Eine neuere Entscheidung des Bundesgerichtshofs1gibt Veranlassung, ein Problem erneut aufzugreifen, welches zwar einst heftig umstritten war, durch mehrere grundlegende Entscheidungen des BGH aber zumindest vorläufig für längere Zeit geklärt schien. Es geht um die Fragestellung, ob ein „Verkehrsunfall“ im Sinne von § 142 I StGB auch bei vorsätzlicher Herbeiführung des schädigenden Ereignisses angenommen werden kann.
Diese auf den ersten Blick leicht isolierbar wirkende Frage wirft eine ganze Reihe von Folgeproblemen auf, welche weit in das Feld traditioneller Auslegungsmethoden führen. Ziel der Darstellung ist es, die angesprochene Entscheidung des Bundesgerichtshofs anhand der bisherigen Rechtsprechung kritisch zu hinterfragen und unter Berücksichtigung verschiedener Lösungsansätze genau zu analysieren. Alleiniges Augenmerk liegt dabei auf der konkret aufgeworfenen Fragestellung, so dass die sonstigen Probleme im Rahmen des § 142 StGB – einer der am meisten verunglückten Bestimmungen des Strafgesetzbuches – die nicht zielführend sind, außerhalb der Erörterung bleiben.
Gliederung
A. Einleitung
B. Hauptteil
I. Sachverhalt
II. Bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zum Unfallbegriff
III. Rechtliche Würdigung durch den BGH mit Urteil vom 15.11.2001
IV. Analyse der rechtlichen Wertung des BGH anhand alternativer Lösungsansätze
1. Wortlaut
2. Historische Auslegung
3. Teleologische Auslegung unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens (subjektiv-teleologische Methode)
4. Systematische Ansätze
5. Zumutbarkeitserwägungen
6. Rechtspolitische Bedenken
7. „Konkurrenzlösung“
8. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“
V. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Urteil des BGH vom 15.11.2001 – § 132 II GVG und das Recht des gesetzlichen Richters
C. Schlussgedanken
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A. Einleitung
Eine neuere Entscheidung des Bundesgerichtshofs[1] gibt Veranlassung, ein Problem erneut aufzugreifen, welches zwar einst heftig umstritten war, durch mehrere grundlegende Entscheidungen des BGH aber zumindest vorläufig für längere Zeit geklärt schien. Es geht um die Fragestellung, ob ein „Verkehrsunfall“ im Sinne von § 142 I StGB auch bei vorsätzlicher Herbeiführung des schädigenden Ereignisses angenommen werden kann.
Diese auf den ersten Blick leicht isolierbar wirkende Frage wirft eine ganze Reihe von Folgeproblemen auf, welche weit in das Feld traditioneller Auslegungsmethoden führen. Ziel der Darstellung ist es, die angesprochene Entscheidung des Bundesgerichtshofs anhand der bisherigen Rechtsprechung kritisch zu hinterfragen und unter Berücksichtigung verschiedener Lösungsansätze genau zu analysieren. Alleiniges Augenmerk liegt dabei auf der konkret aufgeworfenen Fragestellung, so dass die sonstigen Probleme im Rahmen des § 142 StGB – einer der am meisten verunglückten Bestimmungen des Strafgesetzbuches[2] – die nicht zielführend sind, außerhalb der Erörterung bleiben.
B. Hauptteil
I. Sachverhalt
Zunächst sei der dem BGH-Urteil zugrunde gelegte Sachverhalt in der gebotenen Kürze dargestellt. Die Fallgestaltung erweist sich im Vergleich zu den früher vom BGH entschiedenen „Standardfällen“ zur Frage der Unfallflucht bei vorsätzlich herbeigeführtem Schadensereignis[3] als durchaus atypisch und erinnert wohl mehr an die medienrechtlichen Probleme und Fragen der Medienwirkungsforschung im Zusammenhang mit "MTV-Jackass“.[4]
Die beiden Angeklagten wollten zu ihrem Spass und Zeitvertreib ausprobieren, ob es möglich sei, Mülltonnen aus dem fahrenden Auto heraus zunächst zu greifen, dann wieder loszulassen und dabei bestimmte Ziele zu treffen. Diesen Entschluss setzten die beiden bei einer nächtlichen Fahrt um, wobei der eine den PKW steuerte, während der andere vom Beifahrersitz aus Mülltonnen ergriff und in voller Fahrt wieder losließ. Die aus der Fahrt abgeworfenen Mülltonnen prallten dann gegen am Fahrbahnrand geparkte PKW, wobei ein nicht unerheblicher Sachschaden entstand. Die Angeklagten fuhren in Kenntnis des angerichteten Schadens davon.
II. Bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zum Unfallbegriff
Bevor die rechtliche Würdigung des BGH in seiner neuen Entscheidung dargestellt und analysiert wird, ist es geboten zunächst die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Thema näher zu beleuchten.
Unter einem Unfall im Straßenverkehr wurde bislang nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum ein plötzliches Ereignis im öffentlichen Verkehr auf Wegen oder Plätzen verstanden, das mit dessen Gefahren in ursächlichem Zusammenhang steht und zu einem nicht völlig belanglosen Personen- oder Sachschaden führt.[5] Sowohl das Reichsgericht, als auch der Bundesgerichtshof haben dabei immer wieder ausdrücklich betont, dass die vorsätzliche Herbeiführung des schädigenden Ereignisses der Annahme eines „Unfalls im Straßenverkehr“ nicht entgegensteht.[6] Es handele sich dann zumindest für den anderen – den Unfallgeschädigten – um ein ungewolltes ihn plötzlich von außen treffendes Ereignis.[7] Daraus folgt die Einschränkung, dass jedenfalls dann kein Unfall im Straßenverkehr angenommen werden kann, wenn das Schadensereignis von beiden Beteiligten gewollt war.[8] Als weitere Einschränkung hat der BGH bislang immer ausgeführt, dass der Fahrer das Fahrzeug auch als Fortbewegungsmittel und nicht lediglich als Tatwaffe gebraucht, denn nur dann sei der Schaden auch eine Auswirkung des allgemeinen Verkehrsrisikos.[9]
III. Rechtliche Würdigung durch den BGH mit Urteil vom 15.11.2001
Es gilt als nächstes zu hinterfragen, ob und inwieweit der BGH in seiner neuen Entscheidung diese Rechtsprechungsgrundsätze bestätigt beziehungsweise modifiziert.
Der 4. Strafsenat beruft sich in seiner Entscheidung zunächst auf die soeben dargestellte Unfalldefinition der bisherigen Rechtsprechung. Unter Verweis auf eine Entscheidung des OLG Hamm[10] betont der Senat dann jedoch, dass sich in dem „Verkehrsunfall“ gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben müssen, was jedenfalls dann nicht angenommen werden kann, wenn das betreffende Verhalten schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild keine Auswirkung des allgemeinen Verkehrsrisikos, sondern einer „deliktischen Planung“ ist.[11] Der hier eingetretene Schaden beruhe nicht auf der besonderen Straßenverkehrsgefahr, denn allein der Umstand, dass die beiden Angeklagten aus einem fahrenden Fahrzeug heraus handelten, vermag nicht den notwendigen Zusammenhang mit den typischen Gefahren des Straßenverkehrs herzustellen.
Mit diesen recht knappen Worten wendet sich der BGH von seiner bisherigen Rechtsprechung ab, beziehungsweise stellt diese zumindest grundlegend in Frage. Es wird versucht über das Merkmal der „typischen Straßenverkehrsgefahr“ die aufgeworfene Fragestellung differenzierend zu beantworten. Das der BGH dabei zunächst klarstellend die bisherige Rechtsprechung anführt, wonach die vorsätzliche Schadensherbeiführung dem Begriff des „Verkehrsunfalls“ nicht entgegensteht, vermag jedoch nicht über die Frage hinweg zu täuschen, ob dies nach der korrigierenden Einschränkung über das Merkmal des „allgemeinen Verkehrsrisikos“ nach wie vor gilt.
Folgt man dem BGH und verlangt, dass sich in dem Schadensereignis ein verkehrstypisches Unfallrisiko realisiert haben muss und lässt man insoweit nicht genügen, dass sich der Täter dabei in einem Fahrzeug fahrend im Straßenverkehr fortbewegt hat, so muss man konsequenterweise vorsätzliche Schädigungen gänzlich vom Begriff des „Unfalls im Straßenverkehr“ ausnehmen. Diese Konsequenz folgt aus dem Umstand, dass ein vorsätzlich herbeigeführter Schaden – wie Janiszewski meint „Gott sei dank!“[12] - niemals ein verkehrstypisches Unfallrisiko darstellt.[13] Typisches Unfallrisiko ist statt dessen stets nur das fahrlässige Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer. Opfer von Vorsatztaten im Straßenverkehr zu werden ist mithin nicht Ausfluss des spezifischen Verkehrsrisikos, sondern des allgemeinen Lebensrisikos, Opfer einer Straftat zu werden.
Hält man sich diese Zusammenhänge vor Augen, so ist festzuhalten, dass nach der neuen Entscheidung des BGH konsequenterweise alle Vorsatztaten vom Unfallbegriff des § 142 I StGB ausgenommen sein müssen, da diese niemals auf dem spezifischen Verkehrsrisiko beruhen. Der BGH bekennt sich jedoch nicht ausdrücklich zu dieser Konsequenz, sondern „verschleiert“ das Ergebnis, indem er über den Umweg der „typischen Gefahren des Straßenverkehrs“ das Vorliegen einen „Verkehrsunfall“ verneint.
IV. Analyse der rechtlichen Wertung des BGH anhand alternativer Lösungsansätze
Unabhängig von der Frage, inwieweit die neue Entscheidung des BGH mit der bisherigen Rechtsprechung zu dieser Thematik vereinbar ist, gilt es anhand der im Schrifttum diskutierten und in der Rechtsprechung judizierten Lösungsansätze näher zu beleuchten, ob die Erstreckung des Unfallbegriffs auf Vorsatztaten überhaupt strafrechtlich geboten ist.
1. Wortlaut
Fraglich ist dabei zunächst, ob aus dem Wortlaut – „Unfall im Straßenverkehr“ – ein Ansatz zur Lösung des Problems gewonnen werden kann. Denn für kaum eine andere Disziplin gilt so wie für die Jurisprudenz der Satz: „Am Anfang war das Wort“.[14]
Hierbei drängt sich geradezu auf, dass dem Unfallbegriff etwas „Ungewolltes“ immanent ist.[15] So wird vertreten, dass die „Volksanschauung“ in einem vorsätzlich herbeigeführten Verkehrsschaden keinen Unfall sieht.[16] Schon das Sprachgefühl verbiete eine andere rechtliche Würdigung.[17] Fraglich ist jedoch, ob allein aus dieser „natürlichen Betrachtungsweise“ heraus die abschließende Erkenntnis folgt, dass Vorsatztaten vom Unfallbegriff ausgenommen sind. Dies wird wohl zu verneinen sein. Zum einen darf das Merkmal des Plötzlichen und Ungewollten nicht zu eng gefasst werden.[18] Solange das Schadensereignis zumindest für einen der Beteiligten ungewollt ist, ist dem begriffsimmanenten „Ungewolltsein“ genüge getan.[19] Zum anderen kann allein aus dem Umstand, dass bei typisierender Betrachtungsweise „Verkehrsunfälle“ regelmäßig auf Sorgfaltspflichtverletzungen und mithin auf Fahrlässigkeit beruhen, nicht ohne weiteres geschlussfolgert werden, dass nicht auch vorsätzliche Verhaltensweisen begrifflich unter den „Unfallbegriff“ subsumiert werden können.
Eine weitergehende Erkenntnis könnte sich jedoch aus dem Wortlaut von Absatz 5 des § 142 StGB ergeben, der den Begriff des Unfallbeteiligten aus § 142 I dahingehend konkretisiert, dass es lediglich auf einen Beitrag zur Verursachung des Unfalls ankommt. Teile des Schrifttums haben versucht aus der Wahl des Begriffs „Verursachung“ einen Ausschluss der Vorsatztaten herzuleiten.[20] Begründet wird dieser Ansatz damit, dass der Gesetzgeber auch in den §§ 222 und 229 StGB den Begriff der „Verursachung“ verwendet und darunter offensichtlich nur fahrlässige Handlungen versteht.[21] Eine genauere Prüfung lässt jedoch gerade diesen Rückschluss nicht zu. Richtig ist, dass der Gesetzgeber unter Verursachung im Sinne der §§ 222 und 229 nur die fahrlässige Verursachung versteht. Dies stellt er jedoch in diesen Normen mit den Worten "durch Fahrlässigkeit“ ausdrücklich klar, was er in § 142 I, V dagegen gerade nicht tut. Ohne diese ausdrückliche Einschränkung ist der Begriff der Verursachung weit zu verstehen, so dass jede Form der Einwirkung – sei sie fahrlässig oder vorsätzlich – begrifflich erfasst wird.[22]
Vielfach wird die Vorsatzschädigung vom Tatbestand des § 142 mit dem Verweis auf das Merkmal „im Straßenverkehr“ ausgenommen. Vorsatztaten seien keine typische Gefahr des Straßenverkehrs, sondern Ausfluss des allgemeinen Lebensrisikos, Opfer von Straftaten zu werden.[23] Bislang hat die Rechtsprechung das Merkmal „im Straßenverkehr“ immer dann bejaht, wenn der Täter das Fahrzeug zumindest auch als Mittel der Fortbewegung und nicht nur als Werkzeug benutzt hat.[24] Wie bereits angedeutet, schränkt der BGH in seiner neuen Entscheidung diese Rechtsprechung deutlich ein. Insoweit eine „deliktische Planung“ nachgewiesen werden kann, liege keine Verwirklichung des allgemeinen Verkehrsrisikos vor.[25] Die bloße gleichzeitige Verwendung als Fortbewegungsmittel genügt demnach nicht mehr. Dies wirft jedoch die Frage auf, inwieweit der Wortlaut des Merkmals „im Straßenverkehr“ den Unfallbegriff tatsächlich einzuschränken vermag. Der bloße Wortlaut, in isolierter Betrachtung, ohne Berücksichtigung des Schutzzwecks der Norm, lässt sowohl eine Deutung als rein örtliche Einschränkung, wie auch eine Beschränkung auf verkehrstypische Gefahren zu. Allein anhand des Wortlauts lässt sich diese Frage daher nicht eindeutig beantworten. Sie wird unter dem Gesichtspunkt der Ratio der Norm erneut aufzugreifen sein.
Festzuhalten bleibt somit, dass der Wortlaut des § 142 StGB nur wenig Aufschluss über die Beantwortung der aufgeworfenen Fragestellung gibt, beziehungsweise Zweifel bestehen lässt, die eine eindeutige Lösung des Problems allein anhand des Wortlautes der Norm nicht zulassen. Jedoch widerspricht es in jedem Fall unverzichtbaren rechtsstaatlichen Prinzipien, die sogenannte „Volksanschauung“ zur ausschließlichen Grundlage der Gesetzesauslegung zu machen und nur weil die Mehrheit der Bevölkerung[26] die Vorsatzschädigung begrifflich nicht als Unfall, sondern als „verbrecherischen Anschlag“[27] bezeichnen würde, das Problem als abschließend gelöst zu betrachten. Der Wortsinn eines Begriffs in der täglichen Umgangssprache muss keineswegs dem des Gesetzes entsprechen.[28]
Auch wenn für die Auslegung von Strafgesetzen der Wortlaut der Norm die äußerste Grenze der Auslegung darstellt,[29] so folgt daraus nicht, dass der Gesetzeswortlaut einziges Auslegungskriterium ist. Die nicht zu leugnende besondere Indizwirkung darf nicht zu einer Überbewertung des semantischen Aspekts führen.[30] Der Wortlaut vermag hier durchaus Zweifel hinterlassen. Einen kategorischen Ausschluss von Vorsatztaten gebietet er aber wie gezeigt nicht.
2. Historische Auslegung
Wichtige Anhaltspunkte für die Auslegung einer Norm können sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergeben.[31]
§ 142 StGB geht letztlich zurück auf § 22 des „Kraftfahrzeugführergesetzes“ (KFG) von 1906[32] nach dem der Führer eines Kraftfahrzeuges, der es nach einem Unfalle unternimmt, sich der Feststellung des Fahrzeuges und seiner Person durch die Flucht zu entziehen mit Geldstrafe oder Gefängnis bestraft wird.[33] Die Norm gelangte am 2.4.1940 durch die Verordnung zur Änderung der Strafvorschriften über fahrlässige Tötung, Körperverletzung und Flucht bei Verkehrsunfällen[34] als § 139 a in das Strafgesetzbuch. Im Zuge dessen wurden die Worte „der Führer eines Kraftfahrzeugs“, durch das schlichte „Wer“ ersetzt und gleichzeitig der Strafrahmen angehoben. Der Begriff „Unfalle“ wurde ebenfalls ersetzt durch den Begriff „Verkehrsunfall“.[35] Die Rechtsprechung hat sich im folgenden auf die damalige Auslegung von § 22 KFG gestützt und betont, dass § 139 a StGB auch dann anwendbar ist, wenn der Täter den „Unfall“ vorsätzlich herbeigeführt hat.[36]
Durch das dritte Strafrechtsänderungsgesetz[37] erhielt die Norm dann lediglich eine neue Bezeichnung als § 142 StGB, während inhaltlich keine Änderungen vorgenommen wurden. Durch das 13. Strafrechtsänderungsgesetz wurde neben einer Reihe anderer Änderungen im Rahmen von § 142 auch der „Unfallbegriff“ geändert. Anstelle des Wortes „Verkehrsunfall“ verlangte der Tatbestand nun einen „Unfall im Straßenverkehr“. Insoweit könnte sich ein historisches Argument dafür ergeben, dass nur Schadensereignisse, die auf spezifischen Verkehrsgefahren beruhen, erfasst sein sollen. Das sich durch die Änderung des Begriffes auch sachlich in dieser Hinsicht etwas ändern sollte, insbesondere eine Beschränkung auf verkehrstypische Gefahren, lässt sich den Gesetzesmaterialien jedoch gerade nicht entnehmen. Vielmehr folgt aus der Gesetzesbegründung, dass die Einfügung des Merkmals „im Straßenverkehr“ lediglich klarstellen sollte, dass jedenfalls Schiffs-, Bahn- und Luftverkehr nicht erfasst sind.[38] Der Gesetzgeber betont dabei ausdrücklich, dass sich über diesen Aspekt hinaus sachlich gegenüber dem alten Begriff des „Verkehrsunfalls“ nichts ändere. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber um die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung wusste, die auch den Vorsatztäter unter § 142 subsumierte. Auch insoweit hat sich der Gesetzgeber ausdrücklich dahingehend geäußert, dass er dem Unfallbegriff die von der Rechtsprechung entwickelte Auslegung zugrunde lege.[39] Auch später im Rahmen des 6. Strafrechtsreformgesetzes wurde der „Unfallbegriff“ nicht nochmals geändert.[40] Auch insoweit ist davon auszugehen, dass die Erfassung der Vorsatzschädigung dem Willen des Gesetzgebers entspricht, denn ansonsten hätte er einen Absatz 3a einfügen können, etwa des Wortlauts: „Dies gilt nicht, wenn der Unfall vorsätzlich herbeigeführt wurde.“
Aus der Entstehungsgeschichte des § 142 lässt sich also kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass Vorsatzschädigungen ausgenommen wären. Es wird sich zeigen, dass auch für die folgenden Lösungsansätze der Wille des historischen Gesetzgebers immer wieder eine Rolle spielt.
3. Teleologische Auslegung unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens (subjektiv-teleologische Methode)
Bevor man eine Auslegung des § 142 I anhand von Sinn und Zweck der Norm versucht, gilt es zunächst den Schutzzweck genau zu bestimmen und abzugrenzen.
Früher wurde dazu vertreten, die Bestimmung diene der Rechtspflege, beziehungsweise dem öffentlichen Interesse der Allgemeinheit an der lückenlosen Erfassung von Verkehrsunfällen, um durch Bestrafung die Verkehrssicherheit zu heben.[41] Seit einer klarstellenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts[42] und der ausdrücklichen Äußerung des Gesetzgebers[43] herrscht mittlerweile jedoch weithin die Ansicht, dass § 142 StGB ausschließlich das private Beweissicherungsinteresse der Unfallbeteiligten und Geschädigten an der Feststellung der Unfallursache zur Klärung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit schützt.[44] Dass sich der Schutzzweck des § 142 ausschließlich im privaten Feststellungsinteresse erschöpft, erscheint jedoch unter Beachtung mehrerer Gesichtspunkte nicht ganz unproblematisch.
Zum einen muss man sich fragen, warum § 142 nicht als Antragsdelikt ausgestaltet ist, wenn die Norm nur privaten Interessen dienen soll. Hier wird man jedoch dem Gesetzgeber einen entsprechenden Gestaltungsspielraum zugestehen müssen, so dass der bloße Umstand, dass kein Antragserfordernis besteht, keinen Rückschluss auf den Schutzzweck erlaubt. Im übrigen hat sich der Gesetzgeber dieser Überlegung auch durchaus gestellt, sie letztlich aber verworfen, da ein Antragserfordernis die generalpräventive Wirkung der Norm verringern könnte.[45]
[...]
[1] BGH, Urteil vom 15.11.2001, NJW 2002, 626 = NStZ 2002, 252 = DAR 2002, 132 = NZV 2002, 236 = StV 2002, 359 = JR 2002, 385 = ZfS 2002, 198 = VersR 2002, 377 = VerkMitt 2002, 17, die Entscheidung ist zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen.
[2] So Geppert, GA 1970, 1, 1; Roxin, NJW 1969, 2038, 2038; Schönke/Schröder – Cramer/Sternberg-Lieben, § 142 Rn 1.
[3] Vgl. Übersicht über die Standardkonstellationen in diesem Problembereich mit entsprechenden Rechtsprechungsnachweisen bei Sternberg-Lieben, JR 2002, 386, 386 und 387.
[4] Vgl. dazu Brinkmann, tv diskurs April 2003, 104 (Ausgabe 24).
[5] RGSt 75, 355, 360; BGHSt 263, 264 f.; 12, 253, 255; BGH NJW 2002, 626, 627; Schönke/Schröder – Cramer/Sternberg-Lieben § 142 Rn 6; Lackner/Kühl – Kühl § 142 Rn 5.
[6] RGSt 75, 355, 360; BGH VRS 28, 359, 360; BGHSt 6, 147, 152; 12, 254, 256; 24, 382, 383.
[7] BGHSt 24, 382, 383; BGH VRS 21, 113, 117; 36, 23, 24.
[8] Vgl. BGHSt 12, 254, 256.
[9] BGHSt 24, 382, 384.
[10] OLG Hamm, NJW 1982, 2456.
[11] BGH NJW 2002, 626, 627.
[12] Janiszewski, NStZ 1986, 540, 540.
[13] Vgl. Eich, MDR 1973, 814, 815; Hartman-Hilter NZV 1995, 340, 341; Roxin, NJW 1969, 2038, 2039, alle jedoch mit dem bedenklichen Rückschluss, dass Vorsatztaten kein Unfall im Straßenverkehr sein können.
[14] Coing, Juristische Auslegungsmethoden, S. 7.
[15] So Hartman-Hilter, NZV 1995, 340, 340; vgl. auch die Beweisführung von Geppert GA 1970, 1, 3 f. der aus dem Merkmal des „Plötzlichen“ das des Ungewollten herleitet.
[16] Dünnebier, GA 57, 33, 42; Roxin, NJW 1969, 2038, 2038.
[17] So Hartman-Hilter, NZV 1995, 340, 341; Roxin, NJW 1969, 2038, 2038 f.; Säzler, Verkehrsunfallflucht, S. 43; letztlich auch Eich, MDR 1973, 814, 818.
[18] Vgl. BGH VRS 10, 220, 221.
[19] BGHSt 12, 382, 383; BGH VRS 11, 425, 426 f.; 28, 359, 360; 36, 23, 24; OLG Köln VRS 44, 20, 21.
[20] Roxin, NJW 1969, 2038, 2038.
[21] So Roxin, NJW 1969, 2038, 2038.
[22] So auch Oppe, GA 1970, 367, 368; Hartman-Hilter, NZV 1995, 340, 340 f.; Berz, JuS 1973, 558, 559; Hentschel, JR 1987, 247, 248.
[23] Hartman-Hilter, NZV 1995, 340, 341; Roxin, NJW 1969, 2038, 2038 f; Sternberg-Lieben, JR 2002, 386, 388.
[24] BGHSt 24, 382, 384.
[25] BGH, NJW 2002, 626, 627.
[26] Selbst das Vorliegen einer solchen eindeutigen Mehrheit ist zweifelhaft, wenn man die diesbezüglich divergierenden Ansichten berücksichtigt; vgl. zum Beispiel Geppert, GA 1970, 1, 3, der selbst nach natürlicher Betrachtungsweise zunächst begrifflich einen „Unfall“ bejaht; vgl. dagegen Roxin, NJW 1969, 2038, 2038.
[27] So Roxin, NJW 1969, 2038, 2038.
[28] Vgl. auch BGHSt 14, 116, 118.
[29] Grünwald, ZStW 1964, 1, 2.
[30] Vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 61, der auf die Gefahr des „Wortfetischismus“ hinweist.
[31] BGHSt 14, 116, 119.
[32] RGBl 1909, 437.
[33] Vollständiger Wortlaut abgedruckt bei Dünnebier, GA 1957, 33, 34.
[34] RGBl I 606.
[35] Wortlaut abgedruckt bei Dünnebier, GA 1957, 33, 37.
[36] RGSt 75, 355, 360.
[37] Art. 2 Nr. 24 – BGBl I 735, 741.
[38] BT-Drucksache, 7/2434, S. 6.
[39] BT-Drucksache, 7/2434, S. 6; mit diesem Hinweis auch OLG Hamm, NJW 1982, 2456, 2457.
[40] Vgl. aber zur Einfügung von Absatz 4 BT-Drucksache 13/8587, S. 57, S. 80; 13/9064, S. 9.
[41] BGHSt 5, 124, 128.
[42] BVerfGE 16, 191, 193.
[43] BT-Drucksache 7/3503, S. 3.
[44] BGHSt 9, 267, 269; 12, 253, 255; 18, 114, 119; 24, 382, 385; Lackner/Kühl – Kühl § 142 Rn 1; LK – Klaus Geppert § 142 Rn 1; Hartman-Hilter, NZV 1995, 340, 341; Jagusch, NJW 1975, 1631, 1631; Lackner, DAR 1972, 283, 284; Sternberg-Lieben, JR 2002, 386, 387.
[45] BT-Drucksache 7/3503, S. 4.
- Citar trabajo
- Daniel Schnabl (Autor), 2003, Der Unfallbegriff des § 142 I StGB und die "deliktische Planung", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20549
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