Der Eintritt in die Grundschule stellt für jedes Kind ein bedeutendes Ereignis im Leben dar. Es betritt einen neuen Handlungs- und Erfahrungsraum, in dem es meist zum ersten Mal mit gezielten Leistungsanforderungen konfrontiert wird. Das Kind wird neuen Lerngegebenheiten ausgesetzt, geht viele neue soziale Beziehungen mit seinen Mitschülern1 ein und muss sich den Forderungen, die das Schulsystem in sich birgt, stellen (vgl. Nickel 1976, S.19). Viele Regeln bestimmen nun den Tagesablauf des Kindes und die Zeit zum freien Spielen wird zunehmend weniger. Stattdessen gibt es feste Zeitstrukturen fürs Aufstehen und Zubettgehen, für den Schulweg, die Hausaufgaben und die Zeit, die mit anderen verbracht werden darf. Kinder sind dabei durchaus motiviert, in die Schule zu gehen, sich den Verbindlichkeiten zu stellen und zu zeigen, dass sie etwas können (vgl. Haug-Schnabel & Bensel 2011, S.137 f.).
Dennoch werden viele Kinder jeden Tag durch steigende Anforderungen – schon in der Grundschule – mit Situationen konfrontiert, die für sie zu Problemen führen und den Schulalltag erschweren können. Dieses habe ich selbst bei meiner Arbeit in einer offenen Ganztagsgrundschule in Nordrhein-Westfalen beobachten können. Es gibt dort viele Kinder, die durch die an sie gestellten Anforderungen durch den Unterricht und die zu erbringenden Leistungen überfordert und gestresst sind. Hinzu kommt dann häufig noch der Streit mit anderen Mitschülern oder die Auseinandersetzung mit den Lehrern, zum Beispiel aufgrund von fehlenden Hausaufgaben.
Ziel dieser Bachelorarbeit ist es deshalb der Frage nachzugehen, welchen schulischen Belastungen Kinder der ersten Klasse ausgesetzt werden. In der vorliegenden Arbeit habe ich daher besonders viel Wert auf das subjektive Erleben von Kindern gelegt und mich für die Anwendung qualitativer Forschungsmethoden entschieden. Diese werden in den theoretischen Rahmen der Stressbewältigung im Kindesalter eingebettet.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Definition: Stress und Stress erleben
2.2 Ursachen für Stress und Belastungen in der Grundschule
2.2.1 Erfahrungsbereich Lernen und Unterricht
2.2.2 Erfahrungsbereich Lehrer
2.2.3 Erfahrungsbereich Mitschüler
2.3 Umgang mit Stress und Belastung in der Grundschule
2.3.1 Änderung der Situation
2.3.2 Stressbewältigung durch das Kind
2.4 Zusammenfassung des theoretischen Teils und Folgerungen für die eigene Untersuchung (Zielsetzung und Fragestellung)
2.4.1 Zusammenfassung des theoretischen Teils
2.4.2 Folgerungen für die eigene Untersuchung (Zielsetzung und Fragestellung)
3 Methodisches Vorgehen
3.1 Erhebungsmethode
3.2 Pretest
3.3 Stichprobengenerierung, Feldzugang und Durchführung
3.4 Aufbereitungs- und Auswertungsverfahren
3.4.1 Transkription
3.4.2 Qualitative Inhaltsanalyse
4 Darstellung der Ergebnisse
4.1 Lernen und Unterricht
4.2 Lehrer
4.3 Mitschüler
4.4 Zusammenfassung der Ergebnisse im Hinblick auf die Fragestellung der Arbeit
4.5 Vergleich der Ergebnisse mit der Studie von Frank (2008)
5 Schlussfolgerungen der Arbeit (für die pädagogische Praxis)
6 Abbildungsverzeichnis
7 Literaturverzeichnis
8 Anhang
1 Einleitung
Der Eintritt in die Grundschule stellt für jedes Kind ein bedeutendes Ereignis im Leben dar. Es betritt einen neuen Handlungs- und Erfahrungsraum, in dem es meist zum ersten Mal mit gezielten Leistungsanforderungen konfrontiert wird. Das Kind wird neuen Lerngegebenheiten ausgesetzt, geht viele neue soziale Beziehungen mit seinen Mitschülern[1] ein und muss sich den Forderungen, die das Schulsystem in sich birgt, stellen (vgl. Nickel 1976, S.19). Viele Regeln bestimmen nun den Tagesablauf des Kindes und die Zeit zum freien Spielen wird zunehmend weniger. Stattdessen gibt es feste Zeitstrukturen fürs Aufstehen und Zubettgehen, für den Schulweg, die Hausaufgaben und die Zeit, die mit anderen verbracht werden darf. Kinder sind dabei durchaus motiviert, in die Schule zu gehen, sich den Verbindlichkeiten zu stellen und zu zeigen, dass sie etwas können (vgl. Haug-Schnabel & Bensel 2011, S.137 f.).
Dennoch werden viele Kinder jeden Tag durch steigende Anforderungen – schon in der Grundschule – mit Situationen konfrontiert, die für sie zu Problemen führen und den Schulalltag erschweren können. Dieses habe ich selbst bei meiner Arbeit in einer offenen Ganztagsgrundschule in Nordrhein-Westfalen beobachten können. Es gibt dort viele Kinder, die durch die an sie gestellten Anforderungen durch den Unterricht und die zu erbringenden Leistungen überfordert und gestresst sind. Hinzu kommt dann häufig noch der Streit mit anderen Mitschülern oder die Auseinandersetzung mit den Lehrern, zum Beispiel aufgrund von fehlenden Hausaufgaben.
Stress und Belastungen sind ernstzunehmende Faktoren, die bereits die schulische Laufbahn von Grundschulkindern deutlich prägen können. Es liegen empirische Untersuchungen vor, die zeigen, dass Kinder in der Grundschule unter Belastungen durch Mitschüler, Lehrer und den Unterricht stehen (siehe Frank 2008). Die daraus entstehenden Belastungen können sich bei den Schülern, bei fehlenden Bewältigungsstrategien in gesundheitlichen Beeinträchtigungen widerspiegeln: Die Kinder fühlen sich angespannt, nervös, unwohl und ängstlich (vgl. Hampel & Petermann, 2003, S.3). Schule kann somit eine ganz bedeutende Rolle als Stress- und Belastungsfaktor für Kinder spielen, gerade auch deshalb, weil der größte Teil des alltäglichen Lebens von Kindern in dieser Institution stattfindet.
Ziel dieser Bachelorarbeit ist es deshalb der Frage nachzugehen, welchen schulischen Belastungen Kinder der ersten Klasse ausgesetzt werden. In der vorliegenden Arbeit habe ich daher besonders viel Wert auf das subjektive Erleben von Kindern gelegt und mich für die Anwendung qualitativer Forschungsmethoden entschieden.
Im zweiten Kapitel dieser Arbeit werden zunächst theoretische Grundlagen zum Thema „Stress und Belastung im Grundschulalltag“ beschrieben. Dabei wird darauf eingegangen, wie Stress und Belastung im Sinne eines transaktionalen Modells entsteht. Daran anschließend werden schulische Belastungen beleuchtet, um darauf aufbauend mögliche Bewältigungsstrategien und -ressourcen von Kindern darzulegen. Aus diesen theoretischen Grundlagen wird weiterhin die Fragestellung und die Zielsetzung im Hinblick auf die bestehende Forschung zum Thema „Belastungen im Grundschulalltag“ abgeleitet.
Das dritte Kapitel dieser Arbeit beleuchtet das methodische Vorgehen der empirischen Untersuchung. Zunächst wird dabei auf die verwendete Methode eingegangen, die Stichprobe und der Feldzugang dargestellt und die Durchführung der Studie beschrieben. Weiterhin wird erklärt, wie das erhobene Material aufbereitet und ausgewertet wurde.
Im vierten Kapitel werden dann die Ergebnisse der Studie dargestellt. Dabei wird nach drei Kategorien, die sich aus den Interviews und den theoretischen Grundlagen ergeben, analysiert: Lernen und Unterricht, Lehrer und Mitschüler. Anschließend werden die Ergebnisse im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit zusammengeführt.
Schließlich werden Schlussfolgerungen aus der Arbeit – auch hinsichtlich der Arbeit in der pädagogischen Praxis – gezogen.
Im Anhang befinden sich der von mir benutzte Leitfaden für die Interviews, die Transkripte der Interviews und die Übersicht der definierten Kategorien, Ankerbeispiele und Kodierregeln, sowie ein Bild der Handpuppe, die für die Interviews verwendet wurde.
2 Theoretische Grundlagen
Zunächst werden in dieser Arbeit die Begriffe „Stress“ und „Stress erleben“ sowohl allgemein, als auch im schulischen Kontext definiert, um davon ausgehend die Fragestellung und die Zielsetzung dieser Bachelorarbeit besser erläutern zu können.
2.1 Definition: Stress und Stresserleben
Der Begriff „Stress“ gehört zu unserem alltäglichen Sprachgebrauch. Nicht nur Erwachsene verwenden diesen Begriff, sondern schon Kinder im Grundschulalter benutzen den Begriff zur Kennzeichnung unterschiedlicher Belastungen (zum Beispiel wenn es Stress mit anderen Schülern oder Stress bei den Hausaufgaben gibt) (vgl. Lohaus & Domsch & Fridrici 2007, S.4).
Stress wird nicht allein durch eine schwierige Situation ausgelöst, in der man sich gerade befindet. Vielmehr ist Stress eine Folge von Interpretationen der einzelnen Personen, was dazu führt, dass es erhebliche Unterschiede im Erleben von Stress und Belastungen gibt. Die Bewertung und Interpretation eines Ereignisses hängt dabei von früheren Erfahrungen ab.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Somit entsteht Stress in Folge einer Wahrnehmung und Bewertung einer stressauslösenden Situation, von der abhängt, wie stark die Stressreaktion und das Belastungsempfinden ausfallen. Weiterhin entsteht Stress aus einer Wechselwirkung, in der sich Person und Umwelt gegenseitig beeinflussen. Dieses Stresskonzept wird als transaktionales Stresskonzept bezeichnet (vgl. Lohaus & Domsch & Fridrici 2007, S.5).
Stress lässt sich nach dem transaktionalen Stresskonzept von Lazarus und Launier (1981) als Anforderung der Umwelt definieren, welche die Fähigkeiten einer Person beanspruchen oder übersteigen kann. Kann mit diesen Anforderungen nicht umgegangen werden oder können diese nicht neutralisiert werden, so führt dieses zu schädlichen Konsequenzen und Belastungen für die Person (vgl. Lazarus & Launier 1981, S.214). Gerade alltägliche Anforderungen, die über längere Zeiträume immer wiederkehren, können zu einem erhöhten Belastungserleben beitragen, wenn eine Person diese nicht positiv bewerten kann (vgl. Beyer & Lohaus 2007, S.13).
Ob eine Situation beziehungsweise ein Geschehen als stressig empfunden wird und Belastungen entstehen, steht im Zusammenhang mit der eigenen Einschätzung der Situation durch die Person: Nach dem Stressmodell von Lazarus und Launier folgt auf die Konfrontation mit einem potentiellen Stressor eine primäre Bewertung der Gegebenheiten. Die Person selbst prüft dabei, „was auf dem Spiel steht“ und schätzt die Anforderungen als irrelevant, positiv oder stressend ein.
Wenn eine Situation als irrelevant oder positiv bewertet wird, hat diese keinen negativen Einfluss auf die Person. Die Bewertung eines Ereignisses als stressend, tritt in drei Formen auf: a) Der Herausforderung, b) der Bedrohung und c) der Schädigung/dem Verlust. Wird eine Situation als Herausforderung bewertet, so birgt dieses für das Individuum nicht nur ein Risiko, sondern es kann diese Situation auch als bewältigbar einstufen. Herausforderungen sind mit Neugier und Zuversicht verbunden, dem Ereignis gegenüberzustehen und nicht mit negativen Stressemotionen.
Die Einschätzung als Bedrohung beziehungsweise als Schädigung/Verlust beeinflusst das Befinden der Person hingegen negativ. Die Situation wird als Überforderung interpretiert und bei mangelnden Bewältigungsstrategien kommt es zu negativen Folgen und Belastungen (vgl. Lazarus & Launier 1981, S.226).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bewertet eine Person ein Ereignis als stressbezogen, so heißt dieses noch nicht, dass es auch zu einem Stressempfinden kommen muss.
In einer sekundären Bewertung schätzt die Person die verfügbaren Ressourcen und Möglichkeiten zur Bewältigung des Ereignisses ein. Dazu gehören neben den eigenen Kompetenzen (internale Ressourcen) auch die Mobilisierung und der Erhalt von sozialer Unterstützung (externale Ressourcen).
Die Einschätzung dieser Ressourcen ist sehr wichtig für die Stressbewältigungsfähigkeiten. Erst, wenn eine belastende Situation so wahrgenommen wird, dass dafür keine Bewältigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, kommt es zu einem Stressempfinden und zu einer Stressreaktion der Person (vgl. Lohaus & Domsch & Fridrici 2007, S.6). Somit kann dieselbe Situation bei verschiedenen Personen zu unterschiedlichem Stressempfinden und unterschiedlichen Bewältigungsstrategien führen. Es gibt nicht die „Stressoren“, denn Stress wird von jeder Person anders empfunden und erlebt (vgl. Lazarus & Launier 1981, S.223).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Stressreaktionen kommen somit nach dem transaktionalen Stressmodell dadurch zu Stande, wie Belastungssituationen wahrgenommen und interpretiert werden (primäre Bewertung) und wie die Person selbst ihre eigenen Bewältigungsfähigkeiten einschätzt (sekundäre Bewertung). Diese Vorgänge sind allerdings nicht immer bewusste Vorgänge, sondern laufen häufig auch im Unterbewusstsein des Menschen und damit automatisch ab (vgl. Lohaus & Domsch & Fridrici 2007, S.8).
Stress entsteht demnach,
„wenn in einer potentiell stressig wahrgenommen Situation die vorhandenen Bewältigungsmöglichkeiten als unzureichend angesehen werden. Stress entsteht also dann, wenn die wahrgenommenen Anforderungen die wahrgenommen Bewältigungsmöglichkeiten übersteigen“ (Lohaus & Domsch & Fridrici 2007, S.8).
Aufbauend auf dieses Verständnis der Stress- und Belastungsentstehung haben Klein-Heßling und Lohaus (2000) ein einfaches Modell zur Erläuterung des Stress- und Belastungsentstehens konzipiert, das bereits für Kinder im Grundschulalter verständlich ist. Es handelt sich dabei um das Modell der Stresswaage:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Stresswaage (aus: Lohaus& Domsch & Fridrici 2007, S.8).
Die Stresswaage besitzt zwei Waagschalen (siehe Abbildung 1). Die eine Schale steht für die Anforderungen, die an die Person gestellt werden („Wann man Stress haben kann“). Diese Anforderungen bringen die Waage aus dem Gleichgewicht – vor allem dann, wenn es sich um schwierige Anforderungen handelt oder um eine Vielzahl von kleinen Anforderungen, die sich zu einer großen Belastung summieren. Der Zeiger, der mit der Waage verbunden ist, zeigt nun auf „Stress haben“. Um diese Stresswaage wieder ins Gleichgewicht zu bringen, kommt es darauf an, dass die Kinder etwas zur Stressbewältigung unternehmen. Die zweite Waagschale („Was man gegen Stress tun kann“) muss nun gefüllt werden.
Wenn die Stressbewältigungsstrategien erfolgreich waren, verschwinden der Stress und die Belastung und der Zeiger der Waage zeigt auf „Zufrieden sein“. Die Anforderungen, die an das Kind gestellt wurden, übersteigen nicht mehr dessen Bewältigungspotential und die Stresswaage steht im Gleichgewicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Alles in allem kommt es jedoch nicht darauf an, dass man Kinder und Jugendliche vor jeglichen Situationen bewahrt, die möglicherweise Stress auslösen könnten. Diese Anforderung könnte die Schule auch gar nicht umsetzen. Vielmehr ist es wichtig, dass das Kind Erfahrungen im Umgang mit möglichen stressauslössenden Situationen macht, um für sich ein Repertoire an Bewältigungsstrategien aufbauen zu können und zu lernen, mit Belastungen umzugehen. Dabei sollte aber darauf geachtet werden, Überforderungen des Kindes zu vermeiden. Die richtige Balance zwischen „Konfrontation mit stressauslösenden Situationen“ und „Überforderung“ zu finden, ist dabei eine wichtige Aufgabe im Erziehungsprozess des Kindes (vgl. Lohaus & Domsch & Fridrici 2007, S.12).
2.2 Ursachen für Stress und Belastungen in der Schule
Aufgrund der vorher angeführten Definition, welche besagt, dass Stress durch eine subjektive Bewertung von Situationen entsteht, ist es schwierig, generelle schulische Faktoren zu benennen, die Kinder im Schulalter belasten können. Zudem zeigt sich in einer Untersuchung von Hössl und Vössler (2006) über die Belastungen von Kindern in der Grundschulzeit, dass einige der von ihnen befragten Kinder in den Interviews trotz Nachfrage keinerlei negative Erlebnisse im Zusammenhang mit ihrem Grundschulalltag benennen können. Zum einen kann dieses daran liegen, dass viele Kinder die Grundschulzeit ohne Schwierigkeiten durchlaufen und für sich keine Belastungen erleben. Zum anderen muss dabei aber auch darauf geachtet werden, dass viele Kinder nicht gerne über Belastungen sprechen, die aus schlechten Leistungen resultieren (vgl. Hössl & Vössler, 2006, S.78).
Jedoch ist die Schule ein Ort, in dem für Kinder vielfältige Belastungen entstehen können. Hierbei sind nach Frank (2008) besonders drei große Erfahrungsbereiche zu nennen, die Belastungen hervorrufen können : a) Lernen und Unterricht, b) Lehrer und c) Mitschüler. Diese drei Erfahrungsbereiche müssen nicht getrennt voneinander betrachtet werden, sondern es kann zu Überschneidungen kommen, beispielsweise wenn ein Schüler aufgrund von schlechten Noten im Unterricht, Neid auf einen anderen Mitschüler entwickelt.
2.2.1 Erfahrungsbereich Lernen und Unterricht
Dem Erfahrungsbereich Lernen und Unterricht kommt in der Schule ein besonderer Stellenwert zu. Schulunterricht ist dabei als mehr als Rechnen-, Schreiben- und Lesenlernen anzusehen. Kinder müssen bereits in der Grundschule ein sattes „Rundum-Programm“ an Unterrichts- und Lernanforderungen bewältigen (vgl. Nitsch & von Schelling 1997, S.19). Gerade die neuen Leistungs- und Lernanforderungen im Unterricht können für Kinder Belastungen bedeuten, wenn diese negative Erfahrungen bei ihnen hervorrufen (vgl. Frank 2008, S.59).
Kinder werden in der Grundschule mit neuen institutionellen Rahmengegebenheiten, wie festen Schulstunden und festen Pausenzeiten, sowie einer neuen Klassengemeinschaft konfrontiert. Dabei ist es eine Aufgabe für das Kind, sich an das neue Stillsitzen und Zuhören und Stillsein während des Unterrichts zu gewöhnen und mit der bewegungslosen Zeit umzugehen (vgl. Nitsch & von Schelling 1997, S19).
Darüber hinaus muss es sich in der Schule mit vorgegebenen Lerninhalten beschäftigen, durch die der Handlungsspielraum des Kindes schwer eingeschränkt wird. Dabei stehen im Unterricht dann noch die Leistungen der Schüler und deren Beurteilung im Vordergrund. Permanent sind die Kinder dem kontrollierenden Blick des Lehrers ausgesetzt. Rückzugsmöglichkeiten, um unbeachtet zu sein, gibt es kaum mehr. Daraus können vielfältige Belastungs- und Stresssituation entstehen, wenn die erwartete Leistung nicht erbracht werden kann und das Kind es nicht schafft mit Misserfolgserlebnissen umzugehen (vgl. Knörzer & Grass 2000, S.156).
Nachmittags wird die frei verfügbare Zeit der Kinder zusätzlich durch die Verpflichtung der Hausaufgaben eingeschränkt. Somit bringen der Schulunterricht und die Lernanforderungen auch eine erheblich zeitliche Belastung mit sich. Grundschüler gehen bis zu sechs Stunden am Vormittag in die Schule und verbringen dazu oft noch ein bis zwei Stunden bei den Hausaufgaben. Diese zeitliche Beanspruchung übertrifft die Arbeitswoche eines berufstätigen Erwachsenen nicht selten. Dennoch müssen Schüler es lernen, sich für diese lange Zeit zu konzentrieren und den Anforderungen nachzukommen, die an sie gestellt werden (vgl. Ulich 2001, S.15). Aus diesem Erfahrungsbereich können Probleme im Unterricht entstehen, wenn Kinder Schwierigkeiten haben, sich an die lange Liste neuer Spielregeln in der Grundschule anzupassen und die an sie gestellten Aufgaben zu erfüllen.
2.2.2 Erfahrungsbereich Lehrer
Neben dem Erfahrungsbereich des Unterrichts stellt auch der Klassenlehrer in verschiedener Hinsicht eine Einflussgröße für die Persönlichkeit der Schüler dar: Er ist eine wichtige Bezugsperson, er lebt gewisse Verhaltensweisen vor und dient somit als Modell für seine Schüler. Zudem beurteilt er aber auch die Leistung und das Verhalten der Schüler und bestimmt über die Unterrichtsgestaltung und damit über die Form, wie die Lerninhalte aufbereitet werden (vgl. Frank 2008, S.71).
Besondere Bedeutung im Unterricht hat deshalb die Lehrer- Schüler- Interaktion. Wichtig für die Leistungs- und Persönlichkeitsentwicklung der Schüler ist eine gute Beziehung zu seinem Lehrer. Stimmt diese Beziehung nicht und ein Kind ist unsicher gegenüber seinem Lehrer, so kann es für das Kind eine große Herausforderung sein, vor dem Lehrer laut vorzulesen oder ihm zu sagen, dass man etwas im Unterricht nicht verstanden hat (vgl. ebd., S.72). Dieses kann für das Kind zu enormen Belastungen führen, da fehlendes Vertrauen gegenüber dem Lehrer dazu führt, dass der Lehrer als Unterstützungsperson für eine Problemsituation in der Schule weg fällt und somit das Kind in gewissen Problemsituationen, in denen es sonst Hilfe vom Klassenlehrer erhalten könnte, auf sich selbst gestellt ist (vgl. ebd., S.73).
Lehrerbezogene Probleme von Schülern sind zudem gerade im Zusammenhang mit Sanktionen und Bewertungen zu sehen, aber auch in unbewussten Verhaltensweisen, in denen ein Lehrer einen Schüler ungerecht behandelt. Diese Verhaltensweisen können der Bildung eines Vertrauensverhältnisses entgegenstehen und somit zu Belastungen seitens der Schüler führen. Nur wenn sich ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern aufbaut, kann eine Lehrer-Schüler-Interaktion gelingen, eine entspannte Lernatmosphäre entstehen und schließlich auch die Basis für den Erfolg von Lernerfahrungen geschaffen werden. Durch Vertrauen wird zudem die Grundlage geschaffen, dass sich Kinder bei Problemen Unterstützung von Lehrkräften holen (vgl. ebd., S.73f.) und somit eine Stressbewältigungskompetenz geschaffen.
2.2.3 Erfahrungsbereich Mitschüler
Neben dem Lehrer spielen auch die Mitschüler als soziale Beziehungen und Ansprechpartner in der Grundschule eine wichtige Rolle.
In der Grundschulzeit findet eine Ausweitung der gleichartigen Bezugspersonen statt. Das Kind kommt in eine neue Klassengemeinschaft und lernt dort neue Kinder kennen.
Die Kontakte innerhalb der Schülergruppe ermöglichen es den Kindern, sich mit anderen zu vergleichen, Erfahrungen mit Konflikten und der Lösung dieser Konflikte zu sammeln, Freundschaften zu schließen, Hilfe zu geben und anzunehmen und Partner für das gemeinsame Spiel und Lernen zu finden (vgl. Frank 2008, S.44).
Diese Möglichkeiten bieten einerseits positive Herausforderungen und Chancen, können aber andererseits auch Belastungspotenziale für Kinder darstellen: Was ist, wenn ein Kind keinen Zugang zur Gruppe findet oder was ist, wenn gewisse Konflikte untereinander nicht gelöst werden können? Kann das Kind mit diesen Möglichkeiten nicht positiv umgehen, so kann dieses zu Belastungen führen.
Dennoch sind die Gleichaltrigen in der Schule sehr wichtig für das Kind, um Möglichkeiten der Selbstbehauptung zu entdecken, Selbstständigkeit zu erlernen und Akzeptanzerfahrungen in der Gleichaltrigengruppe zu erfahren. Deshalb stellt die soziale Akzeptanz unter Mitschülern eine wichtige Einflussgröße für die Persönlichkeitsentwicklung im Grundschulalter dar. Außenseitern bleibt der Zugang zu vielfältigen Kommunikationsstrukturen, Interaktionen und Aushandlungen unter den Kindern verborgen. Vielmals spielt in diesem Zusammenhang auch das „Mobbing unter Schülern“ eine ernstzunehmende Größe dar (zum Beispiel, wenn sich Kinder über andere Kinder im Unterricht lustig machen und das Kind deshalb aus Angst aufzufallen und Fehler zu machen, nicht mehr am Unterricht aktiv teilnimmt). Kinder mit einer „Außenseiterstellung“ werden deshalb auch als „Risikogruppe für Belastungen“ bezeichnet (vgl. ebd., S. 48f.).
2.3 Umgang mit Stress und Belastung in der Grundschule
Wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt wird, gibt es in der Grundschule täglich Anforderungen, die für Kinder potenzielle Belastungen darstellen können. Schule kann diese belastenden und stressauslösenden Situationen weder im Bereich der sozialen Beziehungen, noch im Bereich der Leistungsanforderungen von den Kindern fernhalten (vgl. Frank 2008, S.63).
Grundsätzlich haben weniger die Häufigkeit und die Intensität der Stressperioden einen entschiedenen Einfluss auf das subjektive Belastungserleben der Kinder, sondern vielmehr die Art und Weise, wie mit der Belastung umgegangen wird.
Deshalb ist es wichtig, dass Kinder lernen mit Stressoren umzugehen und Ressourcen besitzen, die ihnen beim Umgang mit Problemen und Belastungen in der Schule helfen und die Stresswaage wieder ins Gleichgewicht bringen (vgl. Seiffge-Krenke & Lohaus 2007, S.15).
Im Umgang mit Stress- und Belastungsbewältigung gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Ansätze: Eine Möglichkeit besteht darin, dass man das Kind in seinem Stressbewältigungsverhalten unterstützt. Die zweite Möglichkeit besteht darin, die Situation, in der sich ein Kind befindet, so zu verändern, dass der Stress reduziert wird. Diese Ansatzmöglichkeiten werden im Folgenden beschrieben.
2.3.1 Änderung der Situation
Es gibt in der Grundschule viele Stressauslöser, deren Ursache nicht im Kind selbst, sondern vielmehr in ungünstigen schulischen Bedingungen liegen. Diese Stressauslöser können verringert werden, wenn man gewisse situative Bedingungen in der Schule den Bedürfnissen des Kindes anpasst: In der Schule sollten die Räume möglichst so beschaffen sein, dass die Kinder in einer ruhigen Atmosphäre lernen können. Ständiger Verkehrslärm kann beispielsweise dazu beitragen, dass das Kind sich nicht richtig konzentrieren kann und durch den Lärm belastet wird. Darüber hinaus ist es wichtig, Ablenkungsquellen auf ein Minimum zu reduzieren. Weiterhin wäre es gut, wenn es für die Kinder in der Schule einen Ort gäbe, an den sie sich zurückziehen und erholen können, wenn sie es benötigen. Diese Rückzugszonen können zur Stressreduktion des Kindes beitragen (vgl. Lohaus & Domsch & Fridrici 2007, S. 48).
Auch die Sitzordnung und die Unterrichtsgestaltung spielen eine bedeutende Rolle, ob es zu Belastungen seitens des Kindes kommt. Bei der Sitzordnung kann den Sympathien und Antipathien der Kindern entgegengekommen werden. So lassen sich Streitereien reduzieren, wenn der Schüler neben einem Schüler sitzt, den er mag. Dabei sinkt das Stresspotential innerhalb der Klasse, weil die Aggressivität zwischen den Schülern nachlässt.
Im Hinblick auf die Unterrichtsgestaltung ist es wichtig, dass auf Phasen der Konzentration gerade in der Grundschule Phasen folgen, in denen spielerische Elemente in den Vordergrund gelangen und sich die Kinder erholen können. Somit ist ein Wechsel zwischen Belastung und Erholung sinnvoll (vgl. ebd., S.49)
Allerdings sind die oben genannten Bedingungen auch ziemlich idealistisch, denn es ist nicht immer möglich, in der Schule die situativen Bedingungen so zu verändern, dass Stressauslöser komplett vermieden werden können. Es lässt sich zum Beispiel kaum vermeiden, dass Schüler Klassenarbeiten schreiben, selbst wenn es viele Kinder gibt, die auf diese Situation mit erhöhten Stress reagieren. Deshalb ist es notwendig, das Stressbewältigungsverhalten der Kinder zu unterstützen und den Umgang mit Stresssituationen zu trainieren. Dadurch werden Grundlagen geschaffen, die den Kindern helfen, in ihrem weiteren Leben mit Stresssituationen besser zu Recht zu kommen und selbstständig handeln zu können (vgl. ebd., S.50).
Im Folgenden wird beschrieben, wie das Kind selbst Stress bewältigen kann.
2.3.2 Stressbewältigung durch das Kind
Damit ein Kind eine Stresssituation bewältigen kann, muss es eine Situation zunächst erst einmal als stressig wahrnehmen. Das Kind muss also lernen, welche Situationen für sich mit hoher Anspannung verbunden sind, damit es in diesen Situationen besonders auf Überlastungssignale achtet. Das Bemerken dieser Überlastungssignale ist ein weiterer Schritt zur Stressbewältigung. Ein Kind, das zum Beispiel in Anspannungssituationen mit Kopfschmerzen reagiert, muss erst lernen, schon frühe Anzeichen einer Kopfschmerzentstehung zu erkennen und dagegen anzuwirken (vgl. Lohaus & Domsch & Fridrici 2007, S.51). Dabei stellt sich die Frage, inwieweit Grundschulkinder schon die Fähigkeiten und Kompetenzen besitzen, körperliche Anzeichen für Probleme und Stress zu erkennen und eine Verbindung herstellen können, in welchen Situationen gewisse Überlastungssignale auftreten. Im Hinblick auf die kindliche Entwicklung ist dazu zu sagen, dass je älter die Kinder in der Grundschule werden, desto besser gelingt es ihnen auch Probleme und körperliche Überlastungssignale zu beschreiben und eigene Bewältigungsstrategien abzuleiten. Kinder der ersten Klasse können sehr wohl äußern, dass es ihnen nicht gut geht und auch warum es ihnen nicht so gut geht, während Kinder der vierten Klasse bereits ein Repertoire an Bewältigungsstrategien aufgebaut haben. Deshalb ist es wichtig, die Kinder Schritt für Schritt an das Thema „Stress und Belastungen in der Grundschule“ heranzuführen und ihren Entwicklungsstand im Hinterkopf zu behalten (vgl. Haug-Schnabel & Bensel 2011, S.137).
Dabei kann es besonders für Kinder der unteren Klassenstufen hilfreich sein, die Symptome von Stress und die Merkmale von Entspannung wie in der folgenden Abbildung gegenüber zu stellen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Symptome von Stress und Merkmale von Entspannung (aus: Lohaus & Domsch & Fridrici 2007, S.51).
Gemeinsam kann so mit den Kindern aufgemalt werden, wie sie ihre eigenen Belastungssignale erkennen. So lernen sie früh, Reaktionen ihres Körpers auf mögliche Stresssituationen Ernst zu nehmen.
Zusätzlich zum Erkennen von Stresssituationen und Überlastungssignalen sind eine angemessene Bewertung von potentiell stressauslösenden Situationen und hinreichende Bewältigungspotentiale wichtige Bestandteile zur Reduktion des Stresserlebens.
Im Hinblick auf die Bewertung einer Situation ist es generell schwer in schwierigen Situationen Gedanken hervorzurufen, die gerade zur Problemlösung beitragen. Vielmehr verfällt man häufig in Gedanken wie „Das schaffe ich doch nie“ oder „Bei mir läuft doch eh immer alles schief“. Diese negativen Gedanken werden auch als Stressgedanken bezeichnet, weil sie den Stress eher weiter erhöhen, als ihn zu verringern (vgl. Lohaus & Domsch & Fridrici 2007, S.52). Deshalb ist es wichtig, den Kindern beizubringen mit belastenden Situationen auch positiv umzugehen. Dabei können Gedanken wie „Ich bin gut vorbereitet, also schaffe ich es auch“ oder „Ich bin heute richtig gut drauf, also wird alles gelingen“ helfen, mit einem positiven Gefühl an ein Problem heranzutreten. Solche Gedanken werden als Anti-Stress-Gedanken bezeichnet. Sie helfen durch positives Zureden eine Situation als weniger bedrohlich einzustufen und dabei den Stress zu reduzieren. Wichtig ist es, dass Kinder früh lernen, positiv zu denken. Denn mit positiver Stimmung erscheinen Probleme vielmals in einem ganz anderen Licht. Hilfreich ist es deshalb, das Selbstkonzept der Kinder von Anfang an zu stärken (zum Beispiel durch Übungen und Trainings im Klassenverband) und ihre individuellen Stärken (und nicht die Schwächen) hervorzuheben, um das Selbstwertgefühl zu steigern (vgl. ebd., S.53).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
[1] In dieser Arbeit werden mit den Begriffen „Schüler" und "Lehrer" und allen anderen Begriffen, die in männlicher Form geschrieben sind, auch immer die weiblichen Formen, d.h. Schülerinnen und Lehrerinnen o.ä. gemeint.
- Quote paper
- Ann Kristin Rielmann (Author), 2012, Belastung von Kindern im Grundschulalltag, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205285
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