[...] Ziel dieser Arbeit ist es, zu beleuchten, wie das Bundeskanzleramt seine Aufgaben seit
1949 wahrgenommen hat. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf formale und informelle
Prozesse gelegt und deren Bedeutung für die Arbeitsweise des Amtes untersucht.
Geht man davon aus, daß im „Gerüst (verwaltungs-)rechtlicher und formeller Kompetenzen
und Befugnisse in einer bürokratischen Organisation … mannigfaltige (i.d.R. unvorhergesehene)
informelle Prozesse“ wirken2, so stellen sich in bezug auf die Organisation und
Arbeitsweise des Kanzleramtes folgende Fragen: Wie war das Amt in den einzelnen Kanzlerschaften
formal organisiert bzw. aufgebaut? Wie entwickelt sich seine Organisationsstruktur
von 1949 bis heute?3 Inwiefern wirken sich in dem formalen Aufbau des Amtes
informelle Prozesse auf dessen Arbeitsweise aus? Welche Bedeutung haben informelle
Prozesse für die Informations- und Koordinierungstätigkeit des Bundeskanzleramtes? Trägt
das informelle Moment zu einer Verbesserung der Aufgabenerfüllung des Amtes bei? Außerdem ist ein ständiges Augenmerk auf informelle Vorabklärungen und ihre Wirkung auf
die formal zu treffenden Entscheidungen zu legen.
Um all diese Fragen beantworten zu können, ist es zunächst notwendig, die Bedeutung
der Begriffe ‚formal’ und ‚informell’ für den Gebrauch in dieser Untersuchung genau zu
bestimmen (Kapitel 1.1). Die so gegebene Grundlage bildet das Hintergrundgerüst der Kapitel
zu den jeweiligen Kanzlerschaften (Kapitel 5. bis 11.). Bevor jedoch auf die formalen
und informellen Prozesse im Bundeskanzleramt eingegangen werden kann, müssen die entscheidenden
grundgesetzlichen Bestimmungen berücksichtigt werden, die überhaupt erst
die zentrale Stellung des Bundeskanzlers begründen (Kapitel 2.). Dabei spielt vor allem
Artikel 65 GG eine Rolle, der auch die Grundlage der Errichtung des Amtes darstellt.
Die Kapitel zu den jeweiligen Kanzlerschaften sind, um eine gute Vergleichsmöglichkeit
zu geben, prinzipiell gleich aufgebaut. [...]
2 Schulze-Fielitz, Helmuth: Der informale Verfassungsstaat. Berlin 1984, S. 12.
3 Der Untersuchungszeitraum der Arbeit endet mit der Bundestagswahl 2002.
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis weniger gebräuchlicher Abkürzungen
1. Einleitung
1.1 Begriffsklärungen: „formal“, „formell“, „informal“, „informell“
1.2 Forschungsstand und Materialbasis
1.3 Methodik
2. Normative Voraussetzungen für die hervorgehobene Stellung des Bundes- kanzlers in der Bundesregierung
2.1 Organisationsgewalt, Vertrauensfrage und Konstruktives Mißtrauens- votum als Verstärker der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers
2.2 Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers als Katalysator der Errichtung und Funktion des Bundeskanzleramtes
3. Vorüberlegungen vor der Errichtung des Amtes
4. Das Bundeskanzleramt als formal organisierte Verwaltungsbehörde
5. Formale und informelle Prozesse im Bundeskanzleramt in der Ära Adenauer
5.1 Der organisatorische und personelle Aufbau des Amtes 1949/
5.2 Die organisatorische und personelle Entwicklungen im Kanzleramt ab 1950
5.3 Personalpolitik als Voraussetzung informeller Prozesse
5.3.1 Die Wichtigkeit von Personalentscheidungen in der Aufbauzeit der Bundesregierung und der Bundesverwaltung
5.3.2 Personalpolitische Entscheidungen von 1951 bis 1963 – Sicherung der Begleitung des formalen Kommunikationsweges durch informelle Kontakte
5.4 Die Arbeitsweise des Bundeskanzleramtes in der Ära Adenauer
5.4.1 Der Weg zur Geschäftsordnung – angewandte Arbeitsweise vor ihrer eigentlichen Formalisierung..
5.4.2 Die Wahrnehmung der Sekretariatsfunktion
5.4.3 Beratung, Information und Unterstützung Adenauers
5.4.4 Koordinierung im Sinne der Richtlinien der Politik und Entscheidungsvorbereitung.
5.5 Fazit: Vereinigung von Formalität und Informalität – Nutzung informeller Prozesse zur funktionalen Unterstützung der formalen Ordnung / Prozesse
6. Formale und informelle Prozesse im Bundeskanzleramt in der Regierungs- zeit Ludwig Erhards
6.1 Die organisatorische und personelle Entwicklung des Amtes von 1963 bis 1966
6.2 Personalpolitik Erhards
6.3 Die Arbeitsweise des Bundeskanzleramtes in der Regierungszeit Erhards
6.3.1 Beratung, Information und Unterstützung Erhards
6.3.2 Koordinierung im Sinne der Richtlinien der Politik und Entscheidungsvorbereitung
6.4 Fazit: Die mangelhafte Nutzung des Bundeskanzleramtes als ein Grund für das frühe Scheitern Erhards
7. Formale und informelle Prozesse im Bundeskanzleramt in der Regierungs- zeit Kiesingers
7.1 Die organisatorische und personelle Entwicklung des Bundeskanzleramtes von 1966 bis 1969
7.2 Personalpolitik Kiesingers
7.3 Die Arbeitsweise des Bundeskanzleramtes in der Regierungszeit Kiesingers
7.3.1 Beratung, Information und Unterstützung Kiesingers
7.3.2 Koordinierung im Sinne der Richtlinien der Politik und Entscheidungsvorbereitung
7.4 Fazit: Informelles Vorabklären als Voraussetzung formalen Erfolgs
8. Formale und informelle Prozesse im Bundeskanzleramt in der Regierungs- zeit Brandts
8.1 Die organisatorische und personelle Entwicklung des Bundeskanzleramtes von 1969 bis
8.2 Personalpolitik in der Regierungszeit Brandts
8.3 Das Rotationsprinzip - Formalisierung der informellen Kontakte
8.4 Die Arbeitsweise des Bundeskanzleramtes in der Regierungszeit Willy Brandts
8.4.1 Beratung, Information und Unterstützung Brandts
8.4.2 Planung
8.4.3 Koordinierung im Sinne der Richtlinien der Politik und Entscheidungsvorbereitung
8.5 Fazit: Das Bundeskanzleramt in der Regierungszeit Willy Brandts: Personalprozesse als Hindernis effizienter Arbeit
9. Formale und informelle Prozesse in der Regierungszeit Helmut Schmidts
9.1 Die organisatorische und personelle Entwicklung im Bundeskanzleramt von 1974 bis 1982
9.2 Die „Wiedernutzbarmachung“ des personalen Moments – eine nähere Betrachtung der Personalpolitik Schmidts und Schülers
9.3 Die Arbeitsweise des Bundeskanzleramtes in der Regierungszeit Schmidts
9.3.1 Beratung, Information und Unterstützung Schmidts
9.3.2 Koordinierung im Sinne der Richtlinien der Politik und Entscheidungsvorbereitung
9.3.3 Das Ende der Koalition als Beispiel für die eingeschränkte Rolle der Geschäftsordnung
9.4 Fazit: Das Bundeskanzleramt in der Regierungszeit Schmidts: Rückkehr zu den Wurzeln
10. Formale und informelle Prozesse in der Regierungszeit Helmut Kohls
10.1 Die organisatorische und personelle Entwicklung des Bundeskanzleramtes von 1982 bis 1998
10.2 Personalpolitik Kohls – Parteiämter und Persönliche Beziehungen als Sprungbrett ins Kanzleramt
10.3 Die Arbeitsweise des Bundeskanzleramtes in der Regierungszeit Kohls
10.3.1 Beratung, Information und Unterstützung Kohls
10.3.2 Zwischen Information, Beratung und Koordination – die Tätigkeit Horst Teltschiks als Beispiel für die informelle Durch- dringung der formalen Ordnung
10.3.3 Koordinierung im Sinne der Richtlinien des Bundeskanzlers und Entscheidungsvorbereitung
10.4 Fazit: Das Bundeskanzleramt in der Ära Kohl: Informelle Durchdringung der formalen Ordnung
11. Formale und informelle Prozesse im Bundeskanzleramt in der Regierungs- zeit Schröders von 1998 bis 2002
11.1 Die organisatorische und personelle Entwicklung im Kanzleramt von 1998 bis zur Bundestagswahl
11.2 Personalpolitik Schröders
11. 3 Die Arbeitsweise des Bundeskanzleramtes unter Schröder
11.3.1 Beratung, Information und Unterstützung Schröders
11.3.2 Koordinierung im Sinne der Richtlinien der Politik und Entscheidungsvorbereitung
11.4 Fazit: Die Wichtigkeit der Person des Amtschefs für die Funktionsfähigkeit des Amtes
12. Zusammenfassung: Informelle Unterstützung der formalen Aufgaben des Bundeskanzleramtes: Pro und Contra
13. Anhang
I. Organisationsplan des Bundeskanzleramtes vom 1. November 1949
II. Organisationsplan des Bundeskanzleramtes (März 1960)
III. Organisationsplan des Bundeskanzleramtes (Juni 1966)
IV. Organisationsplan des Bundeskanzleramtes vom 1. Juni 1967
V. Organisationsplan des Bundeskanzleramtes vom 1. August 1970
VI. Organisationsplan des Bundeskanzleramtes vom 10. März 1980
VII. Organisationsplan des Bundeskanzleramtes vom 1. Oktober 1983
VIII. Organisationsplan des Bundeskanzleramtes vom 3. März 1997
IX. Organisationsplan des Bundeskanzleramtes vom 7. Mai 2002
14. Literaturverzeichnis
Verzeichnis weniger gebräuchlicher Abkürzungen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Wilhelm Hennis formulierte in seinem Aufsatz Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik in bezug auf das Bundeskanzleramt folgende prägnanten Worte: „Ohne das Kanzleramt wäre der Bundeskanzler ein bedauernswerter Vollinvalide: Er könnte nicht sehen, hören noch schreiben, geschweige denn Richtlinien bestimmen.“[1] Kehrt man Hennis’ Worte um, so müßte sich folgendes Bild ergeben: Der Bundeskanzler, der sein Amt in jeder Hinsicht voll ausnutzt, ist ein gesunder Kraftprotz. Er sieht alles und hört alles und er bekommt die nötige Unterstützung in der täglichen Schreibarbeit. Richtlinien zu bestimmen, fällt ihm leicht.
Diese Worte zeigen, daß das Bundeskanzleramt als Instrument des Kanzlers, dessen dieser sich zur Durchführung seiner Aufgaben bedient, im Ablauf der Regierungsgeschäfte eine zentrale Stellung innehat. Es ist sozusagen die Schaltzentrale, in der die Entscheidungen des Bundeskanzlers vorbereitet werden, von wo auf ihre Durchführung geachtet wird und wo zudem die Arbeit der einzelnen Bundesministerien koordiniert wird. Außerdem fungiert das Kanzleramt als Verbindungsstelle zu den Fraktionen des Bundestages, zu den Parteien und den gesellschaftlichen Gruppen und Interessenverbänden. Obwohl die Aufgaben des Kanzleramtes seit 1949 prinzipiell die gleichen geblieben sind, nutzten es die einzelnen Kanzler offensichtlich nicht in gleicher Weise und in gleichem Maße.
Ziel dieser Arbeit ist es, zu beleuchten, wie das Bundeskanzleramt seine Aufgaben seit 1949 wahrgenommen hat. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf formale und informelle Prozesse gelegt und deren Bedeutung für die Arbeitsweise des Amtes untersucht. Geht man davon aus, daß im „Gerüst (verwaltungs-)rechtlicher und formeller Kompetenzen und Befugnisse in einer bürokratischen Organisation … mannigfaltige (i.d.R. unvorhergesehene) informelle Prozesse“ wirken[2], so stellen sich in bezug auf die Organisation und Arbeitsweise des Kanzleramtes folgende Fragen: Wie war das Amt in den einzelnen Kanzlerschaften formal organisiert bzw. aufgebaut? Wie entwickelt sich seine Organisationsstruktur von 1949 bis heute?[3] Inwiefern wirken sich in dem formalen Aufbau des Amtes informelle Prozesse auf dessen Arbeitsweise aus? Welche Bedeutung haben informelle Prozesse für die Informations- und Koordinierungstätigkeit des Bundeskanzleramtes? Trägt das informelle Moment zu einer Verbesserung der Aufgabenerfüllung des Amtes bei? Außerdem ist ein ständiges Augenmerk auf informelle Vorabklärungen und ihre Wirkung auf die formal zu treffenden Entscheidungen zu legen.
Um all diese Fragen beantworten zu können, ist es zunächst notwendig, die Bedeutung der Begriffe ‚formal’ und ‚informell’ für den Gebrauch in dieser Untersuchung genau zu bestimmen (Kapitel 1.1). Die so gegebene Grundlage bildet das Hintergrundgerüst der Kapitel zu den jeweiligen Kanzlerschaften (Kapitel 5. bis 11.). Bevor jedoch auf die formalen und informellen Prozesse im Bundeskanzleramt eingegangen werden kann, müssen die entscheidenden grundgesetzlichen Bestimmungen berücksichtigt werden, die überhaupt erst die zentrale Stellung des Bundeskanzlers begründen (Kapitel 2.). Dabei spielt vor allem Artikel 65 GG eine Rolle, der auch die Grundlage der Errichtung des Amtes darstellt.
Die Kapitel zu den jeweiligen Kanzlerschaften sind, um eine gute Vergleichsmöglichkeit zu geben, prinzipiell gleich aufgebaut. Zunächst werden der formale Aufbau des Amtes und die Besetzung der wichtigsten Stellen beschrieben, weil gerade dies für die Untersuchung informeller Prozesse Voraussetzung ist.[4] Unter den wichtigsten Stellen werden die der Leitungsebene bis zu denen der Abteilungsleiter verstanden. Dort wo Referatsleiter von besonderer Bedeutung waren/sind, werden auch diese mit einbezogen.
Darauf folgen jeweils Kapitel zur Herkunft des Personals (Rekrutierung), und zur Personalpolitik im und des Kanzleramt(es) bzw. in Stellen, die im direkten Wirkungsumfeld des Amtes stehen. Die Personalpolitik ist ein nicht zu unterschätzendes Mittel zentraler Steuerung[5], was sich beispielsweise auch darin ausdrückt, daß die Besetzung leitender Beamtenstellen in Ministerien für die Informations- und Koordinationsarbeit des Amtes von wichtiger Bedeutung ist. Danach wird die Arbeitsweise des Amtes unter besonderer Berücksichtigung formaler und informeller Prozesse in den Kanzlerschaften von Adenauer bis Schröder untersucht, wobei die Kapitel untergliedert sind in die Hauptaufgaben Beratung/Information/Unterstützung des Kanzlers und Koordinierung im Sinne der Richtlinien des Kanzlers.[6] Besonderheiten, die in einzelnen Kanzlerschaften die formale und informelle Arbeitsweise des Amtes prägten, werden in den jeweiligen Kapiteln an passenden Stellen eingefügt.
Logisch ist, daß das Kapitel zur Kanzlerschaft Adenauers an Länge und Inhalt den größten Teil der vorliegenden Arbeit ausmacht, weil hier das Amt neu eingerichtet wurde und weil sich die Arbeitsweise unter Adenauer beinahe zwangsläufig prägend auf spätere Zeiten auswirken mußte. Ein verallgemeinerndes Kapitel zur Arbeitsweise des Kanzleramtes ist nicht nötig, weil es gerade auch Ziel dieser Arbeit ist, Entwicklungen in ihr aufzuzeigen. Um zu unterstreichen, daß das Amt sich nicht von alleine einrichtete, wird die unmittelbare Zeit vor seiner Errichtung mit berücksichtigt, weil sich hier schon Adenauers Einfluß bemerkbar machte (Kapitel 3.). Es kann durchaus behauptet werden, daß das Amt unter einem anderen Kanzler auch eine andere Struktur angenommen hätte.
1.1 Begriffsklärungen: „formal“, „formell“, „informal““ und „informell“
Die Begriffspaare ‚formal und informal’ bzw. ‚formell und informell’ werden sowohl im täglichen als auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch nicht einheitlich verwendet.[7] Daher muß zunächst geklärt werden, was im Sinne dieser Arbeit unter formal, formell, informal und informell verstanden wird. Einigkeit herrscht in der Literatur darüber, daß es wenig Sinn macht, die Begriffe als absolute Gegensatzpaare zu verstehen, in dem Sinne, daß eine Praxis rein formal oder rein informal ist. Vielmehr ist von einem Kontinuum an Verhaltens- und Handlungsformen auszugehen, das von rechtlichen Festlegungen (als Endstufe in Richtung Formalität) über verfestigte Erwartungen (z.B. Konventionen[8] als informale, d.h. nicht rechtlich geregelte Regeln), nichtrechtliche Bindungen und Absprachen, die nirgends fixiert sind, von deren Einhaltung aber dennoch ausgegangen werden kann bis zu beobachtbaren Regelmäßigkeiten, die ebenfalls nirgends geregelt sind, reicht.[9] Ebensowenig Sinn macht es, die Unterscheidung zwischen formal und formell zu weit zu treiben.[10] Erwähnt sei aber, daß Formalisierung mit Verleihung von festen Strukturen und Regelhaftigkeit verbunden ist, während, wenn man etwas formell beschließt, man ihm offiziellen Charakter verleiht (eine Verbform und eine Substantivform von formell bestehen nicht).
Nach Luhmann[11] ist eine formale Organisation gekennzeichnet durch bestimmte vorgegebene Regeln, Strukturen, Handlungsabläufe und Verantwortlichkeiten. Eine Mitgliedschaft in der formalen Organisation ist an die Anerkennung dieser Regeln gebunden. Daher sind formale (Handlungs-)Prozesse solche, die sich an den Vorgaben der formalen Vorschriften orientieren und diese beachten. Typisch für formales Handeln in bürokratischen Behöredenorganisationen ist die Beachtung des Dienstwegprinzips.
Innerhalb eines formalen Systems spielen sich aber auch Handlungen ab, die zwar in einem Bezug zur formalen Ordnung stehen, die aber von den gegebenen formalen Vorschriften und Regeln nicht erfaßt werden. Diese nichtformalisierten Handlungen und Strukturen, die die vorgegebene Ordnung ergänzen, abändern oder auf irgendeine Art modifizieren, machen nach Luhmann die informale Organisation aus. Die Handlungen selbst, die von den Regeln der formalen Organisation abweichen, werden im Sinne der vorliegenden Arbeit als informelle (Handlungs-)Prozesse bezeichnet. Dementsprechend hat sich im Verwaltungsverfahrensrecht der Begriff informelles Verfahren eingebürgert, für ein Verfahren, „das zwar nicht regellos ist, aber nicht den Regeln des VwVfG entspricht“.[12] Beim informellen Handeln spielen personale Kontakte eine entscheidende Rolle. Typisch für informelles Handeln in bürokratischen Behördenorganisationen ist die Ergänzung des Dienstwegprinzips durch nicht in der formalen Ordnung vorgesehene (= informelle) Entscheidungselemente[13] aufgrund besonderer persönlicher Beziehungen zweier oder mehrerer Mitglieder. Informelle Strukturen sind dementsprechend auf persönlichen Bindungen basierende, rechtlich nicht fixierte Strukturen und Verhaltensweisen innerhalb der informalen Organisation. Tragen informelle Prozesse zu einem formal stimmigen Ergebnis bei, wirken sie im Sinne der formalen Ordnung funktional, so spricht man in der Organisationssoziologie von brauchbarer Illegalität[14].
Aus der Unterscheidung von formal und informal läßt sich auch eine Unterscheidung in bezug auf den Rollenbegriff herleiten. Entsprechend der hier gegebenen Kriterien begründen die Vorschriften, Ordnungen und sonstigen offiziellen Erwartungen, die an ein Organisationsmitglied gestellt werden, seine formale Rolle. Die informale Rolle wird dagegen definiert durch sonstige Verhaltenserwartungen, die informal, also im Sinne der Organisation nicht geregelt sind, wie z.B. Alter, Parteizugehörigkeit, etc.. So läßt sich das tatsächliche Verhalten von Organisationsmitgliedern auch als Folge von verschiedenen Rollenanforderungen verstehen. Durch persönliche Beziehungen gefärbtes, informelles Handeln, kann auch die informale Rolle beeinflussen, weil Folge persönlicher Beziehungen auch eine Änderung in der Erwartungshaltung der Organisationsmitglieder bedeuten kann. Steht beispielsweise ein Organisationsmitglied bei seinem Vorgesetzten hoch im Kurs, so bleibt seine formale Rolle zwar die gleiche, falls er nicht offiziell befördert wird; seine informale Rolle kann sich aber ändern, weil auch andere Mitglieder auf einmal andere Erwartungen an das Mitglied stellen können.
Einen weiteren Sinn besitzt der Begriff informell in bezug auf Festlegungs- und Entscheidungsprozesse. Wird in einer Entscheidung eines (verfassungs-)rechtlich zuständigen Organs (z.B. Kabinett) nur noch rechtsverbindlich beschlossen, was zuvor in einem anders zusammengesetzten Gremium bereits festgelegt worden ist (z.B. Koalitionsrunde), so hat dieses Gremium eine informelle (Vor-)Entscheidung geleistet. Informelle Absprachen sind zwar für die beteiligten Akteure rechtlich nicht bindend, bei Mißachtung muß aber mit politischen Sanktionen gerechnet werden. Informelle Festlegungen können sowohl durch mündliche Absprachen (z.B. Gespräch auf dem Flur, das eine Entscheidung vorformuliert) als auch schriftlich protokollierte Abmachungen (z.B. Koalitionsvertrag) erfolgen. Kennzeichen von Zusammenkünften, die informelle Vorarbeit leisten, ist eine geringe Anzahl von Teilnehmern, weil so konzentrierteres und effizienteres Erarbeiten von Ergebnissen möglich ist.
1.2 Forschungsstand und Materialbasis
Die vorliegende Arbeit hat sich zur Aufgabe gestellt, formale und informelle Prozesse im Bundeskanzleramt über den Zeitraum von 1949 bis heute aufzuzeigen und auf ihre Wirkungsweise für die Aufgabenerfüllung des Amtes zu untersuchen. Über den geschichtlichen Hintergrund, die Organisation, die Aufgaben und Arbeitsweise des Bundeskanzleramtes liegt eine Reihe von Arbeiten vor.[15] Oft bleiben diese aber, weil das Amt in allgemeiner Weise schildernd, an der Schwelle zur Beschreibung der faktischen Arbeitsweise stehen und gehen nicht über diese Schwelle hinweg bzw. deuten dies nur an.
Eine im Sinne dieser Arbeit wertvolle Beschreibung der Aufgaben und Arbeitsweise des Amtes, aber auch der verfassungsrechtlichen Grundlagen seiner Funktionen, liefert Bachmanns zwar knapper, aber trotzdem ausführlicher und präziser Aufsatz über Das Bundeskanzleramt.[16] Bachmann war selbst über 15 Jahre im Bundeskanzleramt tätig gewesen und hat dabei tatsächlich, wie er schreibt, diese Zeit „mit wachen Augen“ erlebt. Daß er aus nächster Nähe und eigener Erfahrung berichtet, zeigt sich an vielen Detailinformationen, die ansonsten in der Literatur nur sehr schwer zu finden sind.[17] Bachmann stellt die Wichtigkeit der Person und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers für den Aufbau und die Organisation des Amtes in der besonderen Situation nach dem Zweiten Weltkrieg dar, was sich beispielsweise darin zeigte, daß Adenauer bei den außenpolitischen Zuständigkeiten die Fäden in der Hand behalten wollte und mit seiner Organisationsgewalt auch dafür sorgte. Auch Adenauers nachdrücklicher Einfluß auf Entstehung und inhaltliche Aspekte der Geschäftsordnung der Bundesregierung werden von Bachmann hervorgehoben. Nachdem er die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Errichtung des Amtes darstellt, schildert er ausführlich seine Aufgaben und Funktion bei der Durchsetzung der Richtlinien des Kanzlers, bei der Koordinierung der nach dem Ressortprinzip arbeitenden Ministerien und bei der Führung der Geschäfte der Gesamtregierung. Daß er dabei unterstreicht, daß die Arbeitsweise des Bundeskanzleramtes elastisch und einfallsreich sein muß, deutet bereits auf die Wichtigkeit informeller Prozesse hin. Anhand von konkreten und allgemein gehaltenen Beispielen beschreibt er die Tätigkeiten der Beamten und zeigt dabei auf, wie die Kommunikation innerhalb des Amtes, aber auch nach außen („Querverbindungen“) funktioniert. Den bestmöglichen Aufbau des Amtes sieht Bachmann in einer Pyramidenform mit „seitlichen Verstrebungen“, „damit das, was an die politische Spitze gelangt, möglichst schon eine einigermaßen ausgewogene Darstellung der Auffassung aller Beteiligten des Amtes ist“.[18] Er betont abschließend, daß das personale Moment immer eine außerordentlich wichtige Rolle spielt, wie auch immer das Bundeskanzleramt organisatorisch aufgebaut sein mag.
Ergänzt durch Beiträge weiterer Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes unter Adenauer, die in der von Klaus Gotto herausgegebenen Aufsatzsammlung Der Staatssekretär. Persönlichkeit und politisches Wirken Hans Globkes erschienen sind, läßt sich ein relativ genauer Überblick über die Organisation und Arbeitsweise des Amtes unter Adenauer gewinnen.[19] Dies ist unter anderem auch deshalb wichtig, weil hier nicht nur der formale Organisationsaufbau des Amtes geprägt wurde, sondern auch die Art der informellen Arbeitsweise mitbeeinflußt wurde.
Darstellungen, die sich speziell mit der Arbeitsweise des Bundeskanzleramtes unter den darauffolgenden Kanzlern beschäftigen, sind rar gesät.[20] Daher muß ein Bild aus verschiedenen Arten von Quellen zusammengestellt werden. Zum einen liegen einige Insiderberichte aus dem Kanzleramt vor. Darunter sollen hier solche von Mitarbeitern verstanden werden[21] (diese beziehen sich aber oft nur auf das eigene Aufgabengebiet und tragen deshalb nur bedingt zur Herausarbeitung eines Gesamtbildes der faktischen Arbeitsweise des Amtes bei) und auch solche von außenstehenden Beobachtern, die die Arbeit des Amtes für eine gewisse Zeit aus nächster Nähe beobachten konnten und dies in journalistischen Reportagen schildern. Hier heben sich besonders Nina Grunenbergs Beobachtungen, die sie in Vier Tage [n] mit dem Bundeskanzler[22] gemacht hat, heraus. Ihre Beobachtungen zeichnen ein genaues Bild der Arbeitsweise des Kanzlers Helmut Schmidt und zum Teil auch des Bundeskanzleramtes in dessen Regierungszeit. Sie zeigen deutlich, daß auch ein Kanzler, der vorgibt, das Kabinett sei seine zentrale Stätte der Entscheidung, ohne Vorabklärungsprozesse nicht auskommt. Wenn man davon ausgeht, daß der Arbeitsstil des Bundeskanzlers den des Kanzleramtes beeinflußt, so läßt sich aus Grunenbergs Schilderungen des Arbeitsstils Schmidts einiges auf die Arbeitsweise des Amtes rückfolgern. Erwähnt sei, daß Schmidts Chef des Bundeskanzleramtes, Schüler, dem Stil seines Kanzlers wirklich nahe kam, was Grunenberg ebenfalls herausstellt.
In gewissem Maße tragen auch (berichtende) Erinnerungen von am Regierungshandeln beteiligten Personen zu Erkenntnissen im Sinne dieser Arbeit bei.[23] Zum anderen können Informationen über das Innenleben des Kanzleramtes auch aus Biographien über die Kanzler bzw. dem Amt angehörende Personen gewonnen werden.[24] Letztere beiden sind aber zum Teil subjektiv gefärbt, so daß eine Abgleichung mit anderen Quellen nötig wird. Schließlich bieten Presseberichte aus Tages- und Wochenzeitungen, teilweise auch Wochenmagazinen zahlreiche Informationen, die für das Thema dieser Arbeit wichtig sind.[25] Als von besonderer Qualität erwiesen sich die Berichte Rolf Zundels in der Zeit, der sich über Jahre und Kanzlerschaften hinweg mit dem Innenleben der Regierung beschäftigt hat. Nicht vergessen werden dürfen aber auch zeitgeschichtliche Darstellungen, die u.a. die internen Regierungsabläufe schildern und daher die formale und informelle Arbeitsweise zumindest in Ansätzen mitberücksichtigen[26], sowie wissenschaftliche Aufsätze zum Thema Formalität und Informalität im Regierungshandeln, die zwar nur teilweise auf die Arbeitsweise des Amtes direkt eingehen, die aber auf Prozesse analysieren, die sich indirekt auf die Arbeitsweise des Amtes auswirken.
Eine in sich geschlossene Darstellung formaler und informeller Prozesse des Bundeskanzleramtes in der Zeit von 1949 bis heute existiert nicht. Die vorliegende Arbeit bedient sich der hier aufgeführten Arten von Quellen. Ein Problem besteht in der Ungleichverteilung der vorhandenen Informationen in bezug auf die einzelnen Kanzlerschaften. Während vor allem zu Adenauer, aber auch noch zu Erhard und auch wieder zu Kohl[27] Literatur vorliegt, die, zumindest in Teilen, die formale und informelle Arbeitsweise des Amtes direkt schildert, ist dies bei den restlichen Kanzlerschaften nur eingeschränkt der Fall. Dies unter anderem auch deshalb, weil für die Freigabe von Regierungsakten eine dreißigjährige Sperrfrist gilt. Für diese Zeit ist es deshalb vermehrt nötig, „zusammenzutragen“. Daraus folgt, daß sich das Kapitel zu Adenauers Kanzlerschaft an Information zum Teil von den anderen deutlich abhebt.
Als theoretische Basis für diese Arbeit dienen zwei Untersuchungen, die sich umfassend mit der Materie der Formalität und Informalität beschäftigen, nämlich Luhmanns Funktionen und Folgen formaler Organisation[28] sowie Schulze-Fielitz’ Der informale Verfassungsstaat[29]. Diese beiden Untersuchungen bilden sozusagen das Gerüst, auf dem sich die Untersuchung der Kanzlerschaften bewegt.
Nach Luhmann gibt die formale Organisation für ein konkretes soziales Handlungssystem die formalen Strukturen und Handlungsabläufe vor. Sie bildet sozusagen die fest vorgegebene Ordnung des Systems, in der die konkreten Handlungen der Systemmitglieder sich abspielen. Laut Luhmann wird diese Ordnung dadurch erreicht, indem die formale Organisation die Anerkennung bestimmter Verhaltenserwartungen als Mitgliedschaftsbedingung voraussetzt, also formalisiert. Zu diesen formalisierten und generalisierten Verhaltenserwartungen[30] gehören zum Beispiel die Anerkennung der hierarchischen Struktur des Systems, der vorgeschriebenen Kommunikationswege und die Bejahung des Zwecks der Organisation[31]. Diese Erwartungen tragen folglich zur Herstellung bzw. Einhaltung der strukturellen Ordnung des Handlungssystems bei, ebenso zur relativen Invarianz eines Systems gegenüber einer veränderlichen Umwelt. Weicht ein Mitglied von diesen Erwartungen ab, so stellt sich gewissermaßen automatisch die Mitgliedschaftsfrage. Die geschilderten formalisierten und generalisierten Erwartungen sind also Voraussetzung der Mitgliedschaft und gleichzeitig Bestandteile der Mitgliedsrollen, die die formale Organisation bilden.
Neben Prozessen innerhalb der formalen Organisation, die durch die vorgegebenen Erwartungen definiert sind, gibt es aber auch solche, die einer informalen Organisation zuzurechnen sind.[32] Neben der formalen Rolle eines Mitglieds, die durch die vorgegebenen Erwartungen definiert ist, gibt es in formalisierten Systemen also auch informale Rollen, die in der Mitgliedsrolle nicht vorgesehen sind, die aber dennoch wichtige Systemfunktionen erfüllen.[33] Wer sich beispielsweise am Austausch von Neuigkeiten beteiligt und so zur besseren Verteilung bestimmter Informationen im System beiträgt, handelt zwar informal, aber dennoch funktional im Sinne des Systems.
Luhmann schreibt, daß die formale Organisation die Schauseite der Organisation bildet: „Formal organisierte Systeme zeichnen sich durch besondere Expliziertheit der erlaubten, richtigen Verhaltensmöglichkeiten aus, und zugleich dadurch, daß man mit diesen Möglichkeiten nicht auskommt.“[34] Dies bedeutet, daß viele Prozesse, die zum Funktionieren des Handlungssystems wichtig sind, im Verborgenen ablaufen. Im Sinne dieser Arbeit ist es folglich wichtig, hinter die Fassade der formalen Organisation zu blicken und nicht nur das, was von außen sichtbar wird zu beleuchten, sondern auch die Prozesse, die dazu beitragen, daß überhaupt eine einheitliche Darstellung nach außen hin erfolgt. In Anlehnung an Luhmann lassen sich, gerade auch in bezug auf die Arbeitsweise des Bundeskanzleramtes wichtige Fragen stellen: Wie kommt eine nach außen getragene Entscheidung zustande? Wie wird in, aber auch neben dem formalisierten Kommunikationsnetz kommuniziert? Inwiefern greifen persönliche Kontakte der bürokratischen Routine unter die Arme? Gibt es Unterschiede in der persönlichen und dienstlichen Hierarchie der Organisation und welche Auswirkungen haben diese? Werden Entscheidungen an der dafür vorgesehenen formalisierten Stelle getroffen und wie steht es um die Verantwortlichkeit für diese Entscheidungen? Stimmt die Hierarchie mit der Übernahme von Verantwortung und Verantwortlichkeit überein?[35]
Helmuth Schulze-Fielitz stellt in seiner Untersuchung zum informalen Verfassungsstaat die Existenz von Verfassungsregeln fest, die zwar nicht im Text der Verfassung stehen, deren Inhalt aber ergänzen bzw. stützen. Er nennt diese Regeln „informale Verfassungsregeln“. Nicht-Schriftlichkeit in Bezug auf Gesetzestexte, Institutionalisierung[36] und unmittelbarer Zusammenhang mit verfassungsrechtlichen Normen sind die Charakteristika dieser Regeln.
Schulze-Fielitz beweist anhand von Beispielen aus verschiedenen Bereichen des Verfassungslebens, daß sich dort allseits akzeptierte Regelungen herausgebildet haben, die obwohl nirgends schriftlich festgehalten, doch als Voraussetzung des Verhaltens betrachbetrachtet werden können. So existieren beispielsweise Fraktionsproporzregeln auf parlamentarischer Ebene[37], Parteienproporzregeln in Regierung und Verwaltung[38], Rechtsprechung[39], im nicht-staatlichen Bereich und pluralistische Proporzregeln. Des weiteren sind verschiedenen Bereichen der Zusammenarbeit im Verfassungsstaat informal, also nicht-rechtlich geregelt. Koalitionsvereinbarungen als Regeln der Zusammenarbeit von Fraktionen/Parteien, Regeln für die Zusammenarbeit der obersten Staatsorgane[40], Regeln für den Willensbildungsprozeß innerhalb der Verfassungsorgane[41], Regeln für die parlamentarische Kooperation, für die im Bundesstaat[42] sowie für die von Staat und Gesellschaft können hierfür als Beispiele gesehen werden. Bei all diesen Beispielen fällt die Bedeutung von Absprachen bzw. von Vereinbarungen verschiedener Partner für das Funktionieren der Regelungen auf. Schulze-Fielitz betont die Funktion dieser „Vorformung des politischen Willens“ für alle Verfassungsorgane, deren Entscheidungen auch nach politischen Kriterien getroffen werden können. Informale Verfassungsregeln „regeln als Hilfsregeln für Rechtsregeln die Prozesse der ‚Vorformung’ von (insoweit politischen) Entscheidungen und schaffen relative Erwartungssicherheit, leisten Entscheidungshilfe“.[43]
Natürlich können diese Regeln nicht ohne Erfüllung verschiedener Bedingungen existieren. Vereinbarungstreue im Sinn von Verläßlichkeit und Berechenbarkeit muß Vertrauen für Zusammenwirkende bzw. sich Absprechende schaffen, Kontinuität muß vorhanden sein, um sich auf ihre Wirksamkeit verlassen zu können. Außerdem muß jeder Partner auf irgendeine Weise zufrieden gestellt werden, damit ihre Existenz nicht gefährdet wird. Dies nennt Schulze-Fielitz Tauschgerechtigkeit.
Informale Regeln sind zwar nicht in Rechtstexten festgelegt, ihre Durchbrechung kann insofern auch nicht rechtlich sanktioniert werden, sie stellen aber doch feste Regeln dar, deren Durchbrechung politisch sanktioniert werden kann.[44] Diese „nicht-rechtliche Formalisierung des Informalen“ unterstützt eine Institutionalisierung von Verhaltenserwartungen, so daß auch Dritte mit der Einhaltung der Regel rechnen können. Diese Verfestigungsprozesse tragen zur Herausbildung „parakonstitutioneller Entscheidungsgremien“ bei, deren Entscheidungen rechtliche Entscheidungen faktisch vorweg nehmen. Solche informalen Gremien schaffen eigene Entscheidungskompetenzstrukturen, sie sorgen für eine funktionale Vereinfachung der rechtlichen Entscheidungen. Charakteristisch für sie ist ihre Tätigkeit im nichtöffentlichen Bereich, was, so Schulze-Fielitz, ihre Arbeit effektiver werden läßt.
Im Ergebnis stellt Schulze-Fielitz eine informale Ordnung hinter dem formal geregelten Bereich heraus. Er betont das große Gewicht, das informale Regeln für die Bindungen der Verfassungsorgane haben.[45] Im Sinne dieser Arbeit ist hier vor allem die Betonung der Wirkung von Absprachen in verschiedenen Bereichen zu unterstreichen.
1.3 Methodik
Die vorliegende Arbeit geht induktiv vor. Durch zielgerichtete Beobachtung und deskriptive Analyse versucht sie herauszufinden, wie formale und informelle Prozesse im Bundeskanzleramt das Regierungshandeln unterstützen. Angelehnt an die organisationssoziologischen Grundlagen Luhmanns, werden die Wirkungen informeller Prozesse in der formal vorgegebenen Ordnung des Bundeskanzleramtes analysiert. Dazu wird die Materialbasis nach hermeneutischen und textanalytischen Verfahren untersucht und interpretiert.
Die Untersuchung hat zwei Zusammenhänge zu beachten. Erstens: Weil gerade informelle Prozesse sehr stark vom Handeln der Akteure abhängig sind, muß die Wichtigkeit von Personen und Persönlichkeiten berücksichtigt werden. Zweitens: Weil die Arbeit des Bundeskanzleramtes aber nicht im luftleeren Raum, sondern auf der Basis des Regierungssystems der Bundesrepublik Deutschland stattfindet, müssen die institutionellen Gegebenheiten des Regierens mitbedacht werden, denn zweifellos bildet die Kenntnis der formalen Organisationsstruktur der Bundesregierung eine unerläßliche Voraussetzung für das Verständnis der Funktions- und Arbeitsweise des Bundeskanzleramtes, auch der informellen. Daher fußt diese Arbeit sowohl auf handlungs- und akteurs-, als auch auf systemtheoretischen Ansätzen.
Angemerkt sei schließlich, daß sich die vorliegende Arbeit auf das Wie des Regierungshandelns (politics) konzentriert und die Programminhalte (policy) dabei höchstens im Hintergrund Beachtung finden. Daher ist, wenn auf Regierungserklärungen und Koalitionsvereinbarungen eingegangen wird, nicht deren Inhalt entscheidend, sondern deren Einfluß auf das Zustandekommen von Entscheidungen.
2. Normative Voraussetzungen für die hervorgehobene Stellung des Bundeskanzlers in der Bundesregierung
2.1 Organisationsgewalt, Vertrauensfrage und Konstruktives Mißtrauensvotum als Verstärker der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers
Nach Artikel 62 GG besteht die Bundesregierung aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern. Gegenüber der Stellung des Reichskanzlers in der Weimarer Reichsverfassung hat das Grundgesetz die des Bundeskanzlers erheblich gestärkt. Hervorgehoben wird die Position des Bundeskanzlers vor allem durch Artikel 65 GG, nach dem der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt[46], aber auch durch die Artikel 63, 64, 67 und 68 GG, die der Richtlinienkompetenz sozusagen Rückenwind verleihen.
Artikel 63 GG bestimmt, daß der Kanzler als einziges Mitglied der Regierung vom Bundestag ohne Aussprache gewählt wird. Dies verschafft ihm eine besondere Legitimationsgrundlage. Diese wird gar noch verbreitert, wenn man bedenkt, daß der Kanzler in einer Quasi-Direktwahl gewählt wird, wozu die Herausstellung der Kanzlerkandidaten vor Bundestagswahlen beiträgt.[47]
Nach Artikel 64 GG, der bestimmt, daß die Bundesminister „auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen werden“, steht dem Bundeskanzler die „organisatorische Regierungsbildungskompetenz“[48] zu. Konkretisiert und präzisiert wird diese Organisationsgewalt in § 9 der Geschäftsordnung der Bundesregierung [im folgenden abgekürzt: GeschOBreg].[49] Die Organisationsgewalt umfaßt nicht nur die Auswahl der Minister, sondern auch die Festlegung der Anzahl der Ministerien und die Abgrenzung der Geschäftsbereiche dieser (vorbehaltlich besonderer Regelungen des Grundgesetzes, z.B. in Art. 65a und 112 GG). Darüber, ob die Personalvorschläge für die Ministerposten für den Bundespräsidenten verbindlich sind, herrscht keine einheitliche Meinung.[50] Daß gerade Artikel 64 GG in nächster Nähe zur Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers steht[51] belegt die treffende Analyse Böckenfördes: „Die Verteilung der Aufgaben innerhalb der Regierung, die Bildung von Schwerpunkten in der Regierungsarbeit durch Errichtung eigener Ministerien für vordringliche Aufgaben, die Beteiligung einer größeren oder kleineren Anzahl von Politikern an der Regierungsarbeit und Regierungsverantwortung, diese und ähnliche Maßregeln sind selbst ein Teil und ein Mittel der Regierungspolitik und der Verwirklichung der Richtlinien.“[52]
Artikel 67 besagt, daß der amtierende Bundeskanzler nur durch konstruktives Mißtrauensvotum abgelöst bzw. ersetzt werden kann, was heißt, daß der Bundestag dem Kanzler sein Mißtrauen nur dadurch aussprechen kann, indem er einen neuen mit der Mehrheit seiner Mitglieder wählt. Durch die in Artikel 68 geregelte Vertrauensfrage ist es dem Kanzler möglich, „in die Offensive [zu] gehen“[53] und in für ihn schwierigen Zeiten, seine Fraktion wieder hinter sich zu bündeln.[54]
2.2 Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers als Katalysator der Errichtung und Funktion des Bundeskanzleramtes
Artikel 65 GG hat, wie in diesem und den folgenden Kapiteln zu sehen sein wird, prägende Bedeutung für die Errichtung und Funktion des Bundeskanzleramtes. Von daher ist es wichtig, sich etwas genauer mit seinem Inhalt zu beschäftigen. Artikel 65 GG lautet:
„Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung. Über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern entscheidet die Bundesregierung. Der Bundeskanzler leitet ihre Geschäfte nach einer von der Bundesregierung beschlossenen und vom Bundespräsidenten genehmigten Geschäftsordnung.“[55]
Der Inhalt des Artikels bezieht sich auf die Bundesregierung als Kollegium, die Minister als Bestandteile dieses Kollegiums sowie den Bundeskanzler als die Richtlinien bestimmenden Geschäftsleiter. Er vereinigt also die drei für das innere Verhältnis der Bundesregierung entscheidenden Prinzipien, nämlich das Kanzler-, das Ressort- und das Kollegialprinzip. Allerdings definiert er nicht näher die Bedeutung der Richtlinien der Politik, weshalb dies im folgenden genauer beleuchtet werden soll, was im Hinblick auf die Herausstellung der Aufgaben des Bundeskanzleramtes von großer Wichtigkeit ist.
Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers und das Recht bzw. die Pflicht, die Geschäfte der Bundesregierung zu leiten, sind die konstituierenden Faktoren des Kanzlerprinzips, das, unterstützt durch die in 2.1 angeführten Punkte, für die starke verfassungsrechtliche Stellung des Bundeskanzlers sorgt. Bei den Richtlinien der Politik handelt es sich aber keinesfalls um Rechtsnormen oder konkrete Weisungen an seine Minister, die der Kanzler vorgeben kann. Zum einen ist er nicht gesetzgebungsbefugt und zum anderen ist er auch nicht Vorgesetzter der Minister, sondern nur Leiter der Geschäfte der Bundesregierung. Die Richtlinien geben vielmehr den „Gesamtcharakter der Politik“[56] des Bundeskanzlers vor, nach dem sich die Arbeit der Minister zu richten hat. Innerhalb dieses Rahmens können sich die Bundesminister sozusagen frei bewegen und selbständig ihre Aufgaben erledigen. Der Ressortminister muß nicht die Richtlinien des Bundeskanzlers abwarten, bevor er aktiv wird. Nach dem Ressortprinzip ist es „auch und gerade seine Sache, Konzeptionen für die Richtlinien der Politik auf seinen Gebieten zu entwickeln und sie an den Bundeskanzler oder das Kabinett heranzutragen, so dass sie zur Regierungspolitik werden können.“[57] Die Richtlinienkompetenz und einzelne Sachentscheidungen können „in besonderen Fällen, wenn das Prinzipielle seinen Sitz in der konkreten Sachfrage selbst hat“, zusammenfallen.[58] Das heißt, daß der Bundeskanzler dann eine konkrete Sache aufgrund seiner Richtlinienkompetenz entscheiden kann und damit das Ressortprinzip durch das Kanzlerprinzip eingeschränkt wird.
Die Richtlinienkompetenz ist, gerade weil Richtlinien keine Rechtsnormen bzw. Weisungen und damit juristisch nicht faßbar sind, ein nicht einfach zu handhabendes politisches Recht. Ihr eigentlicher Sinn besteht wohl eher darin, dem Kanzler die Möglichkeit zur politischen Führung des Kabinetts an die Hand zu geben. Was er letztlich daraus macht, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die er selbst nicht alle in entscheidender Weise beeinflussen kann. Zum einen hängt vieles von seiner Persönlichkeit ab. Ist er in der Lage seine Minister im von ihm vorgegebenen Rahmen zu integrieren und immer wieder neu zu überzeugen? Kann er die ihm vom Grundgesetz gegebenen Rechte in geeigneter Weise ausnutzen? Ist dies allein aufgrund seiner Persönlichkeit bereits nicht der Fall, wird er nicht erfolgreich Richtlinienbestimmung betreiben können. Hennis bringt dieses Problem bildhaft auf den Punkt: „Unser Grundgesetz und die ergänzenden Verfassungs- und Geschäftsordnungsbedingungen geben den Bundeskanzler alle rechtlichen Chancen an die Hand, deren er bedarf, um von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen zu können.… Im Moment seiner Wahl ist das Roß gesattelt und gezäumt, er muß nur reiten können. Diese Kunst aber steht auf einem anderen Blatt.“[59]
Gemessen an der Realität der Regierungsbildungen nach 1949, stellt die Richtlinienkompetenz auch ein gewissermaßen praxisfernes Recht dar. Jeder Kanzler, der eine Koalitionsregierung führt, muß von vornherein in vielen Fragen Rücksicht auf den oder die Koalitionspartner nehmen. Die Tatsache, daß dies nach 1945 in der Bundesrepublik immer der Fall war, belegt die, man könnte sagen, systembedingte Einschränkung der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, aber auch seiner Organisationsgewalt[60]. So ist es beinahe selbstverständlich geworden, daß der kleinere Partner in einer Koalition seine Minister größtenteils selbst bestimmt und hier dem Kanzler, wenn überhaupt, nur geringfügige Einflußmöglichkeiten bleiben.[61] In bezug auf die Festlegung der Richtlinien erfordern Koalitionsnotwendigkeiten Einschränkungen des Kanzlers auch in Sachfragen. Sowohl Koalitionsabsprachen, die den Gesamtcharakter der Politik des Kanzlers beeinflussen, als auch seine eigene Partei und Fraktion sowie das Kollegialitätsprinzip setzen der Richtlinienkompetenz des Kanzlers Grenzen.[62]
Verantwortung für die Richtlinien der Politik der Bundesregierung bzw. für die Schaffung eines Gesamtcharakters der Politik kann der Kanzler natürlich nur tragen, wenn er die Gesamtheit des Regierungshandelns überblicken kann, was bedeutet, daß er über alle Bereiche der Regierungsarbeit informiert sein muß. Weil er dies logischerweise nicht allein bewerkstelligen kann, bedeutet dies, daß er aufgrund der in Artikel 65 GG gestellten Aufgaben zweierlei Hilfen braucht. Zum einen, Information und Beratung, um überhaupt Richtlinien erarbeiten und vorgeben zu können und zum anderen, eine Koordinations- und Kontrollhilfe, um gewährleisten zu können, daß die Politik der Ministerien sich an seine Richtlinien hält, sich also in dem von ihm vorgegebenen Rahmen befindet. Zur Information, Planung, Koordinierung, Kontrolle und Beratung steht ihm deshalb das Bundeskanzleramt zur Verfügung. Die Aufgaben des Amtes sind im Vorwort des Einzelplanes 04 zum Bundeshaushaltsplan wie folgt verbindlich formuliert[63]:
„Nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland bestimmt der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Die Richtlinien des Bundeskanzlers sind für die Bundesminister verbindlich und von ihnen in ihrem Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung zu verwirklichen. Der Bundeskanzler leitet die Geschäfte der Bundesregierung; er hat dabei auf die Einheitlichkeit der Geschäftsführung in der Bundesregierung hinzuwirken.
Zur Durchführung seiner Aufgaben bedient der Bundeskanzler sich des Bundeskanzleramtes, das vom Staatssekretär des Bundeskanzleramtes (später: Chef des Bundeskanzleramtes) geleitet wird. Das Bundeskanzleramt hat den Bundeskanzler über die laufenden Fragen der allgemeinen Politik und die Arbeit in den Bundesministerien zu unterrichten. Es hat die Entscheidungen des Bundeskanzlers vorzubereiten und auf ihre Durchführung zu achten. Aufgabe des Bundeskanzleramtes ist es auch, die Arbeit der Bundesministerien zu koordinieren.
Der Staatssekretär des Bundeskanzleramtes nimmt zugleich die Geschäfte eines Staatssekretärs der Bundesregierung wahr. Als solcher ist er für die Vorbereitung der Sitzungen des Kabinetts und der Kabinettsausschüsse sowie der Beschlüsse der Bundesregierung verantwortlich.“
Das Bundeskanzleramt dient also zum einen der Bundesregierung als Sekretariat und zum anderen dem Bundeskanzler als Unterstützungs- bzw. Hilfseinrichtung. Es hat in dieser Funktion dem Bundeskanzler als Arbeitsstab für die täglichen Verpflichtungen zu dienen. Dies umfaßt vor allem die umfassende Information des Kanzlers über laufende Fragen der allgemeinen Politik sowie die Arbeit in den Ressorts, die es erst möglich macht, die Geschäfte der Bundesregierung zu leiten. Außerdem hat es zur Aufgabe, die Arbeit der Bundesministerien im Sinne der Richtlinien der Politik zu koordinieren. Wie die dem Kanzleramt gestellten Aufgaben konkret erfüllt wurden bzw. werden, war und ist vor allem eine Sache der Organisation des Amtes, die in der Kompetenz des Bundeskanzlers liegt. Von daher wird auch erst in den Kapiteln zu den konkreten Kanzlerschaften auf diese Punkte eingegangen.
Zusammenfassend kann an dieser Stelle aus einem Brief Konrad Adenauers an Ludwig Erhard zitiert werden, in dem Adenauer die Katalysatorfunktion der Richtlinienkompetenz für die Errichtung und Notwendigkeit des Bundeskanzleramtes, obwohl in diesem Moment an Erhard adressiert, doch auf sehr allgemeine Weise wiedergibt:
„Der Bundeskanzler gibt die Richtlinien der Politik an, das gilt für die gesamte Politik, auch für die Wirtschaftspolitik. […] Er wird vom Parlament gewählt, er kann nicht vom Bundespräsidenten entlassen werden, er allein ist dem Parlament verantwortlich für jeden einzelnen Bundesminister. Er kann diese Verantwortung nur dann übernehmen, wenn er die hauptsächlichen Fragen, die in den einzelnen Bundesministerien sachlich bearbeitet werden, auch soweit kennen lernt, daß er aus eigener Verantwortung sich ein Urteil bilden kann. […] Wenn der Bundeskanzler sich eine eigene Meinung bilden muß, muß er einen Apparat haben. Er bleibt daher gar nichts anderes übrig, als im Bundeskanzleramt auch Herren anzustellen, die sich vorzugsweise mit den wichtigsten Maßnahmen der Ministerien beschäftigen und mich darüber informieren können.“[64]
3. Vorüberlegungen vor der Errichtung des Amtes
Im Grundgesetz findet sich keine explizite Erwähnung des Bundeskanzleramtes. Dies ist auch nicht nötig, weil zum einen seine Aufgaben und Funktionen aus Artikel 65 GG hervorgehen und zum anderen seine Errichtung unter die Organisationsgewalt des Bundeskanzlers fällt. Auch für die innere Ein richtung des Amtes steht dem Kanzler die volle Organisationshoheit zu, weil er seine Befugnisse bestmöglich ausfüllen können muß.[65]
Die Art der Organisation des künftigen Bundeskanzleramtes mußte sich also vor allem nach den ihm gestellten Aufgaben richten. In zwei Expertisen, die 1949 zum Aufbau der zukünftigen Bundesverwaltung angefertigt wurden, wurden auch Vorschläge zur Organisation der damals noch so genannten Bundeskanzlei gemacht.[66] Dabei handelt es sich zum einen um Vorschläge des Rechnungshofes des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, die dieser in der Studie „Grundsätzliches zum Aufbau der Bundesverwaltung“ am 1. März 1949 und einer Ausarbeitung mit dem Titel „Vorschläge zur Gliederung der Bundesministerien“ am 3. Mai 1949 vorlegte.[67] Zum anderen handelt es um die sogenannten Schlangenbader Empfehlungen, die von einem von der Konferenz der Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder einschließlich Berlins eingesetzten Organisationsausschuß am 30. Juli 1949 gemacht wurden.
Beide Studien gingen von einer gegenüber dem Reichskanzler gestärkten Stellung des Bundeskanzlers aus.[68] Das Rechnungshofgutachten vermutete, daß das Recht des Bundeskanzlers, die Richtlinien der Politik zu bestimmen, nun eine größere Bedeutung gewinnen werde und daß die föderalistische Struktur den Verkehr mit den Ländern und dem Bundesrat zu einer wichtigen Aufgabe des Kanzlers machen werde. Daraus folgernd wurde neben einem Büro zur Vorbereitung der Kabinettssitzungen die Einrichtung einer Koordinierungsabteilung vorgeschlagen, die aus Verbindungsreferaten zu den einzelnen Ministerien, angeregt wurden deren sieben, bestehen sollte. Auf diese Weise sollte die „politische Verklammerung der Ministerien zu einem Gesamtinstrument der Regierungsführung organisatorisch“ gesichert werden.[69] Außerdem wurde empfohlen, die gesamte Pressearbeit in der Bundeskanzlei zusammenzufassen, eventuell eine „Zentralstelle“ für Auswärtige Angelegenheiten zu bilden[70] und auch das Büro des Bundesrates in der Bundeskanzlei einzurichten.[71]
Auch die Schlangenbader Empfehlungen gingen davon aus, daß Artikel 65 GG maßgebend für die Arbeit des Bundeskanzlers sei, weil ihm die Leitung und Koordinierung der Geschäfte der Bundesregierung obliege. Der Bundeskanzlei wurden demzufolge vorwiegend Koordinierungsaufgaben zugewiesen: „Koordinierung der Geschäfte der Bundesregierung, Vorbereitung der Sitzungen der Bundesregierung, Fühlungnahme mit Bundesrat und Ländern, Aufrechterhaltung der Verbindung mit den alliierten Dienststellen“.[72] Vorgeschlagen wurde die Errichtung zweier Abteilungen in der Bundeskanzlei. Eine Abteilung I sollte für die „Kernaufgabe“ Koordinierung der Gesetzgebung, den Verkehr mit den parlamentarischen Körperschaften, den Ministerien[73] und anderen Behörden, den Ländern und den Parteien zuständig sein. Die Abteilung II sollte als Bundespressestelle für Verlautbarungen der Bundesregierungen in der Öffentlichkeit verantwortlich sein und so ein einheitliches Bild nach außen vermitteln helfen. Für die Auswärtigen Angelegenheiten empfahl der Organisationsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz ein der Bundeskanzlei nebengeordnetes und dem Bundeskanzler unmittelbar unterstelltes „Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten“, das von einem Staatssekretär geleitet werden sollte.[74]
Die beiden Gutachten blieben verständlicherweise nur ein „Anhalt“ und „rein organisatorische Erwägungen“, wie es im Gutachten des Bundesrechnungshofes hieß bzw. „letztlich nur […] Vorschläge, die dem Bund die Arbeit erleichtern“, aber nicht bindend sein sollten, wie der Organisationsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz betonte. Auch in Personalfragen wurde auf konkrete Vorschläge verzichtet. Der konkrete Aufbau der Bundesverwaltung, die Anzahl und innere Einrichtung der Ministerien bzw. des Bundeskanzleramtes konnte auch rein rechtlich gesehen gar nicht festgelegt werden, da dies in die Zuständigkeit des späteren Kanzlers bzw. seiner Minister fiel. Dennoch zeigten beide als entscheidenden Punkt die Wichtigkeit eines Instrumentes zur Koordinierung der Geschäfte der Bundesregierung auf. Außerdem erscheint es interessant, die gemachten Vorschläge mit dem tatsächlich erfolgten Aufbau zu vergleichen, weil auf diese Weise bereits die Vorstellungen des ersten Kanzlers und seiner Regierung erkannt werden können.
4. Das Bundeskanzleramt als formal organisierte Verwaltungsbehörde
Mit Luhmann gesprochen soll diese Arbeit untersuchen, inwiefern sich innerhalb der formalen Organisation des Kanzleramtes Handlungen abspielen, die sich nicht aus der vorgegebenen Ordnung ergeben, diese aber ergänzen. Daher ist es wichtig, in den Kapiteln zu den jeweiligen Kanzlerschaften zunächst den formalen Aufbau genau darzustellen, weil sich in diesem informelle Prozesse abspielen.
Wie in den folgenden Kapiteln anhand der Geschäftsverteilungen und anhand der Organisationspläne im Anhang dieser Arbeit zu sehen sein wird, ist das Kanzleramt behördenmäßig strukturiert. Das bedeutet, daß es hierarchisch gegliedert ist, daß also an seiner Spitze der Chef des Bundeskanzleramtes (Staatssekretär oder Bundesminister für besondere Aufgaben[75]), der, formal gesehen, die Kontaktstelle des Amtes zum Bundeskanzler darstellt und sozusagen als Nahtstelle zwischen Politik und Verwaltung fungiert. Unter ihm folgen die Abteilungsleiter, die wiederum über den Referaten, der Ebene der konkreten Sachbearbeitung stehen. Im Gegensatz zu den Staatssekretären in den Ministerien, die nur „oberste administrative Gehilfen ihres Ministers sind“[76], ist der Staatssekretär des Bundeskanzleramtes selbständiger Behördenleiter. Der Spitze des Amtes steht es zu, durch Erlaß von Verwaltungsvorschriften in Form von Organisations- und Dienstanweisungen die innere Organisation und den Dienstbetrieb des Amtes zu regeln.[77] Dadurch ist folglich nicht nur die Geschäftsverteilung formal vorgegeben, sondern auch die Art der Bearbeitung von Akten, die Zuständigkeit und auch allgemeine Verfahrensangelegenheiten.[78] Zur Geschäftsverteilung ist zu bemerken, daß die Referate zu Anfang jeweils für ein oder mehrere Ministerien im Koordinierungsverfahren zuständig waren („Spiegelreferate“), daß also ihre Kompetenzen genau abgegrenzt und vorgegeben waren. Betrachtet man die Aufgabe des Kanzleramtes, die darin besteht, andere Behörden zu koordinieren, so ist es logisch und eminent wichtig, daß es „zunächst einmal so gut wie möglich in sich selbst koordiniert sein muß“.[79]
Das Bundeskanzleramt weist demzufolge die strukturellen Merkmale bürokratischer Behördenorganisation auf. Dies bedeutet nach Mayntz, daß folgende Voraussetzungen erfüllt sind: „1) eine genau festgelegte Autoritätshierarchie; 2) ein festes System vertikaler Kommunikationslinien (Dienstwege), die eingehalten werden müssen; 3) eine geregelte Arbeitsteilung, die auf Spezialisierung beruht; 4) ein System von Regeln und Richtlinien, das die Rechte und Pflichten aller Organisationsmitglieder festlegt; 5) ein System von genau definierten Verfahrensweisen für die Erfüllung der Aufgaben.“[80]
Natürlich ist durch diese Übersicht nicht die konkrete Organisationswirklichkeit beschrieben. Zum einen gibt es im Kanzleramt neben der formal organisierten Hierarchie noch Stabsstellen, die direkt beim Bundeskanzler stehen, z.B. der Persönliche Referent und das Kanzlerbüro, aber auch speziell eingerichtete, dem Kanzler oder Kanzleramtschef zuarbeitende Arbeitsstäbe.[81] Zum anderen muß klar sein, daß, wie von Luhmann geschildert, sich informale Ordnungen neben der formalen Organisation beinahe zwangsläufig bilden. Teile dieser informalen Ordnung sind informelle Prozesse, die in den folgenden Kapiteln kontrastiv zu den formalen Vorgaben untersucht werden sollen. Weil informelle Prozesse sehr viel mit persönlichen Faktoren und Nutzung „verborgener Wege“ zu tun haben, ist die Schilderung der organisatorischen und personellen Entwicklung des Amtes einerseits Voraussetzung dieser Prozesse, andererseits aber bereits auch Durchführung, wenn man bedenkt, daß durch informelle Vorabklärungen bestimmte Personen erst in ihre Dienststelle gelangen können.
5. Formale und informelle Prozesse im Bundeskanzleramt in der Ära Adenauer
Schon sehr schnell nach der knapp gewonnenen Bundestagswahl 1949[82] wurde Adenauer hinter den Kulissen aktiv. In verschiedenen von ihm organisierten Treffen versuchte er, seinen eigenen Anspruch auf das Amt des Bundeskanzlers zu fördern. Die Rhöndorfer Konferenz vom 21. August 1949, die auf Adenauers Einladung auch in dessen Wohnhaus stattfand, wurde in dieser Hinsicht von ihm sehr geschickt eingefädelt.[83] Indem er in sein Haus einlud,[84] hatte er sich zwei Vorteile verschafft. Zum einen konnte er, weil er hier Hausherr war, ohne Widerstand den Vorsitz der Sitzung übernehmen. Zum anderen konnte er so den einen oder anderen seiner innerparteilichen Gegner durch Nichtberücksichtigung bei der Einladung übergehen.[85] Neben der Besprechung anderer Punkte, z.B. der Koalitionsfrage (man sprach sich mit Mehrheit für eine Koalition mit der FDP aus), der Besetzung des Amtes des Bundespräsidenten mit Theodor Heuß, erhob Adenauer hier auch Anspruch auf die Kanzlerkandidatur, was von den Anwesenden auch akzeptiert wurde. Obwohl die Rhöndorfer Konferenz in bezug auf die Arbeitsweise des Bundeskanzleramtes keine größere Rolle spielt, soll sie hier zumindest in dieser Kürze erwähnt sein, weil sie beispielhaft für informelle Vorabklärungsprozesse steht. Durch die geschickt eingefädelte Zusammenkunft scheint es Adenauer gelungen zu sein, das Verhalten der Bundestagsfraktion der Union, die sich zum Zeitpunkt des Treffens noch nicht konstituiert hatte, schon vorab so weit festzulegen, daß seiner Wahl zum Bundeskanzler von ihrer Seite her nichts mehr im Wege stand. Bezeichnend ist also, daß sich Adenauer gerade durch eine informelle Vorgehensweise wichtige Voraussetzungen für den Zugang zum Amt des Bundeskanzlers und somit auch zum Bundeskanzleramt schaffte.
5.1 Der organisatorische und personelle Aufbau des Amtes 1949/50
Die Errichtung des Bundeskanzleramtes datiert vom 16. September 1949, dem Tag als Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler gewählt wurde. Der tatsächliche Aufbau des Amtes entsprach keinem der beiden vorher gegebenen Gutachten (vgl. 3.), er orientierte sich aber in mancherlei Hinsicht an ihnen.[86] Sinn und Zweck der Organisationsweise war es, wie in den Schlangenbader Empfehlungen vorgeschlagen, „das Bundeskanzleramt als zentrale Schaltstation der Bundesregierung“[87] zu konzipieren. Vorgesehen war die Bildung eines Staatssekretariats des Innern und eines Staatssekretariats für Auswärtige Angelegenheiten. Für Presse- und Informationsangelegenheiten sollte eine eigene, mit dem Amt jedoch eng verbundene Dienststelle errichtet werden.[88]
Am 3. Dezember 1949 gab Globke im „Büroumlauf Nr. 24/49“ den „derzeitige[n] Organisationsplan für das Bundeskanzleramt, Staatssekretariat“ bekannt.[89] Das Staatssekretariat des Innern war demnach untergliedert in zwei Abteilungen. Die Abteilung I (Zentralabteilung), unter der Leitung des Staatssekretärs des Innern, umfaßte die Referate 1 (Ministerialbürodirektor), 2 (Haushalt, Kassen- und Rechnungswesen), 3 (Personalien des Hauses und des Kabinetts) und 4 (Verkehr mit den politischen Parteien). Der damalige Bundestagsabgeordnete Franz Joseph Wuermeling war zwischenzeitlich mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Staatssekretärs beauftragt. Allerdings zog er bereits nach kurzer Zeit (22. November 1949 bis Februar 1950[90]) sein Abgeordnetenmandat vor und schied wieder aus seinem Amt aus.[91] Deshalb führte von da an Globke vertretungsweise die Geschäfte des Staatssekretärs[92], bis mit Otto Lenz am 15. Januar 1951 ein Staatssekretär eingestellt wurde. Die Abteilung II, der Globke plangemäß vorstand, war zuständig für „Koordinierung und Kabinettsangelegenheiten“. Sie bestand aus den Referaten 5 (zuständig für: Bundespräsidialamt, Bundestag, Bundesrat, BM des Innern, BM der Justiz, BM für Gesamtdeutsche Fragen, BM für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder), 6 (zuständig für: BM der Finanzen, BM für Wirtschaft, BM für den Marshall-Plan, Bank Deutscher Länder), 7 (zuständig für: BM für Arbeit, BM für Wohnungsbau, BM für Vertriebene), 8 (zuständig für: BM für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, BM für Verkehr, BM für Post und Fernmeldewesen) und 9 (Wissenschaftliche Forschung)[93].
Die Leitung der Referate war folgendermaßen vergeben: Die Referate 2 und 8 leitete Wilhelm Grau, Referat 5 Karl Gumbel, Referat 6 und stellvertretend auch 7 (ab Frühjahr 1950: Rudolf Petz) Joseph Rust. Bis auf Karl Gumbel, der auf Empfehlung Wuermelings ins Kanzleramt kam, kannte Globke alle Referenten aus gemeinsamer Tätigkeit an Berliner Ministerien während des Dritten Reiches. Grau und Petz waren im Reichsinnen- und Rust im Reichswirtschaftsministerium tätig gewesen.
Hans Globke hatte die Leitung des wichtigen Referats 3 (Personalfragen des Hauses und des Kabinetts) auf ausdrücklichen Wunsch Adenauers planmäßig inne, weil er, so der Wille des Kanzlers, die Personalangelegenheiten in seiner Hand haben sollte. Sie fiel ihm also nicht etwa zu, weil er den Staatssekretär des Innern als Leiter der Abteilung I vertrat. Auf diese Weise war Globke nicht nur über alle Personalangelegenheiten, für die das Kabinett zuständig war, umfassend informiert,[94] sondern er bekam so auch die Möglichkeit, die Personalpolitik in den Ministerien entscheidend zu beeinflussen. Globke behielt die Leitung dieses Referats bis ins Jahr 1951 inne, als der erste personelle Aufbau der Bundesverwaltung weitgehend abgeschlossen war. Aber auch danach hat er sich, wie Karl Gumbel, der Nachfolger in der Leitung des Referats, betont, weiterhin „für alle Personalvorgänge“ interessiert, sich „oft schon bei der Auswahl der Kandidaten“ beteiligt und sich die Entscheidung „in nahezu jedem Fall“ vorbehalten.[95] Sehr offensichtlich zeigt dies, welche Wichtigkeit der Personalpolitik im Bundeskanzleramt und in den Ministerien von Seiten Adenauers (und Globkes) beigemessen wurde. Die richtigen Personen an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit wurden als Voraussetzung eines funktionierenden Regierungshandelns betrachtet, zu dem als wichtiger Teil die Koordinierungsfunktion des Bundeskanzleramtes von Anfang an gehörte. Gerade im Hinblick auf die Unterstützung der formal vorgegebenen Ordnung durch informelle Prozesse ist dies, wie noch zu sehen sein wird, von enormer Wichtigkeit.
Die beabsichtigte Errichtung des Staatssekretariats für Auswärtige Angelegenheiten begründete Adenauer in seiner Regierungserklärung vom 20. September 1949 damit, daß nach dem Besatzungsstatut die auswärtigen Angelegenheiten Sache der Alliierten Hohen Kommission seien und er deshalb ein Außenministerium nicht vorgesehen habe. Weil aber trotzdem „jede Tätigkeit der Bundesregierung oder des Bundesparlaments auch in inneren Angelegenheiten Deutschlands irgendwie eine ausländische Beziehung in sich schließt“ und „Deutschland … infolge Besatzung, Ruhrstatut, Marshall-Plan usw. enger mit dem Ausland verflochten [ist] als jemals zuvor“ würden diese Angelegenheiten „in einem im Bundeskanzleramt zu errichtenden Staatssekretariat zusammengefaßt.“[96] Tatsächlich wurde aber zunächst neben dem Staatssekretariat des Innern und dem Presseamt nur eine Verbindungsstelle zur Alliierten Hohen Kommission gebildet und kein Staatssekretariat für Auswärtige Angelegenheiten. Die Verbindungsstelle wurde offiziell am 20. November 1949 im Bundeskanzleramt eingerichtet und dem Bundeskanzler unmittelbar unterstellt. Geleitet wurde sie von Herbert Blankenhorn. Ihr Zweck läßt sich aus der Praxis des Verkehrs mit der Alliierten Hohen Kommission erklären. Weil die Bundesrepublik zu jener Zeit die volle Souveränität noch nicht besaß und die gesamte Außenpolitik sowie ein großer Teil der Innenpolitik unter die Vorbehaltsrechte der Alliierten fiel, mußten jene Dinge, die den Vorbehaltsrechten unterworfen waren, ständig zwischen den Hohen Kommissaren und der Bundesregierung verhandelt werden. Verhandlungspartner der drei Hohen Kommissare war Adenauer zum größten Teil allein, häufig fuhr er nur in Begleitung von Blankenhorn, der damals auch sein Persönlicher Referent war, auf den Bonner Petersberg. Die Schaffung der Verbindungsstelle und die direkte Unterstellung unter den Bundeskanzler zeigt, daß Adenauer größten Wert darauf legte, diese Kontakte zu monopolisieren und zu kontrollieren. Kontrolle war am ehesten dadurch zu erreichen, daß der Verkehr mit den Alliierten in beiden Richtungen ausnahmslos über die Verbindungsstelle zu erfolgen hatte. Dies hatte zweierlei Auswirkungen: Zum einen konnte Adenauer so verhindern, daß die Alliierte Hohe Kommission direkten Einfluß auf die Bundesverwaltung nahm, zum anderen konnte er seine eigene Stellung enorm steigern. Bachmann schreibt dazu: „Er konnte die Erfordernisse seiner Politik so den Alliierten unmittelbar verdeutlichen und dabei auf den Druck der politischen Kräfte in Deutschland hinweisen, dem die Bundesregierung ausgesetzt war. Umgekehrt konnte er dem Kabinett und dem Bundestag klarmachen, wie die Lage aus Sicht der Alliierten war.“[97] In der Praxis ergab es sich aber, daß innenpolitische Angelegenheiten von den Vertretern der Ressorts unmittelbar mit den Zuständigen der Alliierten Hohen Kommission verhandelt werden konnten.
Im Zuständigkeitsbereich der auswärtigen Angelegenheiten zählten neben der Verbindungsstelle zwei weitere Büros zum Bundeskanzleramt. Dies waren das „Organisationsbüro für die konsularisch-wirtschaftlichen Vertretungen im Ausland“[98] (Leitung: Wilhelm Haas) und das „Deutsche Büro für Friedensfragen“[99] (Leitung: Peter Pfeiffer). Auch auf diesem Gebiet wird wiederum der große Einfluß Globkes auf die Entscheidung von Personalfragen deutlich. Adenauer schrieb nämlich am 14. März 1950 an Haas: „Herr Präsident Globke vertritt mich im Bundeskanzleramt, solange kein Staatssekretär vorhanden ist, auch in der Auswärtigen Abteilung, solange dort keine Spitze unter mir besteht. Ich bitte Sie, die Personalfragen, die da jetzt sehr zahlreich sind, mit Herrn Präsident Globke zu besprechen, damit ich nur letzte Entscheidungen zu treffen brauche.“[100] Die beiden Büros und die Verbindungsstelle wurden im Juni 1950 zur „Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten“ zusammengefaßt, die von da an die die Funktionen des ursprünglich vorgesehenen Staatssekretariats für Auswärtige Angelegenheiten wahrnahm. Das Organisationsbüro ging in ihre Abteilung I über, die die Zuständigkeit für die Personalfragen der gesamten Dienststelle erhielt. Die Verbindungsstelle bildete unter gleichem Namen die Abteilung II. Als Abteilung III wurde eine Konsularabteilung und als Abteilung IV – vorläufig nur in Papierform – eine Abteilung für Handelspolitik gebildet. Im August 1950 übernahm Walter Hallstein als Staatssekretär die Leitung der Dienststelle, im Frühjahr 1951 wurde die Dienststelle dann ins Auswärtige Amt umgewandelt, Adenauer selbst wurde Außenminister.[101]
Zusammenfassend zur Regelung der Auswärtigen Angelegenheiten läßt sich sagen, daß es für Adenauer enorm wichtig war, die Kontrolle über sie zu haben und zu behalten. Dies zeigt sich in drei Punkten: durch ihre Unterstellung unter das Bundeskanzleramt, wodurch Adenauer die Kontakte nach außen monopolisieren konnte; durch die Übernahme des Außenministeramtes durch Adenauer selbst; durch den Einfluß, den Adenauer sich bewahrte, als er das Amt an von Brentano abgab. Hier legte er Wert darauf, daß sein Nachfolger im Amt des Außenministers von langjährigen Mitarbeitern Adenauers „eingerahmt“ wurde, z.B. Hallstein als Staatssekretär und Grewe als Leiter der Politischen Abteilung.
Die Presse- und Informationsangelegenheiten wurden nicht im Bundeskanzleramt organisiert. Auf Adenauers Weisung wurde ein eigenes Presse- und Informationsamt der Bundesregierung geschaffen, das jedoch eng mit dem Bundeskanzleramt verbunden werden sollte. Dies geschah dadurch, daß es, solange die Stelle des Staatssekretärs des Innern im Bundeskanzleramt noch nicht besetzt war, dem Bundeskanzler unterstand und danach dem Staatssekretär, der ab Januar 1951 Otto Lenz hieß. Als Aufgaben des Presse- und Informationsamtes waren ursprünglich vorgesehen:
„Laufende Information des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers, der Bundesministerien, des Bundesrates und Bundestages über Presse- und Funkangelegenheiten des In- und Auslandes; Verbindungen zur in- und ausländischen Presse; Abhaltung von Pressekonferenzen und laufende Unterrichtung der Pressevertreter; Betreuung der Pressevertreter in beruflichen und persönlichen Angelegenheiten.“[102]
Das Amt spielte, bezogen auf den Bundeskanzler, also eine wichtige Rolle bei dessen Information von außen, aber auch bei der Information der Öffentlichkeit durch den Kanzler. Von daher maß Adenauer ihm eine große Wichtigkeit, vor allem vor Wahlen, bei.
Nicht vergessen werden dürfen der persönliche Referent und der Leiter des persönlichen Büros, die aus der formalen hierarchischen Struktur des Amtes sozusagen herausgehoben waren und direkt beim Kanzler standen. Als persönlicher Referent und Berater hatte vor allem Blankenhorn in der Anfangszeit der Außenpolitik Adenauers einen großen Einfluß auf den Kanzler.
5.2 Die organisatorische und personelle Entwicklungen im Kanzleramt ab 1950
Bevor auf Veränderungen[103] in der Geschäftsverteilung der Referate und im Personal eingegangen wird, soll etwas ausführlicher auf den Weg zur Errichtung des Verteidigungsministeriums eingegangen werden, was sich bis 1955 hinzog. Die Anfänge im Bereich der Verteidigung vollzogen sich, wie auch die in der Außenpolitik, unter dem Dach des Bundeskanzleramtes. Dies zunächst im wahrsten Sinne des Wortes, denn dort arbeitete von Juni bis Oktober 1950 das sogenannte Büro Schwerin[104], das sich mit Fragen der inneren Sicherheit der Bundesrepublik befaßte. Seine Aufgabe war, Gutachten zu bestimmten Fragen der inneren Sicherheit, speziell zum Aufbau einer Bundespolizei, anzufertigen.
Auf der New Yorker Konferenz der drei westlichen Außenminister vom 12. bis 19. September 1950 wurde Adenauer von den Alliierten durch Zusage der Verstärkung ihrer Truppen in der Bundesrepublik ausdrücklich eine Sicherheitsgarantie gegeben. Nun war außerdem zu erwarten, daß in absehbarer Zeit auch deutsche Streitkräfte aufgestellt werden würden. Daraus folgernd, beauftragte Adenauer am 23. Oktober 1950 Theodor Blank mit den zu erwartenden Aufgaben. Im Bundeskanzleramt wurde eine Dienststelle unter der Bezeichnung „Der Beauftragte des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der Alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen“ unter Blanks Leitung errichtet. Diese Dienststelle wurde dem Bundeskanzler unmittelbar unterstellt und blieb Einrichtung des Bundeskanzleramtes bis sie im Juni 1955 in das Bundesministerium für Verteidigung umgewandelt wurde. Schwerin trat am 26. Oktober zurück und Blank übernahm Teile des Personals des Büros Schwerin.[105]
Bereits am 20. Januar 1950 wurden die Abteilungen I und II des Kanzleramtes zu einer Abteilung I zusammengefaßt, die von Globke geleitet wurde. Das Presse- und Informationsamt galt von nun an als Abteilung II, die Verbindungsstelle zur Alliierten Hohen Kommission als Abteilung III. Im eigentlichen, die Regierungsgeschäfte koordinierenden Sinne, bestand das Kanzleramt also nur noch aus einer Abteilung. Während Anfang 1950 die Abteilung I die Bezeichnung „Allgemeine Angelegenheiten, Gesetzgebung und Koordinierung“ trug, waren im Geschäftsverteilungsplan vom 20. November 1951 die für die Koordinierung zuständigen Referate 4 bis 9 unter der Bezeichnung „Grundsatzfragen, Koordinierung und Kabinettsachen“ zusammengefaßt, wobei auffällt, daß der Ausdruck „Allgemeine Angelegenheiten“ durch den Ausdruck „Grundsatzfragen“ ersetzt wurde.[106] Dies impliziert auch eine Veränderung in den verfolgten Aufgaben. Zu sehen ist sie darin, daß im Ausdruck „Grundsatzfragen“ eher das planende Element zum Vorschein kommt.
Offensichtlichste Veränderung innerhalb der Geschäftsverteilung der Referate war die neue Zuständigkeit des Referats 5. Weil die Koordinierungsabteilung nach dem Prinzip der Spiegelreferate aufgebaut war, mußte mit jeder Errichtung eines neuen Ministerium entweder ein neues Referat eingerichtet werden oder die Bearbeitung der entsprechenden Dinge einem bereits bestehenden Referat zugeordnet werden. So kam es dazu, daß Referat 5 für die neu entstandenen Sachgebiete „Auswärtiges Amt“ und „Dienststelle Blank“ zuständig wurde[107], zusätzlich noch für die Abteilung „Öffentliche Sicherheit“ des Innenministeriums, den Bevollmächtigten des Bundes in Berlin[108] und das BM für Gesamtdeutsche Fragen.[109]
1953 erfolgten weitere Änderungen in der Organisation des Amtes. Es wurden die Referate zu zwei Unterabteilungen zusammengefaßt, nämlich die Referate 3, 4, 5 und 9 zur Unterabteilung A unter der Leitung Karl Gumbels und die Referate 2, 6, 7 und 8 zur Unterabteilung B unter der Leitung Wilhelm Graus. Der eigentliche Zweck dieser neuen Gliederung war wohl die Schaffung zusätzlicher Beförderungsmöglichkeiten im Kanzleramt. Gumbel und Grau sind folglich auch gleichzeitig 1953 zu Ministerialdirigenten befördert worden. 1955 übernahm Gumbel die Leitung der Personalabteilung des Verteidigungsministeriums, vertretungsweise waren zunächst nacheinander Janz und Kriele seine Nachfolger, ehe Reinhold Mercker, aus dem Justizministerium kommend, die Leitung der Unterabteilung A übernahm.[110]
Im Jahr 1956 mußten zwei neue Referate (10 und 11) gebildet werden, wobei Referat 10 für das neugeschaffene Verteidigungsministerium zuständig war, außerdem für die Geschäftsführung des seit dem 21. Oktober 1955 bestehenden Bundesverteidigungsrates und das Referat 11 für das Auswärtige Amt. Die Einrichtung dieses Referats hing damit zusammen, daß Adenauer am 7. Juni 1955 die Leitung des Außenministeriums an von Brentano abgegeben hatte und daher ein Koordinierungsreferat für das Auswärtige Amt benötigt wurde.[111]
Mit Wirkung zum 1. August 1958 erfolgte eine, wie Buchheim schreibt, „ziemlich verwirrende Umorganisation des Bundeskanzleramtes“[112]. Weil das Amt nun über zwei Ministerialdirektoren (Vialon und Janz), sowie über drei Ministerialdirigenten (Mercker, Haenlein, Kriele) verfügte, mußte „eine Gliederung gefunden werden“, in der diese Platz hatten.[113] Man bildete eine dritte Unterabteilung, so daß Mercker, Haenlein und Kriele jeweils eine leiteten. Über diesen standen dann die beiden Ministerialdirektoren, wobei Janz ein Referat (Referat 1) und die Unterabteilung A unterstanden und Vialon die beiden Unterabteilungen B und C. Näher braucht an dieser Stelle nicht auf die Organisationsänderung eingegangen zu werden. Es sollte hier vor allem deutlich geworden sein, daß sich in manchen Fällen die Organisationsform auch nach dem Vorhandensein entsprechender Beamter richtete und nicht immer umgekehrt, die Suche nach Beamten nach der vorhandenen Organisationsform. Hauptsächlich um Vialon für das Kanzleramt gewinnen zu können, wurden diese Änderungen durchgeführt.[114]
Aufgrund verschiedener Differenzen wurden 1960 die drei Unterabteilungen wieder aufgehoben und statt dessen zwei Abteilungen eingerichtet.[115] Die drei Ministerialdirigentenstellen waren von nun an der Leitung dreier Büros zugeordnet, dem Kanzlerbüro, dem neugeschaffenen Außenpolitischen Büro[116] und dem ebenso neu eingerichteten Planungsbüro[117]. Diese drei Büros waren dem Staatssekretär unmittelbar unterstellt. Den beiden Ministerialdirektoren unterstanden nun direkt die Referate 1 bis 5 (Mercker) und 6 bis 9 (Vialon), auch bei der Anzahl und Gliederung der Referate war also gestrafft worden, Buchheim berichtet gar von einer „Flurbereinigung“.[118]
5.3 Personalpolitik als Voraussetzung informeller Prozesse
5.3.1 Die Wichtigkeit von Personalentscheidungen in der Aufbauzeit der Bundesregierung und der Bundesverwaltung
Zu den Besetzungen der wichtigen Stellen im Bundeskanzleramt wurde in Kapitel 5.1 schon die hervorgehobene Rolle Globkes geschildert. Diese Stellenbesetzungen sind als gezielte personalpolitische Schritte zu betrachten. Im folgenden soll nun auf die Personalpolitik in den Ministerien eingegangen werden, die, wie zu sehen sein wird, aus mehreren Gründen, in nicht unerheblichem Maße vom Kanzleramt beeinflußt wurde.
Schon früh hatte sich Adenauer um personalpolitische Fragen gekümmert, was ihm in seiner Zeit als Kanzler von großem Nutzen sein sollte. Bereits im Januar 1949 leitete er erste Planungen ein. Eine Gruppe ehemaliger Angehöriger des Reichsinnenministeriums, der Erich Keßler, Hans Ritter von Lex, Otto Ehrensberger, Kurt Jacobi und Hans Globke angehörten, traf sich auf Anregung Adenauers in München, um „die Grundsätze einer neuen Beamtenpolitik durchzusprechen und eine Vorklärung über eventuell in Frage kommende Kandidaten für leitende Positionen in der Bundesverwaltung vorzunehmen“[119]. Blankenhorn damals persönlicher Referent Adenauers, bekam von dieser Gruppe mehrere Personallisten mit in Frage kommenden Personen.[120]
Nachdem die neue Regierung ihre Arbeit aufgenommen hatte, ließ Adenauer bereits in der zweiten Kabinettssitzung die Einsetzung einer Kommission unter Heinemann und Schäffer beschließen, die eine Vorlage für den organisatorischen und personellen Aufbau der Ministerien erarbeiten sollte. Globke und Keßler gehörten dieser Kommission ebenfalls an, wenig später auch Ritter von Lex.[121] Dieser Personenkreis formulierte beamtenrechtliche Grundsätze, erarbeitete Regelungen für das Ernennungsverfahren von Beamten, Personalvorschläge für die Besetzung der leitenden Positionen in den Ministerien (vom Staatssekretär bis zur Referentenebene) und nahm Stellung zu den Schlangenbader Empfehlungen zum organisatorischen Aufbau der Bundesministerien. Hier wurde auch die Basis für die für das Bundeskanzleramt wichtige Regelung erarbeitet, nach der Beamtenernennungen zwar formal beim Bundespräsidenten liegen, in der Sache selbst aber den Bundesministerien zustehen sollten, die aber wiederum alle Ernennungen vom Ministerialrat aufwärts vom Kabinett zu genehmigen lassen hatten. Diese Regelung (sie schlug sich im § 15 (2) der GeschOBreg nieder) verschaffte dem Bundeskanzler bzw. dem Staatssekretär des Bundeskanzleramts als Sekretär der Bundesregierung und Vorbereiter der Kabinettssitzungen enormen Einblick in die von den Ministerien verfolgte Personalpolitik. So konnte, gerade in der Ära Adenauer, oftmals Einfluß genommen werden, bevor ein Personalvorschlag eines Ministeriums überhaupt erst auf der Tagesordnung des Kabinetts landete.[122]
Adenauer war durch diese Regelung an fast allen Personalentscheidungen beteiligt. So wurden in den Ministerien, deren Spitzen nicht mit Adenauers Wunschkandidaten besetzt werden konnten[123], Staatssekretäre plaziert, „die ihrem Chef entgegenhalten sollten“[124]. Dies waren Ritter von Lex bei Heinemann im Innenministerium, Sauerborn bei Storch im Arbeitsministerium und Walter Strauß bei Dehler im Justizministerium. Später sollte auch Westrick als Staatssekretär Erhards im Wirtschaftsministerium dazu beitragen, die Beziehungen zum Kanzleramt zu verbessern und das Ministerium selbst administrativ in Ordnung zu bringen.[125] Adenauer versprach sich von diesen Personalentscheidungen Einflußmöglichkeiten des Bundeskanzleramtes auf die Ministerien, nicht nur in politischer Hinsicht, sondern auch, wie bei Westrick, in administrativer Hinsicht.
Nicht vergessen werden darf, daß Globke gute Verbindungen zu mehreren Staatssekretären, so beispielsweise zu Alfred Hartmann im Finanzministerium, zu Franz Thedieck im Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen[126], zu Walter Gase im Marshall-Plan-Ministerium und zu Walter Strauß im Justizministerium besaß. Strauß arbeitete anfangs sogar so eng mit Globke zusammen, daß er diesem hinter dem Rücken von Justizminister Dehler Gesetzentwürfe aus dem Ministerium zuleitete.[127]
Auch auf die Stellenbesetzungen der Abteilungsleiterebene nahm Adenauer, wenn er es für die Verfolgung seiner Ziele für nötig hielt, Einfluß.[128] Die Vorgänge im Wirtschaftsministerium, das aus der Frankfurter Verwaltung für Wirtschaft hervorging, können hier als Beispiel gesehen werden. Schon innerhalb eines knappen Jahres wurden hier fünf von sechs Abteilungsleiterstellen neu besetzt, unter anderem auch, weil Adenauer gerade in diesem Ministerium die „passende“ Parteibindung durchsetzen wollte. Zum Beispiel war das Ausscheiden von Helmuth Külz, der sich der SPD annäherte, aus dem Amt des Leiters der Zentralabteilung politisch begründet. Eine Belassung auf diesem Posten war allein deshalb schon nicht mehr möglich. Sein Nachfolger, Carl Krautwig, gehörte der CDU an, was ihn Adenauer genehmer machte.
Besondere Aufmerksamkeit widmete der Kanzler auch der Personalpolitik im Innenministerium. Heinemann war nicht Herr der Personalpolitik in seinem Hause.[129] Seinem Staatssekretär Hans Ritter von Lex unterstand die für die Personalpolitik zuständige Zentralabteilung, und zudem stand dieser in enger Verbindung zu Globke und folglich auch zu Adenauer. Auf diese Weise konnte aus dem Bundeskanzleramt die Besetzung verschiedener Posten im Innenministerium gesteuert werden, was beispielsweise die Ernennung Wilhelm Kitz’ zum Abteilungsleiter zeigt. Diese ging, so Wengst, „mit Sicherheit auf Adenauer zurück“[130].
Auch bei der Besetzung von Leitungsstellen im Marshall-Plan-Ministerium des damaligen FDP-Chefs Blücher mischte sich das Kanzleramt ein, weil Blücher außenpolitische Ambitionen erkennen ließ, die Adenauer nicht recht waren. Adenauer übte wohl auch aus Mißtrauen hier seinen möglichen personalpolitischen Einfluß sehr stark aus. Nicht nur Walter Gase als Staatssekretär war dem Kanzleramt eine angenehme Wahl als Blücher, sondern auch Hans Rannow, dem auf Vorschlag des Kanzler-Vertrauten Rust die Leitung der wichtigen Zentralabteilung übertragen wurde. Wengst berichtet von einem weiteren „Horchposten bei Blücher“[131]. Dessen Kabinettsreferent Vogel stand als ehemaliger Diplomat in enger Verbindung mit Blankenhorn und unterrichtete Adenauer so indirekt über alle Vorkommnisse in Blüchers Ministerium. Ein Brief Blüchers an eine Mitarbeiterin belegt treffend, daß die personelle Besetzung seines Ministeriums nicht seinen Vorstellungen entsprach: „Sodann bin ich auf der niedrigen und auf der hohen Ebene nur sehr schlecht bei dem Aufbau meines Amtes zurecht gekommen. Ich würde das nicht sagen, wenn es nicht ohnehin bekannt wäre.“[132]
Zusammenfassend ist zu bemerken, daß von Seiten des Bundeskanzleramtes gerade in der Anfangszeit wichtige Personalentscheidungen wenn nicht selbst getroffen, so doch in einem Maße beeinflußt bzw. verhindert werden konnten, wie es für vorteilhaft für die Funktionalität der Regierungsgeschäfte gehalten wurde. Es genügte aber nicht, zu Anfang die vermeintlich richtigen Leute einzusetzen, die Regierungsgeschäfte mußten auch auf Dauer durch eine ihnen nutzende Personalpolitik unterstützt werden. Ob und wie dies geschah, wird im folgenden Kapitel untersucht. Festzuhalten bleibt außerdem an dieser Stelle: Personalentscheidungen sind nicht nur Voraussetzung, sondern, je nach Art ihres Zustandekommens, auch Ergebnis informeller Prozesse.
5.3.2 Personalpolitische Entscheidungen von 1951 bis 1963 – Sicherung der Begleitung des formalen Kommunikationsweges durch informelle Kontakte
Adenauer verfolgte mit der Besetzung bestimmter Schaltstellen in den Ministerien mit Beamten, auf deren Zuverlässigkeit er bauen konnte, eine zielgerichtete Personalpolitik. Wie bereits im vorigen Kapitel geschildert, wollte er so Einfluß auf die Ministerien gewinnen und wichtige Voraussetzungen für die Durchsetzung seiner Politik schaffen. Im folgenden sollen einige Beispiele für gezielte Personalpolitik für die Zeit von 1951 an gegeben werden.
Schwarz macht zum Beispiel auf die Besetzung der Leitung der Personalabteilung des Auswärtigen Amtes im Jahre 1953 aufmerksam. Die Leitung dort übernahm zu dieser Zeit Josef Löns, den Adenauer bereits aus der Kölner Stadtverwaltung als Referent kannte und dort schätzen gelernt hatte. Löns sorgte, so Schwarz, „für eine langjährige personelle Vorherrschaft der CDU“ im Auswärtigen Amt.[133]
Weil Adenauer mit der Amtsführung Erhards und dessen Ansichten nicht immer übereinstimmte, legte er besonderen Wert auf personalpolitischen Einfluß im Wirtschaftsministerium. Lenz zitiert Adenauer am 8. August 1951 mit den Worten:
„Was die wirtschaftspolitische Lage anbelangt, so bin ich nicht immer mit dem Wirtschaftsminister einig. Ich habe darüber nachgedacht, was zu ändern wäre. Herr Staatssekretär Westrick ist schon eine Frucht dieser Gedanken. In dem Ministerium wäre ein Mann nötig, der auch die Wirtschaftsauffassung der Gewerkschaften vertritt. Ich hätte auch ohne diese Auseinandersetzung Ihnen den Vorschlag gemacht, daß Sie mir ein paar Persönlichkeiten benennen, die unter dem Staatssekretär im Wirtschaftsministerium eingebaut werden könnten.“[134]
Adenauer betrachtete also die Besetzung von Stellen als Korrekturmöglichkeit ihm nicht zusagender Ressortpolitik.
Natürlich konnte Adenauer auch auf Widerstand der Minister stoßen, die ihre Ministerien gegenüber Einflüssen aus dem Kanzleramt abschotten wollten. Dies war beispielsweise bei Außenminister von Brentano der Fall, der „sich gegen jegliche Einmischung des Kanzleramtes auf die Besetzung der wichtigsten Auslandsposten“ wehrte.[135] In diesem Zusammenhang einigte man sich auf eine informelle Vorgehensweise, um Personaldebatten im Kabinett zu vermeiden. Bach und von Brentano trafen sich wöchentlich zu einem Frühstücksgespräch in von Brentanos Haus. Dort trug Bach dem Außenminister die Personalwünsche des Kanzlers, die dieser mit Globke bereits vorher besprochen hatte, vor. Einigte man sich nicht, „wurde der Punkt vertagt und nach Rücksprache mit Globke und dem Kanzler für das nächste Treffen eine Gegenvorschlag vorbereitet, der dann meistens zu einer Einigung führte“[136]. Dies ist ein Paradebeispiel für eine informelle Vorgehensweise. Vom Kabinett formal noch zu treffende Entscheidungen wurden zwischen Bach und von Brentano (unter indirekter Steuerung durch Adenauer und Globke) informell zusätzlich im Vorhinein vereinbart.
[...]
[1] Hennis, Wilhelm: Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik. In: Ders.: Politik als praktische Wissenschaft. München 1968, S. 171.
[2] Schulze-Fielitz, Helmuth: Der informale Verfassungsstaat. Berlin 1984, S. 12.
[3] Der Untersuchungszeitraum der Arbeit endet mit der Bundestagswahl 2002.
[4] Dadurch, daß das erste Unterkapitel zu einer jeden Kanzlerschaft die formale Ordnung und die Stellenbesetzungen bis auf die Abteilungsleiterebenen wiedergibt, kann durch „Querlesen“ dieser Unterkapitel ein Überblick über den gesamten Entwicklungsprozeß der formalen Organisationsstruktur des Amtes und die Besetzung der wichtigsten Stellen von 1949 bis 2002 gewonnen werden.
[5] Vgl. Mayntz, Renate: Soziologie der öffentlichen Verwaltung. 3. überarb. Aufl. Heidelberg 1985, S. 76.
[6] Die Sekretariatsfunktion wird in den Kapiteln nicht separat behandelt, aber generell mitberücksichtigt.
[7] Vgl. Wewer, Göttrik: Spielregeln, Netzwerke, Entscheidungen – auf der Suche nach der anderen Seite des Regierens. In: Hartwich, Hans-Hermann und Göttrik Wewer: Regieren in der Bundesrepublik II. Formale und informale Komponenten des Regierens in den Bereichen Führung, Entscheidung, Personal und Organisation. Opladen 1991, S. 10; oft wird zwischen formal und formell bzw. informal und informell nicht unterschieden: Ein gutes Beispiel hierfür bietet Bohne, der sich in seiner Untersuchung zum informalen Rechtsstaat auf den Aufsatz von Quaritsch bezieht und dort alles, was Quaritsch informell nennt, als informal bezeichnet. Dies ist zwar möglich, weil „informal“ sozusagen Oberbegriff bzw. Obermenge von „informell“ ist, trägt aber nicht zu einer klaren Unterscheidung bei. (Bohne, Eberhard: Der informale Rechtsstaat. Eine empirische und rechtliche Untersuchung zum Gesetzesvollzug unter besonderer Berücksichtigung des Immissionsschutzes. Berlin 1981; Quaritsch, Helmut: Über formelle und informelle Wege der Entscheidung. In: König, Klaus, Hans-Werner Laubinger und Frido Wagner (Hrsg.): Öffentlicher Dienst. Festschrift für Carl Hermann Ule. Köln [u.a.] 1977.
[8] Verfassungskonventionen sind nach Schulze-Fielitz informale Verfassungsregeln, die sich folgendermaßen auszeichnen: sie stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit verfassungsrechtlichern Normen; mit ihnen ist aufgrund einer regelmäßigen Verhaltenserwartung ein gewisser normativer Regelungsanspruch verbunden; sie sind nicht in Rechtstexten niedergelegt. (Schulze-Fielitz: a.a.O., S. 20).
[9] Vgl. Kastning, Lars: Informelles Regieren – Annäherungen an Begrifflichkeit und Bedeutungsgehalt. In: Hartwich, Hans-Hermann und Göttrik Wewer: Regieren in der Bundesrepublik II. Formale und informale Komponenten des Regierens in den Bereichen Führung, Entscheidung, Personal und Organisation. Opladen 1991, S. 70f.
[10] Ebenda.
[11] Die hier gemachten Ausführungen beziehen sich stets auf Luhmanns Untersuchung in: Funktionen und Folgen formaler Organisation. 4. Aufl. Berlin 1995.
[12] Stelkens, Paul, Heinz Joachim Bonk und Michael Sachs: Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar. 6. neubearb. Aufl. München 2001, S. 392f.; informelle Verfahren sind hier skizziert durch Begriffe wie agreements, Kooperation, Absprachen, Verständigung, Beratung, Überzeugungen, Duldungen und Warnungen.
[13] Vgl. Quaritsch: a.a.O., S. 152f.
[14] Illegalität im organisationssoziologischen Sinne meint die „Verletzung formaler Erwartungen“. (Quaritsch: a.a.O., S. 152.; dazu ausführlich: Luhmann: a.a.O., S. 304ff.; Mayntz: a.a.O., S. 113f.; Quaritsch, Helmut: Über formelle und informelle Wege der Entscheidung. In: König, Klaus, Hans-Werner Laubinger und Frido Wagner (Hrsg.): Öffentlicher Dienst. Festschrift für Carl Hermann Ule. Köln [u.a.] 1977. S. 152f.
[15] Vgl. Behrendt, Günther: Das Bundeskanzleramt. Frankfurt a.M., Bonn 1967; Schöne, Siegfried: Von der Reichskanzlei zum Bundeskanzleramt. Berlin 1968; Müller-Rommel, Ferdinand und Gabriele Pieper: Das Bundeskanzleramt als Regierungszentrale. In: APuZ B 21-22/1991, S. 3-13; für einen grundlegenden Überblick: Busse, Volker: Bundeskanzleramt und Bundesregierung. 3. überarb. Aufl., Heidelberg 2001.
[16] Bachmann, Günter: Das Bundeskanzleramt. In: Die Staatskanzlei. Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 34, Berlin 1967, S. 161-180.
[17] Weil dies in späteren Kapiteln dieser Arbeit noch weiter ausgeführt wird, sei hier nur ein Beispiel erwähnt. Viele Autoren geben als Begründung für die Einrichtung des Außenpolitischen Büros im Bundeskanzleramt 1959 Adenauers immenses Interesse und Einflußdenken in der Außenpolitik an. Bachmann, der es wissen muß, weist aber darauf hin, daß eine personalwirtschaftliche Zufallssituation dazu geführt habe. Dies nur als ein Beispiel für das Insiderwissen Bachmanns, das gerade für diese Untersuchung von großer Bedeutung ist..
[18] Bachmann: a.a.O., S. 177.
[19] Vgl. Gotto, Klaus (Hrsg.): Der Staatssekretär Adenauers. Persönlichkeit und politisches Wirken Hans Globkes. Stuttgart 1980; besonders herauszuheben daraus sind die Aufsätze Merckers (Mercker, Reinhold: Das Bundeskanzleramt aus der Sicht eines Abteilungsleiters, S. 127-143.), Rusts (Rust, Josef: Streifzug mit Hans Globke durch gemeinsame Bonner Jahre, S. 27-38.) und Gumbels (Gumbel, Karl: Hans Globke – Anfänge und erste Jahre im Bundeskanzleramt, S. 73-98). Ebenfalls sehr hilfreich, um einen Überblick über Organisation und Arbeitsweise des Kanzleramtes unter Adenauer zu gewinnen, sind die beiden unveröffentlichten Manuskripte Hans Buchheims, nämlich einerseits: Die organisatorische Entwicklung des Bundeskanzleramtes während der Kanzlerschaft von Dr. Konrad Adenauer; andererseits: Aufgaben und Arbeitsweise des Bundeßkanzleramtes.
[20] Wieder erwähnt seien hier: Behrendt: a.a.O. und Schöne: a.a.O.; diese Autoren folgen der organisatorischen Entwicklung und der Aufgabenerledigung des Amtes bis in die Kiesinger-Zeit, allerdings unter der oben bereits genannten Einschränkung; Müller-Rommel/Pieper: a.a.O.; zum Kanzleramt in der ersten Regierung Brandt: Brauswetter, Hartmut H.: Kanzlerprinzip, Ressortprinzip und Kabinettsprinzip in der ersten Regierung Brandt 1969-1972. Bonn 1976; zum Kanzleramt unter Kohl: Korte, Karl-Rudolf: Deutschlandpolitik in Helmut Kohls Kanzlerschaft: Regierungsstil und Entscheidungen 1982-1989. Stuttgart 1998; Fröhlich, Stefan: „Auf den Kanzler kommt es an“: Helmut Kohl und die deutsche Außenpolitik. Persönliches Regiment und Regierungshandeln vom Amtsantritt bis zur Wiedervereinigung. Paderborn [u.a.] 2001.
[21] Vgl. z.B. (in chronologischer Reihenfolge): Im Zentrum der Macht. Das Tagebuch von Staatssekretär Lenz 1951-1953. Düsseldorf 1989; Osterheld, Horst: Außenpolitik unter Bundeskanzler Ludwig Erhard 1963-1966. Ein dokumentarischer Bericht aus dem Kanzleramt. Düsseldorf 1992; Harpprecht, Klaus: Im Kanzleramt. Tagebuch der Jahre mit Willy Brandt. Reinbek 2001; Bölling, Klaus: Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt. Ein Tagebuch. Reinbek 1983; Teltschik Horst: 329 Tage. Innenansichten der Einigung. Berlin 1991.
[22] Grunenberg, Nina: Vier Tage mit dem Bundeskanzler. Hamburg 1976; auch, aber in vielen Bereichen eher anekdotisch und oberflächlich: Krause-Burger, Sibylle: Wie Gerhard Schröder regiert. Beobachtungen im Zentrum der Macht. Stuttgart, München 2000.
[23] Vgl. z.B. (in chronologischer Reihenfolge) Adenauer, Konrad: Erinnerungen 1955-1959. Stuttgart 1967; Carstens, Karl: Erinnerungen und Erfahrungen. Hrsg. Kai von Jena und Reinhard Schmoeckel, Boppard 1993; Bahr Egon: Zu meiner Zeit. Berlin 1999; Brandt, Willy: Erinnerungen. Berlin 1997; Ehmke, Horst: Mittendrin. Von der Großen Koalition zur deutschen Einheit. Berlin 1994.
[24] Vgl. z.B.: Schwarz, Hans-Peter: Adenauer. Der Aufstieg 1876-1952. Stuttgart 1986 und ders.: Adenauer. Der Staatsmann. Stuttgart 1991; Caro, Michael, K.: Der Volkskanzler. Ludwig Erhard. Köln, Berlin 1965; Krause-Burger: Helmut Schmidt. Aus der Nähe gesehen. Düsseldorf, Wien 1980; Dreher, Klaus: Helmut Kohl. Leben mit Macht. Stuttgart 1998; Filmer, Werner und Heribert Schwan: Wolfgang Schäuble. Politik als Lebensaufgabe. München 1992.
[25] Berücksichtigt wurden die Zeit, die FAZ und SZ, sowie (eingeschränkt) Der Spiegel.
[26] Z.B. Schwarz, Hans-Peter: Die Ära Adenauer. Epochenwechsel 1957-1963. Hrsg. Karl Dietrich Bracher, Stuttgart, Wiesbaden 1983; Hildebrand, Klaus: Von Erhard zur Großen Koalition. 1963-1969. Stuttgart, Wiesbaden 1984; Bracher, Karl Dietrich, Wolfgang Jäger und Werner Link: Republik im Wandel 1969-1974. Die Ära Brandt. Stuttgart 1986 (letzte vier erschienen alle in der Reihe Geschichte der Bundesrepublik Deutschland); Baring, Arnulf: Machtwechsel. Die Ära Brandt-Scheel. 2. Aufl., Stuttgart 1982;
[27] Um das wissenschaftliche Interesse am Prozeß der Wiedervereinigung zu befriedigen, wurden vorzeitig Akten vom Kanzleramt freigegeben. Korte stützte seine Untersuchung vor allem darauf.
[28] Luhmann, Niklas: Funktionen und Folgen formaler Organisation. 4. Aufl., Berlin 1995; daß dies der Klassiker auf diesem Gebiet ist, läßt sich bereits daran erkennen, daß die Untersuchung zum vierten Mal in unveränderter Form (in der neuesten Auflage gibt es zwar einen angefügten Epilog, aber der Haupttext blieb der gleiche) aufgelegt worden ist.
[29] Schulze-Fielitz, Günter: Der informale Verfassungsstaat. Berlin 1984.
[30] Luhmann: a.a.O., S. 61; Verhaltenserwartungen können in drei Richtungen generalisiert werden: Zeitlich im Prozeß der Normierung, sachlich im Prozeß der Rollenbildung und sozial im Prozeß der Institutionalisierung.
[31] Der Organisationszweck leitet die Anpassung des Systems an seine Umwelt.
[32] Luhmann betont, daß es allgemein anerkannt ist, daß die formale und die informale Organisation zwei komplementäre Aspekte eines sozialen Systems darstellen. Die informale Organisation unterstützt die formale, solange beide in ihren Zwecken übereinstimmen.
[33] Dies bedeutet, daß aus ihrer Erfüllung oder Nichterfüllung keine Konsequenzen für die Mitgliedschaft im System gezogen werden können.
[34] Luhmann: a.a.O., S. 365.
[35] In diesem Zusammenhang spricht Luhmann von Fiktionen, die für die Außenwelt aufrechterhalten werden müssen. Beispiele dafür sind: Korrelation von Amt und Fähigkeit; Korrelation von Verantwortung und Stellenhierarchie; auch daß alles, was der Vorgesetzte unterschreibt, es auch selbst entschieden, ist eine (notwendige) Fiktion. Diese Fiktionen bewirken, daß die formale Hierarchie der Organisation nach außen einheitlich dargestellt wird und somit die Ordnung von Kommunikationen erhalten bleibt.
[36] Institutionalisierung in der Form, daß sie als Verhaltenserwartungen auch von Seiten Dritter gestellt werden.
[37] Z.B. interfraktionelle Absprachen zur proportionalen Verteilung der Redezeit; Regelung der Wahl des Bundestagspräsidenten und seiner Stellvertreter.
[38] Die Funktion des Parteienproporzes in diesen Bereichen ist die Milderung der rechtlichen Möglichkeit der einseitigen Herrschaft einer Partei. So werden beispielsweise die Spitzenpositionen von BND und BfV „i. S. einer Solidarität der Demokraten“ so besetzt, daß jeweils der Vizepräsident dem anderen großen politischen Lager zugerechnet werden kann.
[39] Z.B. die „paritätische“ Besetzung des Amtes von Präsident und Vizepräsident im Hinblick auf die Mitgliedschaft in einer der beiden großen Parteien.
[40] Z.B. das Vorschlagsrecht des Bundespräsidenten bei der Wahl des Bundeskanzlers nach Artikel 63 GG. Es ist nicht rechtlich geregelt, daß der Bundespräsident immer den Kandidaten der Koalitionsmehrheit vorschlägt, aber faktisch hat er es immer getan.
[41] Z.B. die Herausbildung von Kabinettsausschüssen, die, obwohl sie wichtige Funktionen im Entscheidungsprozeß der Bundesregierung haben, neben der Geschäftsordnung der Bundesregierung stehen.
[42] Die Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder ist nicht formal-rechtlich geregelt, trotzdem nimmt sie wichtige Funktionen im Regierungsprozeß wahr.
[43] Schulze-Fielitz 100.
[44] Und dies kann sicherlich ebenso konsequente Folgen wie eine rechtliche Sanktionierung haben.
[45] Schulze-Fielitz: a.a.O., S. 152
[46] Auf diesen Grundgesetzartikel wird im folgenden Abschnitt separat eingegangen, weil er sozusagen die Katalysatorfunktion für die Errichtung des Bundeskanzleramtes beinhaltet.
[47] Vgl. Hennis, Wilhelm: Zur Kunst des Regierens. In: Die Staatskanzlei. Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 34, Berlin 1967, S. 289.
[48] Jarass, Hans D. und Bodo Pieroth: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar. 5. Aufl., München 2000, S. 747.
[49] Angemerkt werden muß hier aber, daß die GeschOBreg erst in kraft trat, als die erste Regierung bereits zwei Jahre im Amt war, nämlich 1951. Die Organisationsgewalt folgt aus dem Grundgesetz.
[50] Ergänzt bzw. präzisiert wird dieses Recht durch § 9 der Geschäftsordnung der Bundesregierung. Allerdings kann dies hier keine Rolle spielen, weil die Geschäftsordnung erst in Kraft trat, als Adenauer bereits seine erste Regierung gebildet hatte und sowohl Geschäfts- als auch Kompetenzbereiche der Minister abgegrenzt hatte.
[51] Von daher werden faktische Einschränkungen der Organisationsgewalt im folgenden Kapitel mitbehandelt, wo auch faktische Einschränkungen der Richtlinienkompetenz unterstrichen werden.
[52] Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung. Berlin 1964, S. 140; Daß die Organisationsgewalt dem Bundeskanzler nicht nur in bezug auf die Ministerien, sondern auch auf „seine“ Behörde, das Bundeskanzleramt, zusteht, sei hier nur nebenbei erwähnt. Weitere Ausführungen in Kapitel 5., wo die Er- und Einrichtung des Amtes von und unter Adenauer geschildert wird.
[53] Busse, Volker: Bundeskanzleramt und Bundesregierung. 3. überarb. Aufl., Heidelberg, S. 44.
[54] Dies geschieht, wenn der Bundeskanzler das Vertrauen ausgesprochen bekommt. Inwiefern dies auf Dauer geschieht, steht auf einem anderen Blatt. Wird die Vertrauensfrage negativ beantwortet, ist auf Vorschlag des Bundeskanzlers eine Auflösung des Bundestags durch den Bundespräsidenten möglich, wodurch es zu vorzeitigen Neuwahlen kommen kann (z.B. Vorgehensweise Helmut Kohls im Dezember 1982).
[55] Artikel 65 GG initiiert die Geschäftsordnung der Bundesregierung, die Fragen ihrer Organisation und Arbeitsweise konkretisiert und im einzelnen regelt. Allerdings muß bei einer Betrachtung der Voraussetzungen des Tätigkeit des Bundeskanzleramtes Artikel 65 GG im Vordergrund stehen, weil dieser zunächst allein dessen Aufgaben verantwortlich zeichnet. Die Geschäftsordnung trat erst in Kraft, als die Regierungsgeschäfte schon eineinhalb Jahre liefen. Ihre Vorgaben können deshalb auch nicht als entscheidende Grundlage für die Arbeit des Bundeskanzleramtes gesehen werden. Sie stellen eher eine nachträgliche Formalisierung der Arbeitsweise dar. Mehr zur Geschäftsordnung der Bundesregierung im Kapitel 5.4.1. Trotzdem kann es an verschiedenen Stellen in diesem Kapitel notwendig sein, einzelne Punkte der Geschäftsordnung zu erwähnen. Dies ist insofern legitim, weil die Geschäftsordnung, gerade weil sie eine nachträgliche Fixierung der Arbeitsweise darstellt, problemlos sozusagen rückbezüglich als Anhaltspunkt verwendet werden kann.
[56] Buchheim, Hans: Die Richtlinienkompetenz unter der Kanzlerschaft Adenauers. In: Blumenwitz, Dieter et. al.: Konrad Adenauer und seine Zeit. Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers. Bd. II: Beitraäge der Wissenschaft, Stuttgart 1976, S. 344; Als Mitte der 50er Jahre über eine Revision der Geschäftsordnung der Bundesregierung nachgedacht wurde, machte Adenauer an deren § 1 genau diesen Randvermerk: „Die Richtlinien schaffen einen Gesamtcharakter der Politik.“ (Ebenda.)
[57] Busse: a.a.O., S. 51.
[58] Böckenförde: a.a.O., S. 207.
[59] Hennis, Wilhelm: Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik. In: Ders.: Politik als praktische Wissenschaft. München 1968, S. 178.
[60] Rein formal gesehen hat der Bundeskanzler, wie in Kapitel 2.1 geschildert, das alleinige Recht zur Ernennung und Entlassung der Minister, doch faktisch spielen die Kräfteverhältnisse in der Partei des Kanzlers, der Koalition sowie Proporzregeln (Konfessions-, Geschlechter- und Regionalproporz; vgl. dazu ausführlich: Schulze-Fielitz: a.a.O.) eine mitentscheidende Rolle. Adenauer äußerte sich in einer Sitzung der Landesvorsitzenden von CDU und CSU ebenfalls in diese Richtung, indem er betonte, daß die „tatsächliche Stellung des Kanzlers dem Kabinett gegenüber … bei weitem nicht so stark [sei], wie man es nach der im Grundgesetz vorgenommenen Regelung allgemein annehme“. Er führte als Beleg an, daß für den Kanzler mit einer Ministerentlassung große Schwierigkeiten verbunden seien, weil dies zu einer Gefährdung der Koalition führen könne. (Wengst, Udo: Staatsaufbau und Regierungspraxis 1948-1953. Zur Geschichte der Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland. Düsseldorf 1984, S. 247.)
[61] So stellte Kohl nach der Bundestagswahl 1990 klar, daß er sich nicht in Personalnominierungen der Koalitionspartner FDP und CSU einzumischen beabsichtigte. (Vgl. Schmidtke, Evelyn: Der Bundeskanzler im Spannungsgfeld zwischen Kanzlerdemokratie und Parteiendemokratie. Ein Vergleich der Regierungsstile Konrad Adenauers und Helmut Kohls. Marburg 2001, S. 166); Ebenso bezeichnend ist eine Interviewäußerung Guido Westerwelles, die dieser vor der Bundestagswahl 2002 im Glauben, daß es zu einer wie auch immer gearteten Regierungsbeteiligung der FDP kommen würde, machte: „Jeder in der FDP-Führung ist ministrabel. Weder Herr Stoiber noch Herr Schröder werden entscheiden, welcher Freidemokrat Minister wird, sondern nur wir selbst werden das bestimmen, wenn uns die Wähler einen Regierungsauftrag geben. Das ist seit Jahrzehnten in Koalitionen guter Brauch.“ („Ich glaube, daß die 18 Prozent für die FDP zu schaffen sind“. Kanzlerkandidat Westerwelle sieht die Liberalen weiter auf Siegeskurs. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 8.9.2002, S. 6.)
[62] Dies war auch schon unter Adenauer der Fall, wo die CDU/CSU-Fraktion 1961 die Aufnahme einer Frau in die Bundesregierung forderte, worauf das Gesundheitsministerium geschaffen wurde. Gesundheitsministerin wurde Elisabeth Schwarzhaupt (CDU). Adenauers schaffte es aber oft, durch geschicktes Manövrieren das Heft in der Hand zu behalten, was die Wichtigkeit der Persönlichkeit des Kanzlers unterstreicht. Außerdem kommt der Stellung des Kanzlers in seiner Partei eine tragende Bedeutung zu. Hat ein Kanzler seine eigene Partei bzw. Fraktion „im Griff“, wird er sich von dieser Seite weniger beeinflussen lassen. (Vgl. Kapitel zu den Kanzlerschaften Adenauers und Kohls.)
[63] Zwar waren diese Worte erst 1952 zum ersten Mal im Bundeshaushaltsplan zu finden, doch kann dies als eine Fixierung bzw. verbindliche Formulierung dessen gesehen werden, was ohnehin schon auf diese Weise gehandhabt worden war.
[64] Koerfer, Daniel: Kampf ums Kanzleramt. Erhard und Adenauer. Stuttgart 1987, S. 107; allein an diesem relativ kurzen Ausschnitt zeigt sich bereits, wie Adenauer die Aufgabe des Bundeskanzleramtes einschätzte und wie er das Amt für sich arbeiten ließ. Ebenso klingt hier bereits die von Adenauer als sehr wichtig eingestufte Bedeutung des personalen Moments an.
[65] Böckenförde: a.a.O., S. 143.
[66] Schöne schreibt, daß allein der ursprünglich vorgesehene Name „Bundeskanzlei“ und der dann tatsächlich durchgesetzte Name „Bundeskanzleramt“ auf die spätere Entwicklung des Amtes hin zum Instrument des Bundeskanzlers hinweisen. (Schöne, Siegfried: Von der Reichskanzlei zum Bundeskanzleramt. Berlin 1968, S. 186)
[67] Konrad Adenauer hatte sich in seiner Eigenschaft als Präsident des Parlamentarischen Rates an Josef Mayer, den Präsidenten des Rechnungshofes des Vereinigten Wirtschaftsgebietes und späteren Bundesrechnungshofpräsidenten gewandt, vermutlich auch in der Hoffnung, so seine persönlichen Ansichten zum Aufbau der Bundesverwaltung bestätigt zu bekommen. Weil dies nicht in vollem Umfang geschah – das zweite Gutachten zeigte beispielsweise, im Gegensatz zu Adenauers Ansicht, Nachteile einer räumlichen Trennung von Ministerien und zugehörigem Verwaltungsapparat auf – liegt darin vermutlich der Grund dafür, daß die Gutachten nicht an die Öffentlichkeit gelangten. (Wengst, Udo: Staatsaufbau und Regierungspraxis 1948-1053. Düsseldorf 1984, S. 97ff.
[68] Vgl. dazu Kapitel 2.
[69] Gutachten vom 3. Mai 1949, zit. nach Wengst: a.a.O., S. 98.
[70] Ein Außenministerium kam aufgrund der noch fehlenden außenpolitischen Handlungsfähigkeit nicht in Frage. Zur Debatte stand allerdings der Ort der Einrichtung dieser Zentralstelle. Nachdem das Gutachten vom 1. März die Zentralstelle im Büro des Bundespräsidenten etablieren wollte, stellte das Gutachten vom 3. Mai fest, daß sie auch bei der Bundeskanzlei untergebracht sein könne. (Wengst: a.a.O., S. 98.)
[71] Vgl. auch: Buchheim: Die organisatorische Entwicklung des Bundeskanzleramtes während der Kanzlerschaft von Dr. Konrad Adenauer, Unveröffentlichtes Manuskript.
[72] Wengst: a.a.O., S. 103.
[73] Auf eine Anzahl legte sich der Organisationsausschuß nicht fest, plädierte aber für die Einrichtung von Innen-, Finanz-, Justiz-, Wirtschafts-, Arbeits-, Verkehrs- und Postministerium sowie eines Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. (Wengst: a.a.O., S. 104.)
[74] Vgl. dazu im ganzen: Buchheim: Die organisatorische Entwicklung.
[75] Mehr zu der damit verbundenen Problematik in den Kapiteln zu den jeweiligen Kanzlerschaften.
[76] Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung. Berlin 1964, S. 238.
[77] Vgl. Maurer, Hartmut: Allgemeines Verwaltungsrecht. 13. überarb. u. erg. Aufl., München 2000, S. 611ff.
[78] … bis hin zur Vergabe der Dienstparkplätze. Zum Verfahren und der Arbeitsweise des Bundeskanzleramtes trägt auch die Geschäftsordnung der Bundesregierung sowie die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien [im folgenden: GGO I und GGOII) bei. Weil diese erst in den fünfziger Jahren Gültigkeit erlangten und zudem von Adenauer mitbeeinflußt wurden, soll auf sie erst im Kapitel zur Arbeitsweise des Kanzleramtes unter Adenauer eingegangen werden. Zitiert sei aber hier der § 12 der GGO I, weil hier ein entscheidender Hinweis auf die einzuhaltenden formalen Vorschriften zu finden ist: „§ 12 Dienstweg. (1) Im gesamten mündlichen und schriftlichen Dienstverkehr ist zum Zweck eines geordneten und flüssigen Verwaltungsablaufs grundsätzlich der Dienstweg einzuhalten. (2) Entwürfe, Berichte, Vorlagen, Meinungsäußerungen u.ä. sind dem nächsten Vorgesetzten zuzuleiten oder vorzutragen, wenn der Weitergebende nicht selbst entscheidet.“
[79] Bachmann: a.a.O., S. 176.
[80] Mayntz, Renate: Soziologie der öffentlichen Verwaltung. 3. überarb. Aufl., Heidelberg 1985, S. 110.
[81] Daß die Einrichtung dieser Stellen von jedem Kanzler anders gehandhabt wurde, werden die Kapitel zu den einzelnen Kanzlerschaften zeigen.
[82] Die CDU und CSU erreichten zusammen 31% der abgegebenen Stimmen und damit 139 der 402 Bundestagsmandate. Die SPD kam auf 29,2% und 131 Abgeordnetensitze, die FDP auf 11,9% bzw. 52 Sitze, die DP auf 4% und 17 Sitze, die KPD auf 15 Mandate, die Bayern-Partei auf 17, das Zentrum auf 10, die WAV auf 12 sowie Splitterparteien und Parteilose auf 9 Mandate.
[83] Schon am Tag zuvor hatte sich Adenauer mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Ehard getroffen, um einige Dinge vorab zu klären. Man verständigte sich auf folgende Punkte: Es sollte eine Koalition mit der FDP angestrebt werden, Heuss sollte das Amt des Bundespräsidenten zukommen, Köhler sollte Bundestagspräsident werden und Erhard Bundeswirtschaftsminister. (Wengst, a.a.O. S. 111f.)
[84] Eingeladen waren Vertraute Adenauers, führende CDU-Politiker der Zweizonen-Wirtschaftsverwaltung und führende Vertreter der Landesverbände der Union. (Vgl. Niclauß, Karlheinz: Kanzlerdemokratie. Bonner Regierungspraxis von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl. Stuttgart [u.a.] 1988, S. 22.)
[85] Beispielsweise war der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Karl Arnold, der als Befürworter der Großen Koalition galt, nicht eingeladen. (Vgl. Niclauß: a.a.O., S. 22.); vgl. zur Rhöndorfer Konferenz insgesamt auch: Baring, Arnulf: Aussenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie. Bonns Beitrag zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. München, Wien 1969, S. 2f.
[86] Am 1. Oktober 1949 legten Keßler, von Lex, beide Beamte des Bundesinnenministeriums, und Globke eine Stellungnahme zu den Schlangenbader Empfehlungen vor. Darin wurde über die „Bundeskanzlei“ festgestellt, daß Änderungsvorschläge nicht zu machen seien. (Buchheim: Organisatorische Entwicklung, S. 4.)
[87] Wengst: a.a.O., S. 143.
[88] Vgl. Buchheim: Organisatorische Entwicklung, S. 4.
[89] BA, B 136/4065; vgl. auch: Behrendt, Günther: Das Bundeskanzleramt, Frankfurt a.M., Bonn 1967, S. 30f.; eine von Buchheim angefertigte Skizze, die den Aufbau des Amtes vom 1. November 1949 zeigt, befindet sich im Anhang dieser Arbeit (Anhang I).
[90] Vgl. Baring: Aussenpolitik, S. 5)
[91] Eine gleichzeitige Führung der Staatssekretärsgeschäfte und Beibehaltung des Abgeordnetenmandats wurde damals abgelehnt. Das Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs wurde zwar bereits diskutiert, aber eingeführt wurde es erst 1967.
[92] Er zeichnete nun als „Staatssekretär des Innern im Bundeskanzleramt i.V.“.
[93] Für dieses Referat, dessen Leitung zunächst unbesetzt blieb, gab es, worauf Buchheim hinweist, eine Absprache zwischen Adenauer und Heinemann. Weil der Haushaltsausschuß des Bundestages im Januar 1950 dieses Referat im Kanzleramt als entbehrlich einstufte und die „Wissenschaftliche Forschung“ eher dem Bundesinnenministerium zuordnete, bewilligte er nicht die dafür im Kanzleramt erforderlichen Stellen. Adenauer einigte sich aber im Herbst mit Heinemann darauf, daß, obwohl die Mittel für Forschungszwecke ausschließlich im Haushalt des Innenministeriums ausgebracht wurden, der zuständige Referent des Innenministeriums auch für die Koordinierungsaufgaben des Kanzleramtes auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung stehen sollte. So sicherte sich Adenauer einen Einfluß auf einen Teilbetrag des dem Innenministerium in dieser Sache ausgebrachten Geldes. (Vgl. Buchheim: Organisatorische Entwicklung, S. 13.)
[94] Vom Ministerialrat an aufwärts müssen alle Vorschläge für Stellenbesetzungen in den Ministerien der Bundesregierung als Kollegium unterbreitet werden (vgl. § 18 der GeschOBreg).
[95] Gumbel, Karl: Hans Globke – Anfänge und erste Jahre im Bundeskanzleramt. In: Gotto, Klaus (Hrsg.): Der Staatssekretär Adenauers. Persönlichkeit und politisches Wirken Hans Globkes. Stuttgart 1980, S. 80.
[96] So Adenauer in seiner Regierungserklärung vom 20. September 1949.
[97] Bachmann, Günter: Das Bundeskanzleramt. In: Die Staatskanzlei. Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 34, Berlin 1967, S. 162.
[98] Auf der Pariser Konferenz der drei westlichen Außenminister am 10. und 11. November wurden der Bundesrepublik unter anderem konsularische und wirtschaftliche Vertretungen im Ausland zugestanden.
[99] Die Länder der amerikanischen Zone hatten am 15. April 1947 das „Deutsche Büro für Friedensfragen“ gegründet. Seine Aufgabe bestand darin, Material für einen künftigen Friedensvertrag bereitzustellen.
[100] Zitiert nach Buchheim: Organisatorische Entwicklung, S. 10.
[101] Vgl. zum Ganzen auch: Baring: Aussenpolitik, S. 12ff.
[102] Buchheim: Organisatorische Entwicklung, S. 12.
[103] Weil es zum einen nicht möglich und zum anderen auch unsinnig wäre, auf alle, auch noch so kleine Veränderungen in der Organisation und personellen Besetzung des Kanzleramtes einzugehen, sollen in diesem Kapitel die im Sinne dieser Arbeit vermeintlich wichtigen Veränderungen aufgezeigt werden. Dabei kann es teilweise zu Überschneidungen mit den Kapiteln 5.3.1 und 5.3.2 kommen, wo Personalprozesse und –wechsel zwischen Kanzleramt und Ministerien untersucht werden. Dies ist aber nicht weiter tragisch, weil sie hier nur genannt, später aber näher auf ihre Wirkungsweise untersucht werden.
[104] Auch bekannt unter dem Namen „Zentralstelle für Heimatdienst“. Dieses Büro bezog seine Mittel vom Bundesministerium des Innern und stand eigentlich in keiner organisatorischen Beziehung zum Bundeskanzleramt. Dennoch können und müssen in ihm die ersten Schritte auf dem Gebiet der Verteidigung gesehen werden.
[105] Vgl. zusammenfassend zum verteidigungspolitischen Apparat im Kanzleramt: Baring: Aussenpolitik, S. 21ff.
[106] Buchheim: Organisatorische Entwicklung, S. 18.
[107] Anzumerken ist hier, daß die Dienststelle Blank zu dieser Zeit noch selbst Teil des Bundeskanzleramtes war.
[108] Dieser wurde erstmals am 1. Februar 1950 von Adenauer ernannt.
[109] Das alte Referat 5 wurde zum Referat 4, nachdem dessen ursprüngliche Aufgabe „Verkehr mit den politischen Parteien“ entfallen war.
[110] Vgl. Buchheim: Organisatorische Entwicklung, S. 22f.
[111] Seine Aufgaben wurden vom ersten Leiter, Müller-Dethardt, folgendermaßen geschildert: „Registrierung und Bearbeitung der Draht- und Schriftberichte des Auswärtigen Amtes zur Vorlage bei dem Herrn Bundeskanzler. Vorprüfung und Übersetzung fremdsprachlicher Schriftstücke. Ausländische Besucher des Herrn Bundeskanzlers.“ (Buchheim: Organisatorische Entwicklung, S. 24.)
[112] Buchheim: Organisatorische Entwicklung, S. 24.
[113] Buchheim: Organisatorische Entwicklung, S. 26.
[114] Vialon war bis zuvor im Finanzministerium tätig gewesen. Mit der Regierungsbildung 1957 stellte sich aber heraus, daß er mit dem neuen Finanzminister Etzel nicht zurechtkam. Weil Vialon im Finanzministerium bereits Ministerialdirektor war, mußte, weil im Kanzleramt erst eine solche Stelle vorhanden war, eine zweite beantragt werden.
[115] Diese sind folgendermaßen zu erklären: Im Kanzleramt hatte zu jener Zeit einer der beiden Ministerialdirektoren die Stellvertretung des Staatssekretärs inne. Dies war Mitte der 50er Jahre Janz, der schon längere Zeit dem Amt angehörte. Dies wurde auch von Vialon, der ja als zweiter Ministerialdirektor sozusagen „von außen“ kam, akzeptiert. Als aber Janz das Kanzleramt verließ – er wurde ins Auswärtige Amt versetzt - und Gumbel als Ministerialdirektor und vorgesehener Stellvertreter Globkes ins Kanzleramt zurückkehrte, wollte Vialon diese Ungleichstellung nicht akzeptieren, weil Gumbel zwar um einige Wochen dienstälter, aber an Lebensjahren jünger als Vialon war. Diese Differenzen – Gumbel ging wieder zurück ins Verteidigungsministerium – führten nicht nur zur Neuorganisation, sondern auch zur Abschaffung der Einrichtung des „Stellvertreters des Staatssekretärs“. In der Folgezeit wurde der Staatssekretär von den Abteilungsleitern in deren Geschäftsbereich vertreten. (Vgl. Buchheim: Organisatorische Entwicklung, S. 28f.)
[116] Die Errichtung des Außenpolitischen Büros war, so Buchheim, primär personell bedingt. (Vgl. Buchheim: Organisatorische Entwicklung, S. 30; ebenso: Bachmann: a.a.O., S. 163.) Es ist zu vermuten, daß durch sie der schon vorhandene informelle Einfluß Bachs, der bis dahin gleichzeitig Leiter des Referats 11 und Persönlicher Referent des Kanzlers war, in gewisser Weise formalisiert werden sollte. Mehr dazu auch im Kapitel 5.4.3.
[117] In mehreren Fällen, so zum Beispiel auch beim Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung der Krankenversicherung hatte sich gezeigt, daß die Minister über die politischen Konsequenzen der von ihnen beschlossenen Gesetzesentwürfe nicht in ausreichendem Maße unterrichtet worden waren. Demzufolge trug Adenauer am 6. April 1960 im Bundestag vor: „Diese Stelle [das Planungsbüro] soll in Zusammenwirken mit den einzelnen Ressorts und dem Bundespresseamt auf eine rechtzeitige Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Pläne und Arbeiten der Bundesregierung hinwirken. Sie soll die Arbeit der Bundesregierung zeitlich abstimmen, insbesondere auch mit dem Zeitplan von Bundestag und Bundesrat.“ (Buchheim: Organisatorische Entwicklung, S. 32; Buchheim betont hier auch, daß dieses Planungsbüro nicht als Vorläufer der Planungsstäbe späterer Zeiten gesehen werden kann.)
[118] Buchheim: Organisatorische Entwicklung, S. 34. Ein Organisationsplan aus dem Jahr 1960 im Anhang (Anhang II) zeigt die Gliederung der Referate.
[119] Wengst: a.a.O., S. 93.
[120] Natürlich bemühten sich auch andere Gruppen bereits um Einfluß auf spätere Stellenbesetzungen, so die Parteiorganisationen von CDU und SPD sowie die Bundesländer, die ja nach Artikel 36 GG Personalwünsche gegenüber der kommenden Bundesregierung verfassungsrechtlich begründet vorbringen konnten. Als wichtigster Punkt bleibt aber an dieser Stelle festzuhalten, daß sich Adenauer mit Hilfe ihm vertrauter Personen bereits lange vor seinem damals noch „möglichen“ Eintritt in das Amt des Bundeskanzlers bereits um Personalfragen für diese Zeit kümmerte.
[121] Somit war die Gruppe, die für Adenauer bereits vorher inoffiziell auf diesem Gebiet tätig war, im Bundesdienst zur Behandlung der gleichen Sachfrage wieder nahezu vereint.
[122] Eine weitere am 4. November 1949 vom Kabinett eingesetzte Kommission, der ebenfalls Globke und Keßler angehörten, befaßte sich mit der Überprüfung der Frankfurter Verwaltung, deren größter Teil nach Übergangsbestimmungen des Grundgesetzes in den Bundesdienst zu übernehmen war. Zu Personalfragen wurde hier aber nur sehr zurückhaltend Stellung genommen. Bei der Errichtung der Ministerien übernahmen solche, die in der Frankfurter Verwaltung Vorgänger besaßen, zwar deren Organisationsstruktur und teilweise auch deren Personal, doch die politisch wichtigen Stellen, z.B. Abteilungsleiterstellen, wurden oftmals neu besetzt, besonders wenn die Stellen für wichtig in bezug auf die Richtung des Regierungshandelns gehalten wurden. Die Tatsache, daß Adenauer nicht viel von der Frankfurter Verwaltung hielt, zeigt sich auch darin, daß kein Beamter von dieser im Bundeskanzleramt eingesetzt wurde. (Vgl. zum letzteren: Baring: Aussenpolitik, S. 4.)
[123] Zum Beispiel aus Koalitions- oder Proporzgründen, die Schulze-Fielitz als „informale Verfassungsregeln“ versteht. (Vgl. Kapitel 1.2)
[124] Schwarz, Hans-Peter: Adenauer. Der Aufstieg: 1876-1952. Stuttgart 1986, S. 657.
[125] Ebenda. Der erste Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Schalfejew, war nicht Adenauers Wunschkandidat gewesen, von ihm aber dann doch unter gewissen Bedingungen akzeptiert worden.
[126] Allerdings war Adenauer eigentlich gegen eine Berufung Thediecks gewesen, der vor allem dadurch dann doch Staatssekretär wurde, weil Kaiser ansonsten mit seinem Rücktritt drohte. (Schwarz: Adenauer. Der Aufstieg, S. 657; ähnlich: Wengst: a.a.O., S. 157.)
[127] Wengst: a.a.O., S. 156; Schwarz geht noch weiter und bezeichnet Strauß als den „lästigen Aufpasser“ Dehlers, den der Justizminister nicht abschütteln konnte. (Schwarz: Adenauer. Der Aufstieg, S. 657.)
[128] Bei unwichtigen Posten in relativ unwichtigen Ministerien ließ Adenauer den Ministern bzw. Staatssekretären eher freien Raum, so zum Beispiel im Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen, wo er sich in Personalfragen kaum einmischte. (Vgl. Wengst: a.a.O., S. 169.)
[129] Dies untermalend betont Schwarz, daß Heinemann „mit Beamten umstellt“ wurde, „deren Richtung im Kanzleramt als unbedenklich“ galt. (Schwarz: Adenauer. Der Aufstieg, S. 658.)
[130] Wengst: a.a.O., S. 169; Wengst beruft sich hier auf eine persönliche Mitteilung von Helmut Kitz.
[131] Ebenda, S. 171.
[132] Brief Blüchers an Erika Fischer, zitiert von Wengst: a.a.O., S. 171.
[133] Schwarz: Adenauer. Der Aufstieg, S. 512.
[134] Im Zentrum der Macht. Das Tagebuch von Staatssekretär Lenz 1951-1953. Düsseldorf 1989, S. 120.
[135] So Franz Josef Bach in einem Redebeitrag in: Schwarz, Hans-Peter (Hrsg.): Konrad Adenauers Regierungsstil. Rhöndorfer Gespräche, Bd. 11, Bonn 1991, S. 83.
[136] Ebenda.
- Citar trabajo
- Björn Steffen (Autor), 2002, Formale und informelle Prozesse im Bundeskanzleramt von 1949 bis heute, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21142
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