Aufgrund steigender Ausgaben und geänderter Rahmenbedingungen im österreichischen Gesundheitswesen gewinnen gesundheitsökonomische Überlegungen und Wege der Verbesserungen in allen Bereichen des Gesundheitswesens zukünftig immer mehr an Bedeutung.
„Hauptakteure“ im Gesundheitssystem Österreichs sind die Spitäler, die primär den Versorgungsauftrag erfüllen, aber auch ein Maximum an Qualität bei der Versorgung sicherstellen, PatientInnen sowie MitarbeiterInnen zufriedenstellen und gleichzeitig wirtschaftliche Restriktionen einhalten müssen. Mithilfe eines strategischen Managements und dem Einsatz strategischer Managementkonzepte ist es möglich diese Aufgaben bestmöglich zu bewältigen.
Neben der Problematik der Finanzierung sehen sich Krankenhäuser zunehmend mit weiteren Herausforderungen konfrontiert. Zu den wichtigsten zählen die Sicherstellung der Einnahmenbasis, die demographische Entwicklung, ein verstärkter Wettbewerb, eine veränderte Umwelt der Anbieter oder gesetzliche Rahmenbedingungen zum Qualitätsmanagement.
Die Strategie eines Krankenhauses bestimmt die grundsätzliche Ausrichtung mit dem Ziel eines langfristigen Erfolgs. Hauptkonzept des strategischen Managements ist somit ein planerischer strategischer Managementprozess, welcher den Ablauf einer strategischen Zielplanung über eine strategische Analyse und Formulierung bis hin zur Strategieimplementierung beinhaltet. Im Anschluss werden in dieser Arbeit ausgewählte strategische Instrumente und ihr Verwendungszweck im strategischen Managementprozess im Detail beschrieben. Zu diesen gehören die ABC-Analyse, das Benchmarking, die SWOT-Analyse, die Portfolio-Analyse und die Balanced-Scorecard.
Das Ziel dieser Masterarbeit ist die Schaffung eines Überblicks zum erfolgreichen Aufbau eines strategischen Managements in Krankenhäusern und einer Beschreibung des zugehörigen Einsatzes der wichtigsten Konzepte als Ergänzung zu bestehenden Konzepten zur Verbesserung, wie Effizienzsteigerung oder Kostensenkung.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Das Fremde
1. Ordnung des Eigenen durch Abgrenzung von Fremdem
2. Pathos und Response
3. Ich als Anderer.
4. Zeitliche Diastase
5. Unerreichbarkeit in der Wiederholung
III. Die Zeit
1. Fremde Zukunft
2. Vergangene Antwort
3. Gleichzeitigkeit in der Ungleichzeitigkeit
IV. Der Leib
1. Zeitliches Selbst
2. Die Welt und der Andere
3. Vielheit in der Einheit
V. Schluss
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
In seinem Vortrag „Der Begriff der Zeit“, der die Zeit thematisiert, erklärt Heidegger sein Vorhaben mit den Worten: „Sollte das menschliche Sein in einem ausgezeichneten Sinne in der Zeit sein, so daß an ihm, was die Zeit ist, ablesbar werden kann, so muß dieses Dasein charakterisiert werden in den Grundbestimmungen des Seins.“1 Es soll jedoch in der folgenden Arbeit nicht darum gehen, das menschliche Dasein im heidegger'schen Sinne als Grundlage der menschlichen Zeit zu analysieren. Dennoch möchte ich mich insofern an die beschriebene Herangehensweise halten, als dass ich die menschliche Zeitlichkeit im Sein des Menschen selbst verorte und eine Analyse der Zeitlichkeit demnach einer Auseinandersetzung mit dem menschlichen Sein bedarf.
Als Ausgangspunkt hierfür wird die Philosophie des Fremden nach Bernhard Waldenfels dienen. In dieser entwickelt er einen phänomenologischen Begriff des Selbst, das sich in einem Zusammenspiel mit Fremdem als dem außerhalb des Selbst stehenden bildet. Hierbei bedarf das Selbst der Möglichkeit überhaupt für Fremdes empfänglich zu sein, wodurch eine Beziehung zwischen Selbst und Fremdem entsteht, durch die das Fremde immer schon im Selbst vorzufinden ist. Diesen Begriff des Selbst möchte ich im folgenden herausarbeiten, um ihn bezüglich seiner zeitlichen Momente zu betrachten. Es wird hierbei nicht um einen objektivierten Begriff der Zeit gehen, den wir in der Lage sind, von außen zu betrachten. Vielmehr bedingt eine phänomenologische Analyse des Selbst bereits eine Zeitlichkeit, deren Charakteristika sich in unserer Wahrnehmung und deren Reflexion dartun. Demnach möchte ich versuchen, das Selbst in seiner, uns durch Wahrnehmung und Empfindung gegebenen, Eigenart zu begreifen. Dieses Selbst, das sich als ein immer schon Veränderndes zeigt, soll daraufhin in Bezug auf seine eigene Zeitlichkeit untersucht werden. Zudem wird im letzten Teil dieser Arbeit der Bezug des Selbst zu seinem Leib ausführlicher betrachtet und somit der Leib in seiner Rolle als Vermittler zwischen dem wahrnehmenden Selbst und dem wahrgenommenen Fremden analysiert. Auch die Betrachtung des Leibes soll unter dem Aspekt der Zeitlichkeit stattfinden, weil dieser letztendlich die direkte Schnittstelle zwischen Wahrnehmendem und Wahrgenommenem verkörpert.
Da wir es bei Waldenfels mit einem Selbst zu tun haben, welches sich im Zusammentreffen mit dem Fremden und dem Anderen bildet und zugleich als Wahrnehmendes selbst Ausgangspunkt seiner eigenen Zeitlichkeit ist, scheint es sich von vornherein um ein zeitliches Selbst zu handeln. Ebenso geht Merleau-Ponty davon aus, dass Zeit immer schon einer Perspektive auf die Dinge bedürfe und sie daher kein realer Prozess sei, den wir zu registrieren hätten, sondern sie dem Verhältnis des Wahrnehmenden zu den Dingen entspringe.2 Einerseits möchte ich diese Art der Zeitlichkeit, die bereits in unserem Sein zur Welt und in unserem selbst zu sein scheint, herausarbeiten und in ihrem Bezug auf das Selbst und den Anderen analysieren. Andererseits möchte ich mich nicht auf einem Selbst ausruhen, welches in seiner phänomenologischen Betrachtungsweise notwendigerweise zeitlich ist. Sondern es soll versucht werden, die Zeitlichkeit im Kontext der Entstehung des Selbst zu begreifen, um sich so der Frage anzunähern, inwiefern unser Dasein selbst einem Verhältnis zur Zeit bedarf.
II. Das Fremde
Auf der Suche nach der Zeit in Bernhard Waldenfels' Philosophie müssen wir uns zuerst mit seiner Phänomenologie des Fremden beschäftigen. Darin stellt Waldenfels das Phänomen der Fremderfahrung dar. Es entspringt aus dem Verhältnis zwischen dem Fremden, das uns widerfährt und unserer Antwort auf das Fremde. Die Zusammengehörigkeit von eintreffendem Fremdem und der zugehörigen Antwort ist jedoch durch einen unüberwindbaren Spalt in ihrer Einheit getrennt. Diese Trennung zwischen eigener Antwort und dem eintreffenden Fremden bezeichnet Waldenfels als zeitliche Diastase. In der zeitlichen Diastase möchte ich die menschliche Zeit beziehungsweise die Zeitlichkeit des Menschen innerhalb der Philosophie Bernhard Waldenfels' verorten. Im Folgenden sollen die genannten Charakteristika innerhalb einer Philosophie des Fremden nach Bernhard Waldenfels detailliert herausgestellt werden, um dann das Ereignis der zeitlichen Diastase mit unserer eigenen Zeitlichkeit und unserem Gefühl für die Zeit in Verbindung zu setzen.
In seinem Werk Ortsverschiebungen, Zeitverschiebungen beschreibt Waldenfels das Fremde wie folgt:
„Fremd ist, was außerhalb der Reichweite unserer persönlichen und kollektiven Möglichkeiten liegt. Doch dieses Außerhalb bezieht sich primär nicht auf einen anderen Ort oder gar auf eine andere Raumstelle, sondern auf die Andersheit des Ortes, gerade auch des eigenen, auf ein Anderswo, das auf mein und unser Hier zurückweist, es aber unterhöhlt.“3
Fremd ist demnach also das, was außerhalb der eigenen Möglichkeiten steht, das, was sich mir in seiner Erreichbarkeit entzieht. Gleichzeitig wirdjedoch daraufhingewiesen, dass es, neben dem Fremden im Sinne einer nicht zu erreichenden Möglichkeit, die sich allein schon räumlich außerhalb meines Handlungsfeldes oder auch meiner selbst befindet, immer auch die Andersheit des Ortes selbst und die Andersheit des eigenen Selbst gibt. Ich selbst werde unterhöhlt durch ein Fremdes, welches auf das Zu-Unterhöhlende zurückweist. Die hier angedeutete Vermischung von Eigenem und Fremdem kennzeichnet ein Grundmerkmal der waldenfels'schen Philosophie. Das Fremde ist hierbei nicht allein das außerhalb unserer selbst stehende, sondern zugleich ein für das Selbst konstitutives Moment. Das als fremdartig Erfahrene entzieht sich uns und aus ihm geht das Eigene hervor, indem sich für uns ein Außerhalb unserer Selbst als das Fremde auftut.4
1. Ordnung des Eigenen durch Abgrenzung von Fremdem
Eigenes, welches aus der Grenzziehung zwischen einem Innen und einem Außen entsteht, hat für Waldenfels immer schon die Form einer Ordnung, auf dessen Grundlage erst das Fremde als eine nicht zu erreichende Möglichkeit hervortritt. Diese eigene Ordnung ist folglich der Ausgangspunkt einer ständigen Grenzziehung, die letztendlich das Eigene vom Fremden abgrenzt. „Denn ohne die Ordnung, in der man fühlt, spricht, denkt, lebt und die uns umgibt wie eine Atmosphäre, wäre niemand, wer er ist, wäre nichts, was es ist.“5 Gerade diese vorausgesetzte Ordnung, die es uns unmöglich macht einen neutralen Standpunkt einzunehmen, ist der Ort, an dem das Fremde uns trifft. Sie ist der Grund überhaupt, warum uns Fremdes treffen kann und zugleich der Ort, der mittels des Fremden gebildet wird.
Hierbei zeigt sich sehr deutlich, dass die eigene Ordnung immer auch eine individuelle ist und daher das Fremde, da es dem Außerhalb des Eigenen entspricht, nur in Bezug zu einer jeweiligen eigenen Ordnung gedacht werden kann. In diesem Sinne beschreibt Gerhard Unterthurner in seinem Text „Logiken des Innen und Außen nach Waldenfels“ das Fremde als einen Überschuss, der nicht in einer weiteren Ordnung gefasst werden kann, sondern anwesend ist in der eigenen Ordnung, durch welchen diese über sich selbst hinausgetrieben wird.6 Auf der einen Seite haben wir dementsprechend das Verhältnis von Innen und Außen, dem Eigenes und Fremdes entsprechen, auf der anderen Seite unterliegt diese Grenzziehung einer ständigen Verschiebung. Es scheint geradezu unsere eigene Existenz zu sein, die einer solchen Grenzverschiebung entspringt, wenn eigenes im Sinne eines immer schon geordneten Eigenen gedacht wird, welches nur in einem Verhältnis zu einem von ihm abgegrenzten Fremden entstehen kann. Diese Form der gegenseitigen Abhängigkeit, in der Eigenes und Fremdes durch Abgrenzung hervortreten und sich in ihrer Grenzverschiebung zueinander immer wieder neu bilden, findet sich für Waldenfels überall dort, „wo wir weder in die Grenzen einer Ordnung eingeschlossen, noch über sie hinaus sind, wo wir vielmehr Grenzen einer Ordnung überschreiten, ohne sie zu überwinden.“7
Um das beschriebene Verhältnis von Fremdem zu Eigenem besser zu verstehen, wird im Folgenden die Beziehung dieser beiden Phänomene zueinander beleuchtet. Diese Form der Bezugnahme zwischen Eigenem und Fremdem, die vorausgesetzt wird, sobald wir es mit einer Grenzziehung zwischen diesen beiden zu tun haben, findet für Bernhard Waldenfels in den Phänomenen 'Pathos und Response' ihre Ausführung, die im Folgenden erklärt werden sollen.
2. Pathos und Response
Pathos und Response beschreiben in Waldenfels' Philosophie den Vorgang einer Fremderfahrung und somit die ständige Grenzziehung zwischen Eigenem und Fremdem, aus welcher diese selbst wiederum hervorgehen. Hierbei beschreibt Pathos das Getroffen-Sein des Eigenen von dem Fremden und Response unsere Antwort auf das, von dem wir getroffen sind. Obwohl wir demnach von etwas aus der Fremde her getroffen werden und auf dieses antworten, geschieht für Waldenfels beides in einem, jedoch in einer zeitlichen Verschiebung, wodurch die Antwort zu einem nachträglichen und das Widerfahrnis zu einem der Antwort vorgängigen Ereignis werden.8
Es ist das Fremde, mit dem wir im Pathos konfrontiert werden. Darin liegt die Vorgängigkeit des Pathos, da es sich uns als Fremdes immer schon entzieht und uns dementsprechend in seiner absoluten Fremdheit immer auch unerreichbar ist. Für Waldenfels trägt das Pathos daher „Züge eines Extraordinären, das den jeweiligen Ordnungen nicht widerspricht wie das Ordnungswidrige, sondern sich ihnen entzieht, indem es in Frage stellt.“9 Das, was sich uns entzieht, indem es unsere eigene Ordnung in Frage stellt, ist das Fremde als das außerhalb unserer Ordnung Stehende. Zugleich aber steckt in der Formulierung des In-Frage-Stellens der Bezug zwischen Eigenem und Fremdem. Dieses wird offenbar durch die Antwort, die dem Getroffen-Sein von Fremdem entspringt. Denn sie trägt in ihrer Möglichkeit auf das InFrage-Stellen durch das Pathos zu antworten die Fähigkeit über sich selbst hinauszugehen. Der Wandel des Eigenen beziehungsweise der eignen Ordnung, der sich in der Antwort vollzieht, ist eine Antwort auf die Frage des Fremden. Eine solche Antwort, obwohl sie auf der Grundlage der eigenen Ordnung getroffen wird und das Fremde in ihr niemals vollkommen aufgeht, ist dennoch als Antwort auf das Pathos zu begreifen und muss somit im Moment ihres Verständnisses des Fremden beziehungsweise der Eingliederung des Fremden in die eigene Verständnisordnung mit einem Über-sich-selbst-Hinausgehen der eigenen Ordnung zusammenfallen. Denn es ist gerade dieser Wandel, der das Selbst über sich hinausgehen lässt ohne das es ein anderes wird, der die Grenzverschiebung zwischen Eigenem und Fremdem hervorruft, und dadurch das Verhältnis von Eigenem zu Fremdem einer Veränderung unterzieht, wodurch die Aufnahme von Fremdem in das Eigene und auf diese Weise die Fremderfahrung selbst erst ermöglicht wird.
Obzwar ein so beschriebenes Antwortereignis den Charakter einer zeitlichen Unterteilung in ein Vorher des Pathos und in ein Nachher der Antwort hat, ist es gerade die Gleichzeitigkeit der beiden Ereignisse, die in Waldenfels' Philosophie einen großen Stellenwert einnimmt. In Bezug auf die Erfahrung der Zeit wird diese „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“10 später noch ausführlicher beschrieben. Zusätzlich zu einer Form der Zeitlichkeit verweist das Antwortereignis in seinem Eingehen auf das In-Frage-Stellen durch Fremdes auch auf den Anderen. Aus diesem Grund soll die Verbindung des Selbst, im Sinne einer eigenen Ordnung, welche sich zur Welt und zu Fremdem verhält, und des Anderen in ihrer Fremdheit genauer betrachtet werden.
3. Ich als Anderer
Dieser Andere, der in seiner Eigenheit immer schon Züge des Fremden an sich hat und mir dadurch in seiner Gänze unverständlich bleibt, konfrontiert mich ebenso mit seinen für mich fremden Ansprüchen, auf welche ich zu antworten habe. Im Sinne einer Fremderfahrung, die einhergeht mit einem Wandel der eigenen Ordnung, der immer schon der Möglichkeit der Wahrnehmbarkeit von Außerordentlichem und somit Fremdem bedarf, sagt Bernhard Waldenfels: „Antworten heißt nicht, daß etwas vorausging als Ursache in der Zeit, Antworten heißt, daß der Antwortende sich selbst vorausgeht, indem er vom Anderen herkommt.“11 Es ist die eigene Antwort, die vom Anderen her kommt und sich somit auch vom Fremden her auf mich selbst zubewegt. Das heißt der Andere ist immer auch ich als Fremder, denn gerade diese Fremdheit ist es, die mich den Anderen überhaupt von mir selbst unterscheiden lässt. Der Ausgangspunkt meiner Antwort im Fremden ist es, der mir den Anspruch des Fremden beziehungsweise des Anderen erst verständlich macht, ohne ihn gänzlich zu begreifen. Der Andere ist ich als Anderer12, da die Möglichkeit meiner Antwort sich auf die Fremdheit des Anderen bezieht und dieses Fremde zugleich als Unmöglichkeit Teil meines eigenen Selbst ist.
Es scheint eine geradezu paradoxe Annahme zu sein, auf den fremden Anspruch des Anderen eingehen zu können, indem man selbst von dieser Fremdheit her auf ihn antwortet. Die Fähigkeit selbst, andere überhaupt wahrnehmen zu können und zugleich etwas Eigenes, folglich ein Selbst, zu bleiben, ist im Phänomen der Fremderfahrung enthalten. Demnach enthält die absolute Trennung zwischen Eigenem und Fremdem eine Unmöglichkeit des fremden Anspruchs, die in einer Möglichkeit aufzugehen scheinen muss. „Fremdes, worauf wir zu antworten haben, ob wir wollen oder nicht, konfrontiert uns mit einer gelebten Unmöglichkeit, da solch fremde Ansprüche - [...] - den Rahmen vorgegebener Möglichkeitsbedingungen sprengen.“13 Eben diese „gelebte Unmöglichkeit“ ist es, die es uns ermöglicht dem Anderen zu antworten, der in seinen Möglichkeiten jedoch immer unerreichbar für uns bleibt. Ich komme vom Anderen her, um ihm überhaupt erst antworten zu können, denn in dieser Fähigkeit liegt die Grundlage für das Verständnis des Anderen schlechthin, da die Wahrnehmbarkeit seines fremden Anspruchs als Unmöglichkeit für mein Selbst nur in der Veränderung meines eigenen Möglichkeitenhorizontes hin zu einer Vermöglichung des fremden Anspruchs für mich selbst liegen kann. Der Andere steckt also in mir und ich folglich im Anderen, da ich mich immer schon im Antwortereignis aus Pathos und Response herausbilde. Für mich stellt sich hierbei unmittelbar die Frage nach dem Anfang dieses Ereignisses und damit auch nach einem unwandelbaren Kern meiner eigenen Ordnung. Es ist insbesondere diese scheinbare Anfangslosigkeit der Fremderfahrung in Bezug auf die Bildung des Eigenen und des Fremden, mit der wir uns im Rahmen der menschlichen Zeitlichkeit später noch ausführlicher beschäftigen werden. Zuerst aber wollen wir die Schnittstelle zwischen dem Eigenen und dem Fremden genauer analysieren. Dort liegt für Waldenfels die Möglichkeit, Fremdes von Eigenem zu trennen und dennoch in Form der „gelebten Unmöglichkeit“ vom Fremdem her zu kommen. An diesem Ort blitzt auch ein erstes Moment der Zeitlichkeit auf.
4. Zeitliche Diastase
Im Kapitel „Pathos und Response“ wurde bereits auf das Zu-früh-Kommen des Pathos und das Zu-spät-Kommen der Antwort hingewiesen.14 Allerdings haben wir es hierbei nicht damit zu tun, dass sich das Eintreffen des Fremden früher als die Antwort ereignet und die Antwort selbst später als das Eintreffen, sondern mit einer unvermeidlichen Vorgängigkeit des Pathos und mit einer ebenso unvermeidlichen Nachträglichkeit der Antwort. Diese Ungleichzeitigkeit bezeichnet Bernhard Waldenfels als Zeitverschiebung innerhalb der Erfahrung.15 Obgleich wir es hier mit einer Zeitverschiebung zu tun haben, sind eintreffendes Fremdes und Antwort dennoch zusammen zu denken, da das uns treffende Fremde nur in der Antwort auf dieses erfahrbar wird.
„Widerfahrnisse, die unser Selbstsein verändern und in die bestehende Ordnung einbrechen, haben zur Folge, daß wir uns selbst voraus sind, daß wir älter und zugleich auch junger sind als wir selbst. Das Jetzt der zeitlichen Erfahrung und der zeitliche Rede verdoppelt sich nicht nur, sondern es ist von sich selbst geschieden, es tritt auseinander; diesen Hiatus bezeichne ich als Diastase.“16
Die zeitliche Diastase als unüberwindbarer Spalt zwischen Pathos und Response verweist uns zum einen wiederum auf das Außerordentliche, das unser Selbstsein verändert, zum anderen deutet es auf eine Trennung von unserem eigenen Leib hin.
Bezüglich des ersteren scheint die zeitliche Diastase eine geradezu notwendige Folgerung zu sein, da wir es bei dem Fremden mit einem Außerordentlichen zu tun haben, welches in meiner Antwort auf es selbst von diesem aus kommen soll und mich dadurch in meinem Selbstsein verändert. Ohne eine solche Trennung wäre das Eigene nicht mehr von Fremdem zu unterscheiden, dajeglicher Bezug zu einem Fremden unmöglich wäre. Alles befände sich innerhalb seiner Ordnung, auch das Selbst in seiner Beziehung zum Anderen würde nicht durch eine Grenze getrennt. Die Verschiedenheiten des Selbstseins und des Andersseins, aber auch des Eigenen und des Fremden, müssten entweder in einer Gleichheit aufgehen, die keine Grenzziehungen kennen würde. Oder aber sie würden in einer absoluten Trennung voneinander ohne jegliche Möglichkeit der gegenseitigen Wahrnehmbarkeit parallel existieren. In diesem Sinne beschreibt Andreas Gelhard in seinem Aufsatz „Diastase und Diachronie“ die zeitliche Diastase als nicht zu überwindende Ungleichzeitigkeit „zwischen dem 'Schlag' der Begegnung mit dem absolut Fremden, der mir widerfährt, bevor ich mich abwenden kann, und meiner Antwort, die das absolut Fremde in jemand fremdes verwandelt, zu dem ich in Beziehung trete.“17 Ohne ein solches Moment, welches zugleich trennt und verbindet, bliebe mir der Andere unerreichbar. Hier wird bereits angedeutet, dass die zeitliche Diastase die Möglichkeit der Wahrnehmbarkeit selbst begründet und dies in Form einer Zeitlichkeit, die sich im Sinne eines zeitlichen Jetzt selbst zu widersprechen scheint.
Neben dieser Trennung von Anderem und Fremdem spaltet die zeitliche Diastase das Selbst ebenso von seinem eigenen Leib. Durch die zeitliche Verschiebung der Erfahrungen werden wir uns des Affizierens durch das Fremde immer erst mit der Nachträglichkeit der Response bewusst. Auch wenn Pathos und Response zusammenzudenken sind, hindert uns der unüberwindliche Spalt zwischen ihnen daran, jemals ganz wir selbst zu sein. „Die Nachträglichkeit all unserer Bemühungen und Bestrebungen schließt aus, daß das, was leibt und lebt, je ganz bei sich selbst ist. [...]. Ich fasse mich nur, indem ich mir entgleite.
Leiblichkeit besagt, daß ich nur als anderer ich selbst bin.“18 Sobald das Selbst dem diastatischen Vorgang der Fremderfahrung selbst entspringt, indem es sich als Grenzziehung zwischen Eigenem und Fremdem bildet und somit das Eigene, das sich aus der Antwort ergibt, immer schon vom Fremden her erfahrbar wird, geht auch mein Leib und dessen Wahrnehmung aus der zeitlichen Diastase hervor. Wie die Berührung eines Gegenstandes aus der eigenen Berührung und der des Berührten erst zu dem wird, was sie ist, so ist der ganze Leib in seiner Wahrnehmung durch das Selbst von Anfang an auch der Entzug seiner Leiblichkeit hin in das Andere und das Fremde.
[...]
1 Heidegger, „Der Begriff der Zeit“, S. 12
2 Vgl. Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, S. 468
3 Waldenfels, Ortsverschiebungen, Zeitverschiebungen, S. 240
4 Vgl. Waldenfels, Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden, S. 20
5 Waldenfels, VielstimmigkeitderRede, S. 180-181
6 Vgl. Unterthurner, „Logiken des Innen und Außen nach Waldenfels“, S. 133
7 Waldenfels, Ortsverschiebungen, Zeitverschiebungen, S. 188
8 Vgl. Waldenfels, Bruchlinien der Erfahrung, S. 60
9 Waldenfels, Schattenrisse derMoral, S. 269
10 Vgl. Nietzsche, „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“, 180
11 Waldenfels, SchattenrissederMoral,S. 112
12 Vgl. Waldenfels, Schattenrisse derMoral, S. 73
13 Waldenfels, SchattenrissederMoral, S.111
14 Vgl. S. 4f
15 Vgl. Waldenfels, Ortsverschiebungen, Zeitverschiebungen, S. 146
16 Waldenfels, Ortsverschiebungen, Zeitverschiebungen, S. 147
17 Gelhard, „Diastase und Diachronie“, S. 59
18 Waldenfels, Sinnesschwellen, S. 51
- Arbeit zitieren
- Christoph Faschinger (Autor:in), 2009, Der Einsatz strategischer Managementkonzepte in Krankenhäusern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204181
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