Die Protagonisten in Matutes Werken befinden sich in einer Krise, deren Bewältigung Gegenstand der Erzählung ist. In "Primera Memoria" wird die Struktur der Erzählung gespalten. Auf der einen Seite steht Matia als junges Mädchen, das den Weg der Initiation unfreiwillig gehen muss. Auf der anderen Seite ist die Erzählerin in zeitlicher Distanz und am Ende der Initiation als Erwachsene vorzufinden, die die qualvolle Zeit ihrer Kindheit rekonstruiert.
Der Franzose Van Gennep spricht von Übergangsriten (rites de passages), die erst erfolgen müssen, bevor der Weg des Erwachsenenseins abgeschlossen sein kann. Die Gesamtheit eines Ritusses besteht aus dem Vollzug von drei Faktoren: wenn der Übergang von einem Lebensabschnitt in einen anderen geschieht, so muss es erstens zu einer Trennung (séparation), zweitens zu einem Übergang (marge) und letztlich zu einer Einfügung (agrégation) kommen.
Folgendes Kapitel soll sich mit der Frage nach Matias Initiation beschäftigen und die unterschiedlichen Riten zum Übergang zur Erwachsenen darstellen. [...]
Das Erwachsenwerden der Protagonistin Matia in Primera Memoria
“Los personajes matutianos viven en un mundo incierto, con raros puntos de referencia, en novelas [...] marcados por la inseguridad de no saber nunca quiénes son en realidad. Viven perdiéndose y volviéndose a encontrar, tejiendo y deshaciendo los hilos de su personalidad, buscando un refugio y un baluarte en la sociedad y en sus instituciones que raramente les salva del naufragio, porque sólo la conciencia de sí mismos y el vivir en armonía con la propia individualidad les da estabilidad y plenitud de intenciones.”[1]
Die Protagonisten in Matutes Werken befinden sich in einer Krise, deren Bewältigung Gegenstand der Erzählung ist. In Primera Memoria wird die Struktur der Erzählung gespalten. Auf der einen Seite steht Matia als junges Mädchen, das den Weg der Initiation unfreiwillig gehen muss. Auf der anderen Seite ist die Erzählerin in zeitlicher Distanz und am Ende der Initiation als Erwachsene vorzufinden, die die qualvolle Zeit ihrer Kindheit rekonstruiert. Der Franzose Van Gennep spricht von Übergangsriten (rites de passages[2]), die erst erfolgen müssen, bevor der Weg des Erwachsenenseins abgeschlossen sein kann. Die Gesamtheit eines Ritusses besteht aus dem Vollzug von drei Faktoren: wenn der Übergang von einem Lebensabschnitt in einen anderen geschieht, so muss es erstens zu einer Trennung (séparation), zweitens zu einem Übergang (marge) und letztlich zu einer Einfügung (agrégation) kommen.[3] Folgendes Kapitel soll sich mit der Frage nach Matias Initiation beschäftigen und die unterschiedlichen Riten zum Übergang zur Erwachsenen darstellen.
Die erste Textstelle, die die Initiation der Protagonistin ankündigt, ist kurz nach der Ankunft auf der Insel als Matia allein im Hotelzimmer übernachtet, bevor sie mit ihrer Großmutter zu deren Wohnsitz fährt. Dieser Zeitpunkt stellt nicht den Beginn der Initiation dar, denn die ersten Schritte wurden bereits vier Jahre zuvor gesetzt. Die rückblickende Erzählerin berichtet vom Tod ihrer Mutter und der Übergabe der elterlichen Pflichten des Vaters an das Kindermädchen Mauricia. Diese kümmet sich liebevoll um Matia, muss Matia allerdings in die Obhut ihrer Großmutter geben, da sie schwer erkrankt. Die Trennung von Mauricia und der Mutter und die Übergabe in die Obhut eines Stammesälteren, in diesem Fall Matias Großmutter, stellen die Grundvorraussetzung für einen Übergangsritus dar. Matia, die leidvolle Stunden im Hotelzimmer verbringt und sich ängstlich an ihr Stofftier Gorogó klammern muss, kommt schließlich zu der Erkenntnis: „No me dormí y vi amanecer, por vez primera en mi vida, a través de las rendijas de la persiana.“[4] Matia befindet sich nach Bhabha (2007) in einem so genannten Dritten Raum auf der Suche nach ihrer Identität. Ihr Gefühl der Desorientierung und eine beginnenden Transition zur Erwachsenen gehen einher mit der Überschneidung von Gegenwart und Vergangenheit. Dies schafft einen Zwischenraum, der einerseits durch einen visionären Ausblick auf die Zukunft und gleichzeitig durch die Rückkehr zur Gegenwart gekennzeichnet ist,[5] in der Matia durch das Erfinden von Phantasiegeschichten vor dem Erwachsenwerden flüchtet. Bhabha (2007) verwendet außerdem den Begriff des Unheimlichen, welches das verbindende Element zwischen Vergangenheit und Gegenwart darstellt und die „traumatische Ambivalenz einer persönlichen, psychischen Geschichte und die umfassenderen Brüche einer politischen Existenz“[6] verknüpft. In diesem Fall wir das persönliche Schicksal der Protagonistin mit den Ereignissen des spanischen Bürgerkriegs gekreuzt. Auch der Verlust des Vaters, der an der Front kämpft, wird thematisiert. Der dritte Raum, in dem sich Matia befindet, bringt eine neue Verortung von Heim und Welt mit sich und lässt deren Grenzen somit verschwimmen. Unheimlichkeit ist laut Bhabha die Lage extraterritorialer Initiationen[7] und stellt für Matia mit dem Erscheinen der ersten Sonnenstrahlen im Hotelzimmer den Beginn ihrer Initiation und Identitätsfindung dar. Das Symbol der Sonne ist außerdem Indikator für Matias unbewusste Entscheidung erwachsen zu werden und ist zukunftsweisend. Diese wird allerdings desöfteren getrübt.
Thomas (1978) beschreibt die Sonne als „an apparent mysterious collaborator in the event and in Matia’s forced passage to maturity“.[8] Die Sonne wird als etwas Bedrohliches dargestellt, die die Pflastersteine glättet, die Haare austrocknet und eine „dominio rojo y furioso contra la arena y el agua“ schlägt[9]. Der strahlende Glanz der Sonne hebt die im Sand liegende Leiche von Manuels Vater umso deutlicher hervor. Die Konfrontation mit dem Tod stellt für Matia einen weiterern Schritt auf dem Weg ihrer Initiation dar. Matia ist geschockt vom Fund des toten Körpers und wird sich der Realität in ihrer grausamsten Form bewusst:
Había oído muchas cosas y visto, de refilón, las fotografías de los periódicos, pero aquello era real. Estaba allí un hombre muerto [...] Parecía mentira, parecía algo raro, de pesadilla.[10]
[...]
[1] Scalia, Giovanna. 2004. Una perspectiva de la guerra española: conflictualidad y amonestación en Los mercaderes de Ana María Matute. [http://cvc.cervantes.es/literatura/aispi/pdf/19/I_29.pdf]. S.391.
[2] Klosinski, Gunther. 1991. Pubertätsriten – Äquivalente und Defizite in unserer Gesellschaft. Stuttgart: Huber. S.12.
[3] Klosinski: S.12.
[4] Matute: S.19.
[5] Bhabha, Homi. 1997. Die Verortung der Kultur. Hrsg: Bronfen, Elisabeth/Marius, Benjamin/Steffen, Therese. Hybride Kulturen. Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatt. Tübingen.: Stauffenburg. S. 29f.
[6] Bhabha: S.16.
[7] Bhabha: S.13.
[8] Thomas, Michael. The rite of initiation in Matute’s Primera Memoria. Kentucky romance quarterly/25. University of Kentucky. 1978. S. 155.
[9] Matute: S. 41.
[10] Matute: S.43.
- Quote paper
- Alexander Kraus (Author), 2010, Das Erwachsenwerden der Protagonistin Matia in "Primera Memoria" von Ana María Matute, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/209507
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