Für die Fans eines Fußballvereins sind sie die Höhepunkte des Jahres: Derbys gegen den Lokalrivalen. Dabei kann man in zwei Derby-Kategorien unterscheiden. Auf der einen Seite stehen Rivalitäten zwischen Vereinen benachbarter Städte wie Dortmund und Gelsenkirchen. Auf der anderen Seite stehen stadtinterne Duelle wie in München zwischen 1860 und dem FC Bayern. Nicht immer, aber sehr häufig entwickeln sich diese Rivalitäten im Kontext sportlicher Konkurrenzfähigkeit.
Wie aber erfolgt die Zuordnung der Fans zu ihrem jeweiligen Verein? Und gibt es kulturelle sowie strukturelle Unterschiede zwischen den Anhängern zweier Lokalkonkurrenten? Bei der erstgenannten Form der Rivalität scheint die Antwort einfach: Denn die Entwicklung einer Fan-Identität ist oft durch regionale Verortung begünstigt. Deutlich schwieriger wird die Analyse bei stadtinternen Duellen. Auch hier gibt es Rivalitäten, die mit regionalen Bezügen erklärt werden: So gilt in Berlin der 1. FC Union als Ost-Verein, während Hertha BSC seine Fan-Basis im Westen der Stadt haben soll. Anders sieht es beispielsweise in Glasgow aus: Dort gelten die Rangers als Club der Protestanten und Celtic als Club der Katholiken.
In dieser Arbeit wird der Frage nachgehen, was die Rivalität zwischen dem Hamburger SV und dem FC St. Pauli ausmacht. Es bestehen bestimmte Vorurteile: So reproduzieren Medien und Verein immer wieder das in den 1980er Jahren kreierte Bild vom Nebeneinander von „Fans, Punks und Schicks“ beim FC St. Pauli. Der HSV wird hingegen als (klein-)bürgerlicher Verein verstanden, der aus seinen Spielen ein Familien-Event macht. Zudem kursieren Vermutungen über den üblichen Bildungsstand, durchschnittliche Einkommen, bevorzugte Lebensstile und regionale Verortung der jeweiligen Fangruppen.
Die Arbeit soll in Form eines narrativen Reviews bisherige Erkenntnisse. Als Grundlage dienen in erster Linie wissenschaftliche Texte, aber auch Fan-Literatur, Medienberichte und dokumentierte Fan-Aktionen. Bei der Auswahl der Quellen wurde eine möglichst strukturierte Vorgehensweise angestrebt. Die Suche erfolgte in mehreren Schritten und in der Gewichtung standen wissenschaftliche Texte über anderen Quellen wie Vereinsenzyklopädien, Zeitungsberichten oder Videos und Fotos aus Fußballstadien. Grundlage der Arbeit ist eine sozialisationstheoretische Argumentation, nach der verschiedene Faktoren wie Erziehung und sozialstrukturelle Bedingungen auf die Beziehung des Fans zu seinem Fanobjekt Einfluss nehmen.
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretischer Rahmen
2.1 Fußball als Thema soziologischer Forschung
2.1.1 Forschungsstand: Wissenschaftliche Analysen über Fans
2.1.2 HSV und St. Pauli als wissenschaftliche Forschungsfelder
2.2 Zum Verständnis des Begriffs „Fan“
2.2.1 Konzepte zur Kategorisierung von Fans
2.2.2 Schlussfolgerungen für diese Arbeit
2.3 Fans und Sozialisation
2.3.1 Zum Verständnis des Begriffs „Sozialisation“
2.3.2 Das integrative Erklärungsmodell von Skrobanek/Jobst
2.3.3 Ergänzungen zur Sozialstruktur
2.3.4 Ergänzungen zur Lebensstil- und Milieuforschung
2.3.5 Schlussfolgerungen für diese Arbeit
3. HSV und St. Pauli – eine besondere Rivalität
3.1 Sportlich und wirtschaftlich ein Duell „Groß gegen Klein“
3.2 Rivalitäts-Rituale der Fans
3.3 Analyse der vorliegenden Quellen
3.3.1 Dimension der Identitätsbildung
3.3.2 Dimension der politischen Einstellung
3.3.3 Dimension der Wählbarkeit des Fanobjekts
3.3.4 Dimension der regionalen Zugehörigkeit
3.3.5 Dimension des Geschlechts
3.3.6 Dimension der Bildung
3.3.7 Dimension des Einkommens
3.3.8 Dimension der Lebensstile und Milieus
4. Formulierung der Hypothesen
5. Ausblick für die Forschung
5.1 Politisches Interesse und politische Ausrichtung
5.2 Wählbarkeit des Fanobjekts
5.3 Regionale Zuordnung
5.4 Bildung, Geschlecht und Einkommen
5.5 Lebensstile und Milieus
6. Fazit
Literatur
Internet-Quellen
Eidesstattliche Erklärung
Abbildungsverzeichnis
Abb. 2.1: Fans und Sozialisation: Erklärungsmodell von Skrobanek/Jobst
Abb. 2.2: Fans und Sozialstruktur: Erklärungsmodell von Otte
Abb. 2.3: Sinus-Milieus in Deutschland
Abb. 3.1: Umsatz-Entwicklung beim Hamburger SV und dem FC St. Pauli
Abb. 3.2: Entwicklung der Zuschauerzahlen beim Hamburger SV und dem FC St. Pauli
1. Einleitung
Für die Fans eines Fußballvereins sind sie die Höhepunkte des Jahres: Derbys gegen den Lokalrivalen. Exemplarisch dafür stehen diverse Aussagen wie die von Kevin Großkreutz, Profi und gleichzeitig bekennender Fan von Borussia Dortmund, nach dem 2:0 gegen Nachbarclub Schalke 04 am 26. November 2011: „Der Sieg ist geiler als die Meisterschaft“ (Der Westen 26.11.2011). St. Paulis Mittelfeldspieler Timo Schultz formuliert es nach dem Bundesliga-Aufstieg seines Clubs im Sommer 2010 noch drastischer: „Dann gewinnen wir halt zwei Mal gegen den HSV. Wenn wir mit sechs Punkten wieder absteigen würden, wären unsere Fans dennoch zufrieden" (welt.de 11.05.2010).
Nahezu jeder Proficlub hat einen Lokalrivalen. Dabei kann man in zwei Derby-Kategorien unterscheiden. Auf der einen Seite stehen Rivalitäten zwischen Vereinen benachbarter Städte wie Borussia Dortmund und Schalke 04[1], Eintracht Frankfurt und 1. FC Kaiserslautern oder Ajax Amsterdam und Feyenoord Rotterdam. Auf der anderen Seite stehen stadtinterne Duelle wie in München zwischen 1860 und dem FC Bayern, in Berlin zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union oder in Glasgow zwischen Rangers und Celtic. Nicht immer, aber sehr häufig entwickeln sich diese Rivalitäten im Kontext sportlicher Konkurrenzfähigkeit.
Wie aber erfolgt die Zuordnung der Fans zu ihrem jeweiligen Verein? Und gibt es kulturelle sowie strukturelle Unterschiede zwischen den Anhängern zweier Lokalkonkurrenten? Bei der erstgenannten Form der Rivalität scheint die Antwort einfach: Denn die Entwicklung einer Fan-Identität ist oft durch regionale Verortung begünstigt (Schwenzer/Selmer 2010: 391). Wer in Gelsenkirchen aufwächst, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Schalke-Fan. Und wer im benachbarten Dortmund aufwächst, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Dortmund-Fan. Deutlich schwieriger wird die Analyse bei stadtinternen Duellen. Auch hier gibt es Rivalitäten, die mit regionalen Bezügen erklärt werden: So gilt in Berlin der 1. FC Union als Ost-Verein, während Hertha BSC seine Fan-Basis im Westen der Stadt haben soll (n-tv.de 17.09.2010). Anders sieht es beispielsweise in Glasgow und Barcelona aus: Bei den Schotten gelten die Rangers als Club der Protestanten und Celtic als Club der Katholiken (Murray 1984: 18ff.). Und in der zweitgrößten Stadt Spaniens fungiert der FC Barcelona als Identifikationsgenerator des katalonischen Volkes, während Espanyol Barcelona ein Symbol für das zentralistische Spanien ist (Spaaij 2006: 251f.).
In dieser Bachelor-Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, was die Rivalität zwischen dem Hamburger SV und dem FC St. Pauli ausmacht. Es bestehen bestimmte Vorurteile: So reproduzieren Medien und Verein immer wieder das in den 1980er Jahren kreierte Bild vom friedlichen Nebeneinander von „Fans, Punks und Schicks“ beim FC St. Pauli (Mathar 2008a: 72, Dürr 2008: 197, Schäfer 2012: 15). Der HSV wird hingegen als (klein-)bürgerlicher Verein verstanden, der aus seinen Spielen ein Familien-Event macht (Ehrhardt 2006: 32). Zudem kursieren Vermutungen über den üblichen Bildungsstand, durchschnittliche Einkommen, bevorzugte Lebensstile und regionale Verortung der jeweiligen Fangruppen.
Zur Durchführung einer repräsentativen empirischen Analyse sind Hypothesen nötig, die mit wissenschaftlichen Methoden generiert werden müssen. Zwar ist über die Fans von HSV und St. Pauli bereits qualitativ geforscht worden, eine Folge-Studie wurde darauf allerdings nie aufgebaut. Diese Arbeit soll nun in Form eines narrativen Reviews bisherige Erkenntnisse bündeln und somit eine empirische Analyse möglich machen. Als Grundlage dienen in erster Linie wissenschaftliche Texte, aber auch Fan-Literatur, Medienberichte und dokumentierte Fan-Aktionen.
Die Methode des narrativen Reviews wurde für diese Arbeit bewusst gewählt. Sie wurde einer eigenen Exploration in Form von narrativen Interviews oder Gruppendiskussionen vorgezogen, weil es zum Thema bereits etliche Veröffentlichungen auf der Grundlage qualitativer Sozialforschung gibt, deren Bündelung für die Wissenschaft einen Schritt nach vorn bedeuten kann. Das narrative Review wurde einer eigenen quantitativen Erhebung vorgezogen, weil es bisher keine dafür nötige Zusammenfassung von Hypothesen gab. Und es wurde auch einer ausführlichen Meta-Analyse vorgezogen, weil dafür die Datenlage schlichtweg nicht ausreichte.[2] Das muss aber kein Nachteil sein: Denn während die Meta-Analyse auf der Auswertung mehrerer empirischer Studien mittels statistischer Verfahren beruht und vor allem dem Testen von Hypothesen dient, ist das narrative Review als eine qualitative Zusammenfassung mit großem Nutzen für die Theorie- und Hypothesenbildung zu verstehen (Baumeister/Leary: 312). Rainer Schnell, Paul Hill und Elke Esser stellen in ihrem Methodenlehrbuch diesbezüglich fest: „Ein großer Teil der Arbeit in der Phase der Theoriebildung besteht aus der Literaturanalyse“ (Esser/Hill/Schnell: 9).
Allerdings birgt die Methode des narrativen Reviews auch Hürden, wie Michael Wagner und Bernd Weiß zusammenfassen. Demnach fehle es solchen Übersichtsartikeln häufig an Standardisierung. Zudem kann die Literaturrecherche unvollständig oder die Gewichtung der Informationen subjektiv sein (Wagner/Weiß 2006: 480). Aufgrund der Auseinandersetzung mit diesen drohenden Problemen wurde vor allem bei der Auswahl der Quellen eine möglichst strukturierte Vorgehensweise angestrebt. Die Suche erfolgte in mehreren Schritten[3] und in der Gewichtung standen wissenschaftliche Texte über anderen Quellen wie Vereinsenzyklopädien, Zeitungsberichten oder Videos und Fotos aus Fußballstadien.
Von Bedeutung für diese Arbeit ist auch die Position des Forschers im Forschungsfeld: Das Interesse an der Forschungsfrage entstand nicht nur aufgrund allgemeinen Interesses am Fußball, sondern auch wegen einer ganz speziellen Beziehung zu den Hamburger Vereinen. Langjährige Zugehörigkeit zur Anhängerschaft des HSV und stetig anwachsende Sympathie mit Fans des FC St. Pauli hatten eine ständige Auseinandersetzung mit den Vorurteilen über die jeweiligen Gruppierungen zur Folge, deren Wahrheitsgehalt nun überprüft werden soll.
Nach Rainer Winter ist diese Konstellation nicht unbedingt ein Problem, sondern vielmehr typisch: Er konstatiert, dass Fanforscher in den 1990er Jahren ihre traditionell distanzierte Haltung gegenüber dem jeweiligen Forschungsobjekt weitgehend aufgegeben haben (Winter 2010: 164ff.). Heutzutage seien viele Akademiker auch Fans, was vor allem im angloamerikanischen Raum akzeptiert sei (ebd.: 168). Aufgrund der Feldintegration seien auch autoethnographische Verfahren ein mögliches Mittel zur Erforschung von Fanszenen – solange der Wissenschaftler die Selbstreflexion nicht vernachlässigt (ebd.: 169ff.).
Bevor es in dieser Arbeit aber zur Formulierung von Hypothesen kommen kann, soll ein theoretischer Rahmen abgesteckt werden. Zunächst gilt es, das Forschungsfeld zu benennen. Dafür müssen der Begriff Fan definiert und somit die Grundgesamtheit des Vergleichs von HSV- und St.-Pauli-Anhängern bestimmt werden. Kern der anschließenden Analyse ist eine sozialisationstheoretische Argumentation, nach der verschiedene Faktoren wie Erziehung und sozialstrukturelle Bedingungen auf die Beziehung des Fans zu seinem Fanobjekt Einfluss nehmen. Danach können die beiden Fanszenen verglichen werden, ehe diese Arbeit noch einen Ausblick für die weitere Forschung anbieten soll.
2. Theoretischer Rahmen
Für die empirische Untersuchung der Unterschiede zwischen den Fangemeinschaften zweier Fußball-Vereine ist eine komplexe theoretische Basis nötig, weil die möglichen Differenzen verschiedene soziologische Arbeitsbereiche betreffen. Dazu müssen zunächst grundsätzliche Fragen erörtert werden: Welche gesellschaftliche Bedeutung haben Fußball-Vereine? Was sind Fans? Und: Wie ist der Stand der Fanforschung?
Für die Beantwortung der Forschungsfrage drängt sich die Frage nach der Sozialisation als Fan auf, da nach übereinstimmenden Erkenntnissen der Wissenschaft die emotionale Bindung zu einem Fußball-Verein fast immer in Kindheit, Jugend oder Adoleszenz aufgebaut wird (Akremi/Hellmann 2010: 313). Eltern und Freunde haben hier die größte Wirkung auf die Zuordnung zu einem bestimmten Fanobjekt (Ohr 2010: 345). Zudem nimmt der Einfluss der Medien stetig zu (Mikos 2007: 487). Deshalb soll hier vor dem empirischen Teil eine sozialisationstheoretische Grundlage gelegt werden.
Für eine umfassende Sozialisationstheorie muss die Analyse sozialstruktureller Bedingungen einbezogen werden (Scherr 2002: 62, Grundmann 2010: 545). In diesem Zusammenhang kann erklärt werden, wie Lebenschancen von Individuen durch Konzepte wie Klasse, Schicht, Milieu und Lebensstil analysierbar sind (Geulen 2007: 242ff.). So kann beispielsweise überprüft werden, ob es in den jeweiligen Gruppen auffällige Häufungen bei bestimmten Bildungsständen, Einkommensklassen, Lebensstilen und regionaler Verortung gibt.
2.1 Fußball als Thema soziologischer Forschung
Zum Thema Fußball ist in den vergangenen Jahrzehnten eine unüberschaubare Anzahl von sozialwissenschaftlichen Büchern und Aufsätzen publiziert worden. Als bekannteste Klassiker unter den Autoren gelten Norbert Elias und Pierre Bourdieu, denen Karl-Heinrich Bette attestiert, mit ihren Arbeiten „wichtige Impulse“ für die Etablierung der Sportsoziologie geliefert zu haben (Bette 2010: 594). Inzwischen sind in der Fußballsoziologie diverse Themenbereiche erörtert worden, sodass die Wissenschaftsgemeinschaft um Sortierung bemüht scheint. Auch in der deutschsprachigen Literatur bieten mittlerweile mehrere in den vergangenen Jahren erschienene Sammelbände eine Übersicht.[4]
2.1.1 Forschungsstand: Wissenschaftliche Analysen über Fans
Unbestritten scheint die Annahme, dass Fußball gemeinschaftsstiftend ist und somit die Konstruktion und Reproduktion globaler, regionaler und nationaler Identitäten unterstützt (Bromberger 1998: 297f., Bielefeld 2008: 22f., Klein 2008: 31, Roose/Schäfer 2008: 202).[5] Ulrich Bielefeld stellt zudem fest, dass bei der Zugehörigkeitsdefinition weitere Faktoren wie „Klasse, Schicht, Lebensstil, aber auch ethnische und religiöse Zugehörigkeit und Zuschreibungen“ eine Rolle spielen können (Bielefeld 2008: 23). Ein breiter Konsens ist auch in sehr vielen genderspezifische Analysen zu erkennen. Mehrheitlich ist hierbei zu lesen, dass der Fußball ein besonders geeignetes und auch genutztes Feld der Produktion und Inszenierung von Männlichkeit ist (Dunning/Murphy/Williams 2003: 470, Meuser 2008: 113). Desweiteren bekräftigen Autoren, dass Fußball als Plattform für Gewalthandlungen genutzt wird (Heitmeyer/Peter 1988: 61).
In der sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschung wurden in den vergangenen Jahren auch etliche veröffentlichte und unveröffentlichte Abschlussarbeiten, Studierendenprojekte und Zeitschriftenbeiträge verfasst, welche die Fan-Kultur bestimmter Clubs zum Thema haben. Beispielhaft seien hier die Texte von Thomas Franke und Veit Pätzig über Lok Leipzig und Viktoria Schwenzer über den 1. FC Union Berlin sowie ein von Jochen Bonz initiiertes Zwei-Semester-Projekt mit Studierenden über Werder Bremen genannt.
Allerdings handelt es sich meist um qualitative Arbeiten, bei denen es größtenteils um Rituale, Fan-Identität oder Gewalthandeln geht. Nach Sozialstrukturen wird allenfalls in Marketing-Analysen gefragt. Und es mangelt an repräsentativen Studien, die eine Generalisierung möglich machen. Mittlerweile ist in Deutschland aber einiges auf den Weg gebracht worden. Beispielsweise haben Roose, Schäfer und Schmidt-Lux 2005 eine Online-Umfrage mit 6.353 Teilnehmern durchgeführt, die sie als „Quantitative Exploration“ bezeichnen (Roose/Schäfer/Schmidt-Lux 2010: 14). Derzeit läuft über ihre Homepage www.fanforschung.de eine erneute Erhebung.
2.1.2 HSV und St. Pauli als wissenschaftliche Forschungsfelder
Auch über die Anhänger der Hamburger Profi-Vereine existieren wissenschaftliche Arbeiten. Allerdings scheint der FC St. Pauli das weitaus interessantere Feld zu sein, zumindest ist über den Kiez-Club in den vergangenen 25 Jahren deutlich mehr geforscht worden als über den HSV. So veröffentlichte Brigitta Schmidt-Lauber[6] 2003 den mittlerweile in 3. Auflage erschienenen Sammelband „FC St. Pauli. Zur Ethnographie eines Vereins“. Zudem sind in den Bibliotheken der Universität Hamburg einige Magister- und Diplom-Arbeiten veröffentlicht: Michael Weiner (2004), Stephan Päckert (2005), Lucie Scholl (2007) und Phillip Falk (2010) beschäftigen sich dabei allesamt mit Themen rund um die Fan-Kultur beim FC St. Pauli. Als beliebtes Beispiel fungiert der Kiez-Club auch, wenn es um Marken- und Marketingfragen geht (Hanas 2009, Bertermann 2010, Kemter 2010, Niegel 2010). Noch unveröffentlicht ist die Bachelor-Arbeit von Frederik Schäfer, der 2012 die Mechanismen performativer Vergemeinschaftung im Millerntorstadion analysierte. Darüber hinaus gibt es etliche weitere wissenschaftliche Texte, die nie veröffentlicht wurden.[7]
Außerdem sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Bücher und Enzyklopädien über den FC St. Pauli erschienen – meist von Fans gemacht und mit autobiografischem Charakter. Als Wegbereiter dafür können Autoren wie Uwe Dulias, Werner Langmaack und René Martens angesehen werden, die bereits 1980er und 1990er Jahren über Verein und Fans geschrieben haben. Im Zuge des offiziellen 100. Vereins-Geburtstags 2010 haben die Veröffentlichungen inflationär zugenommen.
Über die HSV-Anhänger gibt es hingegen sehr viel weniger Material. Florian Holzkamp beschäftigte sich 1990 mit dem damaligen Zuschauerrückgang beim HSV[8]. Florian Schubert veröffentlichte 2009 eine Fallstudie über Strategien von rechtsextremen Fußball-Fans und Gegenmaßnahmen der Vereine am Beispiel des HSV. Ebenfalls einen klaren Gewaltbezug haben die 2009 von Alexander Hoh veröffentlichten Erinnerungen an die Hooligan-Kultur beim Hamburger SV der 1980er und frühen 1990er Jahre. Als vielzitierte Quellen dienen dann noch eine Dokumentation des Vereins Jugend und Sport e.V., Träger des HSV-Fanprojekts und des Fanladens St. Pauli[9], anlässlich des Bundesliga-Stadtderbys am 24. November 1995 (Verein Jugend und Sport e.V. 1996) sowie die seit 1995 erscheinenden Jahresberichte des HSV-Fanprojekts.
Ansonsten geht es bei den von Fans produzierten HSV-Büchern und -Enzyklopädien vor allem um Fakten und frühere sportliche Erfolge, wenngleich mit Werner Skretny ein Autor zumindest am Rande auf die Fanszene eingeht und damit einen Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit leistet. Insgesamt ist aber klar zu erkennen, dass in der Fan-Literatur zum FC St. Pauli die Fans selbst eine deutlich dominantere Rolle einnehmen. Erst im September 2012 werden die HSV-Anhänger einen Schritt in diese Richtung machen, wenn der mehr als 600 Seiten starke Band „Kinder der Westkurve“[10] in den Buchhandel kommt.
2.2 Zum Verständnis des Begriffs „Fan“
Der Fan ist im heutigen Sprachgebrauch ein „begeisterter Anhänger“ (Duden 2001b: 201). Die Bezeichnung stammt ab vom lateinischen fanaticus, ein Sakralwort, das ursprünglich „von der Gottheit ergriffen und in rasende Begeisterung versetzt“ bedeutete (ebd.). Der Begriff Fan ist auch der englischen Sprache übernommen und dort das Kurzwort für fanatic (deutsch: Fanatiker). Im Gegensatz zum angloamerikanischen Sprachraum unterscheiden sich in Deutschland die Bedeutungen der beiden Begriffe aber recht deutlich: Ein Fanatiker gilt hier als „Eiferer“ und „dogmatischer Verfechter einer Überzeugung oder einer Idee“, der häufig mit „einer Art Verbohrtheit“ und Rücksichtslosigkeit agiert (Duden 2001a: 303).
Eine tiefergehende Definition erläutern Jochen Roose, Mike S. Schäfer und Thomas Schmidt-Lux in der Einleitung ihres Buchs „Fans. Soziologische Perspektiven“. Unter Rückgriff auf verschiedene Autoren[11] bezeichnen sie Fans schließlich als „Menschen, die längerfristig eine leidenschaftliche Beziehung zu einem für sie externen, öffentlichen, entweder personalen, kollektiven, gegenständlichen oder abstrakten Fanobjekt haben und in die emotionale Beziehung zu diesem Objekt Zeit und/oder Geld investieren“ (Roose/Schäfer/Schmidt-Lux 2010: 12)[12].
[...]
[1] beheimatet in Gelsenkirchen
[2] Nur in kleinen Teilen hat diese Arbeit metaanalytische Züge, wenn es zum Beispiel um den jeweiligen Frauen-Anteil in den Fangemeinschaften oder die Zuordnung zu einem bestimmten Verein aufgrund der Entfernung des Wohnortes zum jeweiligen Stadion geht.
[3] 1. Recherche in den Bibliotheken der Universität Hamburg, 2. Suche in Online-Datenbanken (Campus-Katalog, GVK, wiso-net), 3. Recherche über eine Internet-Suchmaschine, 4. footnote chasing, 5. Befragung von Professoren, 6. Befragung von Sozialarbeitern der jeweiligen Fanszenen
[4] Beispiele: „Fußball als Kulturphänomen. Kunst – Kult – Kommerz“ von Herzog Marquard (2002), „Ernste Spiele. Zur politischen Soziologie des Fußballs“ von Gabriele Klein und Michael Meuser (2008), „Am Ball der Zeit. Fußball als Ereignis und Faszinosium“ von Rebekka Ladewig und Annette Vowinckel (2009) sowie „Fans. Soziologische Perspektiven“ von Jochen Roose, Mike S. Schäfer und Thomas Schmidt-Lux (2010).
[5] Eine große Tradition hat in diesem Zusammenhang der Vergleich von Fußball und Religion, vor allem unter Bezug auf die Ritualtheorie von Emilé Durkheim aus dem Jahr 1912, der ritualisiertes Handeln – wie es heutzutage auch im Stadion üblich ist – als „Basis aller Glaubenssysteme“ bezeichnet (Durkheim 1994: 22). Bereits 1975 taucht diese Analogie in der Wissenschaft auf, als Robert W. Coles fragt, ob der Volkssport Fußball eine Ersatzreligion sei (Coles 1975: 61).
[6] Damals wissenschaftliche Assistentin am Institut für Volkskunde der Universität Hamburg, heute Professorin für Europäische Ethnologie an der Universität Wien.
[7] laut Aussagen von Prof. Dr. Gabriele Klein (informelles Gespräch im Dezember 2011), Prof. Dr. Brigitta Schmidt-Lauber (Antwort auf E-Mail-Anfrage im Februar 2012) und von Mitarbeitern des Fanladens St. Pauli (informelle Gespräche im September 2011 und März 2012) sowie des HSV-Fanprojekts (informelles Gespräch im Juni 2012)
[8] Dabei ging er allerdings weder ausreichend auf die Gewalt im Volksparkstadion als auch auf die „Alternative FC St. Pauli“ ein. So wurde hier die Gelegenheit verpasst, mit einer sehr frühen Arbeit einen Erkenntnisgewinn für heutige Fragen zur Rivalität zwischen den Vereinen zu ermöglichen – außer der Erkenntnis, dass mit dem Autor ein HSV-Fan diese möglichen Ursachen ausgeblendet hat.
[9] Das HSV-Fanprojekt und der Fanladen St. Pauli sind vor allem aus öffentlichen Mitteln finanzierte Einrichtungen, die seit den 1980er Jahren bestehen. Die Mitarbeiter engagieren sich mit sozialpädagogischen Mitteln gegen Gewalt, Diskriminierung sowie Alkohol- und Drogenkonsum in den Fanszenen. Die Einrichtungen sehen sich aber auch als Unterstützer in Rechtsfragen und bieten Räume oder Know-how für Fan-Treffen oder die Produktion von Flugblättern und Zeitschriften.
[10] Herausgeber: „Hamburger Schriftmanufaktur“. Autoren: Jörn von Ahn, Thorsten Eikmeier, Malte Laband, Philipp Markhardt, Jan Möller und Thomas Reifschläger (kidewe 24.06.2012)
[11] Elk Franke (1991), Rainer Winter (1993), Nicolas Abercrombie und Brian Longhurst (1998), Matt Hills (2002) sowie Joanne Mackellar (2006)
[12] Diese Definition ist angelehnt an eine Definition, die Roose und Schäfer bereits 2005 in ihrem Text „Begeisterte Nutzer? Jugendliche Fans und ihr Medienumgang.“ angeboten hatten.
- Citar trabajo
- Bernd Schlüter (Autor), 2012, Die Fans vom Hamburger SV und dem FC St. Pauli im Vergleich, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212109
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