Die Rezeption Richard Wagners ist eine sehr vielseitige. Es existieren unzählige Schriften, die sich mit der Sonderstellung Wagners Kompositionen, seiner germanischen Mythenwelt oder der Bedeutung des Musikdramas befassen. Natürlich erscheint es aus Sicht der Musikwissenschaft am sinnvollsten, das musikalische Schaffen dieses Komponisten zu betrachten. Immerhin hat Wagner die Oper in Form seiner musikalischen Dramen in neue Sphären geführt und mutige kompositorische Wege beschritten.
Aber der 1813 in Leipzig geborene Komponist hinterlässt nicht nur abendfüllende Opern wie Tristan und Isolde oder die Tetralogie Der Ring des Nibelungen. Zu Wagners Gesamtwerk zählen neben seinen Kompositionen auch etliche theoretische Schriften. Diese sind zwar zu großen Teilen auf dem Gebiet der Künste angesiedelt, doch auch politische Themen, vor allem mit revolutionärem Gehalt, werden angesprochen. Eine noch bis in die Gegenwart diskutierte Publikation – die umstrittenste des wagnerschen Schaffens überhaupt – ist der Aufsatz Das Judentum in der Musik. Dass eine ausgeprägte antijüdische Attitüde die wohl markanteste unter Wagners charakterlichen Eigenschaften war, ist kein Geheimnis. Somit stellt besonders Das Judentum in der Musik seit mehreren Jahrzehnten die Grundlage für umfangreiche Forschungen zahlreicher Musikwissenschaftler dar. Weil der Antisemitismus unter Wagner einen relativ kurzen zeitlichen Abstand zu dem (mit weitaus fataleren Folgen verbundenen) des deutschen Nationalsozialismus aufweist – es vergehen nur fünfzig Jahre zwischen Wagners Tod und der Machtübernahme Hitlers –, erscheint es zunächst plausibel, eine direkte Verbindungslinie zwischen diesen beiden Charakteren zu ziehen.
Ob es jedoch so einfach ist, die politischen Ergüsse eines mit übermäßigem Selbstbewusstsein ausgestatteten Komponisten als direkten Vorläufer für die menschenverachtenden Taten eines größenwahnsinnigen Diktators anzusehen, ist
fraglich. Derartigen Verbindungen nachzugehen, soll auch nicht das Ziel dieser Arbeit sein. Zum einen ist das Thema „Von Wagner zu Hitler“ sehr emotiv behaftet, was einen sachlichen Umgang mit den historischen Fakten in Verbindung mit den sehr unterschiedlichen Meinungen erschwert5 und somit kein zufriedenstellendes Ergebnis liefern kann. Zum anderen erachte ich es als wertvoller, direkt an den Ursprüngen, nämlich dem biografischen Kontext Wagners sowie seiner Schrift 'Das Judentum in der Musik', anzuknüpfen.
I. Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Biografischer Kontext
2.1 Grundlegendes zum Leben Wagners
2.2 Wagner und die Juden
3 Das Judentum in der Musik
3.1 Vom Aufsatz zur Broschüre
3.2 ReaktionenderZeitgenossen
4 Analyse der Broschüre
4.1 Inhaltliche Analyse
4.2 Sprachliche Analyse
5 Zusammenfassung und Ausblick
II. Quellenverzeichnis
III. Anhang
1 Einleitung
Die Rezeption Richard Wagners ist eine sehr vielseitige. Es existieren unzählige Schriften, die sich mit der Sonderstellung Wagners Kompositionen1, seiner germanischen Mythenwelt2 oder der Bedeutung des Musikdramas3 befassen. Natürlich erscheint es aus Sicht der Musikwissenschaft am sinnvollsten, das musikalische Schaffen dieses Komponisten zu betrachten. Immerhin hat Wagner die Oper in Form seiner musikalischen Dramen in neue Sphären geführt und mutige kompositorische Wege beschritten.
Aber der 1813 in Leipzig geborene Komponist hinterlässt nicht nur abendfüllende Opern wie Tristan und Isolde oder die Tetralogie Der Ring des Nibelungen. Zu Wagners Gesamtwerk zählen neben seinen Kompositionen auch etliche theoretische Schriften. Diese sind zwar zu großen Teilen auf dem Gebiet der Künste angesiedelt, doch auch politische Themen, vor allem mit revolutionärem Gehalt, werden angesprochen. Eine noch bis in die Gegenwart diskutierte Publikation - die umstrittenste des wagnerschen Schaffens überhaupt - ist der Aufsatz Das Judentum in der Musik.
Dass eine ausgeprägte antijüdische Attitüde die wohl markanteste unter Wagners charakterlichen Eigenschaften war, ist kein Geheimnis. Somit stellt besonders Das Judentum in der Musik seit mehreren Jahrzehnten die Grundlage für umfangreiche Forschungen zahlreicher Musikwissenschaftler dar. Weil der Antisemitismus unter Wagner einen relativ kurzen zeitlichen Abstand zu dem (mit weitaus fataleren Folgen verbundenen) des deutschen Nationalsozialismus aufweist - es vergehen nur fünfzig Jahre zwischen Wagners Tod und der Machtübernahme Hitlers -, erscheint es zunächst plausibel, eine direkte Verbindungslinie zwischen diesen beiden Charakteren zu ziehen.4 Ob es jedoch so einfach ist, die politischen Ergüsse eines mit übermäßigem Selbstbewusstsein ausgestatteten Komponisten als direkten Vorläufer für die menschenverachtenden Taten eines größenwahnsinnigen Diktators anzusehen, ist fraglich. Derartigen Verbindungen nachzugehen, soll auch nicht das Ziel dieser Arbeit sein. Zum einen ist das Thema „Von Wagner zu Hitler“ sehr emotiv behaftet, was einen sachlichen Umgang mit den historischen Fakten in Verbindung mit den sehr unterschiedlichen Meinungen erschwert5 und somit kein zufriedenstellendes Ergebnis liefern kann. Zum anderen erachte ich es als wertvoller, direkt an den Ursprüngen, nämlich dem biografischen Kontext Wagners sowie seiner Schrift Das Judentum in der Musik, anzuknüpfen.
Die vorliegende Arbeit befasst sich somit nicht mit dem kompositorischen Schaffen Richard Wagners, sondern stellt dessen schriftstellerische Tätigkeit in den Mittelpunkt. Zunächst soll Wagners Lebenslauf mit besonderem Blick auf die jüdische Prägung übersichtlich vorgestellt werden, um darauf aufbauend die Entstehung des Aufsatzes Das Judentum in der Musik erläutern zu können. Daran anknüpfend werden einzelne Reaktionen Wagners Zeitgenossen abgebildet. Die weitere Aufmerksamkeit ist schließlich auf eine inhaltliche und sprachstilistische Analyse des Textes gerichtet. Obwohl zu dem Thema eine ganze Reihe an Literatur existiert, soll diese nur als Hilfs- und Ergänzungsmittel, nicht aber als grundsätzliche Ausgangsquelle dieser Arbeit dienen. Speziell die Analyse des Wagner-Textes wird ohne die Inanspruchnahme zusätzlicher Arbeiten durchgeführt, weil sich in diesen oftmals ein wertender Unterton versteckt und dadurch eine für die Wissenschaft nötige Unabhängigkeit nicht immer gewährleistet ist.
2 Biografischer Kontext
2.1 Grundlegendes zum Leben Wagners
Wilhelm Richard Wagner kam am 22. Mai 1813 in Leipzig als neuntes und letztes Kind seiner Eltern zur Welt. Sein Vater verstarb noch im selben Jahr. An dessen Stelle trat der Schauspieler Ludwig Geyer, durch den die Kinder eine enge Beziehung zum Theater bekamen. Ein weiterer Einfluss, der Richard schon in jungen Jahren prägte, war sein Onkel Adolf Wagner, der ihm die antike griechische Mythologie nahebrachte. Neben dem ausgeprägten literarischen Interesse begeisterte sich Richard außerdem für die Konzerte des Gewandhauses. Besonders die Werke Beethovens faszinierten ihn und erweckten in ihm bald den Wunsch, selbst Komponist zu werden.6 Nach längeren Problemen brach er die schulische Ausbildung 1831 endgültig ab und begann - zunächst nur mit Hilfe von Lektüre - seine ersten Kompositionsversuche, bis er sich in die Universität einschrieb und auch einen Kompositionslehrer fand. Dieser war überzeugt von Wagners Talent und bereits nach einem halben Jahr Unterricht teilte er seinem Schüler mit, er könne ihm nichts mehr beibringen.7
Nach der Ausbildung erlangte der junge Komponist in Bad Lauchstädt bei Magdeburg eine Anstellung als Musikdirektor, siedelte jedoch 1836 nach Königsberg über, da man ihm dort den Posten des Kapellmeisters in Aussicht stellte. Bis sich die Gelegenheit allerdings tatsächlich ergab, verging einige Zeit, in der sich Wagners Schulden bedrohlich anhäuften.8
Eine dieser Situation vergleichbare Linie lässt sich im Wesentlichen durch das gesamte Leben Wagners ziehen. Misserfolge mit Aufführungen, häufige Wechsel des Wohnortes und Geldsorgen begleiteten ihn, während er an seinen Opern, so auch 26 Jahre lang am Ring des Nibelungen, arbeitete.9 Hinzu kamen weitere bedrohliche Situationen, in die er sich z.B. 1848 durch seine Teilnahme an revolutionären Aufständen in Dresden begeben hatte, was in die Flucht ins Exil nach Zürich gipfelte.10 Seine politischen Aktivitäten äußerten sich ab dem Zeitpunkt insbesondere in Schriften wie Die Kunst und die Revolution (1849)11 oder Das Kunstwerk der Zukunft (1850)12, in denen künstlerische Standpunkte auf einen politisch motivierten Hintergrund trafen.
Zeit seines Lebens äußerte sich bei Wagner in mehr oder weniger starker Ausprägung eine antijüdische Gesinnung. Ein Ergebnis dieses Ressentiments stellt die 1850 erstmals und 1869 in überarbeiteter Form erschienene Schrift Das Judentum in der Musik dar, in der er von einer Grundthese ausgehend ein (negatives) Wesen der jüdischen Musik13 konstruiert. Es gilt im Folgenden herauszufinden, wie sich dieser Judenhass überhaupt entwickeln konnte.
2.2 Wagner und die Juden
Wagners Antisemitismus14, der im Laufe seines Lebens immer deutlicher hervortrat, entstand nicht nur durch das Lesen von Lektüre antijüdischen Gehalts. Die Entwicklung lässt sich stärker auf seine Lebensumstände und eine ganze Reihe einschneidender Erlebnisse mit Juden zurückführen. Auch die Zustände der Zeit, in die er hineingeboren wurde, hatten einen Einfluss auf sein Denken.
Als Ausgangspunkt kann die missliche finanzielle Lage Wagners gesehen werden. Nicht nur, dass er häufig Probleme hatte, überhaupt Einkünfte zur Sicherung seines Lebensunterhalts zu erzielen. Seine unverhältnismäßig hohen Ansprüche in seiner Lebensqualität - dies zeigte sich insbesondere an seinen edlen Kleidern sowie an den luxuriösen Wohnungseinrichtungen - machten es ihm unmöglich, Rücklagen für schwierige Situationen zu bilden, in denen er sich häufig befand. So auch 1835, als er, bedingt durch niedrigen Lohn und schlechten Umgang mit Geld, gezwungen war, mit (jüdischen) Wucherern Geschäfte einzugehen.15
Denken wir an die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, mag zunächst vermutet werden, dass der Antisemitismus in der Bevölkerung ohnehin recht ausgeprägt war. Das stimmt allerdings nur teilweise, denn gerade die Zeit zwischen 1850 und 1869 war gekennzeichnet durch Edikte zur Besserstellung der Juden. Zwar gab es in breiteren Kreisen immer noch eine Abneigung gegenüber dieses Volkes, aber die allgemeine politische Entwicklung verlief zugunsten der Juden.16 Wagners Ansichten waren somit nicht gerade zeitgemäß, wohl aber wird sein gesteigerter Judenhass gerade durch jene Emanzipation begreiflicher, denn in ihr sah er (s)eine wachsende Bedrohung.
Mit der Schrift Zur Judenfrage, in der Karl Marx 1843 den sogenannten „Schacher“ der Juden in einen Zusammenhang mit dem negativ verstandenen Kapitalismus brachte, leistete er eine entscheidende Vorarbeit zu seinem 1867 erschienenen Werk Das Kapital. Die sehr ähnlichen Ansichten Wagners zur Geldwirtschaft im Allgemeinen und dem wirtschaftlichen Interesse der Kunst im Speziellen werden im Kapitel der inhaltlichen Analyse seines Textes Das Judentum in der Musik näher zum Ausdruck gebracht.
Die Situationen, in denen Wagner schlechte Erfahrungen mit jüdischen Mitbürgern machte, prägten ihn so sehr, dass er einen direkten Zusammenhang in der jüdischen Herkunft der entsprechenden Personen sah. 1836 schickte er Leipzigs Gewandhauskapellmeister Felix Mendelssohn Bartholdy die Originalpartitur seiner C- Dur-Symphonie mit der Bemerkung „als Geschenk“. Natürlich erhoffte er sich damit eine Aufführung des Stückes, was jedoch nicht geschah. Stattdessen verschwand die Partitur und ist seitdem verschollen.17
Auch in seiner Pariser Zeit war Wagner mit eher kärglichen finanziellen Mitteln ausgestattet. Er arbeitete dort bei dem jüdischen Musikverleger Maurice Schlesinger, der laut Wagner seine schlechte finanzielle Situation ausnutzte und ihn deklassierte.18 Wagner lobte 1837 den ebenfalls in Paris lebenden Komponisten Giacomo Meyerbeer ehrfürchtig für dessen Kompositionen und bekam von ihm eine breite Unterstützung. Meyerbeer setzte sich für ihn ein und ermöglichte die Aufführungen des Rienzi in Dresden sowie des Fliegenden Holländer in Berlin. Außerdem lieh er Wagner über einen längeren Zeitraum Geld, womit dieser sich einmal mehr in die Situation der Abhängigkeit begeben hatte. Da er die finanzielle Unterstützung nicht ins Bodenlose ausufern lassen wollte, weil seine Einflussmöglichkeiten in Paris begrenzt waren und letztendlich weil er ein Jude war, erwuchs der in Frankreich etablierte Giacomo Meyerbeer dem erfolglosen Richard Wagner immer mehr zum Feindbild.19 „Wagner biß die Hand, die ihn streichelte, und daß es eine jüdische Hand war, machte ihm die Sache [...] erheblich leichter.“20 Der tiefen Abneigung gegenüber Juden wie Meyerbeer und Mendelssohn zum Trotz führte Wagner doch erstaunlich freundschaftliche Beziehungen zu einigen anderen jüdischen Mitmenschen, darunter die Schriftsteller August Lewald und Berthold Auerbach.21
Einen weiteren Aspekt in Bezug auf die negative jüdische Prägung in Richard Wagners Leben liefert sein Stiefvater Ludwig Geyer. Friedrich Nietzsche schrieb in seiner 1888 veröffentlichten Schrift Der Fall Wagner „Ein Geyer ist beinahe schon ein Adler“22 und spielte damit auf eine jüdische Abstammung Geyers an. Zudem kursierte das Gerücht, dass Ludwig Geyer selbst der leibliche Vater Wagners sei. Auch wenn beide Aussagen keinerlei wahren Gehalt aufweisen, lässt sich mutmaßen, ob Wagner selbst zu Lebzeiten von ähnlichen Gedanken erfüllt und somit sein Judenhass womöglich nur eine Projektion des Selbsthasses war.23 Abgesehen von diesem eher spekulativen Hintergrund ist bis hierher deutlich geworden, wie sehr allein die vorgestellten Erlebnisse den Keim für Wagners Antisemitismus bildeten.
[...]
1 DazugrundlegendBauer(1978).
2 DazugrundlegendOverhoff(1955).
3 DazugrundlegendIngenhoff (1987).
4 DazugrundlegendKöhler(1997).
5 Siehe dazu die Diskussion zwischen Mayer, Metzger und Riehn in: Metzger / Riehn (Hrsg.) (1981).
6 Vgl. Friedrich (2007), Sp. 286 f.
7 Vgl. Friedrich (2007), Sp. 288.
8 Vgl. ebd., Sp. 289.
9 Vgl. ebd., Sp. 302.
10 Vgl. ebd., Sp. 294.
11 Dazu grundlegend Wagner (1912).
12 Dazu grundlegend Wagner (1850).
13 Treffender für „jüdische Musik“ ist wohl der Ausdruck „Musik jüdischer Komponisten“.
14 Der Begriff„Antisemitismus“ existierte zu dieser Zeit noch nicht bzw. entstand erst gegen 1860, weshalb eher von „Antijudaismus“ gesprochen werden muss.
15 Vgl. Fischer (2000), S.61.
16 Vgl. Katz (1986), S 20 f. undvertiefend Toury (1977), S. 313-361.
17 Vgl. Fischer (2000), S.61.
18 Gregor-Dellin (1976), S. 219 f. und Katz (1986), S. 23.
19 Vgl. Fischer (2000), S. 64 f.
20 Ebd., S. 72.
21 Vgl. Katz (1986), S. 22 und 25 f.
22 Nietzsche (1888), S. 41.
23 Dass allein zu dem Stichwort „Abstammung“ allerlei Diskussion herrscht, wird deutlich bei Scholz (2000), S. 30-33 (obgleich im Schreibstil eine sehr voreingenommene Haltung zum Ausdruck kommt).
- Arbeit zitieren
- Bachelor of Arts Steffen Peise (Autor:in), 2012, Richard Wagner und 'Das Judentum in der Musik', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/206584
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