Der Roman „Das Duell“ erzählt vom wachsenden Missfallen des Helden für das Leben in der russischen Armee und seiner langsamen Erkenntnis, dass er ein einzigartiges individuelles Wesen ist. Aber bevor er die Armee verlassen oder gemäß seiner Erkenntnis handeln kann, wird er vom Ehrgericht des Regiments zur Austragung eines Duells verurteilt und in diesem vom Ehemann der Frau, die er liebt, erschossen.
In dieser Arbeit soll nach einer kurzen Biographie des Autors der Roman vorgestellt werden und drei seiner zentralen Motive entschlüsselt werden: Die Theorie des Individualismus, der Zustand des russischen Militärs und das Motiv des Duells. Anschließend soll auf das ungewöhnliche Zustandekommen des Duells am Ende des Romans eingegangen werden. Dabei soll am Beispiel Preußens untersucht werden, ob die gerichtliche Verurteilung zum Duellieren eine übliche Praxis im Europa des 19. Jahrhunderts darstellt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Autor Alexander Kuprin
3. Inhalt
4. Literarische Motive
4.1. Nasanski und seine Theorie des Individuellen Anarchismus
4.2. Die Darstellung des Militärs
4.3. Das Duell in „Das Duell“
5. Die Verurteilung zum Duell – ein Einzelfall?
6. Schlussbemerkung
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Roman „Das Duell“ erzählt vom wachsenden Missfallen des Helden für das Leben in der russischen Armee und seiner langsamen Erkenntnis, dass er ein einzigartiges individuelles Wesen ist. Aber bevor er die Armee verlassen oder gemäß seiner Erkenntnis handeln kann, wird er vom Ehrgericht des Regiments zur Austragung eines Duells verurteilt und in diesem vom Ehemann der Frau, die er liebt, erschossen.
In dieser Arbeit soll nach einer kurzen Biographie des Autors der Roman vorgestellt werden und drei seiner zentralen Motive entschlüsselt werden: Die Theorie des Individualismus, der Zustand des russischen Militärs und das Motiv des Duells. Anschließend soll auf das ungewöhnliche Zustandekommen des Duells am Ende des Romans eingegangen werden. Dabei soll am Beispiel Preußens untersucht werden, ob die gerichtliche Verurteilung zum Duellieren eine übliche Praxis im Europa des 19. Jahrhunderts darstellt.
2. Der Autor Alexander Kuprin
Alexander Iwanowitsch Kuprin wurde 1870 als einziger Sohn einer armen Familie in Narowtschat, Südrussland geboren. Sein Vater, ein niedriger Beamter stirbt mit 37 Jahren, als Alexander gerade ein Jahr alt ist. Kuprins Mutter, die von altem tatarischem Adel abstammte, war literarisch und poetisch interessiert. Zwei Jahre nach dem Tod des Vaters ziehen sie zu zweit nach Moskau, wo sie einen Platz in einem Witwenheim finden. Kuprin verbringt die kommenden 15 Jahre in Institutionen in Moskau: Zunächst im Witwenheim, später in einem Internat und schließlich ab 1880 in einer Moskauer Militärhochschule. Kuprin wird später seine Kindheit als sehr unglückliche Jahre bezeichnen. Er litt unter dem alltäglichen und akzeptierten Gebrauch von brutaler Züchtigung in den Institutionen. 1888 wird Kuprin in die Alexander-Militärakademie aufgenommen, wo er eine zweijährige Offiziersausbildung für die Infanterie durchläuft. Danach wird er als Unterleutnant zum 46. Dnjepr-Infanterieregiment in Proskurow in der westlichen Ukraine versetzt. Kuprin erlebt den Alltag dort als außerordentlich nervtötend und frei von kulturellen Entfaltungsmöglichkeiten. Nach zwei Jahren beendet er seinen Militärdienst und zieht zunächst als Journalist nach Kiew. Von hier an schlägt er sich mit den verschiedensten Arbeiten durchs Leben: Er ist Gerichtsdiener, Jäger, Fischer, Schauspieler, Souffleur, Forstinspektor oder Zahntechniker. Währenddessen ist er aber auch immer weiter als Schriftsteller, Journalist oder Publizist tätig, zunächst in Kiew, später in St. Petersburg.
1905 erscheint nach jahrelanger Arbeit „Das Duell“, an dessen Fertigstellung Kuprins Freund Maxim Gorki großen Anteil hatte. Kuprin verarbeitet in diesem Roman auch sein eigenes Militärleben. „Das Duell“ ist ein enormer kommerzieller Erfolg: Innerhalb eines Jahres nach Erscheinen werden über 40.000 Exemplare verkauft.
Nach der russischen Revolution wandert Kuprin mit Frau und Tochter nach Helsinki aus und schließlich nach Paris. Dort erlebt er schwere Jahre; sein schmales Einkommen aus der Schriftstellerei reicht nicht wirklich zum Leben und so entschließen sich Kuprin und seine Frau 1937 schließlich zur Rückkehr nach Leningrad, eine Entscheidung, die von der sowjetischen Führung zu Propagandazwecken genutzt wird. Kurze Zeit darauf stirbt Kuprin 1938 an Krebs. Zu weiteren bekannten Werken von ihm zählen „Die Heirat“, „Das Granatarmband“ oder „Der Graben“.
3. Inhalt
Die Hauptperson des Romans ist Leutnant Juri Romaschow. Er ist ein junger, schüchterner Leutnant, der erst seit 18 Monaten in der Armee dient. Hatte er zu Beginn seines Dienstes noch gute Vorsätze, seine freien Zeit zwischen Drill und Exerzieren zum Studium von Wissenschaften und Sprachen zu nutzen, so hat er diese inzwischen fallengelassen und sich dem allgemeinen Leben im Militär angepasst: Er trinkt zusammen mit den anderen Offizieren im Kasino und hat eine Affäre mit Raissa Peterson, der Frau eines anderen Offiziers, der er aber zum Zeitpunkt des Einsetzens der Romanhandlung schon überdrüssig geworden ist, so dass es ihm als ein „schmutziges und ödes Verhältnis“[1] erscheint. Sein Leben erscheint grau, trist, dumpf; er hat fast aufgehört zu denken.
Im Gegensatz zu anderen Offizieren ist er sich seiner Degenerierung aber durchaus bewusst, jedoch zieht er (noch) keine Konsequenzen aus dieser Erkenntnis.
Romaschows einziger Lichtblick sind seine regelmäßigen Besuche bei den Nikolajews. Wladimir Nikolajew ist Oberleutnant und arbeitet seit Jahren daran in die Akademie aufgenommen zu werden. In seine Frau, Alexandra Nikolajewa, die von allen Schurotschka genannt wird, ist Romaschow heimlich verliebt.
Schurotschka wird von Kuprin zunächst als ganz anders als die übrigen Regimentsdamen beschrieben: Sie ist intelligent, gefühlvoll, scharfsinnig, taktvoll und charmant. Romaschow ziehen diese Charakterzüge an, wie das „saubere, helle Haus“[2] in dem er die Nikolajews aufsucht, diese „friedlichen, fröhlichen Leute“[3]. Gleichzeitig wird er durch sie seiner eigenen Degeneriertheit umso bewusster und hat bei jedem seiner Besuche ein solch schlechtes Gewissen, dass er sich schwört, niemals wieder zu kommen.
Eines Tages ergreift Romaschow während einer Übung Partei für einen Tataren, der einen Befehl des Oberst Schuljgowitsch nicht versteht und erhält daraufhin „wegen Disziplinlosigkeit“[4] vier Tage Hausarrest. Als er den Arrest bald darauf antritt, ist dies die erste Zeit, die er seit seinem Dienstantritt vor 18 Monaten mit sich allein verbringt. „Wenn er früher einmal gelegentlich eine freie, durch nichts ausgefüllte Stunde gehabt hatte, war er stets, von Langeweile geplagt, wie aus Furcht vor sich selbst schnell ins Kasino gelaufen (…) was dann stets mit einer Kneiperei endete.“[5] Diesmal jedoch ist ihm die Möglichkeit der Flucht verstellt und „allerlei seltsame, unbequeme und unnötige Gedanken drangen auf ihn ein.“[6]
Er erinnert sich beispielsweise daran, wie seine Mutter ihn in seiner Kindheit bestrafte, indem sie „eins seiner Beine mit einem dünnen Faden ans Bett band und selbst ausging“[7] Der Faden stellte für den kleinen Juri kein Hindernis dar, genauso wie für den erwachsenen Romaschow seine eigene Barackentür kein Hindernis ist. Was beide an ihrem Ort gefangen hält, ist „Hypnose, eine Art abergläubische Angst vor der unfassbaren Macht der Erwachsenen, etwas wie das ehrfurchtsvolle Grauen des Wilden vor dem Zauberkreis des Schamanen.“[8] Über die Beobachtung, was ihn bindet, findet Romaschow in Gedanken zu der Begegnung mit seinem eigenen Ich: „Ich sitze hier, durch den Faden gefesselt. (…) Ich. Das bin doch – Ich!“[9] Er wird seiner eigenen Individualität bewusst und kommt sehr bald zu einer Erkenntnis, die dem Geist des Militärs diametral zu widersprechen scheint: Der Individualität jedes Einzelnen. Alle seine Untergebenen, die er bisher nur als graue Masse wahrgenommen hatte, haben eigene Ichs. Ichs, im Militärdienst eingezwängt, von Vorgesetzten erniedrigt, wie Romaschows eigenes, über das er nun denkt: „Warum hat sich denn mein Ich diesen Schemen untergeordnet?“[10] Was würde wohl passieren, wenn all diese Ichs den Gehorsam verweigerten, sich nicht länger herumkommandieren ließen, so fragt sich Romaschow und findet die Antwort: „Dann wird doch gleich ein Krieg undenkbar“[11].
Ohne weitere Konsequenzen aus seinen Erkenntnissen zu ziehen, wie etwa den Dienst zu quittieren, sitzt Romaschow den übrigen Arrest ab und gewöhnt sich bald wieder an das übliche Offiziersleben. Kurze Zeit darauf steht ein Tanzabend im Offizierskasino an. Raissa Peterson hatte Romaschow brieflich zu einem Tanz eingeladen und keine Antwort darauf erhalten. Im Verlauf des Abends begegnen sich die beiden und es kommt zu einer Aussprache über das Verhältnis zwischen ihnen, die einen hässlichen Verlauf nimmt. Raissa war Romaschows Interesse an Schurotschka nicht entgangen und sie deutet an, dass auch in Offizierskreisen über die beiden geredet wird. Weil Romaschow sein Verhältnis mit Raissa beenden will, droht sie ihm: „Ich werde diesem Nikolajew schon die Augen öffnen“[12].
Wenige Tage später kommt es zu einer ersten Konsequenz aus Romaschows Erkenntnis der Individualität der Soldaten: Bei einem Drillübung schafft es der Soldat Chlebnikow nicht, eine schräge Leiter zu erklettern. Chlebnikow – von dem sich Romaschow fragt, wie man „dieses jammervolle, kraftlose Menschenkind“[13], dessen Anblick in ihm „Wehmut und Gewissensbisse“[14] erzeugte, überhaupt zum Militärdienst einziehen konnte – wird vom Unteroffizier Schapowalenko rücksichtslos angeschrieen. Als Chlebnikows Kräfte am Ende sind und er von der Leiter fällt, macht der Unteroffizier Anstalten, ihn zu schlagen. Romaschow, „erregt vor Scham und Zorn“[15] schreitet ein: „Schapowalenko, nicht schlagen! (…) Das darfst du niemals tun!“[16] Diese ablehnende Haltung gegenüber der allgegenwärtigen Gewalt im Militär festigt sich in Romaschow, so dass er kurz darauf sogar dem Kompaniechef, Hauptmann Sliwa, droht, ihn dem Regimentskommandeur zu melden, sollte er einen Soldaten schlagen.
Zu einem entscheidenden Wendepunkt im Verhältnis zwischen Romaschow und Schurotschka kommt es bei einem Picknick anlässlich ihres gemeinsamen Namenstags. Schurotschka veranstaltet eine Landpartie mit Picknick, zu der auch Romaschow, sowie viele andere Offiziere samt deren Frauen geladen sind. Im Verlauf des Picknicks flirten Romaschow und Schurotschka miteinander und während eines Versteckspiels verschwindet Romaschow alleine im Wald. Als er bemerkt, dass Schurotschka ihm nachgegangen war „stürzte er ihr entgegen und schloss sie, ohne ein Wort zu sagen, in seine Arme.“[17] Sie unterhalten sich und Schurotschka gesteht ihm, „heute in (ihn) verliebt“[18] zu sein. Auch Romaschow gesteht ihr seine Gefühle. Jedoch ist Schurotschka zwiegespalten: „Mich erregt Ihre Nähe, jede Berührung von Ihnen. Aber warum sind Sie so bemitleidenswert! (…) ich kann Sie nicht achten. (…) Wenn Sie sich einen Namen machen, sich eine angesehene Stellung erkämpfen könnten…“[19] Außerdem berichtet sie ihm von anonymen Briefen, die ihr Mann erhält und bittet Romaschow, sie nicht weiter zu besuchen. Romaschow aber möchte nicht aufgeben und bietet Schurotschka an, seine Karriere von nun an ehrgeizig zu verfolgen: „Wenn ich das erreiche, was dein Mann will, oder vielleicht noch mehr? Dann?“[20] Ihre Antwort ist eindeutig: „Dann – ja! Ja, ja, ja!“[21]
[...]
[1] Kuprin 1956, S. 39.
[2] Ebd., S. 37.
[3] Ebd.
[4] Ebd., S. 22.
[5] Ebd., S. 82.
[6] Ebd.
[7] Ebd., S. 83.
[8] Ebd., S. 84.
[9] Ebd.
[10] Ebd., S. 87.
[11] Ebd., S. 88.
[12] Ebd., S. 128.
[13] Ebd., S. 144.
[14] Ebd. S. 145.
[15] Ebd.
[16] Ebd.
[17] Ebd., S. 190.
[18] Ebd., S. 191.
[19] Ebd., S. 195.
[20] Ebd., S. 199.
[21] Ebd.
- Citation du texte
- Jan Buck (Auteur), 2008, Alexander Kuprin "Das Duell" - Vorstellung des Romans und Untersuchung seiner zentralen Motive, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205106
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