Diese Diplomarbeit stellt eine Abhandlung zum Leib-Seele-Problem dar, wobei es vordergründig darum geht die Lösungsschwierigkeiten der wichtigsten Ansätze herauszufiltern und diese in weiterer Folge der exzentrischen Positionalität von Plessner gegenüberzustellen. In einer historischen Dreiteilung wird dem Leib-Seele-Problem mit seinen Wurzeln in der Antike, in der klassischen Neuzeit und dem „modernen“ Geist-Gehirn-Problem Rechnung getragen. Der Materialismus, in welcher Ausprägung auch immer, stellt im aktuellen Diskurs die dominierende Lehrmeinung dar, weshalb diesem besonderes Augenmerk geschenkt wird. Auf Grund der regen Beteiligung der Hirnforschung an der Leib-Seele-Debatte, werden die Positionen von Wolf Singer und Gerhard Roth mit in die Ausarbeitung einbezogen. Es zeigt sich, dass sowohl die reduktiv, als auch die nicht reduktiv materialistischen Lösungsansätze mit schwer-wiegenden Einwänden konfrontiert sind. Scheitert der reduktive Materialismus spätestens an der Unerklärbarkeit der Qualia und dem Selbstbewusstsein, haben nichtreduktive Materialisten mit der Standhaftigkeit ihrer eigenen Position zu kämpfen. Denn entweder müssen sie den Rückzug in den Reduktionismus antreten oder sie verfallen in einen unheilvollen Dualismus. Konstatiert man einen Dualismus und hält an der Interaktion zwischen Körper und Geist fest, verletzt man die kausale Geschlossenheit der physikalischen Welt. Will man dem dualistischen Interaktionsproblem entkommen, bleibt einem nur übrig, zwei voneinander völlig getrennte und wesensverschiedene Bereiche bzw. Welten anzunehmen. Insofern scheint sich das Leib-Seele-Problem, ähnlich einem Teufelskreis, einer Lösung zu entziehen. Alternativ dazu entwickelte Plessner die Theorie der exzentrischen Positionalität, die den Menschen aus der organischen Natur heraus rekonstruiert. Der Mensch, als lebendiger Organismus, existiert nicht nur im Doppelaspekt von Seele und Körper, sondern auf Grund seiner exzentrischen Position auch jenseits des Doppelaspekts als denkendes Ich. Über das denkende Ich konstituiert sich die Sphäre des Geistes, die kein zusätzliches Substrat neben Körper und Seele darstellt, sondern als soziales Phänomen zu betrachten ist. Dank der Hirnforschung wissen wir heute, dass eine Steigerung der Selbstreferenz im Gehirn zu Metarepräsentationen führt, die das physische Pendant bzw. den physischen Aspekt zum exzentrischen, geistigen Ich darstellen könnten.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation und Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Aufbau
1.3 Forschungsfrage
2 Das Leib-Seele-Problem
2.1 Das Leib-Seele-Problem in der Antike
2.2 Das klassische Leib-Seele-Problem
2.3 Kritische Würdigung
2.4 Das moderne Leib-Seele-Problem
2.4.1 Materialismus
2.4.1.1 Reduktiver Materialismus
2.4.1.1.1 Semantischer Physikalismus
2.4.1.1.2 Identitätstheorie
2.4.1.2 Nicht-reduktiver Materialismus
2.4.1.2.1 Anomaler Monismus
2.4.1.2.2 Supervenienz
2.4.1.3 Eliminativer Materialismus
2.4.1.4 Funktionalismus
2.4.1.5 Eigenschaftsdualismus
2.4.1.5.1 Emergenz
2.4.2 Qualia und Erste-Person-Perspektive
2.4.2.1 Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?
2.4.2.2 Argument des unvollständigen Wissens
2.4.2.3 Die explanatorische Lücke
2.4.2.4 Das einfache und schwierige Problem des Bewusstseins
2.4.3 Kritische Würdigung
3 Hirnforschung
3.1 Singers reduktionistische Emergenz
3.1.1 Emergenz
3.1.2 Das Bindungsproblem
3.1.3 Bewusstsein
3.1.4 Selbstbewusstsein
3.1.5 Freie und unfreie Entscheidungen
3.1.6 Von der Ersten- zur Dritten-Person-Perspektive
3.2 Gerhard Roth und der menschliche Geist
3.3 Kritische Würdigung
4 Plessners Stufen des Organischen und der Mensch
4.1 Doppelaspekt
4.2 Grenze
4.3 Leben
4.4 Positionalität
4.5 Dynamische Realisierung des Lebens
4.6 Statische Realisierung des Lebens
4.7 Organ und Positionsfeld
4.8 Zentrische Positionalität
4.8.1 Offene Organisationsform
4.8.2 Geschlossene Organisationsform
4.9 Exzentrische Positionalität
4.9.1 Außenwelt, Innenwelt, Mitwelt
4.9.1.1 Außenwelt
4.9.1.2 Innenwelt
4.9.1.3 Mitwelt
4.9.2 Anthropologische Grundgesetze
4.10 Kritische Würdigung
5 Zusammenfassung und Beantwortung der Forschungsfrage
6 Literaturverzeichnis
7 Anhang
7.1 Lebenslauf
7.2 Abstract
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Funktionalismus
1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation und Problemstellung
Der Mensch erfährt sich in seinem alltäglichen Vollzug als Mischwesen. Seiner Intuition zu Folge ist er einerseits körperlich, anderseits aber auch geistig. Wir vermeinen uns in unseren Entscheidungen und Handlungen als freie immaterielle Agenten, die sich des Körpers auf irgendeine Art und Weise bedienen. Dem Körper gegenüber, der zwar unser Seelenleben auch in umgekehrter Richtung zu affizieren vermag, fühlen wir uns daher übergeordnet. Dieses duale Selbstverständnis fußt auf der westlich-christlichen Tradition des Abendlandes, beginnend mit der Seelenlehre von Platon, über die Leibfeindlichkeit des Christentums bis hin zum rationalen Menschenbild der Aufklärung und impliziert eine Zweiteilung des Menschen in einen Leib und eine davon unabhängige Seele. Die prägende kulturelle Dimension wird dadurch bestätigt, dass z. B. im ostasiatischen Raum das Leib-Seele-Problem völlig fremd ist. In der abendländischen Philosophie wird hingegen seit der Antike über das Verhältnis von Leib und Seele intensiv gerätselt. Das Leib-Seele-Problem bzw. Körper-Geist-Problem fragt nach dem ontologischen Status des Geistigen und seiner kausalen Wirksamkeit.[1] Im Laufe der Jahrtausende haben sich etliche Lösungsansätze entwickelt, wobei sich die Kontroverse auf Grund der erheblichen Erklärungsnöte des Dualismus seit geraumer Zeit auf Spielarten innerhalb des Materialismus zuspitzt.[2] Aber auch dem reduktiven als auch dem nicht-reduktiven Materialismus stehen gewichtige Argumente gegenüber, die eine befriedigende Lösung des Leib-Seele-Problems verhindern. Die analytische Identifizierung mentaler Prädikate in der physikalischen Sprache scheitert daran, dass mentale Prädikate nicht zirkelfrei in die physikalische Sprache übersetzbar sind. Die bei der Definition zur Anwendung kommenden Sätze können selbst nicht ohne mentale Ausdrücke formuliert werden. Eine nichtanalytische Identitätsbeziehung zwischen mentalen und neuronalen Eigenschaftstypen setzt ein streng deterministisches Naturgesetz voraus, das empirisch verifizierbar ist. Die Empirie scheitert an der multiplen Realisierung des Mentalen. Durch die nomologische Inkommensurabilität des Mentalen kann keine lückenlose Ursache-Wirkungs-Kette zwischen den beiden Ebenen beschrieben werden und somit sind auch keine psychophysischen Brückengesetze aufstellbar. Daher gilt die Identitätstheorie gemeinhin als falsifiziert.[3] Aber noch viel entscheidender ist, dass es mentale Phänomene gibt, die sich gar nicht reduzieren lassen. Gemeint sind unsere subjektiven Erlebniszustände, die nur aus der Erste-Person-Perspektive zugänglich sind. Denn aus neuronalem Geschehen lässt sich nicht ableiten, wie es sich anfühlt etwas zu erleben. Leider kann auch der nicht-reduktive Materialismus das Leib-Seele-Problem nicht befriedigend lösen. Er fällt entweder in den Reduktionismus zurück oder muss psychophysische Gesetze postulieren, die wie der interaktionistische Dualismus mit der kausalen Geschlossenheit der physikalischen Welt hadern.[4] Die Körper-Geist-Debatte ist längst keine rein philosophische Angelegenheit mehr, sondern ein äußerst fruchtbarer interdisziplinärer Diskurs. Insbesondere beteiligen sich die Neurowissenschaften an der aktuellen Diskussion und versuchen, gestützt durch modernste Technik, dem Leib-Seele-Problem Herr zu werden. Denn der Intuition des Menschen, ein autonomes, frei entscheidendes und handelndes Wesen zu sein, stehen Forschungsergebnisse gegenüber, die dieses Selbstbild nicht nur nicht bestätigen, sondern viel eher widerlegen. Der Geist, wenn er überhaupt existiert, muss evolutionär aus der Natur hervorgegangen sein und unterliegt damit denselben Naturgesetzen, wie der Körper bzw. das Gehirn. Aus neurologischen Beeinträchtigungen lassen sich immer präziser psychische bzw. mentale Dysfunktionen ableiten. Der daraus folgende Determinismus lässt eigentlich keinen Raum für wirklich freie Entscheidungen. Das Paradigma der mentalen Verursachung läuft unter diesen Voraussetzungen Gefahr zu einem Epiphänomen zu verkommen. Für den Menschen, als dem vermeintlich aus sich selbst heraus handelnden Subjekt, dem gefühlten Urheber seiner Vorstellungen und Taten, stellen die neurowissenschaftlichen Forschungsergebnisse einen unangenehmen Tatbestand dar, welcher immense Konsequenzen impliziert.[5] Was der Mensch seinem Wesen nach ist, wie es um seine Freiheit und Schuldfähigkeit bestellt ist, muss möglicherweise neu definiert werden. Aber die Hirnforschung ist noch weit davon entfernt ein lückenlos kausales Erklärungsmodell zu sein. Trotz alledem besteht ein allgemeiner Konsens darin, dass der Geist nicht ohne Realisierung an neuronalen Netzwerken existieren kann. Gesucht ist eine Lösung, die also sowohl unserer physischen Basis, als auch unserer Mentalität gerecht wird, ohne an den Problemen des reduktionistischen Materialismus bzw. des Dualismus zu scheitern. Plessners Stufen des Organischen stellen hierbei eine interessante Alternative dar. Plessner entwickelt hierbei die dem Menschen eigentümliche exzentrische Positionalität aus der Natur heraus ohne dabei weder in einen reduktiven Materialismus (Biologismus), noch in den Dualismus zu verfallen. Durch die im Leben geeinte Aspektdifferenz von Innen und Außen steht die Leib-Seele-Debatte unter einem ganz anderen Licht und in Folge dessen gilt es fragen, ob dies als Ausweg aus dieser Problematik gedeutet werden kann.
1.2 Zielsetzung und Aufbau
Ziel dieser Diplomarbeit ist es, das Leib-Seele-Problem zu durchleuchten und die Lösungsschwierigkeiten der prominentesten Ansätze herauszufiltern. Danach gilt es zu überprüfen ob sich die hervortretenden Probleme in der exzentrischen Positionalität von Plessner aufheben lassen. Dies könnte in weiterer Folge als Ausweg aus dem Leib-Seele-Problem gedeutet werden. Um dieses Ziel zu erreichen, wird in einem ersten Teil das Körper-Geist-Problem von seinen Wurzeln in der Antike, über die klassische Neuzeit bis in die Gegenwart durchforscht. Hierbei wird jeweils in einer kritischen Würdigung vornehmlich die Lösungsproblematik aufgezeigt. Auf Grund der regen Teilnahme der Hirnforschung am Leib-Seele-Diskurs wird diese in einer zweiten Stufe der Arbeit, unter Bezugnahme auf Wolf Singer und Gerhard Roth, mit einbezogen. Nach einer weiteren kritischen Hinterfragung wird im dritten Teil der Arbeit die exzentrische Positionalität Helmuth Plessners aus ihren Grundstrukturen heraus erarbeitet. In einer finalen Gegenüberstellung der erarbeiteten Lösungsschwierigkeiten des Leib-Seele-Problems und dem Plessnerschen Gedankengang, wird überprüft inwiefern Zweiteres als Ausweg aus der Leib-Seele-Problematik gedeutet werden kann und somit die Forschungsfrage beantwortet.
1.3 Forschungsfrage
An was scheitern traditionelle und moderne Lösungsversuche des Leib-Seele-Problems und inwiefern kann Plessners Bestimmung des Menschen als exzentrisch positioniertes Lebewesen als Ausweg gedeutet werden?
2 Das Leib-Seele-Problem
Das Verhältnis zwischen Leib und Seele zählt schon seit Anbeginn der Philosophie zu einer ihrer Grundfragestellungen[6] und macht das ontologische Kernproblem der Philosophie des Geistes aus. Knackpunkt des Leib-Seele-Problems ist die Frage nach dem ontologischen Status des Seelischen, Geistigen bzw. Mentalen und seinem kausalen Verhältnis zum Körperlichen. Die Brisanz des Diskurses besteht aus der alltäglichen Intuition, dass neben allen physischen Dingen, die uns in der Welt begegnen, auch u. a. Vorstellungen, Gefühle und Gedanken existieren und wir diese mentalen Zustände als immateriell, dennoch als ebenso real empfinden.[7] Aber inwieweit können geistige Phänomene reale eigenständige Entitäten oder Eigenschaften sein, wenn sie sich doch jeder objektiven Beobachtung entziehen? Wie ist ihre kausale Rolle bzw. ihre Beziehung zum Körperlichen in einer völlig von Naturgesetzen determinierten Welt zu denken? Haben mentale Eigenschaften, wie Intentionalität oder Qualia, eindeutig zuordenbare körperliche bzw. neuronale Korrelate und sind somit gänzlich auf diese zurückführbar, welches uns die reduktionistischen Materialisten nahe legen wollen? Kann man konsequenter Weise, unter Bezugnahme dieser Voraussetzungen, überhaupt noch von einem freien Willen beim Menschen sprechen? Auf der anderen Seite ist aber auch noch völlig offen wie und warum der Körper bzw. das Gehirn überhaupt Mentalität hervorbringt? Oder ist Mentalität letztendlich sogar nur eine Illusion?[8] Besonders übersichtlich lässt sich das Leib-Seele-Problem anhand des Bieri-Trilemmas (2007, S. 5) veranschaulichen, welches aus 3 Thesen besteht, bei denen jeweils zwei dieser Thesen die Unmöglichkeit der Dritten impliziert:
1. Mentale Phänomene sind nicht-physische Phänomene.
2. Mentale Phänomene sind im Bereich physischer Phänomene kausal wirksam.
3. Der Bereich physischer Phänomene ist kausal geschlossen.
Nimmt man nun an, dass die Sätze 1 und 2 wahr sind, muss folgerichtig Satz 3 falsch sein, da der physikalische Bereich eben genau dann nicht kausal geschlossen ist. Wären die Thesen 1 und 3 wahr, wäre Mentalität ein ontologisch eigenständiger Bereich, der seinerseits keinerlei kausale Rolle auf das Physische ausüben kann und somit These 2 falsch. Für den Fall, dass die Thesen 2 und 3 wahr sind, müssen mentale Phänomene ihrerseits auch physische Phänomene sein und Satz 1 wird falsifiziert.[9]
Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt an Frage- und Problemstellungen, die das Leib-Seele-Problem mit sich bringt und zeigt welche Aktualität in ihm steckt. Nicht umsonst bezeichnete Schopenhauer das Leib-Seele-Problem als den Weltknoten.[10] Im Laufe der Zeit haben sich etliche Lösungsansätze entwickelt und die Debatte hat sich zu einem interdisziplinären Diskurs entwickelt, wobei der Materialismus in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt ist.[11] Scheinbar ist aber noch keiner der Lösungsvorschläge überzeugend genug gewesen, da das Körper-Geist-Problem weiterhin als ungelöst gilt.
Das Leib-Seele-Problem steht neben seinem historischen Kontext auch immer in einem alltagsweltlichen und kulturellen Zusammenhang. Von der platonischen Seelenlehre, über die Abwertung des Leibes in der christlichen Tradition hin zum rationalen Menschenbild der Aufklärung hat sich in Kombination mit der alltagspsychologischen Sprechweise ein tiefes Vorverständnis entwickelt, dass uns sowohl im subjektiven phänomenalen Erleben, als auch in unserem Denken über Leib und Seele beeinflusst. Metzinger drittelt deshalb das Körper-Geist-Problem in eine lebensweltlich-kulturelle, eine phänomenale und eine historische Dimension. Die historische Dimension lässt eine zeitliche Unterteilung der Leib-Seele-Debatte in einen neuzeitlich klassischen und einen modernen Kontext zu. Die Formulierung des neuzeitlichen Ansatzes des Leib-Seele-Problems geht auf René Descartes zurück und die daran ansetzende Debatte reicht bis zum Zweiten Weltkrieg. Erst nach Ende des Krieges setzt die “neuere“ Diskussion ein.[12] Da die Wurzel des Problems aber schon in der Antike erkannt und thematisiert wurde, werden im Folgenden die wichtigsten Positionen besprochen. Dies ist deshalb wichtig, da sie den Grundstock fast aller späteren Ansätze bilden.
Wie man bereits gesehen hat, verwendet ich den Ausdruck „Leib-Seele-Problem“ synonym mit dem Ausdruck „Körper-Geist-Problem“. Dies ist nicht ganz unproblematisch. Beckermann weist darauf hin, dass Ersterer zu Missverständnissen führen könnte, da die Begriffe Leib und Seele alltagssprachlich und philosophisch stark vorgeprägt sind. Die Seele stehe meistens für Phänomene wie Intuition oder Gefühl, aber nicht für rationales Denken oder Handeln. Beckermann merkt zwar an, dass auch der Begriff Geist nicht den beiden Komponenten gerecht wird, aber auf Grund seiner Nähe zum englischen Wort „mind“ vorzuziehen ist.[13] Mir ist der enorm wichtige Begriffsunterschied zwischen Seele und Geist durchaus bewusst und ihm wird auch in den jeweiligen Positionen Rechnung getragen. Da aber beide Ausdrücke für ein Problem stehen, nämlich dem psychophysischen Verhältnis, in welcher Form auch immer, wird an der Synonymität festgehalten. Dasselbe gilt für die Begriffe Materialismus und Physikalismus.
2.1 Das Leib-Seele-Problem in der Antike
Den Ursprung des Leib-Seele-Problems datiert man in die Antike, als man sich von der mythologischen Deutung der Welt zu den ersten philosophisch-naturwissenschaftlichen Erklärungsversuchen durchgerungen hatte. Die Gedanken bezüglich Leib und Seele leiten sich aus relativ rudimentären Beobachtungen über die Welt und die physischen Gegenstände, die in ihr vorkommen, ab. Auf der einen Seite gibt es Dinge, wie z. B. Berge, Stühle und Häuser, auf der anderen Seite Dinge, wie die Pflanze, das Tier und den Menschen, die sich hinsichtlich ihres Verhaltens und ihrer Eigenschaften doch stark von Ersteren unterscheiden. Die ausschlaggebende Differenz dafür identifiziert die Antike in der “Lebendigkeit“. Der Begriff „psyche“ stand für etwas Belebtes bzw. Lebendiges, welches das Abgrenzungsmerkmal zu allem Toten darstellt und allgemein mit Seele übersetzt wird. Das bedeutet, dass alles was lebt notwendig eine Seele hat und sich genau darin von leblosen und daher unbeseelten Dingen unterscheidet. Die Seele steht somit eindeutig für Leben und ein Leben ohne Seele ist undenkbar. Die Seele ist demnach dasjenige, welches Leben erst hervorruft. Bei den meisten Vorsokratikern wird die Seele zwar mit einem Element, wie etwa Feuer, Wasser oder Luft gleichgesetzt, aber auch hier ist die Verbindung zum Begriff des Lebens unverkennbar.[14] So verstand Thales seine „arche“ Wasser als das Prinzip des Lebens, als allen Dingen innenwohnende Seele.[15]
Nun ergibt sich zwangsläufig die erste Gretchenfrage des Leib-Seele-Problems. Was genau ist diese Leben ermöglichende Seele? Ist sie ein stoffliches, materielles Etwas, oder ein unkörperliches, immaterielles Ding, oder gar überhaupt kein Ding? Für die Vorsokratiker schien die Seele etwas Stoffliches bzw. etwas Materielles zu sein. Dies würde sie zu den ersten Materialisten der Philosophiegeschichte machen, welches nicht der einheitlichen Meinung der einschlägigen Literatur entspricht, da der vermeintliche Urstoff bei manchen ihrer Vertreter mit einem alles durchwaltenden Gott gleichgesetzt wurde.[16] Hingegen beantworteten die antiken Atomisten die Frage nach der Natur der Seele eindeutig materialistisch. Die Seele, die Wahrnehmung und das Denken bestehen aus Materie, nämlich aus Atomen, genauso wie der Rest der uns begegnenden Dinge.[17] Demnach hält Lukrez Seele und Geist (Verstand) für einen physischen Bestandteil des menschlichen Körpers, so wie es Hand und Fuß sind. Der Geist bewegt die Seele und die Seele wiederum den Körper. Aber da nur das bewegen kann, was sich auch berührt, muss sowohl der Geist als auch die Seele physischer Natur sein wie der Körper. Beim Tod entweichen die äußerst leichten Geist- bzw. Seelenatome, welches den antiken Gedanken der Gleichsetzung von Leben mit Seele bestätigt.[18] Die Sinnesempfindungen kommen nach Demokrit durch die ausströmenden Atome der Objekte zustande. Diese prallen auf unsere Sinnesatome und diese stoßen wiederum die Atome des Geistes an.[19] Festzuhalten ist, dass die Seele existiert und zwar in einer feststofflichen Form.
Auch für Platon ist die Seele das Lebensprinzip, jedoch kein physisches Ding. Sie ist vielmehr ein selbstständiges, immaterielles dem Körper gegenüber komplett andersartiges Wesen und macht die wahre Natur des Menschen aus. Im Dialog Alkibiades stellt Platon nämlich fest, dass der Mensch „entweder Seele oder Körper oder beides zusammen als vereinigtes Ganzes“ (Platon Alkibiades I; zitiert nach Schleiermacher 129-131) sein muss. Seine Überlegungen führen ihn zum Ergebnis, dass „ weder der Leib noch das Beiderlei der Mensch ist: so bleibt nur übrig entweder nichts ist er, oder wenn etwas, so kann nichts anderes der Mensch sein als die Seele“ (Platon Alkibiades I; zitiert nach Schleiermacher 129-131). Darüber hinaus ist Platon der Auffassung, dass die Seele und somit der Mensch bei Eintreten des körperlichen Todes nicht mit untergeht, sondern unsterblich bis in alle Ewigkeit fort besteht.[20] Damit vertritt Platon einen klaren Substanzdualismus, da er der Seele nicht bloß Existenz zuspricht, sondern sie auch als wesensverschieden vom Körper konstatiert. Nur zu irdischen Lebzeiten besteht eine irgendwie geartete Verbindung der zwei Substanzen miteinander. Der Körper wird bei Platon dem empirischen, sinnlichen Bereich zugeordnet und als Erkenntnisquelle der Wahrheit ausgeschlossen. Da uns z. B. in der Natur niemals zwei gleiche Dinge begegnen, wir also den Begriff der Gleichheit nicht aus ihr entnehmen können, müssen derartige Begriffe bereits von jeher gegeben sein und zwar in einer eigenständigen, unveränderlichen und ewigen Welt. Der intelligiblen Welt, der Welt der Ideen. Die Seele ist auf Grund ihrer Verwandtschaft mit dem intelligiblen Seinsbereich ebenso unveränderlich und damit unsterblich.[21] Platons Mensch, der identisch mit seiner Seele ist, kennt keinen dynamischen Entwicklungsprozess. Er ist unentstanden und unvergänglich. Nur sein Körper ist dem Werden unterworfen. Der physischen Welt kommt somit eine sehr untergeordnete Rolle zu, sie ist sogar nur ein Abbild der einzigen wirklichen Welt, der Welt der Ideen, des ewigen unbewegten Seins.[22] Platons Überlegungen führen letztlich dazu, dass der Leib zum Grab der Seele verkommt.[23]
Platons ideeller Leib-Seele-Dualismus wird in weiterer Folge das Christentum und das ganze Abendland immens beeinflussen. Sein Menschenbild steht im krassen Gegensatz zu dem der Atomisten und dem der Sophisten. Denn Protagoras zu Folge ist der Mensch das Maß aller Dinge und zwar der Mensch in seiner Subjektivität in Bezug auf die Welt.[24] Besonders das materialistische Menschenbild der Atomisten soll erst viel später an Bedeutung gewinnen.
Aristoteles geht auch von der Verbindung von Leben mit Seele aus. Nur ist die Seele kein Ding, sondern ein Aktivitätsprinzip, ein Prinzip der Bewegung bzw. der Veränderung. Eine Bewegung aus sich selbst heraus im Sinne von Selbstorganisation, die aber nur beim Lebendigen, dem Organischen vorkommt. Anorganisches, Unbelebtes, also Unbeseeltes, kann hingegen nur von außen bewegt werden. Die Seele ist demnach das Prinzip der Selbstbewegung aller Lebewesen, die somit ihre Form, Wirk- und Zweckursache in sich tragen und sich selbst eigenaktiv hervorbringen.[25]
In der Schrift de anima konkretisiert Aristoteles das Wesen der Seele als eine weder physische noch immaterielle Entität. Sie ist vielmehr die Form (morphe) eines Körpers, der potentiell Leben hat. Genauso wie für Platon existiert jedes einzelne Ding, so auch der Mensch, als Zusammengesetztes aus einem Stoff (hyle), der Materie, und einer Form. Der Stoff, z. B. Holz, ist Potentialität, der erst durch die Form zu z. B. einem Tisch wird. Somit kommt nur der Form Wirklichkeit zu. Das aus ihnen Zusammengesetzte, der hölzerne Tisch, macht das konkrete sinnliche Ding aus. Die Seele als bewegendes Formprinzip kann nicht ohne den Körper, als stoffliche zu bewegende Möglichkeit, bestehen.[26] Sowohl Stoff und Form, als auch das aus ihnen Zusammengesetzte kann nach Aristoteles als Substanz (ousia) bezeichnet werden. Da aber auch die Seele Substanz ist, fragt sich nur in welcher Ausprägung?
„Es sind in erster Linie die Körper, die für Substanzen gehalten werden, und unter Ihnen besonders die natürlichen Körper, da sie die Basis der anderen sind. Unter den natürlichen Körper besitzen einige Leben, andere dagegen nicht. Mit „Leben“ meinen wir Ernährung durch sich selbst und Wachstum (und entsprechenden Verfall). Also muss jeder natürliche Körper, der Leben hat, eine Substanz sein, und zwar Substanz als Zusammengesetztes […]. Aber weil er auch ein Körper einer bestimmten Art ist – nämlich einer, der Leben hat-, kann der Körper nicht schon selbst Seele [d. h. Leben] sein, denn der Körper wird nicht einem Subjekt zugeschrieben, sondern viel eher dient er selbst als Subjekt und Stoff […]. Die Seele muss also Substanz sein, und zwar als die Form eines natürlichen Körpers, der potentiell Leben hat.“ (Aristoteles, De anima II.1.412a11 zitiert nach Ackrill 105 f)
Der Mensch als Lebewesen ist dem zu Folge Substanz als Zusammengesetztes und nicht die Seele selbst, wie es Platon verstand. Denn der Mensch hat Leben und er lebt nur deshalb, weil er beseelt ist. Darum kann die Seele nur Substanz im Sinne der Form, nämlich als erster Entelechie des Lebewesens sein, da sie Leben überhaupt erst ermöglicht und bestimmte Fähigkeiten mit sich bringt. Aristoteles differenziert zwischen drei Typen von Seele mit unterschiedlichen Vermögen. Die vegetative Seele der Pflanzen ermöglicht die Ernährung, das Wachstum und die Vermehrung. Die animalische Seele der Tiere verfügt zusätzlich zu den Fähigkeiten der Pflanzenseele noch über Wahrnehmung und die selbständige Fortbewegung. Dem Menschen schließlich kommt zu alldem das Denkvermögen dank der Vernunft- bzw. Geistseele (nous) hinzu. Die Geistseele steht für das humanspezifische Merkmal des kognitiven Form- bzw. Aktivitätsprinzips. Durch den nous wird der individuelle Mensch zu einem mit Sprache und Denken begabten Naturwesen (zoon logon echon). Zur Entwicklung seiner Fähigkeiten benötigt das Individuum aber eine Gesellschaft, in der seine Individualität erst ermöglicht wird (zoon politikon). Aus den Überlegungen des Aristoteles lässt sich klar ableiten, dass die Seele weder ein physischer Teil des Körpers ist, noch dass sie eine immaterielle Entität ist, die ohne den Leib bestehen könnte. Damit ist ein Leben nach dem Tod undenkbar und der Mensch vergänglich. Lediglich der nous poietikos selbst ist unvergänglich.[27]
Das Leib-Seele-Problem bekommt durch Aristoteles eine andere Dimension, da er offensichtlich keine substanzdualistische oder monistische Position bezieht. Denn weder wird dem Seelischen ein selbständiger Seinsbereich zugesprochen, noch wird die Seele auf die Materie reduziert. Die Seele macht den Unterscheid des Lebendigen von dem Toten aus, indem es gewisse Fähigkeiten ermöglicht und zwar nicht auf mechanisch, physische Weise. Die dem Menschen höchst eigenen mentalen Eigenschaften müssen also nicht zwangsweise auf die Materie oder auf eine immaterielle Seele zurückgeführt werden.
2.2 Das klassische Leib-Seele-Problem
Im Unterschied zum antiken Leib-Seele-Problem wird die Grenze in der Neuzeit nicht mehr zwischen belebter und unbelebter Natur, sondern ausschließlich zwischen Lebewesen mit oder ohne Seele gezogen.[28] Wie schon zu Beginn ausgeführt, ist der klassische neuzeitliche Ansatz des Leib-Seele-Problems auf René Descartes, den Begründer des modernen Rationalismus, zurückzuführen. Sein philosophisches Denken steht zum einen im Zeichen einer radikalen Abkehr von der theologisch getränkten Philosophie des Mittelalters (cartesische Zäsur) und zum anderen in einem Bruch mit der antiken Verbindung von Seele mit Leben. Die rasch anwachsenden naturwissenschaftlichen Errungenschaften seiner Zeit waren für ihn unvereinbar mit der aristotelisch-scholastischen Philosophie. Ihm schwebte ein neues, auf dem Primat der Vernunft bestehendes, dem axiomatischen Gebäude der Mathematik ähnelndes, philosophisches Konzept vor.[29] Insbesondere lehnte er die Vorstellung ab, dass die Seele die Ursache aller körperlichen Aktivitäten und Prozesse sei. Er war der Auffassung, alle leiblichen Geschehnisse seien ebenso mechanisch erklärbar, wie es die ganze unbelebte Natur ist. Damit ist die antike Gegenüberstellung von belebt und unbelebt, also beseelt und unbeseelt hinfällig. D. h. die Vermögen der Pflanzen- und der Tierseele eines Lebewesens (s. o.) beruhen auf mechanischen Vorgängen, die sich allein aus dem geeigneten Zusammenspiel der körperlichen Teile ableiten lassen. Die Differenz zwischen einem lebenden und einem toten Menschenkörper entspricht der, zwischen einer funktionstüchtigen und einer kaputten Maschine. Um wenigstens die Existenz der menschlichen Seele aufrecht zu erhalten, setzt er sie mit dem Denken gleich. Über seinen methodischen Zweifel gelangt er zur res cogitans, der denkenden Substanz, die absolut wesensverschieden und ontologisch unabhängig vom Körper, der ausgedehnten Substanz (res extensa), existiert. Wie schon einst Platon bezieht Descartes eine dualistische Position in Bezug auf das Leib-Seele-Problem. Auch er konstatiert eine immaterielle Seele, dank der der Mensch unsterblich ist und die die wahre Natur des Menschen ausmacht.[30] Den Ort der kausalen Interaktion zwischen den zwei wesensverschiedenen Substanzen lokalisiert er in der Zirbeldrüse.[31]
Metzinger sieht die Attraktivität des cartesischen Substanzdualismus in seiner intuitiven Authentizität verwurzelt. Wir erleben uns in unserem bewussten Selbstmodell einerseits als Körper im Raum und anderseits als denkende Wesen frei von räumlichen Strukturen. Geistige Aktivität wird nur als phänomenales Nacheinander, und nicht auch als ein Nebeneinander, wie es beim Räumlich-Körperlichen der Fall ist, erfahren. Deswegen können wir uns auch die Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen Leib und Seele schwer vorstellen. Hinzu kommt, dass die Kausalität zwischen den beiden in unserem subjektiven Erleben nicht isolierbar ist.[32]
Der cartesische interaktionistische Dualismus hat trotz seiner phänomenologischen Plausibilität mit vielen Einwänden, vornehmlich die Interaktion zwischen Leib und Seele betreffend, zu kämpfen, die in der kritischen Würdigung behandelt werden. Allerdings erkannten schon einige seiner Zeitgenossen die Schwachstellen und formulierten Auswege. Spinoza führte die wesensverschiedenen Substanzen des Descartes, die rex exstensa und die res cogitans, auf eine einzige Wirklichkeit zurück. Diese einzig wahrhaftige Substanz ist Gott bzw. die Natur, Leib und Seele nur Attribute ein und desselben. Spinozas Position kann als monistischer Pantheismus bezeichnet werden. Die Lösung von Leibniz bezüglich der Kausalität zwischen Leib und Seele lag in der Umgehung der Interaktion, indem er die kausale Unabhängigkeit zwischen Körper und Geist unterstellte.[33] Körperliche und mentale Ereignisse laufen wie zwei absolut synchronisierte Uhren parallel ab, ohne sich dafür in irgendeiner Weise beeinflussen zu müssen. Die Harmonie zwischen Leib und Seele ist prästabiliert und verantwortlich dafür ist Gott.[34] Leibniz ist, wie schon einst Platon, ein Vertreter des dualistischen Idealismus, da er die immateriellen Monaden als das einzig wahrhaft Wirkliche bezeichnete. Hieran kann man schön sehen, dass der Idealismus nicht zwangsläufig in einen Monismus führen muss. Bei Positionen wie der von Berkeley ist das aber klar der Fall. Der physischen Welt kommt außerhalb des Geistes keine Existenz zu, das Sein der Dinge liegt im Wahrnehmen oder im Wahrgenommen werden.[35] Malebranche und Geulincx waren Dualisten wie Leibniz, nur glaubten sie nicht an eine vorher feststehende Harmonie. Vielmehr greift Gott selbst ständig gezielt in die körperlichen und seelischen Ereignisse ein. Hat ein Mensch z. B. den geistigen Wunsch etwas zu trinken, veranlasst Gott den Körper zu den dafür notwendigen Bewegungen. Der Parallelismus von Leibniz und der Okkasionalismus von Malebranche und Geulincx zählen zu den nicht interaktionistischen Dualismen, die in der Philosophiegeschichte auf Grund ihrer theologischen Basis kaum Anerkennung als potentielle Lösungen des Leib-Seele-Problems fanden.[36]
Ein wesentlich bedeutender Ansatz zur Lösung des Leib-Seele-Problems stammt von Huxley. Sein Epiphänomenalismus überwindet das Kausalitätsproblem der interaktionistischen Dualismen, obwohl weiterhin an zwei Seinsbereichen festgehalten wird. Mentale Ereignisse existieren zwar, sind aber kausal abhängig von Vorgängen im Gehirn. Da sie ihrerseits keinerlei kausale Wirkung auf das Physische besitzen, haben sie auch keinen Einfluss auf unser Verhalten. Das Verhalten des Menschen ist daher indifferent gegenüber seinen mentalen bzw. bewussten Zuständen. Mentalität verkommt zu einer Begleiterscheinung unserer neuronalen Aktivität. Der Epiphänomenalismus scheint eine elegante Lösung für das Interaktionsproblem zwischen Leib und Seele zu sein. Zudem hat sie durch eine Reihe empirischer Studien von u. a. Benjamin Libet in der aktuellen Debatte prominente Anhänger.[37] Vertritt man einen konsequenten Epiphänomenalismus, muss man aber eingestehen, dass alles was in der Menschheitsgeschichte abgelaufen ist, nicht durch bewusste Entscheidungen, Willensakte oder sonstige mentale Erlebnisse verursacht wurde. Alles wäre genau auf die gleiche Art und Weise geschehen, so als hätte es nie ein Bewusstsein gegeben.[38] Die Kontraintuivität dieser Position impliziert aber noch nicht ihre Falschheit. Zumindest scheint sie mit dem Prinzip der kausalen Geschlossenheit der physikalischen Welt vereinbar. Anderseits müssen psychophysische Gesetze angenommen werden, die sprichwörtlich „in der Luft hängen“, um die Wirkung des Physikalischen auf das Mentale zu erklären.[39]
Zeitlich gesehen kann man die Emergenzdebatte Anfang des 20. Jahrhunderts noch zum klassischen Leib-Seele-Problem zählen. Da die Emergenztheorie aber enorme Popularität in der modernen Debatte genießt, wird sie an späterer Stelle in dieser Arbeit behandelt (s. Kap. 2.4.1.5.1).
2.3 Kritische Würdigung
In der Antike suchte man nach den ersten Prinzipien allen Seins und zog eine Grenze zwischen belebten und unbelebten Dingen. Die Trennung von Körperlichem und Seelischem vollzieht sich nicht nur innerhalb des Menschen, sondern auch in der gesamten Natur. Zur Erklärung der Andersartigkeit des Lebendigen diente die Seele als das Lebensprinzip. Viele der vorsokratischen Naturphilosophen nahmen dabei einen alles durchwaltenden Urstoff an, der mit Gott gleichgesetzt wurde. Im Gegensatz zu dieser metaphysischen bzw. pantheistischen Kosmologie, bezogen Demokrit und die antiken Atomisten einen materialistischen Standpunkt, der auch die Seele als physischen Bestandteil der Welt verstand. Die These „Seele als atomaren Baustein des Lebendigen zu bestimmen“ kommt ohne metaphysische Annahmen aus und zeichnet sich daher durch Parsimonie aus. Die entscheidende Frage ist, warum überhaupt noch an einer Seele in Form von Seelenatomen, als eigenen Baustein der Wirklichkeit, festgehalten wurde. Scheinbar konnten sich die antiken Atomisten das Phänomen Leben mit all seinen seelischen bzw. geistigen Eigenschaften und Besonderheiten nicht allein aus der sonstigen Materie erklärbar machen. Auch wenn die Begründung mit den Seelenatomen klarerweise aus heutiger Sicht unsinnig ist, zumindest hat man noch keine gefunden, ist ein derartiger streng monistisch-materialistischer Ansatz (Substanzphysikalismus) äußerst aktuell.
Dem monistisch-materialistischen Menschen- bzw. Weltbild der Atomisten setzt Platon seinen idealistischen Substanzdualismus gegenüber. Wirklichkeit kommt hierbei eigentlich nur der ideellen immateriellen Welt zu, an der der Mensch, dank Gleichsetzung mit der unsterblichen Seele, teil hat. Der Körper ist nur das vorübergehende Gefängnis des Menschen und genauso vergänglich wie der Rest der materiellen Welt. Wie die Interaktion zwischen Leib und Seele während des Lebens funktioniert, lässt Platon unbeantwortet. Descartes übernimmt die strikte Trennung von Leib und Seele, beendet aber die antike Gleichsetzung von Seele mit Leben. Der Körper des Menschen ist ebenso mechanisch erklärbar wie die gesamte unbelebte Natur. Die Interaktion von Leib und Seele ortet er in der Zirbeldrüse. Hier stellt sich doch die Frage, warum der Geist nur auf bestimmte Bereiche des Körpers, nämlich auf das Gehirn, kausal wirksam sein kann? Warum lässt sich das Einwirken des Geistes auf das Gehirn nicht empirisch messen?[40] Die modernsten bildgebenden Verfahren haben weder einen derartigen Ort ausfindig machen können, noch wurde ein Konvergenzzentrum an der Spitze der Verarbeitungsprozesse gefunden, da das Gehirn nicht zentral, sondern distributiv organisiert zu sein scheint.[41] Fraglich ist ferner, wie eine Interaktion zwischen zwei komplett verschiedenen, ja sogar sich vollständig ausschließenden Substanzen zu denken ist? McGinn (1982, S. 25 zitiert nach Beckermann 2008, S. 48) formuliert das folgendermaßen:
„Allgemein fassen wir kausale Interaktion als etwas auf, das vermittels eines Mechanismus vor sich geht, und zwar so, daß Ursachen und Wirkungen in einer nachvollziehbaren Verbindung zueinander stehen. Doch diese nachvollziehbare Verbindung ist genau das, was der dualistischen Theorie der Interaktion von Körper und Geist zufolge fehlt.“
Der dualistische Interaktionist geht davon aus, dass der Körper mittels der Sinne den Geist mit Wahrnehmungsinhalten speist und die Bewegungen vollzieht, die der Geist ihm anordnet. Alles zwischen sensorischem Input und motorischem Output ist Sache des Geistes. Nun ist es aber so, dass eigentlich das Gehirn großteils mit genau dieser Vermittlung beschäftigt ist. Verliert der Geist damit nicht seine Existenzberechtigung? Außerdem erklärt der Leib-Seele-Dualismus nicht, warum mein Geist nur kausal auf meinen Körper wirken kann, und nicht auf irgendeinen anderen Körper? Ein weiterer besonders gravierender Einwand kommt aus der Physik. Eine Interaktion zwischen den zwei Substanzen würde nämlich das gut bestätigte Gesetz der Energieerhaltung bzw. die kausale Geschlossenheit der physischen Welt verletzen.[42] Das liegt daran, dass jede Wechselwirkung im Bereich des Physikalischen auf einem Energieaustausch beruht. Will nun die immaterielle Seele etwas im Gehirn verursachen, muss sie selbst Energie besitzen. Besitzt sie Energie, ist sie nicht immateriell und unterliegt den gleichen Naturgesetzen wie das Physische.[43]
Diese Fragen und Einwände stellen für den Dualismus scheinbar unüberwindbare Tatsachen dar. Trotzalledem hat der interaktionistische Dualismus mit Eccles und Popper auch in der aktuellen Debatte prominente Vertreter.
Die vernunftgeprägte Philosophie der Neuzeit stand zwar im Zeichen der Säkularisierung, trotzdem taucht Gott immer wieder als Letztbegründung auf. Dies ist sicherlich mit Ausschlag gebend, weshalb dem Okkasionalismus oder dem psychophysischen Parallelismus, keine große Anerkennung in der Lösung des Leib-Seele-Problems gezollt wurde. Zusätzlich ist der große Einfluss der naturwissenschaftlichen Fortschritte in der Leib-Seele-Debatte nicht von der Hand zu weisen. Die Enträtselung der Welt macht klarerweise auch vor dem Menschen selbst nicht halt. Auf Grund der Materialisierung unseres Menschenbildes, ist es kaum verwunderlich, dass z. B. der Epiphänomenalismus weitaus mehr Anklang gefunden hat, obwohl er unserer Intuition diametral gegenübersteht. Die empirischen Untersuchungen von Benjamin Libet zur Willensfreiheit und kausalen Wirksamkeit von Mentalität sollten ein Beleg dafür sein, dass Geist lediglich eine Begleiterscheinung des Gehirns ist. Hiermit wird zwar an einer zweiten Substanz festgehalten, die aber niemals Ursache für unser Verhalten sein kann.[44] Libet bat einige Probanden innerhalb der nächsten fünf Minuten eine Bewegung, zu einem willkürlich gewählten Zeitpunkt, mit ihrem Zeigefinger zu vollziehen. Die Probanden, an denen gleichzeitig ein EEG durchgeführt wurde, sollten darüber hinaus kenntlich machen, wann sie sich zu dieser freien Handlung entschlossen hatten. Das Ergebnis des EEG wurde daraufhin mit den Angaben der Personen verglichen und brachte Bemerkenswertes zu Tage. Denn schon einige 100 Millisekunden bevor der willentliche Entschluss zur Zeigefingerbewegung protokolliert wurde, konnte laut EEG ein vorausgehendes Bereitschaftspotential gemessen werden. Scheinbar hat das Gehirn schon bevor der Proband sich bewusst und willentlich für die Bewegung entschieden hat, die Bewegung eingeleitet. Der Mensch als bewusster Akteur und sein freier Wille wären somit vollständig reduktionistisch erklärbar. Wir wären nur Wirkung, aber niemals Ursache! Libet selbst relativierte die Ergebnisse seines Experiments, indem er eine Vetofunktion des Willens annahm, die zwischen dem Bewusstwerden und Vollziehen der Handlung zum Einsatz kommt. Diese negative Bestimmung des Willens steht somit dem Determinismus der neuronalen Hirnprozesse in irgendeiner Weise gegenüber.[45] Das Experiment ist aber noch aus anderen Gründen zu kritisieren. Es ist in der Tat fraglich, ob in diesem Experiment wirklich von freien Entscheidungen gesprochen werden kann, wenn die Handlung von vornherein feststeht? Habermas merkt an, dass das Experiment nur auf Ursachen ausgerichtet ist, aber nicht auf die Gründe einer Handlung. Und genau letztere sind für das menschliche Handeln kennzeichnend.[46]
[...]
[1] Vgl. Thomas Metzinger: Grundkurs Philosophie des Geistes, Band 2: Das Leib-Seele-Problem. Paderborn 2007, S. 11-22
[2] Vgl. Gerhard Roth: Worüber dürfen Hirnforscher reden - und in welcher Weise. In: Krüger, Hans-Peter (Hg.): Hirn als Subjekt? Berlin 2007, S. 31
[3] Vgl. Ansgar Beckermann: Das Leib-Seele Problem. Paderborn 2008, S. 63; vgl. Metzinger 2007, S. 219
[4] Vgl. Jaegwon Kim: Der Mythos vom nicht-reduktionistischen Materialismus. In: Metzinger, Thomas (Hg.): Grundkurs Philosophie des Geistes, Band 2: Das Leib-Seele-Problem. Paderborn 2007, S. 270
[5] Vgl. Roth, S. 28-35
[6] Vgl. Beckermann 2008, S. 7
[7] Vgl. Wolf Singer: Selbsterfahrung und neurobiologische Fremdbeschreibung. In: Krüger, Hans-Peter (Hg.): Hirn als Subjekt. Berlin 2007, S. 41
[8] Vgl. Metzinger 2007, S. 11-17
[9] Vgl. Peter Bieri: Generelle Einführung. In: Bieri, Peter (Hg.): Analytische Philosophie des Geistes. Weinheim 2007, S. 5
[10] Vgl. Arthur Schopenhauer: Kleinere Schriften. In: Brahn, Max (Hg.):Schopenhauers Werke. Leipzig 1920, S. 163
[11] Vgl. Metzinger 2007, S. 14 f
[12] Vgl. Metzinger 2007, S. 15-21
[13] Vgl. Ansgar Beckermann: Das Leib-Seele-Problem. In: Sandkühler H.J. (Hg.): Enzyklopädie der Philosophie, Band 1. Hamburg 1999, S. 766-774
[14] Vgl. Beckermann 2008, S. 1 f
[15] Vgl. Luciano De Crescenzo: Geschichte der griechischen Philosophie, Die Vorsokratiker. Zürich 1985, S. 37
[16] Vgl. Friedo Ricken: Philosophie. In: Nesselrath, Heinz-Günther (Hg.): Einleitung in die griechische Philologie. Leipzig 1997, S. 508
[17] Vgl. De Crescenzo 1985, S. 199
[18] Vgl. Lukrez: de rerum natura. Übersetzt und herausgegeben von Diels, Hermann. Düsseldorf/Zürich 1993, Buch III Vers 94-167
[19] Vgl. De Crescenzo 1985, S. 199
[20] Vgl. Platon: Phaidon. In Ebert, Theodor (Hg.): Platon Werke. Göttingen 2004, 105c9-105d5 und 115c2-115e4
[21] Vgl. Beckermann 2008, S. 11-30
[22] Vgl. Platon: Politeia. Übersetzt von Schleiermacher, Friedrich. In: Wolf, Ursula (Hg.): Platon. Sämtliche Werke, Band 2. Hamburg 2008, 7. Buch S. 248-288
[23] Vgl. Platon: Gorgias. Übersetzt von Schleiermacher, Friedrich. In: Wolf Ursula (Hg) : Platon. Sämtliche Werke, Band 1. Hamburg 2009, 493a.
[24] Vgl. Platon: Theaitetos. Übersetzt von Schleiermacher, Friedrich. In: Wolf, Ursula (Hg.): Platon. Sämtliche Werke, Band 3. Hamburg 2010, 152a.
[25] Vgl. Aristoteles: Physik. In: Zekl, Hans Günther (Hg.): Aristoteles´ Physik. Vorlesung über Natur 1. Buch II Kapitel 1-3. Hamburg 1987; Vgl. Aristoteles: Physik. In: Zekl, Hans Günther (Hg.): Aristoteles´ Physik. Vorlesung über Natur 2. Buch VII und VIII. Hamburg 1988; Vgl.https://skriptenforum.net/wiki/Skriptum:Einf%C3%BChrung_in_die_theoretische_Philosophie_%28Rhemann_Josef%29 (Stand 07.03.2010)
[26] Vgl. Aristoteles: De anima. In: Ackrill, John Lloyd: Aristoteles . Berlin 1985, II.1.412a11, S. 105
[27]
Vgl. https://skriptenforum.net/wiki/Skriptum:Einf%C3%BChrung_in_die_theoretische_Philosophie_%28Rhemann_Josef%29 (Stand 07.3.2010); v gl. Beckermann 2008, S. 13-20
[28] Vgl. Beckermann 2008, S. 8
[29] Vgl. Frank Schweizer: René Descartes. Wiesbaden 2006, S. 25 ff
[30] Vgl. Beckermann 2008, S. 17 ff
[31] Vgl. René Descartes: Die Leidenschaften der Seele. Herausgegeben und übersetzt von Hammacher, Klaus. Hamburg 1984, Art. 31+32
[32] Vgl. Metzinger 2007, S. 16-22
[33] Vgl. Beckermann 2008, S. 39
[34] Vgl. Emerich Coreth / Harald Schöndorf: Grundkurs Philosophie Band 8; Philosophie des 17. Und 18. Jahrhunderts. Stuttgart 2008, S. 140
[35] Vgl. George Berkeley: Treatise Concerning the Principles of Human Knowlege 1710, § 3-8
[36] Vgl. Ansgar Beckermann: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes. Berlin/New York 2000, S. 44 ff
[37] Vgl. Beckermann 2008, S. 41 f
[38] Vgl. Bieri 2007, S. 7 f
[39] Vgl. Metzinger 2007, S. 323 f
[40] Vgl. Beckermann 2008, S. 43-49
[41] Vgl. Wolf Singer: Wann und warum erscheinen uns Entscheidungen als frei? In: Krüger, Hans-Peter (Hg.): Hirn als Subjekt. Berlin 2007, S. 187
[42] Vgl. Beckermann 2008, S. 43-49
[43] Vgl. Singer 2007, S. 44
[44] Vgl. Beckermann 2000, S. 46 f
[45] Vgl. Benjamin Libet: Unconsciouscerebral initiative and the role of conscious will in voluntary action. In: Behavioral Brain Sciences 8. 1985, S. 529-566
[46] Vgl. Jürgen Habermas: Freiheit und Determinismus. In: Krüger, Hans-Peter (Hg.): Hirn als Subjekt. Berlin 2007, S. 101-111
- Quote paper
- Jan-Patrick Stärk (Author), 2012, Das Leib-Seele-Problem, die Hirnforschung und die (exzentrische) Positionalität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/211032
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