Der in den Medien und unter Juristen intensiv diskutierte Strafprozess
gegen den Mörder des Kindes Jakob von Metzler hatte bereits vor seinem
Beginn Rechtsgeschichte geschrieben. Die Ursache dafür lag im
formellen Strafrecht. Vorkommnisse im Ermittlungsverfahren führten
dazu, dass sich Richter mit einer strafprozessualen Frage
auseinandersetzen mussten, die ansonsten eher in Lehrbuchfällen und
Aufsätzen thematisiert wird. Bereits vor Eröffnung der
Hauptverhandlung galt es zu klären, welche Konsequenzen aus der
Tatsache zu ziehen sind, dass einem Beschuldigten in seiner ersten
polizeilichen Vernehmung die Zufügung von Schmerzen angedroht
worden ist.
Diese Aufgabe fiel der 22. Großen Strafkammer des Landgerichtes
Frankfurt am Main im April des Jahres 2003 zu.
I.) Sachverhalt
Folgendes hatte sich zugetragen: Im Zusammenhang mit der Entführung
des 11-jährigen Bankierssohnes Jakob von Metzler wurde gegen den 27-
jährigen Jurastudenten Magnus Gäfgen wegen erpresserischen
Menschenraubes (§ 239 a StGB) ermittelt. Da sich der dringend
Tatverdächtige bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung weigerte,
Angaben zum Aufenthaltsort des Kindes zu machen, drohten ihm die
Vernehmungsbeamten am 01.10.2002 die Zufügung von Schmerzen an.
Die Polizeibeamten hofften, auf diese Weise das Entführungsopfer noch
lebend retten zu können. Erst daraufhin machte der Beschuldigte
Angaben, die zum Auffinden des von ihm bereits getöteten Kindes
führten; außerdem gestand er die Tat.
Im weiteren Verfahrensverlauf wurde der Beschuldigte, ohne dass es
dabei zu weiteren Bedrohungen kam, von der Polizei, der
Staatsanwaltschaft und fast vier Monate später, am 30.01.2003, von einer
Ermittlungsrichterin vernommen. In all diesen Vernehmungen wurde
jedoch nicht auf die am 01.10.2002 erfolgte Androhung eines
körperlichen Eingriffs eingegangen.
Gliederung
A) Einleitung
I.) Lebenssachverhalt
II.) Die Reaktion des Landgerichtes Frankfurt am Main
1.) Ablehnung eines Verfahrenshindernisses
2.) Annahme eines Beweisverwertungsverbotes
3.) Das Problem der Fortwirkung eines Verstoßes gegen § 136 a StPO
a) Die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung
b) Die Lösung des Landgerichtes Frankfurt am Main
c) Die Begründung
B) Thema: Die formale und inhaltliche Ausgestaltung einer qualifizierten Belehrung
I.) Die formale Ausgestaltung
1.) Formularentwurf
2.) Erläuterungen zur Darstellungsweise
II.) Die inhaltliche Ausgestaltung
1.) Belehrungstext
2.) Nähere Erläuterungen
3.) Erklärung der Aussageperson
C) Bewertung
I.) Der Landgerichtsbeschluss
II.) Das Erfordernis einer qualifizierten Belehrung
Titel
Das Erfordernis der qualifizierten Belehrung
Formale und inhaltliche Ausgestaltung der qualifizierten Belehrung unter besonderer Berücksichtigung des Landgerichtsbeschlusses
LG Frankfurt/Main StV 2003, 325 ff.
Eine vertiefende Abhandlung zum „Folter-Fall“ im Rahmen der Internetpublikation „FAMOS“, unter der Leitung von
Prof. Dr. Klaus Marxen
Der „Folter-Fall“ ist der Fall des Monats September aus dem Jahr 2003, abrufbar unter www.fall-des-monats.de.
A) Einleitung
Der in den Medien und unter Juristen intensiv diskutierte Strafprozess gegen den Mörder des Kindes Jakob von Metzler hatte bereits vor seinem Beginn Rechtsgeschichte geschrieben. Die Ursache dafür lag im formellen Strafrecht. Vorkommnisse im Ermittlungsverfahren führten dazu, dass sich Richter mit einer strafprozessualen Frage auseinandersetzen mussten, die ansonsten eher in Lehrbuchfällen und Aufsätzen thematisiert wird. Bereits vor Eröffnung der Hauptverhandlung galt es zu klären, welche Konsequenzen aus der Tatsache zu ziehen sind, dass einem Beschuldigten in seiner ersten polizeilichen Vernehmung die Zufügung von Schmerzen angedroht worden ist.
Diese Aufgabe fiel der 22. Großen Strafkammer des Landgerichtes Frankfurt am Main im April des Jahres 2003 zu.
I.) Sachverhalt
Folgendes hatte sich zugetragen: Im Zusammenhang mit der Entführung des 11-jährigen Bankierssohnes Jakob von Metzler wurde gegen den 27-jährigen Jurastudenten Magnus Gäfgen wegen erpresserischen Menschenraubes (§ 239 a StGB) ermittelt. Da sich der dringend Tatverdächtige bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung weigerte, Angaben zum Aufenthaltsort des Kindes zu machen, drohten ihm die Vernehmungsbeamten am 01.10.2002 die Zufügung von Schmerzen an. Die Polizeibeamten hofften, auf diese Weise das Entführungsopfer noch lebend retten zu können. Erst daraufhin machte der Beschuldigte Angaben, die zum Auffinden des von ihm bereits getöteten Kindes führten; außerdem gestand er die Tat.
Im weiteren Verfahrensverlauf wurde der Beschuldigte, ohne dass es dabei zu weiteren Bedrohungen kam, von der Polizei, der Staatsanwaltschaft und fast vier Monate später, am 30.01.2003, von einer Ermittlungsrichterin vernommen. In all diesen Vernehmungen wurde jedoch nicht auf die am 01.10.2002 erfolgte Androhung eines körperlichen Eingriffs eingegangen.
II.) Die Reaktion des Landgerichtes Frankfurt am Main
Dies war die prozessuale Ausgangssituation, mit der sich das Landgericht neben den nicht minder erheblichen materiellrechtlichen Problemen der besonders verwerflichen Tat auseinandersetzen musste.
1.) Ablehnung eines Verfahrenshindernisses
Die Verteidigung wollte sich auf das Vorliegen eines absoluten Prozesshindernisses berufen. Ein solches sei hier aus der Verletzung des Verfassungsgrundsatzes der Rechtstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG), genauer aus dessen spezieller Ausformung, dem „fair-trial-Gebot“, herzuleiten. Dem konnte das erkennende Gericht jedoch die sich diesbezüglich sehr restriktiv verhaltende Literatur[1] und die ebenso zurückhaltende höchstrichterliche Rechtsprechung[2] wirksam entgegenhalten.
Resultat dessen war also, dass die Kammer in einem ersten Beschluss[3] den Antrag der Verteidigung auf Einstellung des Verfahrens wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses ablehnte und das Hauptverfahren gegen Magnus Gäfgen eröffnete.
2.) Annahme eines Beweisverwertungsverbotes
Auch bereitete es keine größeren Schwierigkeiten, die durch Aktenvermerke nachgewiesenen in Rede stehenden Handlungen der Polizeibeamten als verbotene Vernehmungsmethode gem. § 163 a Abs. 4 Satz. 2 StPO i.V.m. § 136 a Abs. 1 Satz 3 StPO[4] zu klassifizieren. Eine solche Form der Beweiserhebung hat wegen des in § 136 a Abs. 3 Satz 2 StPO geregelten unselbständigen Beweisverwertungsverbotes ausnahmslos zur Folge, dass die unter Androhung von Schmerzen getätigte Aussage des Beschuldigten in einem späteren Hauptverfahren nicht verwertet werden darf.
3.) Das Problem der Fortwirkung eines Verstoßes gegen § 136 a StPO
Schwieriger gestaltete sich hingegen die Frage, wie die anschließend vor Polizei, Staatsanwaltschaft und Ermittlungsrichterin durchgeführten Vernehmungen rechtlich zu bewerten waren.
a) Die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung
Hält man es mit der früheren Rechtsprechung des BGH[5], dann ist allein die rechtswidrig erlangte Aussage unverwertbar, denn ein dem Wortlaut von § 136 a StPO zu entnehmender Verfahrensverstoß haftet den späteren Vernehmungen nicht unmittelbar an. Die darin erlangten Aussagen hätten demnach verwertet werden können.
In Übereinstimmung mit der Literatur erkennt der BGH jedoch mittlerweile an, dass – hat der Beschuldigte einmal unter dem Einfluss des verbotenen Vernehmungsmittels ausgesagt – spätere Aussagen, auf die das gesetzwidrige Mittel noch fortwirkt, ebenfalls unverwertbar sind.
Damit ist das Thema der „Fortwirkung“ eines Beweisverwertungsverbotes angesprochen. Das führt wiederum zu der Frage, wann von einer derartigen Fortwirkung gesprochen werden kann. Mit dem Begriff der Fortwirkung wird zunächst ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der verbotenen Vernehmungsmethode und den Bekundungen der Aussageperson umschrieben. Bei diesen Bekundungen muss die Aussageperson noch immer unter dem Einfluss der Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit stehen.[6] Damit ist nicht gemeint, dass sich der Beschuldigte vor weiteren Pressionen fürchtet. Im Zentrum steht vielmehr seine Autonomie. Er soll nach wie vor in seiner Entscheidung frei sein, zur Sache auszusagen, zu schweigen oder gar zu leugnen.
Um einen solchen Kausalzusammenhang nachzuweisen, zieht der BGH[7] zum Teil das Kriterium der zwischenzeitlich verstrichenen Zeit heran. Eine Fortwirkung ist danach umso weniger anzunehmen, je länger die Verwendung der verbotenen Vernehmungsmethode zurückliegt. Es ist zu beachten, dass im zu entscheidenden Fall zwischen der Androhung der Zufügung von Schmerzen und der ermittlungsrichterlichen Vernehmung immerhin fast vier Monate verstrichen sind.
Eine Fortwirkung liegt nach der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung[8] aber auch immer dann „nicht ganz fern“, wenn der Beschuldigte bei seiner späteren Aussage nicht um die Unverwertbarkeit seiner bisherigen weiß. Einen eindeutigen Standpunkt hat der BGH jedoch zur Frage der Fortwirkung eines Verstoßes gegen § 136 a StPO bislang nicht vertreten.
Somit bleibt es beim Grundsatz der Rechtsprechung: Ein Verstoß gegen § 136 a StPO führt nicht automatisch zur Annahme einer Fortwirkung.[9]
Das führt zu dem Ergebnis, dass nach der bisherigen restriktiven Rechtsprechung des BGH die später durchgeführten Vernehmungen, insbesondere die erst vier Monate später vor einer Ermittlungsrichterin gemachten Angaben in die Hauptverhandlung hätten eingeführt werden können.
b) Die Lösung des Landgerichtes Frankfurt am Main
Anders das erkennende Landgericht. Dieses stand neben den rechtlichen Schwierigkeiten auch vor dem zusätzlichen Problem, dass die mediengewandte Verteidigung versuchte, das Verfahren mit Hilfe von Öffentlichkeit und Medien zu emotionalisieren und zu politisieren. Es durfte also erst gar nicht der Verdacht entstehen, dass in diesem mit Argusaugen verfolgten Prozess der Mordvorwurf einerseits mit den verbotenen Vernehmungsmethoden andererseits vermengt wird.
Mit dem Ziel, einen so nachvollziehbaren, unangreifbaren wie fairen Prozess gegen den Angeklagten zu führen, entschloss sich die Schwurgerichtskammer dazu, einen wesentlichen Schritt über die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung hinauszugehen[10]:
Die Besonderheit ihrer Entscheidung liegt darin, dass nunmehr erstmals ein Gericht die Erteilung einer sogenannten „qualifizierten Belehrung“ in derartigen Konstellationen ausdrücklich für notwendig erklärt hat.[11] Darunter versteht das Landgericht den ausdrücklichen Hinweis an den Beschuldigten, dass seine bisher getätigten Angaben wegen der verbotenen Vernehmungsmethode unverwertbar sind.[12] Ermangele es an einer solchen Belehrung, dann dürften auch die nachfolgenden Aussagen wegen einer Fortwirkung des Verstoßes gegen § 136 a StPO nicht verwertet werden.
[...]
[1] Pfeiffer, StPO, 4. Aufl. 2002, Einl., Rn. 15; Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. 1998, § 11, Rn. 14 f.; Volk, Strafprozessrecht, 3. Aufl. 2002, § 14, Rn. 30; Beulke, Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2002, Rn. 289a.
[2] BVerfG NJW 84, 796; BVerfGE 57, 275 f.; BGHSt 32, 345; 33, 283; 37, 10; 46, 159.
[3] LG Frankfurt/M., StV 2003, 327 f.
[4] Der in Rede stehende § 136 a StPO ist Ausdruck des Respekts vor der Menschenwürde des Beschuldigten (Art. 1 Abs. 1 GG) und prägt darüber hinaus die verfassungsrechtlichen Garantien bei Freiheitsentziehung (Art. 104 Abs. 1 Satz 2 GG) sowie das Folterverbot aus Art. 3 EMRK näher aus.
[5] BGHSt 1, 376, 379 f.; 22, 129, 133 f.; 35, 328, 332.
[6] Neuhaus, NStZ 1997, 312, 314.
[7] BGH NStZ 95, 462; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl. 2003, § 136 a, Rn. 30; Nach einem weiteren Kriterium wird eine Fortwirkung ausnahmsweise auch nur dann angenommen, wenn die frühere Aussage nur pauschal bestätigt oder auf sie lediglich Bezug genommen wird, vgl. BGH NJW 95, 2047; BGH NStZ 95, 462.
[8] BGH StV 1994, 62 f.
[9] BGH 1, 376, 379; 27, 355, 359; Meyer-Goßner, (Fn. 7) § 136 a, Rn. 30.
[10] Weigend, StV 2003, 436, 438.
[11] LG Frankfurt/M. StV 2003, 325, 326; zwar wurde bereits in BGH StV 1996 ausdrücklich anerkannt, dass eine „qualifizierte Belehrung“ eine Fortwirkung beseitigt, diese aber nicht ausdrücklich für notwendig erklärt.
[12] LG Frankfurt/M. StV 2003, 325, 326 f.
- Quote paper
- Robert Dreblow (Author), 2003, Formale und inhaltliche Ausgestaltung einer qualifizierten Belehrung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20717
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