Gesättigte Märkte, hoher Konkurrenzdruck und unkonstante Wirtschaftslagen bestimmen immer mehr das Geschehen der heutigen Unternehmen und prägen ihr Handeln. Aufgrund dieser Faktoren ist es für selbige immer schwieriger geworden, auf den Märkten zu bestehen und sich von der Konkurrenz abzuheben. Die angebotenen Produkte sind kaum differenzierbar. Eine Möglichkeit sich Produkt- und Unternehmensvorteile zu schaffen, bilden psychologische Zusatznutzen. Produkte müssen erlebbar gemacht werden. Produkte und Unternehmen werden zusätzlich mit einem Erlebnischarakter ausgestattet. Eine Folge dessen ist die Entstehung und Anwendung von Eventmarketing.
Eventmarketing-Maßnahmen versuchen trotz Informationsüberlastung und Reizüberflutung den Konsumenten oder die Zielgruppe in ihrem Denken und Handeln zu aktivieren und ihnen positive Erlebnisse zu bieten. In der heutigen Erlebnisgesellschaft kommt dem Eventmarketing eine immer größere Bedeutung zu. Wie kann ich meine Produkte am besten in Szene setzen? Wie kann ich meine Zielgruppen an mich binden? Eine gute Möglichkeit bieten dabei Erlebnisse. Mit Hilfe von Events oder erlebnisorientierten Produkten wird die Zielgruppe über emotionales Erleben vom Unternehmen erreicht und an selbiges gebunden.
In dieser Arbeit werden im ersten Teil soziologische Grundlagen zum Erlebnisphänomen dargestellt. Dabei finden verschiedene Sicht- und Erklärungsweisen von Jean-Jaques Rousseau bis Gerhard Schulze Beachtung. Außerdem werden die gesellschaftlichen Phänomene Fest und Feier, sowie deren Wandel zu Events des 21. Jahrhunderts betrachtet. Abschließend wird die von Schulze geprägte Erlebnisgesellschaft beschrieben und Stellung zur Ästhetisierung des Alltages genommen.
Im zweiten Teil wird das Eventmarketing, wie wir es heute vorfinden dargestellt. Dabei finden die Rahmenbedingungen für die Entstehung von Events und die Umwelt von Eventmarketing besondere Beachtung. Weiterhin werden verschiedene Ziele und Event-Arten, wie wir sie heute in der Praxis vorfinden dargestellt. Den abschließenden Aspekt bildet die Zielgruppenanalyse und die daraus resultierende Eventmarketing- Strategie.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Erlebnisphänomen
2.1. Das Erlebnis nach Jean-Jaques Rousseau
2.2. Das Erlebnis nach Wilhelm Dilthey
2.3. Das Erlebnis nach Theodor Litt
2.4. Das Erlebnis nach Mihaly Csikszentmihalyi
2.5. Das Erlebnis nach Gerhard Schulze
3. Fest und Feier
3.1. Wissenschaften zu Fest und Feier
3.2. Otto F. Bollnow zu Fest und Feier
3.3. Das Fest
3.4. Die Feier
3.5. Fest und Feier im Wandel
3.6. Emotionen
3.6.1. Begriffsexplikation
3.6.2. Auslöser von Emotionen
3.6.3. Induktion von Emotionen
4. Der Wandel zur Erlebnisgesellschaft
4.1. Die Erlebnisgesellschaft
4.2. Die Ästhetisierung des Alltags
4.3. Der Erlebnismarkt
5. Eventmarketing
5.1. Die historische Marketing-Entwicklung
5.2. Die definitorische Marketing-Entwicklung
5.3. Die Sichtweisen des Eventmarketings
5.3.1. Eventmarketing i.S. von klassischen Marketing
5.3.2. Eventmarketing i.S. von konstruktiven Marketing
5.3.3. Begriffsbestimmung
5.4. Rahmenbedingungen für die Entstehung von Events
5.4.1. Gesamtwirtschaftliche Aspekte
5.4.2. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
5.4.2.1. Erlebnisorientierung
5.4.2.2. Individualisierung und Multioptionalität
5.4.2.3. Freizeitstreben
5.4.2.4. Risikoneigung
5.5. Die Umwelt von Eventmarketing
5.6. Ziele des Eventmarketings
5.6.1. Kontaktziele
5.6.2. Ökonomische Ziele
5.6.3. Kommunikationsziele
5.7. Das Marketing-Event
5.7.1. Bewusstseinsbildung und Emotionalisierung
5.7.2. Information
5.7.3. Produktkommunikation
5.7.4. Ansprache von Multiplikatoren
5.7.5. Indirekte Ziele und Zielgruppenansprache
5.8. Eventmarketing-Zielgruppen
5.8.1. Zielgruppen der 90er
5.8.2. Szenen- und Lifestyle-Management
5.8.3. Charakterisierung der relevanten Szene und Lifestyle-Gruppe
5.9. Die richtige Eventmarketing-Strategie
5.9.1. Strategietypen
5.9.1.1. Die Erlebnisstrategie - Erlebnisvermittlung zur emotionalen Positionierung
5.9.1.2. Beeinflussungsmöglichkeiten
5.9.2. Integriertes Eventmarketing
6. Praktischer Teil der Arbeit
6.1. Event-Anbieter
6.2. Event-Nachfrager von Techno-Veranstaltungen von Chris Liebing
6.2.1. Jugend
6.2.2. Jugendkulturen und Jugendszenen
6.2.3. Die Entwicklung der Techno-Szene
6.2.4. Die Techno-Akteure
6.2.5. Techno-Events
6.3. Die Veranstaltungen von Chris Liebing
6.4. Das Interview
6.4.1. Qualitative Sozialforschung
6.4.2. Das qualitative Interview
6.4.2.1. Probleme des qualitativen Interviews
6.4.2.2. Wichtige Aspekte des qualitativen Interviews
6.5. Das Interview am „Freitagaaabend“
6.5.1. Zusammenfassung
6.5.2. Kategorisierung
6.5.3. Comparatio
7. Konklusion
8. Ausblick in die Zukunft
II. Anhang
III. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Gesättigte Märkte, hoher Konkurrenzdruck und unkonstante Wirtschaftslagen bestimmen immer mehr das Geschehen der heutigen Unternehmen und prägen ihr Handeln. Aufgrund dieser Faktoren ist es für selbige immer schwieriger geworden, auf den Märkten zu bestehen und sich von der Konkurrenz abzuheben. Die angebotenen Produkte sind kaum differenzierbar. Eine Möglichkeit sich Produkt- und Unternehmensvorteile zu schaffen, bilden psychologische Zusatznutzen. Produkte müssen erlebbar gemacht werden. Produkte und Unternehmen werden zusätzlich mit einem Erlebnischarakter ausgestattet. Eine Folge dessen ist die Entstehung und Anwendung von Eventmarketing.
Eventmarketing-Maßnahmen versuchen trotz Informationsüberlastung und Reizüberflutung den Konsumenten oder die Zielgruppe in ihrem Denken und Handeln zu aktivieren und ihnen positive Erlebnisse zu bieten. In der heutigen Erlebnisgesellschaft kommt dem Eventmarketing eine immer größere Bedeutung zu. Wie kann ich meine Produkte am besten in Szene setzen? Wie kann ich meine Zielgruppen an mich binden? Eine gute Möglichkeit bieten dabei Erlebnisse. Mit Hilfe von Events oder erlebnisorientierten Produkten wird die Zielgruppe über emotionales Erleben vom Unternehmen erreicht und an selbiges gebunden.
In dieser Arbeit werden im ersten Teil soziologische Grundlagen zum Erlebnisphänomen dargestellt. Dabei finden verschiedene Sicht- und Erklärungsweisen von Jean-Jaques Rousseau bis Gerhard Schulze Beachtung. Außerdem werden die gesellschaftlichen Phänomene Fest und Feier, sowie deren Wandel zu Events des 21. Jahrhunderts betrachtet. Abschließend wird die von Schulze geprägte Erlebnisgesellschaft beschrieben und Stellung zur Ästhetisierung des Alltages genommen.
Im zweiten Teil wird das Eventmarketing, wie wir es heute vorfinden dargestellt. Dabei finden die Rahmenbedingungen für die Entstehung von Events und die Umwelt von Eventmarketing besondere Beachtung. Weiterhin werden verschiedene Ziele und Event-Arten, wie wir sie heute in der Praxis vorfinden dargestellt. Den abschließenden Aspekt bildet die Zielgruppenanalyse und die daraus resultierende Eventmarketing-Strategie.
Im praktischen Teil meiner Arbeit wird nach einer kurzen Firmenvorstellung näher auf die Zielgruppe von Techno-Events und die ganze Technobranche im Allgemeinen eingegangen. Es wird geklärt, was man unter qualitative Interviews versteht, welche ich im Rahmen meiner Arbeit durchgeführt habe. Ziel der Interviews war es, zu untersuchen, wie die Event-Teilnehmer die Veranstaltung „Es ist Freitagaaabend“ erlebt haben und aus welcher Motivation heraus sie zu dieser Veranstaltung gehen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Emotionen, welche die Event-Teilnehmer vor, während und nach der Veranstaltung erlebt haben. Weiterhin war es interessant, Informationen zum Stellenwert und der Bedeutung von Techno bzw. Techno-Musik in deren Leben zu bekommen. Abschließend wird die Veranstaltung „Es ist Freitagaaabend“ als Fest charakterisiert und es wird verglichen, ob der Veranstalter seine Ziele und Wünsche erreicht hat und ob diese vom Publikum realisiert und positiv aufgenommen wurden.
Am Ende meiner Arbeit werden die gewonnenen Kenntnisse zusammengefasst und es wird ein Ausblick in die Zukunft gewagt.
2. Das Erlebnisphänomen
Rationalismus und Irrationalismus bilden zwei elementare Bestandteile des menschlichen Lebens. Sie stellen für den Menschen Wege der Erkenntnisgewinnung dar. Unter Rationalität verstehen wir das analytische Durchdringen der Welt und unter Irrationalität verstehen wir die Verankerung des Menschen in der Emotionalität.1
Der rational-analytische Weg ist in den Naturwissenschaften vorherrschend. In künstlerischen Prozessen finden wir eher den Weg der emotionalen Erkenntnisgewinnung vor. Auf dem Gebiet der Betriebswirtschaftslehre war der rationale Weg der Erkenntnisgewinnung lange Jahre vorherrschend. Erst in den letzten Jahren öffnete sie sich immer mehr den verhaltenswissenschaftlichen Aspekten. Irrationale Faktoren bekommen eine immer größere Akzeptanz. Immer mehr wird uns bewusst, dass auch irrationale Faktoren einen erheblichen Einfluss auf betrieblichen Erfolg oder Misserfolg haben.
Der Rationalist kommt über den vernunftorientierten Weg zur Erkenntnisgewinnung, während der Irrationalist den gefühlsorientierten und erlebnisorientierten Weg der Erkenntnisgewinnung wählt. Das Erlebnisphänomen kann schlussfolgernd dem Irrationalismus zugeordnet werden.
In den folgenden Kapiteln werden verschiedene Sichtweisen des Erlebnisphänomens vorgestellt. All diese Erklärungsversuche verdeutlichen, wie unterschiedlich in den verschiedensten Wissenschaften das Erlebnisphänomen diskutiert wurde. Hierbei wird herausgearbeitet, dass das Erlebnisphänomen keinesfalls ein sehr junges Phänomen unserer heutigen Gesellschaft ist. Der Erlebnisbegriff besitzt eine lange Tradition, welche in den folgenden Kapiteln erläutert wird.
2.1. Das Erlebnis nach Jean-Jaques Rousseau
„Die Natur ist gut. Der Mensch und die Gesellschaft sind entfremdet.“2So lautet Jean-Jaques Rousseau`s Kernthese des Erlebnisbegriffes. Sein erziehungstheoretischer Ansatz ist durch die Nichteinmischung in den Entwicklungsvorgang des Menschen gekennzeichnet. Augrund gesellschaftlicher und kultureller Manipulationen sieht er in der Natur bzw. in den natürlichen Erlebnissen einen Ausweg, um die Menschen wieder zu ihrer selbst zu führen.
Sein Erziehungsbegriff orientiert sich an der natürlichen Entwicklung eines Kindes. Kinder entwickeln sich durch Erfahrungen selbst weiter. Situationen erfordern Reaktionen. Aus Reaktionen bilden sich Erfahrungen. Aus Erfahrungen entwickelt das Kind eine natürliche Moral.3Die Eltern sind dabei lediglich für die Minimalerziehung zuständig. Hier wird Jean-Jaques Rousseaus Streben nach einer Nichteinmischung in die Entwicklung des Menschen deutlich.
Sein Erlebnisbegriff steht ebenfalls im engen Zusammenhang mit seinem Naturverständnis: „Die Welt wird nicht durch Sprache und Vernunft erlebt und erfahren, sondern durch die Sinne.“4„Wir werden mit Empfindungen geboren und erforschen die Welt mit unseren Sinnesorganen, mit Händen, Augen, Ohren, Nase und Zunge.“5Das Gefühl und nicht der Verstand bilden das Ursprüngliche im Menschen.6Er erkannte die Entfremdung des Menschen von der Natur. Gesellschaftliche und kulturelle Einflüsse ließen das Gute im Menschen in den Hintergrund drängen. JeanJaques Rousseau ist der Meinung, dass der Mensch durch die natürlichen Erlebnisse in der Natur erzogen wird und zu sich selbst findet. Diese Erlebnisse, die der Mensch mit der Natur erfährt, erziehen ihn zu einem guten Menschen.
Jean Jaques „Rousseaus Erlebnisbegriff verdeutlicht die geisteswissenschaftliche Verankerung oder zumindest die geisteswissenschaftliche Herkunft des Erlebnisbegriffs im Allgemeinen und somit auch der Instrumentalisierung desselben im Erlebnismarketing der Betriebswirtschaftslehre und in den heutigen Erlebnismärkten.“7
2.2. Das Erlebnis nach Wilhelm Dilthey
Wilhelm Dilthey untersuchte die geisteswissenschaftlichen und psychologischen Aspekte der Geschichte eines Menschen. Er war der Ansicht, dass der Mensch nur aus seiner eigenen Geschichte heraus erfährt, wer er sei.8
1930 hat Waltraut Neubert in ihrer Dissertation sieben Kennzeichen des Erlebnisbegriffes nach Wilhelm Dilthey heraus gearbeitet.
1. Die Unmittelbarkeit stellt eine elementare Eigenschaft des Erlebnisses dar.
2. „Das Erlebnis stellt eine gegliederte Einheit dar, die als solche sich im gesamten Erlebnisstrom als bedeutsam von den anderen Erlebnissen abgrenzt.“9
3. Der Erlebnischarakter wird von einem dreifachen Spannungsgefüge umgeben. „Im Erlebnis wird die Totalität des Seelenlebens, das Wirken des ganzen, wollend-fühlend-vorstellenden Menschen vereint.“10 Der Subjekt- und Objektbezug des Erlebnisses bilden das zweite Spannungsgefüge und Allgemeingültigkeit und Individualität bilden das dritte Spannungsgefüge. Allen Menschen wiederfahren Ereignisse, wie Tod und Liebe, aber aufgrund individueller Charakteristika werden all diese Ereignisse unterschiedlich erfahren.
4. Ein weiteres Kennzeichen ist die Historizität des Erlebnisses. „Das Erlebnis ist das Ergebnis einer inneren Folge von Seelenzuständen, welche nach ihrem Zusammenhang auf das Erlebnis hindrängen und in ihm Höhepunkt und Abschluss haben.“11
5. Das Erlebnis beinhaltet die Entwicklungsfähigkeit. Einem Menschen widerfahren oft in wiederholtem Maße die gleichen Erlebnisse, welche jedoch jedes Mal anders oder auch ähnlich verarbeitet werden können.
6. Unter Objektivationsdrang versteht Neubert, dass jedes Erlebnis den gesamten seelischen Zusammenhang des Menschen durchläuft.12
7. Ein letzter Aspekt bildet die Integrationsfähigkeit des Erlebnisses. „Dies bedeutet, dass jeder Mensch eine beglückende Erweiterung des eigenen erlebenden Selbst gewinnt.“13
Eine zentrale These, die aus diesen Kennzeichen ableitbar ist, ist die Nicht-Steuerbarkeit des Erlebnisses. Weder die Umwelt, noch andere Aspekte können das Erleben beeinflussen. Dies bildet einen ersten Ansatz für die Problematik der Steuerbarkeit und Instrumentalisierung auf unseren heutigen Erlebnismärkten.
2.3. Das Erlebnis nach Theodor Litt
Theodor Litt`s Erlebnisbegriff wurde maßgeblich von Wilhelm Dilthey beeinflusst. Er sieht in dem Erlebnis den Anfang eines Weges, welcher dadurch charakterisiert ist, dass man über das Verstehen zur Erkenntnis gelangt. Im Gegensatz zu Jean-Jaques Rousseau und Wilhelm Dilthey beschreibt Theodor Litt das Erlebnis nur als einen kleinen Schritt zur Erkenntnis. Die vier Erkenntnisstufen: Erlebnis, Verstehen, naturwissenschaftliche Erkenntnis und philosophische Erkenntnis verdeutlichen sein Verständnis vom Erlebnis.
Unwiederholbarkeit14, unbegrenzte Wandelbarkeit15und Individualität16wurden von Theodor Litt als Kennzeichen des Erlebnisbegriffes geprägt. Ebenso, wie bei Wilhelm Dilthey bilden diese Charakteristika einen ersten Ansatzpunkt für das Problem der Nichtsteuerbarkeit von Erlebnissen auf den heutigen Erlebnismärkten.
2.4. Das Erlebnis nach Mihaly Csikszentmihalyi
Mihaly Csikszentmihalyi versuchte das Erlebnis im Sinne des Erlebens von Flow zu beschreiben. Kernpunkt seiner Arbeit war es, einen bestimmten Erlebnis-Zustand psychologisch zu analysieren. Dafür untersuchte er Menschen verschiedener Gruppen, wie z.B. Schachspieler oder Chirurgen. Gleich war allen Gruppen, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen in Flow-Erleben gelangten. Sie alle führten ihre Tätigkeiten aufgrund einer innereren Überzeugung aus. „Das holistische Gefühl bei völligem Aufgehen in einer Tätigkeit“17bezeichnet Mihaly Csikszentmihalyi als Flow.
„Die Zentrierung der Aufmerksamkeit auf einen beschränkten Umweltausschnitt ist zentrales Kennzeichen des Flow-Erlebnisses.“18 Während des Erlebens gerät die handelnde Person in Selbstvergessenheit und erlebt das positive Gefühl kraftvoll und leistungsfähig zu sein. Nach Mihaly Csikszentmihalyi tritt nur dann ein Flow-Erlebnis ein, wenn individuelles Können und geforderte Aufgabe im Einklang stehen. Nicht jedes Erlebnis ist deshalb ein Flow-Erlebnis. Das Flow-Erleben ist demzufolge durch aktives Handeln gekennzeichnet. Nur wer seine persönlichen Fähigkeiten in Bezug auf bestimmte Herausforderungen richtig einschätzt, sieht sich auch den Anforderungen gewachsen. Er kann diese adäquat bewältigen und in den Genuss des euphorischen Zustandes des Flows geraten.
Mihaly Csikszentmihalyi verdeutlicht somit, dass bestimmte Erlebnisse und die daraus resultierende positive Energie, erheblich zur Motivation von Menschen beitragen können. Mitarbeiter, Kunden oder Event-Besucher können durch positive Erlebnisse sehr schnell motiviert werden. Dies kann wiederum einen erheblichen Einfluss auf die Zufriedenheit der Besucher auf einem Event und somit auf den betrieblichen Umsatz haben.
2.5. Das Erlebnis nach Gerhard Schulze
Gerhard Schulze hat eines der aktuellsten Werke bezüglich des Erlebnisphänomens verfasst. In „Die Erlebnisgesellschaft“ beschreibt er das Erlebnis als eine Verknüpfung subjektiver Prozesse von Körper und Bewusstsein. Erlebnisse sind seiner Ansicht nach „abhängig von der singulären psychologischen Struktur des Erlebenden und unwillkürlich.“19„Das Ursprungserlebnis wird durch das Aufeinandertreffen mit der subjektiven Situation des Erlebendens zum eigentlichen Erlebnis, zum Individualerlebnis.“20Als Beispiel nennt Schulze das Erlebnis in einem Fußballstadion. „Von fünfzigtausend Menschen im Stadion erlebt keiner den Torschuss in derselben Weise.“21
Individualerlebnisse werden nach dem Erleben durch Reflexion in Reflexionserlebnisse umgewandelt. Sie werden demnach weiter verändert und verarbeitet. Die Entstehung des Erlebnisses erfolgt situativ. Bei der Verarbeitung wird der Aspekt der subjektiven Gestaltung betont.22Nach Gerhard Schulze sind Erlebnisse kein Teil der Menschen, sondern sie „bestehen partiell in Erlebnissen.“23
Den Wunsch, das Erlebnis steuern zu können, nennt er die „Erlebnisrationalität“. Die Selbststeuerung ist nach Gerhard Schulze jedoch nicht möglich, da man seine angestrebten Wünsche und Vorstellungen an das Erlebnis nur schwer genau bestimmen kann. Außerdem verhindern Anfangsunsicherheit und Enttäuschungsrisiko eine erfolgreiche Erlebnissteuerung.24
Das Erlebnis nach Gerhard Schulzes bezieht sich immer auf das Schöne. Die Erlebnisgesellschaft sieht ihren Sinn in der Suche und Aktivierung von positiven und schönen Erlebnissen. Diese Tatsachen bilden nach Gerhard Schulze die Grundlage für eine Nachfrage nach Erlebnissen, wie wir sie heute auf modernen Erlebnismärkten vorfinden. Die Entwicklung dieser Erlebnisgesellschaft wird in Kapitel 4 ausführlicher erläutert.
3. Fest und Feier
Die heutige Erlebnisgesellschaft und vor allem die Werbung spricht von Events. Heutzutage ist die Geburt eines Kindes oder die Hochzeit ein großes Event und Produkte oder Firmen werden mit Hilfe von aufwendigen und spektakulären Events auf dem Markt positioniert. Hinter dem Phänomen Event verbirgt sich das, was die Menschen bereits seit vielen Tausenden von Jahren praktiziert haben. Zu feiern.
Eine große Bandbreite von Festlichkeiten und Feiern wurden uns durch geschichtliche Überlieferungen übermittelt. So kennen wir alle die römischen Gladiatorenkämpfe oder die Massenveranstaltungen aus dem Dritten Reich. Außerdem können wir alle von persönlichen Erlebnissen bei privaten Festen und Feiern berichten. Daraus lässt sich schließen, dass Feste und Feiern nahezu alle Bereiche des menschlichen Lebens umfassen und somit als universale Erscheinungen bezeichnet werden können.25Aufgrund dieser Universalität haben sich die verschiedensten Wissenschaften mit dem Fest und der Feier beschäftigt. Winfried Gebhardt hat 1987 vier unterschiedliche Gruppen von wissenschaftlichen Arbeiten beschrieben, welche sich mit dem Fest und der Feier beschäftigt und deren Bedeutung und Funktion erarbeitet haben.
3.1. Wissenschaften zu Fest und Feier
Zum einen gibt es wissenschaftliche Arbeiten, welche das Fest und die Feier als einen Exzess und als Flucht aus der Wirklichkeit verstehen.26 Ein Fest wird hier als Befreiung vom Alltag und als sozialer Ort der individuellen und kollektiven Regeneration verstanden.27Wichtige Vertreter dieses Verständnisses sind z.B. Sigmund Freud, Emile Durkheim und Roger Caillois.
Sigmund Freud beschreibt das Fest als ein „gestatteter, vielmehr gebotener Exzess, ein feierlicher Durchbruch eines Verbotes. Nicht weil Menschen infolge einer Vorschrift froh gestimmt sind, begehen sie Ausschreitungen, sondern der Exzess liegt im Wesen des Festes; die festliche Stimmung wird durch die Freigebung des sonst Verbotenen erzeugt.“28
Emile Durkheim versteht das Fest ebenso als Exzess und schreibt diesem außerdem eine soziale Funktion zu.29Wenn sich Menschen zusammenfinden, um gemeinsam jemanden zu gedenken, dann wird deren Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt. Erstens lässt sich daraus ableiten, dass die Gesellschaft als Gemeinschaft in den Vordergrund tritt und somit gestärkt aus dem Fest herausgeht. Andererseits wird die Persönlichkeit jedes einzelnen Individuums gestärkt, da es in der Gesellschaft die Kraft schöpft, die es zum Leben benötigt.30
Die Theologen Gerhard Martin und Harvey Cox verstehen das Fest ähnlich. Ein entscheidender Unterschied jedoch ist, dass sie im Fest die Aufhebung und Umkehrung sozialer Ungerechtigkeiten sehen.31Das Fest wird als phantasievolles und ausgelassenes Ereignis verstanden, welches die Umkehrung der bestehendenden Verhältnisse fordert und symbolisch für die Befreiung vom Alltag steht. Diese Charakteristika sind Bestandteil der zweiten Gruppe von Festtheorien.
Für die nächste Gruppe von theoretischen Schriften verkörpert das Fest Ruhe und Kontemplation.32Karl Kerenyi, Joseph Pieper und Dietrich Rössler gehören zu den Verfassern dieser Theorien. Nach Karl Kerenyi steht die Unruhe für den Alltag und die Ruhe für das Fest und das Feiern. Die Ruhe des Festes bietet einen angenehmen Gegensatz und Ausgleich zum unruhigen Alltagsstress. Aufgrund dieser Ruhe wird der wichtige und arbeitsreiche Alltag relativiert. Jedoch realisieren die Menschen durch diese Feste auch, wie wichtig und sinnvoll ihr Alltag ist.
Die letzte Gruppe der wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt sich kritisch mit dem Fest aus politischer und ökonomischer Sicht. Feste werden ihrer Meinung nach als Herrschaftsinstrument missbraucht.33Daraus leiten diese ab, dass Feste als Institution eliminiert oder auf ihren geschichtlichen Hintergrund reduziert werden müssen. Feste sollen Ort freier Selbstbestimmung und Bedürfnisverwirklichung sein.34Eine Trennung von Fest und Alltag ist für diese Gruppe nicht mehr nachvollziehbar. Die Rede ist hierbei von einem festlichen Alltag.35
3.2. Otto F. Bollnow zu Fest und Feier
Die im vorherigen Kapitel aufgeführten Autoren haben sich für ihre Theorien genau die Feste als Beispiel herausgesucht, die ihre Theorie bestätigen. So beziehen sich z.B. die Autoren, die das Fest als Kritik verstehen auf die mittelalterlichen Narrenfeste und die Autoren, die das Fest als etwas Sinnliches und Ruhiges verstehen, beziehen sich auf religiöse Feste, wie z.B. Gottesdienste.
Aufgrund dieser unterschiedlichen Festarten und die dazugehörigen Festtheorien hat Otto F. Bollnow 1979 versucht, den Begriff des Festes und dessen Komponenten zu beschreiben. In „Anthropologie des Festes“ hat er die Unterscheidung in Fest und Feier vorgenommen.36Ausgangspunkt seiner Arbeit war, dass beide Begriffe zwar eng miteinander verwandt seien, aber nicht dasselbe meinen.
Otto F. Bollnow hat drei Unterscheidungsmerkmale von Fest und Feier herausgearbeitet. Das erste Merkmal bildet die äußere Erscheinungsform. Für ihn ist die Feier eine Veranstaltung im kleineren privaten Kreis. Elemente, wie z.B. stilisierte Bewegungen, angemessene musikalische Umrahmung oder dunkle, satte Farben unterstreichen die Ernsthaftigkeit und das Bedeutungsvolle an einer Feier.37 Im Gegensatz zur Feier versteht Otto F. Bollnow das Fest als eine lockere und offene Veranstaltung. Das Fest ist gekennzeichnet durch lockeren Tanz und Musik, helle Farben und einer gelassenen Stimmung. Es ist freier und gelöster als die Feier.38
Ein zweites Unterscheidungsmerkmal zwischen Fest und Feier sieht er im Inhalt und der Realisierung.39Für ihn bezieht sich eine Feier immer auf ein bestimmtes Ereignis, wie z B. ein gewonnener Krieg. Das Fest hingegen kann ohne einen bestimmten Grund gefeiert werden und wird aus purer Lebensfreude zelebriert.
Ursprung und Zweck bilden das dritte Unterscheidungsmerkmal. Für Otto F. Bollnow können Feste weder geplant noch bewusst gefeiert werden. Man stößt einfach auf ein Fest und kann sich ihm anschließen oder wiedersetzen. Eine Feier dagegen ist eine geplante Veranstaltung und wird bewusst von Menschen inszeniert.
Aufgrund dieser Unterscheidungsmerkmale erscheint eine ausführlichere Differenzierung zwischen Fest und Feier als sinnvoll. Deshalb hat Winfried Gebhardt 1987 eine Weiterführung und Vertiefung der Unterscheidung vorgenommen. Er hat zentrale Charakteristika von Fest und Feier erarbeitet, welche in den folgenden zwei Kapiteln vorgestellt werden.
3.3. Das Fest
Fest und Feier sind Ausdrucksformen menschlicher Verhaltensweisen.40Sie stellen als Gegensatz zum Alltag einen zweiten eigenen Wirklichkeitsbereich dar. Man darf das Fest und die Feier jedoch nicht als extravagante Ergänzung des tristlosen Alltags ansehen, sondern man muss sich vielmehr mit den Synergien von Fest und Feier und dem Alltag auseinandersetzen. Das Fest und die Feier stellen etwas Außergewöhnliches dar, können aber nur in Beziehung zum Alltag richtig gedeutet werden. Winfried Gebhardt beschreibt die spezifische Beziehung des Festes zum Alltag als ein wichtiges Charakteristikum. Feste sollen individuell und kollektiv bei der Bewältigung des Alltages helfen, indem sie es aufheben und Feiern helfen bei der Bewältigung, indem sie den Alltag bewusst machen.41
Nach Winfried Gebhardt bilden Fest und Feier zwei elementare Bestandteile der menschlichen Lebensführung und sorgen für den Bestand sozialer Ordnungen. Beim Fest treffen die Individuen einer Gemeinschaft aufeinander, genießen die Gemeinschaft und heben die Wirklichkeit auf. Der festliche Ort ist ebenso ein sozialer Ort, an dem spontanes und emotionales Verhalten zwischen den Individuen erwünscht wird.42
Das Fest ist im Gegensatz zur Feier unregelmäßig und unplanbar. Dessen Verlauf, Inhalt und Dauer ist nicht planbar oder vorhersehbar. Dies hat zur Folge, dass man vor Beginn des Festes nicht weiß, ob es ein Erfolg oder Misserfolg wird. Weiterhin ist für alle am Fest Beteiligten von vornherein klar, dass sie sich nach Ende des Festes wieder dem gewohnten Alltag zuwenden werden.
„Die idealtypischste Handlungsform des Festes ist die Ekstase, ein Handeln, das ein Außersichsein, ein Entrücken von der alltäglichen Welt meint.“43Als Ekstase beschreibt Winfried Gebhardt einen Zustand, bei dem alle menschlichen Sinne vermehrt beansprucht werden. Menschen in Ekstase nehmen Laute und Bilder anders wahr. Sie fühlen sich mächtig und überlegen. Die Ekstase variiert in Art, Dauer und Intensität. Sie entsteht spontan und ist nur schwer beeinflussbar. Beeinflussungsmöglichkeiten, die es leichter machen, Menschen in Ekstase zu versetzen sind z.B. das Mahl, das Trinken, sowie Musik und Tanz. Festliche Mahle, bei denen man bis zur Ohnmacht schlemmen kann oder Trinkgelage mit Alkohol und anderen Drogen bieten eine gute Möglichkeit in ekstatische Zustände zu gelangen. Das Tanzen, als individuelle Körpersprache und rhythmische Musik zählen ebenso dazu, wie die räumliche Gestaltung mit viel Licht und glänzenden bunten Farben. Ein weiteres Charakteristikum des ekstatischen Festes ist das Lachen und die ausgelassene Fröhlichkeit. All diese Kennzeichen des Festes erleichtern dem teilnehmendem Individuum den Alltag zu vergessen und sich frei und gelöst beim Fest zu bewegen.
Ein weiteres wichtiges Kennzeichen des Festes ist es, dass es für die Dauer des Festes erlaubt ist, gegen alltägliche Ordnungen und Vorschriften zu verstoßen und starre Herrschaftsverhältnisse aufgehoben werden.44Gespräche fallen während eines Festes lockerer und unverfangener aus, als im normalen Alltag. Sie finden auf einer anderen Ebene statt. Das Gespräch z.B. zwischen Chef und Angestellten besitzt einen ganz anderen Charakter und nimmt einen ganz anderen Verlauf.
Die Bedeutung und Funktion des Festes sieht Winfried Gebhardt darin, dass das Fest vom Alltag entlasten soll.45 Dadurch, dass dem Menschen immer mehr Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, muss er immer mehr Fakten verarbeiten und Handlungsoptionen berücksichtigen. Er steht vermehrt vor der schwierigen Entscheidung, das Richtige zu tun. Unsicherheit und Entscheidungsdruck erschweren dabei das Handeln. Das Fest bietet dabei die perfekte Möglichkeit, vor diesen schweren Lasten des Alltags zu fliehen. Allein das Zusammensein bzw. das Zusammensitzen wirkt entlastend.46Der alltägliche Druck, die richtigen Entscheidungen zu fällen und richtig Handeln zu müssen, löst sich in der Gesellschaft auf.
Das Fest besitzt neben dem Entfliehen und Vergessen eine weitere interessante Bedeutung. Dem einzelnem Individuum fällt es leichter, unabhängig von seiner gesellschaftlichen Position seine eigene Persönlichkeit darzustellen. Durch das Erleben der Gemeinschaft und der ausgelassenen Stimmung wird die eigene Persönlichkeit gestärkt. Man wird in seinem Wert und seiner Einzigartigkeit bestätigt, was jedem Einzelnem ein gewisses Allmachtsgefühl beschert.47 Das Fest veranschaulicht dem Menschen, dass er nicht nur ein soziales Wesen ist, sondern eine Persönlichkeit, welche in der Gesellschaft eine wichtige Rolle trägt.
Nicht nur das Individuum an sich, sondern die Gemeinschaft als Ganzes wird durch das Fest gestärkt. Meistens verschwinden für die Dauer des Festes Streitigkeiten und Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten treffen aufeinander und feiern gemeinsam. Kontakte werden geknüpft und Beziehungen vertieft. Das Zusammengehörigkeitsgefühl und die ekstatischen Erfahrungen stärken die am Fest teilnehmenden Individuen als Gruppe.
3.4. Die Feier
Die Feier ist, wie das Fest ein außeralltägliches Ereignis. Es bildet, wie auch das Fest einen interessanten Kontrast zum alltäglichem Leben. Hinter jeder Feier verbirgt sich stets eine Idee, ein Sinn oder ein Weltbild. Gefeiert oder erinnert wird meist an ein bestimmtes, oft auch geschichtliches Ereignis. Die Feier ist demzufolge durch Ruhe, Besinnung und Nachdenklichkeit gekennzeichnet.48
Tradition und Werte bilden elementare Bestandteile der Feier. Gedächtnisfeiern z.B. stehen für Feiern, bei denen an Traditionen und Werte erinnert und diese für die Zukunft gefestigt werden. Termin und Ablauf der Feier resultieren meist aus der Geschichte oder Tradition eines Volkes. Deshalb finden wir oftmals ein exaktes Datum und eine detaillierte Vorgehensweise vor.
Das gesprochene Wort ist der wichtigste Bestandteil einer Feier. Mit Hilfe von Gebeten oder Vorträgen werden Inhalte vermittelt, für die es im Alltag keinen Anlass und Zeit gibt. Diese Inhalte und Grundsatzfragen werden mit Hilfe einer ausdrucksstarken und gehobenen Sprechart und einer feierlichen Stimme vermittelt.
Das Symbol ist ein bedeutsames Element der Feier. Symbole, wie Zeichen und Bilder sind elementarer Bestandteil einer jeden Feier. Die getragene Kleidung der teilnehmenden Individuen zählt zu den Symbolen, sowie Ort und Zeit der Feier. Der symbolische Ort oder die symbolische Zeit haben meist einen geschichtlichen Hintergrund. Das Ende eines Krieges und der dazugehörige Friedensabschluss stehen meist in enger Beziehung zu einem bestimmten Ort und einem bestimmten Datum. Ebenso steht der inhaltliche Ablauf einer Feier oftmals in engem Zusammenhang mit dem geschichtlichen Ereignis, welches gefeiert wird. All diese Symbole repräsentieren den Sinn und den Zusammenhalt eines Volkes oder einer Institution nach außen.49
Ein elementares Charakteristikum der Feier ist die Musik. Feierliche Musik ist im Gegensatz zur festlichen Musik durch Schwere und Ernsthaftigkeit gekennzeichnet. Demzufolge werden die Bewegungen zur Musik bewusst und elegant vollzogen. Mit Musik und Tanz wird einmal mehr verdeutlicht, dass die Feier eine ernste und bedeutsame Veranstaltung ist. „In der Feier wird die Bedeutungsschwere des Alltags offenbar.“50
Bei der Feier wird weder die soziale Ordnung, noch die gegebene Rangordnung aufgehoben. Durch die Symbole werden die sozialen Unterschiede nochmals betont. Eine Aufhebung der Anonymität jedes Einzelnen, wie beim Fest, ist hier nicht mehr gewährleistet. Jedes Individuum präsentiert sich bei der Feier nach innen und nach außen mit Stolz und Würde. Im Vergleich zum Fest werden alltägliche Regeln von ihnen schärfer beachtet und eingehalten.
Die Bedeutung der Feier liegt darin, dass sie dem Alltag der Menschen einen Sinn gibt und ihn als etwas Wichtiges und Wertvolles ansieht.51In der modernen Philosophischen Anthropologie wird beschrieben, dass Menschen immer einen Sinn in ihrem Leben sehen müssen. Dafür benötigen sie oft die Vorstellung von etwas Außergewöhnlichem, an dem sie sich und ihr Leben orientieren können. Die Feier bildet einen idealen Ort, um die persönlichen Ziele und Vorstellungen über das eigene Leben zu reflektieren und eine Bestätigung für die persönliche Lebensführung zu erhalten. Aufgrund der Ruhe und Nachdenklichkeit kann sich jeder im Kreise der Gemeinschaft Gedanken zu seinem Leben machen. Die Feier bestätigt das einzelne Individuum und die Gesellschaft als Ganzes in der Richtigkeit ihres Handelns.
Die Aufrechterhaltung sozialer Gruppen und Institutionen ist eine weitere Funktion der Feier. Bei einer Feier sitzt man bewusst zusammen und realisiert die Aufgabe und Zweck seiner Gemeinschaft. Dadurch wird jeder Einzelne und die Gemeinschaft lebendiger und stärker. Das Individuum fühlt sich zur Gruppe dazugehörig und wird Bestandteil dieser. Das Individuum und die Gemeinschaft gehen gestärkt aus der Feier heraus.
Winfried Gebhardt hat versucht, die zwei elementaren Bestandteile der menschlichen Lebensführung Fest und Feier zu differenzieren. Hinzuzufügen wäre, das Fest und Feier fast nie in reiner Form in der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Erscheinung treten. „Historische Feste sind immer Mischformen, komponiert aus festlichen und feierlichen Elementen, die in mannigfaltigster Weise kombiniert und variiert werden können.“52Eine Unterscheidung in Fest und Feier ist jedoch sinnvoll, da sie beide zwei unterschiedliche Möglichkeiten der Alltagsbewältigung bieten. Sie ermöglichen uns, aufgrund ihrer Beziehung zum Alltag, ihren Sinn zu erfassen und so politische oder soziale Situationen zu deuten. Weiterhin werden zwei menschliche Handlungsoptionen sichtbar. Die des alltäglichen und die des außeralltäglichen Handelns. Das alltägliche Handeln dient zur materiellen Daseinsbewältigung und das außeralltägliche Handeln dient zur geistigen Lebensbewältigung.53
3.5. Fest und Feier im Wandel
In der heutigen Zeit werden Feste und Feiern aus kommerziellen Gründen veranstaltet. Das Volksfest ist das erste Fest, welches aus diesen Interessen veranstaltet wurde. Die voranschreitende Industrialisierung und der Weg zu einer Massengesellschaft, ermöglichte diesen Schritt zum Massenvergnügen.54Das Volksfest ist die reinste Form des Massenvergnügens. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird mit Hilfe von optischen und akustischen Mitteln versucht, den Menschen Vergnügungen zu bereiten, um somit dem Alltag zu entfliehen. Auf diesen Volksfesten wurde eine große Fülle von Attraktionen präsentiert. Ausgefallenes und Exotisches frischte den monotonen Alltag auf.55 Die Vielfalt und die Dichte der Präsentation dieser Attraktionen ist ein typisches Charakteristikum der modernen Feste. Ein anderes Merkmal ist der kommerzielle Hintergedanke und die Entwicklung einer Vergnügungsindustrie. Sinn des Volksfestes war es, eine breite Masse an Menschen zu unterhalten. Traditionen oder historische Bräuche wurden außer Acht gelassen. Die Besucher wurden anstatt mit Werten, mit akustischen und optischen Reizen stimuliert. Da die Sinne durch diese Reize sehr schnell abgestumpft wurden, sah man sich gezwungen immer größere und schönere Sensationen zu präsentieren. Hier finden wir eine große Gemeinsamkeit zu den heutigen Festen vor. Alles muss immer schöner, größer und bunter sein.
Einerseits stieg aufgrund der Befreiung von traditionellem Handeln die Freiheit des Individuums. Man hatte mehr Freizeit, jedoch wurde „der Freiraum des Einzelnen, seine Spontaneität und Erlebnisinitiative immer mehr zu Gunsten einer alles beherrschenden Organisation eingeengt.“56Die Freiheit und Spontanität der Besucher bei einer Massenveranstaltung sinkt seitdem immer mehr.
Eine erste Antwort auf diese Massenfeste bildeten die zahlreichen Rockkonzerte, Festivals, Sportfeste und Kulturwochen, wie wir sie heutzutage vorfinden.57 Diese sollten mehr Freiheit und Spontaneität der Besucher ermöglichen, was sich nur kurzzeitig realisieren ließ. Woodstock z.B. war eine Veranstaltung gegen die ganze Industrie. Jedoch finden heute zahlreiche professionell veranstaltete Rockkonzerte statt, die diesen rebellischen Charakter längst verloren haben.
Ein wichtiges Charakteristikum des Festlichen ist die grenzenlose Ausweitung des Vergnüglich-Ausgelassenen.58Aufgrund der voranschreitenden Trennung zwischen Arbeit und dem privaten Leben besitzen die Menschen der modernen Gesellschaften immer mehr Freizeit. Da sich Traditionen immer mehr in den Hintergrund drängen lassen, steht diese freie Zeit den Menschen zur eigenen Gestaltung zur Verfügung. Volksfeste und öffentliche Veranstaltung werden auf Dauer uninteressant und reichen nicht mehr aus, um die Freizeit der Menschen adäquat auszufüllen. Es entsteht das private Vergnügen, welches nach individuellen Wünschen und Vorlieben gestaltet wird. Das private Vergnügen, wie z.B. Kino, Sport oder Hobby lässt den Menschen aus seiner Arbeitswelt entfliehen und diese für kurze Zeit vergessen. Außerdem tragen der vermehrte Gebrauch von Drogen und die immer größer werdende Bedeutung der Sexualität zu einem Anstieg und einer immer größeren Bedeutung des individuellen Spaßes bei.59
All diese individuellen Vergnügungen und Amüsements unserer heutigen Zeit besitzen ein wichtiges Kennzeichen. Sie alle sind ein „unpersönliches, beliebig wählbares, vollkommen ungebundenes und zu nichts verpflichtendes Handeln, das zudem nicht dem eigenem Entschluss, sondern nur allzu oft dem Zwang der Mode und der öffentlichen Meinung entspringt.“60
Winfried Gebhardt. schlussfolgert, dass das Fest seine eigentliche Bedeutung verliert und nur noch ein Bestandteil der Freizeit, wie wir sie heute kennen, sein wird. Die Freizeit steht, wie vor einigen Tausenden Jahren das Fest, für die Flucht aus dem alltäglichem Leben. Die Gefahr besteht jedoch, dass das Ausgelassene und das Vergnügen, was wir in unserer Freizeit zelebrieren, aufgrund der immer größer werdenden Frequenz zum Alltäglichen wird. Natürlich wird versucht, diese Gefahr mit einer immer größeren Stimulation der Reize zu relativieren, jedoch ist dies kaum realisierbar. Reize stumpfen schnell ab und müssen ersetzt werden. Man befindet sich auf der stetigen Suche nach neuen Reizen.
Die Freizeit bietet keinen alles umfassenden Ausstieg aus dem alltäglichen Leben, wie das Fest. Sie ermöglicht den Individuen lediglich das Entfliehen aus der Arbeitswelt. Arbeit und Freizeit werden in der heutigen Gesellschaft strikt getrennt, obwohl sie beide elementare Bestandteile des menschlichen Alltags bilden. Die Freizeit wird dabei ebenso zum Alltäglichem und schreit danach außeralltäglich zu werden. Die passenden Möglichkeiten, um dem Alltäglichem zu entfliehen, bieten die Freizeitindustrie und die Medien. Der Mensch verliert an Handlungsspielraum und Eigeninitiative, indem er aus dem riesigen Angebot lediglich auswählen muss.
Ein weiterer Kritikpunkt ist der Verlust des Gemeinschaftsgefühls. Bei einem Fest wird die Gemeinschaft und deren Zusammengehörigkeitsgefühl gesteigert. Die heutigen Freizeitangebote schaffen dies nicht mehr. Starke Gemeinschaften, die eine Intention und einen Sinn haben, können heute kaum noch realisiert werden. So kommt auch Winfried Gebhardt zu dem Ergebnis: „Die Freizeit und das öffentliche Volksfest helfen nicht mehr, die alltägliche Wirklichkeit zu bewältigen, sie helfen nur noch, sie zu ertragen.“61
3.6. Emotionen
Bevor ich näher auf diesen Wandel zur heutigen Freizeit- und Erlebnisgesellschaft eingehen werde, möchte ich auf ein wichtiges Charakteristikum von Festen und Freizeitveranstaltungen eingehen. Winfried Gebhardt beschreibt Emotionen als wichtiges Kennzeichen des Festes. Ekstase, sich Fallenlassen und Lebensfreude sind einige Beispiele dafür, welche elementare Rolle Emotionen in unserem Alltag und besonders in unserer Freizeit spielen. Ein wichtiges Charakteristikum der heutigen Events ist die Emotionalisierung. Events sollen mit Hilfe von emotional geladenen Inhalten aktivieren und motivieren. Emotionen wirken länger und besser als sachliche Informationen. Was man unter Emotionen versteht und wie Emotionen ausgelöst werden können, wird in den folgenden drei Kapiteln geklärt.
3.6.1. Begriffsexplikation
Verschiedene Theoretiker haben sich seit Jahrhunderten mit dem Emotionsbegriff auseinandergesetzt. Daraus entstanden einerseits die Verhaltenstheorien, welche Emotionen mit dem beobachtbaren Verhalten gleichsetzen, z. B. die klassischbehavioristische Theorie von John Watson.62
Einen anderen Ansatzpunkt bilden die mentalistischen Theorien, welche die Emotionen mit den mentalen und psychischen Zuständen vergleichen. Klassischer Vertreter hiervon ist Stanley Schachter.63Nach seiner Theorie gibt es vier Erlebnisaspekte, welche für Emotionen eine große Rolle spielen. Dies sind: bestimmte Situationseinschätzungen, das Erleben bestimmter Handlungssteuerungen, das Empfinden körperlicher Erregungssymptome und das Empfinden von Lust und Unlust bzw. von Angenehmheit und Unangenehmheit.
Letztendlich gibt es noch die Syndromtheorien, welche Emotionen als Syndrome von mentalen Zuständen, Verhaltensweisen und psychologischen Reaktionen definieren. Zusammenfassend kann man jedoch folgende vier Merkmale von Emotionen hervorheben:
- Emotionen unterscheiden sich nach Qualität und Intensität. In der Praxis werden heute 50 - 100 Qualitätstypen von Emotionen, wie z. B. Ärger oder Angst unterschieden. Intensität bedeutet, dass Emotionen schwach oder stark und in gewissen Abstufungen auftreten können.
- Emotionen sind aktuelle Zustände eines Subjektes.
- Emotionen sind objektgerichtet. Das Objekt muss nicht zwangsläufig real sein, sondern kann auch ein Ereignis in der Zukunft sein.
- Subjekte, die einen emotionalen Zustand durchleben, weisen alle ein charakteristisches Erleben, physiologische Veränderungen und Verhaltensweisen auf.
„Emotion ist demzufolge ein komplexes Muster von Veränderungen, dass physiologische Erregung, Gefühle, kognitive Prozesse und Verhaltensweisen einschließt, die in Reaktion auf eine Situation auftreten, welche ein Individuum als persönlich bedeutsam wahrgenommen hat.“64
Eine Funktion von Emotionen ist die Erregung von Prozessen des autonomen Nervensystems. Diese Prozesse sind für das Überleben der Menschen wichtig. Emotionen ermöglichen eine große Flexibilität im Verhalten der Menschen bzw. ein adäquates Verhaltensmuster auf bestimmte Situationen. Emotionen ermöglichen die Kommunikation zwischen den Menschen unserer Gesellschaft und fördern soziale Bindungen. Sie verstärken die menschlichen Verhaltensweisen.65
3.6.2. Auslöser von Emotionen
Ursachen von Emotionen können Ereignisse im alltäglichen Leben, größere Ereignisse, sowie Lebens- und Umweltbedingungen sein. Emotionen, welche uns im alltäglichen Leben wiederfahren, können zu den Dimensionen Angst, Traurigkeit, Ärger und Freude zusammengefasst werden. Sie können meist nur im Kontakt mit anderen Subjekten auftreten. Sie werden vorwiegend in positive und negative Ereignisse aufgeteilt.
Qualität und Quantität, sowie Intensität schwanken sehr stark bei diesen Emotionen. Positive Gefühle können meist durch freundschaftliche Gesellschaft oder durch sportliche und spielerische Betätigungen hervorgerufen werden. Negative Gefühle eher durch Streit oder Beziehungsprobleme, sowie schlechter Gesundheit. Frohe Menschen werden schneller sozial aktiv und suchen den Kontakt zu Gleichgesinnten. Sie führen ihre Befindungsänderung selbst herbei. Dies bedeutet, dass man Handlungen selbst initiiert, um die emotionale Lage zu verändern. Das gelingt z. B. durch das Ausüben von Sport, dem Genuss von Musik oder sexuellen Handlungen. Diese Handlungen steigern das Wohlbefinden. Außerdem ist es dadurch möglich, in den von Mihaly Csikszentmihalyi beschriebenen Flow66zu geraten.
Große Ereignisse sind, wie die alltäglichen Ereignisse kaum vorhersehbar. Hier ist jedoch ein aktives Aufsuchen, wie bei den alltäglichen Erlebnissen kaum möglich. Der Tod eines Verwandten oder Kriege sind kaum berechenbar. Durch z.B. Kriege sind viele Menschen gleichzeitig betroffen, aber es kommt zu individuell unterschiedlichen Emotionen. Die Intensität von Angst oder Trauer hängt jeweils vom Betroffenen selbst ab. Große positive Ereignisse bleiben in den Gedächtnissen der Menschen länger vorhanden, als vergleichbar negative Ereignisse.
Menschliche Gefühlslagen sind von den Lebens- und Umweltbedingungen abhängig. Für Frauen und Männer bilden heutzutage Partnerschaft, Selbstachtung und die eigene finanzielle Lage die elementaren Bausteine, um glücklich zu sein und, um sich wohl zu fühlen. Wetterbedingungen scheinen ebenfalls einen Einfluss auf das emotionale Befinden der Menschen zu haben. Sonnenlicht z. B. führt zu einer positiven Stimmung.
3.6.3. Induktion von Emotionen
Emotionen beim Menschen zu induzieren ist nicht einfach. Besonders eine bestimmte, gewünschte Emotion hervorzurufen bzw. Emotionen zu lenken, ist aufgrund der Komplexität und Individualität der Menschen schwierig. Die Induktion von Emotionen kann dabei durch Bilder, Filme, Texte, Musik, Imagination von Situationen oder Hypnose hervorgerufen werden.67
Veranstalter von Events können sich dieser Instrumente bedienen, um positive Emotionen bei Ihren Gästen hervorzurufen. Eine Veranstaltung, wo schöne Bilder gezeigt, gute Musik gehört und interessante Texte bzw. Informationen weitergegeben werden, scheint ein Fest der positiven Emotionen für den Rezipienten zu sein.
4. Der Wandel zur Erlebnisgesellschaft
Um die heutige Erlebnisgesellschaft verstehen zu können, muss deren Entstehung und Entwicklung betrachtet werden. Seit dem Zweitem Weltkrieg befindet sich unsere Gesellschaft in einem rasantem Wandel. Gerhard Schulze hat drei Szenarien beschrieben, welche für die Gesellschaft der letzten 50 Jahre charakteristisch waren. Diese Bilder sind die Restauration der Industriegesellschaft, der Kulturkonflikt und die Erlebnisgesellschaft.68
Die Gesellschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist gekennzeichnet durch industrielle und soziokulturelle Strukturen.69Die Menschen sehen den Sinn ihres Lebens im Überleben. Mittelpunkt dieses Lebens ist die Arbeit, denn nur sie sichert die eigene Existenz. Es entstand eine Arbeitergesellschaft, dessen Individuen sich schnell über Geld, Ansehen und Macht definierten. Erlebnisse wurden von dieser Gesellschaft fast ausschließlich in der Freizeit bzw. nach dem Feierabend nachgefragt. Eine Befriedigung der Nachfrager war bereits mit primitiven Erlebnissen erreichbar. Kaugummi, Kaffee oder einfache Tanzveranstaltungen waren Produkte, mit denen man den Menschen eine Freude bereiten konnte. Für die Menschen war es einfach, aus all diesen Angeboten auszuwählen, weil sie überschaubar waren.
Die Gesellschaft in den 60er Jahren erfährt einen Anstieg von Erlebnisangeboten. Dieser ist auf eine erhöhte Nachfrage nach Vergnügungen und Erlebnissen zurückzuführen. Grund hierfür ist der Anstieg an individueller Freizeit und monetären Möglichkeiten. Diese Mittel ermöglichten es den Menschen ihren Alltag zu verschönern. Reisen, Musik und Sexualität gehören zu den Bereichen des Alltagslebens, welche nach Belieben ästhetisiert wurden.70Die Erlebnisindustrie kann die Nachfrager zu diesem Zeitpunkt noch faszinieren und ihre Bedürfnisse befriedigen, indem sie die bestehenden Produkte ästhetisieren oder neue Produkte entwickeln.
Diese Entwicklung wurde jedoch sehr schnell von der Kulturindustrie kritisiert, welche sich als Gegenpol zur Erlebnisindustrie versteht. Das Verhalten der Konsum- und Freizeitgesellschaft ist zentraler Bestandteil des Kulturkonfliktes. Kulturelle Einrichtungen bzw. „Orte der Begegnung“71spiegeln hier den Versuch wieder, den passiven und abgestumpften Erlebnismenschen in die Gemeinschaft zu integrieren. Trotz immenser Kritik und einigen Versuchen diesen Massenkonsum und Kommerz zu beeinflussen oder aufzuhalten, finden wir heute eine Erlebnisgesellschaft vor.72
4.1. Die Erlebnisgesellschaft
Die Erlebnisgesellschaft ist nach Gerhard Schulze eine Gesellschaft, die im historischen und kulturellen Vergleich relativ stark durch innenorientierte Lebensauffassungen geprägt ist.73 Damit meint er, dass ein jeder sich selbst in der heutigen Gesellschaft als Mittelpunkt des Denkens und Handelns sieht. Die Gestaltungsidee eines schönen, interessanten, subjektiv als lohnend empfundenen Lebens gehört zu den Lebensauffassungen unserer heutigen Gesellschaft.74 Diese innenorientierte Lebensauffassung hat langsam aber zielstrebig die außenorientierte Lebensauffassung abgelöst. Das innenorientierte Handeln ist in all unsere Lebensbereiche, wie Familie, Partnerschaft oder Beruf vorgedrungen.
Unter Innenorientierung versteht Gerhard Schulze den Versuch eines Subjektes Prozesse auszulösen, welche sich in ihm selbst vollziehen. Dabei setzt er Innenorientierung mit „Erlebnisorientierung“ gleich. Ziel ist nicht nur das schöne Leben, sondern gleichzeitig auch ein Leben voller Erleben. Unter einem schönen Leben versteht Gerhard Schulze ein Leben voller positiver Erlebnisse. Was ein Individuum als schön empfindet, ist jedoch subjektiv. Er schlussfolgert, dass das Schöne nicht zum Menschen kommt, sondern von ihm selbst in Gegenstände und Situationen interpretiert wird. Der Mensch achtet darauf, wie er lebt, und er versucht, die Umstände so zu arrangieren, dass er sein Leben als schön empfindet.75Die Systematisierung dieser Erlebnisorientierung bildet die „Erlebnisrationalität“. Dies bedeutet, dass der Mensch versucht, durch die Herbeiführung oder Manipulation äußerer Gegebenheiten bei ihm gewünschte subjektive Prozesse (positive Emotionen) zu erzielen. Dieses Schema entwickelt sich im Laufe der Zeit zu einem routinierten Handlungsablauf.
4.2. Die Ästhetisierung des Alltags
Ein wichtiges Charakteristikum der Erlebnisgesellschaft ist die Ästhetisierung des Alltags. Alltägliche und erlebnisorientierte Handlungen werden fast ausschließlich ästhetisch vollzogen. Bei allen Handlungen steht das Schöne im Mittelpunkt. Wir finden ein alltagsästhetisches Handeln vor, wenn mehrere Alternativen zur Auswahl stehen, die Handlung des Individuums mit einer Erlebnisabsicht korreliert und die Handlungen jederzeit von jedermann wiederholt werden können.76
Ob eine Handlung erlebnisorientiert vollzogen wird, ist von außen schwer erkennbar. Ein Buch kann z.B. gelesen werden, weil es einem Freude bereitet oder weil man es für den Vortrag in der Schule lesen muss. Hier treffen Notwendigkeit und Vergnügen aufeinander, welche kaum zu unterscheiden sind. Um die These zu unterstützen, dass sich die Handlungsmotivation der letzten Jahre verändert hat, hat man die alltäglichen Handlungen zu Erlebnisbereichen zusammengefasst, um so deren Weiterentwicklung und Ausbreitung zu beweisen. Unterhaltung, Outfit, körperliche Bewegung, Natur und Kreativität gehören zu diesen Erlebnisbereichen.77
In den letzten fünf Jahrzehnten ist die Unterhaltung der deutschen Bevölkerung rasant gestiegen. Das wichtigste Unterhaltungsmedium ist das Fernsehen geworden. Es bietet eine große Zahl von Erlebnismöglichkeiten. Dazu zählen unter anderem Informationen, Entspannung und Spannung, sowie Freude. Aufgrund der technischen Möglichkeiten ist das Fernsehen zu einem Massenkommunikationsmittel geworden.
Ein weiteres Kriterium für die erhöhte Erlebnisdichte in unserem heutigen Alltag bilden die fortschreitenden technischen Entwicklungen. Internet, Computerkonsolen oder DVD-Player machen ein immer größeres Erlebnisangebot möglich. Produkte, welche durch einen expliziten Erlebnischarakter, wie z.B. Erotik, Tourismus oder Sensationen angeboten werden, haben besonders große Zuwachsraten bei der Nutzung.78Charakteristisch für den Unterbehaltungsbereich ist seine Schnelllebigkeit. Aufgrund der ständigen Suche nach neuen und aufregenden Erlebnissen wird der Erlebnismensch sehr schnell immun gegen neue Reize. Seine Bedürfnisse mit einem Erlebnismedium zu befriedigen fällt für kurze Zeit leicht, ist aber kaum über einen längeren Zeitraum realisierbar.
Ein weiterer Erlebnisbereich ist die körperliche Bewegung. Diese ist in den letzten Jahrzehnten, ähnlich wie der Unterhaltungsmarkt enorm gestiegen. Mit Hilfe von körperlicher Betätigung möchten die Aktiven positive Gefühle hervorrufen und erleben. Mit der Entstehung von neuen Sportarten konnte diese Zielerreichung leicht umgesetzt werden.
„Kreativität ist die anspruchsvollste Art, sich schöne Erlebnisse zu verschaffen.“79Die Bedeutung von kreativen Handlungen, wie z.B. das Fotografieren oder Zeichnen ist in den letzten 50 Jahren signifikant gestiegen. Das Vergnügen an den kreativen und sportlichen Handlungen wird als Flow80bezeichnet.
Die Outfits der Individuen unserer heutigen Gesellschaft sind ebenfalls durch den Erlebnischarakter gekennzeichnet. Es wird getragen, was einem gefällt und was man persönlich als schön und attraktiv empfindet. Hier finden wir ebenfalls das Problem des sich schnell langweilenden Konsumenten, ähnlich wie im Unterhaltungsbereich vor. Die Natur ist ebenfalls in den letzten Jahren immer mehr zum Erlebnisobjekt geworden.81 Sie bildet einen willkommenen Kontrast zum tristen und lauten Alltagsleben.
Anhand der Expansion dieser vier Erlebnisbereiche kann eine Expansion alltagsästhetischer Episoden geschlussfolgert werden.82Menschliche Grundbedürfnisse haben sich zu Bedürfnissen mit ästhetischem Charakter gewandelt. Ebenso soziale Handlungen und Handlungen in der Freizeit. Nahezu alle Bereiche des menschlichen Lebens wurde ästhetisiert. Hier wurde eine Voraussetzung für die Zunahme und Manifestierung der Erlebnisorientierung und der daraus resultierenden Entwicklung von Erlebnismärkten geschaffen.
4.3. Der Erlebnismarkt
Wolfgang Müller hat bezugnehmend auf die in Kapitel 2 beschriebenen Erklärungsansätze eine allgemein gültige Definition des Erlebnisses geprägt: „Ein Erlebnis ist ein außergewöhnliches, subjekt- und situationsbezogenes inneres emotionales Ereignis im Leben des Menschen, das sich einer zielgerichteten Selbst oder Fremdsteuerung entzieht, dessen Rahmenbedingungen allerdings phänomenfördernd gestaltet werden können.“83
Aufgrund der kaum noch zu unterscheidenden Produktvorteile innerhalb einer Produktkategorie müssen den Konsumenten zusätzliche Reize zum Kauf einer Marke oder eines Produktes geboten werden. Eine Möglichkeit der Aktivierung des Anreizes besteht in der Vermittlung von Erlebniswelten. Erlebniswerte bilden einen eigenständigen Ansatzpunkt innerhalb der Kommunikationsmaßnahmen eines Unternehmens. Erlebnisvermittelnde Bilder und Markenimages wirken sich positiv auf die Positionierung neuer Marken oder alter Marken auf neuen Märkten in einem gemeinsamen Erlebnisfeld aus.84
Erlebnisse werden in der heutigen Zeit marktwirtschaftlich eingesetzt und teilweise mit psychologischen Aspekten konkretisiert. Sie werden auf Märkten angeboten und von Zielgruppen nachgefragt. Es gibt kommerzielle und nicht-kommerzielle Erlebnismärkte. Nicht-kommerzielle Märkte verfolgen keine wirtschaftlichen Ziele. Kommerzielle Erlebnismärkte bieten Erlebnisse an, die das primäre Ziel verfolgen, Güter und Dienstleistungen abzusetzen. Die Gebrauchs- bzw. Nutzenfunktion des Gutes oder der Dienstleistung entspricht nur der Sekundärfunktion. Die heutigen Produkte beinhalten fast alle neben ihrer originären Gebrauchs- bzw. Nutzenfunktion eine Erlebniskomponente. Eine immer größere Bedeutung wird dieser Erlebniskomponente zuteil. Am Bespiel der Urlaubsreise lässt sich dies ganz einfach verdeutlichen. In der Mitte des 20. Jahrhunderts diente der Urlaub vorwiegend der Erholung, jedoch lässt sich heutzutage eine zunehmende Erlebnisorientierung, wie Feiern und Party auf Ibiza oder Paragliding auf Mallorca feststellen.
Aufgrund der steigenden Erlebnisorientierung werden klassische Märkte zu Erlebnismärkten evolutionärer Art. Neue Märkte, die Produkte und Dienstleistungen anbieten, die nur eine Erlebnisfunktion und keine Gebrauchsfunktion enthalten, können als Erlebnismärkte genuiner Art bezeichnet werden. Müller unterscheidet in unternehmensinterne und unternehmensexterne Erlebnismärkte. Unternehmensinterne Erlebnismärkte können Betriebsausflüge, Firmen-Jubiläen oder Informations- und Motivationsveranstaltungen sein. Die Zielgruppe von Erlebnissen dieser Art bilden die Mitarbeiter des Unternehmens. Zielgruppe unternehmensexterner Erlebnismärkte sind Kunden, Händler oder Aktionäre. Hierbei finden wir ein sehr großes Spektrum an erlebnisorientierten Märkten vor. Pressekonferenzen, Messen oder Konzerte können als unternehmensexterne Märkte bezeichnet werden. Eine Folge der Entstehung der Erlebnismärkte ist die Entwicklung und Anwendung von Eventmarketing-Maßnahmen. Eventmarketing gehört zu einer der wichtigsten Kommunikationsmaßnahmen des 21. Jahrhunderts. Wie Produkte erlebnisorientiert positioniert und was wir heute unter Eventmarketing verstehen, wird in den folgenden Kapiteln geklärt.
[...]
1 Vgl. Schöndorf, H. (1995), S. 23
2Hermanns, A. (1995), S. 41
3Vgl. Heckmair, B. / Michl, W. (1993), S. 7
4ebenda (1998), S. 7
5ebenda (1998), S. 7
6 Vgl. ebenda (1998) S. 8
7Müller, W. (2001), S. 20
8Vgl. Schischkoff, G. / Schmidt, H. (1991) S. 143
9Neubert, W. (1990), S. 21
10 ebenda (1990), S. 21
11ebenda (1990), S. 23
12Vgl. ebenda (1990) S. 24
13 ebenda (1990), S. 24
14Litt, T. (1926), S. 115
15ebenda (1948), S. 45
16ebenda (1948), S. 180
17Csikszentmihalyi, M. (1996), S. 58
18 Csikszentmihalyi, M. / U. Schiefele (1993), S. 210
19Schulze, G. (1996), S. 735
20Fromme, J. (1995), S. 146
21Schulze, G. (1996), S. 45
22Vgl. ebenda (1996), S. 735
23ebenda (1996), S.735
24 Vgl. Fromme, J. (1995), S. 147
25Vgl. Gebhardt, W. (1987), S. 36
26Vgl. ebenda, S. 37
27 ebenda, S. 37
28Freud, S. (1972), S. 157
29Durkheim, E. (1981), S. 471
30Vgl. ebenda, S. 471
31Vgl. Cox, H. (1977), S. 35
32Vgl. Gebhardt, W. (1987), S. 40
33 Vgl. Horkheimer, M./ Adorno, T.W. (1978), S. 95
34Gebhardt, W. (1987), S. 44
35Vgl. ebenda, (1987), S. 44
36Bollnow, F. B. (1979), S. 205
37Vgl. ebenda (1979), S. 223 ff
38 Vgl. ebenda (1979), S. 232
39Vgl. Gebhardt, W. (1987), S. 46
40Vgl. ebenda (1987), S. 52
41 Vgl. ebenda (1987), S. 53
42Vgl. ebenda (1987), S. 53
43ebenda (1987), S. 54
44 Vgl. ebenda (1987), S. 56
45Vgl. ebenda (1987), S. 60
46Vgl. Durkheim, E. (1981), S. 470
47 Vgl. Gebhardt, W. (1987), S. 62
48Vgl. ebenda (1987), S. 63
49Vgl. ebenda (1987), S. 67
50 ebenda (1987), S. 69
51Vgl. ebenda (1987), S. 70
52 ebenda (1987), S. 80
53Vgl. ebenda (1987), S. 81
54Vgl. Blessing, W. K. (1984), S. 375
55 Vgl. ebenda (1984), S. 369
56Petzoldt, L. (1983), S. 10
57Vgl. Oechslin, W. / Buschow, A. (1984), S. 8
58Vgl. Gebhardt, W. (1987), S. 167
59Vgl. Villadary, A. (1968), S. 41
60 Gebhardt, W. (1987), S. 168
61 ebenda (1987), S. 171
62Vgl. Watson, J. B. (1913), S. 158 ff.
63 Vgl. Schachter, S. (1971), S. 44 ff.
64Zimbardo, P.G. / Gerrig, R.J. (1996), S. 359
65 Vgl. Vester, H. G. (1991), S. 46
66 Vgl. Csikszentmihaly, M. (1996), S. 58
67 Vgl. Schmidt-Atzert, L. (1996), S. 41 ff.
68Vgl. Schulze, G. (1996), S. 531
69Vgl. ebenda (1996), S. 532
70 Vgl. ebenda (1996), S. 539
71Vgl. ebenda (1996), S. 541
72Vgl. ebenda (1996), S. 539
73Vgl. ebenda, G. (1996), S. 735
74Vgl. ebenda (1996), S. 37
75 Vgl. ebenda, (1996) S. 40
76Vgl. ebenda (1996), S. 98 ff.
77 Müller-Schneider, T. (1994), S. 91 ff.
78Vgl. Hermand, J. (1986), S. 196
79Müller-Schneider, T. (1994), S. 93
80Vgl. Cskikszentmihalyi, M. (1996), S. 58
81 Vgl. Müller-Schneider, T. (1994), S. 95
82 Vgl. ebenda (1994), S. 95
83Müller, W. (2001), S. 42
84 Vgl. Machat, U. (1983), S. 51
- Citation du texte
- Nicole Wuthe (Auteur), 2003, Das Event im Erleben des Rezipienten - Wie das Publikum Medienereignisse über emotionales Erleben zu Events macht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20255
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