Die europäische Bevölkerung ist im Mittelalter gleich zweifach von der Pest heimgesucht worden. Zunächst in der Mitte des 6. Jahrhunderts, als Pest des Justinian bezeichnet, und ein weiteres Mal im späten Mittelalter, dem 14. Jahrhundert. Beide Male kam die Seuche aus dem Osten und hatte ähnlich verheerende Folgen. Wobei der erste große Seuchenzug, welcher vermutlich zum Zusammenbruch des Römischen Reiches beitrug, gewissermaßen den Beginn und der Folgende das Ende des Mittelalters markierte. Die Pest des Justinian hatte, vor allem im Fachschrifttum, nur wenig literarische Spuren hinterlassen, wodurch sie ein halbes Jahrhundert später nur noch schwach im kollektiven Gedächtnis präsent war und die Menschen sich 1348 scheinbar einem neuartigen Krankheitsgeschehen gegenüber glaubten.
Folgewirkungen der Pest - Gemeint sind dabei die sowohl gesellschaftlichen und kulturellen als auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pest im Mittelalter. Dabei soll es ebenso um die direkten Folgeerscheinungen für die Zeitgenossen, wie Geißlerzüge und Judenpogrome, als auch um die weitreichenderen und längerfristigen Folgewirkungen des nächsten Jahrhunderts gehen.
František Graus fasst die Problematik in dem Haupttitel seiner Monografie sehr prägnant zusammen: „Pest-Geissler-Judenmorde“. Die Abfolge der Geschehnisse wird durch diese Skizzierung der Thematik bereits deutlich: Die Pest kam und die Menschen hatten zu reagieren. Zum einen taten sie dies mit Geißlerzügen und Flagellantentum, zum anderen mit Judenpogromen, die in einigen Städten die gesamte jüdische Bevölkerung auslöschten. Das 14. und 15. Jahrhundert, also das Spätmittelalter, ist, wie Graus in seiner Einleitung klar herausarbeitet, nicht die krisengebeutelte Epoche, als welche sie sich in der Fachliteratur oft wiederfindet. Vielmehr sei dies ein Zeitabschnitt gewesen, in dem eine außerordentliche Katastrophendichte herrschte, wodurch das Bewusstsein von Widersprüchen und die Notwendigkeit von Änderungen deutlich wurden. Mit Katastrophendichte sind hier Zeitabschnitte gemeint, in denen sich Naturerscheinungen, Epidemien, Kriege und Erschütterungen der Gesellschaft häuften. Da zwar die Auflösung der herrschenden Gesellschaftsform, was für Graus eines der Hauptindikatoren ist, eine Epoche als krisengebeutelte zu deklarieren, ausblieb, so bahnte sich doch eine Entwicklung an, welche die Geschicke zahlreicher europäischer Völker und Staaten entscheidend beeinflusste, gar prägte.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Das Krankheitsbild der Pest und deren Verbreitung/p>
1.1. Die Pest als KrankheitS
1.2. Der mittelalterliche Kenntnisstand über die Pest
2. Die Folgewirkungen der Pest
2.1. Ein Mangel an Arbeitskräften
2.2. Das Geißlertum
2.3. Die Judenpogrome
2.4. Warten auf das jüngste Gericht/ Moralverfall
2.5. Quarantäne, Pesthäuser und Flucht– Bewältigung der Pest
2.6. Totentänze – künstlerische Verarbeitung der PestS
3. Langfristige Folgen der Pest – die Neuzeit entsteht
3.1. Elitenwandel
3.2. Folgen der Mortalität für Berufsgruppen
3.2.1. Folgen der erhöhten Mortalität für den Klerus
3.3. Spitäler und Universitäten
3.4. Langfristige Folgen für die Bevölkerung auf dem Land und in der Stadt
3.5. Europas Weltanschauung wankt
Fazit
Literaturangaben
Eigenständigkeitserklärung
Einleitung:
Die europäische Bevölkerung ist im Mittelalter gleich zweifach von der Pest heimgesucht worden. Zunächst in der Mitte des 6. Jahrhunderts, als Pest des Justinian bezeichnet, und ein weiteres Mal im späten Mittelalter, dem 14. Jahrhundert. Beide Male kam die Seuche aus dem Osten und hatte ähnlich verheerende Folgen.[1] Wobei der erste große Seuchenzug, welcher vermutlich zum Zusammenbruch des Römischen Reiches beitrug,[2] gewissermaßen den Beginn und der Folgende das Ende des Mittelalters markierte. Die Pest des Justinian hatte, vor allem im Fachschrifttum, nur wenig literarische Spuren hinterlassen, wodurch sie ein halbes Jahrhundert später nur noch schwach im kollektiven Gedächtnis präsent war und die Menschen sich 1348 scheinbar einem neuartigen Krankheitsgeschehen gegenüber glaubten.[3]
Diese Arbeit behandelt weder die Verbreitung der Pest, noch die Toten, noch die Ansteckung, kurz - nicht die Pest als Krankheit, sondern im Besonderen die viel bedeutenderen Folgewirkungen der Pest.
Folgewirkungen der Pest - Gemeint sind dabei die sowohl gesellschaftlichen und kulturellen als auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pest im Mittelalter. Dabei soll es ebenso um die direkten Folgeerscheinungen für die Zeitgenossen, wie Geißlerzüge und Judenpogrome, als auch um die weitreichenderen und längerfristigen Folgewirkungen des nächsten Jahrhunderts gehen.
František Graus fasst die Problematik in dem Haupttitel seiner Monografie sehr prägnant zusammen: „Pest-Geissler-Judenmorde“. Die Abfolge der Geschehnisse wird durch diese Skizzierung der Thematik bereits deutlich: Die Pest kam und die Menschen hatten zu reagieren. Zum einen taten sie dies mit Geißlerzügen und Flagellantentum, zum anderen mit Judenpogromen, die in einigen Städten die gesamte jüdische Bevölkerung auslöschten. Das 14. und 15. Jahrhundert, also das Spätmittelalter, ist, wie Graus in seiner Einleitung klar herausarbeitet, nicht die krisengebeutelte Epoche, als welche sie sich in der Fachliteratur oft wiederfindet. Vielmehr sei dies ein Zeitabschnitt gewesen, in dem eine außerordentliche Katastrophendichte herrschte, wodurch das Bewusstsein von Widersprüchen und die Notwendigkeit von Änderungen deutlich wurden. Mit Katastrophendichte sind hier Zeitabschnitte gemeint, in denen sich Naturerscheinungen, Epidemien, Kriege und Erschütterungen der Gesellschaft häuften. Da zwar die Auflösung der herrschenden Gesellschaftsform, was für Graus eines der Hauptindikatoren ist, eine Epoche als krisengebeutelte zu deklarieren, ausblieb, so bahnte sich doch eine Entwicklung an, welche die Geschicke zahlreicher europäischer Völker und Staaten entscheidend beeinflusste, gar prägte.[4] Egon Friedell[5] stellt sogar die Behauptung auf, dass es nicht die Pest war, die die Neuzeit auslöste: Zuerst war die Neuzeit da und durch sie entstand die Pest.[6]
Die Literatur zum Thema Pest, Krise des Mittelalters oder schlicht zum Schwarzen Tod ist sehr umfangreich. Es gibt zahlreiche Werke, die sich medizinisch mit der Pest als Seuche und als Krankheit beschäftigen. Ebenso Werke, welche sich mit den Folgewirkungen der Pest an sich befassen und dadurch mit der übergeordneten Rolle der Pest für das Menschheitsgeschehen. Selbstredend gibt es auch eine große Zahl an Überblicksdarstellungen, die zum einen die medizinischen Aspekte und die Krankheit als solche, zum anderen die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Folgen der Pest behandeln. Um den Gebrauch von Titeln des literarischen Kanons in Bezug auf die Pest beizubehalten, lassen auch Karl Georg Zinns „Kanonen und Pest“ und David Herlihys „Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas“ die gesellschaftlich und wirtschaftlich verändernden Tendenzen der Pest erkennen. Das 14. Jahrhundert erlebte neben den zahlreichen Krisen, teils ausgelöst durch die Pest, teils durch Klimaveränderungen oder gesellschaftliche Veränderungen, auch einen weitreichenden technischen Fortschritt, der schon die Zeitgenossen von einer „neuen Zeit“ sprechen ließ. So fanden die Feuerwaffe und die mechanische Uhr Einzug in das Leben der Menschen und prägte dieses enorm. Beide zeigten den Menschen die eigene Vergänglichkeit auf. Die eine, weil sie die Zeit der Menschen einteilte und die andere, weil sie eine neue Art des Tötens einführte.[7]
Die durch die Pest eingeleitete und von Herlihy benannte Verwandlung Europas, gab der europäischen Bevölkerung die Chance, ihre Gesellschaft neu und unter anderen Gesichtspunkten wieder aufzubauen.[8] Daraus leitet sich auch die Arbeitshypothese dieser Arbeit ab. Bei den tiefgreifenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen Europas im 14. und 15. Jahrhundert kommt der Pest eine Katalysatorfunktion zu. Jene Seuche war zwar kein direkter und alleiniger Auslöser gesellschaftlicher Veränderungen, doch begünstigte die Epidemie diese Erneuerungen und machte sie umso erforderlicher, weil sie die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Missstände deutlicher hervortreten ließ.
Die Geschichte der Pest ist erst in den letzten Jahrzehnten in diesem Maße in den Fokus der Geschichtsforschung gerückt. Vor allem die Zuwendung etlicher Historiker zur sozialgeschichtlichen Forschung lenkte das Interesse auf das Forschungsgebiet Pest, vor dem lange Zeit, da es enge Bezüge zur naturwissenschaftlichen Medizin aufwies, zurückgeschreckt worden war. In diesem Forschungsgebiet gibt es einige Kontroversen, welche daher so streitbar sind, weil das Geben sicherer Antworten schlicht unmöglich ist. Und so wird debattiert, angefangen bei der Frage, ob es sich bei verschiedenen Seuchenzügen in der Geschichte tatsächlich um die Pest handelte, bis hin zur Entscheidung, wie weitreichend die Folgen einzuschätzen seien. In der Tat ist es wahrscheinlich, dass von der Antike bis zur frühen Neuzeit freimütig andere Erreger als Pest bezeichnet worden sind, da sich einige Symptome von z.B. Pocken, Typhus mit denen der Pest nahezu gleichen. Doch sind bei der Erforschung des gemeinhin als Schwarzen Tod bezeichneten Seuchenverlaufs nicht vielmehr die politischen, sozialen und psychologischen Implikationen[9] von größerer Relevanz, als die Diskussion um den tatsächlichen Urheber der Epidemie? Die dramatischen Alltagsberichte der zeitgenössischen Chronisten oder auch die literarischem Niederschriften des Erlebten, wie die von Boccaccio, liefern der Geschichtsschreibung ein ziemlich genaues Bild von den damaligen Lebensumständen und den primären Auswirkungen der Epidemie. Weswegen sich die vorliegende Arbeit zum Teil auf das „Dekameron“ von Boccaccio beziehen wird.
In der Geschichtswissenschaft gab und gibt es zahlreiche Historiker, welche nicht nur die Pest als einzelnes Ereignis betrachten, wie z.B. Wilhelm Abel, Egon Friedell, Klaus Bergdolt, David Herlihy, Karl Georg Zinn, František Graus und Manfred Vasold, um nur einige wenige zu nennen, sondern die Seuche in den Kontext eines Jahrhunderts setzten und untersuchten, inwiefern die Pest u.a. die Agrarkrise bedingte und die Agrarkrise wiederum die Pest. Überdies werden die Erkenntnisse bezüglich der Pest immer differenzierter, da vermehrt auch regionale Analysen am Beispiel Deutscher Kommunen unternommen werden und der Pestalltag nicht mehr nur am Beispiel Italiens dargestellt wird.[10] Auf Grund der dargestellten übergeordneten Zusammenhänge zwischen der Pest und den gesellschaftlichen und ökonomischen Auswirkungen, bezieht sich vorliegende Arbeit speziell auf die gerade genannten Historiker und dessen Werke zur Pest.
1. Das Krankheitsbild der Pest und deren Verbreitung
1.1. Die Pest als Krankheit
Bevor in dieser Arbeit die Fokussierung auf die Folgewirkungen der Pest gelegt werden soll, gilt es zunächst einmal zu klären: Was ist die Pest als Krankheit? Wo kam sie her? Wie verbreitete sie sich und wann traf die erste große Pestwelle Europa im Spätmittelalter?
Die Pest ist eine akute Septikämie, die primär durch Flöhe übertragen wird. Als Septikämie wird eine Krankheit bezeichnet, die, durch Bakterien oder Toxine ausgelöst, den gesamten Organismus eines Menschen oder Tieres befällt. Die Pest infiziert Ratten oder Nagetiere und löst eine Tierseuche aus, welche jeder Pestepidemie vorangegangen sein muss.[11] In dieser Richtung hat es durchaus Hinweise auf ein Zusammenspiel zwischen dem Rattensterben und dem Pesttod der Menschen gegeben. Bemerkenswert sind beispielsweise die genauen Beobachtungen zu den Verhaltensänderungen der Tiere in zeitgenössischen Dokumenten. Doch fehlte es dem Mittelalter an paradigmatischen Voraussetzungen, derartige Fakten in einen Kausalzusammenhang zu bringen.[12] Wohl deswegen, weil die Ratten und Flöhe den Menschen in ihrem Alltag so vertraut waren und lästiger Teil eines jeden Haushalts, sodass man gerade ihnen keine besondere Gefahr beimaß. Die Folklore jedoch brachte das Rattensterben und die Pest in einen Zusammenhang, denn während eines Ausbruchs der Pest 1284 entstand u.a. die Legende des Rattenfängers.[13]
Die genannten Tierseuchen decken sich jahreszeitlich mit dem Vermehrungsmaximum der Flöhe sowie der Wurfzeit des betreffenden Nagetiers und kommen deshalb nur in den wärmeren Monaten eines Jahres vor.[14] Folglich waren die Epidemiehöhepunkte nahezu immer im Herbst zu erwarten, da sich Hausratten im Spätsommer und Rattenflöhe zu Herbstbeginn vermehren. Kalte Winter verhinderten große Epidemien, doch folgte eine zweite Erkrankungswelle, sobald die Flöhe im Frühjahr aus der Kältestarre erwachten.[15] Von den erkrankten Ratten sind die Pestbakterien durch die Rattenflöhe auf die Menschen übertragen worden.[16] Infiziert der Rattenfloh dabei die Wanderratte, bleibt die Pest mit einer großen Wahrscheinlichkeit endemisch, d.h. sie tritt in unregelmäßigen Abständen nur in einer begrenzten Region auf, ohne dass sie sich zu einer Epidemie entwickelt. Befällt der Rattenfloh allerdings die Hausratte, die dem Menschen sehr nahe kommt, gelangt der Erreger vermehrt in menschliche Siedlungsräume. Da der Rattenfloh menschenpathogen ist, ist der Erreger demzufolge direkt von der Hausratte auf den Menschen übertragbar. Durch diesen Übertragungsweg, von der Hausratte auf den Menschen, wurde eine Epidemie bewirkt, die im Mittelalter meist von Städten, Häfen oder größeren Dörfern ihren Ausgang nahm. Die Mortalitätsrate stieg außerdem stark an, da auch der Menschenfloh ein möglicher Pestüberträger ist und mit der zunehmenden Infizierung der Bevölkerung ebenfalls eine Infektion von Mensch zu Mensch einsetzte.[17] Beim Menschen lösen die Bakterien ein anschwellen der regionalen Lymphknoten aus und diese dabei entstehenden Beulen sind das signifikante Symptom der Beulenpest ist. Sollte es im Infektionsverlauf zu einer Septikämie kommen, kann der Erreger auch vom Menschenfloh übertragen werden. Als Lungenpest überträgt sich die Krankheit per Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch, ist damit hochinfektiös und in nahezu allen Fällen tödlich. Die Lungenpest gibt der Pest als „Schwarzen Tod“, im Übrigen ein Terminus den die Zeitgenossen nicht benutzten, ihren Namen, weil der Auswurf der Betroffenen dunkel sowie blutig ist und es zu ausgedehnten punktförmigen Blutungen in der Haut kommt, die sich beim Zusammenfließen unter der Haut dunkelblau bis schwarz verfärben. Die doch sehr komplizierten Infektionsketten der Pest[18] sind allerdings erst seit 1894 bekannt, als Alexandre Yersin den Pestbazillus, Yersinia bzw. Pasteurella Pestis, während einer Epidemie in Hongkong entdeckte[19], weswegen man vorher die Pest sowohl als kontagiöse als auch als miasmatische Krankheit deutete. Das bedeutet, es wurde davon ausgegangen, dass es sich bei der Pest um eine Krankheit handelte, die über den Kontakt zu Kranken ansteckend ist sowie durch ein Ungleichgewicht der vier Körpersäfte ausgelöst wird. Es ist aber nicht all jenes, was in alten Chroniken als Pest bezeichnet worden ist, tatsächlich das, was auch im heutigen bakteriologischen Sinne die Pest ist. In der historischen Geschichtsschreibung wurde auf Grund des fehlenden medizinischen Erkenntnisstandes unserer heutigen Zeit nahezu jedes Massensterben teils irrtümlicherweise als Pest benannt.[20]
1.2. Der mittelalterliche Kenntnisstand über die Pest
Heutzutage wissen wir ziemlich genau, wie sich die Pest konkret ausbreitete, doch im 14. Jahrhundert war der Kenntnisstand der Gelehrten, bzw. der Ärzte bezüglich der Ausbreitung, der Ursache und der Therapie der Pest erschreckend gering.[21] Beim Versuch dessen Ursprung zu erklären, wurde vielfach von einer Strafe Gottes ausgegangen, was seinen Ursprung in der biblischen Weltanschauung hat, in der Sünder eben allein durch die Macht Gottes ihre Bestrafung fanden. Bei einem medizinischen Ansatz musste indessen von einem pandemischen Charakter der Pest ausgegangen werden, was bedeutet, dass sich die Krankheit über Länder- und Kontinentalgrenzen hinweg ausbreitete. Im Spätmittelalter bedurfte es nun einer Interpretation, welche die Ansteckungsgefahr und die Mortalitätsrate plausibel machte. Diese Aufgabe erfüllte das Pariser Pestgutachten vom August 1348. Dieses ging von einer ungünstigen Planetenkonstellation im Jahr 1345 aus. Dort sind die drei oberen Planeten im Haus Wassermann zusammengetreten und haben durch ihre schlechten Ausdünstungen den Pesthauch auf die Erde geschleudert, der, von den Menschen eingeatmet, zur Infizierung geführt haben soll.[22] Im Grunde verschleierte das genannte Pestgutachten lediglich die Hilflosigkeit der Ärzte und die berühmte Pariser Fakultät befand sich in der undankbaren Situation, auf Befehl weise zu sein. Schnell waren daher, wie so oft, die Minderheiten als vermeintliche Urheber der Epidemie ausgemacht. Besonders hart traf es die Juden des Mittelalters. Durch den Irrglauben beseelt, die Juden hätten die Brunnen vergiftet und damit die Pest ausgelöst, starben zahlreiche jüdische Gemeinden im Zuge der Pogrome aus.[23]
Die spätmittelalterlichen Mediziner beriefen sich zum Bekämpfen der Pest auf antike Fachautoritäten wie Hippokrates, Galen und andere, die der humoralpathologischen Krankheitslehre anhingen. Diese Lehre geht davon aus, dass die Gesundheitsstörungen auf ein Ungleichgewicht der vier Körpersäfte Blut, Schleim und gelbe sowie schwarze Galle zurück zu führen seien. Nach der Überzeugung der antiken und mittelalterlichen Ärzte stellte den eigentliche Pestvorgang einen Überschuss an feucht-warmem Blut dar, welches eine Gefahr der Fäulnis für innere Organe barg. Diese Fäulnis, so nahm man an, gelange über die Luft oder über die Nahrung in den Körper. Die Verunreinigung der Luft erklärte man sich durch Ausdünstungen (Miasmen), deren Entstehen und Zusammensetzung hingegen sehr umstritten waren. So galten ein feuchtschwüles Klima, die Südwinde, die Luft über stehenden Gewässern sowie Sümpfen und der Atem eines Erkrankten als besonders gefährlich. Darüber hinaus konnten auch zur Fäulnis neigende Speisen wie Fisch, den Magen und Darm infizieren. Da die Pest auf verdorbene Lebensmittel und Blut zurückgeführt wurde, versuchten die Ärzte mit dem Aderlass, die Menge des vermeintlich schädlichen Blutes zu verringern und durch Einläufe sowie Brechmittel die Fäulnisgase aus dem Körper zu schleusen.[24]
Die mittelalterliche Gesellschaft unternahm zahlreiche Anstrengungen die epidemischen Ausmaße der Pest einzudämmen. In der Regel gingen hierbei die Initiativen von Stadtgemeinden aus, in deren Bestrebungen sich sowohl Ärztekollegien und religiöse Körperschaften als auch zunehmend landesherrliche Obrigkeiten unterstützend einschalteten. Bewährte sich dabei eine Maßnahme, wurde sie von Gemeinde zu Gemeinde weitergegeben. Als nützlich erwiesen sich hierbei die Kadaverbeseitigung, Leichenbestattung, Vertreibung bzw. Isolation der Erkrankten, Quarantänemaßnahmen, Errichtung von Sondersiechenhäusern und von Nahrungsspeichern für den Notfall.[25]
Als sicher gilt, dass die Pest um 1330 in Zentralasien epidemische Ausmaße annahm, von wo aus sie sich dann in östlicher Richtung nach China, in westlicher Richtung nach Südrußland ausbreitete. Nach Europa drang die Pest über die Hafenstädte am Nordufer des Mittelmeers von Messina aus nach Süditalien und von dort aus nach Venedig und weiter Richtung Osten und Norden, wo die Pest schließlich 1348 die Steiermark und 1349 Wien erreichte. Gleichzeitig gelangte die Epidemie auch nach Polen, Ungarn, Frankreich, Italien, Spanien und England. Kurze Zeit später gelangte die Seuche schließlich über Frankreich und die Schweiz 1349 auch nach Deutschland und wütete in Köln, Hamburg, Bremen, Lübeck, und Magdeburg. Diese erste große Pestwelle des Spätmittelalters, von den Zeitgenossen „magna mortalitas“ - das große Sterben genannt, grassierte vermutlich bis 1353, als in Russland die letzten Krankheitsfälle dieser Epidemie bekannt wurden. Nach Schätzungen sind während der fünfjährigen Epidemie 30% der Gesamtbevölkerung Europas gestorben. Wobei sowohl die Gesamtbevölkerung, welche auf 60 Millionen Menschen geschätzt wird, als auch die 30% Mortalitätsrate lediglich Annahmen sind, die zum einen auf zeitgenössischen Erzählungen und Chroniken beruhen, zum anderen auf Taufregistern, Steuerlisten, Notariatsakten, Testamenten, Sitzungsprotokollen und ähnlichen Zeugnissen fußen. Etwas problematisch sind die Annahmen unter anderem, weil die zeitgenössischen Verfasser ob der beängstigenden persönlichen Erfahrungen mit der Pest, die Angaben über die Sterblichkeitsrate weitaus höher ansetzten als sie tatsächlich waren und die Chronisten dies wohl auch aus dramaturgischen Gründen taten. Zum Teil basieren die Annahmen aber auch schlicht, auf Zeugnissen, wie z.B. Steuerlisten, die außerordentlich lückenhaft sind.[26] Denn die Arithmetik spielte in allen Jahrhunderten, außer es handelte sich um die Festlegung von Feiertagen, eine sehr untergeordnete Rolle und schließlich ist im Zuge der Jahrhunderte ebenfalls eine Menge an auswertbaren Material verloren gegangen.[27] Alles in Allem sind dadurch präzise Aussagen zum Bevölkerungsverlust während der Pest unmöglich.[28]
Geht man davon aus, die Mortalitätsrate und die Schätzungen über die Gesamtbevölkerung sind korrekt, bedeutet das, dass der Pest in dieser ersten großen Pestwelle des Mittelalters bereits 18 Millionen Menschen zum Opfer fielen,[29] was einem guten Drittel der europäischen Gesamtbevölkerung entspräche. Zweifellos waren die Verluste in den Städten höher als auf dem Land, da sich die Seuche in den Städten durch die enorme Bevölkerungsdichte und schlechten hygienischen Verhältnissen besonders rasch verbreiten konnte.[30] Ferner zeichneten sich in der Mortalitätsrate regionale Schwankungen ab und so blieben einzelne Gebiete von der Epidemie sogar gänzlich verschont.[31] Je enger die Menschen zusammenlebten, umso größer war die Ansteckungsgefahr. Infolgedessen starben mehr Mönche und Nonnen als Einsiedler, mehr Städter als Bauern. Die Bevölkerungsverluste der Pest im 14. Jahrhundert dürften auch deshalb so hoch gewesen sein, da, bedingt durch die Landflucht, immer mehr Menschen in den Städten lebten.[32] Die großen Bevölkerungsverluste blieben selbstredend nicht ohne wirtschaftliche und soziale Folgen.[33] Der hohe Verlust an Menschenleben führte zu einem Durchbrechen des sozialen Gesellschaftsgefüges in den Städten und der Neuordnung gesellschaftlicher Konventionen, so kam es nach der Pest zu Hochzeiten, die zuvor als nicht standesgemäß galten.[34]
Daneben bedeutete die hohe Mortalitätsrate oftmals das Ende der Großfamilie als Lebensform und alternde Hinterbliebene, welche keine Angehörigen zu ihrer Versorgung mehr hatten, waren vermehrt auf institutionelle Versorgungsstrukturen angewiesen. Auch Handel, Gewerbe und Landwirtschaft litten gleichermaßen unter der erhöhten Sterblichkeit, da es ihnen schlicht an Arbeits- und Fachkräften fehlte.[35] Es schlossen sich weitere Phänomene den genannten Seuchenzügen an. Die wichtigsten Begleiterscheinungen waren das Geissler- und Flagellantentum, die steigenden Getreidepreise, die Landflucht, die Judenpogrome, der Moralverfall und die immer mehr ins Wanken geratene Institution Kirche, die der Pest nichts entgegenzusetzen hatte. Diese Aspekte sollen im Verlauf dieser Arbeit fokussiert und näher beleuchtet werden.
2. Die Folgewirkungen der Pest
„Wieviele tatkräftige Männer, wieviele schöne Frauen, wieviele anmutige Jünglinge, denen, von anderen zu schweigen, Galen, Hippokrates und Äskulap eine blühende Gesundheit bescheinigt hätten, speisten am Morgen mit ihren Verwandten, Gesellen und Freunden, um am Abend darauf in der anderen Welt mit ihren Vorfahren zu tafeln.“[36]
Der enorme Anstieg der Sterblichkeit im Zuge des Schwarzen Todes konnte ohne Zweifel nicht ohne Auswirkungen bleiben. Die Arbeit unterscheidet dabei direkte und indirekte Folgewirkungen, die als Begleiterscheinungen der Pest auftreten. In diesem zweiten Kapitel soll es inhaltlich nun um die direkten Folgewirkungen gehen. Damit sind all jene Folgen gemeint, die entweder in die Zeit der Pestwellen 1348/39 fallen, wie die Judenpogrome und die Geißlerzüge, oder jene, welche durch die hohe Mortalitätsrate und deren Auswirkungen bedingt sind. Wobei die direkten Folgen noch einmal unterschieden werden müssen, in solche, die infolge der Epidemie durch einen konkret Mangelerscheinung an etwas ausgelöst werden, wie z.B. der Mangel an Arbeitskräften, und in solche, welche durch die Angst vor der Pest selbst bedingt werden. Zum Teil ist die Pest bei letzterem allerdings nur als Deckmantel genutzt worden, um sich unliebsamer Gläubiger zu entledigen.
2.1. Ein Mangel an Arbeitskräften
Durch die hohe Mortalitätsrate während der Pest fehlte es in der Zeit nach der Pest akut an Arbeitskräften. Das 14. Jahrhundert war nämlich gänzlich auf die Ernte angewiesen, nicht nur für die Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln, sondern auch für das entsprechende Saatgut des Folgejahres. Infolge der Pest allerdings konnte eine Bestellung der Felder und ein Aussäen im Frühjahr auf Grund der fehlenden Arbeitskräfte nicht mehr gewährleistet werden.[37]
„Deshalb wurden sie [die Bauern] in ihren Sitten wie die Städter locker und kümmerten sich nicht mehr um ihren Besitz und ihre Arbeit. […] wo[durch] das Getreide vernachlässigt dastand und weder geschnitten, geschweige denn geerntet wurde.“[38]
Zum einen ist an dieser Stelle des Dekamerons ersichtlich, welche Haltung Boccaccio gegenüber der Sittenhaftigkeit der Städter vertritt. Viel interessanter hingegen, dass Boccaccio eben jenes „nicht Bestellen“ der Felder nicht mit der hohen Sterblichkeitsrate in einen Zusammenhang bringt, sondern als Grund dafür den Sittenverfall angibt. Weiter führt Boccaccio als Ursache für das mangelnde Säen des Folgejahres an, dass die Bauern den Tod bereits erwarteten und deshalb all jenes verzehrten, was sie vorfanden.[39] Dieser Aspekt ist durchaus einleuchtend. Denn es hat sicherlich auch Sicht der Bauern wenig Sinn ergeben für das nächste Jahr auszusäen, wenn sie davon ausgingen, das nächste Jahr gar nicht erleben zu werden. In der einschlägigen Literatur wird in diesem Zusammenhang wiederholt von einem Mangel an Arbeitskräften gesprochen, weswegen diese Arbeit im weiteren Verlauf dies ebenfalls als solches benennen wird. Letztendlich werden beide Faktoren sowohl der Sittenverfall als auch der steigende Mangel an Arbeitskräften während der Pestwelle, ausschlaggebend für die niedrigen Erträge der Ernte der Folgejahre gewesen sein. Obwohl das Wort Sittenverfall an dieser Stelle lediglich in Ermangelung eines besseren Begriffs gebraucht wird und keinesfalls wertend gemeint sein soll. Der von Boccaccio angesprochene Sittenverfall, wird zwar wie von ihm beschrieben stattgefunden haben, ist aus Sicht dieser Arbeit aber nicht als Sittenverfall zu bezeichnen.
Zunächst hatte die durch die hohe Sterblichkeitsrate bedingte Lebensmittelknappheit lediglich Auswirkungen auf die Versorgung der Städte. Zwar war die Zahl der Konsumenten ebenso gesunken, wie die Zahl der Produzenten, doch es fand keine Anpassung des zu leistenden Umfangs in der landwirtschaftlichen Produktion an den Rückgang der Arbeitskräfte statt, sodass es zu einer vorübergehenden Preissteigerung kam. Die wiederum nach der Pestepidemie erheblich unter den vorherigen Stand fiel. Zum Teil war dies darin begründet, dass die weniger ertragreichen Ackerflächen aufgegeben wurden, was wiederum die Durchschnittsproduktion anstiegen ließ und dadurch zu einem enormen Überangebot der landwirtschaftlichen Erzeugnisse führte, in dessen Folge des Preise wieder rasant fielen. In den Städten hingegen kam es durch die erhöhte Mortalitätsrate zu einer Konzentration zahlreicher Erbschaften, deren Begünstigte nur noch in geringer Zahl am Leben waren, sodass es vermehrt zu einer Anhäufung erheblicher Privatvermögen kam.[40]
[...]
[1] Keil, Gundolf: Seuchenzüge des Mittelalter, S, 112.
[2] Dobson, Mary: Seuchen , S. 11
[3] Keil, Gundolf: Seuchenzüge des Mittelalters, S, 115.
[4] Graus, František: Pest-Geissler-Judenmorde, S. 7-8.
[5] Anmerkung: Zu dem Werk von Friedell ist zu sagen, dass es laut Karl Georg Zinn nicht unbedingt den wissenschaftlichen Anforderungen entspricht, da es nicht nur sehr ausschweifend ist, sonder auch ohne jegliche Fußnoten und Literaturangaben arbeitet. Zinn hält dazu aber dennoch fest und dem schließe ich mich an, dass Friedells intuitiv gewonnene Einsichten bemerkenswert sind und durch spätere wissenschaftliche Untersuchungen inzwischen manch Bestätigung gefunden haben. Weshalb ich auch im weiteren Verlauf dieser Arbeit mich dann und wann auf Friedell beziehen werde. (Zinn, Karl, Georg: Kanonen und Pest, S. 154.)
[6] Friedell, Egon: Kulturgeschichte der Neuzeit, S. 96.
[7] Bergdolt, Klaus: Der Schwarze Tod in Europa, S. 33.
[8] Herlihy, David: Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas, S. 39.
[9] Bergdolt, Klaus: Die Pest. Geschichte des Schwarzen Todes, S. 11-12.
[10] Klaus, Bergdolt: Die Pest. Geschichte des Schwarzen Todes, S. 15.
[11] Winkle, Stefan: Geisseln der Menschheit, S. 422.
[12] Keil, Gundolf: Seuchenzüge des Mittelalters, S. 117.
[13] Tuchman, Barbara: Der ferne Spiegel, S. 105.
[14] Winkle, Stefan: Geisseln der Menschheit, S. 422.
[15] Bergdolt, Klaus: Der Schwarze Tod in Europa, S. 20.
[16] Winkle, Stefan: Geisseln der Menschheit, S. 422.
[17] Bergdolt, Klaus: Der Schwarze Tod in Europa, S. 17.
[18] Winkle, Stefan: Geisseln der Menschheit, S. 422.
[19] Bergdolt, Klaus: Der Schwarze Tod in Europa, S. 17
[20] Winkle, Stefan: Geisseln der Menschheit, S. 422.
[21] Bergdolt, Klaus: Der Schwarze Tod in Europa, S. 22.
[22] Keil, Gundolf: Seuchenzüge des Mittelalter, S. 115-116.
[23] Tuchman, Barbara: Der ferne Spiegel, S. 111.
[24] Bergdolt, Klaus: Der Schwarze Tod in Europa, S. 21-24.
[25] Keil, Gundolf: Seuchenzüge des Mittelalters, S. 117.
[26] Wilderotter, Hans [Hrsg.]: Das große Sterben, S. 13-14.
[27] Fossier, Robert: Das Leben im Mittelalter, S. 47.
[28] Wilderotter, Hans [Hrsg.]: Das große Sterben, S, 13-14.
[29] Ebd., S. 14.
[30] Keil, Gundolf: Seuchenzüge des Mittelalters, S, 114.
[31] Keil, Gundolf: Pest im Mittelalter, S. 98.
[32] Ohler, Norbert: Sterben und Tod im Mittelalter, S. 24.
[33] Wilderotter, Hans [Hrsg.]: Das große Sterben, S, 14.
[34] Jankrift, Kay Peter: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter, S. 97.
[35] Ebd. S. 97.
[36] Boccaccio, Giovanni: Dekameron. Zitiert nach: Bergdolt, Klaus: Die Pest in Italien, S. 51.
[37] Tuchman, Barbara: Der ferne Spiegel, S. 103.
[38] Boccaccio, Giovanni: Dekameron. Zitiert nach: Bergdolt, Klaus: Die Pest in Italien. S. 50.
[39] Ebd., S. 50.
[40] Wilderotter, Hans [Hrsg.]: Das große Sterben, S. 15-16.
- Quote paper
- Nina Schmeichler (Author), 2012, Reaktionen auf die Pest: Die Neuzeit entsteht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205217
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.