Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Ursachenallokation von Bildungsungleichheiten bei SchülerInnen mit Migrationshintergrund. Die ersten Seiten geben eine kurze Einführung in die Thematik und skizzieren anhand der Bundesbildungsberichte 2006 und 2010 den Ist-Zustand. Im darauf folgenden Kapitel "Ethnien und Ethnizität" wird dargestellt, wie die Zugehörigkeit zu verschiedenen Ethnien zu verstehen sein sollte, um die aufgezeigten Zustände besser einordnen zu können. Dabei wird auf den Ansatz von Barth (1969) eingegangen, der Ethnien als konstruierte soziale Kategorien versteht, die Mitgliedschaft sichern und herstellen. Unter Einbeziehung des Ansatzes „segmentierter Assimilation“ von Zhou, wird umrissen, dass ein so verstandener „Ethnienbegriff“ in der Lage ist, die Ergebnisse verschiedener Studien auf diesem Gebiet sinnvoll zu verbinden. Weiter zeigt er auf, warum es sinnvoll sein kann, von Wirkungsmechanismen wie dem „Stereotype Threat“ (ST) auszugehen, um Bildungsungleichheiten von SchülerInnen mit Migrationshintergund zu erklären. Im dritten Kapitel werden verschiedene Ansätze hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen, Bildungsungleichheiten von SchülerInnen mit Migrationshintergrund zu erklären, untersucht. Ziel dieses Kapitels ist es grundlegende Erkenntnisse und Reichweiten der verschiedenen Theorien herauszuschälen. Die folgenden Kapitel stellen den ST Ansatz von Steele und Aronson vor und erläutern den Untersuchungsaufbau für das deutsche Sample. Die Auswertung der Untersuchung zeigt, dass HauptschülerInnen mit türkischem Migrationshintergrund in der ST- Situation nicht nur schlechter abschneiden als Vergleichsgruppen, sie neigen auch eher als Vergleichsgruppen dazu, sich der Testsituation zu entziehen.
Im Zusammenhang mit in der Arbeit ebenfalls untersuchten Äußerungen von Sozialpädagogikstudenten zu Angehörigen verschiedener Ethnien, kommt die Arbeit zu dem Schluss, dass eine vertiefte und sorgsam wiederholte Replikation der Ergebnisse vielversprechend erscheint. Denn eine Perspektive die ethnische Zugehörigkeit zusammen mit sozialpsychologischen Wirkungsmechanismen als Ursache von ethnischen Bildungsungleichheiten betrachtet, könnte die beobachteten Bildungspositionierungen und Leistungsergebnisse von SchülerInnen mit Migrationshintergrund, besser erklären und damit zu einem tieferen Verständnis dieses lang existierenden Problems beitragen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Migration und Bildung
2.1. Migration und ethnische Gruppen
2.1.2 Ethnie, Ethnizität, Identität
2.1.3. Assimilation
2.1.4 Zusammenfassung.
2.2. Bildungsungleichheiten von SchülerInnen mit Migrationshintergrund
2.2.1. Bildung und Sozialisation
2.2.2. Soziale Ungleichheit
2.2.3. Bildungsungleichheiten von MigrantInnen
2.2.4. Zusammenfassung
3. Ansätze zur Erklärung von Bildungsungleichheiten der Kinder mit Migrationshintergrund.
3.1. Mangelnde kulturelle Passung zum Bildungssystem
3.1.1.Soziabilisierung, Enkulturation und Akkulturation
3.1.2.Sozialisation und Bildungsproblematik von SchülerInnenn mit Migrationshintergrund
3.1.3 Kritik
3.2. Humankapitaltheoretischer Erklärungsansatz
3.2.1. Ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital: Kapitalsorten
3.2.2. Human- und inkorporiertes kulturelles Kapital
3.2.3 Humankapital und Bildungspositionierung von Kindern mit Migrationshintergrund
3.2.4 Kritik
3.3. Institutionelle Diskriminierung
3.3.1. Institutionen und Organisationen
3.3.2.Legitimation und Isomorphie
3.3.3 Organisationen als lose „gekoppelte Systeme“
3.3.4. Institutionelle Diskriminierung
3.3.5. Institutionelle Diskriminierung und Bildungspositionierung von SchülerInnen mit Migrationshintergrund
3.3.6. Kritik
3.4. Zwischenfazit
4. Die Erklärung von Bildungsungleichheiten von Schül-erInnen mit Migrationshintergrund durch Stereotype Threat.
4.1. Stereotype und Vorurteile
4.2. Soziale Kategorisierung, Fremdgruppe und Eigengruppe
4.3. Stereotype Threat
4.4. Stereotype Threat und Bildungsungleichheiten von SchülerInnenInnen mit Migrationshintergrund
5. Replikation der Studien von Steele und Aronson (1995) für ein deutsches Sample
5.1. Methode
5.1.1. Untersuchungsdesign
5.1.2. Stereotypaktivierung
5.1.3.Stereotype Threat Messung
5.1.4. Messung der Richtung verschiedener Stereotype
5.2. Ergebnisse
5.2.1. Testergebnisse und Stereotype Threat
5.2.2. Richtung der Stereotype
Literatur
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Bildungsverlauf anhand der Sozialisation oder mangelnder Ausstattung mit Kontext relevanten Kapitalien
Abbildung 2 Bildungsverlauf durch organisationale Mechanismen
Abbildung 3 Gruppenmittelwerte der Gesamttestleistung der TeilnehmerInnen verschiedener Herkunft unter der Bedingung: Stereotyp aktiviert und Stereotyp nicht aktiviert
Abbildung 4 Graphische Darstellung der mittleren Häufigkeit genannter positiver, negativer und neutraler Wörter für die Kategorien griechische, türkische und deutsche Jugendliche
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 Gruppenmittelwerte der Gesamttestleistung der TeilnehmerInnen verschiedener Herkunft unter der Bedingung: Stereotyp aktiviert und Stereotyp nicht aktiviert
Tabelle 2 Mittlere Häufigkeit genannter positiver, negativer und neutraler Wörter für die Kategorien griechische und türkische Jugendliche
1. Einleitung
In der Rede der Integrationsbeauftragten des Bundes Maria Böhmer heißt es am 08.10.2010 im Bundestag: “Das zentrale Ergebnis des Lageberichts ist: Die Integration in Deutschland gewinnt an Fahrt, aber wir müssen noch an Tempo und Intensität zulegen! Fortschritte sind bei Sprache, Bildung und Ausbildung zu verzeichnen. Das Bildungsniveau der jungen Migranten hat sich von 2005 bis 2008 erhöht. Ein großer Teil der jungen Migranten besucht zwar noch die Hauptschule. Aber immer mehr Migranten erreichen auch einen mittleren Schulabschluss oder das Abitur. Alarmierend ist nach wie vor die hohe Zahl der Schulabbrecher: 13 Prozent im Vergleich zu 7 Prozent bei den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Das ist weit entfernt von der Zusage der Länder im Nationalen Integrationsplan, bis 2012 die Quote deutlich zu senken. Hier sind die Länder gefordert. Wenn individuelle Förderung in den Schulen gelingen soll, brauchen wir mehr Lehrkräfte, mehr Schulsozialarbeiter und mehr Zeit – das heißt mehr Ganztagsschulen.“
Wenn seit PISA (2000), SchülerInnen aus Migrantenfamilien nur geringfügig in der Lage sind, sich besser im deutschen Bildungssystem zu positionieren und die Schulabbruchsquoten relativ gleich geblieben sind, sind dann vorhandene Erklärungsansätze in der Lage die unterschiedlichen Bildungspositionierungen der SchülerInnen mit Migrationshintergrund hinreichend zu erklären? Sind damit einhergehende Vorstellungen kompensatorischer Pädagogik geeignete Formen diesen Bildungsverschiedenheiten zu begegnen? Bietet vielleicht Stereotype Threat einen besseren Ansatz, Bildungsungleichheiten von SchülerInnen mit Migrationshintergrund zu erklären?
Diese Fragen sollen im folgendem geklärt werden. Dazu wird in einem ersten Schritt operationalisiert, was unter dem Begriff Migranten und Ethnie zu verstehen ist. Weiter wird dargestellt welche Mechanismen im Zusammenleben zwischen Majorität und Minorität und welche Vorstellungen dieses Zusammenlebens existieren. Hiernach wird geklärt was unter dem Begriff Bildung zu verstehen ist und wie sich die Bildungspositionierungen der SchülerInnen mit Migrationshintergrund aktuell darstellt.
Das dritte Kapitel wird ein Ausblick auf den aktuellen Diskurs zu diesem Thema geben. Hier soll untersucht werden, ob existierende Erklärungsansätze in der Lage sind, bestehende Bildungsungleichheiten der Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund zu erklären. Dazu werden exemplarisch drei sehr verschiedene Perspektiven untersucht, die die Problemlagen der Kinder mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem aus sehr verschiedenen Blickwinkeln betrachten.
Im Kapitel vier soll geklärt werden, ob sich der Ansatz Stereotyp Threat, besser als die hier untersuchten Theorien, dazu eignet die Bildungsungleichheiten der SchülerInnen mit Migrationshintergrund zu erklären. Dies ist dann der Fall, wenn mit dieser Perspektive offen gebliebene Fragen beantwortet werden können und sich die bereits existierenden Ergebnisse in die Theorie einordnen lassen. Dazu wird das Phänomen „Stereotype Threat“ erläutert. Weiter wird an dieser Stelle versucht ein Modell zu skizzieren, das Kernbefunde der vorher erläuterten Modelle aufnimmt und in ein Modell, das den Mechanismen der Institutionen und die Bedingungen der MigrantInnen gleichermaßen berücksichtigt, überträgt.
So soll im fünften Kapitel eine Replikation der Studien von Steele und Aronson erfolgen. Hier soll untersucht werden, ob Stereotype Threat auch bei SchülerInnen mit türkischem Migrationshintergrund zu finden ist. Die Untersuchung ist explorativer Natur und versucht eine Replikation der Studien von Steele und Aronson(1995) für ein deutsches Sample. Hier wird der Versuchsaufbau erläutert und Anpassungen am Untersuchungsdesign erklärt. Nachfolgend werden die Ergebnisse deskriptiv und analytisch dargestellt. Mit dem Experiment soll untersucht werden, ob SchülerInnen mit türkischem Migrationshintergrund weniger leistungsfähig sind wenn, eine Situation so wirkt, als ob die ethnische Zugehörigkeit bei der Leistungsbewertung eine Rolle spielt. Ist dies der Fall, könnte sich Stereotype Threat zur Erklärung der Bildungsungleichheiten von SchülerInnen mit Migrationshintergrund eignen.
In Kapitel sechs werden die Ergebnisse der Studie noch einmal zusammengefasst. Darüber hinaus soll bewertet werden, ob sich kompensatorische pädagogische Maßnahmen eignen, den Defiziten von SchülerInnen mit Migrationshintergrund zu begegnen und wie ein weiteres Vorgehen der Forschung in der Stereotype Threat Perspektive verlaufen könnte.
2. Migration und Bildung
2.1. Migration und ethnische Gruppen
Wanderungen von Menschengruppen sind keine neuen oder postindustriellen Erscheinungen, sie sind Bestandteil jeder Kultur zu jeder Zeit auf der Welt. Nur Ursachen und Form der Wanderungen sind in heutigen Zeiten andere als zur Zeit der Völkerwanderung, weshalb es wichtig ist darzustellen, was heute unter dem Begriff Migration verstanden wird.
2.1.1.Migration
In der deutschen Literatur wird, wie in der englischen, auf das Wort Migration zurückgegriffen, um einen Prozess zu fassen, zu dem es keine einheitliche Definition gibt (Oswald, 2005: S.13). Allen Klärungsversuchen, die sich mit der Eingrenzung und Definition des Prozesses „Migration“ beschäftigen, liegt jedoch eines zu Grunde, Migration bedeutet zunächst einmal ein dauerhafter Wohnortwechsel (Han, 2005:7; Oswald, 2007: S.13, Bundesministerium des Inneren, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2007: S.14). Zudem versteht Oswald darunter, eine mit dem Wohnortswechsel einhergehende Verlegung des Lebensmittelpunktes, also eine „Veränderung des sozialen Beziehungsgeflechts“ und „Grenzerfahrungen“ (Oswald, 2007: S.13 f.). Sie beschreibt fünf Bereiche mit mehreren Elementen, die einen Lebensmittelpunkt konstituieren: Wohnung, Familie, Arbeit/ Einkommen, soziales Netz, kulturelle und politische Orientierung (Oswald, 2007: S.15). Migration geht einher mit einer Änderung von diversen Elementen in diesen fünf Bereichen.
Die Ursachen der Migration sind unterschiedlicher Natur, so können bei der Wanderung/ Wanderungsentscheidung „Push“ und „Pull“ Faktoren eine Rolle spielen. „Dies meint am Beispiel der Arbeitsmigration, daß[!] die Aussicht, Arbeit und Einkommen zu finden, ein Pull-Faktor ist,…“(Korte, Schäfers, 1997: S. 89). Pull-Faktoren für Migration sind als Sogfaktoren, als Ursachen die den Migrationsstrom anziehen, zu verstehen (Han, 2005: S. 15). Während Push-Faktoren „… unzureichende Lebensbedingungen der Heimatregion…“(Korte, Schäfers, 1997: S.89) wären, nach Han Druckfaktoren die den Migrationsstrom in eine bestimmte Richtung drücken. Unter Migrationsstrom ist eine gerichtete Wanderung von einem Auswanderungs-, hin zu einem Einwanderungsort zu verstehen (Han, 2005: S.10). Migration kann jedoch auch durch andere Ursachen entstehen, wie zum Beispiel auf Grund von Kettenmigration. Bei dieser Art der Migration ermöglichen ErstmigrantInnen/ PioniermigrantInnen ihren Familienangehörigen oder Bekannten die Nachreise ins Aufnahmeland (Han, 2005: S.12). Die nachkommenden MigrantInnen werden mit Informationen und Hilfen bedacht, so dass hemmende Faktoren die bei der Verlegung des Lebensmittelpunktes abschreckend wirken könnten, reduziert werden.
Nach Han und dem Migrationsbericht des Bundesministeriums für Inneres, wird Migration weiter unterschieden in Binnenmigration (die Verlegung des Lebensmittelpunktes innerhalb nationalstaatlicher Grenzen) und Internationaler Migration - die Verlegung des Lebensmittelpunktes über nationalstaatliche Grenzen hinaus (Han, 2005: S. 9; Bundesministerium des Inneren, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2007: S.14). Menschen und Gruppen die innerhalb von Staaten wandern, stehen vor anderen Problemen und Ausgangssituationen, als MigrantInnen die ihren Wohnort und den Schwerpunkt sozialer Beziehungen über Staatsgrenzen hinaus verlegen. Internationale MigrantInnen besitzen beispielsweise einen anderen Rechtsstatus als Autochthone. Humankapital das im Herkunftsland akkumuliert wurde, erfährt im Zielland eine vollständige oder Teilentwertung oder MigrantInnen haben auf Grund der Sozialisation im Ursprungsland, im Empfängersystem Probleme mit dem Umgang vorhandener Strukturen, Werten und Normen und haben häufig mit Diskriminierung zu kämpfen.
BinnenmigrantInnen sind in der Regel von weniger weitreichenden Änderungen betroffen. Sie erhalten leichter Zugang zu interessanten Gütern als internationale MigrantInnen, da sie ihren Lebensmittelpunkt innerhalb nationalstaatlicher Grenzen verlegen. Darum sind sie weniger von dem oben skizzierten Problemgefüge betroffen Die Veränderungen die mit der Migration einhergehen sind jedoch für Angehörige unterschiedlichen Migrationshintergrundes verschieden. Der nächste Abschnitt betrachtet daher, warum Menschen unterschiedlichen Ethnien gehören.
2.1.2 Ethnie, Ethnizität, Identität
Wie sehr sich Binnenmigration und internationale Migration in den Ausgangslagen und Problemsituationen voneinander unterscheiden, lässt sich anhand der Eingrenzung der Begriffe Ethnie, Ethnizität und ethnische Identität illustrieren. Weiter lassen sich in diesem Kontext, die im letzten Kapitel getroffenen Aussagen näher betrachten.
Ethnische Gruppen sind nach Barth Kategorien, die durch Selbst- und Fremdzuschreibung entstehen und dazu dienen, Interaktionen zwischen Menschen zu organisieren (1969:S.10). Die traditionelle Definition von ethnischen Gruppen jedoch orientiert sich an vier Punkten und folgt der Proposition, dass Rasse einer Kultur entspricht und damit einer Sprache und Gesellschaft. Diese Einheit kann so zurückweisen und zurückgewiesen werden, aber auch diskriminieren oder diskriminiert werden. So verstandene ethnische Gruppen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich zum ersten biologisch selbst erhalten und zum zweiten fundamental gleiche kulturelle Werte teilen. Diese (drittens) gemeinsamen kulturellen Werte, eröffnen ein gemeinsames Feld der Kommunikation und Interaktion und machen viertens über Mitgliedschaften den einzelnen Akteur, für die eigene und andere ethnische Gruppen identifizierbar (Barth, 1969: 10f).
Da davon ausgegangen wird, dass sich diese Gruppen biologisch selbst generieren und so auch die kulturelle Basis, die sie teilen (gemeinsame Geschichte, Sprache, Religion, etc.), sind die Ursachen der Probleme von aufeinander treffenden ethnischen Populationen in ihrer kulturellen Unterschiedlichkeit zu finden. Die Frage nach der Art und Weise, wie sich Gesellschaften und Gruppen organisieren, um kommunikations- und interaktionsfähig zu bleiben, ist eine nachrangige, da dies kulturell festgeschrieben ist. Dies erklärt jedoch nicht, warum Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen einmal mehr und einmal weniger von Bedeutung ist.
Angehörige einer Mehrheitsgesellschaft müssen im Alltag nicht reflektieren welcher Ethnie sie angehören, da es für sie keinen Grund gibt dies zu tun. Mitgliedschaften in Nationalstaaten sind an die Staatsbürgerschaft gebunden. Nationalstaat ist hierbei die Einheit, an die die Sprache der Staatsbürger, Staatsbürgerschaft, Gemeinschaft und Teilhabe geknüpft ist (Riley, 1992: S. 180f.). Wer Mitglied des deutschen Nationalstaats ist, ist im Grundgesetz Artikel 116 beschrieben. Die oben genannten Regelungen gelten für alle Staatsbürger innerhalb der Grenzen des Nationalstaates, und da sie die Teilhabe regulieren, müssen Staatsbürger nicht wissen wer dazu gehört. Sie sind vielmehr bestrebt zu wissen, wer kein Mitglied des Nationalstaates ist und an den Rechten und Pflichten nicht partizipieren darf, um die Verteilung von zur Verfügung stehenden Ressourcen unter Zugangsberechtigten zu organisieren. Akteure der Mehrheitsgesellschaft, die ihren Lebensmittelpunkt innerhalb der Grenzen ihres Nationalstaates verlegen, sind nicht von einer Änderung ihres Rechtsstatus betroffen, da sie den Geltungsbereich ihrer Staatsbürgerschaft nicht verlassen. Sie haben trotz Migration einen Anspruch auf Zugang zu wertvollen Gütern, die durch die Institutionen des Nationalstaates verwaltet und angeboten werden. Kinder internationaler MigrantInnen können jedoch die Staatsbürgerschaft des Aufnahmelandes erhalten. Dadurch gehören sie formal nicht mehr den Gruppen an, die von den Rechten und Pflichten im Nationalstaat ausgeschlossen sind. Zur Identifizierung der Gruppen die exkludiert werden können, konstruieren Akteure einer Mehrheitsgesellschaft deshalb Ethnien.
Dass im Aufnahmeland nicht allein an der Staatsbürgerschaft festgemacht wird, wer die dazugehörigen Privilegien genießen darf und wer nicht, und dass Ethnie konstruiert und nichts Biologisches ist, sollen folgende Beispiele illustrieren: Einige Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft werden trotz Staatsbürgerschaft nicht als gleich betrachtet. Juden zum Beispiel leben seit Generationen in Deutschland, teilen mit der Mehrheitsgesellschaft fundamentale kulturelle Werte und werden dennoch mitunter als Juden wahrgenommen. Ebenso werden Schwarze, obwohl sie keinerlei Kontakt zu anderen Schwarzen besitzen, ihre Sozialisation und Lebensgestaltung im vollem Umfang unter Weißen stattgefunden hat, noch als Zugehörige schwarzer Ethnien wahrgenommen und so behandelt (Weiß, 2001: S. 91). Aussiedler in Deutschland, werden im Aufnahmeland als Gruppe der russischen oder polnischen (… etc.) Ethnie wahrgenommen und im Herkunftsland als Zugehörige der deutschen Ethnie.
Schon George Orwell hat 1945 in seinem Werk „Animal Farm“ festgestellt: „ Alle … sind gleich, aber einige sind gleicher“(Orwell, 1945). So lassen diese Beispiele vermuten, dass die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe weitaus mehr ist, als die biologische Ähnlichkeit und der Zugang zu einer gemeinsamen kulturellen Basis. Die Zuordnung einzelner Akteure und Gruppen zu einer Ethnie ist vielmehr das Ergebnis eines konstruierenden Prozesses (Barth 1969: S. 14 ff), die Ethnizität.
Geht man wie Barth davon aus, dass nicht das Biologische und Kulturelle, Ethnien und damit die Zugehörigkeit determinieren, sondern dass der ausschlaggebende Grund, warum dieser Bund entsteht und zusammen hält, die Bestimmung von Mitgliedschaft ist und die damit verbundenen Rechte auf Status und Sicherheit in den Gruppen, sowie die Behinderung anderer Gruppen am Zugang zu wertvollen Ressourcen, so ergibt sich eine ganz andere Sicht auf dieses Phänomen und seine Persistenz. Die daraus resultierende Definition der ethnischen Gruppe, müsste also folgendermaßen lauten:
1. Die ethnische Gruppe bietet eine Mitgliedschaft, anhand derer sich Akteure identifizieren und identifiziert werden können. Die Mitgliedschaft ist die ethnische Identität und diese „… implies a series of constraints on the Kinds of roles an individual is allowed to play, and the partners he may choose for different kinds of transactions. In other words, regarded as a status, ethnic identity is superordinate to most other statuses, and defines the permissible constellations of statuses, or social personalities, which an individual with that identity may assume”( Barth, 1969: S. 16).
2. Diese gegenseitige Zuordnung, erfolgt durch ein Bekenntnis zu gemeinsamen kulturellen Werten. Diese kulturellen Werte entsprechen jedoch nicht unbedingt objektiven Unterschieden, vielmehr entsprechen sie Basiswerten, Faktoren die Mitglieder ethnischer Gruppen, als für sie relevant empfinden. So können sich diese grundlegenden gemeinsamen Werte im Laufe der Zeit auch ändern. „… cultural features are used by actors as signals and emblems of differences, others are ignored, and in some relationships radical differences are played down and denied.” (Barth, 1969: S.14)
3. Die Dichotomisierung[i] von Mitgliedschaften zu einem ethnischen Bund, aufgrund des Bekenntnisses zu gemeinsamen Werten, ermöglicht die Strukturierung von Interaktion und Kommunikation in sozialen Systemen. „… ethnic categories provide an organizational vessel that may be given varying amounts and forms of content in different socio-cultural systems. They may be of great relevance to behavior, but they need not be;…”( Barth, 1969:S. 14)
Während Barth annimmt, dass Akteure einer Gesellschaft sich selbst einer Ethnie zuschreiben, in dem sie sich zu als relevant empfundenen Basiswerten bekennen, gehen andere Autoren davon aus, dass die Zugehörigkeit zu einer Ethnie durch Machtbeziehungen bestimmt ist. Heckmann argumentiert zum Beispiel, dass die Zugehörigkeit zu einem ethnischen Bund erst dann für die Organisation sozialer Bindungen notwendig wird, wenn diese sich in einem nationalstaatlichen Interaktionsraum konstituieren. „Während der Territorialstaat tendenziell gleichgültig gegenüber der ethnischen Zugehörigkeit seiner Bevölkerung war und seine Einheit durch die Institutionen des Monarchen ideologisch absicherte, erstrebt der Nationalstaat die Übereinstimmung von staatlicher Organisation und ethnischer Zugehörigkeit seiner Bevölkerung.“(Heckmann, 1992: S. 60). Erst die Bildung von Nationalstaaten machte die soziale Organisation von Kommunikation und Interaktion durch Bildung ethnischer Einheiten nötig und möglich. Wie Wimmer schreibt: „The elite of a newly established national state may promote the aggregation of different ethnic groups into one national family in order to give legitimacy to their project of state centralization and administrative control over the population. Individuals of varying ethnic background may find this vision acceptable and thus slowly identify as members of the nation, overshadowing existing ethnic boundaries, because it allows them to claim equal treatment before the law where access to justice previously depended on one’s social status and wealth;…”(2005: S. 62). Die Inklusionsfähigkeit von Nationalstaaten kann sich jedoch im Zeitverlauf durch die Änderung der politischen Ausrichtung eines Staates, durch Eroberung, als Folge einer Wirtschaftskrise etc. ändern. Benötigt ein Nationalstaat einen Modus, um geringe Ressourcen auf die in ihm lebende Bevölkerung zu verteilen, passt er die Bedingungen der Mitgliedschaft zu relevanten ethnischen Gruppe an. Im Kontext knapper Ressourcen und dem so erschwerten Zugang für bestimmte Teile der Bevölkerung, kommt es zu einer Rückbesinnung auf gemeinsame Wurzeln (Wimmer, 2005: S. 64). Rassenzugehörigkeiten werden wichtiger und Mitgliedschaft sichert den Zugang zu vorhandenen Ressourcen. So geschieht die Grenzziehung zwischen Ethnien durch einen Prozess, in dem Abgrenzende und Abgegrenzte im gleichen Maße beteiligt sind.
Grenzziehungen zwischen Rassen innerhalb eines Nationalstaates erfolgen dann, wenn es einen geringen Konsens über gemeinsame Werte gibt und die Macht des Nationalstaates[ii] nicht ausreicht dies zu kompensieren (Wimmer, 2005: S. 68). Dies führt zur Bildung ethnischer Minderheiten, die beim Zugang zu wertvollen Gütern diskriminiert werden können (Heckmann, 1992: S. 729). Ethnie, Ethnizität und die Identifizierung mit den Gruppen, sind im Hinblick auf die Möglichkeiten eines Zusammenlebens unterschiedlicher Rassen in einem Nationalstaat, gerade weil Ethnie ein übergeordneter Status askriptiven Typs ist, bei der Betrachtung ungleicher Verteilungen von wertvollen Gütern enorm wichtig und können einen Beitrag leisten, Ursachen sozialer Ungleichheit von MigrantInnen zu erklären.
2.1.3. Assimilation
Aus unterschiedlichsten Beweggründen verlassen Menschen ihre Heimat, um sich an einem neuen Ort niederzulassen. In Deutschland wurde im Zeitraum von 1991 bis 2007 ein Zuzug von etwa 16,5 Millionen Menschen aus dem Ausland registriert. Im gleichen Zeitraum bei einem Fortzug von circa 12,3 Millionen Menschen aus Deutschland in das Ausland, ergibt sich ein insgesamt Wanderungssaldo von 4,2 Millionen (Bundesministerium des Inneren, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2007: S.15). Über 17 Jahre hinweg sind mehr Menschen nach Deutschland eingewandert als ausgewandert, dieser Trend wurde in keinem Jahr seit 1991 gebrochen. Die Zahl der Zuzüge ist jedoch seit 1992 rückläufig und hatte 2006 ihren Tiefstand mit 661.885 Zuzügen erreicht (Bundesministerium des Inneren, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2007: S.16). Die Anzahl der Einwanderungen stieg von 2006 bis 2007 mit circa 20.000 Zuzügen nur leicht wieder an. Zuzüge wie in den frühen neunziger Jahren, mit Spitzenwerten von rund 1,4 Millionen Einwanderern wie zuletzt 1992, sind heute nicht mehr zu finden. Wurden in der ersten Hälfte der neunziger Jahre wesentlich mehr Zu- als Fortzüge registriert, so ist seit 1997 eine stetige Angleichung zu beobachten. „Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer aller in Deutschland Ende 2007 aufhältigen Ausländer betrug 17,7 Jahre….“ (Bundesministerium des Inneren, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: S. 182).
In einer globaler werdenden Welt, in der immer mehr transnationale Organisationen agieren, wird der Ort an dem sich das Individuum aufhält, relativiert (vgl. Albrow, 1998). Durch die Technisierung, die Umsetzung wissenschaftlichen Fortschritts in Technik, relativieren sich Entfernungen. Die Welt wird zu einem globalen Dorf (vgl. McLuhan, 1997) und die Mobilität der einzelnen Akteure wird immer bedeutungsvoller. Unter diesen Vorzeichen, ist die Erkenntnis wie Menschen trotzdem sie ihren Lebensmittelpunkt verlegen immer noch gleichberechtigt Zugang zu wertvollen Ressourcen erhalten und soziale Beziehungen organisiert werden können, enorm wichtig. Im Folgenden wird deshalb, der Gedanke der Assimilation und die damit einhergehenden verschiedenen Modelle betrachtet.
Frühe Assimilationsmodelle gehen von unterschiedlichen Faktoren bei der Assimilation aus, hierarchisch organisierte Faktoren, bei denen harte (Zugang zu ökonomisch Ressourcen zum Beispiel) wesentlich ausschlaggebender beim Zusammenwachsen von Mehr- und Minderheitsgesellschaften sind, als sogenannte weiche Faktoren (religiöse, kulturelle Gemeinsamkeiten). MigrantInnen orientieren sich eher an ökonomischen Ressourcen, die ihnen die Gestaltung des eigenen Lebens ermöglichen, dadurch sind weiche Faktoren weniger relevant.
Das erste Assimilationsmodell geht auf die Assimilationsstudien der „Chicago School“(Oswald, 2007: S. 94) zurück. Assimilation von lat. assimulatio bedeutet Gleichstellung, hier Angleichung oder Ähnlichmachung. In der Ethnologie- und Politiksoziologischen Literatur, steht der Begriff für den Prozess der Angeleichung einer Minderheit an eine Mehrheitsgesellschaft (Hillmann, 2007: S.53). Den Ergebnissen dieser Studien zufolge, kann sich eine erste Zuwanderergeneration nur akkommodieren, also anpassen (Oswald, 2007: S. 94). „ Die zweite Generation muss den unvermeidlichen Konflikt zwischen Herkunfts- und Zielkultur aushalten, da sie sowohl den Werteerwartungen der Eltern als auch denen der neuen Gesellschaft, insbesondere in der Schule und in der Nachbarschaft, entsprechen soll. Erst in der dritten Generation kann dieser allmähliche Akkulturationsprozess mit der Assimilation an die Aufnahmegesellschaft enden.“ (Oswald, 2007: S. 94). Dieser Prozess des race-relation-cycle war somit der Unterbau für die damalige amerikanische Vorstellung des melting pot, eines Schmelztiegel der Kulturen , in dem kulturelle Unterschiede über Generationen hinweg in die Mehrheitsgesellschaft eingeschmolzen werden würden. Dies war eine neue versöhnlichere Vorstellung des sozialen Miteinanders von Mehrheits- und Minderheitsgesellschaften und stand gegen die Überzeugung einer Überlegenheit der Kernkultur (core culture) oder dem Prinzip der anglo-conformity (Oswald, 2007: S. 94). Im Laufe der folgenden Jahre wurden immer nuancenreichere Assimilationsmodelle entworfen, jedoch ist die Idee der Einebnung kultureller und ethnischer Unterschiede im vollen Umfang, nicht haltbar. Diese Modelle sind heute empirisch wiederlegt. Zum Beispiel durch dauerhaft auftretende Segregation und Nationalstaaten, in denen das Zusammenleben, das Miteinander unterschiedlicher Kulturen friedlich stattfindet. Weiter findet überall auf der Welt eine Wiederauferstehung der Ethnizität statt, dies spricht ebenfalls gegen ein traditionelles Assimilationsmodell und die damit einhergehende Vorstellung des meltin-pot (Oswald, 2007: S. 95 f.).
Neuere Assimilationsmodelle gehen von angleichenden Prozessen in unterschiedliche Richtungen aus. Sie versuchen dem wieder Erstarken der Ethnien Rechnung zu tragen in dem sie annehmen, dass Assimilation in unterschiedliche Richtungen verlaufen kann und letzten Endes die Angleichung an eine von mehreren Gruppen eines Systems bedeutet. Zhou spricht hier von segmentierter Assimilation: „…,this theory places the process of becoming American, in terms of both acculturation and economic adaption, in the context of a society consisting of segregated and unequal segments and considers this process to be characterized by at least three possible multidirectional patterns: time-honored upward mobility pattern dictating acculturation and economic integration into normative structures of middle-class America; the downward mobility pattern, in the opposite direction, dictating acculturation and parallel integration into the underclass; and economic integration into middle-class America with lagged acculturation and deliberate preservation of the immigrant community’s values and solidarity” (Zhou, 1999: S. 201).
Sie unterscheidet zwischen zwei Faktoren, die die Richtung der Assimilation beeinflussen. Zum einen den individuellen Faktor, dieser beinhaltet Elemente wie Bildung, Sprachfertigkeiten, Aufenthaltsdauer, etc. Zum anderen Kontext oder strukturelle Faktoren wie zum Beispiel: Rassenzugehörigkeit, sozioökonomischer Hintergrund der Familie, etc.( Zhou, 1999: S. 201). Diese Faktoren zeigen den Akteuren Assimilationsmöglichkeiten auf, Wege um sich an existierende Gruppierungen in einer Gesellschaft anzugleichen. Je nach Ausgangslage sind einige Möglichkeiten für die Individuen einfacher zu realisieren als andere. „ If a socially defined racial minority group wishes to assimilate but finds that the normal paths of integration are blocked on the basis of race, the group may be forced to pursue alternative survival strategies that enable them to cope psychologically with racial barriers but do not necessarily encourage school success.” (Zhou, 1999:S 206).
Problematisch ist in der Konzeption der segmentierten Assimilation die Annahme, dass die angebotenen Möglichkeiten der Eingliederung nicht nur in eine konstruierte ethnisch Gruppe stattfindet, sondern in eine Gruppe die weiter durch Zugehörigkeit unterschiedlicher Klassen oder Schichten geteilt ist. Diese Betrachtungsweise verstellt sich die Perspektive, dass die Ursachen segmentierter Assimilation Ergebnis unterschiedlicher Offerten erfolgreicher vertikaler Statusmobilität sein kann. Eine Angleichung an eine ethnische Minderheit muss nicht unbedingt mit einer Abwärtsmobilität, einer Mobilität in eine niedere Klasse oder Schicht, zusammen hängen. Zhou stellt fest, dass Ethnien unterschiedliche Klassen/ Schichtsegmente aufweisen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es wahrscheinlich, dass Assimilation in eine ethnische Minderheit (hoher Grad an Identifizierung, Übernahme relevanter Werte und Normen) deswegen erfolgt, weil diese Minderheiten den Akteuren höhere Chancen erfolgreicher Statusmobilität offerieren als die Aufnahmegesellschaft.
Dass MigrantInnen nicht unbedingt in einzelne Schichten ethnischer Minderheiten assimilieren, haben Waldinger und Feliciano 2003 herausgestellt: Kernpunkte einer Unterschicht oder niederen Klasse sind hohe Armut und niedrige Beschäftigungsquoten. Die Autoren konnten jedoch feststellen, dass Mexikanerinnen relativ arm sind, die Beschäftigungsquote jedoch enorm hoch ist. Werden nur die Einkommensverhältnisse und Beschäftigungsquoten männlicher MigrantInnen betrachtet, können die ursprünglichen Thesen von Zhou aufrecht erhalten werden. Sobald jedoch nach Geschlecht differenziert wird ist ersichtlich, dass mexikanische Frauen weitaus seltener von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind als weiße Frauen(S.26 f.). Dies spricht gegen die Assimilation in eine Unterschicht der MigrantInnen.
Die Relevanz der Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist jedoch nicht zu aller erst die Schichtzugehörigkeit sondern viel mehr, wie oben bereits ausgeführt, die Ethnie, weil diese ein superordinaler Status ist. Es ist davon auszugehen, dass in Gruppen ethnischer Minderheiten, ähnlich wie in den Aufnahmegesellschaften, soziale Hierarchiestrukturen existieren. MigrantInnen entscheiden sich für die Eingliederung in die Aufnahmegesellschaft oder die Minderheit aufgrund der Schwierigkeiten die ihnen begegnen, während sie versuchen, interessante Ressourcen zu akquirieren. Dieser Grad der Schwierigkeiten, bemisst sich anhand der Ausprägungen individueller und struktureller Faktoren. Der ethnische Raum, der Sicherheit und Status nicht auf Grund der zur Verfügung stehenden Ressourcen gewährt, sondern auf Grund der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe, kann unter bestimmten Vorrausetzungen, eher Chancen auf vertikale Mobilität innerhalb dieser Gruppe vermitteln als die Option der Eingliederung in die Mehrheitsgesellschaft. Bei der Wahl der Eingliederung in eine ethnische Gruppe geht es also nicht um die Wahl der Klasse/Schicht einer Ethnie, sondern um die Wahl unterschiedlicher Chancen auf erfolgreiche vertikale Statusmobilität, die keine Wahl ist, sondern eine durch die genannten Faktoren, vorstrukturierte Entscheidung. Die Frage die sich für MigrantInnen stellt ist nicht, ob sie sich in eine untere oder obere Klasse/Schicht eingliedern, sondern ob sie eher in der Lage sind, die soziale Hierarchie in der ethnischen Minderheit oder in der Mehrheitsgesellschaft zu überwinden. Damit rückt die Grenzziehung zwischen Ethnien in einem Nationalstaat in das Zentrum der Betrachtung.
Wie in Kapitel 2.1.2. bereits skizziert, sind an der Konstruktion ethnischer Zugehörigkeit mehr als nur die betroffenen ethnischen Gruppen beteiligt. Alba macht 2005, vier Felder aus in denen sich die Grenzen zwischen den Gruppen konstituieren und an Hand derer sich für ethnische Minderheiten relevante, wichtige Werte und Normen für die Identifizierung der Mitglieder der jeweiligen Gruppen konstituieren. Grundlegend ist das Feld der Staatsbürgerschaft zu nennen, hier wird eröffnet, wer kein Mitglied der Mehrheitsgesellschaft ist(S.29). MigrantInnen die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, benötigen ein anderes Refugium. Die Grenzziehung durch Staatsbürgerschaft eröffnet so nicht nur die nicht Zugehörigkeit ethnischer Minderheiten zur Aufnahmegesellschaft, sondern auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe der nicht gleich Berechtigten. Das zweite Feld das Alba skizziert ist das Feld der Religion. „The role of religiously drawn boundaries in western European societies appears paradoxical since, in many ways, their mainstream is overtly secular” (Alba, 2005: S.32). Obwohl die europäische Mehrheitsgesellschaft weniger religiös, sondern eher säkular orientiert ist, wählt sie zur Abgrenzung gegenüber Einwanderern christliche Werte, da sie diese in ihrer Historie verwurzelt sieht. So sind nun drei Gruppen voneinander unterschieden. Die Mehrheitsgesellschaft, die sich über Staatsbürgerschaft und in Europa über christliche Werte definiert. Sowie Nicht-Staatsbürger die sich über islamistische Werte definieren oder Nicht-Staatsbürger die säkulare/ christliche Werte zum konstituierenden Moment ethnischer Gruppen machen. Diese Gruppen differenzieren sich immer weiter, im Feld der Sprache und Rassenzugehörigkeit (erkennbare äußere Unterschiede) (Alba, 2005:S. 35 ff.).
Wie ist bei so ausdifferenzierten Gruppen ein Wechsel oder doppelte Mitgliedschaft möglich? Alba führt für Prozesse, in denen die Mitgliedschaft der Akteure organisiert wird, die Begriffe bright und blurred boundaries ein. „… boundaries are `bright´- the distinction involved is unambiguous, so that individuals know at all times which side of the boundary they are on. Others are `blurry´, involving zones of self-presentation and social presentation that allow for ambiguous location with respect to the boundary.” (Alba, 2005: S. 22). Je nach Ausprägung struktureller und individueller Faktoren wird die Mitgliedschaft zu einem ethnischen Bund relevant oder eben nicht. Sind diese Faktoren für den Akteur ungünstig ausgeprägt wirkt die Relevanz der Zugehörigkeit Bright. Die Zugehörigkeit zu diesem Bund ist für den Akteur enorm wichtig, da ihm eine andere Zugehörigkeit nicht den gleichen Raum an Sicherheit und Chancen bietet. Unter dem Aspekt der Ausprägung relevanter Faktoren und dem Grad der Grenzziehung zwischen den Ethnien, entscheiden sich Akteure in welche der existierenden Gruppen sie sich eingliedern wollen. Dabei ist es auch denkbar, dass es Gruppen gibt die aufgrund struktureller und individueller Faktoren, durch Minderheitsgruppen und Mehrheitsgesellschaft Grenzziehungsprozesse erfahren. Diese münden dann in Gruppen von Mischethnien zum Beispiel der Ethnie der Deutsch-Türken, Deutsch-Russen, etc..
2.1.4 Zusammenfassung.
Ethnizität findet im Diskurs über Bildungsungleichheiten von MigrantInnen derzeit wenig Beachtung, der Begriff der Ethnie ist in Ansätzen zu finden, die Bildungsungleichheiten mit mangelnder kultureller Passung erklären. Diese Ansätze gehen jedoch nicht von einem konstruktivistischen Ethnien Begriff aus und sind nicht in der Lage schlechte Bildungspositionierungen von MigrantInnen umfänglich zu erklären. Die Berücksichtigung von Ethnizität könnte schlechte Schulerfolge von Kindern mit Migrationshintergrund vielleicht besser erklären. Wenn SchülerInnen aus Migrantenfamilien regelmäßig Prozessen der Abgrenzung ausgesetzt sind und persönliche und strukturelle Faktoren nicht derart ausgeprägt sind, dass diese Abgrenzungsprozesse überwunden werden können, erfahren Akteure eine Aufwertung der Relevanz ethnischer Zugehörigkeit. Das Bedrohungsgefühl negativen Stereotypen in Leistungssituationen zu entsprechen könnte einen Mechanismus darstellen, der durch strukturelle und persönliche Faktoren überwunden werden muss. Sind die Ausprägungen der Rahmenbedingungen für die Akteure ungünstig, kann auf Grund der Wirkung von „Stereotype Threat“, die Relevanz der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit an Bedeutung gewinnen. Dies soll an der Bildungsungleichheit von MigrantInnen untersucht werden.
2.2. Bildungsungleichheiten von SchülerInnen mit Migrationshintergrund
Um einen Überblick über die tatsächliche Benachteiligung von SchülerInnen mit Migrationshintergrund zu erhalten ist es erforderlich, die aktuelle Situation der SchülerInnen hinsichtlich der Bildungspositionierung im deutschen Schulsystem, der tatsächlich erreichten Bildungsabschlüsse und Ergebnisse vorhandener Leistungsuntersuchungen näher zu betrachten. Im folgendem wird dargestellt was unter Bildung, Sozialisation und Ungleichheit zu verstehen ist. Anschließend werden aktuelle Befunde zur Bildungsungleichheit von SchülerInnen mit Migrationshintergrund betrachtet.
2.2.1. Bildung und Sozialisation
„Der Bildungsbegriff entstammt einem normativ-idealistischen Umfeld, das auch bei der heutigen Nutzung stets mitschwingt. Gleichzeitig ist Bildung in der modernen Gesellschaft eine Ressource Jenseits normativer Vorstellungen, was einen gebildeten Menschen ausmacht, gibt es einen bodenständigen Verwertungsprozess von Bildungsinhalten und Bildungszertifikaten, welcher für die moderne Gesellschaft konstitutiv ist.“ (Löw, 2006: S. 19). Wie Löw feststellt, haftet Bildung etwas normativ-idealistisches an, das sich an das griechische Konzept der Paideia anlehnt: Die Vollkommenheit von Leib und Seele (Löw, 2006: S.20). War früher Bildung die Fähigkeit, gesellschaftliche Geschehnisse kommentieren, mitreden zu können, sind Bildungsinhalte in heutigen Gesellschaften essentieller Natur. Essentiell, weil der Grad der Bildung eine Ressource darstellt, die verwertet und genutzt werden kann, um an andere interessante Ressourcen zu gelangen. Bildung bedeutet heute, akkumuliertes, für die Gesellschaft in der sich die Akteure befinden, relevantes Wissen und die Fähigkeit/ den Willen sich ändernde Bildungsinhalte immer neu anzueignen. Bildung und Sozialisation besitzen denselben Charakter, sie beschreiben die Entwicklung eines Akteures aus unterschiedlichen Perspektiven, meinen aber unterschiedliche Dimensionen und Praktiken der Aufnahme von Wissen und müssen so voneinander abgegrenzt werden.
„ Während über Bildung in aktiver Auseinandersetzung mit den Kulturgütern Reflexivität und Handlungsfähigkeit erzielt werden sollen, beschreibt Sozialisation den Vorgang der aktiven Aneignung der gesellschaftlichen Güter ebenso mit dem Effekt der Reflexivität und Handlungsfähigkeit.“( Löw, 2006: S. 23). Bildung bedeutet, dass sich Akteure aktiv mit Bildungsangeboten auseinander setzen durch die sie Reflexivität und Handlungsfähigkeit erlangen sollen. Relevante Bildungsangebote werden dabei durch kulturelle Rahmenbedingungen determiniert.
In unterschiedlichen Gesellschaften sind auf Grund unterschiedlicher kultureller Rahmenbedingungen andere Bildungsinhalte geeigneter; um im Akteur die gewünschte Reflexivität und Handlungsfähigkeit auszubilden. Entscheidend ist im Punkt Bildung die aktive Auseinandersetzung. Das Ergebnis der Sozialisation ist ähnlich, jedoch wird dieses Ergebnis durch einen passiven Vorgang erreicht. Sozialisation ist ein lebenslanger: “… Prozess, in dem das Soziale das menschliche Handeln formt.“ (Löw, 2006: S.22). Wie Löw weiter feststellt, ist Sozialisation ohne Bildung möglich, Bildung ohne Sozialisation jedoch nicht (Löw, 2006: S. 23).
2.2.2. Soziale Ungleichheit
Der Zugang zu wertvollen Ressourcen wie z.B. materiellen Wohlstand ist in postindustriellen Gesellschaften stark von Bildungszertifikaten abhängig. Gleichberechtigte Chancen vom Bildungsangebot zu profitieren, ist in diesen Gesellschaften immens wichtig, denn nur gute Bildungszertifikate, gute Bewertungen erbrachter Leistungen (zum Beispiel durch Noten oder Bescheinigungen über den Erwerb bestimmten Wissens), ermöglicht den Menschen in diesen Gesellschaften einen besseren Zugang zu anderen wertvollen Ressourcen wie größeren materiellen Wohlstand, Zugang zu mehr Macht und/ oder Prestige. Diese oben genannten wertvollen Güter sind nach Hadril (2005) und Solga, Berger und Powell (2008) die vier grundlegenden oder Basisdimensionen sozialer Ungleichheit. Ungleichheiten bei der Verteilung von Bildungszertifikaten oder Benachteiligungen bei Schulübergangsempfehlungen zum Besuch besser qualifizierender Bildungsinstitutionen bedeuten ungleiche Startchancen beim Zugang zu wertvollen Gütern. Bildung ist eine essentielle Dimension sozialer Ungleichheit die den Zugang zu Ressourcen anderer Basisdimensionen sozialer Ungleichheit prägt.
Soziale Ungleichheit ist die gewollte und/oder ungewollte regelmäßige Benachteiligung von Akteuren im Interaktionsgefüge von Menschen bei der Verteilung von in diesen Gefügen als wertvoll erachteten Ressourcen. (Vgl. Hadril, 2005; Solga, Berger und Powell, 2008; Beck, 2003). „“Soziale Ungleichheit“ [Hervorhebung i.O.] liegt dann vor, wenn Menschen aufgrund ihrer Stellung in sozialen Beziehungsgefügen von den „wertvollen Gütern“ [dto.] einer Gesellschaft regelmäßiger mehr als andere erhalten.“ (Hradil, 2005: S.30). Diese Ungleichheit impliziert ein besser-/ schlechter- oder ein höher-/tiefer- gestellt einiger Akteure gegenüber anderen. Gruppen die von der Verteilung der in diesen Gesellschaften als wertvoll erachteten Ressourcen weniger oder mehr profitieren als andere, sind beschrieben durch Determinanten sozialer Ungleichheit.
Als Determinanten gelten nach Hradil und Solga, Berger, Powell soziale Positionen von Menschen in Beziehungsgeflechten (Hradil, 2005:S. 34; Solga, Berger, Powell, 2008:S.16). Diese Merkmale können ascribed (zugeschrieben) oder achieved (durch Geburt erhalten) sein. Jedoch können beide Formen „… vom Einzelnen nicht oder kaum beeinflusst werden…“ (Solga, Berger, Powell, 2008:S.17). Ascribed-Merkmale sind zum Beispiel: Bildung, Beruf, Familienstand, während achieved-Merkmale zum Beispiel: Geschlecht, Herkunft –regional/ sozial- Alter etc. sind. Diese Determinanten sind Ansatzpunkte gesellschaftlicher Mechanismen und Prozesse zur Konstruktion sozialer Ungleichheiten in ihren unterschiedlichen Dimensionen.
Hradil schreibt 2005, dass hinsichtlich sozialer Ungleichheit zwei Strukturierungsarten zu unterscheiden sind. Zum einen, eine ungleiche Verteilung von wertvollen Gütern unter allen betroffenen Menschen (zum Beispiel: Verteilung des Erwerbseinkommens auf Grund unterschiedlicher Qualifikation). Zum anderen die „…Ungleichheit zwischen Gruppierungen, deren Zugehörigkeit vom einzelnen nicht beeinflusst werden kann.“ (Hradil, 2005: S.30).
Die Ungleichverteilung von Bildungsressourcen ist zugleich Determinante von Ungleichheiten beim Zugang zu anderen wertvollen Ressourcen, wie materieller Wohlstand, Macht oder Prestige und damit einhergehend, weiteren Dimensionen wie Arbeits-, Wohn-, Umweltbedingungen etc.. MigrantInnen in Deutschland sind hinsichtlich der meisten Ressourcenverteilungen in den unterschiedlichen Ungleichheitsdimensionen benachteiligt. Ebenso bei der wichtigsten Ressource postindustrieller Gesellschaften, der Bildung.
2.2.3. Bildungsungleichheiten von MigrantInnen
MigrantInnen im deutschen Bildungssystem sind unterschiedlich einzuordnen, so gibt es MigrantInnen erster Ordnung, die in einem anderen Land als Deutschland geboren wurden und dann hierher gewandert sind. Ebenso gibt es MigrantInnen 2. Ordnung, bei denen mindestens ein Elternteil im Ausland geboren wurde, die Kinder jedoch sind im Aufnahmeland geboren und haben ihre Sozialisation hier erfahren. Im folgendem soll umfänglich von SchülerInnen oder Kindern mit Migrationshintergrund gesprochen werden, unter diesem Begriff sind MigrantInnen erster und zweiter Ordnung subsummiert. (Diefenbach, 2008: S.20)
Die Bildungsbenachteiligungen von SchülerInnen mit Migrationshintergrund werden über verschiedene Indikatoren gemessen. Diefenbach gibt eine Übersicht über die Möglichkeiten der Erfassung von Bildungsungleichheiten. Insgesamt gibt es drei Ebenen auf denen sich diese Ungleichheit messen lassen kann:
1. Über Bildungsbeteiligung darunter sind weitere Elemente subsummiert. So geben schulformbezogene Anteilswerte Auskunft über die Verteilung dieser Gruppe in den unterschiedlichen Schulformen. Bildungsbeteiligungsquoten geben Auskunft über die Verteilung der Kinder mit Migrationshintergrund an den Schulformen im deutschen Bildungssystem. Ebenso ist durch den relativen Risiko-Index messbar, ob es für bestimmte Gruppen ein erhöhtes Risiko gibt eine bestimmte Schulform zu besuchen (Diefenbach, 2008: S. 14 f.)
2. Durch Schulleistungen, darunter sind die Elemente Schulnoten, Punktzahlen in Leistungstests und Grundschulempfehlungen subsummiert. (Diefenbach, 2008:S.16 f.)
3. Durch Bildungserfolge, diese werden durch formal erreichte Bildungsabschlüsse, Notendurchschnitt und Abschlussprüfungen gemessen (Diefenbach, 2008: S. 17f.).
Grundlagen der Messergerbnisse sind unterschiedliche Datensätze, zum einen die amtliche Statistik. Sie lässt einen wenig differenzierten Blick auf die Bildungssituation von SchülerInnen mit Migrationshintergrund zu. Dort wird zwar nach „deutsch“ und „nicht deutsch“ unterschieden, auch ist ein Blick auf die Nationalität der Ausländer möglich, jedoch ist ein Migrationshintergrund nicht erfasst. Eine umfängliche Darstellung der tatsächlichen Ist- Situation ist mit diesem Datensatz nicht möglich, ebenso fehlen sozioökonomische Informationen (Diefenbach, 2008: S. 23). Surveys sind Überblicksstudien (Hillmann, 2007: S. 876), sie befragen in regelmäßigen Abständen denselben Personenkreis und haben mit Panelmortalität zu kämpfen. Das bedeutet, dass über die Zeit hinweg immer weniger Befragte bereit sind an der Studie teilzunehmen. Hinzu kommt, dass beispielsweise im „Sozioökonomischen Panel“ ausländische Bevölkerungsgruppen überproportional erfasst sind. Jedoch geben Surveys detaillierter Auskunft über den sozioökonomischen Hintergrund von Kindern mit Migrationshintergrund (Diefenbach, 2008: S. 24ff). Für Schulleistungsmessungen eignen sich am besten Lernstanderhebungen wie PISA, TIMSS, IGLU. Hier werden speziell entwickelte Testinstrumente verwendet um die Leistungen der getesteten SchülerInnen zu erfassen und vergleichbar zu machen. In diesem Zusammenhang werden detaillierte Daten über den sozioökonomischen Hintergrund und der Herkunft der SchülerInnen erfasst und geben so Auskunft über den Leistungsstand unterschiedlicher Gruppen.
Das Konsortium Bildungsberichterstattung im Auftrag der Ständigen Konferenz der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gibt seit 2006 alle zwei Jahre einen Bildungsbericht heraus, der die oben vorgestellten Datensätze unter unterschiedlichen Fragestellungen hinsichtlich des deutschen Bildungssystems beschreibt und analysiert. So wird 2006 ein ganzes Kapitel der Darstellung von Bildungsungleichheiten von Kindern mit Migrationshintergrund gewidmet. Ergebnisse dieser Betrachtung sind folgende:
1. „Im Vergleich zu den deutschen ohne Migrationshintergrund weisen die MigrantInnen ein niedrigeres Bildungsniveau auf, sowohl bei den allgemeinen Schul- als auch bei den beruflichen Bildungsabschlüssen“ (2006: S.146). Weiter wird festgehalten, dass Ausländer über das niedrigste, insbesondere türkische MigrantInnen, sonstige Deutsche mit Migrationshintergrund über das höchste Bildungsniveau unter MigrantInnen verfügen. Die Aufenthaltsdauer im Aufnahmeland hat einen Einfluss auf den Bildungserfolg von MigrantInnen.
2.“Am Beispiel der Daten über Einschulungsentscheidungen zwischen 1995 und 2004 in Nordrhein-Westfalen zeigt sich, dass die Zunahme vorzeitiger Einschulungen und die Abnahme von Zurückstellungen bei ausländischen Kindern parallel zur Entwicklung bei deutschen Kindern verläuft, nur dass der Anteil vorzeitiger Einschulungen bei ausländischen Kindern um etwa ein Drittel geringer ausfällt und die Zurückstellungen etwa doppelt so hoch sind.“ (2006: S.151).
3. „SchülerInnen mit mindestens einem im Ausland geborenem Elternteil sind unmittelbar nach der Übergangsentscheidung häufiger an Hauptschulen anzutreffen als deutsche. Sie korrigieren auch ihre Übergangsentscheidung später seltener durch Aufstieg. Aber selbst der Vergleich derjenigen SchülerInneninnen und SchülerInnen, die auf ein Gymnasium oder eine Realschule übergehen, zeigt unterschiedliche Verlaufsmuster.“ (2006: S. 151 f.). 37% der Deutschen ohne Migrationshintergrund und 22% der SchülerInnen mit Migrationshintergrund besuchen ein Gymnasium. Die Beteiligungsquoten an der gymnasialen Schulform beider Gruppen ragen mit 15 Prozentpunkten weit auseinander. Diese Distanz findet sich erst am unteren Ende des Schulsystems wieder. 36 % der SchülerInnen mit Migrationshintergrund besuchen die Hauptschule dagegen besuchen nur 16% der deutschen SchülerInnen diese Schulform. Hier unterscheiden sich diese Gruppen mit 20 Prozentpunkten voneinander (Das Konsortium Bildungsberichterstattung im Auftrag der Ständigen Konferenz der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, 2010: S. 65). Ebenso festzuhalten ist, dass MigrantInnen wesentlich häufiger das deutsche Schulsystem ohne allgemeinbildenden Abschluss verlassen als ihre deutschen Altersgenossen (Diefenbach, 2008: S.69 f.). Hinzu kommt, MigrantInnen wechseln nach dem Übergang in die Sekundarstufe I wesentlich häufiger auf niedrigere Schulformen als deutsche ohne Migrationshintergrund (Das Konsortium Bildungsberichterstattung im Auftrag der Ständigen Konferenz der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, 2006: S. 152).
[...]
[i] Mit Dichotomisierung ist hier der Prozess der In- und Exklusion gemeint. Entweder gehört man zu einer ethnischen Gruppe oder zu einer anderen. MigrantInnen die scheinbar zwischen zwei ethnischen Gruppen stehen, wie zum Beispiel deutsch-türken, bilden, da sie sich weder der einen Ethnie noch der anderen zugehörig fühlen, eine eigenständige ethnische Gruppe.
[ii] Macht des Nationalstaates meint hier Leistungen und Ressourcen die ihm zur Verfügung stehen und durch ihn verwaltet werden
- Citar trabajo
- Martin Herrmann (Autor), 2010, Stereotype Threat im deutschen Klassenzimmer: Zwischen mangelnden Ressourcen und institutioneller Diskriminierung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202245
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