1 Gegenstand, methodisches Vorgehen und Zielsetzung der Arbeit 1
2 Sozialisation im Jugendalter und Mediensozialisation 4
2.1 Sozialisation im Jugendalter 4
2.2 Mediensozialisation von Jugendlichen 7
3 Traditionelle und aktuelle Identitätsforschung 11
3.1 Einführung in die Identitätsforschung 12
3.2 Traditionelle Identitätsforschung – das Stufenmodell der
psychosozialen Entwicklung nach Erikson 16
3.3 Aktuelle Identitätsforschung – Aktuelle Identitätsforschung – das Patchwork-Modell nach Heiner Keupp 21
4 Soziale Netzwerke 26
5 Chancen virtueller Identitätskonstruktionen von Jugendlichen in sozialen Netzwerken 30
5.1 Identitätsrelevante Prozesse und Motive in sozialen Netzwerken am Beispiel von Facebook 37
5.2 Risiken jugendnaher sozialer Netzwerke am Beispiel von Facebook 46
6 Resümee und Relevanz für die Pädagogik 48
Quellen- und Literaturverzeichnis III
Digitale Technologien haben unsere Gesellschaft von Grund auf verändert. Wissens- und Informationsverteilung über das Web 2.0 sind nicht mehr futuristisch und insbesondere die Generation der unter 30-Jährigen ist zu einer digitalen, allzeit und allerorts vernetzten Online-Community geworden. Die Folgen des sich rasant entwickelnden technologischen Fortschritts und die damit einhergehenden Veränderungen im Medienkonsum von Jugendlichen machen es für die heutige Medienpädagogik unumgänglich, sich mit dem Thema intensiv auseinanderzusetzen.
Der Aufenthalt in Social Networks ist für Jugendliche in vielerlei Hinsicht identitätsprägend. Im Text wird analysiert, welche Chancen soziale Netzwerke in Bezug auf jugendliche Identitätskonstruktionen bieten und anhand welcher Funktionalitäten Jugendliche auf Facebook ihre Identität entwickeln und darstellen können. Auch wird die Frage beantwortet, ob die virtuelle Identitätsarbeit Einfluss auf das Selbstbild der Jugendlichen in der realen Welt hat, und ebenso, ob an dieser Stelle überhaupt noch eine Differenzierung notwendig ist.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Gegenstand, methodisches Vorgehen und Zielsetzung der Arbeit
2 Sozialisation im Jugendalter und Mediensozialisation
2.1 Sozialisation im Jugendalter
2.2 Mediensozialisation von Jugendlichen
3 Traditionelle und aktuelle Identitätsforschung
3.1 Einführung in die Identitätsforschung
3.2 Traditionelle Identitätsforschung – das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung nach Erikson
3.3 Aktuelle Identitätsforschung – das Patchwork-Modell nach Heiner Keupp
4 Soziale Netzwerke
5 Chancen virtueller Identitätskonstruktionen von Jugendlichen in sozialen Netzwerken
5.1 Identitätsrelevante Prozesse und Motive in sozialen Netzwerken am Beispiel von Facebook
5.2 Risiken jugendnaher sozialer Netzwerke am Beispiel von Facebook
6 Resümee und Relevanz für die Pädagogik
Quellen- und Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Geräteausstattung im Haushalt 2011, Medienpädagogischer Forschungsbund Südwest (mpfs) (Hrsg.) (2011): JIM 2011. Jugend, Information, (Multi-) Media, Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart. In: http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf11/JIM2011.pdf, S. 5.,
[Letzter Zugriff: 06.08.2012]
Abbildung 2:
Entwicklungsmodell nach Erikson, Vgl. ERIKSON, Erik H. (1966): Identität und Lebenszyklus. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am
Main
Abbildung 3:
Geschlechts- und Altersverteilung auf Facebook im April 2012, Allfacebook.de, http://www.allfacebook.de/userdata/deutschland?period=1month,
[Letzter Zugriff: 05.07.2012]
Abbildung 4:
Die Facebook Chronik, http://ausgetrock.net/de/blog/nico/facebook-chronik-hack-vorlage-update, [Letzter Zugriff: 08.08.2012]
1 Gegenstand, methodisches Vorgehen und Zielsetzung der Arbeit
”A really big discontinuity has taken place. One might even call it a “singularity” – an event which changes things so fundamentally that there is absolutely no going back. This so-called “singularity” is the arrival and rapid dissemination of digital technology in the last decades of the 20th century.”[1]
Marc Prensky „Digital Natives, Digital Immigrants“ 2001
Wie das vorangestellte Zitat zur Einführung in das Thema veranschaulichen soll, haben digitale Technologien und neue Kommunikationsmöglichkeiten unsere Gesellschaft von Grund auf verändert. Wissens- und Informationsverteilung über das Web 2.0 sind nicht mehr futuristisch und insbesondere die Generation der unter 30-Jährigen ist zu einer digitalen, allzeit und allerorts vernetzten Online-Community geworden.
Die „Digital Natives“[2], ein von Prensky geprägter Begriff, zu Deutsch „digitale Eingeborene“, gehören einer Generation an, die im Zeitalter der digitalen Technologien geboren wurde und mit ihnen aufgewachsen ist.
Digital Natives kennen kein Leben ohne Computer, ohne Mobiltelefon oder ohne Internet. Sie kommunizieren, lernen und arbeiten mit digitalen Medien und sind mit den Funktionsweisen und Chancen der neuen Technologien gut vertraut. Die Digital Natives sind Teil einer digitalen Kultur, und die meisten Facetten ihres Lebens sind digital geprägt.
Digital Natives wachsen in einer global vernetzten Welt auf, in der jeder mit jedem zu jeder Zeit verbunden sein kann. In ihrem Buch „Generation Internet“ legen John Palfrey und Urs Gasser den Geburtsjahrgang 1980 als den ältesten Jahrgang der Digital Natives fest und trennen damit die Digital Natives von den „Digital Immigrants“[3], denen nämlich, die sich digitale Technologien im Laufe ihres Lebens erst aneignen müssen, ohne von Geburt an mit ihnen vertraut zu sein.
Eine bedeutende Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten wächst jedoch ohne das World Wide Web auf. Nach Angaben der IWS hatten im März 2012 nur knapp über 30 % der Weltbevölkerung Zugang zum Internet.[4] Mit den nachfolgenden Theorien und Erläuterungen dieser Arbeit beziehe ich mich auf ebendiese 30 %, denen die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters zugänglich sind.
Das Leben ohne digitale Technologien und elektronische Medien ist in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht mehr vorstellbar. Vor allem für Kinder und Jugendliche erfahren digitale Medien einen enormen Bedeutungszuwachs. Sie werden in der heutigen Zeit vom Tag ihrer Geburt an mit einer hoch technisierten und extrem medialen Welt konfrontiert, in der es sich zurechtzufinden gilt.
Neben der Familie, der Schule und den Gleichaltrigengruppen (Peergroups) haben die Medien im Laufe der letzten Jahrzehnte eine bedeutende Rolle als Sozialisationsinstanz eingenommen.[5] Vor allem das Internet nimmt als Ort der Sozialisation immer mehr Raum im Leben der Jugendlichen ein und gilt mittlerweile als ernst zu nehmende Größe, die die traditionellen Sozialisationsinstanzen ergänzt.[6]
Die Folgen des sich rasant entwickelnden technologischen Fortschritts und die damit einhergehenden Veränderungen im Medienkonsum der Jugendlichen machen es für die heutige Medienpädagogik unumgänglich, sich mit dem Thema intensiv auseinanderzusetzen. Vor allem der Einfluss und die Wirkung des Internets auf die Identitätsentwicklung Jugendlicher werden untersucht. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit gebe ich Einblicke in den aktuellen Forschungsstand.
79 % der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren besitzen einen eigenen Computer und neun von zehn nutzen täglich das Internet.[7] Digital Natives verbringen also einen Großteil ihrer Freizeit online und nehmen keine Trennung zwischen der virtuellen und der realen Welt vor. Das Internet nutzen sie in erster Linie zur Kommunikation.[8] Sie knüpfen dort Freundschaften, halten sich regelmäßig in virtuellen Peergroups auf und verwenden das World Wide Web „[für] symbolische Auseinandersetzung[en] mit Realerfahrungen in ihrer Umwelt und vor allem mit sich selbst“[9].
Kommunikationsorte sind hierbei die sogenannten sozialen Netzwerke, die Social Networks wie studiVZ, myspace oder Facebook. Hier erstellen Jugendliche virtuelle Profile, pflegen und knüpfen Freundschaften, teilen ihren Freunden mit, was sie gerade tun und wo sie sich befinden, oder veröffentlichen (posten) zum Beispiel Fotos ihres letzten Sommerurlaubs.
Der Umgang mit dem Internet und der Aufenthalt in Social Networks sind für Jugendliche in vielerlei Hinsicht identitätsprägend. Er bietet ihnen neben Kommunikation und Information eine Fülle an Rollenbildern und Identitätsschablonen, an denen sich die Jugendlichen orientieren können und in denen sie sich verorten wollen. Das Internet kann Kindern und Jugendlichen einen Bezugs- und Koordinationsrahmen geben, in dem individuelle Identitäten entstehen können.
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist es, den Einfluss und die Wirkung jugendnaher sozialer Netzwerke im Internet auf die Identitätsarbeit Jugendlicher zu beschreiben. Als konkretes Beispiel und zur näheren Erläuterung der Vorgänge ziehe ich die Netzwerkplattform Facebook heran.
Es soll analysiert werden, welche Chancen soziale Netzwerke in Bezug auf jugendliche Identitätskonstruktionen bieten und anhand welcher Methoden und Funktionalitäten Jugendliche auf www.facebook.de ihre Identität entwickeln und darstellen können. Außerdem soll die Frage Beantwortung finden, ob die virtuelle Identitätsarbeit Einfluss auf das Selbstbild der Jugendlichen in der realen Welt hat, und ebenso, ob an dieser Stelle überhaupt noch eine Differenzierung notwendig ist?
Ferner sollen auch die Risiken, die virtuelle soziale Netzwerke in sich bergen, Beachtung finden.
Im folgenden Kapitel dieser Arbeit werde ich als Einführung in das Thema die Begriffe Sozialisation und Mediensozialisation von Jugendlichen näher erläutern. Anschließend gebe ich einen kurzen Einblick in die Identitätsforschung, um im Folgenden zu diskutieren, ob das traditionelle von E. H. Erikson entworfene Identitätskonzept ohne Weiteres auf die heutige Zeit anwendbar ist.
Es schließt sich ein Einblick in die aktuelle Identitätsforschung im Allgemeinen und die Darstellung der Identitätstheorie Heiner Keupps im Besonderen an. Ferner erfolgt die ausführliche Betrachtung der Identitätsentwicklung und Darstellung Jugendlicher in jugendnahen Social Networks, illustriert am Beispiel der Netzwerkplattform Facebook.
Den Abschluss der Arbeit bilden ein Resümee sowie die Relevanz für die pädagogische Praxis.
2 Sozialisation im Jugendalter und Mediensozialisation
Um aufzuzeigen, welche Rolle die Medien heute im Sozialisationsprozess von Jugendlichen spielen, schaffe ich in diesem Kapitel zunächst eine theoretische Grundlage, indem ich die Begriffe Sozialisation und Mediensozialisation von Jugendlichen näher erläutere.
2.1 Sozialisation im Jugendalter
Seit den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts erfahren die Medien zunehmend auch in der Pädagogik eine größere Beachtung. Es wird ihnen erstmals eine Rolle im Sozialisationsprozess von Kindern und Jugendlichen zugeschrieben. Einen bis heute gültigen sozialisationstheoretischen Ansatz formuliert Klaus Hurrelmann. Auf seine Sozialisationstheorie werde ich mich im folgenden Abschnitt beziehen.
Mit dem Begriff Sozialisation beschreibt Klaus Hurrelmann „den Prozess, in dessen Verlauf sich der mit einer biologischen Ausstattung versehene menschliche Organismus zu einer sozial handlungsfähigen Persönlichkeit bildet, die sich über den Lebenslauf hinweg in Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen weiterentwickelt.“[10]
In seinem sozialisationstheoretischen Ansatz untersucht Hurrelmann den Einfluss der Gesellschaft auf die Persönlichkeitsentwicklung. Zentral ist sein Modell „des produktiv Realität verarbeitenden Subjekts“.[11] Die zugrunde liegende Theorie besagt, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen in allen Lebensphasen aus der aktiven Auseinandersetzung mit der „inneren Realität“, also den Bedürfnissen der eigenen Physiologie und Psychologie, und der „äußeren Realität“, also den Ansprüchen, Normen und Regeln der Gesellschaft, bildet.
Klaus Hurrelmann hebt dabei hervor, dass die „lebenslange Aneignung und Auseinandersetzung mit den natürlichen Anlagen“[12] und der individuellen biologischen Ausstattung die Vorstellung klar ausschließt, Sozialisation sei lediglich die Aneignung gesellschaftlich gewünschter Normen und Verhaltensregeln. Er beschreibt die Persönlichkeitsentwicklung als einen aktiven und durchaus produktiven Prozess, in welchem sich der Mensch mit den Anforderungen des eigenen Körpers und der eigenen Psyche aktiv auseinandersetzt und versucht, diese erfolgreich mit den Anforderungen der sozialen Umwelt in Einklang zu bringen.
Dieser Prozess wird von Hurrelmann deshalb als „produktiv“ beschrieben, weil jeder Mensch flexibel und kreativ eine individuelle Form der Sozialisation wählt, die sich aus den jeweiligen spezifischen inneren und äußeren Bedingungen generiert.[13] Hurrelmann arbeitet dabei mit einem Lebensphasenkonzept. Der Mensch hat darin selbstständig und ein Leben lang jeweils altersspezifische Entwicklungsaufgaben zu bearbeiten, in denen es gilt, die Prozesse der Individualisierung und der sozialen Integration in Einklang zu bringen.
Wenn Sozialisation sich nun als ein Prozess beschreiben lässt, der jedem Individuum lebenslange kreative und produktive Entwicklungsarbeit abverlangt, warum scheint dann vor allem die Adoleszenz eine so komplexe Phase des Sozialisationsprozesses darzustellen?
Eine zentrale Entwicklungsaufgabe im Jugendalter ist, nach Hurrelmann, die individuelle Ausbildung einer eigenen Identität ebenso wie die Übernahme der Rolle als sozial integrierter Bürger.[14]
Dass sich nun im Kontext von Jugend und Sozialisation die Identitätsbildung krisenhaft vollzieht, schreibt auch Erik Homburger Erikson.[15] Für den Psychoanalytiker stellt die Adoleszenz eine normative Krise dar, eine im Zyklus des Lebens determinierte „Phase vermehrter Konflikte“.[16] Psychische und physische Veränderungen in der Pubertät stellen neue Herausforderungen an die Jugendlichen, die es zu bewältigen und mit den gesellschaftlichen Anforderungen in Einklang zu bringen gilt. Das Erikson’sche Entwicklungsmodell beschreibt die Bildung der Identität als Thema, das in der Entwicklung eines Menschen zwar stets präsent bleibt, vorrangig jedoch in der Phase der Adoleszenz behandelt wird. Die Jugendlichen durchlaufen von der Geburt an verschiedene Entwicklungsstadien, in denen jeweils die Bewältigung eines bestimmten Themas Vorrang hat. Erikson vertritt die Vorstellung von Neubildung und Erweiterung des Könnens der Jugendlichen auf der Grundlage von Vorangegangenem.[17]
Im Gegensatz zu Erikson bezieht sich Hurrelmann jedoch im Hinblick auf die oben genannte Identitätsbildung nicht auf die Verarbeitung kindlicher Identifikationsmuster und deren neue Verortung in der Gegenwart, sondern auf die „Ergebnisse der Verarbeitung der inneren Realität und [deren] Abstimmung mit den Ergebnissen der Verarbeitung der äußeren Realität“.[18] Diese werden, hier stimmen Erikson und Hurrelmann überein, im Verlauf der Entwicklung bis zur Adoleszenz zunehmend bewusster und für den Jugendlichen verfügbarer. Eben diese Bewusstwerdung der eigenen Bedürfnisse und das Potenzial, sie zu erkennen, sowie die Fähigkeit, sie mit den Anforderungen der Umwelt in Einklang zu bringen, „erreichen erst in der Jugendzeit eine qualitative Stufe“[19]. Dies macht die Komplexität der Jugendphase aus.
Erikson bezeichnet die Jugendzeit darüber hinaus als „entwicklungsförderliches Moratorium“.[20] Es ist eine Zeit zwischen abgeschlossener sozialer Integration und Identitätsbildung sowie jugendlicher Freiheit. Auf die Frage, ob Identitätsbildung jemals als abgeschlossen verstanden werden kann und ob das von Erikson entwickelte Identitätskonzept in Gänze auf die heutigen gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen anwendbar ist, gehe ich an anderer Stelle meiner Arbeit ein.
Rückhalt finden die Jugendlichen in dieser krisenhaften Zeit der Adoleszenz in Gleichaltrigengruppen, den Peergroups. Sie spielen in der Jugendphase eine wichtige Rolle, denn sie avancieren in dieser Zeit zur bedeutendsten Sozialisationsinstanz. Sie bieten Rückhalt in der Ablösung vom Elternhaus und Raum für freies Experimentieren ohne erzieherische Konsequenzen.[21]
2.2 Mediensozialisation von Jugendlichen
Fritz, Sting und Vollbrecht bezeichnen Sozialisation als „jene dialektische Beziehungen zwischen Persönlichkeitsentwicklung und gesellschaftlich vermittelter sozialer Umwelt, die nicht an pädagogische Absichten und Dialektiken geknüpft sind“.[22] Moderne Kommunikations- und Informationsmedien haben sich in diesem pädagogisch dialektischen Vakuum etabliert.
Die Studie Jugend, Information (Multi-)Media, des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest, kurz JIM-Studie, erhebt jährlich Daten über die komplexe Medienwelt deutscher Jugendlicher zwischen 12 und 19 Jahren.
Im Jahr 2011 umfasste die Grundgesamtheit aller Befragten ca. 7.000.000 Jugendliche. Da die Mediennutzung der Jugendlichen jedoch vielfältige Ausprägungen hat und ich an dieser Stelle nicht detailliert auf Unterschiede in Bildungsniveau, Geschlecht oder Alter eingehen kann, sind die im Folgenden aufgeführten Zahlen und Darstellungen immer vereinfachend zu verstehen und sollen nur einen Überblick vermitteln.
Der JIM-Studie 2009 zufolge besteht bereits eine Vollversorgung an Mediengeräten, wenn ein Haushalt mit einem Computer, einem Internetzugang, einem Mobiltelefon und einem Fernsehgerät ausgestattet ist. Knapp 100 % der Haushalte, in denen 12- bis 19-Jährige heute aufwachsen, sind demnach, laut JIM-Studie, voll versorgt. Sie verfügen über einen Fernseher, mindestens einen Computer mit Internetanschluss und mehr als ein Mobiltelefon.[23]
Und die Gerätezahlen zur Mediennutzung pro Haushalt steigen weiterhin stetig an. Nach dem Einzug von Laptops, iPods und MP3-Playern in deutsche Familien haben sich im vergangenen Jahr Spielekonsolen mit Bewegungs- und Lichtsensortechnik, Tablet-PCs und iPads zunehmend im Alltag der Jugendlichen etabliert.[24] Die nachfolgende Tabelle ermöglicht einen Überblick über die Geräte-Ausstattung in deutschen Haushalten im vergangenen Jahr:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Geräte-Ausstattung im Haushalt 2011
Über die Familiengeräte hinaus verfügen die Jugendlichen aber auch über ein beachtliches Repertoire an eigenen Geräten zur Mediennutzung. 79 % von ihnen haben einen eigenen Computer, 52 % einen eigenen Fernseher und 45 % können von ihrem Zimmer aus im Internet surfen.[25]
Ganz offensichtlich spielen die Medien in der wichtigsten Sozialisationsphase der Jugendlichen zunehmend eine bedeutungsvollere Rolle. Oft wird in der Pädagogik bereits von „Medienjugend“ oder „Medienkindheit“[26] gesprochen.
Neben den Beziehungen zur Peergroup sind also vor allem neue Kommunikationsmedien wie das Internet in der Adoleszenz besonders wichtig für Jugendliche. Indiz hierfür ist auch die steigende Anzahl von Smartphones. Sie bieten Jugendlichen neben den herkömmlichen Kommunikationsfunktionen die Möglichkeit, beinahe standortunabhängig im Internet zu surfen (2010 besaßen 23 % aller Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren ein eigenes Smartphone, 2012 sind es bereits 43 %[27]).
Die neuen digitalen Medien stehen in reziproker Beziehung zu den herkömmlichen Sozialisationsinstanzen wie der Familie, der Schule und den Peergroups. Selbstverständlich werden die traditionellen Sozialisationsinstanzen nicht gänzlich von den neuen abgelöst, sie werden jedoch von ihnen ergänzt. Hierbei entsteht ein für Eltern und Lehrer oftmals schwer einseh- und kontrollierbarer Raum.[28]
Der Prozess der Mediensozialisation wird in dieser Hinsicht zunehmend bedeutender, denn die Medien repräsentieren einen „Kulturbereich […], der sich weitgehend außerhalb pädagogischer Einrichtungen etabliert hat“.[29]
Gerade im Hinblick auf neue Kommunikationsmedien haben Erwachsene ihren Kindern gegenüber oft keinerlei Wissensvorsprung mehr. Dies macht den Prozess der Mediensozialisation in der Erziehungswissenschaft zunehmend wichtiger.[30] Ein pädagogisches Konzept aufrechtzuerhalten, in dem Medien, Medienpädagogik und Mediensozialisation nur eine Nebenrolle spielen, würde der Wirklichkeit der Digital Natives in keiner Weise entsprechen.[31]
Der Begriff Mediensozialisation wird fälschlicherweise vielmals nur eindimensional definiert. Einig ist man sich in der Medien- und Sozialisationsforschung darüber, dass bei der Mediensozialisation keineswegs von einer einseitigen Wirkungsweise ausgegangen werden kann. Medienhandeln ist ein aktives Handeln, das in der Alltagswelt von Jugendlichen heute fest etabliert und von großer Bedeutung im Kontext von Sozialisation und Identitätsbildung ist. Um jedoch den gesamten Umfang von Mediensozialisation zu berücksichtigen, ist eine weiter reichende Betrachtung notwendig.
Um den aktiven Teil der Mediensozialisation hervorzuheben, wird in der Forschung zwischen Selbstsozialisation und Fremdsozialisation unterschieden.
Mediensozialisation ist dabei nicht als „passiver“ Prozess zu verstehen. Dies würde bedeuten, dass sich Jugendliche von Medien völlig unselektiert sozialisieren ließen, ohne eine Möglichkeit zu haben, auf diesen Prozess Einfluss zu nehmen. Dies ist keineswegs der Fall. Denn Mediensozialisation findet sowohl fremd- als auch selbstbestimmt statt. Schließlich ist jede Mediennutzung unweigerlich verbunden mit einem von den Jugendlichen „erwarteten Nutzen“.[32] Mediensozialisation setzt infolgedessen aktiv handelnde Subjekte voraus, die sich mithilfe von Medien durchaus auch selbst sozialisieren.
Mediensozialisation ist darum nicht nur Sozialisation durch die Rezeption von Medieninhalten (passiv), sondern ebenso Selbstsozialisation durch die bewusste Nutzung von Medieninhalten (aktiv).[33]
Der Aspekt der Selbstsozialisation wird in der Pädagogik jedoch durchaus auch kritisch betrachtet. Konstatiert wird beispielsweise eine Entpädagogisierung des Sozialisationsdiskurses, einhergehend mit der Sorge, dass die Pädagogik an Bedeutung verliere. Ebenso wird die Gefahr einer Ökonomisierung der Pädagogik angeführt, die das Subjekt womöglich dafür verantwortlich macht, sich nicht eigenständig aktiv erfolgreich sozialisiert zu haben.[34] Leider kann hier nicht weiter auf die Kritikpunkte zur Selbstsozialisation durch Medien eingegangen werden.
Ziel der Mediensozialisation ist der Erwerb von Medienkompetenz. Die Begriffsdefinitionen beziehen sich heute meistens auf digitale Medien und gehen von einem Subjekt als Träger von Medienkompetenz aus.[35] Der Begriff der Medienkompetenz ist auf Dieter Baake zurückzuführen. Medienkompetente Personen sind demnach sachgerecht, selbstbestimmt, kreativ und verantwortungsbewusst im Umgang mit Medien. Sie haben Analyse-, Urteils- und Handlungskompetenzen erworben und können angemessen auch mit neuen digitalen Medien umgehen.
Während Jugendliche in der heutigen Zeit von Individualisierung und Pluralisierung zunehmend dem Zwang unterzogen werden, Schöpfer einer einzigartigen Individualbiografie zu sein, bietet ihnen das Medium Internet virtuelle Erfahrungsräume und Rollenvorbilder. Darüber hinaus erfüllt es die von Jugendlichen an ihre Freizeit gestellten Ansprüche ausgezeichnet, was es umso attraktiver macht.[36]
Medien sind demnach für Jugendliche identitätsprägend, da sie neben unterhaltenden und informativen Funktionen ebenso Orientierungsmöglichkeiten für Zukunftsvorstellungen, Rollenbilder und Identitätskonstruktionen bieten. Im 5. Kapitel meiner Arbeit werde ich ausführlich darlegen, in welcher Art und Weise das Internet als Identitätsstifter für Jugendliche fungieren kann. Vorab gebe ich jedoch einen Einblick in die Identitätsforschung und erläutere den Begriff Identität und sein Begriffsumfeld.
3 Traditionelle und aktuelle Identitätsforschung
Die Thematisierung von Identität hat in den letzten Jahrzehnten sowohl im Alltagsdiskurs als auch in den Fachszenen zugenommen.[37] Dennoch ist Identität noch immer ein Begriff mit einem vielschichtigen, komplexen semantischen Umfeld. Es fällt schwer, ihn in Worte oder gar in eine allgemeingültige Definition zu fassen. Die Verwendung des Begriffs geht selten mit einer Definition einher, was darauf schließen lässt, dass hier durchaus Klärungsbedarf besteht.
[...]
[1] Prensky, Digital Immigrants 2001, S. 1 ff.
[2] Ebd., S. 1.
[3] Prensky, Digital Immigrants 2001, S. 2.
[4] Vgl. Internet World Stats, [http://www.internetworldstats.com/list2.htm],
Stand: 09.08.2012.
[5] Vgl. Fritz, Sting, Vollbrecht, Mediensozialisation 2003, S. 13.
[6] Vgl. Fritz, Sting, Vollbrecht, Mediensozialisation 2003, S. 7.
[7] Vgl. JIM 2011, S. 13.
[8] Vgl. ebd., S. 33.
[9] Fritz, Sting, Vollbrecht, Mediensozialisation 2003, S. 9.
[10] Hurrelmann, Sozialisationstheorie 2006, S. 14.
[11] Vgl. ebd., S. 20.
[12] Vgl. ebd., S. 16.
[13] Vgl. Hurrelmann, Sozialisationstheorie 2006, S. 28.
[14] Vgl. ebd., S. 38.
[15] Vgl. Keupp, Identitätsarbeit 1997, S. 74.
[16] Ebd.
[17] Keupp, Identitätsarbeit 1997, S. 68.
[18] Hurrelmann, Sozialisationstheorie 2006, S. 175.
[19] Ebd.
[20] Keupp, Identitätsarbeit 1997, S. 75.
[21] Vgl. Keupp, Identitätsarbeit 1997, S. 75.
[22] Fritz, Sting, Vollbrecht, Mediensozialisation 2003, S. 7.
[23] Vgl. JIM 2011, S. 5.
[24] Vgl. JIM 2011, S. 5.
[25] Vgl. ebd., S. 6.
[26] Fritz, Sting, Vollbrecht, Mediensozialisation 2003, S. 7.
[27] Vgl. JIM 2011, S. 5.
[28] Vgl. Fritz, Sting, Vollbrecht, Mediensozialisation 2003, S. 7.
[29] Ebd.
[30] Vgl. ebd.
[31] Vgl. ebd., S. 9.
[32] Fritz, Sting, Vollbrecht, Mediensozialisation 2003, S. 8.
[33] Vgl. ebd.
[34] Vgl. Tillmann, Identitätsspielraum Internet 2008, S. 80 f.
[35] Vgl. ebd., S. 83.
[36] Vgl. Fritz, Sting, Vollbrecht, Mediensozialisation 2003, S. 23.
[37] Vgl. Keupp, Identitätsarbeit 1997, S. 7.
- Citar trabajo
- Sarah Schropp (Autor), 2012, Identitätsspielraum Internet: Die Relevanz des Handlungsspielraums jugendnaher sozialer Netzwerke für die Identitätsarbeit Jugendlicher am Beispiel von Facebook, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/207454
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