In den Figuren der Frauen und Männer von „Dantons Tod“ spiegeln sich bestimmte Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster, die ihre Beziehungen zueinander entscheidend beeinflussen. Es handelt sich dabei keineswegs um zweitrangige oder nebensächliche, sondern um ganz zentrale Aspekte der Handlung, die ein gebührendes Maß an
Aufmerksamkeit verdienen. Das Verhältnis zwischen Frauen und Männern hat auf das Geschehen, soweit es von den männlichen Protagonisten als politische Figuren bestimmt wird, nur geringe Auswirkungen. Auf der Ebene persönlicher Beziehungen mit den Frauen treten uns die Revolutionäre jedoch als Privatpersonen gegenüber. Sie ermöglichen uns Einblicke in ihr Innenleben und offenbaren uns Ausschnitte aus ihrer Gedanken- und Gefühlswelt. Auf diese Weise tritt ihre Komplexität und Widersprüchlichkeit deutlicher in Erscheinung. Weil sie nicht nur als politische Funktionsträger in öffentlichen Räumen auftreten, sondern als menschliche Individuen auch von Ängsten und Zweifeln geplagt werden und wechselnden Stimmungen unterworfen sind, gewinnen sie an psychologischer Tiefenschärfe.
Andererseits können Julie und Lucile als ihren Männern in selbstloser Liebe ergebene, unschuldige Opfer der Revolution angesehen werden. Sie verkörpern ein Liebesideal, das sich nicht im irdischen Leben erschöpft, sondern auch im Angesicht des Todes und über den Tod hinaus Erfüllung und Trost verspricht. Die Revolutionäre scheinen jedoch im Hier und Jetzt verwurzelt und ganz mit ihrer Rolle als politische Handelnde beschäftigt zu sein. Während die beiden Frauen ohne die Bürde geschichtlicher Verantwortung und aus freier Willensentscheidung sich in ein unvermeidliches Schicksal fügen, verzetteln sich die Männer in ideologischen Streitgesprächen, die tiefe Gräben zwischen ihnen
aufreißen und ins Uferlose führen. Wie Danton werden sie von quälenden Schuldgefühlen geplagt und schwanken zwischen einer demonstrativ-nihilistischen Haltung und Todesangst.
Frauen und Männer im Drama „Dantons Tod“ von Georg Büchner
Thematische Aspekte im Überblick
Die Revolutionäre als politische Figuren und menschliche Individuen
In den Figuren der F rauen und Männer von „Dantons Tod“ spiegeln sich bestimmte Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster, die ihre Beziehungen zueinander entscheidend beeinflussen. Es handelt sich dabei keineswegs um zweitrangige oder nebensächliche, sondern um ganz zentrale Aspekte der Handlung, die ein gebührendes Maß an Aufmerksamkeit verdienen. Das Verhältnis zwischen Frauen und Männern hat auf das Geschehen, soweit es von den männlichen Protagonisten als politische Figuren bestimmt wird, nur geringe Auswirkungen. Auf der Ebene persönlicher Beziehungen mit den Frauen treten uns die Revolutionäre jedoch als Privatpersonen gegenüber. Sie ermöglichen uns Einblicke in ihr Innenleben und offenbaren uns Ausschnitte aus ihrer Gedanken- und Gefühlswelt. Auf diese Weise tritt ihre Komplexität und Widersprüchlichkeit deutlicher in Erscheinung. Weil sie nicht nur als politische Funktionsträger in öffentlichen Räumen auftreten, sondern als menschliche Individuen auch von Ängsten und Zweifeln geplagt werden und wechselnden Stimmungen unterworfen sind, gewinnen sie an psychologischer Tiefenschärfe.
Selbstlose Liebe und die Bürde geschichtlicher Verantwortung
Andererseits können Julie und Lucile als ihren Männern in selbstloser Liebe ergebene, unschuldige Opfer der Revolution angesehen werden. Sie verkörpern ein Liebesideal, das sich nicht im irdischen Leben erschöpft, sondern auch im Angesicht des Todes und über den Tod hinaus Erfüllung und Trost verspricht. Die Revolutionäre scheinen jedoch im Hier und Jetzt verwurzelt und ganz mit ihrer Rolle als politische Handelnde beschäftigt zu sein. Während die beiden Frauen ohne die Bürde geschichtlicher Verantwortung und aus freier Willensentscheidung sich in ein unvermeidliches Schicksal fügen, verzetteln sich die Männer in ideologischen Streitgesprächen, die tiefe Gräben zwischen ihnen aufreißen und ins Uferlose führen. Wie Danton werden sie von quälenden Schuldgefühlen geplagt und schwanken zwischen einer demonstrativ-nihilistischen Haltung und Todesangst.
Danton als fragwürdiger Held
In Danton treffen verschiedene thematische Aspekte und Konfliktbereiche zusammen, die unter drei Gesichtspunkten gebündelt werden können: Als politischer Funktionsträger befindet er sich in einer Krise, die zu Lebensüberdruss, Pessimismus und Fatalismus führt und seine Handlungsfähigkeit beeinträchtigt. In philosophischer Hinsicht fühlt er sich dem Epikureismus verpflichtet, d. h. einer Lebensanschauung, die auf ein diesseitig orientiertes Streben nach Genuss ausgerichtet ist. Auf der menschlichen Ebene entwickelt er jedoch – unter dem Einfluss Julies – seinen Gefährten gegenüber eine Haltung zunehmender freundschaftlicher, verständnisvoller Zugewandtheit. In diesem Spannungsfeld erweckt Danton den Eindruck eines
widersprüchlichen, in sich gebrochenen Charakters, dem es nicht gelingt, seine politischen Überzeugungen in zielorientiertes Handeln umzusetzen. Bereits in der ersten Szene des Dramas erleben wir Danton in einem Spielsalon des Palais-Royal, wo zweideutige Gespräche geführt werden. Er bewegt sich in den anrüchigen Etablissements käuflicher Freudenmädchen, wie die Marion-Szene in I/5 zeigt. Damit erweist er sich im Vergleich zu den Helden des traditionellen Geschichtsdramas als fragwürdiger Charakter, dem das Heldenhafte in den Wirren der Revolution abhanden gekommen ist, bzw. als ein moderner Anti-Held.
Epikureische Genussmentalität und Entwürdigung der Frau
Die Kehrseite der epikureischen Genussmentalität erleben wir in Gestalt von Rosalie und Adelaide und vielen anderen Vertreterinnen ihres Gewerbes, die nicht namentlich genannt werden, von denen aber wiederholt die Rede ist. Sie lassen sich – wie die Tochter des Souffleurs Simon in I/2 - unter dem Zwang der Verhältnisse zu Prostituierten erniedrigen, um sich und ihren Familien einen Lebensunterhalt zu verschaffen. Hier geht es um die Entwürdigung und die sexuelle Ausbeutung von Frauen durch die bürgerlichen Nutznießer der Revolution, die sich zu einer neuen Elite gesellschaftlicher Aufsteiger zusammenschließen und die ursprünglichen emanzipatorischen Ziele der Revolution hinter sich gelassen haben. Genussmentalität einer männlichen Führungsschicht auf der einen Seite und Prostitution als Überlebensnotwendigkeit auf der anderen: in diesem unauflöslichen Dilemma bewegen sich die Revolutionäre, ohne sich Rechenschaft über den damit verbundenen Verlust an Glaubwürdigkeit abzulegen. Zwar werden sie von der Lustseuche Syphilis bedroht, aber über diese ständig lauernde Gefahr versuchen sie sich mit schnoddrigen Sprüchen und bissigen Kalauern hinwegzutäuschen.
Marion: Verkörperung der Sinnlichkeit
Auf diesem Hintergrund betrachtet tritt uns mit der Hure Marion in I/5 eine weibliche Gestalt gegenüber, die sich von dem übrigen Milieu der Prostituierten abhebt. In gewissem Sinne kann sie als Gegenfigur zu Rosalie und Adelaide, vor allem aber zu Julie und Lucile, betrachtet werden. Wenn man sie als eine Verkörperung unbegrenzter Sinnlichkeit auffasst, rückt man sie in die Nähe einer symbolischen Figur, einer Inkarnation weiblicher Erotik, die – im Unterschied zu Julie und Lucile – nicht zu selbstloser Hingabe fähig ist und sich nicht dauerhaft mit einem männlichen Individuum
verbinden kann. Weil sie sich nicht an die Gepflogenheiten eines bürgerlichen Lebens anpassen kann, wird sie von ihrer Umgebung verachtet und teilt insofern das Schicksal von Rosalie und Adelaide als gewöhnliche Prostituierte.
Utopie uneingeschränkter Sinnenfreude
Mit dem einmaligen Auftreten Marions als Partnerin Dantons stellt sich die Frage nach der Bedeutung dieser Szene im Gesamtzusammenhang der Handlung. Man könnte einerseits vermuten, dass Georg Büchner mit Marion eine zukunftsweisende Utopie uneingeschränkter Sinnenfreude entwirft. Dagegen spricht aber, dass es sich tatsächlich um eine Episode handelt, die aus einem von hemmungsloser Gewalttätigkeit und blindwütiger Mordlust geprägten Geschehen herausgelöst wird: die
Momentaufnahme einer intimen, ungestörten Zweisamkeit von Mann und Frau im unablässig weiter mahlenden Getriebe einer erbarmungslosen Revolutionsmaschinerie. Diese Szene ist auch symptomatisch für ein illusionäres Wunschdenken Dantons, der sich im „Äther“ (I/5, 21) reiner Sinnlichkeit auflösen möchte, während er sich und seine Ehefrau Julie als „Dickhäuter“ (I/1, 5) beschreibt, die einander fremd sind und keinen Zugang zueinander finden. Als Ehemann Julies, die ihm treu ergeben ist und ihm Halt und Trost gibt, kann er nicht gleichzeitig überzeugend die Rolle eines Liebhabers spielen, der mit einem Freudenmädchen in Augenblicken entgrenzter Sinnlichkeit sexuelle Erfüllung findet, während er für die Zeichen der Liebe seiner Frau unempfänglich scheint. Unter den lebensbedrohenden Zwängen der Revolution ist eine Vision befreiter Sexualität undenkbar. Bei der Marion-Szene handelt es sich um ein Zwischenspiel, das das Revolutionsgeschehen in keiner Weise beeinflusst und deswegen auch keine zukunftsweisende Funktion hat.
Weibliche Kommunikationsfähigkeit und männlicher Fatalismus
Die Frauen in „Dantons Tod“ sitzen nicht an den Hebeln der Macht. Sie haben keine politische Entscheidungsgewalt. Was den Revolutionsverlauf angeht, sind sie Randfiguren ohne Handlungsvollmacht. Sie sind auch nicht – wie die Männer – in sinnlose Diskussionen über Politik, Geschichte und Philosophie verwickelt. Auf der persönlichen Beziehungsebene verkörpern sie Formen des Kommunizierens, die den Männern fremd zu sein scheinen. Sie denken, handeln und sprechen im Einklang mit ihren Gefühlen und sind – wie Julie und Lucile – im Unterschied zu den Männern von Anfang an zu selbstloser, ungebrochener Hingabe an den Partner fähig. Während Danton eine Philosophie der Sinnenfreude postuliert, im Grunde aber von Zweifeln zerrissen ist und hinter einer Fassade bitterer Ironie, ätzendem Sarkasmus und höhnischem Zynismus zu einer fatalistisch und nihilistisch getönten Lebens- und Weltanschauung neigt, wendet Julie sich ihrem Mann liebe- und verständnisvoll zu, spendet ihm Trost, richtet ihn auf und geht entschlossen mit ihm in den Tod.
Öffentlichkeit und Privatsphäre
Es fällt auf, dass Julie und Lucile nicht untereinander und auch nicht mit anderen Figuren, sondern nur mit ihren jeweiligen Männern kommunizieren. Ihre Männer sind ihre einzigen Bezugspersonen im Drama. Durch diese Konstellation werden sie aus dem öffentlichen Raum herausgenommen. Ihre Sphäre ist ganz auf den privaten und persönlichen Bereich beschränkt. Darin liegt aber gerade ihre besondere Stärke. Sie bilden ein Gegengewicht zur Zwanghaftigkeit des öffentlichen, politischen Geschehens und zeigen durch ihr Beispiel, dass es Räume gibt, in die diese Zwänge nicht hineinreichen. In der Sphäre des Privaten verkörpern sie Gestalten, die selbst im Angesicht des Todes zu freier Entscheidung fähig sind und – wie vor allem Julie – den Tod willig auf sich nehmen.
Wandel im Verhältnis der Geschlechter
Es ist nicht zu übersehen, dass die Frauen das Verhalten der Männer entscheidend prägen. Wenn die Männer sich wandeln, kommen die Anstöße dazu in erster Linie von den Frauen. Dadurch verändert sich der Umgangston unter den Männern: Statt Ironie und
Sarkasmus zu verbreiten, lassen sie ihre Gefühle sprechen. Statt eine Haltung distanzierender Kühle und Schnoddrigkeit einzunehmen, gehen sie verständnisvoll aufeinander zu und trösten sich gegenseitig. Statt sich auf die lebensverneinenden theoretischen Positionen des Fatalismus und Nihilismus zurückzuziehen, geben sie sich Halt im praktischen Handeln.
Die Ausgangssituation: Wirklichkeit und Wunschdenken
Einschätzung der politischen Lage
Schon aus der ersten Szene des Dramas im Spielsalon des Palais-Royal[1] geht hervor, dass Danton und seine Gefährten politisch gescheitert sind und sich auf einer abschüssigen Bahn befinden. Während Hérault mit seiner Spielpartnerin zweideutige Gespräche führt, die voller halb-verhüllter sexueller Andeutungen stecken, werden die Schrecken der Revolution in der Unterhaltung zwischen Danton und den neu hinzugekommenen Camille Desmoulins und Phlippeau ironisierend heruntergespielt und verharmlost oder grotesk überzeichnet und ins Lächerliche gezogen. Mit seinen Anspielungen auf berühmte Gestalten der griechischen Antike profiliert Camille sich seinen Gefährten gegenüber als Kenner der Geschichte und der Literatur. Hérault fordert ein baldiges Ende der Revolution und den Beginn einer Republik auf der Grundlage von Recht und Gesetz. Dabei verkennt er aber die Gewaltbereitschaft und die Entschlossenheit der Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses unter Robespierre. In Verbindung damit postuliert er ein epikureisch geprägtes Gesellschaftsmodell, in dem „jeder ... in seiner Art genießen können“ (I/1, 7) müsse. Dieses Modell wird von Camille in poetischen Bildern ästhetisierend ausgeschmückt, indem er von einem Staat „mit einem durchsichtigen Gewand“ (ebd.) spricht, das sich eng an den Staatskörper anschmiegt, so dass sich alle Vorgänge darauf deutlich abzeichnen. Gegen diese lebensbejahende, vordergründig auf Genuss ausgerichtete, schwärmerische Vision bezieht Danton entschlossen Stellung. Er hält solcherlei Gedanken für pure Illusion und naives Wunschdenken und weigert sich, in dieser Richtung aktiv zu werden und eine Führungsrolle zu übernehmen. Camilles Bezugnahme auf die großen Gestalten der griechischen Geschichte und Mythologie hält er für leeres Gerede und distanziert sich davon. Es zeigt sich, dass Danton und seine Gefährten in der Einschätzung der politischen Lage und des weiteren Verlaufs der Revolution ganz unterschiedlicher Meinung sind. Was Danton selbst angeht, fällt seine Skepsis, seine pessimistische Sicht der Dinge und seine Passivität ins Auge.
Die wahren Verhältnisse
Trotz dieser Widersprüchlichkeiten in der Beurteilung der politischen Lage und der weiteren Entwicklung , zeichnet sich in der Diskussion ein Bild der wahren Verhältnisse ab. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Es werden „Irrtümer“ begangen und Menschen aufs „Schafott“ geschickt. Die treibenden Kräfte der Revolution sind zersplittert. Sie bekämpfen sich unbarmherzig und löschen sich gegenseitig aus. Es geht „schmutzig und blutig“ zu. Das Leben ist ständig vom Tode bedroht. Neugeborenen Kindern wird die „Wiege“ zu „Särgen“. Auf diesem Hintergrund betrachtet erscheint der Gedanke, dass es „vorwärts“ gehen soll grotesk. Begriffe wie Neuordnung und „Reorganisation“
scheinen himmelweit entfernt. Jeder Zukunftsoptimismus verbietet sich geradezu. Schönfärberisches Gerede ändert nichts an den grausamen Tatsachen. Jede Genussphilosophie ist ein Schlag ins Gesicht des notleidenden Volkes. Hinter der vorgehaltenen Hand der Anständigkeit lauern vulgäre Wunschphantasien von „nackten Göttern“ und „Bacchantinnen“, von der „Venus mit dem schönen Hintern“ und von der „gliederlösenden, bösen Liebe“. (Alle Zitate aus I/1, 6-8) In Wirklichkeit handelt es sich um einen pervertierten Liebesbegriff aus der Perspektive männlicher Revolutionäre mit einer verrohten und verdorbenen Gefühlswelt. [2]
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- Quote paper
- Hans-Georg Wendland (Author), 2012, Frauen und Männer im Drama 'DantonsTod' von Georg Büchner, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205312
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