Herkunft und Verwendung des Begriffes „semipräsidentiell“
Maurice Duverger führte den Begriff „semipräsidentiell“ 1970 ein, um die französische V. Re-publik systematisch einzuordnen, da dieses Regierungssystem weder mit dem parlamentarischen noch mit dem präsidentiellen System zu erklären war. 1975 untersuchte der Franzose die Regie-rungssysteme von Frankreich, Island, Irland, Österreich, Finnland und der Weimarer Republik, um die Notwendigkeit eines neuen Systemtyps zu beweisen. Er stützte sich dabei auf die Frage, wie es möglich ist, dass in Ländern mit einer ähnlichen Verfassung die Regierungspraxis so unterschiedlich sein kann. Mit Hilfe der Ergebnisse dieser Untersuchung konnte er 1978 in seinem Buch „Èchec au Roi“ den semipräsidentiellen Regierungstyp ausführlich erklären.
Es ist jedoch umstritten, ob das semipräsidentielle System eine eigene Regierungsform ist oder ob es sich lediglich um eine Mischform des parlamentarischen und präsidentiellen Systems han-delt. Auf Grund dieser Uneinigkeit verwenden manche Wissenschaftler den Begriff „semipräsi-dentielle“ als Synonym für die Mischform, was dazu führt, dass der Begriff nicht immer eindeu-tig eingesetzt wird. Widersprüche tauchen vor allem bei der Zuordnung Frankreichs auf. So be-zeichnetet zum Beispiel von Beyme 1970 die V. französische Republik als präsidentielles-parlamentarisches Zwittergebilde und 1984 ohne weitere Erklärungen als semipräsidentiell. Auch in „Pipers Wörterbuch zur Politik“ wird 1985 die V. Republik Frankreichs an einer Stelle zunächst als semipräsidentiell und an einer anderen Stelle schließlich als Mischtyp bezeichnet.
Bis heute wird der Begriff „semipräsidentiell“ nicht eindeutig verwendet und es gibt keine all-gemein gültige Entscheidung, ob das französische Regierungssystem semipräsidentiell oder nur eine Mischform ist.
Im Folgenden soll versucht werden zu klären, ob semipräsidentielle Systeme eigene Regie-rungsformen sind und ob es sich in Frankreich dementsprechend um eine semipräsidentielle Re-gierungsform handelt oder um eine Mischform parlamentarischer und präsidentieller Systeme.
Inhaltsverzeichnis
I. Herkunft und Verwendung des Begriffes „semipräsidentiell“
II. Zuordnung des französischen Regierungssystems zu einem Systemtyp
1. Vergleich mit Merkmalen parlamentarischer und präsidentieller Systeme
2. Vergleich mit Merkmalen semipräsidentieller Systeme
3. Das semipräsidentielle, französische Regierungssystem
III. Das semipräsidentielle System als eigenständiger Regierungstyp
IV. Literaturverzeichnis
I. Herkunft und Verwendung des Begriffes „semipräsidentiell“
Maurice Duverger führte den Begriff „semipräsidentiell“ 1970 ein, um die französische V. Republik systematisch einzuordnen, da dieses Regierungssystem weder mit dem parlamentarischen noch mit dem präsidentiellen System zu erklären war. 1975 untersuchte der Franzose die Regierungssysteme von Frankreich, Island, Irland, Österreich, Finnland und der Weimarer Republik, um die Notwendigkeit eines neuen Systemtyps zu beweisen. Er stützte sich dabei auf die Frage, wie es möglich ist, dass in Ländern mit einer ähnlichen Verfassung die Regierungspraxis so unterschiedlich sein kann. Mit Hilfe der Ergebnisse dieser Untersuchung konnte er 1978 in seinem Buch „Èchec au Roi“ den semipräsidentiellen Regierungstyp ausführlich erklären.
Es ist jedoch umstritten, ob das semipräsidentielle System eine eigene Regierungsform ist oder ob es sich lediglich um eine Mischform des parlamentarischen und präsidentiellen Systems handelt. Auf Grund dieser Uneinigkeit verwenden manche Wissenschaftler den Begriff „semipräsidentielle“ als Synonym für die Mischform, was dazu führt, dass der Begriff nicht immer eindeutig eingesetzt wird. Widersprüche tauchen vor allem bei der Zuordnung Frankreichs auf. So bezeichnetet zum Beispiel von Beyme 1970 die V. französische Republik als präsidentielles-parlamentarisches Zwittergebilde und 1984 ohne weitere Erklärungen als semipräsidentiell. Auch in „Pipers Wörterbuch zur Politik“ wird 1985 die V. Republik Frankreichs an einer Stelle zunächst als semipräsidentiell und an einer anderen Stelle schließlich als Mischtyp bezeichnet.
Bis heute wird der Begriff „semipräsidentiell“ nicht eindeutig verwendet und es gibt keine allgemein gültige Entscheidung, ob das französische Regierungssystem semipräsidentiell oder nur eine Mischform ist.
Im Folgenden soll versucht werden zu klären, ob semipräsidentielle Systeme eigene Regierungsformen sind und ob es sich in Frankreich dementsprechend um eine semipräsidentielle Regierungsform handelt oder um eine Mischform parlamentarischer und präsidentieller Systeme.[1]
II. Zuordnung des französischen Regierungssystems zu einem Systemtyp
1. Vergleich mit Merkmalen parlamentarischer und präsidentieller Systeme
Einer der größten Unterschiede parlamentarischer und präsidentieller Systeme besteht in der Bildung der Regierung und der damit zusammenhängenden Legitimation des Parlaments und der Regierung. Das Volk wählt in parlamentarischen Systemen nur das Parlament, welches dann die Regierung kreiert, während in präsidentiellen Systemen der Staatspräsident vom Volk gewählt wird und das Parlament die Regierung nicht alleine bilden kann.[2] In Frankreich wird, wie in präsidentiellen Systemen, die Nationalversammlung und seit 1962 auch der Staatspräsident direkt vom Volk gewählt.[3] Der Premierminister wird nicht direkt gewählt, sondern vom Präsidenten, unter Berücksichtigung der Mehrheitsverhältnisse im Parlament, ernannt. Laut Artikel 8 der Verfassung werden die restlichen Mitglieder der Regierung auf Vorschlag des Premierministers ebenfalls vom Staatspräsidenten ernannt.[4] Das Parlament kann nicht wie in parlamentarischen Systemen alleine die Regierung kreieren, sondern die Regierung wird nach dem präsidentiellen Muster gebildet.
Ein weiteres Merkmal zur Unterscheidung ist die Kompatibilität im Parlamentarismus und die Inkompatibilität in präsidentiellen Systemen.[5] Französische Minister die „aus den Reihen der Nationalversammlung kommen, [müssen] ihr Mandat […] nach dem Eintritt in die Regierung aufgeben.“[6] Der Staatpräsident soll nach Vorstellungen der Gründungsväter einen überparteilichen Charakter haben[7], hat aber seit der Verfassungsänderung vom 21. Juli 2008 das Recht vor dem Parlament zu sprechen.[8] Somit wird auch das parlamentarische Merkmal nicht vollkommen erfüllt.
Die politische Absetzbarkeit der Regierung ist in parlamentarischen Systemen möglich, in präsidentiellen Systemen jedoch nicht.[9] Die französische Regierung ist durch ein Misstrauensvotum des Parlaments politisch absetzbar. Durch die negativen Erfahrungen der III. und IV. Republik wurde die Durchsetzbarkeit eines solchen Votums jedoch durch die Verfassung der V. Republik erschwert. Trotzdem wird das parlamentarische Merkmal, die Rücktrittsverpflichtung der Regierung, erfüllt. Die französische Regierung muss im Falle eines Misstrauensvotums, das in präsidentiellen Systemen nicht möglich ist, zurücktreten.[10] Der Staatspräsident, der er einen sehr starken Einfluss auf die Regierung hat, kann jedoch nicht seines Amtes enthoben werden, da er nur dem Volk gegenüber verantwortlich ist.[11]
Nach Artikel 12 der französischen Verfassung hat der Staatspräsident die Möglichkeit die Nationalversammlung aufzulösen,[12] der Premierminister kann jedoch nur mit Zustimmung des Staatsoberhauptes das Parlament auflösen.[13] Diese Tatsachen widersprechen der präsidentiellen Auffassung, die kein Auflösungsrecht der Regierung vorsieht, erfüllen aber die parlamentarische Sicht.[14]
[...]
[1] Bahro H. und Veser E., Das semipräsidentielle System – „Bastard“ oder Regierungsform sui generis?, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 1995, Band 26, Heft 3, S.471-485
[2] vgl. Hartmann J., Westliche Regierungssysteme – Parlamentarismus, präsidentielles und semi-präsidentielles Regierungssystem, Wiesbaden 2005, 2. Auflage, S. 19-20
[3] vgl. Vogel W., Charakteristika des politischen Systems, in: Informationen zur politischen Bildung 285 (2004), S. 37-40
[4] vgl. Kempf U., Das politische System Frankreichs, in: Die politischen Systeme Westeuropas, Opladen 1995, S. 286-287
[5] vgl. Hartmann J., Westliche Regierungssysteme, S. 23-24
[6] Hartmann J., Westliche Regierungssysteme, S.181
[7] vgl. Kempf U., Das politische System Frankreichs, S.285
[8] vgl. Verfasser unbekannt: „Frankreich verabschiedet umfangreiche Verfassungsänderung“, Internetseite http://www.botschaft-frankreich.de/spip.php?article3421&var_recherche=Verfassungs%E4nderung, aufgerufen am 10.12.2008
[9] vgl. Hartmann J., Westliche Regierungssysteme, S.20
[10] vgl. Hartmann J., Westliche Regierungssysteme, S. 179
[11] vgl. Vogel W., Charakteristika des politischen Systems, S. 37
[12] vgl. Hartmann, Westliche Regierungssysteme, S. 185
[13] vgl. Kempf U., Das politische System Frankreichs, S.291
[14] vgl. Hartmann, Westliche Regierungssysteme, S. 20
- Arbeit zitieren
- Julia Müller (Autor:in), 2009, Das französische Regierungssystem – Mischtyp oder „semipräsidentiell“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204897
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