Der Machtkampf ist ein Phänomen, dass laut Frau Dr. med. Davatz in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen immer noch sehr verbreitet ist.
In der sportdidaktischen Literatur finden sich nur sehr wenige Quellen, die sich explizit mit dem Thema Machtkampf beschäftigen (z.B. Scherler, 2000). Allgemein scheint dies daran zu liegen, dass es sich hierbei um ein Tabuthema bei Pädagogen handelt: „Machtkämpfe hat man einfach nicht.“
Aus diesem Grund wird für die Erklärung der Entstehung von Machtkämpfen auf die Texte von Bräutigam, Miethling, Scherler & Schirtz, Sieland und Werning zurückgegriffen und auf Anleihen aus der Erziehungswissenschaft und der Sozialwissenschaft, die sich bereits näher mit dem Thema der Machtkämpfe beschäftigt haben. Das soziale Phänomen „Machtkampf“ – oder „Machtkonflikt“ – ist in der Sozialwissenschaft bereits als Teil einer Konflikttheorie von H. Messmer dargestellt worden. Diese globale, sozialprozessorientierte Theorie wird auf den Sportunterricht übertragen werden. Eine scharfe Abgrenzung des Begriffes „Machtkampf“ ist sehr schwierig, weil jeder individuell definiert, wann er sich gestört fühlt und wann für ihn ein Machtkonflikt anfängt. Um diese Definitionsproblematik zu umgehen wird daher grundlegend die Definition des „Machtkonfliktes“ vom Messmer verwendet werden.
Doch auch in sportwissenschaftlichen Texten finden sich Andeutungen darüber, dass Unterrichtsstörungen, d.h. Konflikte im Unterricht, sich zu Machtkonflikten entwickeln können.
Besagte Konflikte können entweder durch eine Win-Win-Lösung beigelegt werden, bei der sowohl Lehrer als auch Schüler ohne Gesichtsverlust den Konflikt beenden können oder sie werden durch Eskalation zu einem Machtkampf, welcher eigentlich nur durch eine Win-Lose-Lösung beendet werden kann. Daher sollten Lehrer bemüht sein zum einen Machtkämpfe grundsätzlich zu vermeiden und zum anderen, wenn dies nicht möglich ist, eine möglichst akzeptable Lösung für beide Seiten zu finden. Wie derartige Lösungsmöglichkeiten aussehen können, wurde bisher nicht erforscht, es kursieren lediglich „präventive Tipps“.
Daher verfolgt diese Arbeit die Forschungsfrage: Welches Lehrerverhalten kann in einem Machtkonflikt einen glimpflichen Verlauf und Ausgang ermöglichen?
Um auf diesen bisher unerforschten Bereich der Sportwissenschaft ein erstes Licht zu werfen wurden Daten durch Experteninterviews mit fünf Sportlehrern von einem Gymnasium erhoben.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Bisherige Antworten zur Thematik
2.1 Theorie
2.1.1 Definition
2.1.2 Wie entstehen Machtkonflikte
2.1.3 Folgen für die Beteiligten
2.1.4 Vorschläge zur Prävention und Bewältigung
2.2 Empirie
3 Empirische Untersuchung
3.1 Entwicklung und Formulierung der Fragestellung
3.2 Auswahl und Begründung der Erhebungsmethode und des Erhebungsinstrumentes
3.3 Beschreibung und Begründung der Untersuchungsdurchführung
3.4 Zusammenfassung des Interviews A
3.5 Zusammenfassung Interviews B
3.6 Zusammenfassung des Interviews C
3.7 Zusammenfassung des Interviews D
3.8 Zusammenfassung des Interviews E
3.9 Interpretation
3.10 Zusammenfassung der Ergebnisse
3.11 Methodenkritische Reflexion
4 Reflexion und Rückbezug zur Theorie
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
7 Anhang
1 Einleitung
„Machtkonflikte? Ham‘ we‘ nich‘“, so die geschlossene Aussage aus dem Lehrerzimmer. Diese ist erstaunlich, bedenkt man, dass schon 1956 der hessische Minister für Erziehung beklagte: „Nach Berichten und Erfahrungen der letzten Jahre hat die Zahl der Schüler zugenommen, die sich den pädagogischen Maßnahmen der Schule böswillig und nachhaltig verschließen oder widersetzen, die Schulordnung und Gemeinschaft erheblich stören und dadurch dem Lehrer im Unterricht erheblich Schwierigkeiten bereiten.“ (Miethling 1993, S. 14).
Dieser Widerspruch und die Tatsache, dass Lehrer[1]nach genauerem Nachfragen doch „zugeben“ in ihrem Unterricht auch „schon einmal“ einen Machtkonflikt bestritten zu haben, deutet darauf hin, dass es sich bei dieser Thematik um ein Tabu-Thema im Lehrerzimmer handelt. Machtkonflikte hat man einfach nicht! Es scheint vielen peinlich zu sein, vor Kollegen oder gar Außenstehenden zuzugeben, dass sie ihre Schüler nicht immer „im Griff“ haben. Dennoch gehört gerade dies zum Unterrichtsalltag (vgl. Bräutigam 2003, S. 169).
Schüler widersetzen sich der Autorität des Lehrers aus verschiedensten Gründen, sei es Unverständnis, Lustlosigkeit oder das Bestreben, sich einmal nicht unterzuordnen, sondern gegen die „Macht des Lehrers“ zu rebellieren. Diesem Verhalten als Lehrer gelassen gegenüberzutreten und sich nicht auf die Einladung zum Machtkonflikt einzulassen ist nicht leicht. So schreibt Dreikurs in seinem Buch „Lehrer und Schüler lösen Disziplinprobleme“:
Ist es schon schwierig genug, den Provokationen des Kindes zu widerstehen, wenn es Aufmerksamkeit fordert, so ist es noch schwieriger, sich zurückzuhalten, wenn es seine Überlegenheit oder Macht demonstrieren will. Viele Lehrer sind weder von ihrer Persönlichkeit her noch emotional darauf vorbereitet sich aus einem Machtkampf mit einem Kind, das ihre Autorität in Frage stellt, herauszuhalten. (Dreikurs et al., 2007, S. 40).
Obwohl das Thema also keine Ausnahme im Schulalltag darstellt, finden sich in der Literatur überwiegend präventive Strategien zur Vermeidung von Machtkonflikten nichts aber darüber, wie Lehrer mit Machtkonflikten umgehen sollten. Der Mangel an Literatur lässt sich unter anderem damit erklären, dass es in dem Bereich – Machtkonflikte in der Schule und speziell im Sportunterricht – noch keine Forschung gab.
Aus diesem Grund kann die Fallstudie, die in dieser Arbeit beschrieben wird, noch keine generalisierbaren Erkenntnisse erbringen, sondern lediglich Einzelfälle darstellen.
Die folgende Arbeit gliedert sich in drei große Abschnitte.
Im ersten Teil wird die Problematik grundlegend dargestellt, indem zunächst eine Definition aus der Sozialwissenschaft herangezogen wird. Die bisherigen Aussagen aus der Literatur über die Ursachen, den Verlauf, die Folgen sowie Vorschläge zur Prävention und Bewältigung von Machtkonflikten finden sich in den Kapiteln 2.1.2 bis 2.1.4
Im Anschluss werden in Kapitel 2.2 bisherige Erkenntnisse von empirischen Untersuchungen dargestellt, die mit der Thematik zusammenhängen.
Im zweiten Teil wird die aus dem theoretischen Vorwissen entwickelte Fallstudie vorgestellt (Kapitel 3), in der fünf Sportlehrer zu ihren Erfahrungen mit Machtkonflikten befragt wurden. Die Darstellung sowie die Auswertung dieser Interviews kann in den Kapiteln 3.4 bis 3.10 gefunden werden.
Im letzten Abschnitt (Kapitel 4) werden Schlussfolgerungen aus den Interviews vor dem Hintergrund theoretischer und empirischer Erkenntnisse aus Kapitel 2 reflektiert.
In Kapitel 5 wird ein abschließendes Fazit gezogen, welches die Ergebnisse dieser Studie zusammenfasst.
2 Bisherige Antworten zur Thematik
In diesem Kapitel wird in zwei Blöcken der bisherige Wissensstand zusammengefasst. Zunächst werden Antworten aus der Theorie dargelegt. Im Anschluss soll wird beschrieben, was aus Studien, die sich hauptsächlich mit anderen Phänomenen beschäftigt haben, über Machtkonflikte bereits abgeleitet werden kann.
2.1 Theorie
In der sportwissenschaftlichen Theorie ist dem Thema „Machtkonflikt im Sportunterricht“ bisher noch keine besondere Beachtung gewidmet worden. Es wird lediglich in verschiedenen Quellen vor Machtkämpfen gewarnt (vgl. Scherler, 2000, S. 13). Die unterschiedlichen Termini „Machtkampf“ und „Machtkonflikt“ beziehen sich auf dasselbe Phänomen. Da es in der Sportwissenschaft jedoch keine Begriffsbestimmung, sondern nur Beschreibungen[2]desselbigen gibt, wird in dieser Arbeit die Definition Messmers für „Machtkonflikt“ zu Grunde gelegt. Die beiden Termini werden synonym verwendet. Ferner werden im Folgenden sowohl sportwissenschaftliche Quellen herangezogen, als auch sozialwissenschaftliche und pädagogische, da sich diese Fachrichtungen schon intensiver mit dieser bzw. überschneidenden Thematiken beschäftigt haben.
2.1.1 Definition
Um das Phänomen „Machtkonflikt“ definieren zu können ist es wichtig, sich zunächst mit seinen Bestandteilen auseinanderzusetzen. Daher soll an dieser Stelle zunächst die Bedeutung der Wörter „Macht“ sowie „Konflikt“ in Bezug auf Schule und Erziehung dargestellt werden.
„Macht“ wird in der Brockhaus Enzyklopädie (2010, S. 637) als die Chance definiert, seine eigenen Vorstellungen auch gegen den Widerstand anderer durchzusetzen. Dies geht mit der Definition des Soziologen Max Weber (1864-1920) konform.
Auch das Mikrosystem Schule ist durchdrungen von verschiedensten Formen der Macht. Die Schule dient dem Staat dazu, die Kinder und Jugendlichen in ihrer Entwicklung positiv zu beeinflussen und sie auf diese Weise zu sozialen und qualifizierten Staatsbürgern zu erziehen. Da, wie Gonschorek (2000, S. 223) schreibt, „die Klientel“ nicht freiwillig kommt, unterliegen die Schüler grundlegend bereits dem Zwang der Schulpflicht.
Das Lehrer-Schüler-Verhältnis ist daher zum einen durch die Amtsmacht des Lehrers asymmetrisch, aber auch durch seine Kompetenzen (vgl. Plaßmann, 2003, S. 238). Diese bestehen aus fachlichem und methodischem Wissen. Durch seine Kenntnisse ist der Lehrer seinen Schülern intellektuell im Vorteil, was ihm die Macht verleiht seinen Unterricht so zu gestalten, dass er für die Schüler lehrreich und angemessen ist. Was der Edukand von diesem Angebot annimmt und verarbeitet, liegt nicht in der Macht des Lehrers (vgl. Plaßmann, 2003, S. 239).
Dieser kann lediglich dafür Sorge tragen, dass die Gruppe in ihrem Lernprozess nicht durch das Verhalten einzelner gestört wird. Hierzu kann er sich bestimmter Machtinstrumente bedienen. „Der erhobene Zeigefinger, die geballte Faust und andere Arten von drohender Gestik oder negativer Mimik gehören ebenso dazu wie Briefe an die Eltern, schlechte Noten, der Rotstift, Strafarbeiten und >>Antanzen<< beim Schulleiter“ (Kern, 1976, S. 108). Weiterhin verweist die Literatur auf Nachsitzen, Klassenbucheinträge und den Ausschluss vom Unterricht (vgl. Plaßmann, 2003, S. 253). Ulich (1989, S. 54) schreibt: „Zensuren sind ein spezifisches Instrument der Überzeugungsmacht von Lehrern.“ Dieser Gebrauch der Note wurde jedoch vehement kritisiert, ebenso wie das Einsetzen von Strafen, da sie laut Kern (1976, S. 113 f.) „zu Gegenaggression und schließlich zu Vermeidungsverhalten (Schulschwänzen etc.) führen“ können. An ihre Stelle sollen logische Folgen treten, d.h. prognostizierbare Konsequenzen des Schülerhandelns (vgl. Dreikurs, 1994, S. 106). Alle beschriebenen Optionen sind Instrumente, mit denen der Lehrer seinen Willen durchsetzen kann. Oft wird daher die Macht des Lehrers fälschlich mit Bestrafung assoziiert. Vielmehr ist die größte Macht des Lehrers aber seine natürliche Ausstrahlung, seine Autorität, die das Einsetzen von Machtinstrumenten überflüssig machen kann (vgl. Weber 1974, S. 212). Mangelt es einem Lehrer jedoch an dieser Autorität, tritt er unprofessionell auf und ist er nicht in der Lage einen weitgehend störungsfreien Unterricht zu organisieren, wird seine Macht angreifbar und es kann ein Machtvakuum entstehen(vgl. Plaßmann, 2003, S. 245).
Doch nicht nur der Lehrer hat in der Schule Macht, sondern ebenso der Schüler (vgl. Scherler, 2000, S. 13). Er „kann die Macht von Lehrern bestätigen, sie ignorieren, auf die Probe stellen oder sie zurückdrängen“ (vgl. Plaßmann, 2003, S. 258). Je nach Gesinnung des Schülers und Einstellung zum jeweiligen Lehrer kann er seine Macht nutzen, um Produktives zum Lernprozess beizusteuern oder um destruktiv gegen die Vorhaben des Lehrers zu agieren. Hierbei können seine Aktivitäten von „passiv-aggressiver Verweigerung über manipulative Tarnhandlungen bis hin zu offener Aggression und Gewalt“ (Plaßmann, 2003, S. 258) reichen. Die Einstellung des Schülers gegenüber dem Lehrer wird oftmals beeinflusst durch den Ruf, den der Lehrer an der Schule hat. So haben Schüler die Macht Lehrern Etiketten zuzuschreiben, die diese über Klassengrenzen hinweg stigmatisieren. Auf diese Weise ist auch der Schüler in der Lage den Lehrer für inkompetentes Verhalten zu bestrafen, durch den „Entzug von Achtung und Respekt, Ignoranz und schulisches Fehlverhalten“ (Plaßmann, 2003, S. 261).
Es lässt sich zusammenfassen, dass die Schule ein Machtsystem ist, in dem ein Machtgefälle zwischen Lehrern und Schülern besteht. Den Pädagogen stehen – als Vertretern der Institution – Machtinstrumente zur Verfügung, die sie bei Bedarf einsetzen können um ihren Willen gegen den ihrer Schüler durchzusetzen. Auf der anderen Seite sind auch Schüler nicht machtlos, sondern ebenfalls in der Lage ein Fehlverhalten der Lehrer zu bestrafen. „Die Möglichkeiten des Schülers, gegen die Vorgehensweisen des Lehrers zu intervenieren, wachsen mit den sozialen und intellektuellen Kompetenzen. Seine Macht ist als zunehmend zu erachten“ (Plaßmann, 2003, S. 258).
Das Wort „Konflikt“ ist vielfach und auf unterschiedliche Weise definiert. Dies hat den Grund, dass esden Konfliktnicht gibt. So schreibt Rapoport (1974, S. 8), dass der Terminus „Konflikt“ als Sammelbegriff zu verstehen ist, der Phänomene beschreibt, welche sich oberflächlich ähneln, auf Grund ihrer verschiedenen Ursachen jedoch stark variieren können. Unterschiede sind nicht nur im Anlass des Konfliktes zu finden, sondern auch in den Akteuren. So kann es sowohl horizontale Auseinandersetzungen unter gleichrangigen Parteien geben, als auch vertikale zwischen „Herrscher[n] und Beherrschten um die zentralen Ressourcen der Macht“ (Messmer, 2003, S. 13). Die Persönlichkeit der Akteure ist nicht Konflikt formend, sondern „vielmehr macht sich der Konflikt ‚die verfügbaren Kräfte im Individuum dienstbar‘“ (Messmer, 2003, S. 18).
Wie auch der Philosoph und Soziologe Georg Simmel (1858 – 1918) setzt Messmer in seinem Konfliktmodell – welches der folgenden Arbeit zu Grunde liegen soll – ein Konfliktverständnis voraus, bei dem der Konflikt wie ein Gravitationsfeld
die Ressourcen einer gegebenen sozialen Entität an sich bindet und sie gemäß seiner Anziehungskraft mehr oder minder vollständig absorbiert. Dieser Auffassung zufolge entwickelt sich der Konflikt als eine logisch eigenständige Sachverhaltswirklichkeit, die ihre soziale Nahwelt in dem Maße transformiert, wie sie das Verhalten der Beteiligten unter dem Gesichtspunkt der Unvereinbarkeit bündelt. (Messmer, 2003, S. 44)
Sein Konfliktmodell entwickelte Messmer als ein vierstufiges Prozessmodell, dessen Entwicklungsstufen logisch aufeinander aufbauen und voneinander abhängig sind. Die jeweils dominante Form ist Namensgeber der einzelnen Stufen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1. Prozessstufenmodell sozialer Konflikte (Messmer, 2003, S. 279)
DieKonfliktepisodeist nach Messmer ein Bagatellereignis. Sie ist erst gegeben, wenn der Widerspruch des Gesprächspartners gegen die eigene Meinung abgelehnt wird, d.h. wenn Person A und Person B unterschiedlicher Meinung sind, Position A aber trotz Widerspruch von Person B auf ihrer Einstellung beharrt. Messmer bezeichnet dies als „die Unvereinbarkeit zweier Sinnselektionen“ (Messmer, 2003, S. 281).
Auf der nächst höheren Stufe wandelt sich die Konfliktepisode zu einemSachkonflikt. Dieser ist gekennzeichnet durch eine themenbezogene Verstärkung, wenn beide Akteure längere Zeit auf ihrem Standpunkt beharren. Das Ziel der beiden Parteien ist es, den jeweils anderen von der eigenen Meinung zu überzeugen. Mittel, die auf dieser Stufe eingesetzt werden, um die eigene Position zu stärken sind „Erklärungen, Begründungen und Argumentation“ (Messmer, 2003, S. 283 f.)
BeimBeziehungskonfliktwird dem Konfliktpartner für die unerfreuliche Situation, welche typischerweise aus der vorangegangenen Konfliktdynamik entsteht, die Verantwortung bzw. die Schuld zugewiesen. Da für eine Anschuldigung – dem kennzeichnenden Mittel dieser Stufe – ein Normenbruch notwendig ist, wird dieser in der bewussten Verursachung des unangenehmen Sachverhalts gesehen.
Den „Machtkonflikt“,die höchste Stufe seines Konfliktmodells, definiert Messmer wie folgt:
VonMachtkonfliktensprechen wir immer dann, wenn die Konfliktkommunikation auf Zwangs- und Gewaltanwendung reflektiert, um den Widerstandswillen eines anderen damit zu brechen. Sind die Mittel des Überzeugens und der Schuldzurechnung erst einmal erschöpft und fruchtlos geblieben, dann wird der Glaube an physische bzw. psychische Überlegenheit zu einer zentralen Variable[n] der Durchsetzungsstrategie. (Messmer, 2003, S. 287)
Zwei zentrale Bestimmungsstücke unterscheiden den Machtkonflikt von einem Beziehungskonflikt: Die Feindwahrnehmung sowie die Drohkommunikation. DieFeindwahrnehmungkommt durch das Zuschreiben von Motiven zustande. Die Unterstellung, der Konfliktpartner wolle einem absichtlich Schaden zufügen, führt dazu, dass dieser nur noch als Gegner wahrgenommen wird (vgl. Messmer, 2003, S. 225). Gemeinsamkeiten werden völlig ausgeblendet, während die Unterschiede zwischen den beiden Akteuren maximiert werden. Hieraus resultiert gleichzeitig, dass die Verstehensbereitschaft und Empathiefähigkeit beider Parteien drastisch abnimmt. Messmer (2003, S. 238) schreibt: „Feindselige Attitüden werden in der Konfliktkommunikation durch rigide Formen der Schuldzuweisung zum Ausdruck gebracht, wobei Schuldzuweisung und Verstehensbereitschaft negativ korrelieren.“ Es kommt zu einer gegenseitigen Stigmatisierung – z.B. „Es istimmerdasselbe mit dir!“. Derartige Extremformulierungen sind Anzeichen einer scharfen Grenzziehung zwischen dem ‚Ich‘ und dem ‚Du‘. Auffällig ist auch der „absolute Mangel an Achtungskommunikation“ (Messmer, 2003, S. 227). Daraus leitet sich ab, dass auf dieser Ebene weniger das tatsächliche Verhalten des anderen entscheidend ist, als vielmehr das individuelle Konflikterleben (vgl. Messmer, 2003, S. 234).
DieDrohkommunikationunterstützt den oben erläuterten Prozess. Mit ihr wird erstmals im Konfliktverlauf der Einsatz von Machtmitteln in Aussicht gestellt. Da im vorangegangenen Konfliktverlauf alle Überzeugungs- und Durchsetzungsversuche fehlgeschlagen sind, wird das Drohen zu einer aussichtsversprechenden Kommunikationsstrategie, da sich der Drohsteller trotz wenig Einsatz viel Nutzen versprechen kann – „something for nothing“ (Messmer, 2003, S. 288). Die Drohung ist deshalb so attraktiv, weil sie
dem anderen Maßnahmen in Aussicht [stellt], von denen man annimmt, dass ihre Nachteile schwerer wiegen als der Nutzen, den er möglicherweise hat, wenn er seine eigenen Absichten weiterverfolgt. […] In der Vermeidungsalternative tut der Drohsteller zudem auch nicht das, was der Bedrohte möchte, sondern unterlässt nur, was dieser unter allen Umständen vermeiden will. (Messmer, 2003, S. 239)
Damit wird dem Bedrohten lediglich versprochen, dass ihm nicht genommen wird, was er bereits hat. Der Drohsteller zeigt ferner mit dem Aussprechen seiner Drohung an, dass er an den Argumenten des Bedrohten keinerlei Interesse mehr hat und sich nicht weiter auf Debatten einlassen will. Nachteilig ist für ihn ab dem Ausspruch der Drohung, dass es von diesem Zeitpunkt an nur noch die Alternativen Durchsetzen oder Nachgeben als Konfliktausgang geben kann. Ein Nachgeben nach dem Ausspruch einer Drohung geht jedoch immer mit einem Gesichtsverlust des Drohstellers einher. Daher wird dieser bemüht sein, dem Bedrohten zu suggerieren, dass er „über hinreichend Machtmittel verfügt, damit er den angekündigten Schaden notfalls auch gegen den Widerstand des Bedrohten ihm aufzwingen kann“ (Messmer, 2003, S. 239).
Die Drohwirksamkeit hängt aus diesem Grund von den zur Verfügung stehenden Machtmitteln des Drohstellers und seiner Bereitschaft ab diese einzusetzen. Der Droherfolg dagegen ist abhängig von der Kosten-Nutzen Erwägung des Bedrohten sowie dessen Ängstlichkeit (vgl. Messmer, 2003, S. 239). In einem Lehrer-Schüler Machtkonflikt ist es wahrscheinlich, dass der Lehrer die Drohsteller-Rolle einnimmt, während der Schüler in der Rolle des Bedrohten abwägt, ob die angedrohten Maßnahmen des Lehrers ihn dazu bewegen sich dem Willen der Lehrperson zu unterwerfen.
Kommt es zu einer Gegendrohung, kann sich die Drohkommunikation zu einem Drohsystem entwickeln, bei dem sich die beiden Akteure gegenseitig mit Androhungen zu überbieten versuchen. „In der Drohkommunikation machen Maßnahmen, die harmloser als die vorher angedrohten sind, keinen Sinn, da sie nicht abschrecken können“ (Messmer, 2003, S. 246).
Ein Drohsystem kann nur entstehen, wenn beide Konfliktparteien der Ansicht sind, über die gleichen Machtressourcen zu verfügen, d.h. sich als gleichwertige Gegner betrachten.
Dies ist in einem Machtkonflikt zwischen einem Lehrer und seinem Schüler eher unwahrscheinlich, da der Lehrer über mehr Machtinstrumente verfügt als der Schüler. Dies wird man eher in einem Machtkonflikt unter Schülern finden können.
2.1.2 Wie entstehen Machtkonflikte
Der Machtkonflikt ist die letzte Stufe in Messmers Modell. Da jede Stufe auf der vorherigen aufbaut, kann der Machtkonflikt also als die Eskalation eines „normalen“ Konfliktes bezeichnet werden (vgl. Messmer, 2003, S. 249f.). Daher liegen die Gründe für einen Machtkonflikt zunächst in den Ursachen des ursprünglichen Konflikts. Diese können je nach Auseinandersetzung höchst divers sein. Bezogen auf Schule gibt es vier große Kategorien für Konfliktursachen: Die Umgebung und die Bedingungen, den Schüler, den Lehrer und die Interaktion zwischen beiden bzw. zwischen Schülern untereinander.
Miethling (1993, S. 15) stellte für die Kategorie „Umgebung und Bedingungen“ fest, dass eine große Schulgröße sowie zu kleine Klassenräume mehr Störungen[3]provozieren. Ebenso wirken sich die Schulart sowie ihre Lage auf das Störpotential aus. Gymnasien gelten demnach als weniger konfliktbeladen als andere Schulformen. Schulen in sozial schwächeren Stadtteilen weisen tendenziell mehr Unterrichtsstörungen auf. Auch das Unterrichtsfach sowie die Unterrichtsmethode können Konfliktpotential bergen. „Gerade im Fach Sport, das durch das Bewegen und die körperliche Auseinandersetzung von Gruppen im Raum gekennzeichnet ist, entstehen spezifische Ordnungen und demzufolge auch Störungen eigener Art“ (Miethling, 1993, S. 14).
Bräutigam setzt sich in seinem Buch „Sportdidaktik. Ein Lehrbuch in 12 Lektionen“ ausführlich mit den Bedingungen des Sportunterrichts auseinander. Bereits die verpflichtende Teilnahme kann zu Schwierigkeiten führen, da nicht alle Schüler gerne Sport in der Schule treiben (vgl. Bräutigam, 2003, S. 55). Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass alle Aktivitäten im Unterricht mit pädagogischen Zielen gekoppelt sind. Somit verfolgt der Schulsport, anders als der Freizeitsport, immer erzieherische Zwecke. Die Inhalte sind bereits im Vorfeld durch die Lehrpläne festgelegt (vgl. Bräutigam, 2003, S. 55). Daher werden nicht nur Lieblingsdisziplinen thematisiert, sondern ein breites Spektrum an Sportarten, welche nicht allen Kindern Spaß machen. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Schüler nach Jahrgängen gruppiert unterrichtet werden und nicht nach Sportinteresse oder Fähigkeiten. Daher kann in der Lerngruppe auch eine große Heterogenität bestehen (vgl. Bräutigam, 2003, S. 58). Auch hieraus können sich Probleme in Bezug auf die Anforderung ergeben. Die Leistungen der Schüler werden durch die Sportzensur dokumentiert. Da diese jedoch sehr viele Bereiche umfasst, wurde vermehrt in Frage gestellt, ob die Note ihren vielfältigen Funktionen gerecht werden kann. Ferner scheinen ältere Schüler die Tatsache zu nutzen, dass „im Sportunterricht […] manchmal mit geringem Aufwand gute Noten und hohe Punktzahlen erreicht werden [können].“ (Bräutigam, 2003, S. 57). Weiterhin wird der Unterricht von ausgebildeten Fachkräften geleitet. Die Vorgaben der Sportlehrer stimmen jedoch nicht immer mit den Erwartungen der Schüler überein. Auch hieraus können Störungen und Konflikte erwachsen.
Die vom Stundenplan vorgegebenen Zeitblöcke führen durch den Hin- und Rückweg zur Sportanlage sowie das Umziehen zu kürzeren Sporteinheiten (vgl. Bräutigam, 2003, S. 59). Dieser Zeitmangel kann zu einem hektischen und damit störungsanfälligeren Unterricht führen. Zuletzt ist noch auf die Sportanlagen zu verweisen. Nicht immer befinden sie sich in optimaler Entfernung, was den zuvor genannten Aspekt verstärkt. Weiterhin sind auch nicht alle Sporthallen ideal ausgestattet, sodass nicht für alle Disziplinen das entsprechende Material vorhanden und intakt ist. Auch dies kann sowohl bei Lehrern als auch bei Schülern zu Frustration führen.
Für die Bereich „Schüler“ gibt es verschiedene Motivzuschreibungen. Nach Charles hängt der Großteil aller Störungen mit dem Grundbedürfnis nach Anerkennung zusammen. Er schreibt, dass jedes Kind das Gefühl braucht und sucht dazuzugehören (vgl. Charles, 1996, S. 84). Wenn das Kind nicht in der Lage ist dieses Bedürfnis zu befriedigen, wendet es sich anderen „Platzhalterzielen“ zu wie z.B. dem Streben nach Macht. Dies kann dazu führen, dass das Kind den Lehrer immer wieder herausfordert, damit er sich mit ihm beschäftigt. Selbst wenn der Lehrer den Kampf gewinnt, hat er laut Charles verloren, denn das Kind lernt daraus, dass im Leben nur die Macht zählt (vgl. Charles, 1996, S. 91).
Dreikurs, Grunwald und Pepper (2007, S. 21) schreiben: „Für störendes, unerwünschtes Verhalten haben wir vier Ziele gefunden:
1. Aufmerksamkeit erreichen wollen,
2. Macht, Überlegenheit erlangen,
3. Rache, Vergeltung üben,
4. Unfähigkeit zur Schau stellen.“
Dreikurs et al. führen, ebenso wie Charles, das Streben nach Macht als ein nicht unübliches Ziel von Schülern auf. Begründet wird dies damit, dass intransparente, aufgezwungene Entscheidungen von Erwachsenen in Kindern Trotz entfachen (vgl. Dreikurs et al. 2007, S. 23). Dieser Effekt verstärkt sich, wenn aus Kindern Jugendliche werden. „Die Rebellion gegen die Autorität einigt alle jungen Menschen gegen die Gesellschaft der Erwachsenen“ schreiben Dreikurs et al. (2007, S. 194) und gehen darin mit Miethling konform, der von den Jugendlichen als „getreuen Rebellen“ spricht, die sich durch Störung und Anpassung langsam aber nicht vollständig der älteren Generation angleichen (vgl. Miethling, 1993, S. 15). Ihre „körperlichen Suchbewegungen“ dienen laut Miethling (1993, S. 16) „der Selbstdarstellung, Selbsterfahrung und Selbstvergewisserung“, um den eigenen Platz und die eigene Identität in der Gesellschaft zu finden.
Im Zuge dieser Suchbewegungen werden Regeln verletzt und Grenzen ausgetestet. Dieses „Probehandeln“, wie es Tymister nennt, ist wichtig für die Entwicklung der jungen Menschen zu Erwachsenen (vgl. Tymister, 2002, S. 84). Dennoch müssen ihnen ihre Verfehlungen aufgezeigt werden und auf die Einhaltung der Grenzen muss bestanden werden, damit klar wird, dass es sich um verbindliche Regeln handelt.
Gerade im Sportunterricht können Jugendliche ihre körperlichen Suchbewegungen ausleben, da sie hier mit ihrem Körper agieren. Sie erfahren im Sport ihre Kraft, können sich mit anderen messen und sich so einschätzen lernen. Doch auch hier können Kinder und Jugendliche über Grenzen hinausschießen, wenn Regeln im Spiel oder Kampf unbewusst oder mit Absicht verletzt werden. Greift der Lehrer oder der Schiedsrichter bei derartigen Vorfällen nicht konsequent ein, sondern duldet machtlos den Verstoß, lernen die Schüler, dass Regelbrüche keine Konsequenzen haben. „Dem Kind wird unbewusst das Erleben der Überlegenheit über Erwachsene zum bevorzugten Motiv seines Handelns (vgl. Tymister, 2001, S. 84).
Auch der Lehrer selbst kann die Ursache für einen Machtkonflikt liefern. Miethling (1993, S. 14) schreibt, dass die „Person und [der] Lehrstil störungsförderlich oder -hinderlich wirken.“ Nach Charles (1996, S. 85) kann ein autokratischer Lehrstil Konflikte heraufbeschwören. Dies liegt daran, dass autoritäre Lehrer ein besonders starkes Bedürfnis haben ihre Machtposition deutlich zu machen, indem sie erwarten, dass ihren Anweisungen ohne Erläuterungen gefolgt wird. Regelverletzungen werden von ihnen mit sehr strengen Konsequenzen geahndet. Wie bereits erwähnt, weckt derartiges Verhalten den Widerstand von Kindern, insbesondere von Jugendlichen (vgl. Dreikurs et al. 2007, S. 73). Doch nicht nur autokratische Verhaltensweisen können zu Konflikten führen. Lehrer haben die schwierige Aufgabe, ihren geplanten, durchstrukturierten Unterricht, mit dem sie vielfach multiple Ziele verfolgen, der aktuellen Situation im Klassenraum anzupassen. Während sie also auf der einen Seite versuchen ihre Ziele zu verfolgen, müssen sie gleichzeitig die Stimmung in der Sporthalle, bzw. im Klassenraum, analysieren, potenzielle Störungen vorhersehen und möglichst frühzeitig intervenieren. Diese höchst komplexe Aufgabe führt dazu, dass dem Lehrer nicht immer die nötige Zeit bleibt, um Entscheidungen über sein weiteres Vorgehen abzuwägen. Miethling spricht hierbei vom „Handeln unter Druck“ (1993, S. 18f.), welches in den Phasen der „Orientierung und des Abwartens“, der „innere[n] und äußere[n] Eskalation“ und der Phase der „aggressiv[…]-disziplinierenden oder resignativ-tolerierenden Auseinandersetzung“ (Miethling, 1993, S.18f.) abläuft. Das Modell besagt, dass sich der Lehrer bei einer auftretenden Störung zunächst selbst beruhigt und mit Vertröstungsprozessen versucht seinen Unterricht unbeirrt fortzuführen, in der Hoffnung, dass die Störung sich von selbst auflöst. Ist dies nicht der Fall, kann es zur Eskalation kommen. Wenn der Lehrer den Störer streng maßregelt, ihn gar anschreit, kann dies laut Miethling (1993, S. 18f.) im Nachhinein zu Zweifeln und verletzten Gefühlen beim Lehrer führen.
Aber auch wenn der Lehrer versucht frühzeitig seinen Unterricht an aktuelle Situationen anzupassen, kann dies zu Konflikten führen. „Problemlösungen [die] Probleme erzeugen“ (Miethling, 1993, S. 21) werden nach Miethling „Unterrichts-Fallen“ genannt. Lässt die Beteiligung einiger weniger Schüler zu wünschen übrig und versucht der Lehrer gerade diese Wenigen in den Unterricht zu integrieren, kann er den Unmut derer auf sich ziehen, die sich gerne beteiligen würden, nun aber vernachlässigt werden. Diese könnten sich dann frustriert Nebenbeschäftigungen zuwenden, die den Unterricht wiederum stören. Miethling spricht hier von dem „Beteiligungsproblem“. Ebenso kann beim „Anforderungsproblem“ eine zu leicht gestellte Aufgabe Langeweile erzeugen, welche wiederum zu Nebenbeschäftigungen führen kann (vgl. Miethling, 1993, S. 21). Weiterhin führt Miethling das „Mitbestimmungsproblem“ auf, bei dem die Balance zwischen Selbst- und Fremdbestimmung zum Problem werden kann, das „Anschauungsproblem“, bei dem den Schülern z.B. der Gesamteindruck einer Bewegung durch das Üben von Teilbewegungen verlorengeht und sie daher keinen Sinn mehr in der Aufgabe erkennen, sowie das „Steuerungsproblem“, bei dem die unflexible Unterrichtsplanung des Lehrers zum Störpotenzial wird (vgl. Miethling, 1993, S. 21f.)
Es zeigt sich, dass diese komplexe und höchst anspruchsvolle Aufgabe Lehrer leicht und auf verschiedene Weise überfordern kann. Aus einer derartigen Überforderung kann eine Störung und somit auch ein Konflikt entstehen. Was nach einer Störung von Schülerseite her aussieht, kann seinen Ursprung im Lehrerhandeln haben. So schreibt Scherler (2004, S. 144-145): „Undiszipliniertes Verhalten von Schülern ist häufig nur Ausdruck fehlender Passung von Inhaltspräsentation und Bedingungsorganisation.“ Doch die wahre Ursache bei sich zu erkennen ist weit schwieriger, als sie beim Schüler zu entdecken. Dies hängt damit zusammen, dass es einfacher ist, „die Ursachen eines Problems nicht bei sich selbst, sondern beim anderen zu suchen und dort zu entdecken […]“ (Messmer, 2003, S. 235) da man diese leichter beobachten kann. Außerdem ist es für das eigene Selbstbild angenehmer, wenn es sich keine Fehler einzugestehen hat. Der Schüler wiederum fühlt sich durch die Maßregelung des Lehrers angegriffen, da er sich eigentlich in der Opferrolle wähnt.
Hier kommt die letzte der vier Kategorien, die „Interaktion“ ins Spiel. Sie kann nicht nur einen Konflikt auslösen, sondern ihn auch weiter forcieren und durch Eskalation zu einem Machtkonflikt entwickeln. In der Interaktion zwischen Lehrern und Schülern kann es immer wieder – wie im übrigen Leben auch – zu Missverständnissen kommen. Diese können eine Störung verursachen. Sind die Angaben des Lehrers über den Aufbau von Geräten zu wage oder haben die Schüler sie schlicht falsch verstanden, kann sich daraus ein Problem ergeben. Führt der Lehrer das Verhalten seiner Schüler nicht auf ein Missverständnis zurück, sondern unterstellt ihnen intentional gehandelt zu haben, kann dies zu einem Konflikt führen. Ist dieser erst einmal gegeben, kann er durch konfrontative Interaktion weiter eskalieren. Grewe (2002, S. 56) schreibt: „Eine schrittweise Eskalation der Sanktionen durch die Lehrkraft gehört zu den am häufigsten gewählten Interventionen und ist in vielen Fällen erfolgreich.“ Nachteilig ist für den Lehrer hierbei, dass eine schrittweise Sanktion beinhaltet, dass der Schüler weiterhin stört bis die Sanktion drastisch genug ist, um dies zu unterbinden. Dieser Prozess ist nicht nur nervenaufreibend, sondern auch zeitintensiv. Beide Beteiligte sind zu diesem Zeitpunkt bereits emotional sehr aufgebracht und erregt. Dies kommt unter anderem dadurch zustande, dass
im Konflikt […] mehr und mehr eine Beeinträchtigung der sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit auf[tritt], wodurch die am Konflikt beteiligten Personen zu unterschiedlichen Bildern der Wirklichkeit kommen. Jede Person meint aber, dass ihr Bild das richtige sei und dass die andere Partei die Wirklichkeit verfälsche. (Glasl, 2008, S. 25)
Da auch der Lehrer ab einem gewissen Zeitpunkt durch seine Emotionen bestimmt wird, ist eine bewusste Steuerung des Konfliktverlaufes auf beiden Seiten nicht mehr möglich. Dazu trägt verstärkend bei, dass – wie Grewe schreibt – die nonverbale Kommunikation, welche ein Vielfaches der verbalen Verständigung vermittelt, den Konflikt zusätzlich anheizt (vgl. Grewe, 2002, S. 56). Eine derartige Situation vor einer Klasse auszutragen ist für beide Seiten von Nachteil (siehe Kapitel 2.1.3.). Daher, und um eine schnelle Fortsetzung des Unterrichts zu ermöglichen, wandeln Lehrer Win-Win-Situationen wie einen Sachkonflikt, der für beide Seiten noch positive Kompromisse ergeben könnte aber zeitaufwändig ist, oft vorschnell in Win-Lose Konflikte. Ab dem Zeitpunkt, in dem die Win-Lose Situation eintritt, ist nach Messmer (2003, S. 287) ein Machtkonflikt gegeben, da hier lediglich Gewinn oder Niederlage möglich sind. In dieser Situation geht es dem Lehrer nicht mehr um die Argumente, die der Schüler vielleicht vorbringen könnte, sondern es geht ihm darum seinen Unterricht fortzusetzen. „Eine starke Reaktion, die die Win-Win-Phase schnell überspringt und in der Win-Lose-Phase deutlich macht, wer der Sieger im Konflikt bleibt, beendet in den meisten Fällen die Störung und ermöglicht eine zügige Fortsetzung des Unterrichts“ (Grewe, 2002, S. 57). Daher kann gesagt werden, dass im Schulalltag der Sachkonflikt vermutlich oft übersprungen wird zu Gunsten der übrigen Lerngruppe und des fortlaufenden Unterrichts. Aus derartigen Machtkonflikten gehen, laut Grewe, die Lehrer überwiegend als Sieger hervor (vgl. Grewe, 2002, S. 57).
Es lässt sich zusammenfassen, dass alle Gründe, die zu einer Störung führen, auch als Ursache für einen Machtkonflikt fungieren können, da aus den meisten Störungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Konfliktepisode wird. Dies liegt daran, dass der Lehrer in den meisten Fällen gegen eine Störung intervenieren wird. Die Konfliktepisode wiederum kann sich durch Eskalation in einen Machtkonflikt wandeln, wie es die Tabelle zeigt.
Tab. 1. Beispiel für die Entstehung eines Machtkonfliktes
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.1.3 Folgen für die Beteiligten
Folgen eines Machtkonfliktes können für beide Parteien auftreten. Bei einem Machtkonflikt unter Schülern, also unter gleich starken Akteuren, die nicht voneinander abhängig sind, sind die Folgen anderer Natur als bei einem Lehrer-Schüler-Machtkonflikt. Ein Machtkonflikt unter Kindern kann das Selbstbild des „Verlierers“ schädigen, eine Freundschaft zerstören, zu Mobbing und physischer Gewalt führen. Dies ist der Fall, wenn den Kindern in ihrem Drohsystem die verbalen Mittel ausgehen. „Gewalt ist ein Substitut für verbale Kommunikation im Konflikt und so gesehen eine Fortführung mit anderen Mitteln“ (Messmer, 2003, S. 267). Daraus lässt sich ableiten, dass sozial niedrigere Schichten, die einen begrenzteren Wortschatz haben, frühzeitiger zu physischer Gewalt übergehen, während Kinder mit höherem Intellekt länger auf der verbalen Ebene bleiben können.
Manche Kinder sind in der Lage derartige Konflikte entweder zu lösen oder aber dem Kontrahenten aus dem Weg zu gehen. Ist ihnen dies nicht möglich, muss ein Erwachsener eingreifen, um den Streit zu schlichten. Fraglich ist jedoch, ob im Schulalltag die Lehrer von derartigen Machtkämpfen unter Schülern genug mitbekommen, um die eigentlichen Ursachen zu erkennen.
Bei einem Machtkonflikt zwischen einem Lehrer und seinem Schüler sehen die Folgen zum Teil anders aus. Greift der Lehrer zu Drohungen, um zum einen seine Machtposition deutlich zu machen, zum anderen den Unterrichtsverlauf schnell wieder aufnehmen zu können, nimmt er damit einige Risiken und Nachteile in Kauf. Sollte der Schüler sich nicht beugen, muss der Lehrer seine Drohung wahr machen. Reicht die Sanktion nicht aus, um den Schüler zur Raison zu bringen, müssen schwerwiegendere Sanktionen folgen, d.h. die Situation sowie die Maßnahmen eskalieren weiter. Der Lehrer verfügt über eine Reihe von Machtinstrumenten (siehe Kap. 2.1.1 S. 3). Einige können die Karriere des Schülers stark beeinflussen und werden daher üblicherweise nicht als Erziehungsmittel verwendet. Setzt der Lehrer seine erste Sanktion jedoch schon hoch an, könnte er genötigt werden – sollte der Schüler weiter stören – auch auf diese Machtinstrumente zurückzugreifen. Dies kann für den Schüler schwerwiegende Folgen haben und auch der Lehrer wird vor sich verantworten müssen, dass er dem jungen Menschen möglicherweise seine Zukunft erschwert hat.
Da aber der Lehrer im hierarchischen Verhältnis höher steht als der Schüler, ist ein verlorener Machtkonflikt für ihn gleichzeitig eine Machteinbuße und ein Signal an den Rest der Klasse. „Jeder Rückzug schädigt sein Ansehen und Machtpotential, jede Umsetzung der Drohung hingegen schmälert die erhofften Gewinne“ (Messmer, 2003, S. 240). Verliert der Lehrer den Machtkonflikt, scheuen auch die übrigen Schüler die Konfrontation weniger. Dadurch wird zukünftig der Unterricht störungsanfälliger (vgl. Tymister, 2002, S. 84). Zudem kann es durch einen derartigen Vorfall vorkommen, dass die Schüler ihre Macht gegen den Lehrer einsetzen (siehe Kap. 2.1.1, S. 4).
Schüler können sowohl positive als auch negative Etiketten zuschreiben. Kategorisieren Schüler einen Lehrer als autoritär, als ‚Weichei‘, Alkoholiker oder ‚Schlächter‘, kann dieser Ruf zur Festschreibung, Stigmatisierung und Diskriminierung führen. (Plaßmann, 2003, S. 259)
Seinen Ruf hat ein Lehrer nicht nur in einer bestimmten Klasse, sondern an der ganzen Schule. So kann ein verlorener Machtkonflikt sich auch auf den Unterricht in anderen Klassen auswirken. Ein Lehrer, der dies vor Augen hat, wird bemüht sein, keinen Machtkonflikt zu verlieren und notfalls auch zu harten Sanktionen greifen. „Die steigende Erregung der Lehrkraft macht dabei überlegte Reaktionen schwieriger“ schreibt Grewe (2002, S. 57). Die Aufregung und emotionale Beteiligung am Konflikt basiert auf der Tatsache, dass der Konflikt, sobald er die Ebene des Beziehungskonfliktes erreicht hat – also bereits eine Stufe vor dem Machtkonflikt – gekränkte Gefühle bei den Akteuren hervorruft. Auch der Lehrer fühlt, dass sein Selbstbild Schaden nimmt, wenn er seinen Machtanspruch vor dem Schüler nicht behaupten kann.
Der Schüler findet sich, wenn der Lehrer als Drohsteller auftritt, in der Rolle des Bedrohten wieder. „Jede Drohung impliziert für die Betroffenen eine signifikante Einschränkung bzw. die Aberkennung ihrer Selbstbestimmungsmöglichkeiten und wird auf Grund dessen schon im Vorgriff als Sanktionierung erlebt“ (Messmer, 2003, S. 241). Zumeist bleibt es auch nicht bei der Androhung der Sanktion, sondern der Lehrer setzt diese aus dem Bestreben konsequent zu sein auch um. Im Trotz und der Dynamik des Konflikts gefangen, merken die Kinder und Jugendlichen meist erst im Nachhinein, was die Sanktionen für sie bedeuten, wenn es bereits zu spät ist. In schwerwiegenden Fällen kann es sich um eine schlechte Note handeln, die sogar Auswirkungen auf die weitere Laufbahn haben kann.
Der Schüler muss zwar nicht um seinen Platz in der Hierarchie Lehrer-Schüler fürchten, da er ohnehin das untere Glied bildet, jedoch um sein Ansehen im Klassenverband. Auch sein Selbstbild kann Schaden nehmen und eine Demütigung vor Publikum verschlimmert die Niederlage. Grewe (2002, S. 57) warnt, dass „die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die vor der Klasse bloßgestellten Schüler/innen ihre Selbstachtung durch Kompensationshandlungen an anderer Stelle wieder herstellen (z.B. in der Pause).“
Auf Grund der negativen Folgen auf einer oder beiden Seiten leidet auch die Beziehung unter dem Machtkonflikt. Nach Messmer ist der Gebrauch der Drohung ein Anzeichen sozialer Geringschätzung (Messmer, 2003, S. 288). Dies begründet er damit, dass der Drohsteller den Bedrohten lediglich als Hindernis empfindet, welches ihm erschwert seine Interessen durchzusetzen. Auf diese Weise wird die soziale Beziehung zwischen Lehrer und Schüler „auf einen einzigen negativen Aspekt hin zugespitzt […]“ (Messmer, 2003, S.225), worunter diese leidet. Eine geschädigte Beziehung kann wiederum, laut Grewe, jegliche weitere „erzieherische Einflussnahme auch bei Lernproblemen auf diesen Schüler verringer[n]“ (Grewe, 2002, S. 57).
Es zeigt sich, dass die Folgen für beide Seiten ausgesprochen dramatisch ausfallen können.
2.1.4 Vorschläge zur Prävention und Bewältigung
Die beste Taktik ist sich nicht auf Machtkonflikte einzulassen, schreibt Charles (1996, S. 93). Um Störungen, die zu derartigen Konflikten führen können, im Vorfeld zu verhindern, schlägt Lohmann eine Reihe von proaktiven Strategien[4]vor. Er erläutert, wie wichtig das professionelle Auftreten des Lehrers ist, welches sich nicht nur durch Fachwissen auszeichnet, sondern auch durch angemessene Kleidung, eine aufrechte und präsente Körperhaltung sowie eine gute Ausdrucksweise (vgl. Lohmann, 2003, S. 94 ff.). Im Sportunterricht bedeutet dies für den Lehrer ebenfalls Sportkleidung zu tragen, um mit gutem Beispiel voranzugehen (vgl. Sieland, 2002, S. 52).
Um eine Beziehung zu den Schülern aufzubauen, schlägt Lohmann vor, Interesse für die Hobbies der Kinder und Jugendlichen zu zeigen und auch mal einen Witz zu erzählen. Generell hält er Humor für einen wesentlichen Faktor, um die Gunst der Schüler zu erlangen. Auf diese Weise soll, nach Lohmann, ein gutes Klassenklima aufgebaut werden, welches das Störpotential bereits im Vorfeld verringert (vgl. Lohmann, 2003, S. 112 ff.). Weiterhin sehen seine proaktiven Strategien die Einführung von Routinen und Prozeduren vor, in denen die Kinder Halt finden können, weil sie ihnen vertraut sind. Mit der Klasse sollen Regeln abgesprochen werden und die Klasse soll selbst für Fehlverhalten die Konsequenzen bestimmen (vgl. Lohmann, 2003, S. 119 ff., 126 f.).
Dieses Reglement findet sich auch bei anderen Autoren. So schreibt Charles, dass der Vorteil dieses Vorgehens darin besteht, dass die Schüler im Vorhinein wissen, welche Konsequenzen auf sie zukommen, wenn sie sich entscheiden zu stören, da sie die Regeln selbst mit formuliert haben (vgl. Charles, 1996, S. 97). Auf diese Weise haben sowohl Regeln als auch Konsequenzen mehr Verbindlichkeit für die ganze Klasse. Durch diese proaktiven Strategien sind bereits gute Vorbedingungen für ein angenehmes Lernen miteinander geschaffen. Weiterhin ist wichtig, dass auch der Unterrichtsinhalt und die Organisation des Unterrichts professionell strukturiert und für die Klasse angemessen sind (vgl. Bräutigam, 2003, S. 145). Narr (2002, S. 128f.) schreibt, dass der Lehrer eine Bandbreite an Kompetenzen in sich vereinen muss, zu denen das Organisieren zählt und auch die Fähigkeit der Klasse das Gefühl des Vorwärtskommens zu vermitteln. Wenn die Schüler einen Sinn im Unterricht erkennen können und ihnen das Vorgehen des Lehrers transparent gemacht wird, ist wiederum das Störpotential geringer.
Unter den reaktiven Strategien fasst Lohmann (2003, S. 151) die Intervention und die Problemlösung zusammen. Zur Intervention zählt seiner Ansicht nach das Vermeiden negativer Emotionen, Aussagen in Ich-Botschaften zu formulieren (z.B. „Mich stört dein Verhalten.“), dem Störer Rückmeldung über die Auswirkung seines Verhaltens zu geben sowie eine vierstufige Eskalationsleiter (vgl. Lohmann, 2003, S. 159). Nach dieser soll dem Störer zuerst ein nonverbaler Hinweis gegeben werden, dass er eine Grenze überschritten hat. So könnte der Lehrer z.B. Augenkontakt zu ihm aufnehmen oder sich in seine Nähe begeben, ohne auf sein Verhalten verbal einzugehen. Dieses Vorgehen ist daher geeignet, weil es die Störung nicht sofort zum Zentrum des Interesses macht. Entscheidet sich der Schüler wieder am Unterricht teilzunehmen, ist er nicht vor seinen Klassenkameraden gemaßregelt worden.
Genügt der nonverbale Hinweis nicht, soll der Lehrer als Nächstes eine verbale Rückmeldung geben (vgl. Lohmann, 2003, S. 159). Hierbei darf keine allgemeine adressatenlose Aussage gemacht werden (z.B. „Seid bitte ruhig.“), sondern der Schüler muss namentlich angesprochen werden (z.B. „XY sei bitte ruhig.“). Effektiv ist auch, den Störer aufzufordern, mit seiner Aufgabe fortzufahren (z.B. „XY übe bitte weiter das Pritschen.“). Es ist wichtig, dem Schüler konkrete Aufträge in kurzen Sätzen zu erteilen, die er nicht falsch verstehen kann. Sollte das Kind dennoch weiter stören, folgt nach Lohmann (2003, S. 159) der nächste Schritt der Eskalationsleiter. Dem Schüler werden die drei Fragen „Was tust du? Wie heißt die Regel? Wofür entscheidest du dich?“ gestellt. Der Störer wird also explizit auf sein Fehlverhalten aufmerksam gemacht. Ihm wird vor Augen geführt, dass er gegen eine der Regeln verstößt, die er mit aufgestellt hat. Er kennt die Konsequenzen und weiß, was auf ihn zukommt, sollte er sich dafür entscheiden weiter zu stören. Dem Kind wird also bewusst die Entscheidung selbst überlassen.
Ist der Störer nach diesem Schritt immer noch nicht einsichtig, wird er mit einem Aufgabenplan zu einer Auszeit geschickt (vgl. Lohmann, 2003, S. 159). Hierfür existieren verschiedene Modelle. Im Trainingsraummodell gibt es speziell für derartige Fälle einen Raum mit einer Aufsichtsperson, die den Aufgabenplan, welcher sich noch einmal mit dem Störverhalten des Schülers beschäftigt, mit dem Kind durchgehen kann und es beaufsichtigt. Steht dem Lehrer kein Trainingsraum zur Verfügung, kann er den Schüler zu seiner Auszeit in einen abgetrennten Teil des Klassenraumes schicken oder im Falle der Sporthalle auf die Bank oder in einen separaten Raum. Hier ergibt sich natürlich wieder ein Aufsichtsproblem, wenn dieser Raum für den Lehrer nicht einsichtig ist. Sollten sich derartige Vorfälle häufen, führt der Lehrer mit dem Schüler ein Problemlösungsgespräch, in dem mit dem Schüler zusammen nach den Ursachen gesucht wird sowie nach Lösungsvorschlägen, die für beide Seiten akzeptabel sind. Man einigt sich auf einen Plan, den der Schüler versucht einzuhalten (vgl. Lohmann, 2003, S. 187 f.). Sieland weist darauf hin, dass Schüler viel von Vorbildern lernen. Er plädiert daher dafür, als Kollegium geschlossen aufzutreten, eine gemeinsame Botschaft vorzuleben und sich auch in Maßnahmen bei Problemsituationen abzusprechen (vgl. Sieland, 2002, S. 53). Wenden alle Lehrer dieselben logischen Konsequenzen[5]bei Fehlverhalten an, so fällt es den Kindern leichter sich darauf einzustellen.
Charles (1996, S. 93 f.) und Dreikurs et al. (2007, S. 42) geben auch Tipps, wie sich Lehrer verhalten sollten, die von Kindern provoziert werden. Laut ihnen sollten die Lehrer sich auf keinen Fall auf die Provokation einlassen, sondern sich als Autoritätsperson der Situation entziehen. Charles schlägt vor, den Unterricht zu unterbrechen, bis der Schüler bereit ist wieder vernünftig mitzuarbeiten. Er meint, dass der Schüler dadurch Druck von seinen Mitschülern bekommt und keine Möglichkeit mehr hat seine Macht gegen die des Lehrers auszutesten (vgl. Charles, 1996, S. 93). Dreikurs et al. (2007, S. 42) schreiben: „Der Lehrer kann sich geschlagen geben [und seine ‚Machtlosigkeit‘ eingestehen]. […] Es ergibt keinen Sinn eine Autorität herauszufordern, die sich nicht herausgefordert fühlt.“ Weiterhin gehen sie mit Lohmann konform, indem sie vorschlagen, den Schüler an Gruppengespräche zu erinnern, in denen die Klassenregeln abgestimmt wurden. Als andere Möglichkeit geben sie an „die Segel des Lehrers aus dem Wind des Kindes“ (Dreikurs et al., 2007, S. 43) zu nehmen, indem sie dem Lehrer raten genau das Gegenteil von dem zu tun, was er impulsiv am ehesten machen würde. Der auf diese Weise entstandene Überraschungseffekt kann einen Machtkonflikt vereiteln.
Von logischen Konsequenzen halten Dreikurs et al. im Kontext von Machtkonflikten nicht viel, da sie der Ansicht sind, dass für den Erfolg derartiger Maßnahmen ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Lehrer und dem Schüler bestehen muss, welches aber durch den Machtkonflikt geschädigt sei (vgl. Dreikurs et al., 2007, S. 43). Außerdem plädieren sie dafür positives Verhalten von Schülern, die dazu tendieren Machtkonflikte anzuzetteln, durch Lob zu verstärken, um so dieses regelkonforme Verhalten zu festigen (vgl. Dreikurs et al., 2007, S. 42).
2.2 Empirie
Es gibt bisher keine Studien zu Machtkonflikten im Sportunterricht. Auch in anderen Fächern ist das Phänomen noch nicht explizit erforscht worden. An dieser Stelle können aber vier Studien vorgestellt werden, die sich am Rande mit dem Thema dieser Arbeit beschäftigen. Aus ihnen können erste vorsichtige Schlüsse gezogen werden.
Die erste Studie, die hier dargestellt werden soll, ist von Dann und Humpert aus dem Jahr 1987. Sie beschäftigt sich mit der „Handlungswirksamkeit subjektiver Theorien[6]von Lehrern in aggressionshaltigen Unterrichtssituationen“ (Dann & Humpert, 1987, S. 40). Die Untersuchung fand mit 21 Hauptschullehrern aus Baden-Württemberg statt, welche berichteten, Probleme mit aggressivem Schülerverhalten zu haben (vgl. Dann & Humpert, 1987, S. 42). Den Forschern erschien es angemessen mit doppelten Datensätzen zu arbeiten. Daher setzten sie sowohl Selbstberichte der Handelnden ein als auch systematische Fremdbeobachtung (vgl. Dann & Humpert, 1987, S. 41).
Untersucht wurden das subjektiv-theoretische Handlungswissen der Lehrer sowie ihr tatsächliches Handeln. Dann & Humpert bildeten Aggressionskategorien, welche jeweils mit einem Motiv gekoppelt wurden, welches sich die Lehrer für das Schülerhandeln vorstellen konnten. Angegeben wurden hierbei Rache, Verteidigung und Dominanz (vgl. Dann & Humpert, 1987, S. 42). Die Lehrer wurden befragt, „welche Maßnahmen in solchen Situationen zur Erreichung der […] Ziele führen“ (Dann & Humpert, 1987, S. 43). Die Untersuchung ergab, dass in aggressionshaltigen Situationen die Lehrer verstärkt neutrale Maßnahmen[7]anwenden, am zweithäufigsten jedoch zu punitiven Maßnahmen[8]greifen. Abschließend stellten die Forscher fest, dass entsprechend ihrer Hypothesen eine
[…] Konsistenz zwischen Herstellungswissen und Handeln [nachgewiesen werden konnte, welche aber] allenfalls als ein Hinweis darauf angesehen werden [kann], daß subjektiv-theoretisches Wissen bei der Handlungssteuerung eine bedeutsame Rolle spielt. Zu berücksichtigen ist auch, daß sicher nicht in jedem einzelnen Fall – nicht bei allen Lehrern und nicht bei jeder Handlung – Konsistenz zwischen subjektiv-theoretischem Herstellungswissen und Handeln besteht. (Dann & Humpert, 1987, S. 48)
Die Probanden haben unter anderem das Motiv „Dominanz“, also „Macht ausüben“, für aggressives Schülerverhalten angeführt. Dies deutet darauf hin, dass hier auch Machtkonflikte unter den berichteten Fällen waren. Die Forschung von Dann und Humpert hat ergeben, dass die Lehrer häufig mit punitiven Maßnahmen auf aggressives Schülerverhalten reagieren. Da unter die punitiven Maßnahmen auch Drohen fällt, lassen sich die Probanden also auf die Provokation der Schüler ein. Aus dieser Studie können zwar keine Angaben darüber gemacht werden, wie häufig dies geschieht, aber die Forschungsarbeit belegt, dass Machtkonflikte zum Schulalltag gehören.
[...]
[1]Um den Textfluss nicht zu unterbrechen, wird im Folgenden bei Personen sowie Berufsbezeichnungen die maskuline Form verwendet. Gemeint sind jeweils beide Geschlechter. Lediglich im empirischen Teil wird teilweise differenziert, um Unterschiede in der Untersuchung deutlich zu machen.
[2]„In solchen Machtkämpfen geht es darum, wer im Unterricht das Sagen hat und seine Interessen durchsetzen kann. Sie bestehen aus Angriff und Verteidigung, finden verdeckt statt oder offen, werden von einzelnen Schülern geführt oder von der ganzen Klasse.“ (Scherler, 2000, S. 13)
[3]Eine Störung kann als Vorläufer einer Konfliktepisode verstanden werden. Der Schüler drückt durch nicht-regelkonformes Verhalten Widerstand gegen die Ziele und/oder Methoden des Lehrers aus. Beharrt der Lehrer auf seinen Ansichten, ist nach Messmer eine Konfliktepisode gegeben (vgl. Messmer, 2003, S. 281). Je nach Persistenz der Störung kann aus der Konfliktepisode auch ein Sach- bzw. ein Beziehungs- oder Machtkonflikt werden.
[4]Lohmann versteht hierunter „Prävention und Unterstützung“ (Lohmann, 2003, S. 93)
[5]Logische Konsequenzensind nach Sieland Ergebnisse oder Maßnahmen, die sich aus dem Fehlverhalten des Schülers ergeben. Sie bauen logisch auf seinem Verhalten auf. Macht ein Schüler z.B. Unsinn an Turngeräten, muss er zu seiner eigenen Sicherheit und der anderer Schüler von dieser Übung ausgeschlossen werden. Logische Konsequenzen sind zu unterscheiden vonStrafen,bei denen sich der Lehrer, laut Sieland, für das Fehlverhalten des Schülers rächt und dadurch zeigt, dass er hierarchisch höher steht (vgl. Sieland, 1996, S. 97).
[6]„Als gegenwärtig relativ weithin anerkannte Arbeitsdefinition kann gelten, daß subjektive Theorien – in Abhebung von isolierten Wissenselementen – mentale Repräsentationen der Selbst- und Weltsicht mit zumindest impliziter Argumentationsstruktur darstellen“ (Dann & Humpert, 1987, S. 40)
[7]Unterneutralen Maßnahmenfassen Dann & Humpert (1987, S. 43) Ignorieren, Abbrechen und Mahnen zusammen.
[8]Unterpunitiven Maßnahmenverstehen Dann & Humpert (1987, S. 43) Drohen, Bestrafen und Herabsetzen.
- Arbeit zitieren
- Dörte Schabsky (Autor:in), 2009, Machtkonflikt im Sportunterricht. Und was dann?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/207990
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