In der 4.Mai Bewegung wurden Stimmen laut, die den Konfuzianismus dafür verantwortlich machten, dass sich China in einer historischen Krise befindet. Am Anfang des Jahrhunderts suchen verschiedene Philosophen die Gründe für die chinesische Rückständigkeit. Innerhalb dieser Seminararbeit wurde sich gezielt mit einem der berühmtesten chinesischen Philosophen beschäftigt: Hu Shi. Anhand seiner Darstellung seiner Philosophie sollen Strukturen im Entwerfen eines Bildes von Chinas kenntlich gemacht werden, die bis zur Gründung der Volksrepublik präsent waren.
Einleitung:
Bereits in den 1860er Jahren nach den für China verheerenden Opiumkriegen begann sich in China mit dem „Self-Strenghtening Movement“ (1861-1895) die Meinung zu verbreiten, dass sich China nicht nur militärisch, sondern auch in seinem Horizont der wissenschaftlichen Möglichkeiten an dem Westen orientieren müsse[1]. In dieser Zeit begann für China eine erste Phase der Modernisierung, die zunächst vorrangig auf wirtschaftliche und erst später auf gesellschaftliche Prozesse Einfluss hatte.
Das sino-zentristisch geprägte Weltbild hat in den 1840er Jahren mit dem Wechsel vom Tributsystem in das Vertragssystem ein Ende gefunden[2]. Zur Konfrontation mit den westlichen Mächten gezwungen, bedeuteten die nächsten Jahrzehnte für China bis zum heutigen Zeitpunkt eine Neu-Orientierung im Sinne einer Identitätsfindung.
Diese Identitätsfindung kann als Transformationsprozess verstanden werden mit der Besonderheit, dass Chinas Transformation in erster Linie das Resultat äußerer Einwirkungen oder ‚exogener Faktoren‘ war[3]. Die Opiumkriege, der Anti-Japanische Krieg, zahlreiche Aufstände im chinesischen Reich – es gab innenpolitische und außenpolitische Faktoren, die China dazu zwangen, sich mit dem Anderen, mit dem Fremden oder den ‚Barbaren‘ auseinanderzusetzen. Hier setzen Autoren wie Junhua Zhang den Anfangspunkt einer ‚chinesischen Aufklärung‘: „die chinesische Aufklärung [zeichnet sich] durch eine mühsame Suche nach einer neuen kulturellen und politischen Identität aus.“[4]
Die westlichen Mächte schlugen im chinesischen Reich ein wie ein Komet. Der Versuch am Ende des Qing-Reiches diesem „impact“ mit einer genaueren und wissenschaftlicheren Auslegung der Klassiker zu begegnen[5], scheiterte und die konservativen Strömungen am Hof des Kaisers - vertreten durch die Kaiserinwitwe Cixi - führten nur zu einem noch stärkeren Kontrast zwischen der wirtschaftlichen und militärischen Stärke der einfallenden Mächte und dem schwächelnden Kaiserreich.
Auch radikalere Reformunternehmungen, wie die 100-Tage-Reform von den Philosophen Kang Youwei und Liang Qichao, scheiterten. Sie wurde verbunden mit der Forderung einer Neukonstruktion der ‚chinesischen Seele‘: „What is of paramount importance today, is nothing less than the remaking of China’s soul.”[6] Es blieb die Überzeugung, dass man etwas ändern müsse, wenn man mit dem Westen mithalten wollte und nicht im sozialen Überlebenskampf untergehen wollte: „Despite nineteenth-century efforts to reform, China was unable to regain control of its own destiny. Defeat at the hands of the scientifically and technologically advanced Western Powers and Japan eroded belief in Chinese culture and Chinese tradition, and especially destroyed faith in deeply imbedded Confucian values.“[7]
Eine zentrale Rolle in der Begegnung Chinas Intellektueller mit dem Westen nahm Yan Fu ein, der als Übersetzer und später als Präsident der Beijing-Universität tätig war. Mit ihm oder besser: mit seinen Übersetzungen (insbesondere durch Huxleys ‚Evolution and Ethics‘) begann am Anfang des Jahrhunderts eine Strömung des Evolutionismus (Darwins Idee des ‚Survival of the Fittest‘) stärker zu werden, der später durch Anleihen von Kropotkin auf die Gesellschaft angewandt wurde[8]. Sozial-darwinistische Theorien hatten auf Philosophen bis in die zweite Hälfte des Jahrhunderts großen Einfluss[9].
Im Bild des „Survival of the Fittest“ und im Bewusstsein der Niederlagen insbesondere im Sino-japanischen Krieg 1895 begannen junge Intellektuelle dem Konfuzianismus die Schuld an den Missständen zu geben. Nach der Xinhai Revolution, mit der das schon lange schwächelnde Qing-Kaiserreich endgültig zerbrach, entstand eine radikale Bewegung gegen den Konfuzianismus.
Briere umschreibt die Entwicklungen der damaligen Zeit in “Fifty Years of Chinese Philosophy 1898-1950” wie folgt:
“Two slogans then [nach 1911] occupied the field of thought: Science, and Democracy. The fermentation of ideas provoked by these two terms which seemed the panacea for modern times, ended by bringing about an extremely violent campaign against Confucianism. For the partisans of the republic the fate of Confucianism was tied in with the Empire. Its moral and political philosophy was the firmest ideological support of the old regime, and because of this fact it shared in the general reprobation involving the fallen dynasty. Furthermore, ‘Confucianism’ was synonymous with conservative, backward, stereotyped thought; it was an enemy of progress and anti-scientific. Therefore it was necessary in the name of science and democracy to destroy this emblem of obscurantism and despotism.”[10]
[...]
[1] Vgl.: Tu Weiming: Confucius and East Asian modernity ethic: “It was the Western civilization behind the gunboats and gunfire that truly impressed Confucian literati. For them, the West symbolized the effectiveness and efficiency of soldiers and traders”.
[2] Vgl.: Ying-shih Yü: The Radicalization of China, S. 135.
[3] Vgl.: Junhua Zhang: Die schwierige Geburt der Freiheit, S. 7: Vergleich zur französischen Revolution: „die Franzosen haben die exogenen Einflüsse lediglich instrumentalisiert, wohingegen die Chinesen sich das Fremde ernsthaft zu eigen machen mussten, weil mangels eines einflussreichen heimischen Bürgertums keine neuen Ideen aus dem eigenen Denksystem gespeist werden konnten.“
[4] Ebd.: S. 8.
[5] Vgl.: Wolfgang Bauer: Geschichte der chinesischen Philosophie, S. 291-312.
[6] Tonqi Lin: A Search for China’s Soul, S. 172.
[7] Cheng Chung-ying: Contemporary Chinese Philosophy, S. 376.
[8] Vgl.: Briere: Fifty Years of Chinese Philosophy 1898-1950, S. 19-20.
[9] Dazu können u.a. Liang Qichao, Sun Yatsen, Chen Duxiu, Hu Shi und Feng Youlan gezählt werden.
[10] Vgl., ebd.: S.19-20.
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2012, Identitätsfindung in China am Anfang des 20. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205180
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