Dass eine Mehrheitsgesellschaft -und Kultur früher oder später aus ihren ungeliebten Randzonen neue Impulse erhält und, mehr noch, ihrer Schützenhilfe bedarf, sobald ihre „eigene“ Literatur und Kunst auf den Hund zu kommen droht, ist kaum verwunderlich. Ein Blick über den Atlantik genügt, dorthin also, wo das „radikal Andere“ über Jahrhunderte aufgrund seiner vermeintlichen Abnormalität mit Gewalt und Unterdrückung dazu gezwungen wurde, den Inhabern der Hegemonie einen Spiegel vorzuhalten, in dem diese ihrer Überlegenheit frönen durften. Somit ist das Andere oder Fremde letztlich immer ein unverzichtbarer Teil des Selbst. Diese „Harmonie“ wird jedoch gestört, sobald sich das Fremde mit „eigenen“ Erzeugnissen zu Wort meldet – oder auch nur das Wort ergreift, indem es plötzlich mit neuen Klängen – dem Jazz, Gospel, Soul, Blues oder Hip Hop – aufwartet, an denen sich irgendwann auch die Mehrheitskultur erfreut. Freilich sind diese Erzeugnisse zu keiner Zeit allein auf das Fremde zurückzuführen, sondern entstehen immer aufgrund von Anleihen verschiedenster Art, nicht zuletzt auch bei der Hegemonialkultur, die es zu verändern gilt.
Die verdammten Fallstricke des Ost-West-Diskurses: Über die Vermeidung und Verstärkung von ansonsten bzw. ohnehin weiter bestehenden Stereotypen
Dass eine Mehrheitsgesellschaft -und Kultur früher oder später aus ihren ungeliebten Randzonen neue Impulse erhält und, mehr noch, ihrer Schützenhilfe bedarf, sobald ihre „eigene“ Literatur und Kunst auf den Hund zu kommen droht, ist kaum verwunderlich. Ein Blick über den Atlantik genügt, dorthin also, wo das „radikal Andere“ über Jahrhunderte aufgrund seiner vermeintlichen Abnormalität mit Gewalt und Unterdrückung dazu gezwungen wurde, den Inhabern der Hegemonie einen Spiegel vorzuhalten, in dem diese ihrer Überlegenheit frönen durften. Somit ist das Andere oder Fremde letztlich immer ein unverzichtbarer Teil des Selbst. Diese „Harmonie“ wird jedoch gestört, sobald sich das Fremde mit „eigenen“ Erzeugnissen zu Wort meldet – oder auch nur das Wort ergreift, indem es plötzlich mit neuen Klängen – dem Jazz, Gospel, Soul, Blues oder Hip Hop – aufwartet, an denen sich irgendwann auch die Mehrheitskultur erfreut. Freilich sind diese Erzeugnisse zu keiner Zeit allein auf das Fremde zurückzuführen, sondern entstehen immer aufgrund von Anleihen verschiedenster Art, nicht zuletzt auch bei der Hegemonialkultur, die es zu verändern gilt.
Dieses Phänomen hat selbstverständlich auch in der Literatur längst Tradition. Der einzige Segen, der vom westeuropäischen Imperialismus des vorletzten Jahrhunderts unbestritten (und gänzlich ohne Absicht seitens seiner Vertreter) ausging, ist die reiche und vielfältige Literatur, die das Prädikat postcolonial trägt und ohne die zumindest die anglophone Literatur um einiges schlechter dastünde. Mehr noch, aus Sicht der postcolonial literature offenbart sich jede Nationalliteratur mit Reinheitsprinzip als kanonisierte Anämie, von einigen Ausnahmen natürlich abgesehen. Hochkaräter von Weltrang wie Chinua Achebe, Ngugi wa Thiong’o, Toni Morrison oder Salman Rushdie hat die deutsche Literatur dennoch leider noch nicht hervorgebracht. Dabei unterscheidet sich das literarische Betätigungsfeld und das Spektrum dieser Autoren nicht wesentlich von denen deutscher Migrantenautoren, sind doch displacement und die verschiedenen Spielarten von Identität (das Selbst, das Fremde, das Hybride etc.) Gegenstand der von ihnen produzierten Literatur.
Nun soll nicht bedauert werden, dass das Deutsche Reich seinerzeit bei der Aufteilung der Welt nicht noch mehr sonnige Plätze erheischen konnte, ebenso
wenig soll unterstellt werden, sie tummle sich derzeit lediglich in bestimmten Feuchtgebieten – unvergessen hierbei Maxim Billers Tutzinger Urteil aus dem Jahr 1999 „Feige das Land, schlapp die Literatur“ oder Feridun Zaimoğlus Vorwurf in eben jener Tagung an eine „Knabenwindelweichprosa“. Konnte Heidi Rösch noch im vorigen Jahrzehnt bei ihrer Sichtung der deutschsprachigen interkulturellen Literatur noch zurecht behaupten, dass die von Franco Biondi 1991 beobachteten „Keime einer neuen Weltliteratur“ noch recht schwach wären, dann liegt der Grund hierfür, dass sie erst in dieser Zeit zu sprießen begannen. Fürwahr, die so genannte Migrationsliteratur entstand nicht unter den günstigsten Bedingungen. Die Gastarbeiterliteratur der 1970er und 80er Jahre operierte in einem ganz eng gezogenen Kreis, viel Raum für künstlerische Innovation war nicht vorhanden, verarbeitete sie doch literarisch, was ein graues, homogenes Nachkriegsdeutschland ihren Vertretern bot: soziale Marginalisierung und den unsicheren Status einer auf Zeit gebilligten Aufenthalts auf deutschem Boden, der durch harte körperliche Arbeit verdient werden musste. Aus heutiger Sicht wären das ziemlich heiße Themen, die man literarisch nach Belieben ausschlachten könnte. Doch ähnlich wie bei der postkolonialen Literatur steht am Anfang das writing back. Statt großer Worte – und Werke – entstanden hier allerdings Mitleid erregende und betroffen machende, realistische Daseinsbeschreibungen des Fremd- und Ungewolltseins. Sie bieten Einblicke in ein Deutschland aus einer anderen Perspektive – nicht von außen, sondern von unten.
Der eigentliche Anspruch an ein umfassendes „Zurückschreiben“ wird jedoch durch die Gastarbeiterliteratur nicht erfüllt. Nun lässt sich dies zum Teil durch die relativ kurze Dauer der Migrationserfahrung erklären. Der Gaststatus spielt hierbei ebenfalls eine Rolle, denn vielen dieser Gäste war selbst nicht klar, dass sie ihr zukünftiges Leben in Deutschland verbringen würden. Vielleicht bedurfte es einer neuen Generation von Schriftstellern, den Kindern jener Gäste, für die das Dasein auf deutschen Boden eine Selbstverständlichkeit darstellte. Inwiefern es sich bei ihren Erfahrungen um Migration handelte, sei dahingestellt, ist ja für sie Deutschland von Beginn an Ausgangspunkt ihrer Beobachtungen – nicht selbstverständlich jedoch Heimat. „Auch du bist
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- Citation du texte
- StR Sener Saltürk (Auteur), 2008, Die verdammten Fallstricke des Ost-West-Diskurses: Über die Vermeidung und Verstärkung von ansonsten bzw. ohnehin weiter bestehenden Stereotypen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204011