Die folgende Diskussion und Meinungsbildung basiert auch auf eigenen Erfahrungen; von September 1985 – März 1986 habe ich im Rahmen meiner Ausbildung zur Jugend- und Heimerzieherin ein Pflichtpraktikum in einem geschlossenen Mädchenheim in Bayern, im St. Annaheim in Kochel am See, durchgeführt. Das äußerst idyllisch gelegene „Fürsorge- und Erziehungsheim“ mit integrierter Schule, in den bayrischen Voralpen direkt am Kochelsee, war von einer hohen Betonmauer umgeben. Das Heim wurde von weiblichen Ordensschwestern einer römisch-katholischen Ordensgemeinschaft geleitet und, abgesehen von dem Hausmeister, gab es (gewollt) keine männlichen Mitarbeiter. Meiner Erinnerung nach gab es etwa 60 Plätze für „schwer erziehbare“ Mädchen im Alter von 8- 18 Jahren. Die pädagogischen Leitprinzipien waren Gehorsam, Zucht und Ordnung. Die Mädchen wurden fern von allen „Verlockungen“ des Lebens wie gesellschaftlichen Kontakten (besonders männlichen Personen) und Freizeitvergnügen jeglicher Art, fern gehalten.
„Hinter jedem abweichendem Verhalten steckt eine biographische Botschaft“ (Böhnisch 2004:11)
„Wer nicht hören will, muss fühlen“
Die folgende Diskussion und Meinungsbildung basiert auch auf eigenen Erfahrungen; von September 1985 – März 1986 habe ich im Rahmen meiner Ausbildung zur Jugend- und Heimerzieherin ein Pflichtpraktikum in einem geschlossenen Mädchenheim in Bayern, im St. Annaheim in Kochel am See, durchgeführt. Das äußerst idyllisch gelegene „Fürsorge- und Erziehungsheim“ mit integrierter Schule, in den bayrischen Voralpen direkt am Kochelsee, war von einer hohen Betonmauer umgeben. Das Heim wurde von weiblichen Ordensschwestern einer römisch- katholischen Ordensgemeinschaft geleitet und, abgesehen von dem Hausmeister, gab es (gewollt) keine männlichen Mitarbeiter. Meiner Erinnerung nach gab es etwa 60 Plätze für „schwer erziehbare“ Mädchen im Alter von 8- 18 Jahren. Die pädagogischen Leitprinzipien waren Gehorsam, Zucht und Ordnung. Die Mädchen wurden fern von allen „Verlockungen“ des Lebens wie gesellschaftlichen Kontakten (besonders männlichen Personen) und Freizeitvergnügen jeglicher Art, fern gehalten. Familiäre Kontakte wurden unterbunden, um die Mädchen „vor weiterem Unheil und Verführungen zu schützen“. Ignoriert wurde der Aspekt, dass Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen oder misshandeln, dennoch für diese Kinder oft die wichtigsten Bezugspersonen sind, zu denen sie tiefe, lebenslang wirkende Bindungen aufbauen (vgl.Schrapper 2005:12). Dabei „aktivieren gerade Trennungserfahrungen das angeborene Bindungsverhalten“ (Schrapper 2005: 12). Die Lebenswelt der Mädchen wurde bewusst und gezielt exkludiert. Autonomie und Freiheit, Selbstbestimmung und Partizipation waren Fremdworte im pädagogischen Erziehungsalltag. Eine professionelle Wahrnehmung und Deutung der Lebenssituationen der Mädchen (vgl. Ader 2002: 2) fand nicht statt. Ich erinnere mich besonders an zwei Zitate der leitenden Ordensschwester: „Trauen Sie nie Männern und Kindern“ und „Männer sind etwas Perverses, denn sie tragen ihr Geschlechtsteil nach außen“. Das derartige menschenverachtende und diskriminierende Leitgedanken eine äußerst fragwürdige „Pädagogik“ ergaben, liegt auf der Hand.
Zweifelsohne gab und gibt es immer wieder Kinder/Jugendliche, welche von den erzieherischen Hilfen nicht erreicht werden und die die örtliche Jugendhilfe an ihre Grenzen bringen (vgl. Hartwig/Schrapper 1990; Schwabe 2001). In der Regel haben
die Kinder lange und vielfältige Erfahrungen mit Unterversorgung, fehlender Verantwortung, Ausnutzung, Abspaltung und Ambivalenz in ihren Familien gesammelt (vgl. Ader 2002:3). Begleitet werden diese Erfahrungen i. a. von häufigen Betreuungs- und Beziehungswechseln, welche das Gefühl von Sicherheit verhindern.
Häufig sind es junge Menschen, die zu einem sehr frühen Zeitpunkt ihrer Entwicklung
nachhaltige Traumatisierungen erlebt haben (vgl. Ader 2002:6). Mein Praxisbeispiel zeigt, dass abweichendes Verhalten nicht als Ergebnis der Lebensgeschichte mit Traumatisierungen, als Ergebnis mit der Auseinandersetzung mit den Verhältnissen, der Familie, der spezifischen Lebenskultur und auch den pädagogischen Erfahrungen in Schule, Erziehungshilfen usw., gesehen wurde (vgl. Thiersch o. J.: 7). Es ist nicht hilfreich, Formen eines regelverletzenden und auffälligen Verhaltens pauschal zu verurteilen und anzuprangern, vielmehr müssen sie als Ausdruck der Anstrengung und als Bewältigungsversuch verstanden werden, mit dem eigenen Leben zurecht zu kommen. Es ist der Versuch, sich mit den Grundbedürfnissen nach Geborgenheit, Sinn, Produktivität, Selbsterfahrung und Anerkennung zu arrangieren (vgl. Thiersch o. J. 7). Deshalb ist es zunächst von Bedeutung, dieses Verhalten zu verstehen und die Motivation zu hinterfragen. Es ist wichtig, die Lebensverhältnisse im Kontext ihrer strukturellen und gesellschaftlichen Strukturen zu betrachten (vgl. Thiersch o. J.12). Konkret bedeutet das, auf die individuelle Biographie einzugehen und zu fragen, wie das Kind/der Jugendliche sein Leben bisher erfahren hat, was ihm wichtig ist und welche Faktoren gegenwärtig Belastungen erzeugen. Dabei kann die Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung des Kindes/Jugendlichen und der Wahrnehmung/Einschätzung der Helfer sehr groß sein (vgl. Thiersch o. J.:12). Menschen interpretieren Erfahrungen und Erinnerungen so um, dass man mit ihnen umgehen kann und handlungsfähig bleibt. Aus diesem Aspekt ergibt sich, dass Hilfe nicht einfach zwangsweise „übergestülpt“ werden kann. Eine effiziente Hilfe kann nur auf der Basis der subjektiven Deutungen des Adressaten in Kombination mit der „Außensicht“ des Helfers erfolgen. Es wird an dieser Stelle deutlich, dass die (wertschätzende und lebensweltorientierte) Haltung der professionellen Helfer von entscheidender Bedeutung für den Verlauf und die Effektivität der Hilfe ist.
Lebensweltorientierung
Immer wieder wird, zuletzt ausgelöst durch die 3 Kinder-Drogendealer in Berlin, die politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich explosive Diskussion um die geschlossene Unterbringung neu entfacht. Dabei soll diese Intervention einerseits das Kindeswohl des untergebrachten Kindes und andererseits die Bürger vor dem „bösen“ Kind schützen. Jugendhilfe soll hier eine „Doppelfunktion“ im bereits brisanten Spannungsfeld von Strafe und Erziehung erfüllen. Das EJF in Berlin richtet derzeit die erste geschlossene Einrichtung für „kriminelle Kinder“ in Berlin ein, eine Clearingstelle mit zunächst vier Plätzen in Reinickendorf (vgl. Morgenpost 2011). In der Diskussion über den Umgang mit jugendlichen Straftätern bzw. Kindern/Jugendlichen mit abweichendem Verhalten, häufig in Verbindung mit Migrationshintergrund, liegt der Fokus der oberflächlichen Gewaltdebatte, forciert durch Panikstrategien, auf dem Aspekt Sanktion. Eine Renaissance der repressiven Pädagogik wird hier deutlich, obwohl es ein intensiver Kampf war, autoritäre, stigmatisierende und entwürdigende pädagogische Handlungsweisen durch Menschenrechts-achtende, würdevolle erzieherische Angebote zu ersetzen. Dieser Fortschritt darf unter keinen Umständen blockiert und rückgängig gemacht werden, der Wiedereinführung einer „Struwwelpeter- Pädagogik“ gilt es sich aktiv zu widersetzen. Auffallend ist bei dem Ruf nach „Wegsperren“ delinquenter Kinder/Jugendlicher auch die Betrachtungsweise derer als ausschließliche „Täter“; sie werden nicht als „Opfer“ von strukturellen, sozialen und gesellschaftlichen Benachteiligungen betrachtet. Es wird übersehen, dass Kinder heute in einer unübersichtlichen und entgrenzten Gesellschaft aufwachsen, in der vielfältige traditionelle Selbstverständlichkeiten nicht mehr gelten. Es stellt für sie eine problematische Herausforderung dar, mit Freiheit und Beliebigkeit umgehen zu können, die Balance zwischen den eigenen Möglichkeiten und den Erwartungen der Gesellschaft zu finden bzw. zu halten (vgl. Thiersch o. J.:9).
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- Citation du texte
- Vera Papadopoulos (Auteur), 2012, Konzepte kindlicher Entwicklung als Grundlagen sozialpädagogischer Diagnostik und Krisenintervention, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/209500
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