In der vorliegenden Arbeit soll vorrangig die ethische Debatte um die PID aus verschiedenen Perspektiven nachgezeichnet, die Argumentationsstrategien der Befürworter und Gegner dargestellt und anschließend ihr jeweiliger Beitrag zur Lösung der komplexen Problematiken, die sich aus der Einführung, aber auch aus dem Verbot der PID ergeben, beurteilt werden. Verfolgt werden mehrere Ziele: Zum einen möchte diese Arbeit zu einer Einschätzung über das Verhältnis von Recht und Ethik in einer hochkomplexen Streitfrage wie der PID kommen. Wie unterscheiden sich die Debatten beider Fachgebiete? Wo liegen ihre Gemeinsamkeiten und können sie sich gegenseitig befruchten und voranbringen oder müssen sie separat geführt werden? Wie bedingen geltendes Recht und ethische Normen einander?
Zum anderen sollen die hier erörterten Perspektiven ethischer Fragestellungen zur Präimplantationsdiagnostik hinsichtlich ihres Beitrages zu einer konsensualen Entscheidungsfindung beurteilt werden. Durch die Entwicklung der PID eröffnen sich neue, mit komplexen Problemstellungen behaftete Handlungsoptionen. Welcher Ansatz kann am ehesten den Erfordernissen adäquater Begegnung mit diesen Problemstellungen gerecht werden? Welche Argumentationsstrategie ist am besten geeignet, eine allgemein akzeptierte Lösung zu erarbeiten? Wie ist die PID letztlich aus ethischer Sicht zu beurteilen und ist eine eindeutige Aussage hierzu überhaupt möglich?
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung
B. Medizinische und naturwissenschaftliche Grundlagen
1. Indikationen prädiktiver Diagnostik
2. Genetische Beratung
2.1 Grundlagen der Genetik
3. Methoden prädiktiver Diagnostik
3.1 Anwendung und Interpretation genetischer Testverfahren
3.2 Pränataldiagnostik
3.3 Präfertilisations- bzw. Präkonzeptionsdiagnostik
3.4 Präimplantationsdiagnostik
4. Assistierte Reproduktion/ In-vitro-Fertilisation
4.1 Gametengewinnung
4.2 Die Befruchtung in vitro
4.3 Embryonalentwicklung
C. Die rechtliche Debatte zur PID
5. Das Gesetz zum Schutz von Embryonen (ESchG)
6. Die Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch nach §§218ff StGB
7. Verfassungsrechtliche Diskussion
7.1 Der Status des Embryos - Drei Thesen
8. Die folgenorientierte Debatte
9. Präimplantationsdiagnostikgesetz (PräimpG)
D. Die ethische Diskussion zur PID
10. Perspektive I: Die ethische Vertretbarkeit der PID
10.1 Die Frage nach dem moralischen Status des Embryos
10.2 Die Begründung des Menschenwürdeprinzips
10.3 Die Inklusion des Embryos unter das Prinzip der Menschenwürde
10.4 PID und PND im Vergleich
10.5 PID und Abtreibung im Vergleich
11. Perspektive II: Die praktische Anwendung der PID
11.1 Anwendungsmöglichkeiten und Indikationsstellung
11.2 Patientinnenautonomie
11.2.1 Verständnis des Autonomiebegriffs
11.2.2 Realisierungsbedingungen autonomer Entscheidungen
11.2.3 Autonomie und Beratung
12. Perspektive III: Die Folgen der Anwendung der PID
12.1 Wandel des Menschenbildes
12.2 Diskriminierung
12.3 Eugenik
12.4 Das eugenische Potential der PID
E. Zusammenfassung und Fazit
F. Quellenangaben und Literaturverzeichnis
Anhang I: Verpflichtungserklärung
Anhang II: Auszug aus dem Embryonenschutzgesetz (ESchG)
Anhang III: §§ 218ff StGB
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1 Chromosomen
Abb. 2 Doppelhelix
Abb. 3 Transkription und Translation
Abb. 4 Follikelbildung
Abb. 5 Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI)
Abb. 6 Blastomeren
Abb. 7 Embryonalentwicklung
A. Einleitung
Die Präimplantationsdiagnostik[1] ist eine Methode zur gezielten Untersuchung und Beurteilung genetischer Krankheitsdispositionen an in-vitro gezeugten Embryonen noch vor der Übertragung und Einpflanzung in den Uterus der prospektiven Mutter. Als Träger unerwünschter Merkmale identifizierte Embryonen können von der Übertragung ausgeschlossen werden. Wesentliche Voraussetzung für die Anwendung der Präimplantationsdiagnostik war die Entwicklung der assistierten Reproduktionstechniken, insbesondere der In-vitro-Fertilisation, durch welche Embryonen überhaupt der Untersuchung zugänglich gemacht werden konnten sowie die Entschlüsselung des menschlichen Genoms.
Bis 2011 war die Anwendung der vergleichsweise noch jungen Technik in Deutschland auf der Grundlage des Embryonenschutzgesetzes verboten. Da sie jedoch für Paare mit einem bekannten genetischen Krankheitsrisiko, die gleichzeitig den Wunsch nach einem gesunden Kind haben, eine Alternative zur „Schwangerschaft auf Probe“ mit einem eventuellen Schwangerschaftsabbruch nach einer Pränataldiagnostik (PND) mit positivem Ergebnis darstellt und die PID im europäischen Ausland oder den USA bereits Anwendung findet, wurde ihre Einführung auf der Grundlage einer Gesetzesänderung verschiedentlich gefordert. Doch die Präimplantationsdiagnostik war aufgrund der vielen mit ihrer Einführung und Anwendung verbundenen Implikationen politisch, gesellschaftlich, ethisch, medizinisch und rechtlich stark umstritten und wird noch heute diskutiert.
In der vorliegenden Arbeit soll vorrangig die ethische Debatte um die PID aus verschiedenen Perspektiven nachgezeichnet, die Argumentationsstrategien der Befürworter und Gegner dargestellt und anschließend ihr jeweiliger Beitrag zur Lösung der komplexen Problematiken, die sich aus der Einführung, aber auch aus dem Verbot der PID ergeben, beurteilt werden. Verfolgt werden mehrere Ziele: Zum einen möchte diese Arbeit zu einer Einschätzung über das Verhältnis von Recht und Ethik in einer hochkomplexen Streitfrage wie der PID kommen. Wie unterscheiden sich die Debatten beider Fachgebiete? Wo liegen ihre Gemeinsamkeiten und können sie sich gegenseitig befruchten und voranbringen oder müssen sie separat geführt werden? Wie bedingen geltendes Recht und ethische Normen einander?
Zum anderen sollen die hier erörterten Perspektiven ethischer Fragestellungen zur Präimplantationsdiagnostik hinsichtlich ihres Beitrages zu einer konsensualen Entscheidungsfindung beurteilt werden. Durch die Entwicklung der PID eröffnen sich neue, mit komplexen Problemstellungen behaftete Handlungsoptionen. Welcher Ansatz kann am ehesten den Erfordernissen adäquater Begegnung mit diesen Problemstellungen gerecht werden? Welche Argumentationsstrategie ist am besten geeignet, eine allgemein akzeptierte Lösung zu erarbeiten? Wie ist die PID letztlich aus ethischer Sicht zu beurteilen und ist eine eindeutige Aussage hierzu überhaupt möglich?
Zur Darlegung und Beurteilung der juristischen und ethischen Argumente für und wider die Anwendung der Präimplantationsdiagnostik sind grundlegende biologische und medizinische Kenntnisse von Nöten; daher werden diese im ersten Teil der Arbeit kurz beschrieben. Behandelt werden die Indikationen präimplantantiver Diagnostik, genetische Grundlagen, die verschiedenen Methoden prädiktiver Untersuchungen, die Techniken der In-vitro-Fertilisation sowie die embryonale Entwicklung. Der zweite Teil befasst sich mit der rechtlichen Debatte zur PID, die letztlich zur aktuellen Gesetzeslage in Deutschland geführt hat sowie den juristischen Implikationen für die verschiedenen beteiligten Parteien, also den Embryo, die Eltern, aber auch die beratenden und durchführenden Ärzte. Dabei geht es um Probleme, die sich direkt aus der klinischen Praxis ergeben, aber vor allem auch um juristische Bewertungen und –engstens damit verwoben- Abwägungen der individuellen wie gesellschaftlichen Folgen. Ein Grundproblem besteht bereits durch die Möglichkeit der so genannten „Verwerfung“ überzähliger Embryonen, womit die Frage nach dem moralischen Status und Schutz des Embryos sowie der Abwägung zwischen den Rechten der Eltern, insbesondere der Frauen, und denen des Kindes aufgeworfen wird. Der dritte Teil verfolgt dann die ethischen Aspekte der präimplantativen Diagnostik. Auch in der ethischen Debatte ist die Frage nach dem Status des Embryos von herausragender Bedeutung. Aus weiteren Perspektiven werden mit der praktischen Anwendung der PID verbundene Fragen, insbesondere solche der Autonomie, erörtert sowie aus konsequentialistischer Perspektive sozialethische Aspekte wie etwa Einwände gegen Selektion und Diskriminierung beleuchtet und diskutiert. Abschließend soll eine Zusammenfassung der komplexen Sachverhalte und Argumentationen gegeben und ein Fazit gezogen werden.
B. Medizinisch-naturwissenschaftliche Grundlagen
In diesem Teil der Arbeit werden die grundlegenden medizinischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse vermittelt, die zum Verständnis der darauf folgenden Kapitel als notwendig erachtet werden. Dabei werden die Indikationen für die verschiedenen Möglichkeiten prädiktiver Diagnostik, insbesondere der Präimplantationsdiagnostik sowie damit in Zusammenhang stehend die genetische Beratung und deren Grundlagen behandelt. Weiter wird die klinische Praxis der assistierten Reproduktion erläutert und die embryonale Entwicklung dargestellt.
1. Indikationen prädiktiver Diagnostik
Während einer bereits etablierten Schwangerschaft gibt es neben den klassischen, zeitlich festgelegten sonographischen Untersuchungen zur Überwachung der regelrechten Lage des Kindes und des Mutterkuchens sowie zum Ausschluss starker phänotypischer Fehlbildungen weitere Methoden zur Vorhersage über gesundheitliche Störungen oder Krankheitsdispositionen des Embryos.
Jede dieser unterschiedlichen Methoden setzt zu verschiedenen Zeitpunkten der geplanten oder etablierten Schwangerschaft an –im Falle der präimplantativen Diagnostik bereits vor der Einpflanzung des Embryos in den Uterus- und ist auch unterschiedlich aussagekräftig. „Bei der Indikation zu einer diagnostischen Methode ist zu berücksichtigen, dass sie in der Regel nur sinnvoll und damit ärztlich begründbar ist, wenn aus der Diagnose auch eine konkrete präventive oder therapeutische Handlung folgt.“[2] Allgemein gibt es vier Indikationsgruppen: Verdacht auf eine monogen erbliche Krankheitsanlage, Verdacht auf genetische Risiken für multifaktoriell bedingte Krankheiten oder Verdacht auf Chromosomenstörungen sowie die Identifikation erwünschter genetischer Merkmale.[3] In diesen Fällen besteht die Möglichkeit einer genetischen Beratung, die im Folgenden genauer erläutert wird.
2. Genetische Beratung
Die genetische Beratung soll die Schwangere vom Zeitpunkt ihrer Inanspruchnahme sowohl vor als auch nach einer eventuellen Testung begleiten. Dabei ist die Einwilligung der Schwangeren nach entsprechender Information die unbedingte Voraussetzung. Die Beratung vor der Durchführung einer gezielten Diagnostik umfasst folgende Bereiche:
- „Anlaß für die Untersuchung,
- Ziel der Untersuchung,
- Risiko der Untersuchung,
- Grenzen der pränatalen diagnostischen Möglichkeiten und pränatal nicht erfaßbare Störungen,
- Sicherheit des Untersuchungsergebnisses,
- Art und Schweregrad möglicher oder vermuteter Störungen,
- Möglichkeiten des Vorgehens bei einem pathologischen Befund,
- psychologisches und ethisches Konfliktpotential bei Vorliegen eines pathologischen Befundes,
- Alternativen zur Nicht-Inanspruchnahme der invasiven pränatalen Diagnostik.“[4]
Nach Diagnose einer Erkrankung oder Entwicklungsstörung umfasst die Beratung:
- „Bedeutung des Befundes,
- Ursache, Art und Prognose der Erkrankung oder Entwicklungsstörung des Kindes,
- mögliche Komplikationen,
- prä- und postnatale Therapie- und Förderungsmöglichkeiten,
- Konsequenzen für die Geburtsleitung (Modus, Zeit und Ort)
- Alternativen: Fortführung oder Abbruch der Schwangerschaft,
- Kontaktmöglichkeiten zu gleichartig Betroffenen und Selbsthilfegruppen,
- Möglichkeiten der Inanspruchnahme medizinischer und sozialer Hilfe.“4
Entscheidet sich die Schwangere für eine Fortführung der Schwangerschaft sind folgende Beratungsinhalte vorgesehen:
- „nichtinvasive medikamentöse Behandlung des Kindes über die Schwangere,
- invasive medikamentöse Behandlung des Kindes,
- operative Maßnahmen.“ 4
Wünscht sie einen Schwangerschaftsabbruch, beinhaltet die Beratung Informationen über:
- „die Möglichkeiten der Durchführung des Abbruchs unter den gegebenen medizinischen und juristischen Rahmenbedingungen,
- den Umgang mit dem toten Kind (z. B. Beerdigung),
- die Möglichkeiten einer eventuell erforderlichen psychotherapeutischen Nachsorge, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Selbsthilfegruppen sowie deren Vermittlung.“4
2.1 Grundlagen der Genetik
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Erbsubstanz DNS (Desoxyribonukleinsäure) ist in sämtlichen Zellkernen der 10 hoch 14 Zellen auf den 23 Chromosomenpaaren enthalten (Abb.1). Sie ist ein langkettiges Molekül aus 30000 – 40000 Informationseinheiten (den Genen), die in linearen Sequenzen aus vier verschiedenen Bausteinen (den Nukleotiden Guanin, Adenin, Thymin, Cytidin) vorliegen und Zucker (Desoxyribose) sowie eine Phosphatgruppe enthalten (Abb.2).5
Die Gesamteinheit der Erbanlagen wird als Genom bezeichnet. In Körperzellen liegen die Chromosomen und die darauf befindlichen Gene doppelt vor, eine Hälfte von der Mutter und die andere Hälfte vom
Vater (Diploidie). Keimzellen enthalten dagegen halbierte Chromosomen (Haploidie).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die genetische Weitergabe und Neukombination erfolgt über die Halbierung und anschließende Rekombination des genetischen Materials der Eltern, die Bildung der Samen- und Eizellen, die Befruchtung und anschließende Embryonal- bzw. Fetalentwicklung. [6]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dabei ergibt sich aufgrund der Fülle an genetischen Informationen eine erhebliche Variabilität der Ausprägung der Erbanlagen, die in verschiedenen Phänotypen manifest wird. Die Entstehung
von Mutationen ist beim Vorgang der Meiose vor der Bildung der Keimzellen möglich; ihre Weitergabe erfolgt durch fortgesetzte Zellteilung, wobei die kodierte Geninformation auf die RNA übertragen (Transkription) und in Aminosäureketten, also Proteine, umgesetzt wird (Translation) (Abb.3).[7]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Umsetzung von Genen in Genprodukte erfolgt nur bei aktiven Genen und wird Expression genannt. Menschliche Genome unterscheiden sich in etwa 0,1%, was immerhin drei Millionen Sequenzunterschiede ausmacht. Durch genetische Mutationen ergeben sich funktionelle Konsequenzen, die aber nicht notwendigerweise als Einschränkung wahrnehmbar sein müssen. Unterschieden werden daher deterministische von probabilistischen Diagnosen.[8] Erstere bezeichnen Krankheiten, deren Ausbruch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei Erreichen des üblichen Alters erfolgt. Letztere geben lediglich eine mehr oder minder erhöhte Wahrscheinlichkeit der Krankheitsmanifestation an. „Ob eine Krankheit tatsächlich in Erscheinung tritt, hängt vor allem davon ab, ob der Erbgang (a) rezessiv oder dominant ist, bzw. ob (b) das betreffende Gen auf den Gonosomen oder Autosomen liegt, oder (c) der Mutationsgrund auf eine zu große oder zu kleine Zahl von Chromosomen zurückzuführen ist.“[9]
Bei rezessiven Erbgängen besteht die Möglichkeit, dass das die Krankheit auslösende Gen nur auf einem der in doppelter Ausführung vorliegenden Chromosomen auftritt. In diesem Fall kann die Mutation durch das zweite, gesunde Chromosom kompensiert werden. So können Personen, die Anlagen zu einer Krankheitsdisposition tragen und diese weiter vererben, ohne selbst davon betroffen zu sein. „Ein signifikantes Risiko der Übertragung auf potentielle Kinder ergibt sich nur in dem Fall, bei dem beide Elternteile Träger sind, wobei nach den Mendel´schen Gesetzen die Wahrscheinlichkeit für ein auffälliges Kind 25% beträgt (ebenfalls 25% für ein gänzlich unbelastetes Kind, 50% für ein Kind, das, wie die Eltern, Anlageträger ist).[10] Bei dominanten Erbgängen setzt sich das relevante Gen durch und manifestiert sich im Phänotyp. Wenn nur ein Elternteil Träger der Erkrankung ist, beträgt die Vererbungswahrscheinlichkeit je 50% für ein belastetes bzw. unbelastetes Kind, sind dagegen beide Eltern Träger, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für die Weitergabe auf 75%.
Liegt das von einer Mutation betroffene Gen auf den Gonosomen, also den Geschlechtschromosomen, „korreliert die Wahrscheinlichkeit, eine Krankheit zu erben, mit dem Geschlecht, das die potentiellen Nachkommen haben. Bei X-chromosomal-gebundenen Gendefekten ist die Wahrscheinlichkeit für Männer dabei wesentlich höher zu erkranken, da sie kein zweites X-Chromosom haben, das den Defekt kompensieren könnte.“[11]
Die dritte Möglichkeit der Weitergabe genetischer Krankheiten entsteht aus so genannten Chromosomenaberrationen (Störungen), die entweder in numerischer Form aufgrund von Translokationen oder in struktureller Form durch Umlagerungen innerhalb eines oder zweier Chromosomen, was i. d. R. keine phänotypischen Auswirkungen nach sich zieht, vorliegen können. „Für Neugeborene besteht insgesamt ein Fehlbildungs- bzw. Erkrankungsrisiko von 3-5%. Davon machen Chromosomenstörungen und monogene Erkrankungen, also Erkrankungen die von nur einer Gensequenz ausgelöst werden, etwa 1,5% aus.“[12] Der Rest geht auf spontane Mutationen zurück, die nicht mittels prädiktiver genetischer Diagnostik vorhergesagt werden können. Eine monogen erbliche Krankheit aufgrund einer Mutation eines einzelnen Genes kann bereits vorgeburtlich auch ohne Manifestation diagnostiziert werden und damit bietet die PID die Möglichkeit, das Vorliegen einer entsprechenden Erkrankung bei einem Embryo zu überprüfen. Die Manifestation multifaktorieller Krankheiten ist neben dem Vorliegen einer genetischen Disposition auch von entsprechenden Umwelteinflüssen abhängig.[13]
3. Methoden prädiktiver Diagnostik
Mit fortschreitender medizinischer Forschung und technischer Entwicklung sind seit den 60er Jahren immer mehr Möglichkeiten vorgeburtlicher Diagnostik entstanden, die –wie bereits erwähnt- zu unterschiedlichen Zeitpunkten einer geplanten oder bereits etablierten Schwangerschaft ansetzen. Zu unterscheiden sind Methoden der Präfertilisations- bzw. Präkonzeptionsdiagnostik, der Präimplantationsdiagnostik und der Pränataldiagnostik.
Allen Verfahren ist das Ziel gemeinsam, die Geburt eines schwer erkrankten oder behinderten Kindes zu verhindern, wobei die Anwendung der Pränataldiagnostik am Embryo in vivo ansetzt und damit eine bereits bestehende Schwangerschaft erfordert, was gleichzeitig impliziert, dass nach Feststellung einer manifestierten oder disponierten Krankheit lediglich ein Schwangerschaftsabbruch zur Verhinderung in Frage kommt. Die anderen beiden Methoden hingegen setzen notwendig die künstliche Befruchtung voraus, da die entsprechenden genetischen Analyseverfahren nur in vitro durchgeführt werden können.
3.1 Anwendung und Interpretation genetischer Testverfahren
Generell ist bei der Interpretation genetischer Informationen zu beachten, dass ein einziges Gen Träger verschiedener Mutationen sein und damit auch verschiedene Krankheitsbilder erzeugen kann. Gleichzeitig kann ein bestimmtes Krankheitsbild durch unterschiedliche Gendefekte hervorgerufen werden. Selbst die identische Mutation eines Genes kann innerhalb einer Familie zu voneinander abweichenden Krankheitsbildern führen, was auf die unterschiedliche Durchschlagskraft (Penetranz) einer dominant vererbten genetischen Störung zurückzuführen ist. In der Schwangerschaft eingenommene Medikamente können ebenfalls Krankheitsbilder hervorrufen, die mit monogenen Erbkrankheiten übereinstimmen, so dass auch hier eine genaue Abgrenzung erforderlich ist.[14]
Prädiktive genetische Analysen können das Risiko der Weitervererbung genetisch bedingter Krankheiten minimieren, aber nicht verhindern, dass spontane Mutationen auftreten. Gleichzeitig beinhaltet jede Anwendung der hier erläuterten Verfahren ein mehr oder minder großes Risiko, seinerseits Schädigungen des Embryos zu verursachen, bis hin zum Verlust durch Spontanabort.
3.2 Pränataldiagnostik
Die Pränataldiagnostik bietet sowohl Möglichkeiten phänotypischer als auch genotypischer Untersuchungen an Embryonen in vivo.[15] Ihre Methoden haben sich weitgehend etabliert und sind inzwischen routinierter, zuweilen unkritisch angewandter Bestandteil vorsorglicher Schwangerschaftsuntersuchungen.[16]
Bis zur Entwicklung der Sonographie, mit der erstmals der Embryo im Mutterleib sichtbar wurde, bestanden praktisch keine direkten Untersuchungsmöglichkeiten, die Auskunft über den Gesundheitszustand eines Ungeborenen geben konnten. Mit der Ultraschalltechnik konnten zumindest der regelrechte Entwicklungsstand überprüft und gravierende Fehlbildungen entdeckt werden. Zur Erkennung von Chromosomenanomalien wie beispielsweise der Trisomie 21 (Down-Syndrom) dient der so genannte Triple-Test, der anhand der Konzentration bestimmter Substanzen im mütterlichen Blut unter Einbeziehung weiterer Faktoren eine Abschätzung der individuellen Risikowahrscheinlichkeit ermöglicht, die jedoch einer relativen Unsicherheit unterliegt. Der Bluttest kann zwischen der 16. und der 18. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden.
Zu den invasiven Untersuchungsmethoden gehören die Amniozentese und die Chorionzottenbiopsie, die ein –wenn auch geringes- Risiko spontaner Aborte beinhalten und deshalb nur nach gewissenhafter Abwägung vorgenommen werden sollten. Durch die Entwicklung der Amniozentese konnten erstmals Zellen des Embryos einer Analyse zugeführt werden: „Bei dem Verfahren wird eine Hohlnadel, deren richtige Führung auf dem Ultraschall beobachtet wird, in die Fruchtblase (das Amnion) gestochen und etwas Fruchtwasser entnommen. Darin befinden sich immer einige vom Embryo abgestoßene Zellen, die mit unterschiedlichen Analysemethoden genauer untersucht werden können.“[17] Der Untersuchungszeitraum liegt zwischen der 14. und 16. Schwangerschaftswoche, ein Ergebnis liegt aber oft erst zu Beginn des 5. Schwangerschaftsmonats vor.
Wird im Falle positiver Diagnostik ein Abbruch der Schwangerschaft gewünscht, bedeutet dies in der Regel die Abtreibung eines extrauterin lebensfähigen Embryos und enorme psychische Belastungen für die Frau.
Die Chorionzottenbiopsie hat hingegen den Vorteil, dass sie bereits in der achten oder neunten Woche durchgeführt werden kann und das Ergebnis noch vor Ende des dritten Monats zu erwarten ist. Bei dieser Methode „werden die embryonalen Zellen für die Analyse nicht dem Fruchtwasser entnommen, sondern dem Chorion, d.h. der Plazenta. Die Plazenta wird aus embryonalem Gewebe gebildet. Deshalb enthalten ihre Zellen die gleichen genetischen Informationen wie die des Embryos. Mithilfe eines chirurgischen Instruments wird unter Ultraschallkontrolle eine kleine Menge Gewebes entnommen, das dann wie bei der Amniozentese weiterkultiviert und untersucht wird.“[18]
3.3 Präfertilisations- bzw. Präkonzeptionsdiagnostik
Die Methoden präkonzeptiver Diagnostik, also vor der in diesem Fall in vitro stattfindenden Befruchtung, bestehen zum einen in der Untersuchung der Polkörper an der Eizelle der prospektiven Mutter und zum anderen in der Untersuchung der Spermienqualität des prospektiven Vaters. Die Polkörper bilden sich im Verlauf der Reifeteilung an der Peripherie der Eizelle. Sie „haben nach derzeitigem Stand der Wissenschaft keine relevante Funktion im Rahmen des Befruchtungsprozesses, weshalb es möglich ist, einen Polkörper von einer zu einem späteren Zeitpunkt noch zu befruchtenden Eizelle zu entfernen“[19] und einer genetischen Analyse zu unterziehen. Dieses Verfahren erlaubt jedoch nur den Ausschluss mütterlicherseits zu vererbender unerwünschter genetischer Anlagen mittels der Selektion ungeeigneter Eizellen. Die Untersuchung der männlichen Keimzelle erlaubt in genetischer Hinsicht lediglich die Identifikation des Geschlechtschromosomens, womit immerhin die Vererbung X-chromosomal-gebundener Erkrankungen umgangen werden kann. Eine weitergehende Analyse des Spermiums ist nicht möglich, da dieses bei der Untersuchung verbraucht würde.[20]
3.4 Präimplantationsdiagnostik
Bei der Präimplantationsdiagnostik ist die nicht-invasive PID, die im Rahmen jeder In-vitro-Fertilisation (IVF), die ja die Voraussetzung für dieses Verfahren ist, durchgeführt wird und lediglich augenscheinlich nicht lebensfähige Keime selektiert, von der invasiven und hier zu erörternden PID zu unterscheiden.[21]
Dabei werden einem Embryo im 6- bis 10-Zell-Stadium ein oder zwei der so genannten Blastomeren entnommen und verbrauchend gezielt auf bestimmte genetische Mutationen untersucht. Je nach Ergebnis der Biopsie kann der Embryo zur Herbeiführung einer Schwangerschaft in den Uterus der prospektiven (genetischen) Mutter transferiert, zur späteren Verwendung kryokonserviert oder nicht implantiert werden. Diese „Verwerfung“ führt zum Absterben des Embryos, der außerhalb des Mutterleibs nicht überlebensfähig ist. „Zur Diagnose kommen in Abhängigkeit von den zu untersuchenden Merkmalen zwei Verfahren zur Anwendung, FISH (dt.: Fluoreszenz-in-vitro-Hybridisierung) und PCR (dt.: Polymerasekettenreaktion). Ein weiteres Hilfsverfahren ist PEP (primer extension amplification), das zum Ziel hat, die begrenzte Menge an DNA, die in der entnommenen Zelle vorliegt, zu vervielfachen, um verschiedene parallele Untersuchungen zu erlauben.“[22] Die FISH weist beispielsweise Trisomie 21 nach, die PCR dient der Feststellung rezessiver Erbkrankheiten.
4. Assistierte Reproduktion/ In-vitro-Fertilisation
Im Folgenden wird das Verfahren der In-vitro-Fertilisation als Voraussetzung für die Durchführung präimplantantiver Diagnostik erläutert. IVF ist eigentlich eine Technik der assistierten Reproduktion, welche Paaren, die ungewollt kinderlos sind, zur Etablierung einer Schwangerschaft verhelfen soll. Paare mit einem erhöhten genetischen Risiko können aufgrund ihrer Krankheitsdisposition oder –manifestation sowie aus embryopathischen Gründen ebenfalls Fertilitätsschwierigkeiten aufweisen, diese sind aber nicht zwingend vorhanden. Die IVF muss bei dem Wunsch nach einer PID jedenfalls in Kauf genommen werden.
4.1 Gametengewinnung
Der natürliche, spontane Ovarialzyklus wird durch das Hypothalamus-Hypophysen-System gesteuert, wobei der Hypothalamus das Zwischenhirn und die Hypophyse die Hirnanhangdrüse bezeichnet. Der Hypothalamus bildet das Freisetzungshormon GnRH (Gonadotropin-Releasing-Hormon), das wiederum den Hypophysen-Vorderlappen zur Bildung der Gonadotropine FSH und LH anregt. Das follikelstimulierende FSH fördert die Reifung der Eibläschen, wodurch Östrogen gebildet und die Gebärmutterschleimhaut zum Wachstum angeregt wird. Dieser Vorgang führt zu einer negativen Rückkopplung mit der Hypophyse und der Reduktion des FSH. Das luteinisierende LH führt zur Reifung und zum Springen des Follikels. Im Eierstock zurückbleibendes Follikelgewebe wird in Gelbkörper (Corpus luteum) umgewandelt, die ebenfalls die Gebärmutterschleimhaut anregendes Progesteron bilden (Abb. 4). Die Abstoßung einer befruchteten Eizelle wird durch das human chorionic gonadotropin HCG verhindert.[23]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In der klinischen Praxis beginnt das IVF-Verfahren in der Regel mit der hormonellen Follikelstimulation. Diverse hormonelle Stimulantien ermöglichen vermehrtes Follikelwachstum und erhöhen die Chancen auf befruchtungsfähige Eizellen. Des weiteren können Zyklus und Eisprung quasi programmiert (z.B. mit GnRH-Analoga) und so an den Klinikalltag angepasst werden. Die Auswahl und Kombination der Stimulationsmittel beruht weitgehend auf den Erfahrungswerten der einzelnen Teams, der Zahl der zu erwartenden Eizellen und den Implantationsraten.[24] Die hormonelle Stimulation birgt Risiken für die behandelten Frauen. Neben Unverträglichkeiten wie Kopfschmerzen, Brustspannen, Wassereinlagerungen und Hitzewallungen besteht die Gefahr des Hyperstimulationssyndroms mit erhöhter Gefäßdurchlässigkeit in Bauchhöhle, Pleuralraum und Herzbeutel.
Dies kann zu verringertem Blutvolumen, Bluteindickung, Elektrolytveränderungen und in schweren Fällen zu Lungenembolie, Schlaganfall oder gar zum Tod führen. Weiterhin treten vermehrt Mehrlingsschwangerschaften, Spontanaborte und extrauterine Schwangerschaften sowie angeborene Fehlbildungen auf. Die perinatale Mortalität ist erhöht und es gibt Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der medikamentösen Follikelstimulation und hormonabhängigen Karzinomen.[25]
Die Punktion der Eizelle erfolgt zwischen dem 10. und 14. Zyklustag, je nach Art des IVF-Zentrums in einigen Fällen auch ambulant. Der Eisprung wird etwa 36 Stunden vor der geplanten Punktion ausgelöst.[26] Aus technischen sowie diagnostischen Gründen wird die Follikelpunktion nur noch selten -vornehmlich bei schwierigen Befunden- laparaskopisch durchgeführt. Meist wird transvaginal unter Ultraschallsicht punktiert, ein Verfahren, das geringere Kosten verursacht und durch niedrige Komplikationsraten eine höhere Akzeptanz der Patientinnen genießt.[27] Dennoch bestehen Risiken wie die Verletzung von Blutgefäßen, Herz-Kreislauf-Störungen, entzündliche Prozesse und das übliche Narkoserisiko.[28] Die Zahl der punktierten Follikel variiert je nach Indikation oder Stimulationsmodell sowie nach dem Ergebnis der Eizellbewertung oder auch nach Wunsch der Patientinnen. In den meisten Fällen werden entweder alle Eizellen oder eine vorher festgelegte Zahl punktiert, wobei Ersteres die Zystenbildung durch Hyperstimulation verhindert.[29] Auch eine verschlechterte Qualität des männlichen Samens oder die Kryokonservierung nicht benötigter Eizellen für spätere Zyklen indizieren die Punktion sämtlicher gefundener Follikel.
Die Samenabgabe und -aufbereitung erfolgt in der Regel nach erfolgreicher Punktion, bei der GIFT-Methode aber auch vorher. Ein Spermiogramm kontrolliert die Qualität des Samens; Messparameter sind das Nativpräparat in Augenschein, Geruch und Farbe, der pH-Wert, die Konsistenz und deren Veränderung sowie die Spermienzahl, -form und –beweglichkeit (Motilität). Die Aufbereitung des Spermas beinhaltet die Trennung von Spermatozoen und Seminalplasma.
4.2 Die Befruchtung in vitro
Die Befruchtung in vitro erfolgt entweder auf „natürlichem“ Wege durch die Zusammenführung von Eizelle und etwa 100 000 Spermien, wovon eines binnen weniger Minuten die äußere Hülle der Eizelle durchdringt und von ihrem Inneren aktiv aufgenommen wird[30] oder –vor allem im Falle mangelnder Befruchtungsfähigkeit der männlichen Spermien- mit Hilfe der so genannten Intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) (Abb. 5).
„Mit einer Glaskapillare, die den Samenfaden enthält, wird die dicke Hülle der Zona pellucida durchstoßen und die Spermie vorsichtig in das Innere der Eizelle eingeführt. Bei 60 bis 70% dieser injizierten Eizellen kommt es dann tatsächlich zur Befruchtung, die an der Vorkernbildung ersichtlich ist.“[31]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Festhalten der Eizelle mit der Haltekapillare Injektion des Spermiums in die Eizelle regulär befruchtete Eizelle mit 2 Vorkernen
4.3 Embryonalentwicklung
Die so genannte Imprägnation, die Penetration der Eizelle durch das Spermium, markiert den Beginn des Befruchtungsvorganges. Durch die anschließende Verschmelzung der Membranen der Ei- und Samenzellen, wird die Eizellmembran für andere Spermien undurchlässig. Bei der IVF können nach etwa zwölf bis 18 Stunden die Vorkerne (Pronuclei) identifiziert werden.[32] „Beide Vorkerne enthalten je 23 Chromosomen. Sie reduplizieren sich in den nächsten achtzehn bis zwanzig Stunden getrennt voneinander. Dadurch sind sie für die Konjugation vorbereitet.
Die Kerne nähern sich, ihre Membranen lösen sich auf und ihre reduplizierten Chromosomen ordnen sich auf einer gemeinsamen Spindel an. […] Dieses Entwicklungsstadium wird als Zygote bezeichnet.“[33] Durch die nun folgende mitotische Zellteilung entstehen die so genannten Furchungszellen oder Blastomeren (Abb. 6).
Bis zum 4-Zell-Stadium wird von der Totipotenz der Zellen ausgegangen, d.h. von ihrer Fähigkeit, sich isoliert bei Vorliegen der nötigen Voraussetzungen zu einem vollständigen Menschen zu entwickeln. Zwischen dem 4- und 8-Zell-Stadium, wenn die fortlaufende Differenzierung der Zellen beginnt, ist die Totipotenz umstritten, was ein wesentlicher Streitpunkt in der Debatte um die PID ist. „Ihre Durchführung erfordert für gewöhnlich eine Embryobiopsie im Sechs- bis Zehn-Zell-Stadium. Die biopsierten Blastomeren können also noch totipotent und demzufolge unter den gleichen Schutz wie der Embryo gestellt sein. Da sie für die Untersuchung des Erbguts zerstört werden, liegt eine potenzielle Verletzung des Embryonenschutzes vor, deren Nachweisbarkeit durch das Vorgehen selbst unmöglich wird, da die Totipotenz mit Zerstörung der Zelle verloren geht.“[34] Handelt es sich nämlich bei der genetisch untersuchten und damit zerstörten Blastomere um eine totipotente Zelle, wird quasi ein Embryo verbraucht, was die Instrumentalisierung und Tötung eines potentiellen menschlichen Lebewesens impliziert.[35] Nach dem 8-Zell-Stadium, etwa am dritten Tag der so genannten Morula, lässt sich keine Totipotenz mehr nachweisen. Die Blastomeren differenzieren sich nun zu Embryoblasten, aus denen sich der Embryo weiterentwickelt und zu äußeren Trophoblasten, die den Embryo umhüllen und später mit maternalen Zellen die Plazenta bilden.[36]
Bei natürlicher Befruchtung findet die Einnistung in den Uterus (Nidation) etwa am 7. Tag p.c. (post conceptionem: nach der Befruchtung) statt, wenn die Blastozyste aus etwa 125 Zellen besteht. Während des Nidationsvorganges „heftet sich die Blastozyste an der Uterusschleimhaut (Endometrium) fest und die Trophoblasten wachsen in dieselbe ein. Der Embryo sinkt schließlich vollständig in die Uterusschleimhaut ein (Implantation) […].“[37] Nach der Nidation setzt die Organogenese (Organentwicklung) ein. Durch die Ausbildung des so genannten Primitivstreifens, der die Achsen des Embryos (Kopf-Rumpf/ Rücken/ Bauch) festlegt, endet die Möglichkeit der Zwillingsbildung (mit Ausnahme siamesischer Zwillinge); der Embryo kann sich nicht mehr in mehrere Individuen teilen.[38]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Der Entwicklungsabschnitt von der fünften bis zur achten Woche ist die Embryonalperiode, in der die großen Organsysteme neben dem Herzkreislauf- und dem Nervensystem entstehen und Knochen, Muskeln, der Magen-Darm-Kanal, Leber, Lungen und Nieren angelegt werden.[…] Nach zehn Wochen, was der 12. Schwangerschaftswoche entspricht (Schwangerschaftswochen werden nach der letzten Menstruation gezählt), ist die Organogenese abgeschlossen. Der menschliche Organismus wird ab dieser Zeit in der Medizin als „Fötus“ bezeichnet.“[39]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
C. Die rechtliche Debatte zur PID
Die Diskussion der Techniken, Möglichkeiten, Grenzen und notwendigen Regelungen hinsichtlich der Präimplantationsdiagnostik erfordert die interdisziplinäre Beteiligung unterschiedlicher Fachgebiete: Neben der naturwissenschaftlich-medizinisch-technischen Komponente sind auch grundlegende Fragen angesprochen, die ganz offensichtlich eine ethische und rechtliche Würdigung verlangen. „Für rechtliche Argumentationen sind andere Begründungen erforderlich als für ethische: Rechtliche Argumentationen haben vor allem auch die pragmatische Regelungsmöglichkeit eines Sachverhaltes und die Möglichkeit der Durchsetzbarkeit von Schutzansprüchen zu berücksichtigen. Sie können daher als erfolgreich angesehen werden, wenn sie eine gesellschaftlich akzeptable und tolerierte Lösung hervorbringen, selbst wenn diese einen –unter ethischen Gesichtspunkten gegebenenfalls fragwürdigen- Kompromisscharakter haben.“[40]
Die zur rechtlichen Beurteilung und Regelung der PID in Frage kommenden Normen bedingen durch Inkonsistenzen ihrerseits ethische Probleme, die hier auch entsprechend Berücksichtigung finden sollen, ebenso wie die Rolle des Menschenwürdeprinzips, das eine herausragende Rolle in der ethischen Debatte einnimmt, aber auf einer verfassungsrechtlichen Tradition beruht.[41] Die wichtigsten im Rahmen dieser Arbeit in Augenschein zu nehmenden Normen sind das Embryonenschutzgesetz (ESchG) von 1991 sowie die §§ 218ff des Strafgesetzbuches (StGB) und die Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes (GG). Selbstverständlich existieren viele weitere in Frage kommende Regelungswerke, Richtlinien, standesrechtliche Regelungen und juristische Empfehlungen, die jedoch an dieser Stelle nicht notwendigerweise erörtert werden müssen.[42]
5. Das Gesetz zum Schutz von Embryonen (ESchG)
Angesichts der Entwicklungen moderner Fortpflanzungsmedizin ergab sich in den 80er Jahren zunehmender Handlungsbedarf zum Schutz des Embryos in vitro. Nach einer langen Phase der Beratung, Diskussion und Entwürfe trat zum 01.01.1991 das Embryonenschutzgesetz[43] in Kraft. Die Verfahren der Präimplantationsdiagnostik kollidieren insofern mit dem ESchG, als es beispielsweise die Verwendung totipotenter Zellen (§ 8 Abs. 1 u. 2), die Befruchtung einer Eizelle zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft (§ 1 Abs. 1 Nr. 2) und die Verwendung eines Embryos zu einem anderen Zweck als seiner Erhaltung (§ 2 Abs. 1) verbietet. Die Anwendung des ESchG auf den Umgang mit pluripotenten Zellen ist umstritten, „da die Entnahme und Diagnose nicht ausschließlich der Erhaltung des zu testenden Embryos diene, sondern nur möglicherweise. (Teil-)Ziel der Handlung sei gerade die Erlangung von Wissen, das bei einem pathologischen Befund ein Verwerfen zur Folge habe.“[44] Werden mehr Eizellen für eine spätere Diagnose und Selektion befruchtet, als zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nötig, verstößt bereits dies gegen die Voraussetzungen zur Straflosigkeit der IVF. „Kann über diese Kritik noch hinweggegangen werden, wenn ein diagnostizierter Embryo letztlich als gesund erachtet und transferiert wird, so wird doch in jedem Fall zu bedenken gegeben, dass §1 Abs. 1 Nr. 2 und § 2 Abs. 1 dann zur Anwendung kämen, wenn ein biopsierter Embryo mit pathologischem Befund aufgrund dieses Befundes nicht transferiert, sondern verworfen werde.“[45]
[...]
[1] Ich verwende die in Deutschland gebräuchliche Abkürzung PID. In einigen Quellen ist aber auch von PGD (Preimplantation Genetic Diagnosis) die Rede.
[2] Nationaler Ethikrat (2003), S. 60f
[3] Vgl. Deutscher Ethikrat (2011), S. 15
[4] www.bundesaerztekammer.de Zugriff am 29.02.2012 18:05
4 www.bundesaerztekammer.de Zugriff am 29.02.2012 18:05
5 Vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft (2003), S.6
[6] Vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft (2003), S.7
[7] Vgl. Ebd., S.8ff
[8] Vgl. Schmidt, H. T. (2003), S. 46
[9] Ebd., S. 47
[10] A.a.O.
[11] Schmidt, H. T. (2003), S. 48
[12] Knoepffler, N. (2004), S. 111
[13] Vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft (2003), S.12-19
[14] Vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft (2003), S. 22-25
[15] Vgl. Kollek, R. (2002), S. 16-20
[16] Vgl. ausführlich die Konsequenzen der PND für die Wahrnehmung von Schwangerschaft und Geburt Schindele, E. (1990)
[17] Kollek, R. (2002), S 18
[18] Kollek, R. (2002), S. 19
[19] Schmidt, H. T. (2003), S. 30
[20] Ebd., S. 32
[21] Vgl. Knoepffler, N. (2004), S. 110f
[22] Schmidt, H. T. (2003), S. 33
[23] Vgl. Barbian,E./ Berg, G. (1997), S.39f
[24] Vgl. Ebd., S. 41-44
[25] Vgl. Barbian,E./ Berg, G. (1997), S. 58-63
[26] Vgl. Ebd., S. 63
[27] Vgl. Ebd., S. 64ff
[28] Vgl. Ebd., S. 67f
[29] Vgl. Ebd., S. 69f
[30] Vgl. Müller, S. E./ Schmid-Tannwald, I./ Hornstein, O. P. (Hg) (2008), S. 21
[31] Ebd., S. 22
[32] Vgl. Knoepffler, N. (2004), S. 51
[33] Knoepffler, N. (2004), S. 51
[34] Schmider, A. (2010), S. 12
[35] Vgl. Schmidt, H.T. (2003), S. 27
[36] Vgl. Knoepffler, N. (2004), S. 52 und Kollek, R. (2002), S. 65f
[37] Gropp, S. (2005), S. 39
[38] Vgl. a.a.O.
[39] Knoepffler, S. 54
[40] Schmidt, H. T. (2003), S. 53
[41] Vgl. Ebd., S. 53
[42] Vgl. hierzu Gropp, S. (2005),
[43] www.gesetze-im-internet.de Zugriff am 23.06.2012 00:27
[44] Schmidt, H. T. (2003), S. 61
[45] Ebd., S. 61
[...]
- Citar trabajo
- Nadja Belobrow (Autor), 2012, Präimplantationsdiagnostik – Fluch oder Segen?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202316
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