Der Gegenstand meiner Arbeit ist Immanuel Kants vorkritische Schrift „Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume“ aus dem Jahre 1768, die man als ersten Abschnitt auf Kants Weg zu seinem transzendentalen Idealismus betrachten kann. Um das Grundproblem der Schrift verstehen zu können, beginne ich mit einer Darstellung des damals aktuellen Problems des Raumes, der Frage nach seinem Wesen: absolut oder relational. Den Hauptteil bildet eine Rekonstruktion des Kantischen Arguments für den absoluten Raum, die im letzten Kapitel von einer Diskussion desselben mit einigen interessanten der zahlreich existierenden Kritikpunkte ergänzt wird.
Bei meiner gesamten Arbeit stütze ich mich auf die in Prof. Mühlhölzers Proseminar „Kants Weg zum transzendentalen Idealismus“ besprochenen Punkte; zur Ergänzung hinzugezogene Literatur ist in den Fußnoten angeführt.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
I. Das Problem des Raumes – absolut oder relational
II. Kants Argument für den Absoluten Raum – Rekonstruktion
III. Diskussion und Kritik
Anhang: Möbius-Band
I. Einleitung
Der Gegenstand meiner Arbeit ist Immanuel Kants vorkritische Schrift „Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume“ aus dem Jahre 1768, die man als ersten Abschnitt auf Kants Weg zu seinem transzendentalen Idealismus betrachten kann. Um das Grundproblem der Schrift verstehen zu können, beginne ich mit einer Darstellung des damals aktuellen Problems des Raumes, der Frage nach seinem Wesen: absolut oder relational. Den Hauptteil bildet eine Rekonstruktion des Kantischen Arguments für den absoluten Raum, die im letzten Kapitel von einer Diskussion desselben mit einigen interessanten der zahlreich existierenden Kritikpunkte ergänzt wird.
Bei meiner gesamten Arbeit stütze ich mich auf die in Prof. Mühlhölzers Proseminar „Kants Weg zum transzendentalen Idealismus“ besprochenen Punkte; zur Ergänzung hinzugezogene Literatur ist in den Fußnoten angeführt.
II. Das Problem des Raumes - absolut oder relational -
Zu Kants Zeiten existierten zwei konkurrierende Raumvorstellungen, in deren Spannungsfeld sich dieser befand und zurechtfinden mußte: Isaac Newtons Theorie des absoluten und Gottfried Wilhelm Leibniz’ Vorstellung des relatioalen Raumes. Die Frage nach dem Wesen des (Welt-)Raumes ist ein vielseitiges Problem und bildet einen Schnittpunkt der Mathematik, der Physik und der Philosophie – und ist bis heute umstritten. Um nun die Möglichkeiten, die sich Kant anboten, und seine in 1768 getroffene Entscheidung für den absoluten Raum nachvollziehen zu können, seinen die gegensätzlichen Definitionen kurz dargestellt, bevor es um das Argument des Philosophen geht.[1]
Der wesentliche Unterschied zwischen der absoluten und der relationalen Raumvorstellung besteht im Verhältnis des Raumes zu seinen Körpern. Den absoluten Raum kann man sich als eine Art unendlich ausgedehnten Behälter denken, in dem sich alles (Ko-)Existente befindet, aber er ist durchaus auch ohne Körper vorstellbar. Im Gegensatz dazu entsteht der relationale Raum erst durch die Existenz von Körpern, er stellt sozusagen das System der Beziehungen zwischen diesen dar. Kurz: der absolute Raum ist von Körpern unabhängig, der relationale ist ohne sie nicht denkbar.
Nun soll aber speziell die Raumvorstellung Newtons beschrieben werden, deren unbegrenzter Behälter einem Kasten mit sechs in die Unendlichkeit hinausgeschobenen Wänden gleicht und auf der dreidimensionalen euklidischen Geometrie basiert. Und obwohl sich durch die Unendlichkeit ein Problem bei der Bestimmung der Koordinaten des Raumes ergibt (da feste Anhaltspunkte entfallen), sind verschiedene Orte im absoluten Raum sinnvoll unterscheidbar, denn für zwei physikalische Prozesse (unabhängig davon, ob diese zeitgleich stattfinden) ist es objektiv bestimmbar, ob sie sich am selben Ort ereignen oder nicht. Diese Orte und die Abstände zwischen ihnen hängen weder von der Existenz materieller Dinge ab, noch vom Standpunkt eines Beobachters; die innere Struktur des Newtonschen Raumes ist nicht auf materielle Ereignisse und deren Beziehungen zurückzuführen, sondern liegt diesen vielmehr zugrunde. Nach der substantialistischen Interpretation zählen die Raumpunkte zu den inneren Raumstrukturen. Der absolute Raum ist seiner Natur nach stets in sich ruhend und homogen, seine Koordinaten bezeichnen absolute Orte und folglich absolute Abstände – in diesem unendlichen Raum ruht der Schwerpunkt des Weltsystems (vorausgesetzt, es ist endlich). Die „dynamische“ Komponente der Raumdefinition besteht im ihrem Bezug auf die mit Geschwindigkeitsänderungen verknüpften Kräfte, denn laut Newton zeichnen sich absolute Bewegungen (also die gegen den absoluten, stabilen Raum) durch Trägheitskräfte aus – so beschleunigte Bewegungen oder Rotationen – und beweisen die Existenz des absoluten Raumes sehr anschaulich (siehe Newtons „Eimerversuch“). Diese auf die Mechanik gestützte Argumentation Newtons wurde viel kritisiert, doch fand man keine bessere, oder genauer gesagt mathematisch-physikalisch funktionsfähigere Theorie als Alternative.
Solch eine Alternative ist die Leibnizsche Gegenposition, deren Stärke auf den Schwachstellen des absoluten Raumbegriffs beruht, die sich auf die Plausibilität seiner Grundidee stützt und insgesamt erkenntnistheoretisch sehr überzeugend sein mag, aber weder mathematisch ausgearbeitet noch empirisch angewandt werden kann. Nach der relationalen Raumkonzeption sind nur die Beziehungen zwischen den Körpern innerhalb des Weltsystems für Räumlichkeit von Bedeutung und sie bleiben gleich, unabhängig davon, wo sich das Weltsystem wann befindet. Also kommt Leibniz zu der Überzeugung, daß es gar keinen Sinn hat, zu unterscheiden, ob es sich gerade hier oder dort befindet und argumentiert folgendermaßen: Erstens gibt es keinen zureichenden Grund, warum sich das Weltsystem zu einem bestimmten Zeitpunkt am Ort A und nicht am Ort B des absoluten Raumes befinden sollte (Prinzip des zureichenden Grundes), und zweitens könnten wir die Situation, an dem es sich am Ort A befindet, gar nicht unterscheiden von der Situation, an dem es am Ort B ist (Prinzip der Ununterscheidbarkeit des Identischen). Newtons Konzeption, die beide Unterscheidungen zuläßt, postuliert also mehr Struktur als zur Erfassung des Phänomens nötig wäre. Außerdem könnten wir auch eine gleichförmige Bewegung des Weltsystems im absoluten Raum nicht von seinem Stillstand unterscheiden – wie bei den oben genannten Fällen würden die räumlichen Beziehungen untereinander auch hier die gleichen bleiben. Der Raum als System von Beziehungen, dessen Struktur nicht von der Anordnung der gleichzeitig existierenden Körper zu trennen ist, hat der Leibnizschen Definition nach keine objektive Realität, ist sozusagen ein Phänomen. Seine Körper sind nicht-reale Träger von subjektiv gefärbten Eigenschaften, und die unwirklichen Relationen zwischen diesen Eigenschaften (immaterielle Kräfte) bilden den Raum, der also irreal – bzw. ideal – ist. Im Gegensatz zu Newton kommt in dieser Theorie den Raumpunkten also keine eigenständige Existenz zu (der Substantialismus wird bestritten), und alle Bewegungen werden als Relativbewegungen begriffen.
Zwischen diesen zwei Grundvorstellungen mußte sich Kant also entscheiden, und seine Entscheidung basierte auf denselben Kriterien der Theorienwahl wie Leibniz’ Newtonkritik, nur dachte er in 1768 sozusagen eine Ecke weiter. Jener hatte bei Newton zu viel Struktur, mehr als zur Erfassung der behandelten Phänomene nötig gewesen wäre, festgestellt, und umgekehrt bemerkte Kant nun, daß die Leibnizsche Theorie zu wenig Struktur aufwies – doch davon im nächsten Kapitel mehr. Was allerdings an dieser Stelle noch anzumerken wäre, ist, daß Kant nicht lange an seiner Entscheidung festhielt, und den absoluten Raum schon zwei Jahre später (in seiner Dissertation von 1770) ohne weitere Begründung oder Korrektur des Arguments von 1768 als „leere Erfindung der Vernunft“[2] bezeichnete und auch das Rechts-Links-Phänomen mit der Zeit immer mehr außer Acht ließ.
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[1] Entnommen aus: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaft. Hrsg. von Jürgen Mittelstraß. Bd. III. Stuttgart, Weimar: Verlag J. B. Metzler 1995. / Schüler Duden Philosophie. Hrsg. von d. Red. für Philosophie d. Bibliogr. Inst. unter d. Leitung v. Gerhard Kwiatkowski. Mannheim, Wien, Zürich: Bibliographisches Institut 1985. / Mühlhölzer, Felix: Das Phänomen der inkongruenten Gegenstücke aus Kantischer und heutiger Sicht. In: Kant-Studien. Philosophische Zeitschrift der Kant-Gesellschaft. 83 (1992). Hrsg. von Gerhard Funke u. Rudolf Malter. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1992. S.436-453.
[2] Kant, Immanuel: Von der Form der Sinnen- und Verstandeswelt und ihren Gründen. (Übersetzung) In: Immanuel Kant. Werke in sechs Bänden. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Bd. III. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1963. S.63.
- Citation du texte
- Eleonóra Szemerey (Auteur), 2002, Kants Argument für den absoluten Raum aus dem Jahre 1768, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20472
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