder wechselseitig sein. Weiterhin kann sie symmetrisch oder asymmetrisch sein, d.h. der Anteil an Aktivität bzw. Passivität kann auf die Partner gleich oder auch ungleich verteilt sein. In den romantischen Liebesbeziehungen der Vergangenheit herrschte Asymmetrie vor: Während der Mann der Werbende und aktiv Liebende war, befand sich die geliebte Frau auf der Seite der passiv, empfangenden Liebe (Kuhn 1975:10).
Liebe stellt sich demnach als eine „jeweils spezifische Mischung von Kultur und Natur“ dar (Klotter 1999:18). Im Zusammenspiel von naturhaftem Trieb (Sexualität) und kulturell bedingten bzw. überformten Liebesvorstellungen zeigt sich die Unterschiedlichkeit des Geschlechterverhältnisses in einem kulturell spezifischen Spannungsverhältnis von Symmetrie bzw. Asymmetrie.
1.2 Zum Aufbau der Arbeit
Mit dieser Arbeit wird versucht, die Bedeutung der Liebe im sozialgeschichtlichen Zusammenhang dreier historischer Epochen des deutschen und mitteleuropäischen Raumes darzustellen. Diese umfassen im ersten Teil der Arbeit den Zeitraum vom Hohen Mittelalter bis zur Moderne, also das 11. bis 18. Jahrhundert; der zweite Teil befasst sich mit der Moderne, vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert und im dritten Teil wird dann die Bedeutung der Liebe von der Wende zum 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart dargestellt.
Um diese Epochen miteinander vergleichbar zu machen, soll in Anlehnung an Christoph Klotter anhand von fünf Kriterien und in Bezug auf die jeweiligen sozialen Schichten der sozialhistorische Wandel der unterschiedlichen Liebeskonzeptionen im Verlauf der einzelnen Epochen betrachtet werden, wobei die Kriterien von Klotter nicht exakt übernommen werden und zum Teil eine andere Perspektive erhalten.
Da die Sozialgeschichte der heterosexuellen Liebe als eine Geschichte der Ehe in Erscheinung tritt[1], stellt sich die Frage nach ihrer Institutionalisierung: „Wie wird die Beziehung der Geschlechter [...] institutionalisiert“ (Klotter 1999:19) und auf welcher Grundlage basiert die Ehe in den verschiedenen Epochen und den jeweiligen sozialen Schichten? Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Geschlechterverhältnis und den Liebesgefühlen zu: „Wie wird die Beziehung der Geschlechter im Zusammenhang mit den jeweiligen Liebesvorstellungen konzipiert“, und: „Mit welchen Affekten ist die Liebe in den unterschiedlichen Epochen verknüpft?“ (Klotter 1999:19)
Ein weiteres Kriterium ist das Sexualverhalten, das in den einzelnen Epochen und jeweiligen Schichten durch die verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen, wie Familie, Kirche und Staat unterschiedliche Restriktionen erfahren hat. Im Unterschied zu Klotter wird hier nicht auf die jeweils legitimen „Liebespraktiken“ eingegangen, sondern auf die Reglementierung des Sexualverhaltens (Klotter 1999:19).
Als letztes Kriterium sollen die von Klotter aufgeführten ‚theoretischen und ethischen Konzepte der Liebe’ auf die jeweiligen kulturellen Epochen bezogen werden. Klotter stellt hier unter anderem die Frage: „Wird in einer bestimmten Kultur eher die sinnliche oder die geistige Liebe präferiert?“ (Klotter 1999:18f.) Da diese Epochen in erster Linie geistesgeschichtliche Strömungen darstellen, die zumeist nur von einem kleineren Personenkreis der oberen Schichten gelebt werden konnten und nur mit großer zeitlicher Verzögerung und auf indirektem Wege Einzug in das ideologische Denken breiterer Schichten hielten, sollen sie jeweils an den Schluss der historischen Betrachtung der einzelnen Epochen gestellt werden. Der literarische Diskurs wird hierbei weitestgehend ausgeklammert, da er den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.
Da im Verlauf des 20. Jahrhunderts, ausgelöst durch die „wachsende soziale Mobilität“ eine zunehmend „nivellierte“ Gesellschaft entstanden ist (Schelsky 1960:218f.), werden hier die oben genannten Kriterien chronologisch entlang der historisch bedeutsamen Ereignisse wie z.B. der beiden Weltkriege und der sexuellen Revolution der 60er Jahre dargestellt, durch welche die gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse zum Teil eine Verzögerung oder auch eine Beschleunigung erfahren haben. Zum Abschluss des Kapitels wird dann anhand der genannten Kriterien die Bedeutung der Liebe für die heutige Gesellschaft dargestellt und es wird gezeigt, mit welchen Erwartungen und Konflikten die Liebesbeziehungen der Gegenwart verbunden sind. Den Kapiteln vorangestellt ist jeweils eine kurze Darstellung der gesellschaftlichen Situation, die je nach Epoche unterschiedlich stark durch wirtschaftliche Verhältnisse, politische Ereignisse oder ideologischen Wandel beeinflusst wurde.
2 Vom Hohen Mittelalter bis zur Moderne
2.1 Zur Situation der mittelalterlichen Gesellschaft
2.1.1 Ökonomie und Differenzierung der mittelalterlichen Gesellschaft
Mit Beginn des Hohen Mittelalters führten verschiedene Entwicklungen zu einer ersten gesellschaftlichen Differenzierung. Bis dahin existierte im Grunde nur eine Zweiklassengesellschaft: die Freien, zu denen die Krieger, die Edlen und die Geistlichen gehörten, denen die Leibeigenen, Unfreien und Halbfreien untergeordnet waren. Ausgelöst durch das Bevölkerungswachstum kam es zu einer gesellschaftlichen Mobilisierung. Eine große Zahl von Besitzlosen und vom Boden abgedrängter Menschen – Freie und Unfreie - machte sich auf die Suche nach einer neuen Existenz. Die Freien waren in erster Linie erblose Rittersöhne, die Anstellung an den Fürstenhäusern suchten; sie sollten später eine entscheidende Rolle in der höfischen Liebe, der Minne, spielen (vgl. Kap. 2.6). Die Unfreien bildeten in der Nähe der teils weltlichen und teils geistlichen Gutsherrenhöfe eine Reihe von Handwerkersiedlungen und Kommunen, die sich mit zunehmender Größe Autonomie und eigene Rechte erkämpfen konnten. Mit der einsetzenden Urbanisierung entstand nun ein „dritter Stand von Freien“ (Elias 1997, Bd. 2:67ff.).
In den folgenden zwei Jahrhunderten blühten die Städte auf. Aus Kaufleuten und Handwerksgruppen, die sich in Zünften organisierten, bildete sich das Stadtbürgertum. Der fortlaufende Zuzug in die Städte und eine gesteigerte geographische Mobilität wirkte sich auch auf die althergebrachten Verwandtschafts-, Herrschafts- und Nachbarschaftsstrukturen aus (Jakob 2001:27).
Die gesamte Entwicklung war durch große wirtschaftliche Umbrüche gekennzeichnet, die im 14. und 15. Jahrhundert zu unübersehbaren Problemen führten. Durch die Umwandlung des Naturalzinses zum Geldzins und durch Einschränkungen des Allmenderechts verschlechterte sich die Lage der Bauern zunehmend, wodurch in Folge im 16. Jahrhundert die Bauernkriege entstanden. Es kam zu einer massenhaften Herausbildung einer besitzlosen Land- und Stadtbevölkerung, und die Städte gelangten an die Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit (Schirmer 1991:10, 17).
In vielen Teilen Europas brachen Hungersnöte und Epidemien aus, die Bevölkerungszahl verringerte sich wieder (Adanir 1988:193). Nach dem Dreißigjährigen Krieg war dann die Bevölkerung um etwa ein Drittel reduziert, das Land war verwüstet und verarmt, innerlich zerrissen und nach außen hin ohnmächtig und das geistige Leben stand unter ausländischem Einfluss.
2.1.2 Einbindung von Ehe und Liebe in die Ökonomie des „ganzen Hauses“
In der mittelalterlichen Gesellschaft war durch alle Schichten hindurch „für einen großen Teil der Menschen die Familie zugleich die soziale Organisationsform eines Wirtschaftsbetriebs.“ Leben und Arbeit spielten sich im „ganzen Haus“ ab. „Die sozialen Beziehungen der Menschen, das Verhältnis der Geschlechter und die Rollen von Mann und Frau waren durch Erfordernisse und Möglichkeiten der Produktionsform Familie bestimmt.“ (Sieder 1991:151)
Die Eheschließung spielte im Leben der Menschen eine bedeutende Rolle; die Ehe war die einzig legitime und allseits anerkannte Lebensgemeinschaft der Geschlechter. Mit ihr gründeten Mann und Frau eine eigenverantwortliche Hausgemeinschaft. Erst die Ehe legitimierte ihre sexuelle Beziehung und die hierbei gezeugten Kinder. Die Eheschließung war nicht nur subjektives Ziel jedes Menschen, sondern die notwendige Voraussetzung, um überhaupt eine Rolle in der ständischen Gesellschaft zu spielen (van Dülmen 1990:156ff.). Die wirklichen Ehen waren ursprünglich nur den Mächtigen und einigen ihrer Kinder vorbehalten. Es war weder notwendig noch wünschenswert, dass jeder heiratete. Entscheidend war, dass das Erbe nicht durch vielfältige Verbindungen zerstückelt wurde (Ariès 1992b:179f.). Die Erbregelung war daher von großer Bedeutung (Rosenbaum 1982:61). Heirat war ein Privileg, sie setzte ökonomische Unabhängigkeit voraus und war an Besitz oder eine Hofstelle gebunden. Nur derjenige sollte heiraten, der selbständig einen Haushalt führen konnte. Die meisten Besitzlosen waren daher unverheiratet oder sparten über Jahre, um heiraten zu können (van Dülmen 1988:68ff.).
Die Verehelichung war „kein privater, individueller Akt zweier sich liebender Menschen, sondern ein öffentlich-gesellschaftliches Ereignis“. Besitzdenken, eheliche Liebe und Liebesheirat standen unter dem „Gebot der Ökonomie des ganzen Hauses“ (van Dülmen 1990:134). Die Partnerwahl war daher nicht durch emotional-affektive, sondern durch soziale und ökonomische Motive bestimmt. Materielle Versorgung, Weiterführung der Wirtschaft oder des Geschlechts standen im Fordergrund, sexuelle Harmonie war nicht ausschlaggebend (Sieder 1991:151).
Individuelle Vorstellungen und Wünsche bei der Eheschließung konnten nur berücksichtigt werden, wenn sie den anderen Bedingungen nicht entgegen standen (van Dülmen 1990:159). Schönheit und emotionale Gesichtspunkte spielten bei der Brautwahl nur eine geringe Rolle. Eine Liebesbeziehung zur künftigen Frau war zwar nicht ausgeschlossen, doch wichtiger als Zuneigung war vor allem die Herkunft des Partners (van Dülmen 1990:137f.).
Aufgrund der Lebens- und Arbeitsverhältnisse galt die vernünftige, eheliche Liebe als einzig akzeptable Form der Geschlechterbeziehung (van Dülmen 1990:170).
2.2 Bauern und unterbäuerliche Schichten
2.2.1 Institutionalisierung der Liebe
2.2.1.1 Bedeutung der Ehe für die Familienökonomie
In der bäuerlichen Gesellschaft hatte der Landbesitz existentielle Bedeutung. Da im bäuerlichen Betrieb Produktion, Konsum und Familienleben untrennbar miteinander verbunden waren, mussten alle Lebensbereiche den Anforderungen des bäuerlichen Hofes untergeordnet werden (Rosenbaum 1982:56f.). Die bäuerliche Ökonomie erforderte es, dass die beiden zentralen und einander ergänzenden Positionen des Bauern und der Bäuerin stets besetzt waren. Damit war die „Position des Bauern“ untrennbar mit dem „Status des Verheiratetseins“ verbunden. Nur zusammen mit einer Ehefrau konnte er Landwirtschaft betreiben und legitime Nachkommen zeugen, die wichtige Hilfskräfte waren und von denen eines später den Hof übernehmen sollte. Zudem war die Ehe die einzige Möglichkeit, ein sozial akzeptiertes Sexualleben zu führen.
Da die Heiratserlaubnis an den Besitz einer ausreichend großen Landwirtschaft gebunden war, war das Heiratsalter relativ hoch, die Männer waren bei der Eheschließung ca. 30 Jahre, die Frauen ca. 25 Jahre alt.
Bei der Partnerwahl waren Mitgift, Arbeitsfähigkeit und Gesundheit der Frau die ausschlaggebenden Kriterien. Gesundheit und Arbeitsfähigkeit waren unabdingbare Voraussetzungen, um den landwirtschaftlichen Betrieb aufrecht erhalten zu können. Mit der Mitgift der Frau konnten gegebenenfalls Schulden bezahlt oder miterbende Geschwister ausbezahlt werden. Die Partnerwahl musste in diesem Sinne vernünftig getroffen werden, da hiervon das Schicksal des gesamten Hofes abhing. Auch die soziale Stellung im Dorf war ein wichtiger Aspekt bei der Partnerwahl. Vor allem Großbauern achteten sehr auf eine standesgemäße Heirat (Rosenbaum 1982:69ff.). Die meisten Bauern blieben jedoch unverheiratet. Sie waren zu einem großen Teil Unfreie oder Halbfreie, die ihrer Grundherrschaft zu Fron und Zins verpflichtet waren und von denen die Unfreien bis zur Bauernbefreiung nur mit Erlaubnis der Grundherren heiraten durften (Schirmer 1991:17). Die Gutsherren hatten ein Interesse an der effektiven Bewirtschaftung des Hofes und damit auch an der personellen Zusammensetzung der Bauernfamilie (Sieder 1991:152).
2.2.1.2 Kontrolle der Partnerwahl
Eheschließungen unterlagen in der traditionell bäuerlichen Gesellschaft einer starken sozialen Kontrolle. Eltern und Verwandtschaft übten aufgrund der hohen materiellen Bedeutung einen starken Einfluss auf die Partnerwahl aus (Rosenbaum 1982:77).
Neben der elterlichen Kontrolle übernahmen auf dem Land Burschenschaften eine gewisse sittenpolizeiliche Beobachtungsfunktion. Sie sorgten dafür, dass das soziale Gleichgewicht nicht gefährdet und Zunft und Ständeschranken bei der Partnersuche nicht überschritten wurden (van Dülmen 1990:136f.).
Die Möglichkeiten, potentielle Ehepartner kennen zu lernen, hatten öffentlichen Charakter und boten sich z.B. in den Spinnstuben oder auf Festen. Verbreitet war auch das Nachtfreien oder der Kiltgang, bei dem junge Männer im heiratsfähigen Alter bei den Mädchen nächtliche Besuche abstatteten. „Diese Besuche wurden von der Gruppe junger Männer organisiert“ und bei Verstößen gegen die öffentliche Norm sanktioniert (Rosenbaum 1982:77f.).
Auch Mädchenverlosungen und -versteigerungen waren in Dorfgemeinschaften Brauch. Sie wurden meist von den Burschenschaften organisiert, die daran interessiert waren, dass jeder junge Mann in der Dorfgesellschaft eine Partnerin fand. Sie traten auch auf, um hausväterliche Entscheidungen im dörflichen Interesse zu korrigieren (van Dülmen 1990:140).
2.2.1.3 Voreheliche Sexualität
Während von der weltlichen Obrigkeit und der Kirche Sexualität vor der Ehe kriminalisiert wurde, war voreheliche Sexualität in der ländlichen Gesellschaft üblich, allerdings erst nach dem Eheversprechen statthaft. Das Nachtfreien oder auch Probenächte und Probeehen waren mit den Moralvorstellungen der ländlichen Bevölkerung durchaus vereinbar. Ein uneheliches Kind galt nicht an sich als unehrenhaft, obschon der Schwangerschaft meist die Trauung folgte. Sexuell verkehren durfte eine Frau aber nur mit dem Mann, den sie auch ehelichen wollte. Versuchte sich der Mann im Falle einer Schwangerschaft der Heirat zu entziehen, musste die Frau vor Gericht klagen. Beide mussten dann mit einer Strafe, in der Regel eine Geldbuße, rechnen. War es offensichtlich, dass er eine Beziehung mit der klagenden Frau hatte, wurde meist eindringlich von Seiten des Gerichts und auch der Gruppe der ledigen Männer auf eine Heirat gedrängt (van Dülmen 1990:186f.).
2.2.1.4. Geschlechterverhältnis
Obschon auf dem bäuerlichen Hof der Arbeitseinsatz und die Arbeitskraft der Bäuerin genauso wichtig waren wie von Seiten des Bauern, war sie ihrem Mann deutlich untergeordnet. Ihm gehörte im Normalfall der Hof und er vertrat die Familie und alle anderen Hofangehörigen in öffentlichen Angelegenheiten nach außen. Zudem waren die Männer durch ihre außerhäusliche Tätigkeit in übergreifende Zusammenhänge integriert und hatten Gelegenheit, öffentliche Belange des Dorfes zu erörtern und zu entscheiden. Die Frauen hatten kaum außerhäusliche Kontakte und keine öffentliche Bedeutung und waren damit abhängig vom Mann und Hausvater (Rosenbaum 1982:83ff.).
Auf dem bäuerlichen Hof waren die männlichen und weiblichen Arbeitsbereiche streng voneinander abgegrenzt, was „bis zu einem gewissen Grad zwingend notwendig“ war. Entsprechend polar waren auch die Rollenbilder von Frau und Mann konzipiert (Mitterauer 1989:189f.). Die Frauen waren für Kindererziehung, Hausarbeit und das Kochen zuständig, ein großer Teil ihrer Zeit wurde von Heimarbeit in Anspruch genommen. Zusätzlich lagen sämtliche Arbeiten, die auf dem Hof anfielen, in ihrem Zuständigkeitsbereich und sie wurden zu Feldarbeiten herangezogen. Das Pflügen und Mähen war Männersache, ebenso die Sorge um das landwirtschaftliche Gerät, das Schweineschlachten und der Viehverkauf.
Insgesamt war die Liste der Arbeiten für Männer viel kürzer als die der Frauen. Die täglichen Routinearbeiten der Männer boten zumindest die Möglichkeit, mehrmals in der Woche in die Kneipe zu gehen, während die Frauen so mit Arbeit überhäuft waren, dass ihnen praktisch keine freie Zeit blieb (Shorter 1977:87ff.).
Die Ehe war eine Arbeitsbeziehung, in der sich aufgrund ihrer hierarchischen Struktur und des ausgeprägten Statusgefälles zwischen den Geschlechtern kaum eine Kameradschaft zwischen Mann und Frau herausbilden konnte (Schenk 1987:72f.).
Shorter spricht von einer systematischen Unterdrückung der Frauen, die wie „die obersten Dienstboten im Haushalt“ behandelt wurden (Shorter 1977:74). Sie besaßen zwar in ihrem Haushalt eine gewisse Autorität, weil aber ihre Bereiche weitgehend dem Kontakt der Außenwelt entzogen waren, hatten sie wenig Einfluss auf ihre Männer (Shorter 1977:90).
Die Position der Frau verbesserte sich lediglich dann, wenn sie aus einer reicheren und sozial angeseheneren Familie kam als der Mann (Rosenbaum 1982:83).
2.2.2 Die Qualität der ehelichen Beziehung
2.2.2.1 Eheliche Sexualität
Dem Körper kam im bäuerlichen Leben eine lebensnotwendige Bedeutung zu. Er war das primäre Werkzeug, um die beständigen körperlichen Arbeitsanforderungen durchzustehen. Nach einem langen und anstrengenden Arbeitstag spielte dann eine befriedigende Sexualität keine allzu große Rolle mehr. Durch die saisonal bedingten Arbeitszeiten wurde das Sexualleben stark rhythmisiert. Die meisten Kinder wurden in den Spätwinter- und Vorfrühlingsmonaten gezeugt (Imhof 1985:188). Harte Arbeit und beengte Wohnverhältnisse boten zudem schlechte Voraussetzungen für einen intimen und zärtlichen Umgang miteinander. Von Anfang an stand das Ehepaar auch unter dem Zwang, Kinder zu bekommen. Möglichkeiten für eine Geburtenbeschränkung waren gering, entsprechende Methoden wurden zumindest in der Ehe kaum angewandt (van Dülmen 1990:190).
Während der Bauer die Möglichkeit hatte, seine sexuellen Bedürfnisse, die er in der Ehe nicht befriedigen konnte mit dem ledigen Dienstpersonal zu kompensieren, war für die Frau außereheliche Sexualität schon wegen der häufigen Schwangerschaften und Stillzeiten kaum möglich. „Es ist anzunehmen, dass sie selbst kaum Anspruch auf die Befriedigung ihrer sexuellen Wünsche erhob.“ (Sieder 1991:158)
2.2.2.2 Liebesgefühle
In den bäuerlichen Familien war die emotionale Bindung zwischen den Ehegatten und auch zwischen Eltern und Kindern aufgrund des großen personellen Wechsels sehr gering. Die Kindersterblichkeit war recht hoch und die Ehefrauen starben häufig schon nach wenigen Ehejahren bei oder nach der Geburt eines Kindes und die ökonomische Situation des Hofes erforderte eine schnelle Wiederverheiratung (Mitterauer 1991b:88f.).
Intimität gab es für das Paar so gut wie nicht. Der Ehealltag war von den Erfordernissen harter Arbeit bestimmt. Ein emotionaler, unmittelbar menschlicher Austausch zwischen Mann und Frau schien eher hinderlich zu sein und wurde zudem durch die strikte Abgrenzung der Arbeitsteilung und Geschlechtsrollen unterbunden. Aussagen über einen möglichen Austausch von Zärtlichkeiten und liebevollen oder freundlichen Zuwendungen finden sich kaum. Die emotionale Distanz, die das Paar trennte und die den Ehepartnern ihre soziale und sexuelle Rolle aufzwang, erscheint lt. Shorter unüberbrückbar (Shorter 1977:75ff.). Diese Sichtweise wird allerdings von einigen Autoren kritisiert. So führt Heidi Rosenbaum an, dass Shorter die heutige Auffassung von der Liebe als absoluten Maßstab auf frühere Lebensverhältnisse überträgt. „Die äußeren Lebensbedingungen und Zwänge bewirkten eine spezifische Form der Wahrnehmung.“ Der vorindustrielle Bauer suchte sein persönliches Glück nicht in der gefühlsmäßigen Beziehung zu einer Frau, sondern in der Erfüllung der wirtschaftlichen Anforderungen des Hofes (Rosenbaum 1982:75f.). Segalen gibt ebenfalls zu bedenken, dass eine Interpretation der wenigen historischen Dokumente, die es im Bereich der privaten Gefühle gibt, äußerst schwierig ist (Segalen 1990:162).
Wenn auch das Ehepaar nicht durch intensive Liebesgefühle verbunden war, so wird auch ausgesprochene Abneigung in der Ehe eher selten gewesen sein. „Jeder der beiden Ehepartner hatte seinen festen Arbeitsbereich, dessen „ordentliche“ Bewältigung Befriedigung gewährte. Die Orientierung am übergeordneten Gesichtspunkt des Hofes verhinderte sowohl großes persönliches Glück als auch persönliches Unglück.“ (Rosenbaum 1982:88)
2.3 Handwerker
2.3.1 Institutionalisierung der Liebe
2.3.1.1 Das soziale Regelwerk der Zünfte
Das Handwerk war in den Städten bis ins 18. Jh. hinein überwiegend in Zünften organisiert. Während das Stadthandwerk als Haupterwerbsquelle betrieben wurde, war das Dorfhandwerk meist nur ein Nebenerwerb, der Bedarf an Nahrungsmitteln wurde hier durch eigene Landwirtschaft gedeckt (Rosenbaum 1982:123f.).
Die meisten Handwerksfamilien lebten in sehr bescheidenen Verhältnissen. Gründe hierfür waren einerseits die Produktionsbeschränkungen der Zünfte, andererseits besaßen die meisten Handwerker aber auch nicht das erforderliche kaufmännische Wissen, um ihre Produkte gewinnbringend zu verkaufen (Rosenbaum 1982:133f.). Die Handwerksproduktion erforderte eine mehrjährige Lehre, an die sich die Gesellenwanderschaft anschloss. Erst dann konnte die Meisterprüfung absolviert und ein eigener Handwerksbetrieb übernommen werden - wenn die entsprechenden Produktionsmittel vorhanden waren (Rosenbaum 1982:126).
In den Städten war die Ausübung des Handwerks an die Mitgliedschaft in der Zunft gebunden, die zugleich die „privaten, geselligen, sittlichen, rechtlichen Lebensbedingungen“ des Handwerksmeisters und seiner Angehörigen regelten (Wissel 1971:145, zitiert nach Rosenbaum 1982:128). Dies sollte zunächst allen Zunftmitgliedern ein regelmäßiges Einkommen sichern, ab dem 18. Jahrhundert diente allerdings die besonders enge Auslegung der Vorschriften dazu, unliebsame Konkurrenten auszuschalten. Ein Mittel hierzu war die Bevorzugung der Meistersöhne bei der Ausbildung. Als ein weiteres Regulativ diente der Heiratsmarkt. Für Gesellen bot die Heirat einer Meistertochter oder Meisterwitwe vielfach die einzige Chance, in die Zunft aufgenommen zu werden. Vorraussetzung für die Zunftmitgliedschaft war die eheliche Geburt, die für den Meister wie für seine Frau zum Teil über mehrere Jahre hinweg nachgewiesen werden musste (Rosenbaum 1982:129f.).
2.3.1.2 Bedeutung der Eheschließung für den Handwerksbetrieb
Bei den Handwerkern waren wie bei den Bauern Familienleben und Haushalt eng an die Produktion gekoppelt (Rosenbaum 1982:121). Nach Vorgabe der Zunftordnung gehörten zur Stellung des Meisters ganz selbstverständlich die Bürgerrechte der Stadt und der Verheiratetenstatus. Die Positionen des Meisters und der Meisterin mussten besetzt sein, da beide spezifische wirtschaftliche Funktionen im Handwerkerhaushalt ausübten, erzieherisch und vorbildlich auf die im Haus lebenden Lehrlinge einzuwirken hatten und durch ihr Verhalten den Handwerkshaushalt nach außen repräsentierten. Damit bestand bei Witwenschaft gewisser Maßen ein Zwang zur Wiederverehelichung. So verpflichtete die Zunft Meisterwitwen dazu, innerhalb einer bestimmten Frist einen Gesellen des gleichen Gewerbes zu heiraten oder aber den Handwerksbetrieb aufzugeben.
Auch im Handwerk spielten wirtschaftliche Erwägungen bei der Partnerwahl eine vorrangige Rolle. Mit dem Übergang in die Selbständigkeit und der Hochzeit waren hohe Kosten verbunden, die durch eine „Einheirat in die Zunft“ deutlich reduziert werden konnten. Dass Gesellen eine Meisterwitwe heirateten, kam recht häufig vor und führte zum Teil zu erheblichen Altersunterschieden. Darüber hinaus bestand bei den Handwerkern keine ausgesprochene Tendenz zur Endogamie innerhalb des eigenen Gewerbes, was vermutlich daran lag, dass die Tätigkeiten der Frauen im gesamten Handwerk die gleichen waren. Vielfach spielte bei der Wahl der Ehefrau die Höhe der Mitgift noch vor der Herkunft aus dem eigenen Gewerbe die ausschlaggebende Rolle (Rosenbaum 1982:149ff.).
2.3.1.3 Voreheliche Sexualität
Während das Handwerk auf dem Dorf, so wie die bäuerliche Gesellschaft, den sexuellen Regulationsmechanismen der dörflichen Gemeinschaft unterlag, galten beim städtischen Handwerk ganz andere moralische Grundsätze. Jegliche Form vorehelicher Sexualität galt als unsittlich und wurde zum Teil stärker kriminalisiert als von der Kirche und konnte wie der Ehebruch zum Ausschluss aus der Zunft und zur Schließung des Handwerksbetriebes führen. Eine bedeutsame Rolle spielte hierbei die große Konkurrenz im Handwerk, das sich im 17. Jahrhundert dem Pietismus öffnete und durch den sich die kleinbürgerlich-handwerklichen Moralvorstellungen in weiten Teilen der Bevölkerung verbreiteten (van Dülmen 1990:188f.). Trotz der repressiven Sexualmoral der Zünfte kannten besonders die Wandergesellen ein freizügiges und sinnliches Sexualleben. In den größeren Orten zählten sie zu den besten Kunden der Bordelle (Sieder 1987:121).
2.3.1.4. Geschlechterverhältnis
In den florierenden Städten des Hohen Mittelalters war die Frau dem Mann rechtlich fast gleichgestellt. Töchter hatten wie die Söhne die Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen. So gab es zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert in Frankfurt am Main 65 Frauenberufe (Rath 1998:67). Textil- und Braugewerbe befanden sich fast ausschließlich in der Hand von Frauen. Sie konnten aber auch als Ärztinnen, Hebammen oder Lehrerinnen und Schreiberinnen arbeiten und waren vor allem im Kleinhandel vertreten. Bürgerlich-städtische Frauen konnten ein ökonomisch und rechtlich relativ selbständiges Leben führen, aber auch sie befanden sich gegenüber den Männern in einer ungünstigeren Position. Der Anteil berufstätiger Frauen war wesentlich geringer als der der Männer, sie verdienten 30 – 50 % weniger als Männer, ihr Anteil unter den Armen war überproportional hoch (Schirmer 1991:19). Mitte des 16. Jahrhunderts wurden sie dann aufgrund der großen Konkurrenzsituation, die mit der Überbevölkerung der Städte, dem Absinken der Löhne, daraus folgender Inflation und Verarmung entstanden war, von den Zünften ausgeschlossen (Rath 1998:67).
Dieser grundsätzliche Ausschluss der Frauen aus dem Handwerk und der Erwerbstätigkeit basierte auf der patriarchalischen Verfassung der Zünfte und begründete die geschlechtsspezifische Segregation auch im familialen Bereich. So untersagten die Zunftgesetze der Frau jegliche Beschäftigung im Gewerbe des Mannes (Rosenbaum 1982:154). Die gesellschaftliche Stellung der Frau war weitgehend durch die Position ihres Ehemannes bestimmt, sie verfügte über keinerlei rechtliche und politische Eigenständigkeit. Auch die innerfamiliale Vorrangstellung des Mannes wurde durch die Zunftvorgaben abgesichert – durch seine komplexen Kompetenzen und seine Verantwortlichkeit für das sittliche und religiöse Klima in seinem Haus (Sieder 1987:115). Die durch die Zunftvorgabe untermauerte Arbeitsteilung ergab sich im weiteren auch aus der handwerklichen und landwirtschaftlichen Produktion. Der Mann war allein für die gewerbliche Produktion zuständig, die Frau war für die Versorgung des Haushalts und der Kinder und für die anfallenden landwirtschaftlichen Arbeiten zuständig. Von dieser strikten Arbeitsteilung wurde nur in Ausnahmefällen abgewichen, wenn in dem einen oder anderen Bereich vermehrt Arbeit anfiel (Rosenbaum 1996:154ff.).
2.3.2 Die Qualität der ehelichen Beziehung
2.3.2.1 Eheliche Sexualität
Durch die restriktiven Vorgaben der Zunft war der Geschlechtsverkehr auf die Ehe beschränkt und auch hier allein zur Zeugung von Kindern statthaft. Eine zu schnelle Niederkunft nach der Eheschließung führte demzufolge zum Ausschluss aus der Zunft. Die Härte solcher Sanktionen verweist nicht nur auf moralische Verurteilung, sondern auch auf die ökonomische Situation der Handwerker (Rosenbaum 1982:160f.). Im Unterschied zur bäuerlichen Hofwirtschaft war hier die Möglichkeit, unehelich geborene Kinder zu versorgen, kaum gegeben, da sie nicht ohne weiteres als Arbeitskräfte eingesetzt werden konnten (Sieder 1987:121). Andererseits deuten diese Sanktionen auf einen eher geringen „ehrbaren Lebenswandel“ hin. Der zum Teil erhebliche Altersunterschied bei den Versorgungsehen lässt auf eine eher geringe sexuelle Anziehung zwischen den Ehegatten schließen, die vermutlich durch außereheliche Beziehungen kompensiert wurde. Zumindest die sexuell recht freizügigen Wandergesellen werden ihre Gewohnheiten mit der Eheschließung nicht abrupt aufgegeben haben. Das erotisch-sexuelle Verhältnis zwischen den Ehegatten hat sich vermutlich nur wenig von dem der Bauern unterschieden. Die streng patriarchalischen Strukturen der Handwerksfamilie werden wohl kaum ein ausgeglichenes Sexualleben zugelassen haben (Rosenbaum 1982:161f.).
2.3.2.2 Liebesgefühle
Die gewöhnliche Handwerkerehe war nicht besonders liebevoll und herzlich. Dies kann zum einen damit begründet werden, dass persönliche Anziehung und Zuneigung auch bei den Handwerkern eine nachrangige Bedeutung bei der Partnerwahl hatten. Da die Partnerwahl in der Regel vom Mann ausging, konnten hier zudem einseitig normative Ansprüche an die Tauglichkeit der zukünftigen Ehefrau gestellt werden (Sieder 1987:113). Durch die patriarchalen Organisationsstrukturen der Zünfte besaß er nahezu uneingeschränkte Autorität gegenüber allen Haushaltsangehörigen, die auch das Züchtigungsrecht gegenüber der Frau einschloss. Gelang es ihm nicht, seine patriarchale Rolle durchzusetzen, verminderte dies sein Ansehen und er wurde als „Pantoffelheld“ verschrien. Folglich ist davon auszugehen, dass Streit oftmals provoziert wurde, um das Züchtigungsrecht zur Bestätigung der Autoritätsposition anwenden zu können. Besonders zur Zeit des Niedergangs des Handwerks, der mit wirtschaftlichen Problemen einherging, diente solches Verhalten als Kompensationsmechanismus für den Verlust „von ökonomischer Macht und sozialem Ansehen“. Streit, Zank und Gewalttätigkeit scheinen demnach die häusliche Situation bestimmt zu haben, die durch die beengten Wohnverhältnisse, die ein gegenseitiges Ausweichen nicht zuließen, noch verschärft wurde. Die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Verhaftung im traditionellen Gefüge machten eine Trennung nahezu unmöglich, so dass nicht selten als letzter Ausweg der Gattenmord eine Lösung der problematischen Verhältnisse bot (Rosenbaum 1982:158ff.)[2].
2.4 Adel
2.4.1 Institutionalisierung der Liebe
2.4.1.1 Bedeutung der Ehe für die Herrschaftsstrukturen der adeligen Familien
Die Grundlage adeliger Herrschaftsstrukturen waren Familienbesitz, insbesondere Stammsitz, Ämter und Prestige. Zur Erhaltung des adeligen Standes und der Liniensicherung mussten Besitz und Ämter innerhalb der Familie verbleiben und möglichst erweitert werden. Zum Erhalt der Familie bedurfte es in erster Linie einer großen, adeligen Nachkommenschaft. Durch Heirats- und Erbregelungen wurden den einzelnen Familienmitgliedern familiale Rollen und berufliche Positionen zugewiesen, die sich vorrangig nach den Kriterien Geschlecht und Stellung in der Geburtenfolge orientierten. Der Einzelne war den familialen Zielen untergeordnet und hatte die ihm zugewiesenen Aufgaben zu übernehmen und auch wieder abzugeben, wenn die Familienziele dies erforderten. Der Rittergutsbesitz, als wichtigste Machtbasis der Familie, wurde durch Primogeniturregelung vererbt. Damit kam allein dem ältesten Sohn, der auch vorwiegend für die generative Reproduktion des Standes zuständig war, die Nutzung des Familienbesitzes zu. Die heiratenden Töchter erhielten eine Mitgift und die nichtheiratenden Töchter wurden in ein Kloster gegeben oder auch später (so beim westfälischen Adel des 18. Jahrhunderts) z.B. in ein Damenstift (Reif 1982:125ff.). Die nicht heiratenden Söhne wurden im Hohen Mittelalter zu Kriegern ausgebildet und zogen dann ohne Anbindung an die Herkunftsfamilie durch das Land, um an anderen Herrscher- und Fürstenhäusern eine Anstellung zu finden. Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde zunehmend versucht, auch die später geborenen Söhne durch Vergabe von Ämtern in die Familieninteressen einzubinden. Dies wurde in dem Maße erforderlich, wie unvorhersehbare Ereignisse wie z.B. Kinderlosigkeit oder auch der vorzeitige Tod des erstgeborenen Sohnes die „familialen Ordnungsbemühungen“ untergruben und ein nachgeborener Sohn diesen Aufgabenbereich übernehmen musste (Reif 1982:139ff.).
Die Eheschließung hatte in Adelskreisen eine weitreichende Bedeutung, hierüber wurden politische Allianzen zwischen Herrscherhäusern gebildet und der Fortbestand des Standes gesichert (Mitterauer 1991a:60). Eheschließungen wirkten als soziales Bindemittel, stifteten und bekräftigten Solidaritätsbeziehungen zwischen Verwandtengruppen, ermöglichten gegebenenfalls die Vermehrung von Besitz und Ansehen und erhöhten die Aufstiegschancen (Schröter 1985:381). Partnerwahl und Heirat unterlagen damit weit mehr noch als bei den anderen sozialen Schichten den Ansprüchen und Interessen der Familie und Verwandtschaft und erstreckten sich in ihrer Bedeutung auch auf zukünftige Generationen, da hierüber der Bestand einer Herrschaftslinie gesichert werden sollte.
[...]
[1] Dies liegt unter anderem daran, dass das historische Material bis zum ausgehenden Mittelalter kaum Auskunft über die Liebe zwischen dem Paar gibt, weshalb in der sozialgeschichtlichen Literatur die Liebe in erster Linie auf der Ebene der Ehe und Eheschließungsstrukturen betrachtet wird.
[2] Dies war in Wien um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert eines der entscheidenden kriminellen Delikte in den traditionell strukturierten, kleinbürgerlichen Familien (Ehmer 1974:40, zitiert nach Rosenbaum 1982:160).
- Citation du texte
- Magistra Artium Renée Knipprath (Auteur), 2004, Sozialgeschichte der Liebe vom hohen Mittelalter bis zur Gegenwart, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212359
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