„C'est boring à soir“ - Vielfältiger und vermischter zeigt sich eine Sprache nur selten. Doch was ist das, was dort zu lesen ist? Das Ziel dieser Arbeit ist die Untersuchung der sprachlichen Strukturen dieser besonderen hybriden Sprachvarietät - dem Chiac, eine Varietät des akadischen Französisch, das im Osten Kanadas gesprochen wird.
Einleitung
„C'est boring à soir“ - Vielfältiger und vermischter zeigt sich eine Sprache nur selten. Doch was ist das, was dort zu lesen ist? Das Ziel dieser Arbeit ist die Untersuchung der sprachlichen Strukturen dieser besonderen hybriden Sprachvarietät - dem Chiac, eine Varietät des akadischen Französisch, das im Osten Kanadas gesprochen wird. Ausgangspunkt für die zentrale Fragestellung dieser Hausarbeit war ein Kommentar eines Nutzers auf der Internetseite www.youtube.com, der sich auf eine musikalische Darstellung („A Moncton“ von Marie-Jo Thério) eben dieser sprachlichen Varietät bezieht:
„Parait qu'ils se sont fout si la langue française disparaît, en mélangeant tous les mots comme ça. J'ai déjà entendu parler de chiac et je dirais que dans ce contexte, tout ce que je peux me dire, c'est à quoi ça sert de parler français ?“
In der vorliegenden Arbeit soll genau auf diese Fragen eingegangen werden. Wie verhält sich der hier kritisierte Mischcharakter dieser sprachlichen Varietät und wie groß ist noch der Einfluss der französischen Sprache? Wird sie vom Englischen verdrängt? Dazu dient eine Analyse der Morphologie und Syntax (eine Analyse der Phonologie ist aus Platzgründen nicht vorgesehen, allerdings bietet sie auch keine besonders reichhaltige Analysegrundlage1 ) zweier Textkorpora, deren Wahl zu Beginn des nachfolgenden Kapitels noch näher erläutert werden soll. Anhand der gewonnen Beispiele kann im Anschluss eine Untersuchung des Mischcharakters erfolgen, um eine eindeutige Aussage darüber zu geben, inwiefern das Französische die dominierende Sprache ist.
Das obige Zitat brachte eine weitere Fragestellung mit sich: Die Akzeptanz dieser hier vorgestellten sprachlichen Varietät scheint mitunter nicht sehr groß zu sein. In einem letzten Schritt also soll untersucht werden, wie die Öffentlichkeit mit der Darstellung einer solchen hybriden Varietät umgeht. Eignen sich literarisierte Formen überhaupt zur Analyse und spiegeln sie die Sprecherrealität wider?
Wahl der Textkorpora
Die Suche nach einem geeigneten Textkorpus gestaltete sich nicht ganz einfach. Einerseits stehen zwar vorrangig schriftliche Dokumente zur Verfügung, wie Liedtexte und Romane,2 andererseits genügen diese auf Schriftsprachlichkeit beruhenden Texte nicht dem gestellten Anspruch einer Analyse einer sprachlichen Varietät, die ihre Grundlage in einer jungen Bevölkerung hat, die sie spricht:
„le chiac existe parce que des gens le parlent“3.
Allerdings erschien eine umfassendere Transkription eines Radiomittschnitts oder ähnlichen gesprochenen Elementen als zu aufwendig für den hier geforderten Umfang der Seminararbeit. Also fiel die Entscheidung, einen etablierten und anerkannten Text aus dem Chiac zu nehmen und weiterhin im Internet zu recherchieren: Neben einem schriftlich fixierten und literarisierten Text sollte nun ein themenbezogener Diskussionsverlauf als Vergleichsobjekt hinzugezogen werden.
Das Internet dient in der heutigen Zeit nicht nur als „Verbreitungsmedium“4 von Literatur, Kunst und Kultur, sondern weist in Chats und Internetforen sprechsprachliche Merkmale und mündlich-orientierte Kommunikationsformen auf. Im Folgenden kurz zur Charakterisierung:
Ein „Chat ist ein öffentlich zugängliches Medium. Jeder kann sich einloggen und am Chat teilnehmen und damit die Beiträge auch lesen, also rezipieren.“5
In der Kommunikation im Internet kommt es zu einer anderen medialen Realisierung, denn Unterhaltungen in Internetforen und vielmehr noch in Chats weisen extreme „kommunikative Nähe“ auf, die typisch für die gesprochene Sprache ist, daher für diese Arbeit geeignet erscheint.
Außerdem:
„In der Chat-Kommunikation trägt eine durchgehende Gesprächs- und Räumlichkeitsmetaphorik zur Überwindung der Anonymität bei und hilft bei der Strukturierung der eigentlich gegenstands- und formlosen virtuellen Umgebung.“6
In einem Internetforum kommt es darüber hinaus wie in der Realität zu Adhoc „Face-to-Face-Gesprächen“7. Durch die oben angesprochene Räumlichkeit in einem abgeschlossenen Forum entstehen Emotionen und Diskussionen, die so lebhaft wirken, als wären sie in Echtzeit entstanden.
Das Modell von Koch/Oesterreicher
Hinzuweisen ist in diesem Kontext auch auf das Modell der konzeptionellen vs. medialen Mündlichkeit/Schriftlichkeit von Koch/Oesterreicher (1994). Burkhardt auf S. 30/31, Marterer auf S. 13 und Moraldo auf S. 26/27 weisen immer wieder im Zusammenhang von Internet, Chatgesprächen und Forenbeiträgen auf dieses grundlegende Modell hin:
Auch wenn das Medium durch beispielsweise das Eintippen der Wörter in eine Tastatur nicht sprechsprachlich sondern schriftlich ist, so ist doch das Konzept entscheidend, das einige emotionale und soziale Parameter beinhaltet, ob eine Aussage eher mündlich oder schriftlich anzusehen ist.
Das Konzept einer Chat-Kommunikation ist eindeutig mündlich-orientiert, lediglich die mediale Umsetzung ist schriftgebunden:
„Obwohl Chatter ihre Beiträge also über die Tastatur schriftsprachlich produzieren, referieren sie auf ihre sprachliche Tätigkeit meist mit Verben, die sprechsprachliche Tätigkeiten beschreiben.“8
Meiner Meinung nach eignet sich ein solcher Chat aus diesen Gründen ideal für eine Analyse, die die in Literatur und Musik vorzufindende literarische Schriftlichkeit mit einer in den neuen Medien auftauchenden, fast sprechsprachlichen Realität vergleichen soll.
Die Forenbeiträge sind von normalen, zumeist jüngeren Menschen geschrieben, die sich nicht an vorgegebene Formalitäten halten und sich durch die oben beschriebenen Phänomene so verhalten, als würden sie sich wahrhaftig gegenüber stehen. Ein idealer Kontrast zu einem fast schon literarisierten Beispiel einer Sprache. Beide Korpora sollen im Folgenden vorgestellt werden.
Die Textbeispiele - Vorstellung
Das primär analysierte Textbeispiel (im Folgenden Textbeispiel I genannt) ist ein Liedtext der akadischen Sängerin Marie-Jo Thério, die 1965 in Moncton, der Mutterstadt des Chiac, geboren wurde. Der Text findet sich auf der offiziellen Homepage der Sängerin. Das Lied selbst ist auf http://www.youtube.com/watch?v=jxev9qgQnIg (Aufruf am 13.07.2010 um 20:53 Uhr) zu hören. Weitere Liedtexte, die in die Analyse miteinbezogen werden, um ein vollständigeres Bild der Sprache zu erhalten, sind „Café Robinson“ und „Arbre à fruits“ (beide von Marie-Jo Thério).
Der zweite analysierte Textkorpus (Textbeispiel II) bezieht sich mit seinem Inhalt direkt auf den oben vorgestellten Liedtext beziehungsweise auf die Präsentation des Liedes auf www.youtube.com und ist teils auf Französisch, teils auf Chiac geschrieben. Der Korpus findet sich direkt unter dem Video von „A Moncton“ und beinhaltet Kommentare und Meinungen zu dieser musikalischen Darbietung des auf dieser Seite befindlichen Liedes. Die Forenbeiträge sind im Anhang aufgeführt, allerdings fand auf Grund einiger für die Arbeit irrelevanter Beiträge und der sehr heterogenen Oberfläche, die allerdings für Foren und auch Chats typisch ist,9 eine kleine Vorsortierung statt.
Textbeispiel I
Morphologie
Verben
In diesem Teil der Arbeit soll sich unter anderem auch mit der unterschiedlichen Konjugation von Verben beschäftigt werden. Im vorliegenden Textbeispiel finden sich unmarkierte normale Verbformen, wie beispielsweise „on dirait“ (Zeile 22), „pouvait“ (Zeile 14) oder „j'sais“ (Zeile 31), doch bei genauerem Hinsehen stellen diese standardfranzösischen Formen eine Ausnahme dar.
Betrachtet man allein den Anfang des vorliegenden Textes, so fällt besonders „j'te callais“ (Zeile 1) auf, eine Vermischung aus dem englischen „to call“ und der französischen Flexionsendung -ais für die 1. Person Singular Imparfait. Dies ist ein besonders bemerkenswerter Mischprozess, in dem sich ein englisches, wahrscheinlich im Alltag sehr häufig auftauchendes Verb in französischer Art und Weise konjugiert wird. Es wird im Sinne des französischen morphologischen Systems zu einem schwachen Verb, das sich regelmäßig beugen lässt.
Dies scheint ein generell sehr produktives Verfahren zu sein, da sich im weiteren Verlauf des Textes ähnliche Muster erkennen lassen: „j'ai coaxé“ (Zeile 11) zeigt dasselbe schwache Flektionsmuster eines übernommenen englischen Verbs (to coax) oder „watcher“ (Zeile 12), wo sich eine Infinitivendung der schwachen französischen Verbklasse erkennen lässt. In weiteren Liedtexten von Marie-Jo Thério, beispielsweise in „Arbre à fruits“ gibt es ebenfalls dieses Phänomen: „shiner“ in Zeile 30.
„watch moi“ (Zeile 32) zeigt ebenfalls typisch französische Strukturen: Dazu stehen sich hier „look at me“ (engl.) und „regardes-moi“ gegenüber - das Fehlen der Präposition ist eindeutig französisch. Auffällig ist allerdings das Verb „stuck“ (Zeile 21) (von engl. to stick): Anders als noch bei „watcher“ (Zeile 12) wird dieses aus dem Englischen übernommene Verb nicht wie im Französischen Partizip-Endung -é ausgestattet.
Auch „I hope“ (Zeile 8) und „I guess“ (Zeile 9) sind weiterhin vollständig erhalten, sowohl das Verb selbst als auch das dazugehörige Personalpronomen. Als Partizip Perfekt, das nicht aus dem französischen Repertoire stammt, muss an dieser Stelle auch „gone“ (Zeile 24) genannt werden, das hier in seiner anglophonen Form, vermutlich auf Grund des vorangestellten „long“ erhalten geblieben ist, da diese Wortkombination im Englischen häufig auftritt.
Da das Chiac ein akadisches Französisch als Grundlage hat, sind natürlich auch dort weitere Besonderheiten festzustellen: „seye“ (Zeile 23) als Form von être, der in der Akadie besondere Bedeutung zukommt. Es bildet die dort „verbreitete Aussprache des Diphthongs <oi> [wε]“ ab und weist „damit auf die Lautung des Französischen in Frankreich bis zum 18. Jh.“ hin.10 Typisch akadisch ist auch die Suffixendung -ont in der 3. Person Plural, wie wir sie in „venont“ (Zeile 30) und eigentlich die Form „viennent“ erwartet würde. Vor allem für die Verben der so genannten ersten Klasse, die den Infinitiv mit -er bilden, trifft diese -ont-Endung zu.11
Adjektive/Adverbien
Bezeichnend für das Repertoire des Chiac ist vor allem das reichhaltige Auftreten von englischen Adjektiven/Adverbien. So zum Beispiel tauchen in diesem Textbeispiel „boring“ (Zeile 2) oder „weird“ (Zeile 5) auf. Weiter unten findet sich auch „long“ (Zeile 24). Im Liedtext zu „Café Robinson“ gibt es weitere Beispiele für das Zusammenspiel von anglophonen Adjektiven in einem französischen Satz: „T'es tellement smooth quand t'allume ta smoke.“12
Nomina
Im vorliegenden Textbeispiel zeigt sich deutlich, dass neben englischen Adjektiven auch auf englische Nomina zurück gegriffen wird. In diesem Beispiel wären dies unter anderem „un movie“ (Zeile 12) sowie „le High School“ (Zeile 14). Diese beiden Nomina zeigen eindeutig die Übernahme des Genus aus dem Französischen (le film, le lycée), wo das Englische keine Unterscheidung kennt.
Bei den Personalpronomina treten die akadischen Varianten in den Vordergrund: „il“ wird im Textbeispiel des Chiac zu einem „y“ (Zeile 12, Zeile 13).13
Diskurspartikel
Wie auch im Englischen wird der Diskurspartikel „well“ (Zeile 15) hier eher verwendet als das französische „Eh ben“ oder Ähnliches.
Ein typisch französischer Partikel wie „puis“ stellt sich in diesem Textbeispiel als typisch akadisch dar: Hier finden sich an gleich mehreren Stellen des Texbeispiels „pis“ (Zeile 27, Zeile 32).
Konjunktionen
Der Fall der Konjunktionen stellt sich hier als besonders auffällig dar: „but“ (Zeile 13, Zeile 25) leiten in gleichem Maße Sätze ein, wie es auch „mais“ (Zeile 23, Zeile 24) tut. Hier könnte man nur Spekulation betreiben, weshalb im einen Fall die anglophone, im anderen die francophone Variante verwendet wurde - ein Muster ist jedenfalls in diesem kleinen Korpus nicht erkennbar.
[...]
1 Siehe dazu Budach, S. 38: „Einerseits trifft es wohl zu, dass die Toleranzbreite von Sprachbenutzern in Bezug auf phonetische Unterschiede aufgrund der Gewöhnung an dialektale Varietäten generell so groß ist, dass bei standardgemäßer Handhabung grammatischer und pragmatischer Regeln die phonetisch abweichende Sprachvarietät immer noch als korrekt empfunden wird.“
2 Beispielsweise von France Daigle, Siehe Budach
3 Perrot, S. 312
4 Ehrhardt, S. 115
5 Burkhardt, S.15
6 Burkhardt, S. 28
7 Burkhardt, S. 28
8 Burkhardt, S. 27
9 Erhardt, S. 142
10 Siehe Erfurt, S. 17
11 Perrot S. 189
12 Siehe: http://mariejotherio.free.fr/paroles/301caferobi.html (Aufruf am 13.07.2010, 20:47 Uhr)
13 Pavel, S. 51, die aber „y“ als akadische Variante von „ils“ angibt.
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