Die Ehre, Deutschlands erste und für anderthalb Jahrzehnte auch die einzige Ärztin gewesen zu sein, gebührt Dorothea Erxleben (1715–1762), geborene Leporin. Sie erwarb als erste deutsche Frau an einer deutschen Universität den medizinischen Doktorgrad: Die Mutter von vier Kindern legte 1754 im Alter von 38 Jahren erfolgreich ihre schriftliche und mündliche Prüfung in Halle (Saale) ab. Die Kurzbiografie „Dorothea Erxleben. Die erste deutsche Ärztin“ des Wiesbadener Autors Ernst Probst schildert ihr Leben.
Dorothea Erxleben
Die erste deutsche Ärztin
Die Ehre, Deutschlands erste und für anderthalb Jahrzehnte auch die einzige Ärztin gewesen zu sein, gebührt Dorothea Erxleben (1715-1762), geborene Lepo- rin. Sie erwarb als erste deutsche Frau an einer deutschen Universität den medizinischen Doktorgrad: Die Mutter von vier Kindern legte 1754 im Alter von 38 Jahren erfolgreich ihre schriftliche und mündliche Prüfung in Halle (Saale) ab.
Dorothea Christiane Leporin kam am 13. November 1715 als zweites von vier Kindern des Arztes Christian Polycarp Leporin (1689-1747) und dessen Ehefrau Anna Sophia Leporin (1680-1757), geborene Meinecke, in Quedlinburg (Sachsen-Anhalt) zur Welt. Über ihren Vater heißt es, er sei ein streitbarer Wissenschaftler gewesen, der bei Auseinan- dersetzungen mit seinen zahlreichen Gegnern härtere Töne angeschlagen habe und deswegen allerlei Beschimpfungen zu ertragen hatte. Die Mutter war die jüngste Tochter des Konsistorialrats Albert Meinecke. Dorotheas ältere Schwe- ster trug die Vornamen Maria Elisabeth (1712-1797), ihre beiden jüngeren Brüder hießen Christian Polycarp (1717- 1791) und Johann Christian Justus (1720-1794). Die Familie Leporin hatte früher den Familiennamen Hase getragen. Diesen Familiennamen änderte Justus Hase, der Sohn eines Schlachters, der Theologe wurde, latinisiert zu Leporinus bzw. Leporin, ab.
Vom Kindesalter an war Dorothea zart und kränklich, weshalb sie keine schwere Hausarbeit verrichten musste. Ihrem Vater fiel auf, dass sie von ihren gesundheitlichen Beschwerden abgelenkt wurde, wenn sie beim Unterricht ihres Bruders Christian Polycarp zuhören durfte. Deshalb ließ er sie oft dabeisitzen. Manchmal beantwortete Dorothea schneller als ihr Bruder eine Frage. Dies bewog den Vater, sie am systematischen Unterricht teilnehmen zu lassen, durch den Christian Polycarp auf den Besuch der Lateinschule vorbereitet wurde.
Doktor Leporin schlug 1724 in einer Abhandlung vor, in jeder Stadt sollten eine Akademie eingerichtet und Schüler, die den Unterricht nicht selbst bezahlen könnten, kostenlos unterrichtet werden. Die Kosten hierfür sollten in einem Ausgleichsverfahren zwischen vermögenderen und ärme- ren Studenten aufgebracht werden. Zu diesen Bildungsein- richtungen sollten nicht nur Männer, sondern auch Frauen einen Zugang erhalten. Der Doktor regte zudem die Einrichtung öffentlicher unentgeltlicher Bibliotheken an.
Dorothea lernte Religion, Gelehrsamkeit, nützliche Wissen- schaften, Deutsch, Latein und Französisch. Ihre ältere und gesündere Schwester Maria Elisabeth dagegen musste ihrer Mutter im Haushalt zur Hand gehen. Zwischen den beiden Schwestern kam es wegen der Bevorzugung von Dorothea oft zum Streit, obwohl Maria Elisabeth den Unterricht wohl eher langweilig gefunden hätte. Der Vater nahm Christian Polycarp und Dorothea zu Hausbesuchen bei Patienten mit, wobei sie medizinisches Grundwissen erwarben.
Christian Polycarp durfte später die Lateinschule besuchen, Dorothea wie andere Mädchen ihrer Zeit dagegen nicht. Aber sie erhielt weiterhin daheim Unterricht von ihrem Vater und zusätzlich von ihrem Bruder, der seine Lektionen mit nach Hause nahm und sie mit Dorothea durchging. Eines Tages zeigte Christian Polycarp die Arbeiten von Dorothea dem Rektor und Lateinlehrer Tobias Eckhard (1662-1737), der 1732 die 15-Jährige in einem Brief an sie in den höchsten Tönen lobte. Mit Hinweis auf Laura Bassi (1711-1778), die 1732 in Italien mit 20 Jahren den Doktor- und Professorentitel erworben hatte, äußerte Eckhard den Wunsch, Dorothea möge ebenfalls in der Wissenschaft zu solchen Ehren gelangen. Bald darauf erhielt Dorothea vom Rektor externen Unterricht. Auch ihr Vater bildete sie weiterhin aus.
1736 zog man den Bruder Christian Polycarp zum „Marwitzschen Regiment“ in Quedlinburg ein, als er gerade mit dem Studium beginnen wollte. Auch in der Folgezeit brachte der Vater seiner Tochter Dorothea weitere medizinische Kenntnisse bei. Wenn er erkrankte und das Bett hüten musste, kümmerte sich Dorothea mitunter allein um eine seiner Patientinnen.
Im April 1740 wurde Christian Polycarp Leporin beurlaubt, um sein Medizinstudium an der Universität Halle (Saale) beginnen zu können. Die dortige Friedrich-Universität besaß ein königliches Privileg, welches den Studenten die Fortsetzung ihres Studiums zusagte und sie in dieser Zeit von Zwangsrekrutierung und Soldatenwerbung befreite. Bei der Erbhuldigung des preußischen Königs Friedrich II. der Große (1712-1786) am 24. November 1740 in Quedlinburg nutzte die 25-jährige Dorothea Erxleben die Gelegenheit, um auf ihren Wunsch, selbst zu studieren,
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Laura Bassi (1711 - 1778), die erste Professorin in Europa
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Friedrich II. der Gro ß e (1712 - 1786)
aufmerksam zu machen. Sie übergab dem Regierungspräsi- denten von Halberstadt, der den König bei diesem Festakt vertrat, neben französischen Versen zum Regierungsantritt des Herrschers ein Gesuch. Einerseits bat sie darum, ihren Bruder weiter studieren zu lassen, weil sie offenbar befürchtete, dessen Beurlaubung vom Militärdienst würde widerrufen, wenn der Preußenkönig das seit 20. Oktober 1740 von Maria Theresia (1717-1780) regierte Habsburger Reich angreife. Andererseits erklärte sie, sie wolle sich ihrem Bruder anschließen und an der „Medizinischen Fakultät“ der Universität Halle eine Abschlussprüfung ablegen.
Weil der Vater von Dorothea mit seiner Arztpraxis wenig verdiente, wandte er sich mit der Bitte um eine finanzielle Unterstützung an den Stiftshauptmann Georg Otto Edler von Plotho (1707-1788). Dieser schrieb am 20. Dezember 1740 deswegen an König Friedrich II., der vier Tage zuvor nach Schlesien einmarschiert war, um Maria Theresia diese reiche Provinz zu entreissen. Der Stiftshauptmann wies eindringlich auf die Notlage von Doktor Leporin hin, doch dieser erhielt nicht die erhoffte finanzielle Hilfe.
Als das „Marwitzsche Regiment“ in Quedlinburg den jungen Christian Polycarp Leporin wegen des „Ersten Schlesischen Krieges“ (1740-1742) wieder zum Dienst zurückholen wollte, stellte sich der akademische Senat der Universität Halle vor ihn und andere Studenten. Der Senat verwies auf ein königliches Dokument vom 1. Dezember 1740, wonach alle an der Universität Halle befindlichen „Studiosi“ nicht als Soldaten eingezogen werden und ungehindert weiterstudieren könnten.
Ende Januar 1741 forderte das „Marwitzsche Regiment“ von Doktor Leporin die Herbeischaffung seines älteren Sohnes Christian Polycarp, der mittlerweilen als Deserteur gesucht wurde, oder Ersatz durch den jüngeren, sehr schwächlichen Sohn Johann Christian Justus. Christian Polycarp war in das Kurfürstentum Sachsen geflohen. Damit entging er dem barbarischen Spießrutenlaufen, bei dem ein Deserteur wiederholt durch ein Spalier von 300 Soldaten laufen musste, die mit Haselnussruten auf seinen nackten Rücken droschen, bis die Haut in Fetzen hing. Auch Johann Christian Justus entzog sich den militärischen Anforderungen sofort durch die Flucht aus Preußen. Da nun auch dem Vater die Verhaftung drohte, versteckte er sich zehn Wochen lang außerhalb von Quedlinburg und ließ die weiblichen Mitglieder der Familie in wirtschaftlich ziem- lich ungesicherter Lage.
Nachdem das „Marwitzsche Regiment“ die Quedlinburger Garnison verlassen hatte, kehrte Doktor Leporin aus seinem zehnwöchigem Exil zu seiner Familie nach Quedlinburg zurück. Er versuchte nun, durch eine Bittschrift an den preußischen König Friedrich II., die Situation für seine Familie zu verbessern. Im Begleitschreiben des Stiftshaupt- manns Georg Otto Edler von Plotho, womit die Bittschrift von Doktor Leporin an den König weitergeleitet wurde, stand, dass sich Dorothea nicht allein an die Universität Halle traue.
Doch der junge Christian Polycarp Leporin, mit dem Dorothea an der Universität Halle gemeinsam die medizini- schen Examen ablegen wollte, ließ sich bereits im März 1741 an der „Georg-August-Universität“ Göttingen ein- schreiben und kehrte nicht mehr nach Preußen zurück. Im April 1741 erhielt der Stiftshauptmann Georg Otto Edler von Plotho vom „Departement der Geistlichen Affairen“ eine erfreuliche Antwort auf die Eingabe von Dorothea.
„Mit dem allergrößten Vergnügen“ wolle man dazu beitragen, dass Christian Polycarp Leporin sein Studium fortsetzen und seine Schwester einen akademischen Grad erwerben könne. Wenn die Beiden dazu bereit seien und sich wieder meldeten, werde man der Unversität Halle eine entsprechende Empfehlung übermitteln.
Am 2. Mai 1741 wurde Doktor Leporin vom Stiftshaupt- mann hierüber informiert. Für Christian Polycarp erfolgte diese Antwort zu spät, da er - wie erwähnt - bereits seit März in Göttingen studierte. Aber Dorothea bot sich nun die Chance, als erste Frau in Deutschland den Doktortitel zu erwerben. Die Freude von Dorothea wurde jedoch durch einen Wermutstropfen getrübt. Weil ihr Bruder in Göttingen studierte, hätte sie ohne männliche Begleitung mit der Postkutsche nach Halle fahren müssen, was damals als unschicklich galt. Außerdem war dies angeblich nicht ungefährlich, weil sich ein Mitreisender wie von einer Dirne animiert hätte fühlen können, hieß es.
Ungeachtet des königlichen Privilegs konnte sich Dorothea Leporin aber auch aus einem anderen Grund nicht sofort für ein medizinisches Studium an der Universität Halle einschreiben. Denn am 21. September 1741 starb ihre Cousine Sophie und machte ihren Ehemann, den Diakon Johann Christian Erxleben (1697-1759), zum Witwer und alleinerziehenden Vater mit fünf Kindern. Dorothea betreute fortan die Halbwaisen. Kurz vor dem Ablauf des Trauerjahrs heiratete die 26-jährige Dorothea am 14. August 1742 den 18 Jahre älteren Witwer. Nach der Hochzeit zog Dorothea in das Pfarrhaus der St. Nicolai- Gemeinde in Quedlinburg ein. Der Geistliche war für Dorothea finanziell keine gute Partie. Aber er billigte und unterstützte die wissenschaftlichen Interessen und Pläne seiner Ehefrau, was vermutlich nicht bei jedem Ehemann der Fall gewesen wäre.
Aus der Ehe zwischen Dorothea und Johann Christian Erxleben gingen vier Kinder hervor: der spätere Naturwis- senschaftler Johann Christian Polycarp (1744-1777), Christian Albert Christoph (1746-1755), der im Alter von neun Jahren starb, Anna Dorothea Christiana (1750-1805) und der spätere Rechtswissenschaftler Johann Heinrich Christian (1753-1811). Obwohl der Pfarrhaushalt und zahl- reiche Kinder zu versorgen waren, kümmerte sich Dorothea weiter um Kranke und Mittellose in Quedlinburg.
Im Februar 1742 erschien eine von Dorothea Erxleben ver- fasste Jugendschrift über das Für und Wider der Frauenbil- dung. Dorothea hatte bereits 1740 mit der Niederschrift dieser Abhandlung begonnen, die ursprünglich gar nicht zur Veröffentlichung vorgesehen war. Doch ihr Vater ließ zwei Jahre später diese Arbeit bei einem Verleger in Berlin drucken und steuerte dazu ein Vorwort bei. Jene Publika- tion trägt den Titel „Gründliche Untersuchung der Ur- sachen, die das Weibliche Geschlecht vom Studiren abhal- ten, Darin deren Unerheblichkeit gezeiget, und wie mög- lich, nöthig und nützlich es sey, Dass dieses Geschlecht der Gelahrtheit sich befleisse, umständlich dargeleget wird“. Darin heißt es: „Die Verachtung der Gelehrsamkeit zeigt sich besonders darin, dass das weibliche Geschlecht vom Studieren abgehalten wird. Wenn etwas dem größten Teil der Menschheit vorenthalten wird, weil es nicht allen Menschen nötig und nützlich ist, sondern vielen zum Nachteil gereichen könnte, verdient es keine Wertschät- zung, da es nicht von allgemeinem Nutzen sein kann. So führt der Ausschluss vieler von der Gelehrsamkeit zu ihrer Verachtung. Dieses Unrecht ist ebenso groß wie dasjenige,
Werk der unverheirateten Dorothea Leporin Vorwort von Doktor Leporin im Werk seiner Tochter das den Frauen widerfährt, die dieses herrlichen und kostbaren Gegenstandes beraubt werden.“
Am 30. November 1747 starb Doktor Leporin im Alter von 58 Jahren. Er war sein Leben lang ein guter Arzt, aber kein cleverer Geschäftsmann gewesen, und hinterließ seiner Familie einen beträchtlichen Schuldenberg. Nach dem Tod ihres Vaters übernahm Dorothea dessen Praxis in Quedlin- burg und behandelte weiterhin Kranke, ohne einen offi- ziellen Doktortitel zu besitzen. Damit erregte sie bald den Unwillen studierter Ärzte in Quedlinburg, die um ihre Ein- nahmen bangten.
Als eine an Fleckfieber erkrankte und von Dorothea Erxleben behandelte ältere Patientin starb, zeigten andere Ärzte sie wegen „medicinischer Pfuscherey“ an. Diese Beschwerde wurde von Johann Tobias Herweg, Henricus Wilhelmus Graßhoff und Andreas Zeitz am 5. Februar 1753 beim Stiftsthauptmann Paul Andreas Baron von Schellers- heim (1711-1781) eingereicht, der inzwischen den bereits erwähnten Stiftshauptmann von Ploto abgelöst hatte. Die drei Ärzte verlangten, den Bürgern von Quedlinburg solle bei Strafe verboten werden, sich von Dorothea behandeln zu lassen. Das Kurieren von „inneren Krankheiten“ war nach der preußischen Medizinalordnung von 1725 nicht akademisch gebildeten oder durch ordentliche Promotion ausgewiesenen Ärzten verboten.
Am 17. Februar 1753 gab der Stiftshauptmann Paul Andreas Baron von Schellersheim der Beschwerde der drei Quedlinburger Ärzte statt. Er forderte Dorothea Erxleben auf, innerhalb von acht Tagen dazu eine Stellungnahme abzugeben und unterdessen das innerliche Kurieren zu unterlassen. Bereits am 21. Februar 1753 ging beim Stiftshauptmann eine fünf Seiten umfassende Antwort ein.
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- Arbeit zitieren
- Ernst Probst (Autor:in), 2013, Dorothea Erxleben. Die erste deutsche Ärztin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/209021
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