„Das Experiment“ ist ein deutscher Film, der einen psychologischen Versuch nachstellt – den Versuch, die stereotypen Verhaltensweisen von Wärtern und Gefangenen eines Gefängnisses unter nahezu realistischen Bedingungen zu analysieren.
Die Kinobesucher waren schockiert, als sie im Film das menschenverachtende Verhalten der Wärter gegenüber den Gefangenen sahen. Das Experiment zeigte, wie aus „normalen Menschen“ sadistische Folterknechte und aus einfachen Studenten unterwürfige, demoralisierte und pathologisch reagierende Gefangene wurden.
Der Film ist keineswegs Fiktion. Im Jahr 1971 wurde das Experiment durch den Psychologen Professor Zimbardo tatsächlich durchgeführt.
Die vorliegende Arbeit beschreibt, wie im Verlauf des "echten" Experimentes Wärter und Gefangene die stereotypen Verhaltensweisen zeigen, die auf einen erheblichen Einfluss einer unnatürlichen Umgebung und Machtsituation – das Gefängnis – zurückzuführen sind.
Inhalt
1 Einleitung
2 Die zentralen Fragen
3 Die Vorbereitung und Durchführung des Experimentes
3.1 Die Leitung des Experimentes
3.2 Das Gefängnis
3.3 Die Probanden
3.4 Gefangene und Wärter
4 Die Durchführung
4.1 Die Festnahme
4.2 Aufnahme in das Gefängnis
4.3 Die Verkündung der Gefängnisregeln
4.4 Besuch für die Gefangenen
4.5 der Aufstand der Gefangenen
4.6 Der Gefangene #8612 wird entlassen
4.7 Das Gerücht über den Massenausbruch
4.8 Der Zusammenbruch von #
4.9 Der Gefängnisseelsorger
4.10 Abschluss
5 Entwicklungen bei den Probanden
5.1 Die Wärter
5.2 Die Gefangenen
6 Resümee
1 Einleitung
„Das Experiment“ ist ein deutscher Film, der einen Versuch zeigt - den Versuch, die stereotypen Verhaltensweisen von Wärtern und Gefangenen eines Gefängnisses zu untersuchen. Der Film ist keineswegs Fiktion. Im Jahr 1971 wurde das Experiment durch den Psychologen Professor Zimbardo tatsächlich durchgeführt.
Die Kinobesucher waren schockiert, als sie im Film das menschenverachtende Verhalten der Wärter gegenüber den Gefangenen sahen. Das Experiment zeigte, wie aus „normalen Menschen“ sadistische Folterknechte und aus einfachen Studenten unterwürfige, demoralisierte und pathologisch reagierende Gefangene wurden.
Die vorliegende Arbeit stellt das Experiment in knapper Form dar. Sie zeigt anhand ausgewählter Inhalte aus dem Verlauf des Versuches die wichtigsten Entwicklungen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann sicher nicht erhoben werden, wohl aber soll die Entwicklung der Wärter und Gefangenen im Rahmen des Verlaufes die stereotypen Verhaltensweisen zeigen, die auf einen erheblichen Einfluss einer unnatürlichen Umgebung und Machtsituation - das Gefängnis - zurückzuführen sind.
2 Die zentralen Fragen
Der Psychologe Philip Zimbardo hat als Verhaltensforscher die Auswirkungen außergewöhnlicher Situationen auf den Menschen untersucht. Zimbardo lag dabei weniger daran, die persönlichen Situationen, Entwicklungen und die psychologischen Fallstudien einzelner darzulegen. Er war auf der Suche nach allgemeingültigeren Zusammenhängen zwischen äußeren Einflüssen und dem Verhalten der Betroffenen.
Die Gefängnispsychologie war keineswegs die Erfindung Zimbardo´s, gerade nach dem zweiten Weltkrieg gibt es eine Vielzahl von Berichten Gefangener über das persönlich Erlebte, über die Eindrücke und Auswirkungen der Gefängnissituation.1 Zimbardo wollte vielmehr die Auswirkungen der Gefängnissituation auf allgemeingültiger Ebene untersuchen. Er trennt damit deutlich die persönliche Psyche des einzelnen von den Faktoren, die von „außen“ herangetragen werden und auf alle Gefangenen wirken.
Die Zentrale Frage, die Zimbardo untersuchen wollte, war die Frage nach dem „Guten“ und dem „Bösen“ im Menschen: würde unter extremen Bedingungen, in der ein „normaler“ Mensch zur Anwendung von Gewalt jedweder Art aufgefordert wird, das Gute oder das Böse siegen? Welchen Einfluss hat die Umwelt auf diese Entscheidung? Wer ist tatsächlich dafür verantwortlich, dass von außergewöhnlicher Gewalt in Gefängnissen berichtet wird - sind es die besonderen Charaktere und Persönlichkeiten, die im Gefängnis versammelt sind oder ist es die von außen gebrachte Gefängnisumgebung?
Zimbardo schien die Durchführung eines Experimentes angebracht, das unter nahezu realis- tischen Bedingungen die Ausnahmesituation eines Gefängnisses nachstellte. Das Gefängnis als Ort, der gekennzeichnet ist von künstlichen Machtstrukturen und unnatürlichen Autoritä- ten erscheint eine geeignete Umgebung für die Untersuchung der Frage nach dem Einfluss äußerer Faktoren auf das Machtverhalten und auf die Gewaltbereitschaft des Menschen zu sein.
3 Die Vorbereitung und Durchführung des Experimentes
Das „Stanford-Prison“ - Experiment wurde sehr umfangreich vorbereitet und wissenschaftlich begleitet. In diesem Kapitel werden die Rahmenbedingungen für die Durchführung des Experimentes vorgestellt.
3.1 Die Leitung des Experimentes
Das Experiment wurde im Sommer 1971 an der Stanford-Universität in Californien durchge- führt. Der bekannte Psychologe und Leiter des Versuchs Philip Zimbardo wurde unterstützt von drei weiteren Kollegen (Craig Haney, W. Curtis Banks, David Jaffe), die wie Zimbardo selbst angestellte Wissenschaftler der psychologischen Fakultät der Stanford-University waren.
Für die Durchführung des Experimentes waren eine Vielzahl weiterer psychologischer Fachkräfte erforderlich. Kooperationen mit Gefängnissen und Polizei ermöglichten den Einbezug von Polizeibeamten, Gefängnisangestellten und Seelsorgern, die neben Ihren spezifischen Aufgaben in der Vorbereitung auch während der Durchführung die vermeintliche Authentizität des „Gefängnisaufenthaltes“ unterstreichen sollten.2
3.2 Das Gefängnis
Für die Durchführung des Experimentes wurde ein Trakt im Keller der Stanford-Universität genutzt. Umfangreiche Umbauten mit der Unterstützung der externen Fachleute, die aus eigener Erfahrung die Ausstattungen von Gefängnissen kannten, wurde ein „künstliches Gefängnis“ geschaffen, dass bis in die Details eine reale Situation suggerieren konnte.
Ein Kellergang der psychologischen Fakultät wurde zu beiden Seiten abgetrennt. Der Gang selbst war der „Innenhof“ des Gefängnisses. Das Besondere an diesem Gang waren die zu beiden Seiten abgehenden kleinen Räume, die allesamt ohne Fenster waren.
Der Ausschluss des Tageslichtes war ein wichtiges Detail, das zum Gesamtkonzept einer „gewollten Reizarmut“ gehörte. Nicht zuletzt ist das Tageslicht ein Anhaltspunkt zur Bestimmung der Uhrzeit. Da auch keine Uhren im Gefängnis waren, war es den Gefangenen nicht möglich, die Zeit einzuschätzen. Die fehlenden Stimulanzen und der Verlust des Zeitgefühls gehören zu den wesentlichen Umgebungsvariablen eines Gefängnisses, die extremen psychischen Druck auslösen können.3
Die Türen der Gefängniszellen wurden durch nummerierte Gittertüren ersetzt, jede der Zellen enthielt drei Betten. Die Toilette befand sich außerhalb des Ganges, Gefangene durften sie nur mit verbundenen Augen aufsuchen, um den Weg nicht offen legen zu müssen. Einer der Räume mit einer Grundfläche von 64x64cm wurde als „Loch“ bezeichnet - eine Zelle für Isolationshaft, ohne Licht und lediglich für eine aufrecht stehende Person geeignet. Der Speisesaal am Ende des Ganges enthielt Tische und Stühle. Für das Wachpersonal stand ein größerer Raum mit Kücheneinrichtung und einem Fenster zur Verfügung, das die fast ausnahmslose Beobachtung der Gefangenen ermöglichte.4
Sämtliche Räume (mit Ausnahme des „Lochs“) wurden von der Leitung über Videokameras und Mikrofone überwacht. Die verbale und nonverbale Kommunikation war zentraler Untersuchungsgegenstand und wichtigstes „Material“ des Experimentes, anhand dessen später die Entwicklungen untersucht werden sollten.
3.3 Die Probanden
Bei der Auswahl der Probanden war es wichtig, den durchschnittlichen „Bürger“ zu finden. Die Probanden sollten einen möglichst „normalen Mitmenschen“ darstellen, der keine einschlägigen Erfahrungen im Gefängnisalltag haben sollte. Die psychische und körperliche Gesundheit war Voraussetzung.
Die Suche nach Probanden erfolgte über eine Zeitungsanzeige. Aus den Bewerbern wurden über ausführliche Gespräche und umfangreiche psychologische Tests 24 studentische Probanden ausgewählt.
Ziel bei der Auswahl war es, das „gebildete weiße Mittelklasse-Amerika“5 abzubilden. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes werden keine Namen genannt. Die Probanden waren ausschließlich männlich.
3.4 Gefangene und Wärter
Das Experiment sollte nicht allein die Auswirkungen der Gefängnissituation auf die Gefangenen untersuchen, sondern die möglicherweise parallel verlaufenden Veränderungen im Verhalten der Wärter analysieren. Die Gruppe der Probanden wurde eingeteilt in eine Gruppe von 9 Gefangenen und 9 Wärtern und 6 Personen für die Rufbereitschaft, falls ein Proband aus dem Experiment ausscheiden würde.
Wärter erhielten keine besonderen Einführungen oder Vorbereitungen auf ihre Arbeit. Sie wurden mit „echter“ Kleidung, mit sämtlichen Schlüsseln und Dienstplänen ausgestattet. Die Wärter sollten in 3 Schichten jeweils zu dritt arbeiten und so eine Vollzeit-Überwachung gewährleisten. Sie wurden über die Räumlichkeiten informiert und erhielten absolute Freiheit in der Gestaltung des Tagesablaufes und eventueller Regularien. Selbstverständlich waren Straftaten und körperliche Gewalt ausgeschlossen.
Aufgabe der Wärter war, während des Experimentes für Ordnung und für die Einhaltung der Regeln für Gefangene zu sorgen, die von den Wärtern noch zu entwickeln waren.
4 Die Durchführung
Das Stanford-Prison-Experiment ist umfangreich dokumentiert. Den Verlauf vollständig wie- derzugeben ist im Rahmen eines Kurzvortrages nicht möglich, deshalb möchte ich im Fol- genden einige wesentliche Ereignisse skizzieren, die Beleg für die Authentizität der Gefäng- nissituation sind oder aber ganz wesentliche Entwicklungen zeigen, die das veränderte Ver- halten der Gefangenen und Wärter und damit den entscheidenden Untersuchungsgegens- tand deutlich machen. Es handelt sich also bewusst um eine Skizze der wesentlichen „Mei- lensteine“ des Experimentes.
4.1 Die Festnahme
Die Leiter des Experiments Zimbardo, Haney, Banks und Jaffe beschreiben die Festnahme der Probanden sehr eindrucksvoll:
„Die Ruhe dieses Sonntagmorgens in Palo Alto (Kalifornien) wurde jäh durch das Heulen von Polizeisirenen gestört; Streifenwagen rasten durch die Stadt und verhafteten überraschte College-Studenten. Jeder Verdächti- ge wurde eines Verbrechens beschuldigt, über seine verfassungsmäßigen Rechte belehrt, mit ausgestreckten Armen gegen das Polizeiauto gestellt, durchsucht, in Handschellen gelegt und im Streifenwagen auf das Polizeire- vier gebracht.“6
Die Festnahme durch „echte“ Polizeibeamte unter realen Bedingungen war ein wichtiges Element zu Beginn des Versuches: sie schuf eine reale Umgebung, einen realen Einstieg in die Gefängnisrealität. Nach der Festnahme wurden die Probanden zunächst zur Polizeidienst- stelle gebracht und nach Aufnahme der Fingerabdrücke in Einzelzellen verwiesen. Anschlie- ßend fand der Transport in das Versuchsgefängnis statt - mit verbundenen Augen.
4.2 Aufnahme in das Gefängnis
Nach dem Transport in das Gefängnis durchliefen alle Gefangenen eine umfangreiche Aufnahmeprozedur:
Die Gefangenen wurden vollständig entkleidet und körperlich durchsucht. Anschließend fand die Entlausung mit entsprechenden Sprühmitteln statt, wie sie üblicherweise in Gefängnissen eingesetzt werden. Mit der einheitlichen Häftlingskleidung erhielten alle Gefangenen einen Strumpf, der auf dem Kopf getragen werden musste. Dieser Ersatz der „Kopfrasur“ entfernte die individuellen Unterschiede, die durch die verschiedenen Frisuren sichtbar waren. Jeder Gefangene erhielt eine Nummer, die auf beiden Seiten des Kittels zu sehen war. Jeder Häft- ling erhielt Bettzeug, Seife, Zahnpasta und -bürste. Eine Kette am Fußgelenk musste grund- sätzlich getragen werden.
Die Aufnahmeprozedur diente der Entfernung der individuellen äußerlichen Unterschiede und stellte in ihrer Durchführung erste Demütigungen der Person dar. Die Entlausung ließ darauf schließen, dass die Wärter Krankheiten und Verunreinigungen immerhin für möglich hielten. Die Entkleidung am Anfang und die langen Zeiten des Nacktseins während der Aufnahme verletzten Schamgefühl und Persönlichkeit, das Ersetzen von Namen durch Nummern kommt der völligen äußeren Gleichschaltung der Gefangenen gleich.
4.3 Die Verkündung der Gefängnisregeln
Nach der Aufnahme wurden die Gefangenen zunächst mit einer Rede des Anstaltsleiters begrüßt. Darin kündigt der Anstaltsleiter neben Aussagen der Enttäuschung über unverantwortliches Handeln der Gefangenen die wichtigsten Regeln der Anstalt an:
„Wir, Euer Anstaltspersonal, werden Euch Eure Verantwortung als Bürger dieses Landes beibringen. Hier sind die Regeln. [...] Wir erwarten, dass Ihr sie kennt und mit Nummern auswendig aufsagen könnt. Wenn Ihr diese Regeln befolgt und Euch nichts zu Schulden kommen lasst, [...] werden wir uns gut verstehen.“7
Die Regeln sind vom Aufseher und seinen Kollegen entworfen worden. 16 Grundregeln wur- den anschließend laut verlesen. Dazu gehören absolute Ruhe unter den Gefangenen, das Verbot, Gegenstände und Einrichtungen der Anstalt zu bechädigen oder zu verändern und Regeln, die die Persönlichkeit der Gefangenen aufheben sollen, wie z.B. das Ersetzen der Namen durch Nummern in sämtlichen Gesprächen. Wachpersonal ist generell mit Titeln anzusprechen. Bei Missachtung einer Regel ist die Bestrafung eine mögliche Reaktion.
4.4 Besuch für die Gefangenen
Die Gefangenen konnten für ein kurzes Gespräch Besuch empfangen, die Eltern und die Familien der Gefangenen wurden an einem vorgegebenen Tag eingeladen. Zuvor wurde den Gefangenen angedroht, im Falle einer Beschwerde das Gespräch sofort zu beenden.
Während des Besuches waren die Wärter in unmittelbarer Nähe, sie griffen sogar in die Gespräche ein. Die eingeweihten Familienangehörigen wussten ihre Rolle zu spielen oder befanden sich bereits selbst „im Experiment“ - sie konnten teilweise die künstliche Gefangenschaft nicht mehr von der Realität unterscheiden:
„Am nächsten Abend suchte die Mutter eines Gefangenen den Gefängnisdirektor vor Beginn der eigentlichen Besuchszeit auf und gab ihm Namen und Telefonnummer ihres Cousins, der Strafverteidiger war.“8
Die Anwesenheit der Wärter während der Besuche demonstriert den Verlust der Privatsphäre auch auf dieser Ebene. Damit reicht das Experiment auch in die tatsächliche Privatsphäre der Probanden, aber auch in die Privatsphäre des „echten“ Umfeldes der Probanden. Die Gren- zen zwischen Versuch und Realität sollten mit der Durchführung der Besuche und ihrer scheinbar realen Abläufe verschwimmen, die Probanden weiter in die reale Situation des Gefängnisses versetzt werden.
4.5 der Aufstand der Gefangenen
Bereits am zweiten Tag kam es zu einem Aufstand der Gefangenen, nachdem der erste Tag vollkommen ruhig und ohne Zwischenfälle verlaufen war. Die Gefangenen verbarrikadierten sich in ihren Zellen und beschimpften die Wärter, die sich allein außerstande sahen, die Situation zu lösen. Nach Einberufung des Bereitschaftsdienstes und gemeinsam mit der noch anwesenden Nachtschicht entschied man sich zu einer gewaltsamen Lösung:
„Die Strafvollzugsbeamten versammelten sich und entschieden, Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen. Sie spritzten mit Feuerlöschern eisiges Kohlendioxyd in die Zellen und zwangen die Gefangenen so, von den Türen zurückzuwei- chen. (Die Feuerlöscher mussten gemäß den Brandschutzrichtlinien der Stanford Universität installiert werden). Die Strafvollzugsbeamten brachen jede Zelle auf, zogen die Gefangenen nackt aus, entfernten die Betten, sperrten die Anführer in Einzelhaft und begannen, die Gefangenen zu schikanieren und einzuschüchtern.“9
Das Wachpersonal entschied sich nach der Niederschlagung des Aufstandes für die Zerschlagung der „Gemeinschaft“ unter den Gefangenen. Die Solidarität der Gefangenen wurde systematisch bekämpft, indem eine Vorzugszelle eingerichtet wurde, die den Gefangenen zur Verfügung stand, die sich am wenigsten am Aufstand beteiligten. Besondere Privilegien wie Waschen, besondere Mahlzeiten, bessere Kleidung etc. führten unmittelbar zum Zusammenbruch der Gemeinschaft. Nach der Rückkehr in die normalen Zellen hielt man diese bevorzugt behandelten Gefangenen für Spitzel des Wachpersonals. Dem Anführer des Aufstandes entzogen die Wärter die Zigaretten. Er war starker Raucher.
4.6 Der Gefangene #8612 wird entlassen
Die Leitung des Experimentes beobachtete bereits am dritten Tag akute emotionale Störungen beim Gefangenen #8612. Sie interpretierten das unkontrollierte Schreien und die Wutanfälle zunächst ganz ähnlich wie die Wärter als einen Täuschungsversuch. Nach dem Angebot, dass die Wärter ihn zukünftig nicht weiter schikanieren würden, wenn er dafür als Informant arbeite, schickten sie ihn zunächst in die Zelle zurück. Dort verkündete er den anderen, dass man das Gefängnis nicht wieder verlassen könne.
„’Ihr könnt hier nicht raus, ihr könnt nicht gehen.’ Die Verbreitung dieser beunruhigenden Nachricht steigerte ihr Empfinden, wirklich inhaftiert zu sein.“10
Das Verhalten des Gefangenen steigerte sich weiter, seine Wutanfälle und die unkontrollierte Raserei deuteten auf eine echte Störung hin. Man entschied sich schließlich, den Gefangenen tatsächlich aus dem Versuch zu nehmen und verzeichnete den ersten Ausstieg nach 36 Stunden.
Der Vorfall zeigt, wie sehr der Verlust des Realitätssinnes bereits nach 36 Stunden fortge- schritten ist. Der Gefangene hatte das Bewusstsein über die Tatsache, lediglich versuchswei- se inhaftiert zu sein, vollkommen verloren und war tatsächlich der Überzeugung, ein echter Gefangener zu sein ohne Aussicht auf eine Entlassung. Seine authentischen Warnungen, das Gefängnis nicht wieder verlassen zu können, löste auch bei den übrigen Gefangenen Unsicherheiten aus - die Grenzen zwischen Versuch und Realität scheinen bereits nach dieser kurzen Zeit zu verschwinden.
4.7 Das Gerücht über den Massenausbruch
Nach der Entlassung des Gefangenen #8612 verbreitete sich das Gerücht, es würde mit Hilfe des Entlassenen ein Einbruch in das Gefängnis mit der Befreiung sämtlicher Gefangener geplant. Das Wachpersonal erwägte die Verlegung in das alte Gefängnis der Polizei von Palo Alto, die sich wenig kooperativ zeigte. Die tatsächliche Bitte an die reale Polizei zeigt, wie sehr auch auf Seiten der Wärter die Grenzen zwischen Realität und Versuch verschwimmen.
Man einigte sich darauf, die Gefangenen vor dem geplanten Fluchttermin mit einer Tüte über dem Kopf in einen Lagerraum der Universität zu verlegen. Dort sollten sie solange bleiben, bis der „Einbruch“ vorüber ist. Danach sollten die Sicherheitsvorkehrungen verdoppelt werden, die Einhaltung der Regeln schärfer beachtet und durchgesetzt werden.
Tatsächlich gab es keinen Flucht- oder Befreiungsversuch, das Gerücht entpuppte sich als Gerede. Der Frust über die überflüssigen Arbeiten zur Verhinderung der vermeintlichen Flucht führte zu immer radikaleren Verhaltensweisen bei den Wärtern:
„Erneut erhöhten die Strafvollzugsbeamten deutlich das Ausmaß der Schikanen und Demütigungen, unter denen sie die Gefangenen leiden ließen, und zwangen sie zu erniedrigender, eintöniger Arbeit wie das Reinigen der Toilettenschüsseln mit den bloßen Händen. Sie ließen die Gefangenen Liegestützen, Hampelmänner und was immer ihnen einfiel machen und verlängerten die Zählappelle auf mehrere Stunden.“11
4.8 Der Zusammenbruch von #819
Der Gefangene #819 verweigerte das Essen, bekundete, er fühle sich krank und verlangte einen Arzt. Nach dem Gespräch mit der Leitung und dem eingeladenen Seelsorger (s. 4.9) sollte er in einem dem Gefängnisflur angrenzenden Raum warten. Im Gefängnis ließ einer der Wärter die Gefangenen im Chor den folgenden Sprechgesang rufen:
„Gefangener #819 ist ein schlechter Gefangener. Wegen dem, was Gefan- gener #819 getan hat, ist meine Zelle ein Saustall, Herr Strafvollzugsbeam- ter.“12
Zimbardo berichtet, er sei sofort zum Gefangenen zurückgegangen und fand ihn unkontrolliert weinend vor. Er wollte zurück in die Zelle und nicht entlassen werden, da er sein Ausscheiden nicht verantworten könne. Zimbardo sah sich genötigt, den Gefangenen energisch auf die Tatsache eines Experimentes aufmerksam zu machen.13 Erst dann willigte der aufgelöste Gefangene ein und verlies den Versuch.
4.9 Der Gefängnisseelsorger
Der Besuch eines ehemaligen Gefängnisseelsorgers sollte den Versuch erneut real darstellen. Der Pfarrer sprach mit jedem Gefangenen einzeln und schöpfte dabei scheinbar aus einer reichen Berufserfahrung, die ihm das Spielen der Rolle innerhalb dieses Experiments leicht fielen ließ. Die Unsicherheit über die Frage nach dem Versuch oder der Realität wuchs offen- bar auf allen Seiten:
„Im täglichen Leben war dieser Mann ein echter Priester, aber er hatte so sehr gelernt, eine stereotype, programmierte Rolle zu spielen -- in einer bestimmten Weise zu sprechen, seine Hände auf vorgeschriebene Art zu falten -- dass er eher wie die Filmversion eines Priesters denn wie ein wirk- licher Priester wirkte. Dadurch verstärkte er die Unsicherheit von uns allen darüber, wo unsere Rollen aufhörten und unsere persönliche Identität an- fing.“14
Der Seelsorger bereitete abgesehen vom eigentlichen Gespräch mit den Gefangenen weitere Überraschungen. Nach dem Besuch der Gefangenen setzte sich der Seelsorger mit den Eltern der Gefangenen in Verbindung und gab ihnen den Rat, sich anwaltlich beraten zu lassen. Offenbar ist die Abgrenzung zur Realität auch dem Pfarrer tatsächlich nicht mehr klar gewesen. Tatsächlich kam es anschließend zum Besuch eines Strafverteidigers, der auf Bitten einer Mutter eingeladen wurde (s. 4.4). Die realen Aufklärungsbemühungen des Straf- verteidigers, der Realitätsverlust auf Seiten der Mutter, des Gefangenen und auch auf Seiten der Leitung dokumentiert die Aussage Zimbardos:
„[...] Der Strafverteidiger kam, sprach mit den Gefangenen, erörterte mit ihnen, woher das Geld für die Kaution genommen werden könnte und versprach, nach dem Wochenende wiederzukommen. Aber an diesem Punkt erkannten wir, dass wir das Experiment beenden müssten, da es nicht mehr länger nur ein Experiment war.“15
4.10 Abschluss
Das Experiment wurde nach sechs Tagen beendet, obwohl es für einen Zeitraum von 14 Tagen geplant war. Der fortschreitende Verlust der Kontrolle schien nicht mehr tragbar.
Neben einem deutlich sichtbaren Verlust des Realitätsbewusstseins seitens der Gefangenen und Wärter schien selbst die Leitung des Versuches den Impuls einer Außenstehenden Studentin, die zum „Besuch“ des Experimentes anwesend war, zu bedürfen:
„Sie erhob starke Einwände, als sie sah, wie unsere Gefangenen sich ge- genseitig an den Schultern fassten und im Gänsemarsch, die Köpfe in Sä- cken und die Beine zusammengekettet, zur Toilette liefen. Vollkommen ent- rüstet sagte sie: ‚Es ist entsetzlich, was ihr diesen Jungen antut!’ Von über 50 Außenstehenden, die unser Gefängnis gesehen hatten, war sie die einzige, die ethische Zweifel äußerte.“16
5 Entwicklungen bei den Probanden
Wenn Zimbardo auch nicht die originalgetreue Nachbildung eines Gefängnisses zum Ziel hatte, so legte der leitenden Professor des Versuchs großen Wert auf die Nachbildung der Dinge, die er als Ursache für „gleichwertige psychologische Effekte“17 bezeichnet.
Die Einführungen und Anleitungen, die das Wachpersonal erhielt, waren ganz bewusst sehr knapp gehalten. Zimbardo erhoffte sich durch die Schaffung ähnlicher Bedingungen ein Hinauswachsen der Wärter über ihre erhaltenen Anleitungen. Ganz bewusst ließ man den
Wärtern schon zu Beginn Freiraum für die Entwicklung eigener Regularien und Verhaltens- weisen, die wesentlicher Gegenstand der Untersuchung sein würden.
Ziel Zimbardo´s war es, eine Umgebung zu schaffen, in der es den Probanden möglich ist, „in die Tiefenstruktur der Gefangenen- oder Wärtermentalität einzutauchen“18. Offenbar ist der Versuch in dieser Hinsicht gelungen. Die schnellen Veränderungen im Verhalten der Probanden zeigen dies.
5.1 Die Wärter
Ähnlich wie bei den Gefangenen stellte auch bei den Wärtern eine einheitliche Kleidung eine gewissen Gleichschaltung dar. So trugen alle Wärter die gleiche Uniform, bekamen die glei- chen Gegenstände als „Arbeitsutensilien“ ausgehändigt und hatten sich einem vorgegebenen Dienstplan zu fügen. Trotz der teilweisen Aufhebung der eigenen Identität, die ja nicht von Demütigungen und systematischen Degradierungen begleitet war, blieben individuelle Unter- schiede sichtbar, die sich zum Teil während des Versuches dramatisch verstärkten.
Zimbardo analysierte nach dem Versuch drei wesentliche Typen von Wärtern, deren skizziertes „typisches“ Verhalten während des Verlaufes insgesamt zunahm:
- Der Typ „guter Kerl“ zeichnete sich dadurch aus, dass sie den Gefangenen gelegent- lich kleine Gefallen taten, sie nur ungern bestraften, allerdings bei Bestrafungen keine Initiative zur Beendigung der für sie unmoralischen Handlungen ergriffen, die „Täter“ also gewähren ließen.
- Der Typ „hart aber fair“ hielt sich mit seinen Anordnungen im Rahmen der aufgestell- ten Regeln und versuchte, sich gegenüber den Gefangenen stets mit der ihnen aufgetragenen „Arbeit“ zu rechtfertigen.
- Ein weiterer Typ zeichnete sich durch außerordentlichen Erfindungsreichtum aus in der Entwicklung von Bestrafungsmethoden, Demütigungen und Degradierungen. Sie genossen Ihre Machtposition und lebten sichtlich auf, wenn sie die Uniformen anzo- gen und damit Ihre Verfügung über andere Personen erhielten.19
[...]
1 vgl. Walter, Michael 2002, S. 94
2 vgl. http://www.prisonexp.org/german/slide1g.htm (02.11.2003, 12:50 Uhr)
3 Curtis-Banks, W. u.a. 2002, S. 73
4 vgl. Curtis-Banks, W. u.a. 2002, S. 72
5 zit. n. Walter, Michael 2002, S. 95
6 Curtis-Banks, W. u.a. 2002, S. 69
7 Ebd. S. 70
8 Curtis-Banks, W. u.a. 2002, S. 80
9 http://www.prisonexp.org/german/slide18g.htm (02.11.2003, 16:00 Uhr)
10 http://www.prisonexp.org/german/slide22g.htm (02.11.2003, 16:35 Uhr)
11 http://www.prisonexp.org/german/slide28g.htm (02.11.2003, 17:00 Uhr)
12 http://www.prisonexp.org/german/slide30g.htm (02.11.2003, 17:20 Uhr)
13 vlg. http://www.prisonexp.org/german/slide30g.htm (02.11.2003, 17:20 Uhr)
14 http://www.prisonexp.org/german/slide29g.htm (02.11.2003, 17:15 Uhr)
15 Curtis-Banks, W. u.a. 2002, S. 80
16 http://www.prisonexp.org/german/slide38g.htm (02.11.2003, 17:30 Uhr)
17 Curtis-Banks, W. u.a. 2002, S. 71
18 Curtis-Banks, W. u.a. 2002, S. 71
19 vgl.: Curtis-Banks, W. u.a. 2002, S. 82
- Quote paper
- Jens Hasekamp (Author), 2004, Das Stanford-Prison-Experiment, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20820
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